Loe raamatut: «Im Licht der Horen», lehekülg 3

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»So.« Mehr nicht. Das eine Wort genügte, dass Dee ein Schauer über den Rücken rann.

»MacNiall, Watanabe, ich möchte, dass Sie so viele Wrackteile bergen, wie es Ihnen bis fünfzehnhundert möglich ist. Ich werde dazu eine Fähre und einen Piloten von der Admiralität anfordern. Suchen Sie nach Hinweisen auf einen Sabotageakt.«

Dee nickte.

»Aye, Sir«, fügte Watanabe hinzu.

»Ich hoffe nach wie vor, dass meine Befürchtungen nicht bestätigt werden«, sagte Hagen leise.

»Das hoffe ich auch. Aber wir dürfen keine Möglichkeit außer Acht lassen. Nayiga, überprüfen Sie die Funkprotokolle und die optischen Aufzeichnungen aller Sensoren während des betroffenen Fluges.«

Nayiga räusperte sich. »Inklusive des Raumhafens, Ma’m?«

»Inklusive des Raumhafens.«

»Aye, Ma’m.«

»Ma’m, ich protestiere«, mischte sich De Sutton ein. »Der Raumhafen unterliegt der Autorität der Admiralität. Befehle zu seiner Überwachung können nur von der Admiralität höchstselbst angeordnet werden.«

Coulthard zeigte ihm die Zähne. »Das ist mir bekannt, Commander. Ich habe Nayiga auch nur um eine Überprüfung aller Aufzeichnungen gebeten, die wir zufällig gemacht haben.«

»Ich muss Sie warnen, Captain. Das ...«

»Zur Kenntnis genommen.« Coulthard wischte den Einwand weg wie eine lästige Fliege. »Setzen Sie sich mit der Admiralität in Verbindung und drücken Sie den Hinterbliebenen unser aufrichtiges Bedauern aus. Und lassen Sie bei der Presse verlauten, dass es sich um einen Unfall handelte. Ich kümmere mich um einen neuen Piloten.«

Sichtlich schockiert starrte De Sutton Coulthard an. »Ma’m, mit Verlaub. Sie wollen die Mission trotzdem annehmen?«

»Ja, Commander. Ich wüsste nicht, was dagegen spräche.« Coulthards Stimme war kühl.

»Wo wollen Sie so schnell einen Piloten herbekommen?«, fragte De Sutton.

»Ist das wirklich ein Problem?« Hagens Stimme war sanft.

»Das wird meine Sorge sein«, antwortete Coulthard.

»Da ist noch ein Wrackteil.« Watanabe deutete auf den Monitor der Fähre. Der klobige Raumanzug ließ seine Bewegung unbeholfen wirken.

»Uhrzeit?«, fragte Dee, während sie eines der Wrackteile begutachtete, die sie bereits geborgen hatten. Viele waren es nicht, die den Laderaum der Fähre füllten. Dennoch waren es eindeutig zu viele, um sie alle gründlich genug überprüfen zu können. Einige davon waren zudem organischer Natur und die bereiteten Dee die größten Probleme.

Der arme Hawk! Was, wenn sie an seinem Tod schuld war? Was wenn ... Sie durfte nicht darüber nachdenken. Wenn es einen Saboteur gab, dann mussten sie ihn finden. Das war das Einzige, was momentan zählte.

»Fünfzehn achtunddreißig.« Die Stimme des Piloten klang gelangweilt. Er gähnte. »Zeit, Schluss zu machen. Mein Dienst endet um sechzehnhundert. Ich muss noch ...«

»Lieutenant Carlyle, es ist mir gleichgültig, wann Ihr Dienst endet. Sie wurden mir bis sechzehnhundert zugeteilt und deshalb werden Sie mir bis sechzehnhundert zur Verfügung stehen«, sagte Dee. »Haben wir uns verstanden?«

»Aye, Ma’m.«

Ohne ein weiteres Wort widmete sich der Pilot wieder seiner Konsole. Er war dunkelhaarig, drahtig und gut aussehend. Zu gut aussehend. Und er hatte das gleiche verdammte Grinsen wie alle Piloten.

»Dort«, sagte Watanabe und deutete erneut auf das Wrackteil. »Sieht nach einem Teil der Verkleidung aus.«

Dee erhob sich und kam zum Monitor. Das Wrackteil wies Explosionsspuren auf.

»Holen Sie es an Bord«, entschied sie, obwohl sie nicht wirklich glaubte, dass es einen entscheidenden Hinweis liefern würde.

Was sie wissen wollte, wusste sie schon. Es gab keinen Hinweis auf den Einsatz von Explosivstoffen. Wenn es Sabotage gewesen war, musste jemand die Flugleitkontrolle manipuliert haben. Und die hatte sie noch am Morgen ausführlich unter die Lupe genommen.

Es passte nicht zusammen. Sie übersah etwas. Irgendwo war das entscheidende Puzzlestück vergraben. Sie konnte es nur nicht erkennen.

Gesetzt den Fall es war wirklich ein Terrorakt – dann hatte die Untergrundbewegung versucht, den Botschafter zu töten und aus Versehen den Falschen erwischt? Und Coulthard wollte die Mission trotzdem annehmen? Woher wollte sie so schnell einen Ersatzpiloten bekommen, der sich mit Gelmatrizen auskannte? Es würde höchstens eine Handvoll Piloten in der Flotte geben, die für den Job geeignet waren.

Dee hielt inne. Was, wenn Hawk das Ziel war? Was, wenn die Untergrundbewegung auf diese Weise einen ihrer Männer an Bord bringen wollte? Das war absurd. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer von deren Männern ausgewählt wurde, war viel zu gering.

Wirklich?

Oder hatte das Attentat etwas mit Admiral Masons Auftrag zu tun? Coulthards Bemerkung fiel Dee wieder ein. Dafür, dass Hagen und Mason liiert gewesen waren, hatte Hagen außerordentlich professionell reagiert. Sie hätte es nicht geschafft, so ruhig zu bleiben, wenn Paul getötet werden würde. Nicht einmal jetzt.

Was machte sie hier eigentlich? Sie war Ingenieurin. Sie sollte im Maschinenraum sein, anstatt Wrackteile einzusammeln.

Sie dachte an das Labor auf Persephone und einen Augenblick lang empfand Dee Heimweh. Dort war alles so einfach gewesen. Dort musste sie sich nur um Maschinen kümmern und nicht um irgendwelche Attentäter.

»Wir sind dran«, verkündete Carlyle.

Dee trat neben ihn an die Pilotenkonsole und beobachtete das Flugmanöver. Kein Vergleich mit Hawk und schon gar nicht mit Paul.

Trotzdem grinste Carlyle triumphierend, als er es geschafft hatte, die Fähre so neben dem Wrackteil zu positionieren, dass Watanabe es mithilfe eines Raumanzugs bergen konnte.

»Wir haben es«, verkündete Watanabes Stimme nach ein paar Minuten per Funk.

Dees Blick fiel auf die Uhr. Es war fünfzehn achtundfünfzig.

Carlyle seufzte laut und vernehmlich.

»Bringen Sie uns zur Nyx, Carlyle.« Dee betätigte den Funk. »Watanabe! Wir kehren um.«

Dee kam gerade noch rechtzeitig in den Besprechungsraum. Hagen war dieses Mal nicht anwesend.

»MacNiall.« Coulthard sah ihr entgegen. »Bericht!«

Dee eilte zu ihrem Platz und setzte sich umständlich. »Aye, Ma’m. Ich konnte keinen Hinweis auf den Einsatz von Sprengstoffen finden. Um Manipulationen an den Relais zu überprüfen, war das Material, das wir bergen konnten, nicht ausreichend. Aus meiner Sicht gibt es nur zwei Möglichkeiten, wie es zu dem Zusammenstoß kommen konnte. Entweder hat der eigenständige Check von Mister Hawk einen Defekt in der Flugleitkontrolle verursacht oder es war schlicht ein Unfall. Beides erscheint mir aber unwahrscheinlich.«

»Weshalb?«, fragte Coulthard.

»Lieutenant Hawk war ein außerordentlich guter Pilot. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er aus Versehen mit einem anderen Flugobjekt kollidieren könnte. Allerdings fällt es mir ebenso schwer zu glauben, dass er aus Unkenntnis bei seinem Check die Flugleitkontrolle beschädigt hat.«

Verherrlichte sie ihn damit? Nein, er war fähig. Eigentlich konnte es nur Sabotage gewesen sein.

»Danke.« Coulthard schien einen Moment zu überlegen.

De Sutton räusperte sich. »Wünschen Sie einen Bericht über meinen Kontakt mit der Presse?«

Coulthard runzelte die Stirn. »Wurden Ihnen gegenüber irgendwelche Verdachtsmomente geäußert?«

»In der Tat«, erwiderte De Sutton. »Aber ich bin sicher, dass ich überzeugend genug war, um selbige zu zerstreuen. Was mir erwähnenswert scheint, ist jedoch, dass nahezu alle Pressevertreter einen Sabotageakt als gesichert ansahen. Bis ich die Annahme widerlegte. Mir schien es fast so, als hätten einige von ihnen einen ... nennen wir es ›Hinweis‹ ... erhalten. Das stimmt mich nachdenklich.«

Coulthards Miene verfinsterte sich. »Gehen Sie der Sache nach«, sagte sie schließlich nach einer Pause. »Unauffällig.«

»Das versteht sich von selbst, Ma’m.« De Sutton hob eine Augenbraue. »Noch eine prekäre Angelegenheit, Ma’m. Die Trauerfeierlichkeiten anlässlich Mister Hawks Ableben ... Wünschen Sie, dass sie an Bord durchgeführt werden?«

Coulthard schwieg. Wie eine Statue saß sie an ihrem Platz. Sekunden schienen zu verstreichen. »Nein«, sagte sie endlich. »Lassen Sie die Trauerfeierlichkeiten für Lieutenant Hawk auf Persephone durchführen. – Nayiga, was hat die Sichtung der Aufzeichnungen ergeben?«

»Ma’m, mit Verlaub«, mischte De Sutton sich ein. »Aber das wird bedeuten, dass die Crewmitglieder der Nyx nicht an den Trauerfeierlichkeiten teilnehmen können.«

»Dessen bin ich mir bewusst, Commander De Sutton. – Nayiga, Ihre Ergebnisse!«

Im Raum herrschte betretenes Schweigen. De Sutton schluckte, widersprach jedoch nicht mehr.

War Hawk ihr wirklich so gleichgültig? Waren sie ihr alle so gleichgültig?

»Nayiga!«

Nayiga zuckte zusammen. »Verzeihung, Ma’m. Eine andere Fähre hat den Raumhafen, kurz nachdem Lieutenant Hawk gestartet ist, verlassen. Es handelte sich um eine militärische Fähre. Sie ging auf direkten Kollisionskurs mit der unseren.« Nayiga unterbrach sich und warf De Sutton einen unsicheren Blick zu. »Ich habe mir erlaubt, die Kennung der Fähre herauszusuchen und ihre Flugdaten zu überprüfen. Sie stand bereit und war nicht für einen Flug eingetragen.«

Coulthard beugte sich vor.

»Die optischen Sensoren zeigen einen Mann, der die Fähre kurz zuvor betritt. Hier.« Auf dem Monitor an der Wand erschien das unscharfe Bild eines Mannes in Uniform aus der Vogelperspektive, der sich einer Fähre näherte. Er verweilte kurz am Schott. Kurz darauf öffnete es sich und der Mann verschwand im Innern der Fähre. Wenig später startete sie.

»Ich habe mir außerdem erlaubt, den Weg des Mannes zurückzuverfolgen.« Das Schott der Fähre ging wieder auf. Anscheinend lief die Aufzeichnung rückwärts. Wie zu sehen war, kam der Mann aus einem der Gebäude, die den Raumhafen umgaben.

»Ma’m, ich muss darauf hinweisen, dass dieses Vorgehen Paragraf achtundvierzig der Flottenstatuten widerspricht«, wandte De Sutton höflich ein.

»Formulieren Sie Ihre Einwände schriftlich. Ich komme später darauf zurück«, unterbrach Coulthard ihn. »Weiter, Nayiga. Haben Sie noch etwas herausgefunden? Wer ist der Kerl?«

»Ich habe sein Porträt durch die Flottendatenbank laufen lassen. Er wird nicht im Flottenregister geführt. Ich habe sein Konterfei danach auch noch durch die Datenbank mutmaßlicher Angehöriger des Untergrunds gejagt. Das Ergebnis erhielt ich erst kurz vor Beginn unserer Besprechung.« Nayiga sah zu Coulthard. »Sein Name ist Conner Patrick. Er wird als Angehöriger der auf Persephone ansässigen Untergrundzelle geführt.«

Dee starrte auf das verwaschene Porträt. Der Mann wirkte unscheinbar. Er war im mittleren Alter, mit einem Ansatz zur Glatze und deutlichem Doppelkinn. Nichts an ihm wies ihn als Attentäter aus.

Coulthard schwieg. Nachdenklich rieb sie ihre Stirn, bis sie endlich zu einem Entschluss gekommen zu sein schien. »Watanabe, erhöhen Sie den Sicherheitsstandard aller Computer um eine Stufe und überprüfen Sie die Akten sämtlicher Crewmitglieder. De Sutton, Sie liefern den Quercheck.«

»Ma’m«, begann De Sutton, aber Coulthard beachtete ihn nicht. Watanabe nickte nur.

»Nayiga, gute Arbeit. Suchen Sie in den Datenbanken, die Ihnen zur Verfügung stehen, nach Kontakten von diesem Mister Patrick. Ich will alles wissen, was Sie über ihn herausfinden können.«

Nayiga lächelte verbindlich. »Aye, Ma’m.«

»Wurde der Körper des Mannes in den Trümmern gefunden?«, fragte Coulthard.

»Ja«, antwortete Tipton mürrisch. »In Teilen.«

»Dann untersuchen Sie die Leichenteile, die wir haben. Wenn der Kerl Parodontose hatte, dann will ich es wissen.«

»Aye, Captain«, antwortete Tipton. »Heute oder gestern?«

»Gestern, Doktor. Gestern.« Coulthard schmunzelte.

Endlich wandte sie sich an Dee. »Und Sie, MacNiall, überprüfen dieses Schiff auf Herz und Nieren. Wenn es hier weitere Überraschungen gibt, dann will ich, dass Sie sie finden.«

Dee stöhnte innerlich. »Ma’m, eine Frage. Bis wann erwarten Sie unsere Vollzugsmeldung?«

Coulthard überlegte kurz. »Bis wann können Sie fertig sein?«

»Mindestens ein Tag, Ma’m. Falls ich alleine arbeite.« Hoffentlich verstand Coulthard den Hinweis.

»Lassen Sie CPO Riley und PO Peres mitarbeiten, aber tarnen Sie die Aktion als Routineüberprüfung. Wie, das überlasse ich Ihnen. Schaffen Sie das bis morgen früh?«

»Aye, Ma’m. Mit einer Nachtschicht für alle – ja.« Das würde hart werden. Und wie sie das als Routineüberprüfung tarnen sollte, war ihr schleierhaft.

»Das wird genügen. Die Ergebnisse der anderen erwarte ich um neunzehnhundert. Der Botschafter wird um zwanzighundert erwartet. Wir starten planmäßig morgen Vormittag um null achthundert. Das wäre alles.«

De Sutton meldete sich noch einmal zu Wort. »Ma’m, mit Verlaub, darf ich Ihren Worten entnehmen, dass wir einen neuen Piloten haben? Sollte dem so sein, bitte ich Sie in aller Form um die Übermittlung seiner Akte.«

»Ja, wir haben einen neuen Piloten. Sein Name ist Lieutenant Jameson McAllister. Und seine Akte wurde bereits überprüft. Von mir. Weitere Fragen?«

Coulthard sah sich um. Nayiga stand der Mund offen. Unter Coulthards Blick senkte sie jedoch schnell den Kopf.

De Sutton wirkte völlig entgeistert. »Ma’m, bei allem gebührendem Respekt. Aber das kann nicht Ihr Ernst sein!«

»Er ist hoch qualifiziert und wird in wenigen Stunden eintreffen.«

»Ich protestiere!«, sagte De Sutton.

»Das ist alles!«

De Sutton klappte den Mund zu. Aber Coulthard hatte gar nicht erst auf eine Erwiderung De Suttons gewartet. Sie verließ bereits den Raum.

4. Kapitel

Jameson McAllister. Dee ließ das Prüfgerät sinken. Irgendwann hatte sie den Namen bereits gehört. Es war kein angenehmer Zusammenhang gewesen. Wenn sie sich doch nur erinnern könnte! Sie rieb sich die Nase, aber das brachte sie auch nicht weiter.

Riley und Peres hatten die Routineüberprüfung murrend geschluckt. Dee hatte die beiden zu den Konvektionstriebwerken geschickt. Die waren wenig anfällig für Störungen und taugten nicht für Attentate. Eigentlich sollte sie währenddessen die Sprungtriebwerke überprüfen, aber ...

Endlich war Dee bis zu den Schaltkreisen für den Hangar vorgedrungen. Sie kauerte hinter der herabgenommenen Verschalung der Überwachungskabine. Wenn sich irgendjemand außer Hawk und ihr an der Fähre zu schaffen gemacht hatte, dann würde sie hier die Antwort finden. Es sei denn, der Betreffende war gut genug gewesen, seine Spuren zu beseitigen.

Dee löste gerade eine Verbindung, als ihr ein Blinken an der Konsole auffiel: Die Anzeige für den Status der Hangartore. Dem Stand der Atemluft nach, die die Kontrolle daneben anzeigte, mussten sie sich gerade geschlossen haben.

Eine Fähre? Natürlich. Der angekündigte neue Pilot.

Ihre Finger lösten eine weitere Verbindung und verbanden die freien Enden mit ihrem Prüfgerät. Im schummrigen Licht waren die Tasten kaum zu erkennen, die sie betätigen musste. Mit gerunzelter Stirn zog sie sich von der Wand zurück, um das Licht des Hangars nutzen zu können.

Sie erkannte drei Autorisierungscodes. Einer davon war der ihre. Während sie die Codes auf ihrem Prüfgerät speicherte, zischte das Schott der Fähre. Die Gegensprechanlage war aktiviert. Dee hörte leichte Schritte aus dem Lautsprecher. Vorsichtig beugte sie sich zur Seite, um von ihrem erhöhten Standort einen Blick auf den Ankömmling zu werfen.

Der Mann, der aus der Fähre kam, trug Turnschuhe, graue ausgebeulte Jogginghosen und ein zerschlissenes ärmelloses Shirt, das den Blick auf athletische Schultern und Arme freigab. Die blonden Haare waren zerzaust und hingen bis auf seine Schultern. Er hatte einen grauen Seesack geschultert, den er nun mit einer geschmeidigen Bewegung zu Boden gleiten ließ.

»Lieutenant Jameson McAllister meldet sich zum Dienst. – Sir.«

Die Stimme war ein rauer Bariton. Dee konnte Zorn und Bitterkeit in ihr hören. Das »Sir« klang durch die kleine Sprechpause nahezu wie eine Beleidigung.

»Lassen Sie das, Jameson.« Coulthard kam langsam auf ihn zu und blieb vor ihm stehen.

McAllisters Haltung lockerte sich. Breitbeinig und mit hoch erhobenem Kopf begegnete er Coulthards Blick.

Die beiden kannten sich.

»Sie wissen, unter welchen Bedingungen Sie hier sind?«

»Aye.«

»Ihnen ist hoffentlich klar, was mich das gekostet hat. Ich musste alle Hebel in Bewegung setzen.«

»Ich weiß es zu schätzen.« Doch seine Haltung wirkte eher provokativ.

»Nutzen Sie Ihre Chance.«

»Mit Verlaub: Welche Chance?« Die Worte klangen hart und anklagend. »Sie haben selbst gesagt, dass ich keine Rehabilitation erwarten darf.«

»Ist fliegen zu können nicht genug?«

Für einen kurzen Augenblick senkte er den Kopf um eine Winzigkeit, bevor er ihn mit einem Ruck wieder hob. »Doch«, antwortete er. »Das ist es. Mehr als genug.«

Eine Pause entstand, die Dee umso schmerzhafter empfand, je länger sie andauerte. Es kam ihr vor, als wolle keiner der beiden das nächste Wort sprechen, als befürchteten beide, zu verlieren. Umso erstaunter war Dee, dass McAllister das Schweigen brach.

»Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet. Dafür. Und dafür, dass Sie mich da herausgeholt haben. Für alles.« Er bot ihr seine Hand.

Coulthard ignorierte die Geste. »Danken Sie mir nicht zu früh.«

Mit einem sichtbaren Ruck straffte er sich und nahm Haltung an. Die Hände auf seinem Rücken ballten sich zu Fäusten. »Ich hatte nichts damit zu tun. Ich würde niemals ...«

»Ich sagte es bereits: Nutzen Sie Ihre Chance. Ich habe Sie für eine Mission hierher gebracht. Jetzt liegt es an Ihnen! Beweisen Sie mir, dass Sie es wert sind. Dann werde ich mich weiterhin für Sie einsetzen.«

McAllister schwieg. Ganz langsam öffneten sich seine Fäuste, bis er sich plötzlich einen Ruck gab und nach dem Seesack griff. »Ich werde mein Bestes tun. Das verspreche ich Ihnen.«

Coulthard versperrte ihm den Weg. »Oh nein, Jameson. Nicht Ihr Bestes! Das, was erforderlich ist. Ich brauche Sie!«

»Es wird keinen Anlass zur Klage geben. Sie haben mein Wort darauf.« Die Worte klangen, als müsse er sie zwischen seinen Zähnen hervorpressen. Dabei hob er sein Kinn noch ein wenig. Seine Haltung war so aggressiv, dass Dee einen Moment um Coulthards Wohlergehen fürchtete.

Lange standen sich die beiden so gegenüber, bis Coulthard ihm den Weg zur Hangartür freigab. »Ich erwarte Sie in Uniform und mit vorschriftsmäßiger Frisur um neunzehnhundert im Besprechungsraum. Sorgen Sie dafür, dass ich es nicht bereue.«

»Aye – Sir.« Da war sie wieder, diese kleine, kaum wahrnehmbare, provokante Pause vor dem »Sir«. Doch Coulthard schien gewillt, sie zu ignorieren.

Als er sich zur Tür wandte, konnte Dee sein Gesicht sehen. Einen irren Augenblick glaubte sie, er habe sie bemerkt, aber er schritt mit festem Blick an der Kabine vorbei Richtung Schott.

Dees Herz machte einen Satz. Das war der Mann aus ihrem Traum. Und er trug Sträflingskleidung.

Er stand auf Hawks Platz, als Dee den Besprechungsraum betrat. Sein makelloses, frisch rasiertes Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt. Die dunkelgraue Uniform betonte seine durchtrainierte Figur, als wäre sie für ihn entworfen worden. Die blonden Haare waren nur noch zwei Fingerbreit lang.

Die Verwandlung war perfekt, trotz der kurzen Zeit, die er zur Verfügung gehabt hatte. Hoch aufgerichtet, breitbeinig und mit den Händen auf dem Rücken wirkte er, als wäre er einem Werbefilm der Flotte entsprungen. Nur die widerspenstigen Haare schienen zeigen zu wollen, welcher Geist wirklich in diesem Mann wohnte.

»Darf ich Ihnen Lieutenant Jameson McAllister vorstellen?«, brach Coulthard das Schweigen. »Er wird für die Dauer dieser Mission unser Pilot sein.«

Die anderen Offiziere hatten Platz genommen. Nur McAllister stand noch. Mit regloser Miene fixierte er die Wand ihm gegenüber.

Woher kannte sie nur seinen Namen? Die Frage ließ Dee keine Ruhe.

»Ma’m, ich habe eine Beschwerde vorzubringen«, brach De Suttons näselnde Stimme das Schweigen. »Lieutenant McAllister hat meine ... unsere Kabine verwüstet. Ich bestehe darauf, dass Sie ihn dafür zur Rechenschaft ziehen.«

McAllister atmete tief ein. Sein Blick suchte Coulthard.

Deren Miene war eisig. »Wir hatten eine Abmachung.«

»Ich war in Eile«, quetschte McAllister hervor. Seine dunkelgrauen Augen fixierten De Sutton. »Ich werde den Schaden selbstverständlich beheben. – Sir.«

De Suttons Stimme wurde ungewöhnlich laut. »Ich weigere mich, mit ihm ein Quartier zu teilen.«

»Sir.« McAllisters Blick wanderte zu Coulthard. »Ich versichere Ihnen, dass es zu keinen weiteren Zwischenfällen kommen wird.«

Coulthard schien befriedigt. »Setzen Sie sich, McAllister.« Zu De Sutton gewandt sagte sie: »Sie haben Lieutenant McAllister gehört, Commander De Sutton. – Zu den Ergebnissen! Watanabe!«

De Suttons Lippen wurden schmal. »Ma’m, mit Verlaub. Sie können mich nicht zwingen ...«

»Commander De Sutton!« Coulthard sprach leise, dennoch hatte jedes ihrer Worte die Schärfe eines Peitschenhiebs. »Die Sache ist geklärt. Sollten Sie weitere Einwände haben, richten Sie diese bitte schriftlich über meine Person an die Admiralität. Ansonsten steht es Ihnen frei, von Ihrem Posten zurückzutreten. Für adäquaten Ersatz zu sorgen, dürfte nicht schwerfallen.«

Das waren klare Worte. McAllisters Anwesenheit war ihr wichtiger als De Suttons. Wobei Coulthard recht haben dürfte: Es würde um einiges leichter sein, einen qualifizierten Ersten Offizier als einen weiteren Piloten für dieses Schiff zu finden. Auch wenn diese Crew noch so handverlesen war.

Während De Sutton nach Luft schnappte, setzte McAllister sich in einer gleitenden Bewegung an den Tisch. Sein Blick traf Dee. Ertappt senkte sie die Lider. Nur um aus den Augenwinkeln zu beobachten, dass er sie weiterhin fixierte. Als suche er nach einer Antwort, die nur sie ihm geben könne.

Natürlich! Er hatte sie gesehen – im Hangar!

Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, widmete Dee ihre Aufmerksamkeit dem Captain.

»Die Ergebnisse, Watanabe!«, wiederholte Coulthard ungerührt.

Watanabes Blick wanderte zuerst zu McAllister, bevor er endlich antwortete. Als müsse er sich vergewissern, dass dieser seinen Bericht wirklich hören durfte.

»Alle Crewmitglieder haben die entsprechenden Sicherheitsfreigaben. Wenn auch bei einigen aufgrund ihrer Vorgeschichte Zweifel an ihrer Loyalität aufkommen könnten.«

Coulthard runzelte die Stirn. »Präzisieren Sie das!«

»Nahezu fünfzig Prozent der Crew haben während des Krieges durch Kriegshandlungen Familienmitglieder verloren. CPO Rileys Familie wurde während eines Angriffs auf den Heimatplaneten seiner Eltern vollständig eliminiert. Grund genug für die Hälfte der Crew, um im Untergrund gegen einen Waffenstillstand mit der Erdregierung zu kollaborieren.«

Watanabes Blick ruhte auf McAllister, als gehöre er zu dieser Hälfte.

»Des Weiteren haben wir drei Crewmitglieder an Bord, die als Mutanten klassifiziert wurden.«

Dee vergaß einen Augenblick zu atmen. Ungerührt fuhr Watanabe fort, während er McAllister weiterhin fixierte.

»Zwei Crewmitglieder wurden als Klasse fünf eingestuft, können also als unbedeutend angesehen werden. Ein weiteres Crewmitglied wurde als Klasse zwei klassifiziert, kommt jedoch aufgrund äußerer Umstände nicht für den Sabotageakt in Betracht.«

Watanabe sah Coulthard an und Dee glaubte, Missbilligung in seinen dunklen Augen zu erkennen.

»Da das Waffenstillstandsabkommen aber auch die künftige Stellung der hoch eingestuften Mutanten behandelt, halte ich dieses Crewmitglied für ein Sicherheitsrisiko.«

Er sprach nicht von ihr, zum Glück! Dees Herz schlug laut und hart. Er sprach von ...

McAllister presste die Lippen aufeinander.

Coulthards Stimme klang erstaunlich ruhig. »Wie Sie bereits erwähnten, kommt dieses Crewmitglied nicht für den Anschlag infrage.«

Es ging um McAllister. Coulthard verteidigte ihn. Fühlte sie sich ihm so sehr verbunden?

»Noch etwas?«, fragte Coulthard.

Watanabes Blick richtete sich auf Nayiga. »Junior Lieutenant Nayigas Name fiel in Zusammenhang mit einem Datendiebstahl auf der CFF Bellerophon vor knapp einem Jahr. Der Vorfall konnte bisher nicht geklärt werden. Ein anderes Crewmitglied ist ebenfalls ...«

»Ma’m! Ich schwöre Ihnen, dass ich nichts damit zu tun hatte«, unterbrach Nayiga ihn. Sie sah zu McAllister, der ihrem Blick mit finsterer Miene begegnete.

Bellerophon. Die Testmatrix. Dee horchte auf. Gerade noch rechtzeitig senkte sie den Kopf, statt wie Nayiga McAllister anzustarren.

Daher kannte sie seinen Namen! Er war der Pilot, der vor Hawk die Testmatrix geflogen hatte. Derjenige, der die Forschungsdaten gestohlen hatte. Coulthard musste verrückt sein! Wie konnte sie nur ...

Coulthard hob die Hand. »Beruhigen Sie sich, Nayiga! Wenn ich Grund zu der Annahme hätte, dass irgendjemand hier an diesem Tisch einen Akt des Hochverrats begangen hätte oder ihn unterstützte, dann wäre er nicht hier. Das gilt für jeden. War das alles, Watanabe?«

»Ja, Ma’m.« Zum ersten Mal klang Watanabe zornig, seit Dee ihn kannte.

McAllister musterte den Tisch. Seine Miene war nach wie vor nicht zu deuten. Nayiga starrte ihn unverhohlen an.

Kein Wunder! Immerhin musste Nayiga ebenso wie ihr klar sein, dass dieser Mann verdächtigt wurde, die Forschungsergebnisse über die Gelmatrix gestohlen zu haben. Und trotzdem saß er hier, im Besprechungszimmer der Nyx. In dem Protoserienschiff mit einer Gelmatrix, das den Botschafter der Erde befördern sollte. Das erklärte auch Watanabes offensichtlichen Zorn. Er schien nicht glücklich über Coulthards Wahl zu sein. Verständlicherweise.

»Die Sicherheitsstandards?«, fragte Coulthard.

»Wurden alle weisungsgemäß erhöht«, antwortete Watanabe mit wütendem Blick.

»Nayiga, was konnten Sie über Mister Patrick herausfinden?«

Nayiga zuckte zusammen. »Ma’m! Conner Patrick war seit zwölf Jahren verheiratet mit Sandra Martin. Sie haben zwei gemeinsame Kinder, ein Mädchen von acht und einen Jungen von fünf Jahren. Patrick arbeitete als Beamter im öffentlichen Dienst beim Finanzamt. Mistress Martin ist Lehrerin. Beide sind bisher nicht straffällig geworden. Patricks Name tauchte in der Liste der Untergrundkämpfer auf, da er Besuch von diesem Mann hatte.«

Das Bild eines kantigen Mittvierzigers erschien auf dem Wandschirm. »Das ist einer der beiden führenden Köpfe der Widerstandsbewegung. John VanAllen. Er wird überwacht, konnte sich jedoch vor ein paar Wochen seinen Bewachern entziehen. Seitdem ist Patricks Name auf der Liste.«

Coulthard studierte das Konterfei des Mannes. »Der VanAllen?«

»Ja, Ma’m. Der jüngere der beiden Brüder.«

»Danke, Nayiga. – Doktor, haben Sie etwas für mich?« Coulthard lächelte.

Tipton zog die Nase hoch. »Ich konnte die Leichenteile drei männlichen Personen zuordnen. Eine davon war laut DNA-Muster eindeutig Lieutenant Hawk. Die zweite Admiral Mason. Die dritte Person war weiß, mittleren Alters, leicht übergewichtig und untrainiert. Und er hatte Diabetes. Könnte unser Mister Patrick sein. Wenn Sie mir sein DNA-Muster geben, kann ich es überprüfen.«

»Captain Coulthard, darf ich darauf hinweisen, dass die DNA-Muster von Zivilpersonen nicht für militärische Zwecke verwendet werden dürfen?« De Suttons Stimme klang unwirsch.

»Sie dürfen, Commander De Sutton«, lächelte Coulthard. »Nayiga, übermitteln Sie dem Doktor das DNA-Muster. Ich erwarte Ihr Ergebnis, Doc.«

»Ist mir ein Vergnügen.« Tipton hustete und feixte in De Suttons Richtung.

De Sutton presste die Lippen aufeinander. »Das ist ...«

»Wie ich bereits sagte, Commander De Sutton: Sollte Ihnen mein Führungsstil missfallen, nehme ich gerne Ihr Versetzungsgesuch an.«

Mit hoch erhobenem Kopf musterte De Sutton Coulthard aus schmalen Augen.

»Wie ist Ihr Stand, MacNiall?«, fuhr Coulthard ungerührt fort.

»Wir kommen gut voran. Bisher konnten wir keine Unregelmäßigkeiten finden. Ich bin sicher, dass wir planmäßig starten können.«

Einen Moment lang war Dee versucht hinzuzusetzen, dass sie die Autorisierungscodes der Personen aus den Überwachungseinheiten des Hangars ausgelesen hatte, die in den letzten vierundzwanzig Stunden dort gearbeitet hatten. Aber das Ergebnis war nichtssagend. Sie hatte Hawks, Rileys und ihren eigenen Code gefunden. Riley hatte Wartungsarbeiten an einem überlasteten Energierelais vorgenommen. Aber Dee schwieg, denn sonst wäre auch herausgekommen, dass sie bei McAllisters Ankunft anwesend war.

»Das wäre dann alles. Weitere Ergebnisse direkt an meine Person. Ich erwarte Sie morgen um null siebenhundert zu einer letzten Einsatzbesprechung.«

Coulthard nickte als Zeichen, dass sie entlassen waren.

»Sir!«

»Einwände, McAllister?«, fragte Coulthard.

»Wenn Sie mir die Aufzeichnung der Flugdaten überlassen, könnte ich die Flugbahn hinsichtlich Anomalien überprüfen.«

»Wie meinen Sie das?« Coulthard runzelte die Stirn. »Welche Anomalien?«

»Eine Extrapolation der Flugbahn könnte Rückschlüsse darauf geben, welches Ziel die Flugobjekte ansteuerten. Sir.«

Coulthard zögerte sichtlich, bevor sie schließlich nickte. »Gut, tun Sie das, McAllister, und übermitteln Sie mir Ihre Ergebnisse.« Mit Blick auf die anderen Offiziere fügte sie hinzu: »Sie können gehen.«

De Sutton war der Erste, der durch das Schott preschte. Aus jeder seiner Bewegungen sprach verhaltener Zorn. Dee folgte ihm hinaus auf den Gang.

Nayiga überholte sie und prallte fast mit ihr zusammen, während sie über ihre Schulter blickte. »Verzeihung.« Bevor Dee antworten konnte, eilte sie davon. Ihre Schritte hallten im Korridor wider, vermischten sich mit denen der anderen Offiziere und verhallten.

Dee blieb stehen. Coulthard sollte ihr Ergebnis erfahren. Auch wenn sie zugeben musste, das Gespräch mit McAllister belauscht zu haben. Mit einem Seufzen kehrte sie wieder um.

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