Loe raamatut: «Im Licht der Horen», lehekülg 4

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Das Schott stand noch offen. Dee sah McAllister, der ihr den Rücken zukehrte und breitbeinig und mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor Coulthard stand.

Seine Stimme war rau. »Ich sehe die Notwendigkeit ein.«

»Dann freut es mich, Sie an Bord begrüßen zu dürfen, Lieutenant McAllister. Es freut mich wirklich.«

Coulthard bot ihm die Hand. Dee konnte ihr Gesicht nicht sehen. Mit leichter Verzögerung ergriff McAllister sie.

»Ich danke Ihnen«, antwortete er leise.

Behutsam zog sich Dee zurück. Sie kam sich mit einem Mal wie ein Voyeur vor. Ihre Meldung konnte sie ebenso gut schriftlich machen.

Dee starrte auf den Monitor. Sie war allein im Maschinenraum. Riley überprüfte die Energieleitungen und Peres hatte sich in den Hypermodulen vergraben.

Es wurde Zeit, dass sie mehr über den feinen Mister McAllister herausfand. Vermutlich war sie der letzte Offizier, der diese Anfrage stellte. Watanabe hatte es getan. Er wusste mehr. Und sie wollte verdammt sein, wenn sie sich nicht wenigstens McAllisters Personalakte ansah. Außerdem war sie der Zweite Offizier an Bord. Es war ihre Pflicht, den Captain auf Gefahren hinzuweisen.

Energisch begann Dee, seinen Namen einzutippen. »Eintrag im Flottenregister«, las sie als Antwort. »Dienstrang Lieutenant, Mutant der Klasse zwei.« Na also!

Befriedigt klickte sie auf den Querverweis zu seiner Personalakte. »Zugriff verweigert«, blinkte auf dem Monitor. Dee blinzelte und versuchte es noch einmal. »Zugriff verweigert.« Die Freigabe war der Admiralität vorbehalten.

Dann eben anders! Dee tippte nur den Namen »McAllister« ein. »Jameson«, wurde aufgelistet – und darüber »Ian, Dienstrang Captain, Schwerer Kreuzer CFF Ulysses«. Nervös biss sie auf ihre Unterlippe und klickte auf den Verweis zu Captain Ian McAllisters Personalakte.

Ein Bild erschien. Ein distinguierter blonder Mann mit energischem Blick. Die Ähnlichkeit mit Jameson McAllister war nicht zu übersehen. Dee überflog die Daten. Er schien ein ziemlich fähiger Offizier zu sein. Persönliche Daten. Aha! Verheiratet mit Hera Donovan, Mutant der Klasse zwei, Regierungsmitarbeiterin. Was war das jetzt schon wieder? Und da, ein Sohn. Jameson McAllister, Alter siebenundzwanzig, Pilot bei der Flotte.

Blinzelnd klickte Dee auf den Namen »Hera Donovan«. »Botschafterin der Vereinten Kolonien«, las sie. »Getötet im Einsatz.« Die Sache war fünf Jahre her. Dee fand noch diverse Verwandte von Jamesons Mutter, aber keine weiteren Angaben zu ihrem Tod.

Nachdenklich starrte sie auf den Monitor mit Mistress Donovans Porträt. Eine wunderschöne, dunkelhaarige Frau mit dunkelgrauen Augen lächelte sie warmherzig an. Er hatte ihre Augen. Himmel, in was verrannte sie sich da? Einmal mehr kam sie sich vor wie ein Voyeur.

Dennoch tippte sie den Namen »Bellerophon« ein. Eine Flut von Daten überschwemmte den Bildschirm. Sie suchte die Crewliste heraus und fand recht schnell Nayigas Namen. Sie hatte das Schiff vor einem Jahr verlassen. Und tatsächlich, auch McAllister war bis zu diesem Zeitpunkt ein Crewmitglied der Bellerophon gewesen.

Jetzt wollte sie es wissen. Was war damals eigentlich passiert? Sie suchte nach dem Logbuch und überflog es rückwirkend ab dem Zeitpunkt, da McAllister das Schiff verlassen hatte.

Sie musste nicht lange suchen. Da stand, dass McAllister aufgrund erdrückender Indizien des Hochverrats angeklagt worden war. Die Daten der Forschungsergebnisse über die Testgelmatrix waren aus dem Hauptcomputer kopiert worden und es war sein Autorisierungscode, der im Terminal gefunden wurde. Er behauptete, zum Zeitpunkt des Diebstahls mit Kayleigh Monahan verabredet gewesen zu sein, seiner Freundin, wie es schien. Die war jedoch nachweislich zum fraglichen Zeitpunkt mit Myriam Nayiga zusammen gewesen.

Nachdenklich starrte Dee auf Nayigas Namen. Grund genug, Nayiga mal auf den Zahn zu fühlen!

Ein Video fiel ihr ins Auge. Sie wählte es an, ohne sich viel davon zu versprechen. McAllister erschien. Zwei Männer der Special Forces hatten ihn an den Oberarmen gepackt. Mit von Hass und Wut verzerrtem Gesicht stemmte er sich gegen ihren Griff. Ein Tritt gegen das Bein des Mannes zu seiner Linken und mit einem Ruck riss McAllister sich los. In einer Drehung rammte er dem anderen seine Faust ins Gesicht. Der dritte Mann erschien wie aus dem Nichts und schickte McAllister mit einem Schlag in den Nacken zu Boden.

Das Video erlosch. Erschüttert von der Wucht der Gefühle in McAllisters Miene starrte Dee auf den Bildschirm.

Ein Geräusch hinter ihr ließ sie zusammenzucken. Erschrocken drehte sie sich um.

Riley stand hinter ihr und lächelte sie an. »Neuigkeiten?« Sein Blick wanderte zum Monitor.

Verflucht, wie lange stand er schon da?

Mit einem Tastendruck warf Dee die Ergebnisse ihrer letzten Triebwerksanalyse auf den Bildschirm. »Alle Konvektionstriebwerke im Normbereich. Was machen die Energieleitungen?«

»Alles im Normbereich. Was darf ich jetzt für Sie tun, Ma’m?«

»Machen Sie sich an die Funkrelais für den Hyperfunk. Ich werde mich zwei oder drei Stunden schlafen legen und Sie dann ablösen.«

»Gerne, Ma’m.« Riley trat einen Schritt näher und stützte sich mit einer Hand auf die Konsole neben ihr. »Kann ich Ihnen noch anderweitig behilflich sein?«

Dee glaubte, seine andere Hand bereits auf ihrer Schulter zu fühlen. Sie fühlte sich auf dem Stuhl gefangen.

»Darf ich hoffen, dass Sie meine Warnung nicht vergessen haben?«, schnappte sie. »Oder muss ich Sie daran erinnern?«

Riley wich erschrocken zurück. »Ma’m. Verzeihung, Ma’m ...« Ohne ihre Antwort abzuwarten, deutete er einen Gruß an und strebte dem nächsten Schott zu.

Hatte Riley wirklich nicht begriffen, dass sie das nicht leiden konnte? Sie hatte tatsächlich seine Hand auf ihrer Schulter zu spüren geglaubt. Was erlaubte er sich? Oder bildete sie sich das ein?

War sie vielleicht ungerecht ihm gegenüber? Wenn er Paul nur nicht so ähnlich wäre ...

Bilder tauchten vor ihr auf. Bilder, die sie vergessen wollte. Von dieser fremden Frau, die sich wollüstig auf dem gemeinsamen Ehebett rekelte. Pauls Hände auf ihrem nackten Leib. Von den Schlaftabletten, die sie mit zitternden Händen ins Klo geworfen hatte, bevor sie in Versuchung geriet.

Wenn sie ihre Erinnerungen nur genauso fortspülen könnte!

Das Schott schloss sich. Nachdenklich starrte sie auf den Monitor. Sicher war sicher! Mit wenigen Tastendrucken löschte sie ihre Anfragen aus dem Logbuch.

In Gedanken versunken begab sie sich zu ihrem Quartier. Die Erinnerungen drängten immer wieder hervor. Mit aller Kraft versuchte sie, sich auf die Daten aus der Datenbank zu konzentrieren. McAllisters Blick, Hass und Wut in seinen Augen, daran blieben ihre Gedanken hängen. Das Bild jagte ihr immer noch einen Schauer über den Rücken und ganz langsam setzte es ihre Überlegungen in Gang.

Datendiebstahl. Mutant der Klasse zwei. Die Mutter im Einsatz verstorben. Er war anscheinend nach der Anklage aus dem Verkehr gezogen worden. Nein, im Gefängnis. Und nun holte Coulthard ihn an Bord der Nyx, damit ausgerechnet er mit dem Botschafter der Erdregierung an Bord ...

Coulthard war entweder verrückt oder ...

Sie fühlte sich ihm verpflichtet. Sie vertraute ihm. Aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht auch nur aus den falschen Gründen.

Ein Scheppern ließ Dee zusammenschrecken. Sie war im Korridor der Offiziersquartiere angekommen. Ein Schott stand offen, aus der Kabine dahinter kam das Geräusch. Vorsichtig trat Dee näher und entdeckte McAllister, der sich voll Zorn mit der Schulter gegen die Tür eines Spinds warf.

Sein Blick traf sie. Im gleichen Augenblick klickte es leise und die Spindtür sprang wieder einen Spalt auf. Sie wies bereits eine deutliche Delle auf. Mit einem Fluch ließ McAllister sie los. Prompt rutschten diverse Kleidungsstücke und andere Gegenstände aus dem Spind und verteilten sich auf dem Boden.

Während Dee fasziniert auf das Durcheinander starrte, kam McAllister auf sie zu und schloss mit einem Schlag auf das Bedienpanel das Schott vor ihrer Nase. In seinen dunkelgrauen Augen loderten so viel Zorn und Wut, dass Dee unwillkürlich zurückwich.

Coulthard schien zu glauben, dass er unschuldig war. Was, wenn sie sich irrte?

In Dees Quartier brannte noch Licht. Nayiga lag auf dem oberen Stockbett und schreckte zusammen, als Dee eintrat.

»Störe ich?«, fragte Dee. Sie wunderte sich, wie sanft ihre Stimme klang.

»Nein. Wieso fragen Sie?« Nayiga wischte sich über das Gesicht, bevor sie über den Rand des Bettes lugte. Ihre Augen wirkten verquollen, als habe sie geweint.

Dee wusste nicht, was sie antworten sollte. Langsam zog sie ihre Jacke aus, um sie über einen der beiden Stühle zu hängen. »Es wirkte, als wären Sie verärgert, dass man Sie mit der Sache auf der Bellerophon in Verbindung brachte.«

Nayiga setzte sich auf. »Wären Sie das an meiner Stelle nicht? Nur weil Sie zufällig an Bord des Schiffes waren, auf dem ein Verräter tätig war, werden Sie ihr Leben lang damit in Verbindung gebracht. Ist das fair?«

»Nein. Sie haben recht. Das ist es nicht«, antwortete Dee leise.

Eine Pause entstand.

»Und McAllister?«, fragte Dee. »Glauben Sie, dass ...«

»Er sollte nicht hier sein«, antwortete Nayiga heftig. »Er ...«

»Wie meinen Sie das? Glauben Sie, dass von ihm Gefahr droht?«

Nayiga rieb sich die Stirn. »Nein. Ja. Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ich ... Ich habe immer geglaubt, dass er unschuldig ist. Vielleicht ... Vielleicht wollte ich es auch einfach nur glauben. Aber ... Aber es passt nicht zu ihm. Verstehen Sie?«

»Nein, tut mir leid. Das verstehe ich nicht. Nach allem, was ich in Erfahrung bringen konnte, wirkt er auf mich wie ein enormes Sicherheitsrisiko. Ich verstehe nicht im Geringsten, weshalb Coulthard ihn an Bord geholt hat.«

»Sie haben nachgesehen?«

»Was?«

»Die Sache auf der Bellerophon ...«

»Selbstverständlich. Als Zweiter Offizier muss ich wissen, wie ich die anderen Offiziere hinsichtlich ihrer Integrität einzustufen habe.«

Nayigas dunkle Augen fixierten Dee. »Und, Commander? Wie stufen Sie mich ein?«

Dee zögerte. Die Richtung, die das Gespräch einschlug, gefiel ihr nicht. »Aus meiner Sicht haben Sie bisher hervorragende Arbeit geleistet. Ich finde keine Hinweise, dass Sie in irgendeiner Weise nicht vertrauenswürdig sein sollten. Und wenn Coulthard das nicht genauso sehen würde, wären Sie wohl nicht hier.«

»Danke.« Ein winziges Lächeln stahl sich auf Nayigas Gesicht.

»Keine Ursache. Ich will Ihnen damit nicht schmeicheln. Umso mehr wundert es mich, dass Coulthard McAllister an Bord geholt hat.«

Nayiga schwieg. Nach einer Weile sagte sie: »Weil er gut ist. Einer der besten Piloten der Flotte. Wenn nicht sogar der Beste. Und weil er diese Gelmatrix beherrscht.«

»Trauen Sie ihm?«, fragte Dee.

Wieder schwieg Nayiga.

Diesmal hielt die Stille so lange an, dass sie Dee unangenehm wurde. »Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin. Wenn Sie befreundet sind ...«

»Befreundet?« Nayiga schüttelte den Kopf. In ihrer Stimme schwang Bitterkeit. »Bestimmt nicht. McAllister hat keine Freunde.«

»Dann trauen Sie ihm nicht?«

»Trauen? Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ich ...« Nayiga ballte die Fäuste und rang nach Atem. »Hören Sie! Ich weiß nicht, wer diese Daten damals gestohlen hat. Der Autorisierungscode ...« Sie zuckte mit den Schultern. »Entweder man ist gut genug, um den eigenen zu löschen, wenn man Daten stehlen will oder man besorgt sich den Code eines anderen. McAllister ist gut. Gut genug, um seinen Autorisierungscode löschen zu können, ohne dass jemand einen Hinweis darauf finden kann. Warum sollte er also seinen Code benutzen, noch dazu ohne ihn zu löschen? Halten Sie ihn für so dumm?«

Die Frage war rhetorisch. Trotzdem antwortete Dee. »Nein. Es sei denn ...«

»Es sei denn?«

»Und wenn er damit rechnet, dass niemand ihn für so dumm hält?«

»Ist das nicht einmal zu viel um die Ecke gedacht? Zudem passt dieser Datendiebstahl nicht zu ihm. Die Flotte ist das Einzige, was er liebt. Er würde sie niemals verraten. Eher würde er mit ihr untergehen oder für sie sterben.« Nayigas Worte klangen bitter.

Liebte Nayiga ihn etwa?

»Aber wenn er es nicht war, wer war es dann? Kayleigh Monahan?«

»Kayleigh.« Nayiga schnaubte und starrte Dee aus zornigen Augen an. »Sie ist ein Miststück. Eine Hure ...«

Aus Nayigas Worten sprach so viel Hass, dass Dee schauderte. Sie räusperte sich. »Heißt das, dass Sie glauben, dass Monahan die Daten gestohlen hat?«

»Ich sagte es bereits: Ich habe keine Ahnung, wer diese verdammten Daten gestohlen hat. Ich weiß nur eins: Dass dieses Miststück ihn verführt hat. Für sie hätte er alles getan. Alles. Sogar seine Seele verkauft.«

Und ob Nayiga in ihn verliebt war!

»Aber Sie sagten doch eben noch, dass er nur die Flotte liebt.«

»Das war, bevor er Kayleigh kennenlernte.«

Nayigas Worte gingen Dee nicht aus dem Kopf. Hatte Monahan McAllister derart den Kopf verdreht, dass er die Daten für sie gestohlen hatte? Und präsentierte ihn danach als Sündenbock, um selbst nicht in Verbindung damit gebracht zu werden? Dann lief eine Verräterin frei auf einem Schiff der Flotte herum. Und ein weiterer Verräter befand sich an Bord der Nyx. McAllister ...

Nein, sie konnte einfach nicht glauben, dass Coulthard sich so in ihm täuschte! Coulthard ließ sich nicht hinters Licht führen. Außerdem wirkte sie, als wüsste sie mehr.

Ein anderer Gedanke driftete an die Oberfläche. Was, wenn sie ihn als Köder auf die Nyx geholt hätte?

Dee wurde kalt. Sie zog die Decke enger um die Schultern und drehte sich auf die andere Seite, um eine bessere Einschlafposition zu finden. Doch McAllisters hasserfülltes Gesicht tauchte immer wieder im Dunkel des Quartiers auf, als würde er sie verfolgen.

Mist! Dann konnte sie genauso gut aufstehen!

Erneut wechselte Dee die Seite und starrte in die Schwärze der Kabine. Ein blauer Schimmer sickerte durch die Dunkelheit. Verdichtete sich. Hätte sie nicht gewusst, wie tödlich die blaue Strahlung war, hätte das Licht fast magisch gewirkt.

Sie befand sich in einem engen Raum. Ein Versorgungsschacht? Träumte sie etwa wieder?

Da entdeckte sie den Körper. Obwohl es ihr widerstrebte, rutschte sie näher. Der Mann versuchte, sich auf dem Ellbogen aufzurichten. Keuchend wandte er den Kopf in ihre Richtung. Es war McAllister.

Sein Gesicht war schweißnass und schmerzverzerrt.

»Sie?« Ungläubig riss er die Augen auf. Als habe das Wort all seine Kräfte gekostet, sank er im nächsten Augenblick stöhnend in sich zusammen.

Aber ... Das war ein Traum! Wie konnte er sie bemerken? Lag es daran, dass er ein Mutant war? Beeinflusste er sie etwa?

Trotz allem war es nur ein Traum. Er konnte ihr nichts tun. Und sie musste wissen, was er hier tat. Damit sie verstehen konnte ...

Vorsichtig robbte Dee näher und beugte sich über ihn.

Er blinzelte. Sein Blick irrte über sie hinweg. Er flüsterte etwas. So leise, dass Dee es nicht verstehen konnte.

Erschrocken wich sie zurück. Ihr Herz hämmerte.

Zitternd streckte er die Hand nach ihr aus, um sie festzuhalten und entblößte dabei seine rechte Seite, die von Blut getränkt war. Ein Stöhnen quoll aus seinem Mund. Zitternd ließ er die blutige Hand sinken, den Blick starr auf Dee gerichtet.

Der Anblick krampfte Dees Eingeweide zusammen. Spontan wollte sie nach seiner Hand fassen. Doch bevor sie ihn berühren konnte, wurden sein Blick glasig. Erstarrt hielt sie mitten in der Bewegung inne und schloss die Augen, um der lähmenden Verwirrung Herr zu werden.

Als sie die Lider wieder öffnete, stand sie in der Kommandozentrale. Dees Blick zuckte zum Hauptmonitor. Sie wusste, was sie dort sehen würde. Ein Fächer aus Geschossen raste auf die Nyx zu. Nichts konnte sie davon abhalten, das Schiff zu zerstören.

Wie festgesaugt hing ihr Blick an dem Bild. Von fern drangen die Schreie der anderen Crewmitglieder an ihre Ohren. Sie fühlte noch, wie sich die Nyx unter den Treffern aufbäumte. Dann füllte ein blendender Feuersturm die Brücke und löschte ihr Denken aus.

Mit einem erstickten Keuchen schreckte sie hoch. Durch die Dunkelheit drang Nayigas gleichmäßiges Atmen an ihre Ohren.

Ein Traum. Nur ein Traum.

»Sie?«, hörte sie McAllisters Stimme in ihrem Kopf. Stöhnend schlug sie die Hände vor ihr Gesicht.

Er wird sterben. Sie wusste es so klar und deutlich, als hätte sie es auf ihrem Konsolenmonitor gesehen. Und wenn er starb, starben sie alle.

Nein! Das war Unfug! Sie war keine Seherin.

Und Hawks Tod? Den hatte sie auch gesehen. Und Vaters Tod auch. Aber man konnte die Zukunft nicht ändern. Hatte sie es versucht? Hatte sie es denn je versucht?

Oh nein, sie wollte nicht sterben! Noch nicht. Sie wollte leben, Karriere machen, unabhängig und erfolgreich sein. Einen Mann finden, der sie liebte, ein Kind bekommen. Glücklich werden.

Dann musste sie ihn retten. So einfach war das.

Aber wenn sie ihren Traum falsch interpretierte? Wenn sie nur überleben konnten, wenn er starb? Oder sein Tod rein gar nichts mit der Zerstörung der Nyx zu tun hatte?

Nein. Sie wusste genau, was ihr Traum bedeutete. Dass die Nyx zerstört werden würde, weil er starb. Warum auch immer. Und das ließ nur einen Schluss zu – dass sie ihn retten musste.

Aber wie?

Coulthard informieren. Gute Idee! Die würde ihr bestimmt glauben.

Und wenn sie sich alles nur einbildete? Wenn er es war, der sie das sehen ließ? Er war ein Mutant der Klasse zwei. Die konnten solche Dinge.

Aber was hätte er davon? Er wurde des Hochverrats angeklagt. Wenn er sich einfach nur rächen wollte? An der Flotte, der Erdregierung oder wem auch immer?

Und sie saß dazwischen und war sein Empfänger, sein Schaf, das er zur Schlachtbank führte, um seine Rache zu vollziehen.

So viel Zorn und Hass. Wenn jemand Grund hatte, sich zu rächen, dann er. Sie durfte ihm nicht trauen.

Coulthard vertraute ihm. Und wenn sie ihn nur benutzte? In einem Spiel, von dem sie nichts wusste. Und auch Coulthard konnte sich irren!

Sie musste aufpassen. Sie musste ihn beobachten, bis sie klarer sah.

Aber wenn es dann zu spät war?

Sie erinnerte sich an den Zorn in seinem Gesicht, als er sich gegen den Spind warf, den Hass in seinen Augen, der De Sutton galt, an den Hass, mit dem er sich gegen seine Verhaftung zur Wehr setzte.

Er war gefährlich. Ihm im Wege zu stehen, konnte genauso tödlich sein wie diese Geschosse, die die Nyx treffen würden. Falls es diese Geschosse wirklich gab.

»Langsam und mit Bedacht«, sagte Siobhan immer. Genauso würde sie es halten.

5. Kapitel

Müde und zerschlagen setzte sich Dee am nächsten Morgen an ihren Platz im Besprechungsraum.

Sie hatten es tatsächlich geschafft. Dee konnte es immer noch nicht glauben. Aber Riley und Peres hatten ihr bewiesen, dass sie sich auf sie verlassen konnte. Dankbarkeit und ein bisschen Stolz erfüllten sie, überlagerten die Angst, die sie in der Nacht erfüllt hatte.

»Guten Morgen!« Coulthards Stimme klang frisch wie immer. Sie wandte sich sofort an Dee. »Statusbericht, MacNiall?«

Dee hob den Kopf. »Alle Teile überprüft, Ma’m. Einige Abweichungen, aber alle im Normbereich und beseitigt.«

»Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann.«

Coulthards Lächeln ließ Dee im siebten Himmel schweben. Bis sie McAllisters Blick wahrnahm. Starr sah er sie über den Tisch hinweg an. Die Drohung war so deutlich, dass Dee nur ein Rauschen in ihrem Kopf hörte. Bis McAllister ruckartig den Kopf in Coulthards Richtung drehte.

»McAllister, Ihre Ergebnisse!«

»Aye, Sir.« Als habe es den Moment nie gegeben, begann McAllister zu dozieren. »Ich habe Dysons Ähnlichkeitstheorem auf die beiden Kursbahnen angewandt. Gehe ich von zwei unterschiedlichen Kursbahnen aus, von der die eine nichts mit der anderen zu tun hat, ergibt das eine Endlosschleife. Dies weist daraufhin, dass ein Kurs den anderen beeinflusst hat. Mit einer Ähnlichkeitsanalyse dritten Grades kann ich bei Annahme ...«

Aus Dees Unwohlsein wurde Faszination. Er verstand das tatsächlich. So ähnlich hatte nur der Professor für höhere Mathematik an der Akademie geklungen.

Coulthard unterbrach ihn mit einem Räuspern. »Können Sie das so erklären, dass auch ein Laie Sie versteht?«

McAllisters dunkelgraue Augen zeigten eine Spur von Irritation. Er fuhr sich mit der Hand über den Nacken und wirkte mit einem Mal zehn Jahre jünger. Der Eindruck verflog sofort, als er sich straffte und wieder zu sprechen begann.

»Fähre zwei hat sehr offensichtlich einen Verfolgungsalgorithmus benutzt, um die Fähre mit Lieutenant Hawk abzufangen. Ich tippe auf den Standardalgorithmus der Flotte. Hawk hat es bemerkt und versuchte auszuweichen. Leider zu spät.«

Das konnte er berechnen? Unglaublich! Oder hielt er sie gerade zum Narren?

Coulthard rieb sich die Stirn. »Sind Sie sicher?«

»Aye.«

De Suttons Stimme platzte dazwischen. »Ist das eine Theorie oder können Sie Ihre Behauptungen auch beweisen?«

Ein Wink Coulthards genügte, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Genug! Ich denke, wir waren uns einig, Commander De Sutton.«

Mit herablassender Miene erwiderte De Sutton Coulthards Blick. »Es gibt keinen Grund, ein Versetzungsgesuch einzureichen.«

»Es freut mich, das zu hören.« Als wäre nichts geschehen, wandte sich Coulthard noch einmal McAllister zu. »Hätten Sie an Hawks Stelle die Kollision vermeiden können?«

McAllisters Blick wurde nachdenklich. »Möglich«, sagte er endlich. »Mit einer Traversale in scharfem Winkel ... Die meisten Verfolgungsalgorithmen machen da schlapp. Wenn die Triebwerke es mitmachen ... Ja.« Das »Ja« klang sehr bestimmt.

Angeber! Oh nein. Er meinte es genau so, wie er es sagte. Er war tatsächlich fest davon überzeugt, es zu schaffen.

»Danke, McAllister«, lächelte Coulthard. »Ziehen wir alle verfügbaren Daten in Betracht«, fuhr sie an alle gewandt fort, »können wir nur zu einem einzigen Schluss gelangen: Die Kollision war ein gezielter Anschlag auf eine Sternenflottenfähre, möglicherweise sogar auf einen Admiral der Flotte. Wir müssen zudem davon ausgehen, dass sich weitere Attentäter an Bord befinden, die die Funkverbindung unserer Fähre manipuliert haben, damit Hawk keine Verbindung mit uns aufnehmen konnte. Watanabe, Sie wissen, was das bedeutet.«

Watanabe nickte.

»Gut.« Coulthard erhob sich. »Dann werde ich jetzt Botschafterin Hagen hereinbitten, damit sie uns ihre Ratschläge hinsichtlich der diplomatischen Belange unserer Mission geben kann.«

An diesem Tag trug Hagen petrolblauen Chiffon. Ihr Blick wanderte über die versammelten Offiziere und blieb fragend an McAllister hängen.

»Ich glaube, wir wurden einander noch nicht vorgestellt, Lieutenant ...«

»Verzeihung«, mischte Coulthard sich ein. »Darf ich Ihnen Lieutenant Jameson McAllister vorstellen? Er wird Lieutenant Hawk für die Dauer unserer Mission ersetzen.«

McAllister war bei Coulthards Worten aufgestanden und ahmte wieder den Protagonisten des Flottenwerbefilms nach. Breitbeinig, hoch aufgerichtet und mit auf dem Rücken verschränkten Händen, fixierte er die Wand hinter der Botschafterin.

Hagen musterte ihn. »Mutant, nicht wahr?« Weder Coulthard noch McAllister antworteten ihr. »Angenehm«, sagte sie nach einer kleinen Pause und bot ihm die Hand.

McAllister deutete ein Nicken an und setzte sich wieder. »Madam!«

Hagens Miene erstarrte. Mit einem Räuspern überging sie den peinlichen Moment und schritt in die Mitte des U-förmigen Besprechungstisches.

»Ich denke, ich brauche Ihnen nicht zu erklären, wie wichtig der Besuch des Botschafters auf Persephone für unsere Zukunft ist.«

Dee hatte den Eindruck, Hagen meinte mit diesen Worten nur McAllister.

»Wie dem auch sei«, fuhr Hagen fort. »Die Vereinten Kolonien sind in einer verzweifelten Lage. Wir brauchen diesen Waffenstillstand, um endlich wieder in Kontakt mit den von uns abgeschnittenen Planeten in der neutralen Zone treten zu können. Rücksicht auf Einzelschicksale können wir uns dabei nicht leisten.«

Wieder schienen Hagens Worte allein McAllister zu gelten. Der schien das nicht zu bemerken oder zu ignorieren. Starr fixierte er die Wand hinter Hagen.

»Ich wünsche daher ...« Hagens Stimme gewann an Schärfe. »... dass jeder auf diesem Schiff sein Bestes gibt. Zwischenfälle jeglicher Art – und seien sie noch so trivial – müssen unterbunden werden. Ich wünsche, dass der Botschafter und sein Leibwächter mit gebührendem Respekt und ausgesuchter Höflichkeit behandelt werden. Auch wenn das Verhalten des Botschafters Ihnen das vielleicht schwer machen sollte. Ich bin persönlich für das Gelingen dieser Mission verantwortlich und ich kann kein Fehlverhalten dulden.«

Dee schluckte. Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu Coulthard, die der Botschafterin mit regloser Miene zuhörte.

»Über die Sicherheitsvorkehrungen haben wir bereits gesprochen«, fuhr Hagen fort.

Sowohl Coulthard als auch Watanabe nickten bei diesen Worten.

»Ich wünsche, dass alles so abläuft, wie wir es besprochen haben.« Hagen fixierte Coulthard. »Nun ist es an Ihnen, tätig zu werden, Captain.«

Dee stand in der Reihe der im Hangar wartenden Offiziere. Von der Beobachtungskabine aus hatte sie gesehen, wie die Fähre mit dem Botschafter an Bord behutsam aufsetzte. Da sich McAllister nicht im Hangar befand, nahm Dee an, dass er die Fähre gesteuert hatte.

Das Schott öffnete sich. Hagen trat zur Luke. Kurz darauf wurde ein großer, breitschultriger Mann in schwarzem Overall sichtbar.

Dee überlief es bei seinem Anblick eiskalt. Es war das erste Mal, dass sie einem Mitglied der Schwarzen Garde begegnete. Killer, war das Erste, was ihr einfiel. Monster das Zweite.

Als ob die Erdregierung mit der Produktion der Mutanten nicht genug Unheil angerichtet hatte! War es wirklich nötig, diese genverbesserten Soldaten zu züchten?

Der Leibwächter des Botschafters – niemand anders konnte er sein – verließ mit den Bewegungen eines gefährlichen Reptils die Fähre und stellte sich lauernd neben dem Schott auf. Hinter ihm wurde die Gestalt eines zweiten Mannes sichtbar, der die dunkelblaue Uniform der Erdflotte trug. Er war groß und grauhaarig und musterte die Anwesenden wie eine Bulldogge, kurz bevor sie zubeißt.

Hagen lächelte ihn an und trat auf ihn zu. »Es ist mir eine außerordentliche Freude, Sie an Bord der Nyx begrüßen zu dürfen, Botschafter.«

Erstaunlicherweise erwiderte Duras das Lächeln. Wenn es auch auf Dee wie das Lächeln eines Haifischs wirkte.

»Die Freude ist ganz meinerseits, Mistress Hagen.«

Mit einer eleganten Bewegung drehte sich Duras um, um die wartenden Personen überblicken zu können.

»Darf ich Ihnen Captain Coulthard vorstellen?«, fragte Hagen und wies auf Coulthard, die Duras am nächsten stand.

»Botschafter.« Coulthard grüßte Duras mit einem Nicken.

Duras trat auf sie zu und deutete eine Verbeugung an. »Captain Coulthard! Ich hätte Sie sofort an Ihrer Größe erkennen müssen. Wer könnte besser zu diesem kleinen Schiff passen!«

Coulthards Miene vereiste.

Hagen lächelte verbindlich. »Ich versichere Ihnen noch einmal mein aufrichtiges Bedauern darüber, dass wir kein größeres Schiff für Ihren Transport finden konnten. Aber Sie werden sehen, dass die technischen Spezifikationen der Nyx die mangelnde Bequemlichkeit bei Weitem wettmachen.«

»Darf ich Ihnen meine Offiziere vorstellen?«, mischte sich Coulthard ein.

Duras bedachte sie mit einem Blick, als sei sie ein Insekt. »Ich hoffe doch, dass ich und mein Leibwächter adäquat untergebracht werden!«

»Aber sicher«, erwiderte Coulthard honigsüß. »Mein Erster Offizier Commander De Sutton hat sich höchstpersönlich darum gekümmert. Ich bin sicher, dass alles zu Ihrer vollsten Zufriedenheit sein wird.«

De Sutton trat einen Schritt vor und deutete eine Verbeugung an. »Selbstverständlich«, beeilte er sich, hinzuzufügen. »Wenn ich Ihnen Ihre Kabine zeigen darf?«

In diesem Augenblick verließ McAllister die Fähre und stellte sich auf die andere Seite der offenen Luke. Als sie ihn direkt neben dem Schwarzen Gardisten sah, stellte Dee überrascht fest, wie klein er war. Der Kopf des Leibwächters zuckte in McAllisters Richtung, der völlig unbeeindruckt seinen Standort beibehielt.

Dees Nackenhaare richteten sich auf. Zwei Raubtiere, die sich gegenseitig belauerten.

»Thierry!« Die Stimme des Botschafters brach die Spannung.

Mit ausdrucksloser Miene baute sich der Leibwächter neben Duras auf.

Der Botschafter verzog die Lippen zu einem abschätzigen Grinsen. »Ich hoffe doch auf etwas mehr als nur die Kabine – damit sich der Ausflug wenigstens etwas lohnt.«

Fragend sah De Sutton Coulthard an.

»Sobald wir Kurs aufgenommen haben, wird Captain Coulthard sicherlich gerne Ihrer Bitte nachkommen«, antwortete Hagen an Coulthards Stelle.

Coulthards Augen wurden schmal. »Sicher.«

Mit selbstgefälliger Miene ließ der Botschafter Coulthard stehen und schritt Richtung Hangarausgang. »Ich verlasse mich darauf«, warf er noch hinter sich, während der Leibwächter ihm wie ein gut dressierter Hund auf dem Fuß folgte.

»Was bilden Sie sich ein?«, fauchte Coulthard, kaum dass Duras, Thierry und De Sutton den Hangar verlassen hatten.

Hagen versuchte ein Lächeln. »Beruhigen Sie sich doch bitte!«

»Was soll ich?«, schnappte Coulthard.

»Captain Coulthard, ich versichere Ihnen, dass es nicht meine Absicht war, Sie zu übergehen. Ich versuche nur, den reibungslosen Ablauf dieser Mission zu gewährleisten, deren Ausgang mit unserem Fortbestand eng verkn ...«

»Sparen Sie sich Ihre Floskeln! Ich bin nicht dumm. Wie können Sie diesem ... diesem arroganten Flegel einen Rundgang durch dieses Schiff versprechen? Sind Sie sich eigentlich im Klaren darüber, wo Sie sich befinden?«

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