Loe raamatut: «Im Licht der Horen», lehekülg 5

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»Auf einem Prototyp.« Hagens Stimme war immer noch ausgesucht höflich. »Der genau zu diesem Zweck für diese Mission ausgesucht wurde. Oder irre ich mich da?«

»Zu welchem Zweck?«

»Um den Feind davon zu überzeugen, dass es besser ist, sich zurückzuhalten und das Waffenstillstandsangebot anzunehmen.«

»Ich sagte es bereits: Ich bin nicht dumm. Nichtsdestotrotz bedeutet dies nicht, dass ich gewillt bin, einem Feind die empfindlichen Teile dieses Schiffes zu zeigen.«

Unbehaglich verlagerte Dee ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Es war nicht richtig, dass sie diesen Streit mitbekamen.

»Sir.« Dee drehte sich um und sah McAllister zwei Schritte auf Coulthard zugehen. »Es wird sich sicherlich eine Möglichkeit finden lassen, um beiden Seiten Genüge zu tun.«

Überrascht sah Coulthard ihn an.

Hagen lächelte. »Hören Sie auf den Lieutenant, Captain.«

Coulthards Miene verfinsterte sich. »Niemand bestreitet das, McAllister. Watanabe, machen Sie mit den betroffenen Offizieren einen Plan, was wir wie und wann dem Botschafter zu zeigen gedenken. Bis dieser Plan ausgearbeitet ist, gilt für den Botschafter und seinen Leibwächter ein eingeschränkter Bewegungsspielraum.«

»Captain Coulthard, ich bitte Sie«, versuchte Hagen, sie zu unterbrechen.

Aber Coulthard fuhr mit ihrer Erklärung fort, als habe sie den Protest nicht gehört. »Riegeln Sie mit Ihren Männern alles ab. Bis auf Weiteres werden unsere Gäste nur ihr Quartier, die Messe und die sanitären Anlagen zu Gesicht bekommen.«

Watanabe nickte. »Aye, Sir.«

»Und Sie«, wandte Coulthard sich schließlich doch an Hagen. »Mischen Sie sich nie wieder in meine Angelegenheiten ein! Niemand wagt es, mich auf meinem Schiff zu übergehen. Niemand! Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?«

»Ja, Captain. Das haben Sie!« Hagens Miene blieb freundlich. »Und ich versichere Ihnen noch einmal, dass es nicht meine Absicht war, Sie zu übergehen. Aber bitte denken Sie daran, wer bei diesem Auftrag das Sagen hat, wenn Sie ihn schon durch eigenmächtige Personalentscheidungen in Gefahr bringen.«

Das zielte eindeutig in McAllisters Richtung.

»Oh nein, Mistress Hagen!«, fauchte Coulthard. »Sie irren sich. Sie haben vielleicht das Sagen bei dieser Mission, aber nicht auf diesem Schiff.«

Mit diesen Worten ließ Coulthard Hagen stehen und verließ den Hangar.

Verblüfft sah Dee ihr nach. Das versprach ein interessanter Flug zu werden.

»Sir!«

Dee sah von ihrer Kommandokonsole auf. Sie waren mitten in den Startvorbereitungen. Ein Auge nervös auf die Kontrollen gerichtet, linste Dee hinter sich.

Watanabe nahm neben Coulthards Kommandostuhl Haltung an.

Coulthard sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Sagen Sie mir, dass es wichtig ist«, knurrte sie.

»Der Botschafter beschwert sich.«

Ein Wunder! Hatte sie da eben Ironie aus Watanabes Stimme gehört?

Seufzend schüttelte Coulthard den Kopf. »Haben Sie auch ab und an gute Nachrichten für mich, Otho?«

»Ich bemühe mich, Sir.«

Noch zwei, die sich kannten.

»Diese Mission wird mir anscheinend noch jede Menge graue Haare bescheren. Also! Was will er denn, der Herr Botschafter?«, fragte Coulthard.

Watanabe räusperte sich. »Er beklagt sich darüber, dass das Quartier nicht seinen Anforderungen entspricht. Zumal sein Leibwächter zu seinen Füßen schlafen muss.«

»Wie bitte?«

Bei diesen Worten drehten sich auch Nayiga und McAllister zu Coulthard um.

»Der Leibwächter muss auf dem Boden schlafen?«, echote Coulthard. »Das ist nicht Ihr Ernst!«

»Doch, Sir. Lieutenant Commander De Sutton hat dem Leibwächter einen Platz in einem leer geräumten Lagerraum zugewiesen. Äh, eine Art Abstellkammer, wäre der passendere Ausdruck. Thierry hat das kategorisch abgelehnt. Er besteht darauf, in einem Raum mit Mister Duras zu schlafen, um seiner Aufgabe angemessen nachkommen zu können. Und da Ihre Kabine nur mit einem einfachen Bett ausgestattet ist, bedeutet dies, dass Thierry auf dem Boden schlafen muss.«

Wie Watanabe es schaffte, bei diesem Bericht ernst zu bleiben, war Dee ein Rätsel. Trotz des Ernstes der Lage musste sie sich auf die Lippen beißen, um ein Kichern zu unterdrücken.

Coulthard stöhnte und stützte den Kopf in die Hand. Nach einer Weile hob sie ihn wieder. »Und wie schlägt der Herr Botschafter vor, dieses Problem zu lösen?«

»Er wünscht, dass Thierry Ihre Kabine bezieht.«

»Aha!« Stille herrschte, in der Coulthard sich mit einer Hand die Schläfen massierte.

»Sir, es würde mir nichts ausmachen, mit Lieutenant Watanabe besagten Lagerraum zu beziehen«, mischte McAllister sich mit ruhiger Stimme ein.

Überrascht sah Coulthard ihn an, bis plötzlich ein schiefes Lächeln auf ihrem Gesicht erschien. »Immer noch besser als eine Zelle oder mit De Sutton das Quartier zu teilen, oder?«

McAllisters Miene wirkte mit einem Mal trotzig. »Wie Sie meinen, Sir.«

Coulthard seufzte. »Da mir im Moment nichts Besseres einfällt – machen wir es so. Otho, Lieutenant McAllister zieht zu Ihnen in den Lagerraum und ich gehe mit De Sutton in ein Quartier. Teilen Sie dem Leibwächter des Botschafters die Kabine des Zweiten Offiziers zu. War’s das?«

»Ja, Sir. Wird gemacht, Sir.« Watanabe deutete einen Gruß an.

Er wollte schon gehen, als Coulthard ihn mit einem Wink zurückhielt. »Wieso muss ich das eigentlich klären? Das war De Suttons Aufgabe.«

»Ich weiß es nicht, Sir. Commander De Sutton hat mich zu Ihnen geschickt, um eine Entscheidung zu erbitten.«

»So.« Danach machte Coulthard wieder diese Pause, in der Dee jedes Mal eine Gänsehaut bekam. »Schicken Sie De Sutton in den Besprechungsraum – nach dem Sprung. Und nachdem die Quartierfrage geklärt wurde.«

Das versprach ungemütlich für De Sutton zu werden.

»Aye, Sir.«

»Ach, und Otho ...« Coulthard zögerte.

Fragend sah Watanabe sie an. »Sir?«

»Ich bin froh, dass Sie hier sind.«

Watanabe räusperte sich. »Trotz meiner Entscheidung? Sie wissen, dass ich jederzeit wieder so handeln würde.«

»Genau deswegen, Otho.«

Eine Pause entstand.

Worüber redeten die beiden da? Es klang, als habe Watanabe einst Coulthards Entscheidungen angezweifelt. Vielleicht sollte sie etwas für ihre Allgemeinbildung tun und bei Gelegenheit die Vorkommnisse bei der Schlacht um Hekate studieren. Es versprach, eine interessante Lektüre zu sein.

»Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen. – Penelope.«

Coulthard lächelte. »Ich danke Ihnen, Otho.«

»Sir!« Ein kaum wahrnehmbares Lächeln geisterte über Watanabes Lippen, bevor er mit einem Nicken die Brücke verließ. Zischend schloss sich das Schott hinter ihm.

Coulthard seufzte. »McAllister, ich danke Ihnen für Ihre Kooperationsbereitschaft. Und jetzt heben Sie meine Laune und zeigen Sie mir, dass Sie Ihre Auszeichnungen zu Recht tragen. Ich will einen sauberen Sprung sehen mit maximaler Reichweite. Was denken Sie, können Sie schaffen? Ich will diese Reise so schnell wie möglich hinter uns bringen.«

»Zehn Stunden bis zum Wiedereintrittspunkt dürften kein Problem sein, Sir«, antwortete McAllister.

Zehn Stunden? Dee glaubte, sich verhört zu haben. Bisher hatte sie keinen Piloten kennengelernt, der mehr als acht Stunden gewagt hätte. Und danach war ihr jedes Mal kotzübel gewesen.

Coulthard pfiff leise durch die Zähne. »Sooo gut also. Nun denn, McAllister, ich nehme Sie beim Wort. Zehn Stunden. Nayiga, warnen Sie die Crew. Sprung in zwei Minuten.«

»Aye, Ma’m«, antwortete Nayiga zackig und wandte sich ihrer Konsole zu. Im nächsten Augenblick hörte Dee ihren samtigen Alt über das Schiffskomm. »Kommandozentrale an alle! Sprungbereit machen. Sprung in einhundertzwanzig Sekunden.«

Ein Schauer lief über Dees Rücken. Zwei Minuten! Sie hasste das! Sie erinnerte sich an Bilder von Mannschaften von Schiffen, deren Hypersprung missglückt war. Zerhacktes Fleisch war alles, was von ihnen übrig blieb. Davon abgesehen, dass ihr bei jedem Ein- und Austritt aus dem Hyperraum speiübel wurde.

»MacNiall, Energie frei!« Coulthards Stimme klang fast heiter.

Mit bebenden Fingern gehorchte Dee. Die Anzeige auf ihrem Monitor zeigte den steigenden Energiefluss. »Jetzt«, sagte sie endlich mit heiserer Stimme. Ihr Blick wanderte wie gebannt zu McAllister.

Dieser hatte bereits die virtuelle 3D-Matrix vor seiner Konsole aufgebaut und die Finger hineingetaucht. Einen Augenblick lang glaubte Dee, er würde sich anders besinnen. Dann griff er langsam tiefer hinein. Ganz sanft zog er eine der Spitzen heraus, zippte sie um die Finger seiner linken Hand, holte weitere hervor, bis er einen Strang aus Fäden in der Linken hielt. Entschlossen nahm er sie in die Rechte und ballte diese zur Faust, während er die Matrix mit der Handfläche der Linken vorsichtig berührte. Er schloss die Augen.

Im Hintergrund zählte Nayiga die letzten Sekunden des Countdowns in das Schiffskomm. »... Fünf ... Vier ... Drei ... Zwei ... Eins ... Sprung.«

Dee hielt den Atem an und wartete auf das Unvermeidliche. Wie gebannt hing ihr Blick an McAllister.

Als Nayiga »Sprung« sagte, glaubte sie zu sehen, wie McAllister tief und langsam Atem holte. Gleichzeitig schob er mit der Linken die Matrix behutsam von sich weg, während er die Fäden fest in der geballten Rechten hielt. Kein Zittern war zu sehen, nicht ein winziges Zeichen von Unsicherheit. Keinerlei hektische Bewegungen, wie Dee sie von anderen Piloten kannte. Er brauchte keine schnellen Finger – wie Paul. McAllister glich einem Dirigenten, nein, einem Bezwinger, der sanft, aber bestimmt das Schiff in die richtige Bahn lenkte.

Ein sanfter Ruck erfasste Dees Magen. Das Universum verschob sich um den Bruchteil einer Millisekunde. Einen Augenblick hatte Dee den Eindruck, sich auf dem Scheitelpunkt einer Achterbahnabfahrt zu befinden. Sie wartete auf das Heben ihres Magens im Augenblick des Sturzes. Doch das Gefühl blieb aus. Mit Staunen starrte sie auf den Hauptmonitor und sah, wie die Sterne verwischten und dem Grau des Hyperraums Platz machten.

Ein selbstvergessenes Lächeln umspielte McAllisters Lippen. Langsam öffnete er die Augen und nahm die Hände aus der Matrix. Sein Blick fiel auf die Konsole. »Zehn Stunden bis zum Wiedereintrittspunkt, Sir.« Das Lächeln war fort, als hätte es nie existiert. Nur seine Finger strichen fast zärtlich über die Konsole.

An seiner Stelle lächelte Coulthard. »Ich danke Ihnen, McAllister. Gute Arbeit! MacNiall, übernehmen Sie die Einteilung der Brückenwache. Nayiga, informieren Sie die Crew.«

»Aye, Ma’m!« Nayiga klang freudig.

»Aye, Ma’m«, antwortete Dee mechanisch. Zehn Stunden Zeit. Das war unglaublich. Ihr Blick wanderte wieder zu McAllister, der seine Konsole völlig unbeeindruckt in Warteposition brachte.

Sie war auf den Wiedereintritt gespannt.

Warum mussten Energieleitungen immer dann herumzicken, wenn ansonsten alles bestens lief?

Mürrisch stapfte Dee durch den Korridor, der zum Maschinenraum führte. Nicht genug, dass sie jetzt zweieinhalb Stunden Brückenwache geschoben hatte, musste Riley sie in ihrer ohnehin schon knappen Freizeit mit dieser idiotischen Fehlfunktion belästigen?

Stimmen drangen an ihre Ohren. Zwei Personen stritten sich. Sie blieb stehen, um besser lauschen zu können. Sie hörte zwei Männerstimmen, die zu weit entfernt und durch das Echo der nackten Stahlgänge so verzerrt waren, dass Dee sie nicht erkennen konnte. Während sie noch überlegte, verstummten sie und Schritte hallten durch den Korridor, die sich von ihrem Standpunkt entfernten. Dann zischte ein Schott.

Dee zuckte mit den Schultern und ging weiter. Ihr Magen knurrte und verlangte nach Zuwendung. Sie wusste, dass sich ihre Laune erst wieder heben würde, wenn sie etwas gegessen hatte. Und Rileys Meldung hielt sie davon ab.

Mürrisch schlug sie mit der Hand auf das Bedienpanel, um das Schott zum Maschinenraum zu öffnen. Sie fand Riley vor einer Wartungskonsole. Als sie hereinkam, drehte er sich auf dem Absatz um, als erwarte er einen Angriff. Bei ihrem Anblick nahm er Haltung an, um dann auf sie zuzutreten. Zu nah. Wieder einmal.

Instinktiv wich Dee zurück. Doch trotz ihrer schlechten Laune beschloss sie, Rileys Verhalten zu ignorieren. Vielleicht tat sie ihm ja tatsächlich unrecht.

»Bericht, Riley. Und machen Sie es kurz. Ich habe Hunger.«

»Sie wollen mit mir essen gehen?« Ein schelmisches Lächeln umspielte Rileys Lippen, während er sich unweigerlich wieder näherte.

Also doch! »Riley, Sie spielen gerade mit einem Verweis. Ich sagte: Bericht!«

Augenblicklich verschwand das Lächeln von Rileys Gesicht. »Verzeihung, Ma’m. Ich ... Tut mir leid.« Er räusperte sich und machte nun seinerseits einen Schritt zurück. »Nun, es geht um die Energieleitung im Hauptkorridor. Der Durchfluss ist schon wieder zu hoch. Er ist zwar nicht im kritischen Bereich. Aber um sicherzugehen, wollte ich einen Bypass legen. Besser ich mach mir ein bisschen unnötige Arbeit, als dass das Mistding irgendwann der Meinung ist, explodieren zu müssen.«

»Seit wann?«

Riley warf einen Blick auf die Konsole und drückte ein paar Knöpfe, die die Anzeige veränderten. »Seit dem Sprung. Ist ja kein Wunder. Seitdem laufen die Sprungtriebwerke auf Volllast. Meiner Meinung nach ist die Leitung schlicht zu klein dimensioniert. Man hätte gleich einen Bypass einbauen sollen. Die meisten Sprungtriebwerke laufen über zwei Energieleitungen.«

Stirnrunzelnd trat Dee neben Riley an den Monitor. Ein kurzer Blick auf die Daten zeigte ihr, dass Riley recht hatte. »Sind wir zu schnell gesprungen?«

Riley schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht. Das war der sanfteste Hyperraumeintritt, den ich je erlebt habe. Man kann über diesen McAllister sagen, was man will, aber fliegen kann er. Das muss ihm der Neid lassen.«

Dee räusperte sich. »Sie sprechen über einen Offizier, Riley. Vergessen Sie das nicht.«

Unbeeindruckt zuckte Riley mit den Schultern. »Ein Offizier, der des Hochverrats angeklagt wurde und nun wieder Dienst tut. Mit dem Botschafter der Erdregierung an Bord. Verzeihung, Ma’m, aber auf mich wirkt das ziemlich widersprüchlich. Wenn ich auch durchaus verstehe, dass man ihn reaktiviert hat. Piloten, die dieses Geschoss fliegen können, sind rar in der Flotte. Dass man ihn jedoch an Bord frei herumlaufen lässt, in Amt und Würden, als wäre nichts geschehen, finde ich ... Naja, sagen wir mal gewagt.«

Eigentlich sprach Riley aus, was Dee selbst durch den Kopf gegangen war, nachdem sie das Logbuch der Bellerophon gelesen hatte.

»Ich glaube nicht, dass es Ihnen zusteht, sich ein Urteil darüber zu bilden, Riley. Der Captain wird wissen, was sie tut.«

»Oh, dessen bin ich sicher, Ma’m.« Riley deutete auf die Konsole. »Und – was sagen Sie? Bypass oder nicht?«

Die Daten waren zwar nicht allzu kritisch, dennoch. Wie Riley schon sagte, sicher war sicher. Dee nickte. »Tun Sie es und geben Sie mir Bericht, sobald Sie fertig sind.« Dees Magen knurrte.

»Aye, Ma’m.« Dieses Mal war Rileys Gruß einwandfrei.

Dee erwiderte ihn. Sie war schon unterwegs Richtung Schott, als sie stehen blieb. Rileys Tonfall war merkwürdig gewesen. »Eine Frage, Riley.«

Riley hatte sich bereits wieder über den Monitor gebeugt und drehte sich halb zu ihr um. »Ja, Ma’m?«

»Wie meinten Sie das? Sie sind sicher, dass der Captain weiß, was sie tut.«

»Wissen Sie nicht, wer McAllister zum Dienst freigegeben hat, Ma’m?« Riley klang ehrlich verblüfft.

»Sagen Sie es mir!«

»Admiral Nikolajewa. Die direkte Vorgesetzte von Captain Coulthard und Captain Ian McAllister. Muss ich mehr sagen?«

Dee vergaß zu antworten. Wollte Riley damit etwa andeuten, dass Admiral Nikolajewa McAllister aus persönlichen Beweggründen auf die Nyx versetzt hatte?

»Und wie jeder weiß, hat Admiral Nikolajewa Captain Coulthards Eingreifen in der Schlacht um Hekate nachträglich gedeckt. Wenn Sie mich fragen, stinkt das Ganze verdammt nach der Schattenabteilung.«

»Es gibt keine Schattenabteilung«, antwortete Dee, ohne nachzudenken.

Und wenn doch? Die Schlacht um Hekate schien noch interessanter zu sein, als sie gedacht hatte.

»Ja, ja, natürlich. Habe mich mal wieder versprochen. Ich will ja niemanden madig machen, Ma’m, aber denken Sie an meine Worte.«

Dee straffte sich unwillkürlich. »Ich glaube, es ist besser für uns beide, insbesondere für Sie, wenn ich Ihre Worte ganz schnell wieder vergesse, Riley.«

»Aye, Ma’m. Da haben Sie wohl recht.« Riley lächelte und grüßte zackig. »Danke, Ma’m.«

Danke mir nicht zu früh, dachte Dee. Laut sagte sie jedoch: »Weitermachen!«, und ging durch das sich öffnende Schott.

Überlaut hallten ihre Schritte im Korridor wider. Nach einigen Metern blieb Dee stehen.

Riley hatte recht. Wenn das Ganze eine Aktion der Schattenabteilung war, ergab es endlich Sinn. Das würde erklären, wie Coulthard es geschafft hatte, McAllister für diese Mission anzufordern. Bliebe die Frage zu klären wieso. Und eher glaubte sie Pauls Liebesschwüre, als dass McAllisters Flugkünste der einzige Grund dafür waren.

6. Kapitel

Leicht angewidert starrte Dee auf ihren Teller. Sie hatte wirklich nicht erwartet, dass die Flotte so gut war. Da gab’s doch den alten Witz: Je schlechter das Essen, desto besser die Truppe. Was war das eigentlich? Warm gemachtes Katzenfutter? Dee las »Eintopf mit Fleisch« auf der Tafel der Essensausgabe. Von welchem Tier das Fleisch stammte, verschwieg die Tafel. Ursache war sehr wahrscheinlich, dass es aus den Fleischkulturen der Retortenfabriken stammte – wie neunzig Prozent der kolonialen Fleischproduktion.

Dees Magen knurrte erneut. Sie klaubte sich ein Brötchen aus der Selbstbedienungstheke. Wenigstens etwas, das nicht eklig aussah. Wenn es auch nicht wirklich knusprig war und seine Herkunftsstoffe mindestens ebenso künstlich waren wie die des Eintopfs.

In der Offiziersmesse, die nur durch eine verspiegelte Glasscheibe von der Mannschaftsmesse getrennt war, saß Nayiga. Ihr Teller war nur zur Hälfte geleert und stand mit dem Löffel darin neben Nayigas linkem Ellbogen. Sie war gerade damit beschäftigt, ein Brötchen zu buttern. »Setzen Sie sich doch!« Nayiga lächelte freundlich und wies auf den Platz ihr gegenüber.

Da Dee nicht wusste, wie sie die Einladung ablehnen sollte, ohne unhöflich zu wirken, kam sie ihr wohl oder übel nach. Unwillkürlich seufzte sie.

Nayiga lachte leise. »Kann ich verstehen. Ich fand es auch widerlich.« Sie deutete auf ihren verschmähten Teller. »Aber die Butter und die Marmelade sind genießbar. Und der Kaffee auch.«

»Besser als nichts.« Dee schielte in Richtung Kaffeetasse und schnupperte. Der Duft wirkte authentisch und war so verführerisch, dass er sofort alle Geschmacksrezeptoren in Dee rebellisch machte. Was ihren Magen dazu veranlasste, laut und vernehmlich zu knurren.

»Tut mir leid«, sagte Dee, »aber ich habe kaum etwas gefrühstückt. Meistens muss ich mich nach dem Hypereintritt übergeben und deswegen verkneife ich mir das Essen direkt davor.«

»Wenn Lieutenant McAllister fliegt, brauchen Sie sich da keine Sorgen zu machen. Meistens spürt man den Übergang kaum. Und warten Sie erst einmal den Wiedereintritt ab! Wahnsinn!« Nayigas Augen glänzten vor Freude. »Ich kann es kaum erwarten.«

Wider besseres Wissen probierte Dee einen Löffel des Eintopfs. Zu salzig, war ihr erster Eindruck. Dann nahm sie den typischen Nachgeschmack des Synthofleischs wahr und schüttelte widerwillig den Kopf. »Schade, dass es mir nichts nützt. Das Essen wird dadurch nicht besser.«

»Das hier ist zwar wahrscheinlich genauso künstlich ...« Nayiga deutete auf ihr Brötchen mit Butter und Marmelade. »... aber dafür ist es wenigstens genießbar.«

»Wahrscheinlich haben Sie recht.« Trotzdem löffelte Dee den Eintopf in sich hinein. Wenigstens musste man ihn nicht kauen, dadurch blieb der Geschmack des Synthofleischs nicht lange haften. »Bin ich eigentlich die Einzige an Bord, die erst nachsehen musste, um zu wissen, dass unser neuer Pilot inhaftiert war?«

»Sie meinen ... Er kam aus dem Gefängnis auf die Nyx?«

Mist, sie hatte sich verplappert! »Nun, da er des Hochverrats angeklagt wurde, wird er wohl im Gefängnis gesessen haben«, verbesserte Dee sich schnell. »Nehme ich an.«

»Natürlich.« Nayiga lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Ich wundere mich nur, dass Sie sich nicht an die Verhandlung erinnern. Obwohl sie nicht öffentlich war, ging der Fall damals durch alle Medien. Immerhin habe ich neben seinem Vater auch diverse Admiräle im Verhandlungssaal gesehen.«

»Tatsächlich?« Richtig, Nayiga musste als Zeugin geladen gewesen sein.

»Admiral Nikolajewa war fast die ganze Zeit anwesend. Hat neben Captain McAllister gesessen. Aber letztendlich konnte sie auch nichts tun.« Nayiga zuckte mit den Schultern.

»Moment!« Dee schob den Teller von sich. Sie wollte ohnehin nichts mehr essen. »Er wurde verurteilt? Wieso lebt er dann noch? Ich habe bisher noch nie gehört, dass ein des Hochverrats schuldig Gesprochener in Kriegszeiten nicht zum Tode verurteilt wurde.«

»Nein, die Verhandlung wurde nach ein paar Wochen auf unbestimmte Zeit unterbrochen. Seitdem liegt sie wohl auf Eis. Soweit ich das beurteilen kann. Jedenfalls erhielt ich kurz darauf die Freigabe, um meinen Dienst wieder antreten zu dürfen. Während der Dauer der Verhandlungen war ich gesperrt – Zeugenaussagen. Sie wissen schon!« Nayiga seufzte.

Während Dee zuhörte, griff sie nach ihrem Brötchen und schnitt es auf. Als sie sich suchend nach der Butter umsah, schob Nayiga ihr ihre Reste zu.

»Hier! Bedienen Sie sich.«

»Danke!« Mit einem Lächeln Richtung Nayiga und mit Genuss biss sie in eine der Brötchenhälften. Süß. Künstlich, aber süß! Das war die Hauptsache.

Das wurde ja immer besser! Dann hatte McAllister also fast ein Jahr in Haft gesessen, für etwas, das man ihm in der Verhandlung nicht beweisen konnte. Hätte man es gekonnt, läge er jetzt unter der Erde. Und nun holte ihn die Schattenabteilung an Bord der Nyx.

Mit gesenktem Blick spielte Nayiga mit ihrer Kaffeetasse. »Ich bin froh, dass die Verhandlung eingestellt wurde.«

Dee blinzelte und schluckte den letzten Rest der einen Brötchenhälfte hinunter. Nayiga liebte ihn. »Es muss schwer sein, zu erfahren, dass ein Crewmitglied Verrat begangen haben soll.«

Nayiga sah auf. »Er ist nicht schuldig.«

Im nächsten Augenblick wurden ihre Augen weit. Dee drehte sich um, um zu sehen, wem Nayigas Blick galt.

McAllister stand im Eingang der Offiziersmesse. Als sich ihre Blicke trafen, wandte er ihr demonstrativ den Rücken zu und strebte einen leeren Tisch an. Mit einem Knall landete sein Tablett auf dem Tisch.

Dee kam sich ertappt vor. Fast schuldbewusst wandte sie sich wieder ihrem Brötchen zu. Hinter ihr hörte sie das Klackern, mit dem McAllisters Löffel den Teller traf. Nayiga starrte regungslos an Dee vorbei in seine Richtung.

Sanft legte Dee die Hand auf Nayigas Rechte. »Sie können sich gerne zu ihm setzen«, wisperte sie.

Nayiga schüttelte den Kopf. Dee glaubte, Röte in ihrem dunklen Gesicht zu erkennen. »Wieso haben Sie eigentlich nichts von dem Trubel mitbekommen vor einem Jahr?«, fragte sie.

Touché! Unwillkürlich senkte Dee ihre Stimme. »Beziehungsprobleme. Ich war ... ziemlich beschäftigt.«

»Das tut mir leid.« Nayigas geflüsterte Worte klangen ehrlich. »Und? Hat es sich wieder eingerenkt?«

»In gewisser Weise. Wir haben uns scheiden lassen.« Dee starrte auf die restliche Brötchenhälfte.

Hinter ihnen fiel ein Stuhl um. Nahezu zeitgleich klirrte ein Löffel gegen die verspiegelte Glasscheibe. Ohne nachzudenken, drehte Dee sich um.

McAllister stand ihr mit leicht gebeugtem Nacken und angewinkelten Beinen gegenüber. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, als warte er nur darauf, den ersten Schlag landen zu können.

»Wenn Sie schon hinter meinem Rücken über mich reden, dann seien Sie wenigstens so höflich, es nicht in meinem Beisein zu tun. – Sir.«

Mit einem Ruck kehrte er ihnen den Rücken zu und schritt Richtung Ausgang.

Viel zu verblüfft für eine Antwort ließ Dee ihn gehen. Erst als er die Messe verlassen hatte, erwachte sie aus ihrer Starre.

»Lieutenant McAllister! Zurück! Sofort!«

Nichts geschah.

»Ma’m!« Nayiga berührte Dees Schulter. Ihre Stimme klang flehentlich. »Ich bitte Sie ...«

»Was?«, schnappte Dee.

Nayiga schluckte. »Kein Eintrag. Bitte! Er hat es nicht so gemeint.«

»Sagen Sie ihm, dass er sich bei mir melden soll«, erwiderte Dee.

»Ma’m! Ich bitte Sie! Denken Sie noch einmal darüber nach.«

»Das gedenke ich zu tun«, sagte Dee steif. »Wenn er dazu bereit ist, meiner Aufforderung nachzukommen.«

»Sir!« Der raue Bariton klang vertraut. Überrascht nahm Dee die Hand vom Bedienpanel für das Schott zum Trainingsraum und drehte sich um.

McAllister stand hinter ihr. Dass er sie hier finden würde, konnte ihm nur Nayiga verraten haben. Wie immer, wenn er mit einem höheren Offizier sprach, hatte er die Hände auf dem Rücken. Sein Blick war auf die Wand hinter Dee gerichtet, als sei sie sein Ansprechpartner und nicht Dee. »Ich sollte mich bei Ihnen melden.«

Da er Dee nun direkt gegenüberstand, erkannte sie, dass er kaum größer war als sie. Im Gegenteil, vermutlich war er sogar ein oder zwei Fingerbreit kleiner.

»Was haben Sie sich dabei gedacht, Lieutenant?« Dee bemühte sich, ihre Stimme so kühl und beherrscht wie Coulthard klingen zu lassen.

McAllister schwieg.

Dee straffte sich. »Ich erwarte eine Antwort.«

»Ich war wütend.« Keine Regung. Nur seine Stimme war unerwartet rau.

Verblüfft musterte Dee ihn. Das plötzliche Aufblitzen von Verletzlichkeit irritierte sie. Spielte er ihr das nur vor oder war das echt?

»Ich verstehe Ihre Reaktion. Aber es muss Ihnen klar sein, dass Nayiga und ich nicht die Einzigen sind, die sich über Ihre Person unterhalten. Es ist nur natürlich – in Anbetracht der Umstände.«

McAllisters Kiefermuskeln traten hervor. »Das Verfahren gegen mich wurde eingestellt.«

Eingestellt? Das war neu! Bisher hieß es ›auf ungewisse Dauer vertagt‹. »Glauben Sie nicht, dass dieser Umstand erst recht zu Spekulationen führt?«

McAllister schob das Kinn vor und sah sie zum ersten Mal direkt an. »Ich habe keine Daten gestohlen.«

»Sie müssen mich nicht von Ihrer Unschuld überzeugen. Es ist völlig unerheblich, was ich glaube. Sie wurden des Hochverrats angeklagt und Sie wurden nicht freigesprochen. Trotzdem befinden Sie sich mit dem Botschafter der Erdregierung auf diesem Schiff. Was würden Sie anstelle der unwissenden Crewmitglieder an Bord denken? Nun? Sagen Sie es mir!«

Dees Antwort war schärfer ausgefallen, als sie beabsichtigt hatte. Sie bereute ihre Worte augenblicklich, als McAllister wieder an ihr vorbei die Wand anstierte.

Er war Pilot, blond, hübsch – verdammt hübsch. Trotzdem empfand sie kein Unbehagen in seiner Anwesenheit. War es seine Größe? Oder war sie schlicht zu wütend?

Er schwieg. Seine Miene war wie versteinert.

»Ich erwarte eine Antwort, Lieutenant!«

Sein Blick verlor sich. Das Schweigen zog sich in die Länge.

»Was erwarten Sie?«, platzte es plötzlich aus ihm heraus. »Dass ich Ihnen sage, dass mein Vater Admiral Nikolajewa bestochen hat? Oder dass Captain Coulthard mich angefordert hat, weil sie eine Freundin meiner Mutter war?«

»Ich erwarte, dass Sie sich wie ein Offizier verhalten«, antwortete Dee scharf.

In McAllisters dunkelgrauen Augen glitzerte es. Dee konnte förmlich sehen, wie er daran arbeitete, seine Gefühle hinunterzuschlucken.

»Ich bemühe mich«, würgte er schließlich hervor. Seine Lippen waren nur noch ein schmaler Strich.

»Das wird nicht genügen.« Nein, das war kein Zorn, den er unterdrückte. Es war Ohnmacht, Verzweiflung und Bitterkeit. Hatte sie etwa Mitleid mit ihm?

»Es wird keinen Anlass zur Klage mehr geben. Sie haben mein Wort.«

»Das haben Sie bereits Captain Coulthard versprochen. Überzeugen Sie mich, dass Sie es ernst meinen.«

Was war nur in sie gefahren? Das war gemein. Was erwartete sie noch von ihm? Wollte sie ihn etwa testen?

Das Schweigen zog sich in die Länge. Dee wusste nicht, wie sie es brechen konnte.

»Es tut mir leid, Sir«, sagte McAllister endlich heiser.

Dee musterte ihn verwundert, aber sein Blick fixierte starr und unbeweglich die Wand hinter ihr.

»Sie können gehen«, sagte sie leise.

»Sir. Danke, Sir.« Er schenkte ihr einen formvollendeten militärischen Gruß, bevor er sich auf dem Absatz umdrehte und davonging.

Dee fühlte sich so mies wie an jenem Abend, als sie Paul mit dieser Frau in eindeutiger Pose in ihrem Ehebett erwischte. Genau wie damals konnte sie sich nicht entscheiden, ob sie weinen oder sich übergeben wollte.

Aber wieso? Sie hatte sich wie der leitende Offizier verhalten, der sie war. Im Gegenteil – eigentlich war sie viel zu nett zu ihm gewesen.

Seltsam. Weder hatte er Anstalten gemacht, mit ihr zu flirten, noch ihr zu nahe zu treten oder sie zu bedrohen – das, wovor sie sich am meisten geängstigt hatte. Fast schien es ihr, als habe er befürchtet, sie könne ihm zu nahe treten. Dabei verhielten sich alle Männer, die so gut aussehend waren wie er, als wären Frauen Freiwild.

McAllisters ganzes Auftreten, dieses Rühr-mich-nicht-an, genauso hatte sie sich verhalten. Damals, als Paul sie verletzt hatte. Hatte ihn jemand verletzt?

Der Gedanke war irritierend und gleichermaßen einleuchtend. Es würde vieles erklären. Nur nicht, weshalb sie das Bedürfnis verspürt hatte, ihm den Arm um die Schulter legen zu müssen.

»Ma’m, darf ich Sie kurz unter vier Augen sprechen?« De Sutton hob ruckartig den Kopf, während er neben Coulthards Kommandostuhl auf der Brücke nach Atem rang.

In Coulthards Blick glitzerte Ärger. »Falls es Ihnen entgangen ist, Commander De Sutton, in fünf Minuten findet der Wiedereintritt in den Normalraum statt. Sie werden warten müssen, bis wir das Eintauchprozedere hinter uns gebracht haben.«

Tasuta katkend on lõppenud.

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