Jochen Kraidler

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Jochen Kraidler
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Philipp Porter

JOCHEN KRAIDLER

Unter Verdacht

Alle Rechte vorbehalten

Texte: © Copyright by Philipp Porter, Lützelbach, 2021

www.philipp-porter.de

Umschlaggestaltung, Titelbild: © Copyright by Philipp Porter, Lützelbach

Verlag: Philipp Porter, Am Hofgarten 13, 64750 Lützelbach

Lektorat: Marianne Glaßer, Röslau

Druck: epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Jochen Kraidler – Unter Verdacht

Jochen Kraidler starrte auf das Display seines Smartphones und auf die eingegangene Bildnachricht. Er warf Hakim Mohammed Abdu-Jara, der gerade das Gerichtsgebäude durch die große Portaltür verließ, noch einen letzten, verärgerten Blick nach. Dessen letzte Worte waren eine Warnung gewesen, eine Drohung, die direkt an seine Person gerichtet war. Und dies konnte Kraidler ihm nicht einmal verdenken. Denn die Worte des Richters und das Urteil in der verhandelten Angelegenheit waren sehr deutlich gewesen und richteten sich nicht nur an seinen erstgeborenen Sohn, sondern auch an den Abdu-Jara-Clan selbst.

Die Nachricht beinhaltete keinerlei Text. Es war lediglich eine Videosequenz angefügt. Gesendet über einen Nachrichtendienst, den er nicht kannte und auf seinem Smartphone auch noch nie verwendet hatte. In der Voranzeige, die aus einem Bildausschnitt bestand, war ein groß angelegter Polizeieinsatz zu erkennen. Etliche Beamte in Uniform standen vor ebenso vielen Polizeifahrzeugen. Im hinteren Teil des Bildes war ein Haus mit kleinen Fenstern und ein paar Bäumen im Vorgarten zu sehen. Kraidler zögerte. Seine innere Stimme, sein Bauchgefühl sagte ihm, dass diese Nachricht Ärger für ihn bedeutete. Denn das Haus mit den kleinen Fenstern war sein Haus. Er tippte das Bild mit dem Zeigefinger an, um das Video zu starten.

Es war nur eine kurze Sequenz. Höchstens fünfzehn Sekunden lang. Doch das, was er in diesen wenigen Sekunden erkannte, reichte aus, dass er sich auf dem Absatz umdrehte und Bernd Bäumler rücklings zurief: „Ich muss nach Hause. Sofort!“

Ohne auf Antwort zu warten, lief Kraidler mit ausladenden Schritten Richtung Ausgang davon. Bäumler sah ihm verwundert nach und schüttelte ungläubig den Kopf über dieses spontane und äußerst merkwürdige Verhalten seines Kollegen.

„Können Sie mir vielleicht einmal erklären, was mit Ihnen los ist?“, schnaubte Bäumler verärgert und außer Atem über das Wagendach des Volvos hinweg, da er Kraidler erst an der Straße eingeholt hatte. Doch er bekam keine Antwort; Kraidler saß bereits im Wagen und zog seine Tür zu. Eiligst stieg auch Bäumler ein.

Während Kraidler den Startknopf drückte, schaute er zu seinem Kollegen. Dann zog er sein Smartphone aus der Brusttasche und warf es Bäumler in den Schoß.

„Da ist eine Nachricht vom Abdu-Jara-Clan drauf. Von diesem Hakim Mohamed …“, fauchte Kraidler zornig, zog den Wählhebel auf D und schoss gleich darauf aus der Parkbucht. Das protestierende Hupen der gerade anfahrenden Fahrzeuge ignorierte er und zwängte sich in den Straßenverkehr hinein, der vor dem Berliner Landgericht vorbeiführte.

Bäumler schaute sich, während Kraidler jede Lücke im Verkehr nützte, die Videosequenz bereits zum dritten Mal an. „Das ist lediglich eine Hausdurchsuchung und im Hintergrund ist mein Chef zu erkennen“, sagte er verwundert, da er Kraidlers Aufregung nicht verstand.

Kraidler nickte. „Ja, Clemens. Und er hält eine der Stofftaschen in der Hand, die ich in Bad Tölz sicherstellen ließ. Und das Haus, das hinten zu erkennen ist, ist mein Haus!“

Bäumler schüttelte ungläubig den Kopf. „Die Taschen mit dem Falschgeld sind beim BKA, bei den Asservaten. Es ist irgendeine Tasche, die den sichergestellten vielleicht gleicht. Aber was suchen die Kollegen bei Ihnen zu Hause?“

Kraidler warf Bäumler einen zornigen Blick zu, konzentrierte sich aber kurz darauf wieder auf den Straßenverkehr. Bäumlers Frage empfand er wie Hohn.

Nachdem er die Föhrer Brücke passiert und sich auf der Seestraße eingefädelt hatte, trat er das Gaspedal durch, warf Bäumler nochmals einen zornigen Blick zu und folgte der A100 Richtung Messe.

Während der Fahrt sprach Kraidler kein Wort. Seine volle Konzentration galt dem Straßenverkehr und dem Navigationssystem, das ihm die ungefähre Ankunftszeit anzeigte. Erst als der Volvo das Potsdamer Dreieck passierte und Kraidler der A9 Richtung Süden folgte, fragte er in das monotone Fahrgeräusch des Autos hinein: „Denken Sie auch, dass ich eine der Taschen genommen habe?“

Bäumler saß angespannt auf dem Beifahrersitz und schaute ebenso angespannt durch die Frontscheibe. „Sie wissen nicht, ob es eine der Taschen mit den Supernotes ist. Warten Sie es doch erst einmal ab. Denn wenn es so wäre, hätte ich bereits eine Info von den Kollegen erhalten oder Clemens hätte mich direkt kontaktiert. Er weiß ja, dass ich mit Ihnen in Berlin bin.“

Kraidler lachte gequält und betätigte die Lichthupe, um einen blauen BMW zu verscheuchen. „Oder auch nicht. Ich würde Sie weder anrufen, noch würde ich Ihnen eine Nachricht senden. Ich würde nichts davon tun. Ansonsten würden Sie sich mir gegenüber nicht mehr normal verhalten. Sie würden sich unweigerlich verraten.“

„Das ist doch alles völliger Unsinn“, erwiderte Bäumler und suchte Halt in seinem Sitz, da Kraidler einen kurzen Schlenker um einen langsam fahrenden LKW machte. „Sie machen sich nur verrückt. Setzen Sie mich beim LKA ab und fahren danach erst einmal nach Hause zu Ihrer Frau. Die können Sie fragen, was war. Dann können Sie immer noch Verschwörungstheorien ersinnen und diesen nachjagen - sollten wir lebend ankommen“, hängte Bäumler noch an und stemmte beide Beine in den Fußraum, um sich dort abzustützen.

Kraidler lachte bitter. „Verschwörungstheorien? Das Programm, das die Nachricht entgegengenommen hat, verwende ich nicht. Ich habe es weder auf meinem Handy installiert, noch war es Bestandteil der Erstinstallation. Woher kommt also dieses Programm? Wer hat es installiert? Und wer hat mir diese Nachricht gesendet?“

Nachdem Kraidler seinen Kollegen am LKA in Erfurt unbeschadet abgesetzt hatte, fuhr er direkt nach Hause. Er wollte zuerst mit seiner Frau reden, bevor er sich im LKA melden würde. Doch als er zu Hause ankam, war seine Frau nicht da. Er lief durch alle Zimmer des Hauses und erkannte überall, dass seine Kollegen sehr gründlich gesucht hatten. Nichts stand mehr auf seinem Platz. Alle Schränke und Schubladen standen offen und waren durchwühlt.

Für einige Minuten stand Kraidler orientierungslos im Flur, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Dann sah er sich nach allen Seiten um, so, als ob er etwas suchen würde, aber nicht wusste, was. Er sah sich nach irgendetwas um, das ihm den nächsten Impuls für sein weiteres Handeln geben könnte.

Kurz darauf, beim Verlassen des Hauses, sah Kraidler die Ecke eines Handys oben auf dem Küchenschrank. Es war so eine Angewohnheit von seiner Frau, das Telefon oder ihre Hausschlüssel dort abzulegen, wenn sie zu Hause war. Die Spurensicherung hatte es entweder übersehen oder ein Kollege hatte es wieder dort abgelegt, da es für ihn nicht relevant war.

Er hatte es noch nie verstanden, weshalb seine Frau dies immer wieder tat. Für Schlüssel gab es im Flur ein Schlüsselbrett und für sonstige Dinge einen alten braunen Holzschrank, direkt unter dem Brett, auf dem eine kleine Schale stand. Doch vielleicht war es auch gut so, dass sie so eine Marotte hatte. Ansonsten hätte er nicht einmal diese Spur. Er ging zurück in die Küche und griff auf den Küchenschrank. Ein gefalteter Zettel klemmte zwischen Telefon und Case. Kraidler zog ihn heraus und faltete ihn auseinander.

‚Bin für ein paar Tage bei Judith. Ich melde mich’, stand darauf. Das ‚Ich’ war zwei Mal fett unterstrichen. Dies war die Art seiner Frau, ihm unmissverständlich mitzuteilen, dass er es ja nicht wagen sollte, sie anzurufen oder ihr sogar nachzufahren. Offensichtlich war sie über die Hausdurchsuchung so sehr verärgert, dass sie kompromisslosen Abstand von ihm suchte.

Kraidler verließ das Haus und ging zu seinem Wagen, den er mitten auf der schmalen Straße, die durch ihr Wohngebiet führte, einfach stehen gelassen hatte. Da in der Seitenstraße wenig Verkehr herrschte und ansonsten auch nicht gerade viel los war, war dies kein Problem. Beim Öffnen der Fahrertür bemerkte er, dass sich auf der gegenüberliegenden Seite, bei seinem Nachbarn - mit dem er seit seinem Einzug noch kein einziges Wort gewechselt hatte - ein Vorhang leicht bewegte. Nur ein wenig, doch es genügte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Kraidler winkte freundlich in Richtung Fenster und stieg ein. Er wusste, dass Neugierde seltene Blüten trieb.

Bäumler stand rücklings vor dem Nebeneingang des LKA, einen Fuß an der Hauswand abstützend, und rauchte eine Zigarette. Kraidler erkannte ihn bereits, als er auf den Parkplatz einbog. Er steuerte den Volvo auf einen der freien Plätze, die in unmittelbarer Nähe von Bäumler lagen, und parkte den Wagen. Nachdem er ausgestiegen war und die Tür verschlossen hatte, stieß Bäumler sich von der Mauer ab, ließ die Zigarette fallen und trat sie aus.

„Die warten schon …“, rief er und deutete dabei mit dem ausgestreckten Zeigefinger nach oben.

Kraidler ging auf seinen Kollegen zu und baute sich dicht vor ihm auf. „Es ist also wahr! Ich habe recht! Es ist eine der Taschen!“

Bäumler nickte bekümmert. „Ja. Eine Million. Und es sind eindeutig Supernotes aus der Serie, die von Ihnen in Bad Tölz aufgefunden und danach vom BKA sichergestellt wurde. Ich habe die Seriennummern einiger Scheine überprüft.“

„Wie kommen die an die Dollars?“, fragte Kraidler ungläubig und schaute Bäumler fragend dabei an, so als ob er ihm eine plausible Antwort geben könnte.

 

„Die? Was meinen Sie mit die?“

„Hakim Mohammed, den König. Der Abdu-Jara-Clan. Was denken Sie denn? Glauben Sie, ich habe die Dollars genommen?“ Das Entsetzen stand Kraidler buchstäblich ins Gesicht geschrieben.

„Wie soll denn der Abdu-Jara-Clan an die Tasche gekommen sein? Das Falschgeld ist beim BKA. Und selbst wenn. Weshalb sollte der Clan die Dollars bei Ihnen deponieren? Eine Million? Denken Sie nicht auch, dass dies in Anbetracht der Summe sehr unwahrscheinlich ist? Ein paar Tausend vielleicht, aber eine Million? Sicherlich nicht!“

„Wer denn sonst? Vielleicht einer vom BKA?“, entgegnete Kraidler zornig.

Bäumler nahm die letzte Frage auf, verwarf sie aber gleich wieder. „Und selbst, wenn es so wäre: Weshalb sollte Hakim Mohammed dies tun?“

Kraidler sah seinen Kollegen mit starrem Blick an und erkannte in dessen Augen bereits die Antwort. Die Antwort auf die Fragen, die sich jeder seiner Kollegen, der in den Fall involviert war, bereits gegeben hatte. Jochen Kraidler, der Neue aus Wiesbaden, der Saubermann, hat eine Tasche mit einer Million Dollar abgegriffen.

Die Besprechung, wenn man sie so nennen konnte, war schnell vorüber. Kraidler erfuhr, dass es einen anonymen Hinweis gegeben hätte und daher kurzfristig eine Hausdurchsuchung bei ihm vorgenommen worden war. Einen richterlichen Beschluss gab es nicht. Da Kraidlers Frau die Hausdurchsuchung gestattet hatte, war dies im Nachhinein sowieso ohne Bedeutung. Seine Frau wurde vor der Durchsuchung über die Rechtslage informiert und es lag sogar eine Unterschrift von ihr vor. Kraidler hielt das Schreiben in den Händen und erkannte die zittrige Signatur. „Was hätte sie auch anderes tun können als unterschreiben“, dachte er. Er hatte in ihrem bisherigen gemeinsamen Leben noch nie etwas zu verbergen gehabt und letztendlich vertraute sie ihm vorbehaltlos.

„Und wie geht es jetzt weiter?“, fragte Kraidler in die Runde hinein. „Wie können wir beweisen, dass die Tasche mit den falschen Dollars vom Abdu-Jara-Clan in meinem Haus platziert wurde? Es muss eine undichte Stelle im BKA geben, anders kann ich es mir nicht erklären.“

Für einen Moment herrschte vollkommene Stille im Raum. Jeder Anwesende in dem Besprechungszimmer schaute Kraidler mit erstauntem Gesichtsausdruck an.

„Herr Kraidler. Ein Wir wird es nicht geben. Sie sind bis auf Weiteres vom Dienst befreit. So lange, bis sich alles aufgeklärt hat.“

Bäumlers Chef, Rüdiger Clemens, der die Ermittlungen leitete, deutete dabei in die Runde und bezog somit jeden Anwesenden in seine Aussage ein.

„Sie wollen was?“, fragte Kraidler ungläubig. „Gehen Sie wirklich davon aus, dass ich eine Tasche voller Falschgeld unterschlagen und zuhause im Keller, in einem Werkzeugschrank, versteckt habe? Denken Sie, ich bin so dumm? Sehen Sie denn nicht, dass mich da einer reinreiten will? Dass mir die Dollars untergeschoben wurden. Dass ich …“

„Ja, Herr Kraidler, das denke ich!“ Clemens schnellte von seinem Stuhl empor und stemmte sich mit geballten Fäusten von der Tischplatte ab. Er warf Kraidler dabei einen vielsagenden Blick zu. „Sie wären nicht der Erste korrupte Beamte. Ich habe schon einige kommen und gehen sehen. Und immer, immer wenn sie erwischt werden, kommt zu Anfang die gleiche Aussage. Immer und immer wieder die gleiche Frage: Denken Sie, ich bin so dumm? Und ich sage Ihnen etwas, Herr Kraidler! Ja, bisher waren alle so dumm gewesen. Alle! Ausnahmslos! Geben Sie es doch einfach zu und ersparen Sie uns unnötige Ermittlungsarbeit. Ich kann Ihnen versichern, über kurz oder lang finden wir die Wahrheit doch heraus.“

Kraidler wollte etwas erwidern. Doch die Blicke seiner Kollegen, die ihn mit Verachtung trafen, hielten ihn davon ab. Er stand auf und ging schweigend zur Tür. Als er sie öffnete, schaute er nochmals zu Clemens. „Gut, ich akzeptiere die Freistellung. Doch Sie werden schon bald erkennen, dass Sie mit Ihren haltlosen Anschuldigungen falschliegen. Ich habe die Dollars nicht genommen und ich werde es Ihnen beweisen, darauf können Sie sich verlassen!“

Zwei Thüringer Bratwürste lagen auf dem Grill und der Zeitpunkt, an dem sie vom Rost genommen werden sollten, war schon lange vorüber. Kraidler wendete sie dennoch und ging danach ins Haus, da das Telefon läutete.

„Warum bist du nicht hier, wenn ich dich brauche …“, blaffte er in den Hörer hinein. „Weshalb fährst du zu deiner Schwester?“

„Hallo Jochen …“, klang es freundlich aus dem Hörer zurück und Kraidler schaute irritiert auf das Display, auf dem eine Mobilfunknummer angezeigt wurde.

„Entschuldige, Simone. Ich dachte, es ist Marion.“

„Das habe ich auch so verstanden. Kann es sein, dass deine Nerven momentan etwas blank liegen?“, fragte Simone Buchner. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie es Kraidler in der momentanen Situation erging. Die Anschuldigungen, die auf ihm lasteten, waren enorm und seine ganze Karriere stand auf dem Spiel.

„Du weißt es?“

„Ja. Es macht bereits die Runde. LKA-Beamter aus dem Staatsschutz reißt sich vier Millionen Dollar unter den Nagel. Ist schon eine Schlagzeile wert.“

„Vier? Weshalb vier? Die haben doch nur eine Tasche bei mir gefunden. Von vier Taschen war bisher keine Rede.“

„Sofern die Gerüchteküche recht behält, fehlen bei den BKA-Asservaten vier Taschen, somit auch vier Millionen. Dies wurde bei einer beantragten Überprüfung festgestellt. Es sind nur zweiundneunzig Millionen asserviert. Der Kollege Bäumler gibt zu Protokoll, dass es sechsundneunzig Taschen sein müssen. Du hättest diese Zahl genannt, als du ihm von dem Fund der Dollars berichtet hättest.“

„Ja, das stimmt. Es waren tatsächlich sechsundneunzig Taschen. Wir haben damals am Telefon miteinander gesprochen. Alle gingen davon aus, dass genau einhundert Millionen gedruckt wurden. Die vier fehlenden Taschen hatten wir ja bereits gefunden. Eine war bei dem Schöller in dessen Grab und drei andere hatte der tote Syrer bei sich. Besser gesagt zwei, da er ja eine umgepackt hatte.“

„Stellt sich nun die Frage, wo sind die restlichen drei fehlenden Taschen oder, besser gesagt, die drei Millionen Dollar?“

„Kannst du kommen?“ Die Frage war eigentlich keine. Es war nicht einmal eine Bitte. Es war eine Anweisung. Und Buchner verstand sie auch so, ohne gekränkt zu sein. Sie wusste, dass Kraidler ihre Hilfe in dieser Situation dringender benötigte als den Beistand seiner Frau.

„Ich fahre gleich los. Habe ja noch einige Überstunden abzufeiern und mein Chef hat noch einen Gefallen bei mir einzulösen. Bin so gegen sieben bei dir. Hast du etwas zum Essen zu Hause?“

Kraidler dachte kurz an die Würste, die noch immer auf dem Rost lagen. „Leider nicht. Kannst du etwas für den Grill besorgen? Brot ist noch im Haus und ich denke, etwas Kartoffelsalat müsste auch noch da sein. Ein paar Flaschen Bier hole ich an der Tankstelle.“

„Schön. Dann bis später.“

Kraidler stellte das Telefon zurück in die Ladeschale, nahm seine Schlüssel und verließ das Haus über die Tür zum Garten. Er stoppte kurz am Grill und nahm die verkohlten Würste vom Rost, legte etwas Kohle nach und lief zu seinem Wagen. Als er den Volvo umrundete, warf er gewohnheitsmäßig einen Blick zur anderen Straßenseite. Und wieder erkannte er, dass sein Nachbar an einem der Fenster stand und ihn beobachtete. Kurz entschlossen steckte er seinen Schlüssel wieder ein und ging über die Straße auf das Haus zu, an dessen Fenster sein Nachbar gerade verschwand. Nach dem zweiten Klingeln wurde geöffnet.

„Hallo“, sagte Kraidler freundlich und so unbekümmert, wie er nur konnte.

Der Mann, den er bisher nur wenige Male gegrüßt, aber noch nie ein Wort mit ihm gewechselt hatte, entgegnete seine Begrüßung mit einem neugierigen Blick. Auch Kraidler musterte den Mann mit einem schnellen Scan. Rentner, Mitte siebzig, übergewichtig, von der Sorte Aufpasser und vermutlich alkoholabhängig. Die markante Gesichtsfärbung und die beginnende Schuppenflechte an den Nasenflügeln waren nicht zu übersehen. Vermutlich nach dem Mauerfall in ein tiefes Loch gefallen, sinnierte Kraidler.

„Ich dachte, Sie sind bei der Polizei?“, sagte der Mann und kniff dabei ein Auge zu. Dann deutete er kurz mit seinem Zeigefinger auf Kraidlers Haus. „Die haben wohl alles auf den Kopf gestellt?“

Kraidler schaute zurück, in die Richtung, in die sein Nachbar zeigte. „Ja, ich bin bei der Polizei. Genauer gesagt beim Landeskriminalamt. Ist aber alles ein Missverständnis gewesen. Die Kollegen müssen bei einem anonymen Hinweis der Sache nachgehen, auch wenn es unbegründet ist und gerade wenn es sich um einen Polizeibeamten handelt. Das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat muss immer gewahrt bleiben.“

Jetzt zog Kraidlers Nachbar die Brauen nach oben. Anscheinend war er mit der Antwort, die er soeben erhalten hatte, nicht so recht einverstanden.

„Ich hätte aber eine Frage an Sie“, hakte Kraidler doch nach. „Wurden Sie von meinen Kollegen zu der Sachlage befragt?“

„Ne“, antwortete der Mann wortkarg und ohne Umschweife. Dann hängte er noch missmutig an: „Wollte keiner was von mir wissen.“

„Haben Sie in den letzten Tagen, vor der Durchsuchung, etwas Ungewöhnliches beobachtet?“

Der Mann nickte. „Letzten Freitag waren zwei von den Stadtwerken hier. Haben geläutet und sind dann rein. Nach fünf Minuten waren die aber wieder draußen. Ich hab dann mal Kalle gefragt …“, dabei deutete er die schmale Straße hinab, „… und der hat gesagt, dass die nach den Gasanschlüssen geschaut hätten. Bei mir waren die nicht. Ich hab ja keinen.“

„Stadtwerke? Gasanschluss?“, fragte Kraidler interessiert nach. Sein Nachbar nickte erneut. „Können Sie die Männer vielleicht genauer beschreiben?“

Ein Kopfschütteln war die Antwort. „Hab die nur von hinten gesehn.“

„Aber Sie sagten doch, dass die Männer nur fünf Minuten im Haus gewesen wären.“

Der Nachbar nickte wieder.

„Dann haben Sie die beiden Männer doch auch gesehen, als sie gingen.“

„Hab nur das Auto gehört. War recht laut. Auspuff kaputt.“

Kraidler nickte. Offensichtlich konnte er von seinem wortkargen Nachbarn nicht mehr erfahren. „Danke für die Auskunft“, sagte er daher nur, wandte sich ab und wollte gehen, als er sich nochmals umdrehte. „Hätten Sie vielleicht ein paar Flaschen Bier für mich? Ich zahle auch.“

Der Mann nickte, griff kurz hinter die Haustür und hielt Kraidler einen Sechserpack Bier entgegen.

Ein paar Stunden später nippte Simone Buchner an einem der Biere und leckte sich danach die Lippen. „Ist gut. An welcher Tanke hast du das denn geholt?“

„Ist vom Nachbarn gegenüber. Der hat anscheinend einen größeren Vorrat hinter seiner Haustür. Die Marke muss ich mir merken. Aber da wir gerade beim Nachbarn sind. Der hat mir erzählt, dass am Freitag letzter Woche zwei Männer der Stadtwerke hier in der Straße unterwegs gewesen wären, um die Gasanschlüsse zu überprüfen. Auch in meinem Haus waren sie. Marion hat diesbezüglich aber nichts erwähnt. Und soweit ich mich erinnern kann, war sie an diesem Freitag in der Stadt einkaufen. Sie kann zur fraglichen Zeit gar nicht zu Hause gewesen sein.“

„Und du denkst jetzt, die Männer haben sich Zutritt verschafft und dir eine Tasche mit einer Million in den Keller gestellt?“ Ein Hauch Ironie war in Buchners Stimme zu hören.

Kraidler drehte sich verärgert ab und wendete die mitgebrachten Thüringer Bratwürste, die auf dem Grill lagen. „Ich weiß, ist alles etwas dünn. Aber nehmen wir einmal an, es waren keine Angestellten der Stadtwerke. Es wäre doch eine mögliche Erklärung.“

Buchner wiegte den Kopf. „Zwischen der Verhandlung, bei der der Abdu-Jara-Sprössling zur Untersuchungshaft verdonnert wurde, und dem Fund der Tasche bei dir liegt nicht gerade sehr viel Zeit. Das macht selbst so ein Berliner Clan nicht aus dem Handgelenk. Dass die Kontakte haben, ist sicherlich unumstritten. Aber wie sollen die an die Asservaten kommen? So einfach vier Millionen Dollar Falschgeld abgreifen, das können auch die nicht. Hast du vielleicht noch eine Theorie?“

Kraidler schüttelte den Kopf. Dann hob er den Zeigefinger. „Doch. Noch etwas. Hier …“, und dabei reichte er Buchner, nachdem er es entsperrt hatte, sein Smartphone. „Du kennst dich ja mit diesen Dingern aus. Bei den APPs auf der letzten Seite ist eine mit dabei, die ich nicht kenne und auch nicht installiert habe. Über diese APP habe ich die Videobotschaft erhalten. Es ist die Nachricht mit dem Filmstreifensymbol.“

 

Buchner suchte sich das Programm heraus und startete es. Die kurze Videosequenz, die Kraidler erhalten hatte, wurde abgespielt. „Und du hast die APP nicht installiert?“, fragte sie zweifelnd.

Kraidler schüttelte verneinend den Kopf.

„Wer kann an dein Handy?“

„Niemand. Ich gebe es nicht weiter und lasse es auch nirgendwo herumliegen. Nicht einmal im Büro. Ich habe in der letzten Zeit nur ein einziges Mal aus der Hand gegeben. Dies war an dem Tag, an dem ich vom Abdu-Jara-Clan eine MMS erhielt. Das Handy war danach beim BKA zur Überprüfung, da man annahm, dass in der Bildnachricht vielleicht ein Trojaner stecken könnte.“

„Und du meinst …“

Kraidler sah Buchner lange in die Augen. „Ja. Es gibt keine andere Erklärung. Ich denke, dass es beim BKA mehr als nur einen Kollegen gibt, der dem Abdu-Jara-Clan den einen oder anderen Dienst zu erweisen hat.“

„Sehr weit hergeholt.“ Buchner wirkte nicht überzeugt. „Du weißt schon, dass solche Behauptungen dir enormen Ärger einbringen können.“

„Mehr Ärger, als ich momentan habe, kann es wohl nicht geben. Wenn ich keine plausible Erklärung finde und keinen Beweis habe, wie die Tasche mit den Dollars in meinen Keller kam, kann ich meinen Pensionsanspruch und einen angenehmen Ruhestand vergessen.“

„Okay. Ich werde dein Handy von unseren Jungs im Labor diskret überprüfen lassen. Vielleicht können die mir sagen, wann die APP installiert wurde. Und morgen werden wir mal bei den Stadtwerken vorbeischauen. Vielleicht bringt das ja etwas. Du gehst in der Zwischenzeit von Nachbarn zu Nachbarn und fragst nach, ob jemand sonst noch etwas bemerkt hat. Fremde Personen, Auffälligkeiten und so weiter, du weißt schon.“

„Aber wenn du mein Handy hast, kann ich nicht mehr mit dir telefonieren.“

Buchner grinste. Sie zog ihre Tasche heran und holte ein pinkfarbenes Smartphone heraus. „Ist schon etwas älter und etwas abgegriffen, funktioniert aber bestens.“ Mit wenigen Handgriffen öffnete sie beide Geräte und tauschte die SIM-Karte. „So, nun bist du wieder erreichbar.“

Am nächsten Morgen nahm Kraidler, übellaunig und noch recht verschlafen, die Befragung in seiner Straße auf. Bei den ersten Häusern, die in direkter Nachbarschaft lagen, war es für Kraidler keine Überraschung, dass jeder wusste, was geschehen war. Doch je weiter er sich von seinem Grundstück entfernte, umso merkwürdiger erschien es ihm. War es für die Bewohner solch ein Ereignis gewesen, dass eine Hausdurchsuchung in ihrem Wohngebiet vorgenommen wurde, oder war es vielmehr die Tatsache, dass die Durchsuchung bei einem zugezogenen LKA-Beamten stattgefunden hatte? Interessant fand Kraidler auch die Reaktionen der befragten Menschen, die ihm entgegengebracht wurden. Von Mitleid bis Häme war alles mit dabei.

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