Gefährliche Liebschaften

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Zwanzigster Brief
Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont

Sie Schelm! Sie schmeicheln mir aus Angst, daß ich Sie auslache! Nun – ich will gnädig sein. Sie schreiben mir so viel Verrücktes, daß ich Ihnen um der Sittsamkeit willen verzeihen muß, in der Sie Ihre Präsidentin erzieht. Ich glaube nicht, daß mein Chevalier so viel Rücksicht nehmen würde wie ich; er wäre Mannes genug, unsern erneuerten Vertrag nicht zu billigen und auch nicht viel Spaßhaftes in Ihrer verrückten Idee zu finden. Ich habe aber doch sehr darüber gelacht, und es tat mir leid, daß ich allein darüber lachen mußte. Wenn Sie dagewesen wären, weiß ich nicht, wohin diese Lustigkeit geführt hätte; aber so habe ich Zeit zum Überlegen gehabt und habe mich mit Strenge gepanzert. Nicht daß ich mich für immer verweigere, aber ich mache Schwierigkeiten und habe Recht. Vielleicht ist das Eitelkeit, und man weiß, einmal an das Spiel gewohnt, nicht mehr, wo man damit aufhören soll. Ich traue mir zu, Sie wieder in meine Fesseln zu schlagen, und Sie Ihre Präsidentin vergessen zu machen; wenn ich Unwürdige Sie aber vom Weg der Tugend ablenkte, was wäre das für ein Skandal! Um also diese Gefahr zu vermeiden, hören Sie meine Bedingungen.

Sobald Sie Ihre schöne Betschwester gehabt haben werden, und Sie mir einen Beweis dafür erbringen können, dann kommen Sie, und ich gehöre Ihnen. Vergessen Sie aber nicht, daß in wichtigen Dingen nur schriftliche Beweise wirkliche Beweise sind. Auf diese Art werde ich statt Trostmittel Belohnung, was mir sehr gefällt, und auf der andern Seite wird Ihr Erfolg um so pikanter sein, da er selbst das Mittel zur Untreue wird. Kommen Sie also so schnell als möglich und mit allen Zeichen Ihres Triumphes, unseren fahrenden Rittern von ehemals ähnlich, die ihren Damen die glänzenden Früchte ihrer Siege zu Füßen legten. Ganz ernsthaft: ich bin wirklich neugierig zu erfahren, was eine so fromme Frau nach einem solchen Augenblick schreiben kann, und was für Schleier sie über ihre Rede legt, nachdem sie keinen mehr auf ihrem Körper gelassen hat. Bei Ihnen steht die Entscheidung, ob ich mich zu hoch einschätze, aber das sage ich Ihnen gleich, daß es nichts daran zu handeln gibt. Bis dahin werden Sie, mein lieber Vicomte, sich damit abfinden müssen, daß ich dem Chevalier treu bleibe und daß ich ihn glücklich mache, trotz des kleinen Kummers, den Ihnen das bereitet.

Hätte ich jedoch weniger Moral, so glaubte ich, er hätte jetzt einen gefährlichen Rivalen in der kleinen Volanges. Ich bin ganz vernarrt in das Kind; es ist eine wirkliche Leidenschaft. Ich kann mich ja irren, aber ich glaube, sie wird eine unserer gesuchtesten Frauen werden. Ich sehe, wie ihr kleines Herz sich entwickelt, und das ist ein entzückendes Schauspiel. Schon liebt sie ihren Danceny höchst ungestüm, aber sie weiß noch nichts davon. Und er, obschon sehr verliebt, besitzt noch ganz die Schüchternheit seines Alters, und wagt noch nichts. Alle beide beten mich an, und besonders die Kleine hat große Lust, mir alles anzuvertrauen; seit einigen Tagen ist sie ganz davon bedrückt, und ich hätte ihr einen großen Dienst erwiesen, wenn ich ihr dabei geholfen hätte; aber ich vergesse nicht, daß sie ein Kind ist, und ich will mich nicht kompromittieren. Danceny dagegen hat etwas klarer mit mir gesprochen, aber für ihn bin ich fest: ich will ihn nicht anhören. Was die Kleine betrifft, so fühle ich mich oft versucht, meine Schülerin aus ihr zu machen, – ein Dienst, den ich Gercourt gern erweisen möchte. Er läßt mir, ja auch Zeit dazu, denn er bleibt auf Korsika bis Oktober, und ich will diese Zeit ausnutzen und hoffe, ihm eine fertige Frau geben zu können, statt seines erträumten unschuldigen Mädchens aus der Pension. Es ist doch wirklich eine unverschämte Sicherheit, mit der dieser Mensch ruhig zu schlafen wagt, während sich eine Frau noch nicht gerächt hat, die allen Grund hat, sich über ihn zu beklagen. Sehen Sie, wäre die Kleine jetzt im Augenblick bei mir, ich weiß nicht, was ich ihr nicht alles sagen würde.

Adieu, Vicomte. Gute Nacht und guten Erfolg; aber um Gottes willen kommen Sie endlich vorwärts. Bedenken Sie, wenn Sie diese Frau nicht erobern, müßten alle andern erröten, die Sie besessen haben.

Paris, den 20. August 17..

21
Einundzwanzigster Brief
Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil

Endlich, meine schöne Freundin, komme ich einen Schritt vorwärts, und einen großen Schritt, der, wenn er mich auch nicht ans Ziel, so doch auf den richtigen Weg führte, und die Angst zerstörte, daß ich mich auf einem falschen verirrt hätte. Ich habe endlich meine Liebe gestanden, und obschon man das eigensinnigste Stillschweigen bewahrte, so bekam ich doch die unerwartetste und schmeichelhafteste Antwort. Aber ich will den Ereignissen nicht vorgreifen, und beim Anfang anfangen.

Sie erinnern sich, daß man alle meine Schritte überwachte. Nun, ich wollte, daß sich dieses skandalöse Mittel in eine allgemeine öffentliche Erbauung wende und habe das so angestellt. Ich beauftragte meinen Vertrauten, daß er mir in der Nachbarschaft irgendeinen Unglücklichen ausfindig machte, der der Hilfe bedürftig ist. Der Auftrag war nicht schwer auszuführen. Gestern nachmittag teilte er mir mit, daß heute Morgen der Hausrat einer ganzen Familie beschlagnahmt werden soll, weil sie die Steuern nicht bezahlen könnte. Ich erkundigte mich erst, ob in diesem Hause keine Frau oder junges Mädchen wäre, dessen Alter oder Gesicht meine Tat verdächtig machen konnte, und als ich darüber wohl unterrichtet war, sprach ich beim Abendessen von meiner Absicht, den nächsten Morgen auf die Jagd zu gehen. Hier muß ich gerecht gegen meine Präsidentin sein: Zweifellos empfand sie einige Gewissensbisse über die Spionage-Aufträge, die sie gegeben hatte, und da sie nicht die Kraft hatte, ihre Neugierde zu bezähmen, so hatte sie mindestens die, sich gegen meine Absicht zu wenden. Es würde eine entsetzliche Hitze sein, meinte sie, und ich würde dabei meine Gesundheit riskieren, und ich würde doch nichts schießen und mich deshalb nur umsonst ermüden und so weiter. Und während dem sprachen ihre Augen besser als sie selbst es wollte, und ließen mich erkennen, daß sie wünschte, ich sollte ihre schlechten Gründe gut finden. Ich hütete mich wohl, darauf einzugehen, wie Sie sich wohl denken können, und hielt selbst einem kleinen Angriff auf die Jagd und die Jäger überhaupt stand, und gab selbst dann nicht nach, als ich auf diesem himmlischen Gesicht den ganzen Abend über eine kleine Wolke schlechter Laune liegen sah. Ich fürchtete sogar einen Augenblick, daß sie ihre Anordnungen widerrufen hätte, und mich dieser Anfall von Ehrgefühl um meinen Plan bringen könnte. Ich rechnete nicht mit der Neugierde der Frauen, und ich irrte mich auch. Mein Jäger beruhigte mich noch am selben Abend, und ich legte mich zufrieden schlafen.

Mit Tagesanbruch stehe ich auf und gehe. Kaum fünfzig Schritte vom Schlosse entfernt sehe ich auch schon meinen Spion, der mir folgt. Ich gehe querfeldein, auf das Dorf zu, zu dem ich wollte, ohne anderes Vergnügen auf dem Wege, als den armen Kerl, der mir folgte, zum Laufen zu veranlassen, der, da er die Straße nicht verlassen durfte, oft springend einen Weg dreimal so lang wie der meine machen mußte. Wie ich so den Burschen trieb, wurde mir selber so warm, daß ich mich unter einen Baum setzte. Hatte der Kerl nicht die Frechheit, sich keine zwanzig Schritte von mir unter ein Gebüsch zu legen? Einen Augenblick hatte ich Lust, ihm einen Schuss aus meiner Flinte zu schicken, der, wenn es auch nur eine Schrotladung war, ihm doch eine Lektion über die Gefahren der Spionage erteilt hätte. Zum Glück für ihn fiel mir ein, daß er für meinen Plan nötig, ja höchst nötig sei, und das hat den Burschen gerettet.

Ich komme ins Dorf und bemerke einen Aufruhr, trete näher, und man erzählt mir den Vorfall. Ich lasse den Steuereinnehmer kommen und zahle mit meinem großmütigsten Mitleid und nobel fünfundsechzig Livres, um derentwillen man fünf Personen auf Stroh und Verzweiflung legen wollte. Nach dieser so einfachen Sache hätten Sie den Chor von Segenswünschen hören sollen, den alle Umstehenden anstimmten! Tränen der Dankbarkeit liefen dem alten Familienoberhaupte aus den Augen, und machten das Gesicht dieses Patriarchen schön, das vorher in der Verzweiflung fast häßlich war. Ich betrachtete noch das Schauspiel, als ein anderer etwas jüngerer Bauer mit einer Frau und zwei Kindern hervortrat, zu denen der Alte sagte: »Fallen wir vor diesem Ebenbild Gottes zu Füßen,« und im selben Augenblick lag diese Familie anbetend zu meinen Füßen. Ich wurde wirklich schwach, und meine Augen wurden naß: ich fühlte eine unwillkürliche aber angenehme Rührung. Ich war ganz erstaunt über das hübsche Gefühl, das man empfindet, wenn man wohltut, und ich möchte glauben, daß diese Leute, die wir nächstenliebende Leute nennen, nicht halb so viel Verdienst bei ihrer Tugend haben, als man uns glauben machen will. Sei das wie immer, ich fand es nur recht und billig, diesen Leuten das Vergnügen zu zahlen, das sie mir soeben bereitet hatten. Ich hatte gerade noch zehn Louis bei mir und gab sie ihnen. Jetzt fingen die Dankeshymnen von neuem an, aber sie hatten schon nicht mehr die gleiche pathetische Höhe: das Nötige hatte den starken echten Effekt verursacht, das übrige war nur einfacher Ausdruck der Dankbarkeit und des Erstaunens über ein Geschenk, das aus dem Überfluss kam.

Ich sah inmitten dieser Segnungen der redseligen Familie wohl recht einem Theaterhelden ähnlich in der entscheidenden Szene. Natürlich war der treue Spion auch inmitten der Menge, und mein Zweck war erfüllt. Ich riß mich los und ging aufs Schloß zurück. Alles in allem gratuliere ich mir zu meinem Einfall. Und die Frau ist die viele Mühe wirklich wert, die ich mir ihretwegen mache –diese Mühe wird einmal mein Anspruch sein. Und indem ich sie auf diese Weise sozusagen im voraus bezahlt habe, werde ich das Recht haben, nach meiner Laune über diese Frau zu verfügen, ohne mir Vorwürfe machen zu müssen.

 

Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß ich, um allen Vorteil daraus zu ziehen, die guten Leute noch bat, Gott um den Erfolg meines Vorhabens zu bitten. Sie werden gleich sehen, wie ihre Gebete schon zum Teil erhört wurden ... Ich werde soeben zum Abendessen gerufen, und es würde zu spät für die Post werden, wenn ich den Schluß bis nachher aufheben wollte. Also den Rest am nächsten Posttag. Es tut mir leid, denn dieser Rest ist das Beste: Adieu, meine schöne Freundin. Sie stahlen mir eine Minute »ihres« Anblicks!

Schloß . . ., den 20. August 17..

22
Zweiundzwanzigster Brief
Die Präsidentin von Tourvel an Frau von Volanges

Sie werden sich gewiß freuen, gnädige Frau, von einem Zug des Herrn von Valmont zu hören, der, wie mir scheint, um vieles verschieden von der Art ist, wie man ihn Ihnen dargestellt hat. Es ist so unangenehm, unvorteilhaft von irgend jemandem zu denken, so betrübend, nur Laster bei jenen zu finden, die alle nötigen Eigenschaften besitzen, die Tugend zu lieben. Sie üben doch so gerne Nachsicht, und Ihnen Grund zu geben, von einem zu strengen Urteil zurückzukommen, heißt doch Sie verbinden. Herr von Valmont scheint mir wie geschaffen dazu, diese Gunst, – ich möchte fast sagen diese Gerechtigkeit – von Ihnen zu erhoffen, und worauf ich das gründe, ist dies:

Er machte heute früh einen jener Spaziergänge, die bestimmte Pläne seinerseits in der Umgebung vermuten ließen, so wie Sie einmal voraussetzten, und ich muß mich anklagen, diese Ihre Vermutung mit allzu vieler Lebhaftigkeit geteilt zu haben. Zum Glück für ihn und auch für uns, –weil es uns davor bewahrt, ungerecht zu sein, –mußte einer meiner Leute denselben Weg wie er gehen, und auf diese Weise wurde meine sträfliche aber glückliche Neugierde befriedigt. Er brachte uns die Nachricht, daß Herr von Valmont im Dorfe S. eine unglückliche Familie angetroffen habe, deren Möbel verkauft werden sollten, weil sie die Steuer nicht bezahlen konnte; und daß er den Leuten nicht nur den Betrag der Steuern, sondern auch noch eine ansehnliche Summe geschenkt hatte. Mein Diener war Zeuge dieser tugendhaften Handlungsweise und erzählte weiter, daß die Bauern unter sich und zu ihm davon sprachen, daß gestern ein Diener ins Dorf gekommen wäre, um Erkundigungen über jene Bauern einzuziehen, ein Diener, den sie näher beschrieben, und den der meinige als den des Herrn von Valmont erkannte. Wenn dem so ist, so ist das kein gewöhnliches, durch die zufällige Gelegenheit veranlaßtes und vorübergehendes Mitleid, und ist vielmehr die vorgefaßte Absicht, Gutes zu tun; und das ist die schönste Tugend der schönsten Seelen. Aber, sei es nun Zufall oder Absicht, es bleibt immer eine lobenswerte und ehrliche Tat, deren Beschreibung mich schon zu Tränen rührte. Ich füge noch hinzu, und das immer noch aus dem Gefühl der Gerechtigkeit, daß, als ich mit ihm darüber sprach, er selbst kein Wort davon erwähnte, anfangs sogar leugnete und dann, als er es eingestand, so wenig Wert darauf legte, daß seine Bescheidenheit sein Verdienst verdoppelte. Jetzt sagen Sie mir, meine ehrwürdige Freundin, ob Herr von Valmont wirklich ein unverbesserlicher Wüstling ist, und wenn er das ist und sich so benimmt, was für die anständigen Menschen noch zu tun bliebe? Können denn die Bösen mit den Guten die heilige Freude des Wohltuns teilen? Gott würde erlauben, daß eine tugendhafte Familie die Hilfe, deren Dank sie der ewigen Vorsehung schuldet, aus den Händen eines Verbrechers empfängt? Und könnte es ihm gefallen, aus reinem Munde die Segnungen eines Verworfenen zu hören? Ich glaube nein. Ich will lieber glauben, daß seine Verirrungen langdauernde, aber nicht ewige sind, und ich kann mir nicht denken, daß derjenige, der Gutes tut, ein Feind der Tugend ist. Herr von Valmont ist vielleicht nur ein Beispiel mehr für die Gefahren, die in diesen verwerflichen Liaisons liegen. Ich bleibe bei diesem Gedanken, der mir gefällt, und wenn er dazu beitragen kann, Herrn von Valmont in Ihren Augen zu rechtfertigen, so dient er mir auch anderseits dazu, die Freundschaft mehr und mehr kostbar machen, die mich fürs Leben an Sie bindet.

In Ehrerbietung Ihre usw.

P.S. Frau von Rosemonde geht jetzt mit mir diese ehrliche und unglückliche Familie besuchen, um etwas verspätet unsere Hilfe derjenigen des Herrn von Valmont beizufügen. Wir nehmen ihn mit uns und werden den guten Leuten wenigstens die Freude machen, ihren Wohltäter wiederzusehen, was, glaube ich, alles ist, das er uns zu tun übrig ließ.

Schloß . . ., den 20. August 17..

23
Dreiundzwanzigster Brief
Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil

Wir blieben bei meiner Rückkehr ins Schloß unterwegs stehen; ich nehme meinen Bericht wieder auf.

Ich hatte gerade noch Zeit, Toilette zu machen und begab mich in den Salon, wo meine Schöne an einer Stickerei saß, während der Pfarrer des Ortes meiner alten Tante die Zeitung vorlas. Ich setzte mich neben den Stickrahmen. Noch sanftere Blicke als gewöhnlich, ja fast zärtliche Blicke ließen mich bald erraten, daß der Diener schon seinen Bericht erstattet hatte. Und wirklich konnte meine süße Neugier nicht länger das Geheimnis halten; und unbekümmert, einen ehrwürdigen Priester zu unterbrechen, dessen Vorlesen mehr eine Predigt war, sagte sie: »Ich habe auch meine Neuigkeit,« und erzählte mein Abenteuer, und mit einer Genauigkeit, die der Intelligenz ihres Berichterstatters alle Ehre macht. Sie können sich denken, wie ich alle meine Bescheidenheit paradieren ließ, – aber kann man eine Frau hindern, die ohne es zu wissen, das Lob dessen singt, den sie liebt? Ich ließ sie also erzählen. Man hätte meinen können, sie trüge das Loblied eines Kirchenheiligen vor. Währenddem beobachtete ich nicht ohne Hoffnung alles, was ihr beredter Blick, ihre bereits freiere Bewegung der Liebe versprachen, und besonders den Tonfall der Stimme, deren leichtes Zittern die Bewegung ihrer Seele verriet. Kaum war sie zu Ende, als Frau von Rosemonde zu mir sagte: »Kommen Sie, mein lieber Neffe, kommen Sie, daß ich Sie umarme.« Ich fühlte gleich, daß die schöne Lobpreiserin sich nicht würde erwehren können, ebenfalls umarmt zu werden. Sie wollte entfliehen, aber bald hatte ich sie in meinen Armen, und sie nicht die Kraft zu widerstehen, – kaum konnte sie sich aufrecht halten. Je mehr ich diese Frau beobachte, desto begehrenswerter erscheint sie mir. Sie beeilte sich wieder an ihren Rahmen zu kommen, und es schien für jedermann, daß sie wieder sticke; ich merkte aber wohl, daß ihre zitternde Hand ihr es nicht möglich machte, die Nadel zu führen.

Nach dem Essen wollten die Damen die Unglücklichen aufsuchen, denen ich in so höchst tugendhafter Weise beigestanden hatte, und ich begleitete sie. Ich erspare Ihnen die Langeweile der Schilderung dieser neuen Szene des Dankes und des Lobes. Ich beschleunigte die Rückkehr ins Schloß, denn mein Herz war von einer entzückenden Erinnerung voll. Unterwegs war meine schöne Präsidentin träumerischer als gewöhnlich und sprach kein Wort. Ganz damit beschäftigt, den Nutzen der Wirkungen aus diesem Ereignis des Tages zu finden, war ich ebenso schweigsam. Nur Frau von Rosemonde sprach und bekam von uns nur seltene und kurze Antworten. Wir dürften sie gelangweilt haben, ich hatte wenigstens diese Absicht, und sie gelang. Denn als wir vom Wagen stiegen, ging sie gleich in ihre Zimmer und ließ uns miteinander allein, meine Schöne und mich, im schwach erleuchteten Salon, einem süßen Dämmerlicht, das schüchterne Liebe kühner macht.

Es wurde mir nicht schwer, das Gespräch dahin zu lenken, wo ich es haben wollte. Der Eifer der liebenswürdigen Tugendreichen half mehr dabei als es meine Geschicklichkeit hätte tun können.

»Wenn man so bereit ist, Gutes zu tun,« sagte sie mit einem sanften Blick auf mich, »wie kommt es, daß man sein Leben in Schlechtigkeit verbringt?« »Ich verdiene,« antwortete ich, »weder dieses Lob noch diesen Tadel, und ich begreife nicht, daß Sie mit all ihrem Geist mich immer noch nicht erkannt haben. Sollte mein Vertrauen zu Ihnen mir auch schaden, Sie sind dessen zu würdig, als daß es mir möglich wäre, es Ihnen zu entziehen. Sie finden den Schlüssel zu meinem Benehmen in meinem unglücklicherweise zu leichtfertigen Charakter. Von sittenlosen Menschen umgeben, habe ich deren Lasterleben nachgeahmt, vielleicht noch mit dem Ehrgeiz, sie darin zu übertreffen. Hier aber verleitete mich wieder das Beispiel der Tugend, und ich habe ohne Hoffnung wenigstens versucht, Ihnen zu folgen. Aber vielleicht würde die Tat, deren Sie mich loben, in Ihren Augen allen Wert verlieren, wenn Sie deren wirkliche Motive kennten. (Sie sehen, meine schöne Freundin, wie nahe ich der Wahrheit war!) Nicht mir verdanken diese Unglücklichen die Hilfe. Wo Sie eine lobenswerte Tat sehen, suchte ich nichts sonst als ein Mittel zu gefallen. Ich war, da ich es schon sagen muß, nur das schwache Werkzeug einer Göttin, die ich anbete. (Hier wollte sie mich unterbrechen, aber ich ließ ihr keine Zeit dazu.) In diesem selben Augenblick sogar entkommt mir mein Geheimnis – aus Schwäche. Ich hatte mir vorgenommen es vor Ihnen zu verschweigen, und ich machte mir mein Glück daraus Ihrer Tugend wie Ihrer Schönheit eine reine Huldigung darzubringen, von der Sie niemals erfahren sollten. Aber, unfähig zu betrügen, wenn ich unter meinen Augen das Beispiel der Unschuld habe, will ich mir auch keine sträfliche Verheimlichung vorzuwerfen haben. Glauben Sie ja nicht, daß ich Sie durch eine sträfliche Hoffnung beleidige. Ich weiß, ich werde unglücklich sein, aber meine Leiden werden mir teuer sein und mir die Stärke meiner Liebe zeigen; vor Ihre Füße, in Ihre Brust werde ich meine Qual legen und werde da neue Kraft zu neuem Leiden schöpfen. Da werde ich barmherzige Güte finden und werde mich getröstet fühlen, weil Sie mich bedauern. Angebetete! Hören Sie mich an, bedauern Sie mich und helfen Sie mir.« Und da lag ich ihr schon zu Füßen und drückte ihre Hände, aber sie riß sich los und rief verzweifelt und in Tränen: Ach, ich Unglückliche! . . . Glücklicherweise hatte auch ich mich so weit fortreißen lassen, daß ich ebenfalls weinte und ihre Hände, die ich wieder hielt, mit meinen Tränen netzte – eine sehr nötige Sache; denn sie war so sehr mit ihrem eigenen Schmerz beschäftigt, daß sie den meinen ohne dieses Mittel meiner Tränen nicht bemerkt hätte. Die Tränen standen ihrem Gesichte herrlich, was mich so mehr noch erregte, daß ich kaum mehr Herr meiner selbst und versucht war, den Augenblick zu nützen.

Ach über unsere Schwäche! Und wie groß die Macht der Umstände, wenn selbst ich meine Pläne vergessend, in die Gefahr komme, durch einen verfrühten Sieg den Reiz eines langen Kampfes und die Details einer mühsamen Eroberung zu verlieren, wenn ich wie ein von der Sehnsucht genarrter Jüngling dem Sieger über Frau von Tourvel als Preis seiner Arbeit nichts sonst als diese Banalität gegeben hätte, eine Frau mehr besessen zu haben! Ja, sie soll sich ergeben, aber sie soll dagegen kämpfen; ohne die Kraft des Siegens zu besitzen, muß sie doch die des Widerstandes haben; sie soll reichlich das Gefühl ihrer Schwäche genießen und selbst ihre Niederlage gestehen. Der gemeine Wilddieb soll den überraschten Hirsch aus der Sicherheit des Hinterhaltes töten, aber der wahre Jäger muß ihn forcieren. Der Plan ist groß gedacht, nicht wahr? Aber ich würde jetzt vielleicht bedauern können, ihm nicht gefolgt zu sein, ohne den Zufall, der meiner Vorsicht zu Hilfe kam. Wir hörten ein Geräusch. Jemand trat in den Salon. Erschreckt erhob sich Frau von Tourvel, nahm einen Leuchter und ging hinaus. Ich mußte es geschehen lassen. Es war nur ein Diener gewesen. Sobald ich dessen gewiß war, folgte ich ihr. Kaum hatte ich einige Schritte gemacht, als sie, weil sie mich erkannte oder aus einem unbestimmten Gefühl des Schreckens, ihre Schritte beschleunigte und mehr laufend als gehend in ihr Zimmer stürzte, dessen Türe sie ins Schloß fallen ließ. Der Schlüssel steckte von innen. Ich hütete mich wohl zu klopfen, womit ich ihr die Gelegenheit eines allzu leichten Widerstandes gegeben hätte. Es kam mir die ebenso einfache als glückliche Idee, durchs Schlüsselloch zu schauen, und ich sah tatsächlich diese entzückende Frau auf den Knien liegen, in Tränen aufgelöst inbrünstig beten. Zu welchem Gott wohl? Gibt es einen stark genug gegen die Liebe? Umsonst suchte sie fremde Hilfe; denn ich bin es jetzt, der ihr Schicksal bestimmt.

 

Ich glaubte, es sei genug für einen Tag und zog mich in meine Zimmer zurück, um Ihnen zu schreiben. Ich hoffte, Frau von Tourvel beim Abendessen zu treffen, aber sie ließ sagen, daß sie sich nicht wohl fühle und daß sie zu Bett gegangen sei.

Frau von Rosemonde wollte zu ihr hinauf, aber die maliziöse Kranke schützte Kopfschmerzen vor, die ihr nicht erlaubten, jemanden zu sehen. Sie können sich denken, daß der Abend kurz war, und daß ich auch meine Kopfschmerzen vorgab. Ich schrieb ihr einen langen Brief, in dem ich mich über ihre Grausamkeit beklagte, und legte mich schlafen mit dem Vorsatz, ihr den Brief morgen früh zu geben. Ich habe schlecht geschlafen, wie Sie aus dem Datum des Briefes sehen. Früh las ich den Brief noch einmal durch und fand ihn schlecht: mehr Leidenschaft darin als Liebe, mehr üble Laune als Traurigkeit. Ich werde ihn noch einmal schreiben müssen, aber mit mehr Ruhe.

Ich merke, daß es Tag wird, ich hoffe von der Frische des Morgens den Schlaf. Ich will wieder zu Bett gehen, und wie groß auch immer die Macht, die diese Frau über mich hat, sein möge, ich verspreche Ihnen, mich nicht so ganz mit ihr zu beschäftigen, als daß mir nicht Zeit übrig bliebe, viel an Sie zu denken.

Adieu, meine schöne Freundin.

Schloß . . ., den 21. August 17.., 4 Uhr früh