Weiblich, kompetent, FÜHRUNGSKRAFT

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Weiblich, kompetent, FÜHRUNGSKRAFT
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Rainer Bartelt

Weiblich, kompetent, FÜHRUNGSKRAFT

Warum wir mehr Frauen in Führungspositionen brauchen, um unsere Zukunftsprobleme zu lösen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

TEIL EINS: FALLBEISPIELE

Kampfplatz Vertrieb

Die perfekte Führungskraft

Die Geschäftsführerin

Das erste Problem

Die Präsidentin

Die Kammer

Der Vorsitzende

Die Unbeirrbare

Hochwasserschutz schafft neue Voraussetzungen

Wie man Streitgespräche richtig beendet

Wie man „unendliche Geschichten“ vermeidet

Kleines Zwischenspiel: Die tiefenentspannte Führungskraft

Der Jurist

Das Vorspiel

Das Zwischenspiel

Das Endspiel

TEIL ZWEI: ANALYSE

Ob ein Problem gelöst ist, entscheidet der Beschwerdeführer

Die Dezernentin

Perfekt, einfach perfekt!

Der Verschämte

Analyse-Kriterium Nummer eins: WAHRHEITSGEHALT

Die wahren Worte des Herrn Dankwart

Auswertung, Punkt eins: Wahrheitsgehalt

Wenn einmal (fast) gar nichts stimmt

Kriterium Nummer zwei: LOGIK

Kriterium Nummer drei: RELEVANZ

Kriterium Nummer vier: COMMITMENT

Bewertung

TEIL DREI: Wie man BESSERE ENTSCHEIDUNGEN fällt

Vom Alltag im Hamsterrad

Herausforderung Nummer eins: Immer bei der WAHRHEIT bleiben

Kleiner Unterschied, große Wirkung

Ein Beispiel

Herausforderung Nummer zwei: LOGIK

Beispiele

Lösung Nummer zwei

Herausforderung Nummer drei: der RELEVANZ-Test

Herausforderung Nummer vier: LÖSUNGSORIENTIERUNG (Commitment)

Wir fassen zusammen: Problem gelöst, Kunde zufrieden

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Immer schön entspannt bleiben

Die vier Erfolgs-Strategien

Nummer 2: Argumentieren Sie logisch!

Nummer 4: Immer schön kompromissbereit sein!

Zukunftsprobleme und ihre Lösung

Danksagung

Vom gleichen Autor

Impressum neobooks

Vorwort

Eigentlich besteht die Geschichte der Menschen nur aus Entscheidungen, die getroffen werden.“

Michail Gorbatschow, russischer Politiker und Reformer

Dieses Buch ist all denjenigen gewidmet, die bereits im Beruf „ihren Mann“ stehen und/oder wissen möchten, wie man so etwas am besten anfängt

Entscheidungen bestimmen unser Leben und zukünftig vielleicht sogar unser Überleben, auf jeden Fall aber das unserer Kinder und Kindeskinder. Diese Tatsache allein — die Tatsache, dass wir von dem Planeten, auf dem wir leben, Jahr für Jahr mehr abverlangen, als er auf Dauer zu leisten vermag — beweist, dass es um die Qualität unserer Entscheidungen nicht erst in der jüngeren Vergangenheit, sondern sehr wahrscheinlich schon seit Beginn des industriellen Zeitalters nicht besonders gut bestellt war:

Statt den technischen Fortschritt zu nutzen, um die historisch gewachsenen Plagen der Menschheit, wie zum Beispiel Hunger und Armut, zu bekämpfen und schließlich so weit wie möglich auszurotten, haben wir unsere technischen Neuerungen vor allen Dingen dafür verwendet, um uns aufzurüsten, Raubbau an der lebenden Natur zu betreiben und unseren Planeten an den Rand der Selbstzerstörung zu bringen. Sogar der erdnahe Weltraum, von uns Menschen erst vor gut einem halben Jahrhundert erschlossen, ist bereits so zugemüllt, dass dieser Müll zu einer realen Gefahr für die bemannte und unbemannte Raumfahrt geworden ist.

Soll es so weitergehen? Bis zum endgültigen Exitus? Nicht nur die FFF-Kids, auch die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimaforschung fordern von uns, viele der Grundsatz-Entscheidungen in Frage zu stellen, die wir dahingehend getroffen haben, wie wir als Menschen auf dieser Erde in Zukunft leben wollen. Hierzu zählen nicht nur Entscheidungen unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern, die heute unser Leben bestimmen, sondern auch diejenigen politischen und privaten Entscheidungen, die wir zum jetzigen Zeitpunkt treffen und die für die nach uns folgenden Generationen irgendwann einmal von eminenter Bedeutung sein könnten.

Doch können wir heute überhaupt noch etwas tun? Wie kommen wir schnell zu einer besseren, einer viel stärker als bisher am Überleben unseres Planeten, am Überleben unserer menschlichen Rasse ausgerichteten Entscheidungsqualität? Die Kernthese dieses Buches lautet: Lasst mehr Frauen ans Ruder! Wir Männer hatten unsere Chance und haben — die gegenwärtige Realität beweist es — in fast allen Fragen eines nachhaltigen, Ressourcen schonenden Wirtschaftens mehr oder weniger versagt.

Aber sind unsere heutigen und in der Zukunft liegenden Probleme wirklich so einfach zu lösen? Frauen an die Macht, und alles wird gut? Wir werden sehen:

Im ersten Teil des Buches versuchen je drei mit weitreichenden Entscheidungskompetenzen versehene Frauen und Männer, aktuelle Praxisfragen aus Umwelt und neuester Digitaltechnologie zu beantworten. Im darauf folgenden zweiten Teil wird untersucht: Wer von ihnen wendet die richtigen Strategien an und kommt so einer sachlich begründeten Problemlösung am nächsten — Mann oder Frau? Das Ergebnis der Analyse zeigt uns, ob dieser Vergleich unentschieden oder zu Gunsten des männlichen beziehungsweise weiblichen Geschlechts ausgeht.

Im dritten und letzten Teil werden schließlich vier einfache Vorgehensweisen vorgestellt, mit denen jedermann — ganz gleich ob Frau oder Mann — nachgewiesener Weise zu einer besseren Entscheidungs- und Argumentations-Kompetenz kommen kann. In der frohen Erwartung, langfristig gesehen ein gutes Pfund für seinen (ihren) beruflichen wie privaten Erfolg getan zu haben.

In der Vergangenheit war die Frage, welchem biologischen Geschlecht die unbedingte Führungsrolle an den Schaltstellen der Macht zugedacht ist, eindeutig geklärt: Damals, als unsere bundesdeutsche Republik noch in ihren Kinderschuhen steckte, bedurften Frauen noch der Zustimmung ihres Mannes, wollten sie einer bezahlten Arbeit nachgehen. Küche, Kinder, Kirche — auf diesen Dreiklang wurden Frauen damals reduziert. Nicht nur in der Wunschvorstellung ihres eigenen „Göttergatten“, sondern auch in der Rechtsprechung, zumindest bezogen auf die freie Berufswahl.

 

Und heutzutage? „Frauenquote überfällig?“, fragt ein (männlicher!) Leser in einer Zuschrift an die örtliche Tageszeitung, nachdem diese kurz zuvor darüber berichtet hat, wie zur Eröffnung einer neuen Bankfiliale „insgesamt sieben Herren der Filialleitung, Regionalleitung und des Vorstands“ die Kunden begrüßten. Und führt weiter aus: „Wenn ich eine Kundin der... wäre, würde ich mich fragen, ob ich als Frau hier willkommen bin. Eigentlich hätte im Hintergrund nur die weibliche Bedienung mit Tablett gefehlt.“

„...die weibliche Bedienung mit Tablett“ — warum nicht umgekehrt: Sieben Frauen aus dem Führungsstab der Bank und dahinter ein Mann mit Sektgläsern auf einem Serviertablett? Absurd? Unrealistisch? Wieso eigentlich?

Tatsächlich gibt es ernst zu nehmende Untersuchungen darüber, wer in finanziellen Dingen der bessere Anlagestratege ist, Mann oder Frau: Es mag viele überraschen, aber in der Regel waren die Sieger keinesfalls männlichen Geschlechts.

Noch weiter gedacht: Sind Frauen nicht vielleicht ganz generell — auch in anderen Fragen — die besseren Entscheider? Womöglich die von uns gesuchten besseren Managerinnen einer lebenswerten Zukunft?

Frauen in Führungspositionen: Wäre das nicht vielleicht schon heute deutlich besser für das Überleben unserer (noch) grünen Erde als der jetzige Zustand einer in fast allen Top-Positionen immer noch weitestgehend von Männern dominierten Gesellschaft?

Wagen wir doch einfach mal einen kleinen Blick in die heutige Praxis...

TEIL EINS: FALLBEISPIELE

Manchmal frage ich mich, ob die Welt von klugen Menschen regiert wird, die uns zum Narren halten, oder von Schwachköpfen, die es ernst meinen.“

Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain zu einer Zeit, als fast die ganze Welt noch allein von Männern regiert wurde

Es war ein sonniger Vormittag auf dem Schulhof der Raabeschule in Braunschweig, als die Bombe hochging. Nicht sprichwörtlich, sondern ganz real. Glücklicherweise kamen die Schülerin und der Schüler, die just in dem Moment auf der solide gemauerten Bank saßen, unter der der Sprengsatz deponiert worden war, mit dem Schrecken und einem veritablen Knallschaden davon.

Ein, zwei Tage später fand eine außerplanmäßige Lehrerkonferenz statt, in der es um die Bestrafung der jungen Delinquenten ging: ausnahmslos Schüler, keine einzige SchülerIN dabei!

Selbstverständlich musste ich als frisch gebackener Studienreferendar für Mathematik und Physik unbedingt an dieser wichtigen Versammlung teilnehmen. Nur kurz wurde darüber diskutiert, wie es angehen könne, dass minderjährige Jugendliche alle für den Bombenbau erforderlichen Zutaten einfach so in einer stinknormalen Chemikalienhandlung kaufen konnten. Einfach so — ohne jede kritische Rückfrage.

Komischerweise äußerte sich aber niemand aus der großen Runde kritisch oder auch nur verwundert darüber, dass denselben Jugendlichen das Rezept und damit quasi die Bauanleitung für ihren famosen Sprengsatz am gleichen Tag vom Chemie-Lehrer einfach so im Schulunterricht verraten worden war. (Ein allgemein zugängliches Internet, in dem man solche Informationen noch schneller und einfacher hätte finden können, gab es damals noch nicht!) Stattdessen wurde über eine angemessene Strafe für die reumütigen Bombenleger diskutiert.

Damals wie heute unterrichteten auch Lehrerinnen an diesem öffentlichen, allgemeinbildenden Gymnasium, aber die Wortführer in der sich über viele Stunden hinziehenden Aussprache waren ohne jeden Zweifel ihre männlichen Kollegen. Und so formte sich schon damals vor meinem geistigen Auge das erste genderbezogene Vorurteil:

—> Männern geht es nicht um die Sache, sie wollen sich in erster Linie präsentieren!

(Als Wissender, als Logik-Genie, als Obermotz — wie auch immer...)

Durch diese männliche Unart wäre die nervig lange Diskussion am Ende fast so ausgegangen wie das sprichwörtliche Hornberger Schießen, denn die Testosteron-befeuerten Streithähne hatten allergrößte Mühe damit, sich auf die eine, pädagogisch einzig richtige Strafmaßnahme zu einigen: Den Pädagogen unter ihnen war die eine Hälfte der rechtlich zulässigen Strafen zu streng, den Hartlinern war die andere Hälfte zu lax. Ein Wunder, dass am Ende doch noch eine Einigung dabei herauskam. (Mehr darüber in: „Wir haben alle mal klein angefangen“, eBook vom gleichen Autor.)

Mag es an der spezifischen Vorliebe meiner Geschlechtsgenossen für jede Art von Wettkampfsport liegen oder nicht, gleiches erlebte ich danach auch als technischer Angestellter in einem mittelständischen Traditionsunternehmen der gehobenen Messtechnik-Branche:

Kampfplatz Vertrieb

Das Telefon klingelt, der Kollege (wahrscheinlich ein studierter Ingenieur) hebt ab. Als leises Murmeln vernehme ich, wie am anderen Ende der Leitung ein Hilfe suchender Kunde sein ihm auf den Nägeln brennendes Messproblem schildert.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Mein Kollege präsentiert die gesuchte technische Lösung und legt auf. Wahrscheinlicher: Es folgt ein längeres Streitgespräch. Weil nämlich der (ebenfalls männliche) Kunde am anderen Ende der Leitung in den meisten Fällen mit dem von meinem Kollegen präsentierten Lösungsvorschlag überhaupt nicht einverstanden ist.

Buchstäblich Jahrzehnte hat es gedauert, bis in unser Großraum-Vertriebs- und Beratungsbüro die erste Frau (eine Ingenieurin) einzog. Mit einem Mal war alles anders:

Das Telefon klingelt, meine Kollegin hebt ab:

Ach Herr Meier! Wie schön, dass Sie endlich wieder einmal bei uns anrufen — wir haben uns ja ewig nicht gesprochen! Wie geht es Ihrer Familie...“

Wie von Zauberhand ist das Kundenproblem in weite Ferne gerückt. Die unterschwellige Botschaft: Nicht das Problem ist wichtig, Herr Meier ist wichtig! Und so fühlt er sich auch. Ganz anders als bei meinem Kollegen:

Vielleicht hat Herr Meier vor dem Anruf in unserem Büro schon tage- und/oder nächtelang über seinem Problem gebrütet. Hat Bücher gewälzt, stundenlang gegoogelt, mit Kollegen diskutiert. Kurz und gut, seine halbe Firma hat er deswegen verrückt gemacht. Und nun kommt mein Kollege, holt einmal tief Luft und knallt Herrn Meier die perfekte Lösung vor den Latz. Einfach so, ohne jede Vorwarnung. Was glauben Sie, wie Herr Meier sich da fühlt?

Vorurteil Nummer 2:

—> Wenn Männer sich doch für eine Sache interessieren, dann wollen sie streiten. Zuallererst wollen sie beweisen, dass sie der Klügere sind.

Woher das kommt? Wirklich nur vom Kampfsport? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, wie das Beratungsgespräch meiner Kollegin endet:

Wirklich? Sie haben ein Problem, Herr Meier? Einen Moment bitte, ich notiere... Ist gut, ich kümmer mich darum... Sie hören von uns! Alles Gute für die Familie — und bis bald, Herr Meier...“

Nicht auszuschließen, dass die in technischen Dingen genauso erfahrene Kollegin wie die übrigen Männer im Raum in Wahrheit ganz genau weiß, wie Herrn Meier zu helfen wäre. Aber es könnte ja nicht schaden, wenn sie sich dazu in unserem Unternehmen noch einmal ein wenig umhört. Zum Beispiel bei dem Kollegen, der dem Anschein nach immer sofort die richtige Lösung kennt. Oder etwa nicht?

Die perfekte Führungskraft

Die perfekte Führungskraft ist:

 angstfrei

 entscheidungsstark

 dynamisch

 konsequent

 ehrlich

 fair

 interessiert

 ideenreich

 gewissenhaft

 sachlich

 fleißig

 kompetent

 lösungsorientiert

 einfühlsam

 unbestechlich

 erfahren

und jederzeit in der Lage, einen logischen von einem unlogischen Schluss zu unterscheiden. Ganz besonders bei Aussagen, die allein auf Hörensagen beruhen.

Da sich diese Liste ebenso hervorragender wie notwendiger Eigenschaften einer perfekten Führungskraft nahezu beliebig fortsetzen ließe, nimmt es nicht Wunder, dass in so gut wie jedem konkreten Fall Abstriche vom Idealbild gemacht werden müssen. Womit wir schon bei Vorurteil Nummer drei wären:

—> Frauen verlassen sich beim Lösen von Problemen mehr auf ihr Gefühl, als auf die Logik. Bei letzterer sind Männer (bedeutend) besser.

Frauen urteilen nach Gefühl, und nur Männer sind in der Lage, den Gesetzen der Logik unbeirrbar Folge zu leisten — stimmt das wirklich? Sind Frauen, wie mir meine subjektive Erfahrung im Technik-Vertrieb suggeriert hat, tatsächlich per se einfühlsamer als Männer, während diese stattdessen auf die logische Stringenz ihrer Aussagen bezogen die totalen Überflieger sind? Möglicherweise weil sie niemals ohne Not einem zünftigen Streitgespräch aus dem Wege gehen und daher diesbezüglich über mehr Erfahrung verfügen als die stets (Achtung: neues Vorurteil!) nach einem harmonischen Ausgleich strebenden Frauen?

Sechs mehr oder weniger grundverschiedene Problemlöse-Strategien von drei Frauen und drei Männern werden im Folgenden miteinander verglichen und bewertet. Am Beispiel zweier fachlich und politisch einigermaßen brisanter Themenstellungen: Im ersten Fall geht es um Umweltschutz und Energie, im zweiten Fall um Telekommunikation und Personensicherheit. Womit wir sofort beim vierten Vorurteil angekommen wären:

—> Frauen verstehen weniger von Technik als Männer.

Doch keine Sorge, meine Damen und Herren, liebe Leserin und lieber Leser, es bleibt nicht lange bei diesen Vorurteilen: Ich bin sicher, das Ergebnis des nun folgenden praktischen Vergleichs wird Sie mehr als nur ein wenig überraschen!

Die Geschäftsführerin

Vor vielen, vielen Jahren bin ich ihr begegnet, als sie noch ganz frisch im Job und ich bereits stellvertretender Vorstandsvorsitzender eines regionalen Interessenverbandes messtechnischer Unternehmen namens Measurement Valley e. V. war. Damals wie heute leitete sie ein neu gegründetes Wirtschaftsförderungsunternehmen der Stadt.

Sie zeigte uns, dem Vereinsvorstand, die von ihr angemieteten Räumlichkeiten, in denen sich verschiedene privatwirtschaftlich organisierte Spin-Offs unserer Universität tummelten. Allesamt mit der einen großen Geschäftsidee versehen und dem Wunschtraum vom daraus folgenden, noch bedeutend größeren Markterfolg. Als etwas zurückgenommen, eher ruhig als dynamisch ist sie mir von daher in Erinnerung geblieben. Dass wir nun, Jahre später, in einem Wettstreit der Argumente ziemlich heftig aneinandergeraten sollten, hätte ich mir zum damaligen Zeitpunkt überhaupt nicht vorstellen können.

Denn gerade heute spricht der Erfolg ihrer Arbeit für sie und ihre besonnene Art und Weise, die Geschäfte zu führen: An die Stelle eines überschaubar großen Wissenschaftszentrums, das ganz am Anfang noch sehr improvisiert in einem ehemaligen, nur zweigeschossigen Kasernengebäude untergebracht war, ist heute ein beachtlicher Wissenschaftspark, eine kleine Stadt in der Stadt getreten. Im Eigentum der Stadt, betrieben jedoch in alleiniger Verantwortung des von ihr geleiteten Unternehmens zur Förderung der regionalen Wirtschaft.

Jedes Kind braucht einen Namen. Schenken wir der erfolgreichen Geschäftsführerin für unsere Zwecke also einfach mal den (fiktiven) Namen „Anders“, denn schließlich heißt sie ja auch anders als hier angegeben, und bezeichnen sie im Folgenden als die „Unbeirrbare“. Warum, das werden wir später noch erfahren...

Das erste Problem

Am Fuße des kleinen Hügels, auf dem meine Frau und ich ein aus der unmittelbaren Nachkriegszeit stammendes Einfamilienhaus bewohnen, gibt es einen schmalen, streckenweise noch ziemlich naturbelassenen Bachlauf, hinter dem eine gute Strecke fast unberührter Wildwuchs liegt. Längs dieses Baches gehen wir bei schönem Wetter gern spazieren. Dort, wo wir die mehrstöckigen Institutsbauten der Frau Anders erreichen, biegen wir meist rechts ab und nehmen den Weg zurück auf unseren Wohnhügel.

 

Kurz vor Weihnachten war ich allein unterwegs, um nach der Hektik des Tages die Stille und Einsamkeit der frühen Nachtstunden zu genießen. In der Zeitung hatte ich gelesen, dass Frau Anders' Wissenschaftspark kürzlich um einen Neubau erweitert worden sei. (Die Bauarbeiten waren meiner Frau und mir nicht verborgen geblieben.) Der Neubau endete mit einer über fünf Stockwerke gehenden Fluchttreppe nur wenige Meter von unserem grünen Bachlauf entfernt.

Neugierig näherte ich mich von der Vorderseite dem neuen Gebäude. Um mich herum nur Dunkelheit und Stille. Doch dann kam ich an den Bach, und für einen Moment denke ich, mich trifft der Schlag! Ich brauchte eine ganze Weile, um zu begreifen, was ich da vor mir sah: Das Ding — von zwanzig (20!) LED-Flutlicht-Strahlern gleißend hell erleuchtet —, das dermaßen auf mich einstrahlte, dass ich unwillkürlich beide Augen zusammenkneifen musste, war die tagsüber vollkommen harmlos aussehende Fluchttreppe des von unserer Geschäftsführerin betriebenen Wissenschaftsneubaus.

Die Flutleuchten waren nicht etwa auf das Gebäude ausgerichtet — nein, sie strahlten fröhlich links und rechts an der Hauswand vorbei — deutlich mehr als hundert Meter den Bachlauf hinauf und denselben Bachlauf auch wieder hinunter. Selbst das nur durch einen kombinierten Rad- und Fußgängerweg vom Gebäude getrennte, vornehmlich dem Hochwasserschutz dienende Feuchtbiotop, in dem im Sommer zuvor ein menschenscheues Graugänsepaar gebrütet hatte, bekam noch eine ordentliche Portion Flutlicht frei Haus geliefert. Damit hatte unsere Geschäftsführerin ein Problem: Mich!

Ich googelte ein bisschen und schrieb schon am nächsten Tag, einem Advents-Sonntag im Corona-Dezember 2020, eine E-Mail an die „sehr geehrte Frau Anders“, in der ich darauf hinwies, dass ich die Beleuchtung der Fluchttreppe an „ihrem“ Neubau als übertrieben hell empfinden würde, dass ich mich als Spaziergänger davon sehr gestört gefühlt hätte und nun in großer Sorge um die in dem angrenzenden Feuchtbiotop bis dahin weitestgehend in schützender Dunkelheit lebenden Wildtiere sei. Falls sie wider Erwarten nicht die richtige Ansprechpartnerin für mein persönliches Anliegen sein sollte, möge sie mir doch bitte mitteilen, an wen ich mich stattdessen wenden könne, um dieses Problem zu lösen.

Da ich ein paar Tage auf ihre Antwort warten musste, hakte ich nach. Ein gutes Gefühl hatte ich nicht dabei, denn es waren nur noch wenige Tage bis Weihnachten und mir war vollkommen klar, dass Frau Anders sich als hauptverantwortliche Geschäftsführerin vornehmlich um den Jahresabschluss ihrer Wirtschaftsförderungsgesellschaft kümmern musste und ganz sicher keine Lust hatte, mit mir über Spaziergänger-Probleme und nächtlich zwangsbeleuchtete Feuchtbiotope zu diskutieren.

In ihrer Mail-Antwort, die mich überraschenderweise doch noch im alten Jahr erreichte, beklagte sich Frau Anders dann auch folgerichtig darüber, dass ich ihr unterstellen würde, sie habe nicht die Absicht gehabt, zeitnah zu antworten. Für sie selbst sei die Sache vollkommen klar: Fußgänger hin oder her, die Treppe müsse so wie technisch ausgeführt beleuchtet werden, in dem Gebäude befände sich wertvolles Equipment, die Sicherheitsfirma habe das genau so und nicht anders verlangt.

Das war natürlich überhaupt nicht das, was ich hatte hören wollen. Also war für mich der Stand der Dinge Weihnachten 2020: Der Fehdehandschuh liegt im Ring!

Denn wie Sie inzwischen wissen, bin ich ein Mann, und einen derart offenkundigen, auf mich persönlich bezogenen Widerspruch kann ich gar nicht gut vertragen! :-/