Loe raamatut: «Hitlers Theologie»
Rainer Bucher
Hitlers Theologie
Rainer Bucher
Hitlers
Theologie
„So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“
Adolf Hitler, Mein Kampf, 1925
„An der Spitze unseres Programms steht nicht das geheimnisvolle Ahnen, sondern das klare Erkennen und damit das offene Bekenntnis. Indem wir aber in den Mittelpunkt dieser Erkenntnis und dieses Bekenntnisses die Erhaltung und damit Fortsicherung eines von Gott geschaffenen Wesens stellen, dienen wir damit der Erhaltung eines göttlichen Werkes und damit der Erfüllung eines göttlichen Willens, und zwar nicht im geheimnisvollen Dämmerschein einer neuen Kultstätte, sondern vor dem offenen Antlitz des Herren.“
Adolf Hitler, Rede auf dem Reichsparteitag, 1938
„Der Bursche ist eine Katastrophe; das ist kein Grund, ihn als Charakter und Schicksal nicht interessant zu finden. Wie die Umstände es fügen, daß das unergründliche Ressentiment, die tief schwärende Rachsucht des Untauglichen, Unmöglichen, zehnfach Gescheiterten, des extrem faulen, zu keiner Arbeit fähigen Dauer-Asylisten und abgewiesenen Viertelskünstlers, des ganz und gar Schlechtweggekommenen sich mit den (viel weniger berechtigten) Minderwertigkeitsgefühlen eines geschlagenen Volkes verbindet, welches mit seiner Niederlage das Rechte nicht anzufangen weiß und nur auf die Wiederherstellung seiner ,Ehre‘ sinnt; wie er, der nichts gelernt hat, aus vagem und störrischem Hochmut nie etwas hat lernen wollen, der auch rein technisch und physisch nichts kann, was Männer können, kein Pferd reiten, kein Automobil oder Flugzeug lenken, nicht einmal ein Kind zeugen, das eine ausbildet, was not tut, um jene Verbindung herzustellen: eine unsäglich inferiore, aber massenwirksame Beredsamkeit, dies platt hysterisch und komödiantisch geartete Werkzeug, womit er in der Wunde des Volkes wühlt, es durch die Verkündigung seiner beleidigten Größe rührt, es mit Verheißungen betäubt und aus dem nationalen Gemütsleiden das Vehikel seiner Größe, seines Aufstiegs zu traumhaften Höhen, zu unumschränkter Macht, zu ungeheueren Genugtuungen und Über-Genugtuungen macht – zu solcher Glorie und schrecklichen Heiligkeit, daß jeder, der sich früher einmal an dem Geringen, dem Unscheinbaren, dem Unerkannten versündigt, ein Kind des Todes, und zwar eines möglichst scheußlichen, erniedrigenden Todes, ein Kind der Hölle ist.“
Thomas Mann, „Bruder Hitler“, 1939
„Jedes Wort, das aus Hitlers Munde kommt, ist Lüge. Wenn er Frieden sagt, meint er Krieg, und wenn er in frevelhaftester Weise den Namen des Allmächtigen nennt, meint er die Macht des Bösen, den gefallenen Engel, den Satan. Sein Mund ist der stinkende Rachen der Hölle, und seine Macht ist im Grunde verworfen.“
IV. Flugblatt der „Weißen Rose“, 1942
Vorwort
Abgrenzungen
I „Hitlers Theologie“: Um was es dabei geht und um was nicht
II Hitlers Theologie und die katholische Kirche
III Hitler und die Theologie der „völkischen Bewegung“
Strukturen
IV Die „Vorsehung“: die Geschichtstheologie Hitlers
V Hitlers Gottesbegriff
VI Der „Glaube“: die Formierung des Einzelnen
VII Hitlers Theologie und die Vernichtung des europäischen Judentums
VIII Kirchenreform mit Hilfe von Hitlers Theologie
Konsequenzen
IX Hitler, die Religion, die Politik: Hitler und die Moderne
X Sehnsüchte und Versuchungen: eine praktisch-theologische Gewissenserforschung
Persönliches Nachwort
Anmerkungen
Quellen- und Literaturverzeichnis
Vorwort
Hitlers Theologie ist intellektuell krude, ihr Rassismus ist erbärmlich und ihr Gott ein numinoses Monster. Es gibt keine Gnade und keine Barmherzigkeit in ihr und daher auch keinen Frieden.1 Aber sie wurde, worauf tatsächlich alle Theologie zielt: praktisch. Das ist nicht der einzige, aber der unabweisbare Grund, sich mit ihr zu beschäftigen.
Der „Zivilisationsbruch“2, den Hitlers nationalsozialistisches Projekt bedeutete, betraf alle und alles, geschah aus der Mitte der deutschen Gesellschaft und mit großer und lang anhaltender Unterstützung ihrer Eliten wie breiter Schichten der Bevölkerung.3 Der Gott Hitlers besaß eine große Macht. Erst die vereinten Armeen der Sowjetunion, Amerikas, Englands und vieler anderer haben sie gebrochen. Niemand konnte das übrigens garantieren. Der Gott Hitlers hätte durch Hitler auch siegen können.4
Es ist nicht notwendig, Hitlers Theologie zu widerlegen: Das hat sie selber getan. Aber es ist notwendig, sich mit ihr zu beschäftigen. Schließlich gilt: „Hitler hat tiefere Spuren in unserem Jahrhundert hinterlassen als jeder andere.“5 Jenseits aller berechtigten Fragen, wie es diesem äußerlich unscheinbaren, komplexbeladenen, formal ungebildeten, kleinbürgerlichen Ausländer ohne wirkliche Berufserfahrung und Organisationstalent gelingen konnte, zum mächtigsten Mann des Deutschen Reiches und zeitweise Europas zu werden, welche gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen und Stimmungen ihn an die Spitze trugen, wie er sie erahnte, benutzte und steuerte, bleibt das Faktum: Der Nationalsozialismus war Hitlers Projekt, er hat es durchgesetzt und niemand kam auch nur annähernd an Hitlers singuläre Machtstellung heran.6 Schließlich ist ihm das ganze Land – mit Ausnahme der tapferen Männer und Frauen der wenigen Widerstandsgruppen – bis in den Untergang gefolgt.
Dieses Buch ist von einem katholischen Theologen geschrieben. Ich habe mich mit Hitler wissenschaftlich beschäftigt, weil ich wissen wollte, warum er einige „fortschrittliche“ Theologen der 1930er Jahre faszinierte. Was brachte innovative, gegenwartssensible, später auch zu Recht berühmte Theologen dazu, Hitler enthusiastisch zu begrüßen? Daraus folgte die Frage: Welche religiösen Strukturen und welche theologiehaltigen Diskurse wies Hitlers Gesellschaftsprojekt selbst auf, dass es für sie so attraktiv werden konnte?
Die Modernisierungsdynamik und personale Zugriffsintensität des Nationalsozialismus faszinierten nicht nur die eigenen Anhänger. Hitlers Angebot war für die Zeitgenossen attraktiver, als es im Rückblick und im Bewusstsein seiner monströsen Verbrechen erscheinen mag. Hitler schien Modernisierung ohne Pluralisierung und damit ohne Relativierung eigener Geltungsansprüche und ohne liberale Freisetzung des Subjekts zu versprechen.
Mein persönliches Interesse an Hitler verdanke ich der katholischen Jugendarbeit in meiner Heimatstadt Bayreuth. 1973, noch zu Zeiten des kommunistischen Regimes, reiste der damalige Kaplan Josef Kraus mit uns nach Polen. Wir besichtigten Breslau, Krakau, Tschenstochau – und auch die Gedenkstätte des KZ Auschwitz. Dass der zivilisatorische Boden unter unseren Füßen dünn und dass er nicht von den Rändern der Gesellschaft, sondern von ihrer Mitte her gefährdet ist, das wurde mir dort klar und hat mich seitdem nicht losgelassen.
Basis dieses Buches sind Forschungen, die ich bereits vor einiger Zeit im Zusammenhang mit meiner pastoraltheologischen Habilitationsschrift „Kirchenbildung in der Moderne. Konstitutionsprinzipien der deutschen katholischen Kirche“7 unternommen und der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorgelegt habe. Die Ergebnisse wurden erweitert und aktualisiert und werden hiermit einem breiteren, historisch und theologisch interessierten Publikum vorgelegt.
Ottmar Fuchs, Maximilian Liebmann, Lucia Scherzberg, Norbert Reck, Katharina von Kellenbach und Claus-Eckehard Bärsch danke ich für den anregenden Gedankenaustausch über die Fachgrenzen hinweg, ebenfalls Elmar Klinger, der mich als Erster auf Hitler als Thema der Theologie hingewiesen hat. Meine Mitarbeiterin Frau Ingrid Hable hat dieses Buch mit großer Sorgfalt redigiert und zur Veröffentlichungsreife gebracht: hierfür herzlichen Dank!
Ich widme dieses Buch Ernst Ludwig Grasmück zu seinem 75. Geburtstag in dankbarer Erinnerung an die Jahre an seinem kirchenhistorischen Lehrstuhl.
Graz, Januar 2008
Abgrenzungen
I
„Hitlers Theologie“: Um was es dabei geht und um was nicht
1. Hitlers Projekt
Der Nationalsozialismus war etwas wirklich Neues: ein für viele faszinierendes Amalgam von technischer Modernisierung, nationalem Gemeinschafts- und sozialem Gleichheitsversprechen, voller ästhetischer Faszinationsangebote und individueller Heroismusanmutung. In ihm schien wieder verbunden, was spätestens in der forcierten Modernisierung der Weimarer Republik, wie viele meinten, auseinandergedriftet war: Individualität und Kollektiv, Modernität und Traditionsanschluss, Freiheit – etwa gegenüber dem altbackenen Christentum – und Gebundenheit ans große Alte. Vor allem aber versprach der Nationalsozialismus die identitätsstiftende Idylle einer „Volksgemeinschaft“ auf kulturell vertrauter, einheitlicher Basis.
Dass solch ein Projekt in einer differenzierten Gesellschaft nur mit massiven Gewalt- und Ausschlussmechanismen funktioniert, war von Anfang an klar und wurde vom Regime auch nie versteckt. Die offene Gewaltbereitschaft all jenen gegenüber, die nicht mitmachen wollten, war spätestens seit dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 und den ihm folgenden Verhaftungswellen offenkundig. Die Ermordung inner- und außerparteilicher Machtkonkurrenten Ende Juni / Anfang Juli 1934, vom katholischen Staatsrechtler Carl Schmitt kurz darauf mit aller juristischer Finesse („Der Führer schützt das Recht“) legitimiert,1 und die früh einsetzende Diskriminierung der jüdischen Deutschen zeigten sehr schnell: Wer nach Hitlers Meinung nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehörte oder nicht dazugehören wollte, der wurde zuerst hinaus- und bald schon in die Vernichtung geschickt. Freilich: Lange wollten sehr viele in Deutschland, und nicht nur dort, dazugehören.2
Der deutsche Nationalsozialismus war in seinem Erfolg zuerst Adolf Hitlers Projekt. Er hat es mit Macht und Geschick durchgesetzt und bis zu seinem Tod nicht aufgegeben. Programmatisch gesehen gilt sicher: Das „Phänomen existierte, bevor jemand von Hitler gehört hatte, und hätte auch weiterhin existiert, wenn er ein ‚Niemand aus Wien‘ geblieben wäre“3. Aber Erfolg hatte es nur mit und durch Hitler. Das lag an der rücksichtslosen Raffinesse, mit der Hitler die Macht errang, aber auch an der spezifischen Färbung, die er der „völkischen Bewegung“ im Nationalsozialismus gab.
Das bedeutet freilich weder, dass alles, was im teilweise polykratisch strukturierten und zunehmend chaotisch regierten „Dritten Reich“ tatsächlich passierte, unmittelbar auf Hitler zurückzuführen wäre, noch umgekehrt, dass alles, was Hitlers Projekt vorsah, auch tatsächlich verwirklicht wurde.4 Ein großer Spielraum substantieller Abweichung dürfte freilich nicht existiert haben. „Sobald er Staatschef war, diente Hitlers persönliche ‚Weltanschauung‘ … als Handlungsanweisung für die Entscheidungsträger überall im Dritten Reich.“5 Hitler selbst gaben, wie Ian Kershaw schreibt, die „Unflexibilität und quasi-messianische Verpflichtung auf eine ‚Idee‘, ein Bündel von Glaubenssätzen, die unveränderlich, einfach, in sich geschlossen und umfassend waren“, die „Willensstärke und das Wissen um das eigene Schicksal, das alle Menschen, die mit ihm in Kontakt kamen, so stark beeindruckte.“6
Hitler hat nie verborgen, was er wollte.7 Im Gegenteil: Wirklich außergewöhnlich war er, außer in der Skrupellosigkeit, nur als Redner. Hitler hat immer wieder öffentlich gesagt, was er plante und dachte. Zu Hitlers Projekt gibt es viele Projektbeschreibungen: Um sie geht es, speziell um ihre theologischen Anteile und deren Stellung in diesem Projekt.
Eberhard Jäckel versuchte 1969 als Erster, die innere Schlüssigkeit von „Hitlers Weltanschauung“8 aufzuzeigen. Jäckel identifiziert die „Eroberung des Lebensraums im Osten“ sowie die „Entfernung der Juden“, wie Jäckel formuliert, als Hitlers zentrale Anliegen.9 Hitler wollte so die von ihm mit allem Hass denunzierten gesellschaftlichen „Dekadenz“-Zustände einer liberalen und pluralistischen Demokratie beseitigen. Radikale Demokratiekritik übten freilich auch die fundamentalkonservative Rechte bis hinein in die Kirchen und, in anderer Weise, die radikale Linke. Was unterschied Hitler von beiden?
Hitler lehnte, wie die Linke und anders als die Rechte, die reaktionäre Restauration vorrevolutionärer Zustände, seien dies nun jene vor 1919 oder gar vor 1789, ab und glaubte an die Unumkehrbarkeit, ja Wünschbarkeit der jeweiligen Revolutionen. Hitler suchte eine neue, nicht-restaurative, aber eben doch anti-pluralistische gesellschaftliche Integrationsbasis. Er wollte mehr als bloß die konservative Restauration vormoderner Ordnungsstrukturen. Anders als die Linke aber suchte er diese Integrationsbasis nicht auf marxistischer „Klassenbasis“, sondern auf der Basis eines noch fiktiveren Konstrukts: der „arischen Rasse“.
Schon in der Begriffsfügung „Nationalsozialismus“ wird der Versuch deutlich, dem seit der Französischen Revolution gebräuchlichen politischen „Links-Rechts“-Schema nach vorne zu entkommen. Damit gerät Hitler in die Nähe zu den zeitgenössischen Theoretikern der so genannten „Konservativen Revolution“.10 Von ihnen unterscheidet sich Hitler aber nicht nur in der Radikalität seines Denkens, sondern vor allem in dessen konkreter Operationalisierbarkeit. Denn konkret politisch umsetzbar waren die reaktionären Visionen der „Konservativen Revolution“ nicht: Über literarisch-kulturelle Wirksamkeit kam sie nie hinaus. Hitler wusste dies nur zu gut.
Indem Hitler wichtige Elemente des nachfeudalen gesellschaftlichen Modernisierungsprogramms in sein Projekt übernimmt, verhindert er, dass es zu einer bloßen konservativen Utopie verkommt. Hitler wollte kein verloren gegangenes vorrevolutionäres Paradies restaurieren, Utopien, wie sie etwa auch in kirchlichen Kreisen gepflegt wurden.11 Die faszinationsgeleitete Einführung neuer Technologien, das Programm einer auf wissenschaftlicher und technischer Dauerinnovation beruhenden Industriegesellschaft, zentrale anti-konservative Ideen wie jene der Chancengleichheit, der Erhöhung vertikaler und horizontaler sozialer Mobilität bis hin zu egalitären Tendenzen etwa im Bildungssystem: mit all dem wurde Hitler anschlussfähig an die Weimarer Republik,12 beerbte er vor allem die Glücksversprechungen der Moderne, einschließlich des Versprechens von deren technologischer Produzierbarkeit und sozialer Zugänglichkeit für alle.
Die Basis von all dem freilich und „heißer Kern“ des Hitlerschen Politikprojekts war ein scharfer rassistischer Anti-Universalismus. Hitlers Projekt läuft auf eine nach innen „harmonisch“ geeinte, nach außen kriegerisch-heroische, rassisch definierte „Volksgemeinschaft“ hinaus. Für sie brauchte er den „Raum im Osten“, aus ihr müssen Angehörige „minderwertiger Rassen“, „Minderwertige“ der eigenen „Rasse“ und vor allem die Juden entfernt werden, aber natürlich auch jene, die sich diesem Projekt entgegenstellen.
Diese deutsche oder arische Volksgemeinschaft ist, so meint Hitler, auf Grund ihrer rassischen Überlegenheit, die sich nicht zuletzt in ihrer kulturellen Überlegenheit zeige, zu nichts weniger denn zur Weltherrschaft berufen. Grundiert und vielleicht auch motiviert13 ist dies alles bei Hitler, dem verhinderten Kunstmaler, mit einem kulturell-ästhetischen Anti-Modernismus, der die Künste, vor allem die bildende Kunst14, aber auch die Musik15 auf den Geschmack der (damaligen) unteren Mittelschichten hin reduziert und trivialisiert.
2. Hitler und die Kirchen
Die Kirchen haben Hitler nicht gewollt, aber auch nicht verhindert.16 Die katholische Kirche konnte zwar weitgehend die Nazifizierung ihrer eigenen Strukturen abwehren, und sie schaffte es, sich, allerdings sehr eingeschränkte, Freiräume zu sichern, die der Herrschaft der Partei mehr oder weniger entzogen waren. Grundlage hierfür war die im Bereich der katholischen Kirche und vor allem im politischen Katholizismus bis 1933 weit verbreitete Ablehnung der Gesinnung, der Ziele und der Methoden der NSDAP. Ausnahmen, wie der Rektor der Anima in Rom, Bischof Alois Hudal17, der berüchtigte Abt Schachleitner18 sowie die so genannten „braunen Priester“19, blieben tatsächlich Ausnahmen.
Ebenso dürfte aber unbestreitbar sein, dass die katholische Kirche weder in Deutschland noch in Österreich die Nazifizierung der gesellschaftlichen Strukturen irgendwann ernsthaft verhindern wollte, als Hitler erst einmal an die Macht gekommen war. Die katholische Kirche unternahm als gesamte und unter der Führung ihrer Bischöfe nie den Versuch, die nationalsozialistische Herrschaft zu stürzen oder auch nur ihre Konsolidierung in den Anfangsjahren zu verhindern.
Im Sinne eines differenzierten Widerstandsbegriffs20 kann der katholischen Kirche als Ganzer also zugesprochen werden, in vielem ein „rivalisierendes Loyalitätszentrum“ geblieben zu sein; auch gab es regional mehr oder weniger spontan kirchlich organisierte Verweigerung und in seltenen Fällen auch aktiven Protest, nie aber offene oder subversive Widerstandstätigkeit, die auf den Sturz des Nationalsozialismus hinarbeitete. Im Sinne dieser höchsten Ebene des Widerstandsbegriffs gab es wohl Widerstand von Katholiken und Katholikinnen, aber keinen Widerstand der katholischen Kirche in ihrer amtlichen Führung.
Aber auch die Katholikinnen und Katholiken waren nach der Konsolidierung des Regimes in den Jahren 1934 bis weit in den Krieg hinein nicht unbedingt partei-, aber doch in hohem Maße staatsloyal. Die unbestreitbaren „Anfangserfolge“ des Regimes (Abbau der Arbeitslosigkeit, Saarabstimmung 1936, Rheinlandbesetzung 1936, Olympische Spiele 1936; Remilitarisierung, erfolgreiche Annexionen der Vorkriegszeit knapp unter der Schwelle zum Krieg; Anschluss Österreichs 1938) verfehlten auch auf die Katholiken und Katholikinnen ihre Wirkung nicht. Ein kritisches politisches Bewusstsein gegenüber der Herrschaftsform Diktatur als solcher war zudem im katholischen Bereich nur bei sehr wenigen vorhanden.
Die Gründe hierfür sind vielfältig. Der Gehorsam gegenüber der rechtmäßigen Obrigkeit war auch im 19. Jahrhundert von der katholischen Kirche in Lehre und Verkündigung stets betont worden.21 Andere moraltheologische Traditionen, die etwa die Legitimität eines Tyrannenmordes durchaus denken konnten, kamen demgegenüber nicht zum Zug. Überhaupt hatte das kirchliche Lehramt im 19. Jahrhundert zur Abwehr der modernen Pluralität und Liberalität Gehorsam und Unterordnung als die herausragenden katholischen Tugenden gepredigt. Solch eine extreme Herausstellung des Autoritätsprinzips förderte natürlich obrigkeitsstaatliche Traditionen, ja schien sie geradezu zu rechtfertigen. Demokratie und Liberalismus wurden von weiten Teilen der katholischen Kirche als Gegner, nicht als zu verwirklichende Zielgrößen betrachtet.
Es gab zudem in den 30er Jahren eine gewisse gesamtkirchliche Anfälligkeit für autoritäre Regime. Die Kirche war in Italien und Spanien offen als Partnerin des Faschismus bzw. Francos und in Österreich als Protektorin, ja Ideengeberin des autoritären Ständestaates aufgetreten. Wenn sich auch der deutsche Nationalsozialismus deutlich vom romanischen Faschismus und noch mehr vom österreichischen Ständestaat unterschied und es daher auch nie zu einem vergleichbaren Bündnisschluss zwischen Kirche und Nationalsozialismus kam, so war die mangelnde internationale Faschismusabwehr der katholischen Kirche für die deutsche katholische Kirche und die prodemokratischen Kräfte in ihr, etwa im Laienkatholizismus, dennoch eine schwere Hypothek.
Das im Juli 1933 geschlossene deutsche Reichskonkordat zwischen Hitler und dem Papst schien die gefährdete Besitzstandswahrung der kirchlichen Institution zu garantieren. Diese Sicherung der institutionellen Integrität wurde als vorrangig und letztlich genügend angesehen.22 Hitler hatte immer nur eine kleine Minderheit in den beiden großen Konfessionen als Gegner. Die Mehrheit arrangierte sich mit ihm.
Die Wertung dieser Tatsache differiert bis heute erheblich. Das ist nicht weiter erstaunlich, insofern die Wertungshorizonte historischer Tatsachen und letztlich schon ihre Entdeckungszusammenhänge stark von vorgegebenen Ausgangspositionen abhängen. Bei einer selbst mit hohem moralischem Anspruch und lange auch enormer gesellschaftlicher Sanktions- und psychischer Regulierungsmacht auftretenden Institution wie der katholischen Kirche differieren diese Wertungshorizonte umso sehr, nicht zuletzt übrigens auch theologie- und kirchenintern.
Die Differenz läuft im Kern darauf hinaus, ob man zur Bewertung des Verhaltens der kirchlichen Akteure die damals dominierende, stark institutionalistische und apologetische Ekklesiologie zu Grunde legen soll, was das kirchliche Handeln zumindest moralisch in einem günstigeren Licht erscheinen lässt, oder die nachkonziliare, stärker an einer Menschenrechtsoption orientierte pastorale Aufgabenbeschreibung der Kirche als „universales Heilssakrament“, was die Entsolidarisierung der Kirche gegenüber jenen, die ihr nicht angehörten, und auch teilweise gegenüber ihren eigenen Angehörigen, etwa getauften „Nicht-Ariern“, zu einem fundamentalen Versagen vor der eigenen Botschaft macht. Historisch und individual-ethisch betrachtet liegt Ersteres nahe, theologisch Letzteres. Freilich können die kritischen Ansätze nachweisen, dass die nachkonziliare universalistische Position damals zwar nicht dominant, aber eben doch auch präsent war, etwa bei Bischof Preysing23 oder dem sog. „Ordensausschuss“24, und damit just bei jenen, die eine Alternative zur offiziellen Politik der Bischofskonferenz vertraten.25