Loe raamatut: «Die letzte gute Tat», lehekülg 4

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Er war sich nicht im Klaren darüber, was ihn mehr beunruhigte, das Verschwinden von Thea oder die anzüglichen Bemerkungen des Kommissars.

„Glaubt der tatsächlich, dass ich etwas mit der Entführung zu tun habe? Und warum hat er kein Team mit nach Hause geschickt, um den nächsten Anruf abzufangen; so macht man das doch wohl?“, hinterfragte Behrens die Handlungsweise des Kommissars.

Im Kommissariat besprachen sich Spies und seine Kollegin Susemihl.

„Wie war er im Labor? Was halten Sie von seiner Geschichte?“, wandte sich Spies an seine Kollegin.

Susemihl, Ende 20, eine mittelgroße Frau ohne sichtbare weibliche Konturen, war zum Abschluss der Polizeischule Jahrgangsbeste gewesen und die jüngste Kommissarin in Mecklenburg-Vorpommern. Sie war mit ihren Eltern als Vierjährige aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Ihre kinderlose Ehe mit einem Polizisten aus Graal-Müritz hielt nur neun Monate. Spies und sie arbeiteten erst seit Juni diesen Jahres zusammen.

„Er wirkte verunsichert, doch nicht mehr als andere, denen man in diesem kalten, weißen Raum Blut abzapft. Irgendwie passt die Story zu ihm“, antwortete Susemihl.

„Was meinen Sie damit: passt zu ihm?“, interessierte sich Spies.

„Ich meine, man soll ja kleine Männer nicht unterschätzen, doch seine genaue Beschreibung der Vorfälle deutet auf eine gewisse Buchhaltermentalität.“

Spies fiel seiner Kollegin ins Wort.

„Ja, gerade diese Buchhalter! Haben Sie noch nie von den besonders ehrgeizigen kleinen Männern gehört?

Die Weltgeschichte ist voll davon, Napoleon, Sarkozy, Berlusconi und so weiter. Oder spielen Sie mal Fußball gegen so einen kleinen Zwerg von Linksverteidiger: Sie glauben, Sie haben ihn umspielt, da steht er schon wieder vor Ihnen. So sind die!“

„Herr Spies, unser kleiner Mann spielt höchstens Canasta. Ich glaube ihm grundsätzlich“, entgegnete Susemihl.

In diesem Moment klingelte das Telefon, Spies nahm den Hörer ab, hörte kurz zu, legte wieder auf und triumphierte.

„Ich hab’s doch gewusst. Es ist dasselbe Blut; kommen Sie mit ins Labor.“

Thea und Behrens’ Mutter

Die Beamten setzten Behrens vor seinem Haus ab. Er ging hinein und rief seine Mutter an.

„Hallo Mama, ich war auf der Polizeistation und habe dort alles über die Entführung erzählt. Sie haben auch den Wagen gefunden und mir komische Fragen gestellt. Ich glaube, der Kommissar misstraut mir.“

„Was meinst du mit komischen Fragen?“

„Ich weiß auch nicht, nur so ein Gefühl. Wovon ich lebe, wollten sie wissen und Blut haben sie mir abgenommen“, berichtete Behrens.

„Wovon du lebst? Dann sagst du, von dem Erbe deines Vaters, Punkt! Und außerdem geht das die Polizei gar nichts an. Die sollen gefälligst ihre Arbeit machen, die Entführer finden und dein Geld zurückbringen“, empörte sie sich.

Stille am Telefon.

„Dass dir kein Wort über Spanien und Manouch herausrutscht. Willst du zu mir nach Berlin kommen?“

„Nein Mama, ich soll die Stadt vorerst nicht verlassen, und ich könnte jetzt auch nicht hier weg. Was ist, wenn sich die Entführer wieder melden oder Thea plötzlich vor der Tür steht und ich bin nicht da …“ Behrens kämpfte gegen seine Traurigkeit an und war den Tränen nahe.

Seine Mutter nahm die Stimmungslage ihres Sohnes wahr.

„Ist gut. mein Junge, das verstehe ich. Hätte ich sie doch bloß besser kennengelernt, deine Thea. Dein Vater und ich konnten auch keine zwei Tage voneinander getrennt sein. Ruf mich an, wenn es etwas Neues gibt oder wann immer du willst!“, waren ihre tröstenden Worte. bevor sie auflegte.

Merkwürdig, das war Behrens vollkommen aus dem Kopf: Thea und seine Mutter hatten sich bisher nur einmal gesehen, als er sie mit nach Berlin nahm, um sie ihr vorzustellen. Es war ein Tagesausflug ohne Übernachtung.

Er erinnerte sich noch gut an das Treffen, weil es zwischen den beiden Frauen nicht so harmonisch ablief, wie es sich Behrens erhofft hatte.

Seine Mutter hatte Thea nach ihren Familienverhältnissen befragt. Sie erzählte, dass ihre Eltern bereits tot seien, sie keine Geschwister habe und nur noch Kontakt zu einer Cousine in Bremen halte.

Daraufhin berichtete Behrens’ Mutter von ihrer Freundin in Bremen, die sie zweimal im Jahr besuchte, und erkundigte sich nach dem Stadtteil, in dem Theas Cousine wohnte. Es schien, als wollte Thea darüber nicht gerne Auskunft geben.

„In der Innenstadt, in Bahnhofsnähe“, war Theas knappe Antwort.

Mutter Behrens ließ sich jedoch nicht beirren und unterbrach Thea. Dabei strahlte sie sie in der Art an, so wie es nur Frauen fertigbringen, wenn sie nicht miteinander können.

„Dann werden wir uns sicher in Bremen treffen, wenn wir wollen. Meine Freundin wohnt in der Breite Straße 8. Das ist nur ein Steinwurf vom Bahnhof entfernt und in welcher Straße, sagten Sie, wohnt Ihre Cousine?“, bohrte sie verschmitzt nach.

Thea war sichtlich genervt, wollte aber beim ersten Zusammentreffen nicht allzu unhöflich sein, zumal sie um das besondere Verhältnis zwischen Sohn und Mutter wusste.

„Frau Menzel“, Behrens’ Mutter hatte acht Monate nach dem Tod ihres Mannes wieder ihren Mädchennamen angenommen, „ich bin im Merken von Namen, insbesondere Straßennamen, wirklich nicht gut. Wenn es für Sie doch so wichtig ist, dann schaue ich zu Hause in meinem Adressbuch nach und rufe Sie an.“

Behrens’ Mutter hatte den kleinen Seitenhieb verstanden und begnügte sich von diesem Moment an mit den üblichen Oberflächlichkeiten wie dem Wetter in Kühlungsborn und der Frage, was die beiden Jungverliebten wohl den ganzen Tag so trieben. Den Nachmittag verbrachten noch alle drei bei Kaffee und Kuchen zusammen und bemühten sich, keine weiteren Reizthemen aufkommen zu lassen. Noch bevor es dunkel wurde, machten sich Behrens und Thea wieder auf den Heimweg nach Kühlungsborn. Auf der Rückfahrt verspürten beide aus ganz unterschiedlichen Gründen ein mulmiges Gefühl. Sie vermieden es, das Treffen in irgendeiner Weise zu kommentieren und schwiegen die meiste Zeit.

In den darauffolgenden Monaten gab es immer wieder Anläufe für ein weiteres Treffen der beiden Frauen, aber entweder Thea konnte/wollte nicht mit nach Berlin fahren oder Behrens’ Mutter war zu Zeiten in Kühlungsborn, in denen Thea sich bei ihrer Cousine in Bremen aufhielt.

Liesbeth

Freitag, 15. November 2019

Eine Zeit lang sinnierte Behrens noch im Wohnzimmer vor sich hin, bis ihm die Idee kam, die Freundin aus der Boutique zu besuchen, um diese noch einmal persönlich nach Thea zu befragen.

Der Laden befand sich in einer Seitenstraße, circa 70 Meter abseits der Hauptgeschäftsstraße, die direkt zur Seebrücke führte. Es war gerade einmal eine 1b-Lage, in die sich selbst in der Saison nur wenig Laufkundschaft verirrte.

Kein Mensch würde es wagen, die attraktive Ladenbetreiberin jenseits der 50 zu schätzen. Zu raffiniert war die Zusammenstellung ihrer Garderobe, die sich wie eine zweite Haut an ihren schlanken und sehr weiblichen Körper anpasste. Behrens war beeindruckt, als er sie das erste Mal stehend in der Eingangstür ihres Ladengeschäftes sah. Zögernd sprach er sie an.

„Guten Tag, sind Sie Liesbeth?“

„Das bin ich, in voller Größe. Und wer sind Sie, junger Fremder?“, fragte Liesbeth mit einem Lächeln, das die Welt hätte erobern könnte.

Behrens konnte nicht sofort antworten. „Diese Ausstrahlung und dazu die Stimme, was hat sich nur der liebe Gott dabei gedacht …“, bewunderte er die Dame vor ihm.

„Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt“, kam es verhalten aus ihm heraus. „Mein Name ist Behrens. Ich hatte Sie vor zwei Tagen angerufen und nach meiner Verlobten Thea gefragt.“

„Ja, ich erinnere mich, und ich hatte Ihnen geantwortet, dass ich Thea schon seit Wochen nicht mehr gesehen habe. Ich wusste nicht einmal, dass sie verlobt war. Wie heißen Sie mit Vornamen, Herr Behrens?“

„Florian, aber bitte nennen Sie mich Max.“

„Na gut, Max, was kann ich für Sie tun?

Vielleicht eine moderne Jeans, ist gerade im Angebot. Sie sehen ja, der Laden ist leer. Außerhalb der Saison verirrt sich kaum jemand hierher. Ich habe also genügend Zeit, Sie ausführlich zu beraten und das wäre vielleicht nicht die schlechteste Idee, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.“

„Volltreffer“, dachte Behrens, „jetzt hat die schicke Lady sofort ins Schwarze getroffen.“ Er schaute kurz an sich hinunter, konnte jedoch keinen Mangel an seiner blauen Cordhose und der grünen Winterjacke erkennen. Beide Teile hatte er sich vor einiger Zeit per Katalog als Schnäppchenangebot bestellt. Bei der Lieferung lag noch ein Geschenk dabei: eine automatische Armbanduhr eines bekannten Modedesigners.

Doch wie oft hatte Thea schon das Thema Klamotten mit ihm diskutiert und ihm seine Altherrenkleidung vorgehalten, von den Sandalen mit Tennissocken, die er allzu gerne und ungeniert trug, ganz abgesehen. Behrens tat so, als ob er den letzten Satz nicht gehört hätte und fragte noch einmal nach.

„Thea hat immer von ‚meiner Freundin Liesbeth‘ gesprochen. Sie sind doch Freundinnen, oder?“

„Sie war ein paar Male bei mir im Laden. Wenn keine Kunden uns störten, tranken wir gerne ein Gläschen Sekt miteinander und lästerten über die Macken der Männer.“

Behrens ließ nicht locker und wollte mehr wissen.

„Thea hat von Verabredungen mit Ihnen erzählt und dass Sie mit ihr in Warnemünde zum Essen waren. Das stimmt doch, oder?“

„Ja, das war auch am Anfang, als wir uns kennenlernten“, bestätigte Liesbeth. „Irgendwie sprang der Funken gleich über. Sie hatte ein feines Gefühl für Mode und Styling, wenn Sie verstehen, was ich meine. Doch als im Juli die Saison so richtig zu laufen begann, hatte ich nicht mehr so viel Zeit für unsere Schwätzchen. Dann habe ich sie nur noch einmal in der Drogerie getroffen. Sie schien mir recht glücklich. Mehr kann ich dazu wirklich nicht sagen.“

„Das muss zur Zeit unserer Verlobung gewesen sein“, dachte sich Behrens und hatte noch eine Frage.

„Was hat Thea denn so von mir erzählt?“

Liesbeth schaute verdutzt und ließ einen Moment vergehen.

„Eigentlich nur, dass sie Sie Ostern kennengelernt hat, jetzt bei Ihnen wohnt und so weit alles gut ist. Aber jetzt erklären Sie mir bitte einmal, was passiert ist. Ich komme mir vor wie die Frau in einem Auskunftsbüro. Was ist mit Thea? Geht es ihr gut?“

Behrens senkte den Kopf.

„Sie ist seit zwei Tagen verschwunden. Die Polizei sucht bereits nach ihr.“

Zum ersten Mal wich das Lächeln aus Liesbeths Gesicht.

„Das ist ja schrecklich. Was wollen Sie jetzt tun?“

Das Klingeln seines Handys erlöste ihn vor der schwierigen Beantwortung ihrer Frage.

„Moin Herr Behrens, hier ist Spies. Wir sind auf dem Weg zu Ihnen und haben noch ein paar Fragen. Sind Sie zu Hause?“

„Ich bin in der Stadt unterwegs. Gibt es Neues von Thea?“, fragte Behrens erwartungsvoll.

„Wir sehen uns gleich an Ihrem Haus“, anwortete der Kommissar trocken.

Behrens entschuldigte sich für den plötzlichen Abbruch des Gesprächs bei Liesbeth und versprach, bei Gelegenheit wiederzukommen. Liesbeth zwang sich zu einem Lächeln und rief Behrens „Viel Glück“ hinterher.

Die zweite Befragung

Als Behrens sein Haus erreichte, stand der dunkelblaue 5er-BMW bereits in der Garageneinfahrt. Neben dem Kommissar und seiner Kollegin Susemihl stieg ein weiterer Mann aus dem Wagen, den Spies auch gleich vorstellte.

„Frau Susemihl kennen Sie bereits. Das ist der Kollege Frank Popiuk, unser Techniker. Herr Popiuk wird, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, das Festnetztelefon anzapfen.“

„Kein Problem, ehrlich gesagt habe ich bereits früher damit gerechnet. Meinen Wagen haben Sie nicht zufällig um die Ecke stehen?“, lästerte Behrens vorlaut und bat alle drei ins Haus.

Auch diesen Ablauf kannte er aus zahlreichen Krimis. Zuerst wurde das Telefon zum Abhören der eingehenden Gespräche präpariert, dann folgte die Gebrauchsanweisung durch den Techniker für die Hauptperson, den Erpressten. Behrens fühlte sich plötzlich wichtig und in den Mittelpunkt gerückt. Während sich der Techniker im Flur mit seinen mitgebrachten Koffern breitmachte, nahmen die Kommissare im Wohnzimmer Platz. Spies legte auch gleich los.

„Herr Behrens, haben Sie etwas dagegen, wenn sich meine Kollegin ein wenig in Ihrem Haus umsieht?“

Auch dieses Procedere war Behrens nicht fremd. „Jetzt wird sie ins Bad gehen und nach Materialien suchen, aus denen man die DNA nehmen kann. Alles bekannt“, dachte er und nickte wohlwollend zum Zeichen seiner Zustimmung. Er wollte bewusst locker erscheinen und ergänzte noch: „Machen Sie nur, was gemacht werden muss; ist kein Problem für mich.“

Kommissarin Susemihl verließ das Wohnzimmer und ging die Treppe hoch in den ersten Stock, wo sie genau das tat, was Behrens vermutete.

„Ich möchte von Ihnen wissen, wann und wo Sie Frau Schneider kennengelernt haben“, sagte Spies.

„Ostern diesen Jahres am Hafen im Restaurant ‚Riverboat‘. Es hat dann noch einige Zeit gedauert, bis wir … na, Sie wissen schon, zueinanderfanden“, Behrens schmunzelte vielsagend.

„Also ein noch frisch verliebtes Paar, das sich täglich in den Armen liegt wie am ersten Tag und turtelt, bis der Arzt kommt? Oder wie würden Sie Ihr Verhältnis beschreiben?“, verteilte Spies einen Seitenhieb.

Behrens erkannte den Unterton in Spies’ Stimme. Wollte jedoch diese Anzüglichkeit nicht überbewerten.

„Thea und ich lieben uns und führen eine ganz normale, harmonische Beziehung. Doch ich weiß immer noch nicht, was das mit der Entführung zu tun hat und warum ich meinen Wagen noch nicht zurückerhalte?“

Der Kommissar griff in die Seitentasche seiner Jacke, nahm eine kleine Plastiktüte heraus und legte diese direkt vor Behrens auf den Tisch. In der Plastiktüte befand sich ein blutverschmiertes Handy.

„Erkennen Sie das Handy?“

Behrens erkannte das Handy seiner Verlobten an der goldfarbenen Hülle. Er beugte sich darüber und blieb ohne sich zu rühren einige Sekunden in dieser Haltung.

Susemihl kam die Treppe herunter. Sie hatte gefunden, wonach sie auf der Suche gewesen war und gab dem Techniker einen Beutel, gefüllt mit Kosmetika und einer Haarbürste. Dann setzte sie sich mit auf die Couch zu ihrem Kollegen.

Spies wurde laut.

„Das Handy haben wir in Ihrem Wagen gefunden, mit Ihrem Blut darauf. Können Sie uns das erklären, Herr Behrens?“

Nein, konnte er nicht. Er saß noch immer wie versteinert, verzog keine Miene und schlimme Gedanken schossen ihm durch den Kopf. „Welches Unheil mag ihr widerfahren sein? Musste sie Schläge ertragen, bis sie blutete?“

Nachdem Behrens Spies’ Frage immer noch nicht beantwortet hatte, stand der Kommissar plötzlich auf und brüllte Behrens an.

„Ich möchte jetzt von Ihnen wissen, wie Ihr Blut auf das Handy der Entführten gekommen ist!“

Erst jetzt wurde Behrens bewusst, dass es gar nicht Theas Blut war, sondern sein eigenes. „Doch wie soll das gehen?“, fragte er sich und schaute verdutzt den Kommissar mit weit geöffnetem Mund an.

„Ich habe keine Ahnung. Ich kann mir das nicht erklären. Thea würde nie mit einem blutverschmierten Handy aus dem Haus gehen“, brachte Behrens mit Mühe heraus.

„Genau das ist der Punkt. Das Blut muss am Mittwochnachmittag auf das Handy gekommen sein, nachdem Ihre Verlobte das Haus verlassen hatte. Zu dem Zeitpunkt, ab dem Sie Ihre Verlobte angeblich nicht mehr gesehen haben“, schlussfolgerte Spies und setzte sich wieder.

„Sie haben meine Aussage darüber, wo ich am Mittwoch war. Am nächsten Tag bin ich mit dem Bus nach Rostock gefahren, wo ich bis spät in den Abend auf den Anruf des Erpressers gewartet habe. Aber das habe ich Ihnen doch alles schon erzählt. Ihre Leute im Labor müssen sich geirrt haben. Das kann nicht mein Blut sein“, rechtfertigte sich Behrens.

Spies biss sich an Behrens fest. Dabei blieb sein Ton ruppig.

„Die Kollegen irren sich nicht, niemals, seitdem ich hier arbeite. Eher fällt Heiligabend auf den 23. Dezember. Die Frage, die sich mir stellt, ist, ob Sie uns wirklich die richtige Geschichte erzählt haben?

Was, wenn Sie nach Rostock gefahren sind, um sich mit Ihrer Verlobten zu treffen, nachdem diese Ihren Wagen genommen und eine Nacht woanders verbracht hat? Beim Treffen eröffnet sie Ihnen, dass sie sich von Ihnen trennen will und es kommt zum Streit. Sie hat Angst vor Ihnen, will mit dem Handy Hilfe holen, wehrt sich und schlägt Ihnen damit ins Gesicht. Das Blut aus Ihrer Nase spritzt aufs Handy.“

Behrens geriet aus der Fassung.

„Nein, nein, was erfinden Sie da? Ich habe Thea nicht getroffen. Ich saß fast drei Stunden in diesem verdammten Bahnhofslokal. Fragen Sie doch die Kellnerin, ihr Name ist Ines. Sie wird Ihnen das bestätigen.“

„Wir werden mit ihr sprechen und mit einigen anderen Leuten, die Sie und Ihre Verlobte kennen“, mischte sich Susemihl, die sich bis dahin Notizen gemacht hatte, ein. „Mit wem hatte Frau Schneider in Kühlungsborn Umgang? Hatte sie Freunde oder Verwandte außerhalb? Wer kann etwas über sie oder ihren möglichen Aufenthaltsort sagen? Herr Behrens, wäre es nicht denkbar, dass sie sich einfach eine Auszeit genommen hat?“

„Sie ist entführt worden. Ich habe doch mit dem Entführer gesprochen und es gibt diesen Brief. Den kann ich Ihnen gleich geben.“

Behrens stand auf und ging zum Vitrinenschrank, wo er den Brief aus einer Schublade nahm und ihn dem Kommissar überreichte. Für einen kleinen Moment verspürte er wieder Selbstvertrauen und bildete sich ein, dass damit alle Unklarheiten vom Tisch wären. Entsprechend gestärkt, war er nun in der Lage, die gewünschten Auskünfte zu geben.

„Da gibt es eine Cousine in Bremen, deren vollständigen Namen und Adresse ich nicht kenne. Thea hat sie nur immer Robby genannt und sie ein bis zwei Mal im Monat besucht. Und dann noch zwei Freundinnen hier aus dem Ort.

Silke, ihre Friseurin aus dem Salon ‚Helle‘, und Liesbeth, eine Boutiquebetreiberin, bei der ich gerade war, als Sie mich angerufen haben. Ich habe sie bereits nach Thea gefragt. Sie hat sie allerdings schon seit Wochen nicht mehr gesehen.“

„Wir gehen der Sache nach und prüfen auch den Brief“, versicherte Susemihl und blickte kurz zu Spies hinüber.

Der Techniker kam ins Wohnzimmer und gab Zeichen, dass seine Arbeit getan sei. Die Fangschaltung stand. Beide Polizisten erhoben sich und gingen zur Eingangstür. Spies drehte sich noch einmal zu Behrens um.

„Wenn die Entführer jetzt anrufen, dann hören wir mit und können gegebenenfalls den Anrufer lokalisieren. Versuchen Sie, das Gespräch so lange wie möglich zu führen. Was Ihre Geschichte angeht, die werden wir überprüfen. Verlassen Sie also nicht die Stadt. Ich denke, Ihren Wagen können Sie in ein bis zwei Tagen bei uns abholen.

Übrigens, Sie haben uns gesagt, dass Sie Ihre Verlobte am Tag ihres Verschwindens noch einmal von unterwegs angerufen haben, um sie zum Essen zu treffen.

Wir haben diesen Anruf auf dem Handy nicht finden können. Vielleicht gab es gar keinen Anruf, weil Sie ja wussten, dass sie nicht antworten kann.“

Behrens war gereizt und doch entgegnete er kein Wort. Er schloss die Tür, setzte sich auf die Couch und versuchte zu verstehen, was hier gerade passiert war.

„Wie sollte mein Blut auf Theas Handy kommen? Ich habe sie in der fraglichen Zeit überhaupt nicht gesehen. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Das Labor muss sich geirrt haben. Nur so kann es sein“, war Behrens’ Erklärung.

Das Telefon klingelte, es war seine Mutter.

„Hallo mein Junge, wie geht es dir, gibt es etwas Neues von der Polizei?“

„Sie waren gerade hier und haben mich verhört. Sie glauben, es gibt gar keine Entführung, sondern nur einen Streit zwischen Thea und mir, bei dem ich sie …“

Die Mutter fuhr dazwischen.

„Hör auf damit! Das ist doch Unsinn. Jeder, der dich kennt, weiß doch, dass du keiner Fliege etwas antun kannst. Wie kommen die nur auf solche Ideen? Was, wenn der Entführer noch einmal anruft? Ist denn jemand bei dir geblieben?“

Erst jetzt wurde Behrens bewusst, dass das Gespräch von der Polizei mitgehört wurde. Seine Mutter hatte auf dem Festnetzanschluss angerufen.

„Mama, die Polizei hat eine Fangschaltung installiert und hört unser Gespräch mit.“

„Sollen sie doch, wir haben nichts zu verbergen“, reagierte sie trotzig. „Und noch was, Herr Kommissar: Anstatt meinen grundanständigen Sohn zu verdächtigen, kümmern Sie sich besser um die wirklichen Verbrecher, die seine Verlobte entführt und ihm das Geld weggenommen haben.“

Behrens waren die Sätze seiner Mutter unangenehm, gleichzeitig beschlich ihn die Angst, sie könnte etwas Falsches sagen und fiel ihr ins Wort.

„Mama, die Polizei ist doch erst am Anfang ihrer Ermittlungen, und sie müssen dabei allen Hinweisen nachgehen. Sie dürfen nichts ausschließen und machen nur ihre Arbeit. Was machen eigentlich deine Urlaubspläne? Sicher nie wieder Spanien. Lass uns nicht über Spanien reden! Ich will noch zum Hafen gehen, etwas frische Luft schnappen und melde mich morgen wieder.“

Seine Mutter hatte den Hinweis mit Spanien verstanden und antwortete nur kurz.

„Ist gut, mein Junge. So machen wir das und Kopf hoch. Es wird sich alles aufklären.“

Auf der Fahrt zum Präsidium unterhielten sich Spies und seine Kollegin Susemihl über den Fall, während der Techniker auf der Rückbank in Vorfreude auf das bevorstehende Wochenende seine Augen schon geschlossen hatte.

„Meinen Sie immer noch, der kleine Mann spielt nur Canasta? 10.000 Euro Lösegeld, was ist das überhaupt für eine Summe? Ich gehe jede Wette ein, dass wir nichts mehr von dem sogenannten Entführer hören werden“, legte sich Spies fest. „Mag sein, dass er kein eiskalter Killer ist, aber seine Geschichte hat so viele Ungereimtheiten … und dann das Blut auf dem Handy! Ich hoffe, Sie hatten fürs Wochenende noch keine großen Pläne. Wir müssen noch einige Interviews führen.“

Trotz der kurzen Zeit ihrer Zusammenarbeit kannte Susemihl ihren Kollegen so gut, dass sie sofort begriff, wer mit „wir“ gemeint war.

„Dann fahre ich morgen nach Kühlungsborn und spreche mit den Freundinnen und dem Hotelpersonal. Wäre es okay für Sie, wenn ich noch einmal alleine mit Behrens spreche?“, bat sie ihren Vorgesetzten um Erlaubnis.

„Das ist in Ordnung. Es scheint mir ohnehin, dass er mich gefressen hat. Vielleicht können Sie sich bei der Gelegenheit mehr Klarheit über seine wirtschaftlichen Verhältnisse verschaffen. Wir wissen immer noch nicht, wovon er lebt. Und was hat diese Thea eigentlich gemacht?“

„Dann mach ich das!“, bestätigte Susemihl.

Als Behrens die Strandpromenade Richtung Hafen ging, war diese fast leergefegt. Er erreichte das Restaurant „Riverboat“ und die Erinnerung an sein erstes Treffen mit Thea vor fast sieben Monaten holte ihn ein.

Tasuta katkend on lõppenud.

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