Loe raamatut: «Memory House»
Rachel Hauck zählt zu den besten amerikanischen Autorinnen zeitgenössischer Liebesromane. Sie ist Gewinnerin des Carol Awards und lebt mit ihrem Mann in Florida. Mehr unter: www.rachelhauck.com
RACHEL HAUCK
MEMORY HOUSE
Dein Leben wartet schon auf dich
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Antje Balters
Für Gary und Bonnie Stebbins, ihr seid Riesen im Reich Gottes.
Es ist mir eine Ehre, seit fast drei Jahrzehnten meinen Weg mit euch gemeinsam zu gehen.
Eure Treue ist einfach atemberaubend.
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
KAPITEL 1
Beck
Manhattan, New York
Noch nie hatte sie Angst im Dunkeln gehabt. Licht dagegen – Licht machte ihr Angst. Als jetzt der Tatverdächtige auf der düsteren Straße davonrannte, nahm sie ohne zu zögern die Verfolgung auf.
„Stehen bleiben, Polizei!“
Als Sergeant beim neunten Polizeirevier scheute Beck Holiday nie einen Kampf. Jedenfalls nicht, wenn er auf den Straßen von New York stattfand und im Namen von Recht und Ordnung geschah.
In der klirrenden Kälte der Silvesternacht in New York City hörte sie den Hall der Schritte ihres Kollegen und Streifenpartners hinter sich. Aber als der Verdächtige dann über einen Gitterzaun sprang, hinter dem sich ein betonierter Hinterhof befand, wurde Hogan langsamer.
„Vergiss es, Beck“, keuchte er schwer atmend. „Ich wünsche ihm ein gutes neues Jahr. Wir schnappen ihn uns beim nächsten Mal.“
Doch sie stützte sich mit beiden Händen auf dem Gitterzaun ab und übersprang – trotz des zusätzlichen Gewichtes, das sie am Gürtel ihrer Dienstkleidung mit sich herumschleppte – das ein Meter fünfzig hohe Hindernis mit Leichtigkeit.
Das Adrenalin in ihrem Blut machte sie zu Wonder Woman.
„Stehen bleiben, Polizei!“
Der Täter rannte auf eine Seitentür des heruntergekommenen Mietshauses zu, blieb dann aber mit der Fußspitze in einem Riss im Beton hängen, stolperte und ließ ein Bündel fallen, das mit einem dumpfen Aufschlag auf dem Boden landete. Beck schaute kurz nach unten, machte gleichzeitig einen Riesensatz darüber hinweg und setzte die Verfolgung des flüchtenden Verdächtigen fort.
„Nimm das Bündel mit, Hogan!“
Genau in dem Moment, als der schlaksige, blasse, unterernährte Tatverdächtige es bis zu der Tür geschafft hatte, bekam sie ihn hinten an der Jacke zu fassen, warf ihn mit dem Gesicht nach unten zu Boden, drückte ihm das Knie zwischen die Schulterblätter und rief: „Hände auf den Rücken!“
„Ich hab nichts gemacht.“ Er war jung, höchstens achtzehn. In letzter Zeit machten ihnen die ganz Jungen zu schaffen.
„Ach, nichts also … und wieso bist du dann weggerannt?“ Sie legte ihm Handschellen an, durchsuchte ihn nach Waffen und fand ein Messer, eine Crack-Pfeife und einen Beutel.
„Ich musste pinkeln.“
Beck ließ den Beutel vor seiner Nase baumeln und musste fast wegen des Gestanks, der daraus hervorkam, würgen. „Und das hier?“
„Das hab ich noch nie im Leben gesehen. Das haben Sie mir untergeschoben.“
Hogan hing an dem Gitterzaun fest, weil sich eins seiner Hosenbeine darin verfangen hatte. Fluchend riss er sich los, und sie hörte, wie der Stoff seiner Diensthose riss und er ächzend zu Boden fiel.
Seufzend senkte sie den Kopf, zog den Verdächtigen hoch auf die Füße und stieß ihn zu Hogan hin.
„Bring ihn schon mal zum Wagen. Ich schau mir den Beutel an.“
Im gelblichen Licht der Hausbeleuchtung konnte sie jetzt das Profil des Verdächtigen erkennen.
„Ach, wen haben wir denn da? Na, wenn das nicht Parker Boudreaux ist.“
Er war ein drogensüchtiger Jugendlicher von der schicken Upper West Side, der an diesem Feiertag offenbar nichts Besseres zu tun hatte, als Drogen zu verticken.
„So trifft man sich wieder, Sergeant Holiday“, sagte er und stolperte in Hogans Richtung. „Aber ich bin sowieso vor Mitternacht wieder draußen.“
Beck hatte keinen Zweifel daran, dass Boudreaux’ reicher Vater ihn rechtzeitig rausboxen würde, damit er das neue Jahr mit Champagner und einer Nase Koks begrüßen konnte. Aber fürs Erste hatte sie ihn am Schlafittchen.
Drei Mal hatte sie ihn schon festgenommen, weil er in Alphabet City mit Drogen gedealt hatte. Er arbeitete für einen gerissenen Dealer, hinter dem das neunte Revier schon seit Langem her war.
„Wissen deine Eltern, dass du hier bist und für deine nächste Dröhnung arbeitest? Was für eine Vergeudung von Potenzial, Boudreaux.“
Beck stand bei dem versteckten Drogenvorrat, den er hatte fallen lassen, und rechnete damit, ein paar hundert Milligramm Crack zu finden – immer ein ganz kleines bisschen zu wenig, als dass es als Straftat gewertet wurde.
„Ich hab nichts mit Drogen zu tun. Da müssen Sie mich verwechseln. Ich bin nur auf dem Weg zu einem Freund, der eine Silvesterparty schmeißt.“ Boudreaux stand gegen den Gitterzaun gelehnt da, während Hogan versuchte, das Tor zu öffnen. „Wenn Sie mir die Handschellen abnehmen, mach ich es für Sie auf“, sagte er.
Hogan ächzte, als er, die Taschenlampe unters Kinn geklemmt, heftig an dem Riegel zerrte.
Beck wartete und schaute zu. „Ruf den Super an, Hogan.“
„Du brauchst mir nicht meinen Job zu erklären, Holiday“, antwortete er darauf nur bissig.
Sie schaute ihm noch einen weiteren Moment zu und beugte sich dann hinunter zu Parkers widerlich stinkenden Jutebeutel. Es verstand sich wirklich von selbst, dass der Superintendent angerufen werden musste.
Aber Hogan war nun mal Hogan, ein Polizist vom alten Schlag, der mehr über Verbrechen und Donuts wusste als jeder andere Polizist, den sie sonst kannte.
Er hatte sie in der Praxis ausgebildet, ihr beigebracht, wie man den Job machte, und er war es auch gewesen, der ihr zugehört hatte, wenn sie die Welt nicht mehr verstand.
Doch eine schlimme Scheidung und Alkoholprobleme hatten ihn fast den Job gekostet. Er war erst vor Kurzem wieder aufs neunte Revier zurückgekehrt und wollte sich unbedingt rehabilitieren. Es fühlte sich seltsam für sie an, jetzt seine Vorgesetzte zu sein, obwohl sie erst seit etwas über einem Jahr Sergeant war.
„Hey, hübsche Polizei-Lady, wie wär’s, wenn Sie mich einfach laufen lassen?“ Boudreaux verlegte sich jetzt aufs Verhandeln. „Ich kann dafür sorgen, dass es sich richtig für Sie lohnt. Und seit wann ist es eigentlich verboten, einen Freund zu besuchen?“
Hogan bearbeitete den Riegel des Tores jetzt mit dem Schaft der Taschenlampe und ein paar deftigen Flüchen. „Glaub ja nicht, dass du mit so ’nem Gesülze weiterkommst – und schon gar nicht bei ihr“, sagte er zu dem Jungen.
Schon gar nicht bei ihr. Früher hätte das wahrscheinlich sogar gestimmt, aber in letzter Zeit hatte sie sich deutlich verändert. Sie hatte angefangen zu fühlen.
Plötzlich kamen ihr bei den kleinsten Kleinigkeiten die Tränen – zum Beispiel, wenn sich ein Kind verletzt hatte oder eine alleinerziehende Frau sich aus ihrer Wohnung ausgesperrt hatte, ganz zu schweigen von den wirklich harten Sachen wie einem Selbstmord oder wenn sie jemanden über den Tod eines Angehörigen informieren musste. Vor einem Jahr – ach was, noch vor einem halben Jahr – hatte sie so etwas noch mit einem Bier im Rosie’s abgeschüttelt.
Doch in letzter Zeit fiel es ihr immer schwerer wegzuschauen und die Unmenschlichkeit, das Absurde und die Verzweiflung abzuschütteln, die ihr auf der Straße begegneten. Diese neue Empfindsamkeit und das daraus resultierende Mitgefühl brachten sie durcheinander und gingen ihr ehrlich gesagt auch auf die Nerven.
„Du brauchst andere Freunde, Boudreaux“, sagte Beck, krempelte den völlig verdreckten Jutebeutel auf und ihr stieg der Geruch von … Exkrementen und Verwesung in die Nase. Sie schreckte zurück, hielt sich die Nase zu und erschrak, als sich der Beutel bewegte.
Mit einem Ruck zog sie ihre Hand zurück, richtete das Licht ihrer Taschenlampe in die Beutelöffnung und sah das schmutzige, wachsame Gesicht eines kleinen, grauen Hundes, der sie mit wässrigen Augen flehend ansah.
„Boudreaux!“, rief Beck entsetzt, ließ sich auf die Knie fallen, nahm den kleinen Hund vorsichtig aus dem abgenutzten Beutel und vor Mitgefühl kamen ihr die Tränen.
Der Hund winselte und jaulte auf, als sie seinen stark geschwollenen Brustkorb abtastete. Das völlig verfilzte Fell hob und senkte sich und das Tier kämpfte um jeden flachen Atemzug.
Sie würde ihn umbringen. Umbringen. „Ach, du süßes kleines Ding. Es tut mir so leid. So leid! Was hat er denn bloß mit dir gemacht?“ Aber das wusste sie eigentlich schon. Sie wusste es.
Sie strich dem Hund mit der Hand über den Rücken und konnte jede Rippe und jeden Knochen fühlen. Wieder jaulte der Hund auf, als sie seinen Bauch berührte. Der Geruch – nach Erbrochenem und Exkrementen – klebte in seinem Fell, an seiner Haut und stieg Beck in die Nase.
„Hey, Cop, der Hund gehört meinem Freund. Hören Sie mir eigentlich nicht zu?“
Beck stand jetzt auf und rückte den noch steifen Hosenbund ihrer neuen Diensthose zurecht. Sie hatte endlich kapituliert und sich eine größere Hose gekauft, um ihrem wachsenden Bauch mehr Platz zu verschaffen.
„Der Hund von deinem Freund also, ja?“
„Sie haben mich genau verstanden. Ich stottere ja nicht.“
Beck zitterte innerlich, obwohl sie die äußere Kälte gar nicht spürte, und ballte ihre Hand zur Faust. „Hast du ihn diese Plastiktüte schlucken lassen?“
Sie hielt einen Gefrierbeutel zwischen Daumen und Zeigefinger hoch, der genauso bestialisch stank wie der Hund.
„Welche Plastiktüte denn? Ich hab keine Tüte gesehen.“ Seine versnobte Betonung schürte ihren Zorn und ihre Verachtung noch mehr.
In dem Moment gab der Riegel des Gattertores endlich nach, Hogan taumelte rückwärts und ein abgebrochenes Stück Metall landete scheppernd auf dem Beton.
„Ach, sieh mal einer an, die Polizei beschädigt Privateigentum. Das ist doch eine Straftat, oder?“
„Los, auf geht’s“, sagte Hogan nur und zerrte Boudreaux zum Streifenwagen, während der lautstarke Protest des Jungen von den Wänden der umliegenden Gebäude widerhallte.
„Passen Sie bloß auf den Hund meines Freundes auf, Sergeant“, rief Parker, als er sich gleichzeitig gegen Hogans unnachgiebigen Griff wehrte. „Hey, Polizeigewalt!“
Hinter ein paar Fenstern des Mietshauses ging Licht an und irgendjemand rief etwas Unverständliches.
„So, jetzt ganz vorsichtig, mein Kleiner“, sagte Beck zu dem kleinen Hund, aber der jaulte wieder laut auf, als sie versuchte, ihn hochzuheben. „Was hat der fiese Boudreaux bloß mit dir gemacht?“
Wenn man den Hund anschaute, der nur aus Haut und Knochen bestand, dann war klar, dass er kurz vorm Verhungern war. Wieder kamen ihr die Tränen. Diese Art von Gefühlen kratzte an ihrer harten Fassade, an ihrer Gewohnheit, Dinge wie Zartheit, Fürsorge und Anteilnahme zu ignorieren. Sie hatte ihre ganz eigene Methode, mit ihren Gefühlen oder schmerzlichen Erinnerungen umzugehen – sie verdrängte sie. Ja, sogar besser noch, sie vergaß sie einfach.
Aus ihrer Seitentasche holte sie jetzt eine Flasche Wasser, drehte den Verschluss ab und gab dem Hund ein paar Tropfen auf die Zunge. Er schluckte sie und sie gab ihm noch etwas mehr.
„Auf jetzt, Beck, wir müssen los“, sagte Hogan zwischen den Stäben des Gitterzauns hindurch. „Ruf den Tierschutz an. Der kümmert sich dann schon um den Hund.“
Aber Beck reagierte gar nicht. Wie konnte sie den kleinen Hund denn jetzt allein lassen? Er würde mit Sicherheit sterben. Der erbärmliche Zustand des Kleinen berührte sie tief und machte ihr verkrustetes Herz ganz weich. Wo sie sonst früher hart und kontrolliert gewesen war, war sie jetzt weich und sehr emotional.
Die nächtliche Kälte senkte sich zwischen die Gebäude, und der Hund zitterte, sodass Beck ihre Jacke auszog und ihn damit zudeckte, bevor sie ihn mitsamt seinem Geruch nach Tod und Verwesung auf den Arm nahm.
Als sie aufstand und zum Tor ging, schrie das kleine Tier laut auf, und sie wollte verdammt sein, wenn das, was sie da auf ihrer Hand spürte, nicht Tränen des Hundes waren.
„Es tut mir leid. Es tut mir so leid, mein Kleiner. Ich kümmere mich um Hilfe. Bleib einfach bei mir. Drüben auf der Fünfzehnten ist ein Tierarzt …“
Im Inneren des Streifenwagens rief Boudreaux gegen die Fensterscheibe: „Das ist mein Hund. Hören Sie, nur weil Sie Polizistin sind, können Sie noch lange nicht einfach jemandem den Hund klauen.“
„Lebt er noch?“, fragte Hogan und warf einen Blick unter Becks Jacke.
„Nur noch ein ganz kleines bisschen.“ Beck fluchte und trat mit einer solchen Wucht gegen die Autotür, dass Parker zurückschreckte. „Hast du den Hund etwa die Drogen mitsamt der Tüte fressen lassen?“, fragte sie ihn wütend.
Jetzt nahm Hogan den jaulenden Hund auf den Arm und untersuchte ihn im Licht von Becks Taschenlampe etwas genauer. Sie streichelte ihm währenddessen über die Ohren, sagte, dass alles gut werde und kämpfte wieder mit den Tränen. Das Allerletzte, was sie Hogan oder Boudreaux zeigen wollte, war weibliche Emotionalität.
„Er ist wirklich in übler Verfassung, aber ich hab schon Schlimmeres gesehen. Er ist einfach schwach und hungrig“, sagte Hogan. „Hat wahrscheinlich eben die Tüte ausgeschieden. Würde mich nicht wundern, wenn Boudreaux ihm gerade die nächste Ladung verpassen wollte. Oder schlimmer noch, sie ihm in den …“
„So, das reicht!“ Beck zerrte Boudreaux an den Haaren vom Rücksitz des Streifenwagens, schleuderte ihn mit der Vorderseite des Körpers gegen den Wagen, bohrte ihm ihr Knie von hinten in seinen Oberschenkel und drückte sein Gesicht auf den Kofferraumdeckel. „Du glaubst also, dass dein Papi dich wieder rausboxen kann, was?“, fragte sie und knallte sein Gesicht auf das kalte Metall.
„So dürfen Sie mich gar nicht behandeln“, sagte Boudreaux und wehrte sich so heftig gegen ihren Griff, dass sie ihre gesamte Kraft brauchte, um ihn festzuhalten.
„Ach ja? Wer sagt das? Ich kann dich genauso behandeln, wie du den Hund behandelt hast.“ Jedes Molekül ihres Körpers war in Aufruhr. Wenn nicht sie die Schwachen und Wehrlosen verteidigte, wer sollte es dann tun?
„Sergeant.“ Hogan zog sie von dem Verdächtigen weg und klang wieder wie früher. „Setz ihn wieder ins Auto.“
Aber Beck schüttelte ihn ab. „Du hältst dich wohl für einen ganz tollen Typen, weil du Drogen vertickst, Boudreaux, was? Für wen, Vinny Campanile? Er ist das Böse in Person. Und wenn du kleine, unschuldige und wehrlose Tiere mit Drogen vollstopfst, ist das auch keine Garantie dafür, dass du am Leben bleibst oder er dafür sorgt, dass du nicht in den Knast kommst. Die Leute werden deinen Kopf fordern, wenn sie hören, was du getan hast.“
„Das ist doch nur ein räudiger Köter“, sagte Boudreaux abfällig und richtete sich gerade so weit auf, dass er in ihre Richtung ausspucken konnte.
„Der steht immer noch über der Gosse, in der du lebst“, bemerkte sie dazu nur.
„Okay, wir haben unseren Spaß gehabt“, sagte Hogan jetzt, schob sie aus dem Weg und drehte den Jugendlichen wieder in Richtung der offenen Streifenwagentür. „So, Boudreaux, du steigst jetzt ins Auto und hältst den Mund.“
Doch Parker lachte nur gackernd und schnauzte dann Beck an: „Es ist nur ein Köter. Ein stinkender Köter, den keiner haben will. Ich hatte eigentlich vor, ihn zum Abendessen zu grillen.“
Außer sich vor Wut ging Beck auf Parker los und schlug ihm mit der Faust mitten ins Gesicht. Boudreaux schrie auf, torkelte nach vorn und schlug mit dem Kopf gegen die Kante der Autotür.
„Sergeant …“ Hogan schob sie zurück und packte sie mit der Faust am Kragen, aber der Hund auf seinem linken Arm war ihm dabei im Weg und Beck war zu schnell.
„Das ist für den Hund“, schnauzte Beck, die jetzt über Parker stand und ihm ihren Stiefel in die Rippen rammte. Als er sich krümmte, rammte sie ihm auch noch das Knie gegen die Nase. „Und das ist dafür, dass du dein Leben sinnlos vergeudest.“ Dann nahm Beck Hogan den kleinen Hund ab und flüsterte ihm in sein Schlappohr. „Du bist in Sicherheit.“
„Sergeant …“ Hogan half Boudreaux vom Bürgersteig auf und schob ihn in den Streifenwagen. „Ich hab dir gesagt, du sollst den Mund halten“, wiederholte er, schlug die Tür zu und jagte Beck zur Melodie von Parkers gedämpften Beschwerden hinterher.
„Rede mit mir, Beck. Was ist los?“
„Ich bringe das arme Tier jetzt in die Tierklinik in der Fünfzehnten Straße“, antwortete sie und wurde mit jedem Schritt schneller. Noch nie hatte sie so sehr das Gefühl gehabt, im Recht zu sein.
Aber Hogan zog sie energisch zurück und sagte: „Wir haben Boudreaux. Das ist seine vierte Festnahme und dieses Mal liefert er uns Vinny bestimmt ans Messer. Ein guter Jahresbeginn für uns. Wir brauchen diesen Erfolg. Ich brauche ihn. Komm bitte mit mir zurück aufs Revier. Dann decke ich dich auch in Bezug auf das, was gerade vorgefallen ist.“
„Was willst du decken? Dass ich ihm gegeben habe, was er verdient hat?“ Aber sie wusste genau, was er meinte. Jemanden zu schlagen, der bereits in Handschellen war, war das schlimmste Dienstvergehen. Sie spürte schon jetzt förmlich den Stress, der auf sie zukam.
„Tu, was du tun musst. Ich sorge jedenfalls jetzt erst einmal dafür, dass der Hund Hilfe bekommt.“
„Warte doch, Beck“, sagte Hogan und klang jetzt eher wie ein Vater als wie ihr Streifenpartner.
„Was ist denn eigentlich in dich gefahren? So was hat dich doch sonst nicht dermaßen aus der Fassung gebracht. Eigentlich hast du dich doch immer ganz gut im Griff.“
Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. „Das … das ist auch immer noch so. Aber vielleicht haben sich einfach meine Prioritäten geändert.“ Dann hob sie trotzig das Kinn und fuhr fort: „Kann man sich nicht auch mal ein bisschen verändern?“
„Doch, klar kann man das, aber nicht, wenn es um die Dienstvorschriften geht. Seit dem Tag, an dem ich dich kennengelernt habe, hast du dich immer an die Vorschriften gehalten.“
„Na, dann müssen vielleicht die Vorschriften geändert werden.“
Bis zum letzten Sommer war ihr dieses Leben eigentlich immer recht gewesen. Sie hatte sich in der Alltagsroutine und ihrer Identität als Polizistin eingerichtet. Damals war ein neun Monate langer Undercover-Einsatz geplatzt, bei dem eigentlich Drogendealer wie Boudreaux und Vinny Campanile festgenommen werden sollten.
Nach dem missglückten Zugriff hatte sich das ganze Team noch im Rosie’s getroffen, um den Frust zu ertränken, und sie hatte …
„Was ist?“, fragte sie, als ihr Blick durch das gespenstische Licht der Straßenlaternen und dem gelblichen Licht aus den Wohnungen auf seinen traf, die Hupen und Motorengeräuschen der Autos im Hintergrund.
„Nichts“, antwortete Hogan und blinzelte in ihre Richtung. „Du bist mir nur gerade kurz so verändert vorgekommen.“
„Ich bin immer noch die Alte, aber ich werde diesen Hund nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Bring du Boudreaux aufs Revier. Die Festnahme geht auf dich – das ist mein Neujahrsgeschenk für dich –, und ich gehe zum Tierarzt.“ Sie wirbelte herum, als der Hund gequälte Schmerzenslaute ausstieß, und eine kalte Träne lief ihr seitlich an der Nase herunter.
Zuerst waren ihre Schritte zaghaft und unentschlossen, während sie die Avenue entlangging. Ihre Handknöchel taten immer noch weh, aber als sie abwechselnd durch breite Streifen Licht und Dunkelheit ging, wurde sie immer zuversichtlicher und sicherer. Der schwache und erschöpfte kleine Hund schmiegte sich an ihre Brust, und ihr war, als trüge sie ein Stück ihrer eigenen Seele auf dem Arm.