Loe raamatut: «Das Hatschepsut-Puzzle»
Die Inschrift wünscht Hatschepsut, alles Leben, alle Dauer und alles Glück'. Luxor, Karnak-Tempel, Open-Air-Museum, Rote Kapelle der Hatschepsut.
„Salute some new conclusion
Which all of us have missed.”
Leonard Cohen
A Street, 2014
„Hatschepsut, solange der Himmel existiert, existierst auch du!”
Verehrungstempel der Hatschepsut,
Theben-West, Deir el-Bahari,
Hathor-Kapelle
MICHAEL HÖVELER-MÜLLER (Hrsg.)
Das
Hatschepsut-Puzzle
Die Pharaonin und ihr rätselhafter Flakon – hautnah
mit Beiträgen von
HELMUT WIEDENFELD, DONALD P. RYAN und ZAHI HAWASS
160 Seiten mit 64 Abbildungen
Titelbild: Seated Statue of Hatshepsut as King, bpk | The Metropolitan Museum of Art
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2015 Nünnerich-Asmus Verlag & Media, Mainz am Rhein
ISBN E-Pub 978-3-945751-25-1
Gestaltung: Manuela Wirtz, www.manuwirtz.de
Lektorat: Mascha Schnellbacher, Antonia Pohl, Natalia Thoben
Gestaltung des Titelbildes: Sebastian Ristow
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten.
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
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Inhalt
Cover
Zitate
Titel
Impressum
– Danke!
Statt einer Einführung: Warum ein weiteres Buch über Hatschepsut?
Hatschepsut
Die Pharaonin in neuem Licht von Michael Höveler-Müller
KV 60 – Ein rätselhaftes Grab im Tal der Könige von Donald P. Ryan
Die Entdeckung der Mumie von Königin Hatschepsut von Zahi Hawass
Der Flakon
Das Fenster zur Pharaonin von Michael Höveler-Müller
Dem Inhalt des Flakons auf der Spur von Helmut Wiedenfeld
Das letzte Wort ... von Michael Höveler-Müller
Anhang
Anmerkungen
Abbildungsnachweis
Literatur (in Auswahl)
Abkürzungen
Epochen und Dynastien
Weitere Bücher
Danke!
Im Ägyptischen bedeutet „danken“ dw3-ntr (gesprochen: „dua-netscher“) so viel wie „Gott preisen“. Ich habe an dieser Stelle Gott für eine ganze Reihe von Menschen zu preisen, denn die Veröffentlichung des „Hatschepsut-Puzzles“ war zwar seit 2011 geplant, aber ohne das Zutun der folgenden Personen hätte es nicht realisiert werden können.
Ich hatte zwischen 2011 und 2013 mit diesem Projekt an so ziemlich jede Verlagstür in Deutschland geklopft, aber die Antwort war jedes Mal abschlägig und die Begründung immer dieselbe: „Hatschepsut ist einfach nicht bekannt genug. Und das, was über sie geschrieben wurde, reicht bereits aus.“ Erstens empfand ich das nicht so und zweitens könnte man dann mit diesem Buch ja etwas zur Steigerung ihrer Bekanntheit tun, argumentierte ich. Schließlich konnte ich unsere Forschungen nicht Tutanchamun unterschieben, nur weil die Welt scheinbar nicht satt wird an Büchern über ihn. Aber meine Einwände halfen nichts und langsam befürchtete ich, dass ich das „Hatschepsut-Puzzle“ würde allein puzzeln müssen, dabei war die Geschichte so gut und die Forschungsergebnisse so aufregend, dass man sie einfach mit vielen Interessierten teilen musste. Dann erfuhr ich schließlich über eine gemeinsame Bekannte, dass Dr. Annette Nünnerich-Asmus, die Verlegerin, die 2005 mein erstes Buch „Am Anfang war Ägypten“ herausgebracht hatte, inzwischen einen eigenen Verlag gegründet hat. Sofort meldete ich mich bei ihr und rannte offene Türen ein. So kam es, dass „meine Hatschepsut“ schließlich doch noch ein Zuhause fand – in einem neuen Verlag, in dem ich mich fantastisch betreut fühlte. Und so gilt mein erster Dr. Annette Nünnerich-Asmus, Mascha Schnellbacher M. A. und Natalia Thoben M. A., stellvertretend für die vielen an der Produktion beteiligten, fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Nünnerich-Asmus-Verlags für die Möglichkeit, meine Sicht auf Hatschepsut mit vielen Menschen teilen zu dürfen.
Meinen drei Mitstreitern in diesem Buch möchte ich herzlich danken: Dr. Helmut Wiedenfeld (Bonn), der schon seit 2009 das „Flakon-Abenteuer“ mit mir besteht, und der dem Gefäß seine verborgenen Geheimnisse entlockt hat; Dr. Donald P. Ryan (Tacoma, Washington), der 1989 die mutmaßliche letzte Ruhestätte der Hatschepsut erneut lokalisiert hat, nachdem sie über 80 Jahre lang verschollen gewesen ist; und Dr. Zahi Hawass (Kairo), der das Forschungsteam leitete, das 2007 die noch in dieser Grabanlage befindliche Mumie als die der Hatschepsut identifizierte und danach untersuchte. Sie alle haben dieses Buch durch die Preisgabe ihrer Forschungsergebnisse bereichert und erheblich zum Zusammensetzen der Puzzlesteine beigetragen.
Ohne den heutigen Eigentümer des Flakons der Hatschepsut, einem privaten Sammler aus Deutschland, hätten wir alle nichts zu forschen und zu schreiben gehabt. Mein tief empfundener Dank gilt deshalb ihm und seiner Familie für die Publikationserlaubnis und das Vertrauen, das sie alle in mich gesetzt haben.
Wertvolle Hinweise zu Hatschepsuts Krankheiten, der Untersuchung ihrer Mumie und zu ihrer letzten Ruhestätte im Grab ihrer Amme verdanke ich Dr. Carsten Pusch (Tübingen), Dr. Yehia Gad (Kairo) und Dr. Donald P. Ryan (Tacoma, Washington). Karlheinz Weiler (Hemsbach/Bergstraße) sei für die Übersetzung des Beitrags von Zahi Hawass gedankt und für tapferes Korrekturlesen bin ich wieder meiner lieben Frau Nadine Höveler, die ebenfalls eine große Verantwortung bei der Bildauswahl übernommen hat, zu großem Dank verpflichtet.
Ihnen – und vielen weiteren Personen, die hier gar nicht alle einzeln aufgeführt werden können – !
Michael Höveler-Müller
www.faszination-hieroglyphen.de
Statt einer Einführung: Warum ein weiteres Buch über Hatschepsut?
Der ehemalige Direktor des Ägyptischen Museums Berlin, Prof. Dr. Dietrich Wildung, sagte einmal während eines Vortrags: „Vielleicht ist schon alles einmal geschrieben worden, aber noch längst nicht von jedem.“
Das in dieser Aussage indirekt formulierte Recht nehme ich mir für das vorliegende Buch augenzwinkernd ebenfalls heraus. Es ist aber keine reine Biografie der Hatschepsut – dazu liegen tatsächlich bereits etliche vor. Es ist eine Annäherung an den Menschen Hatschepsut.
An die Persönlichkeiten der meisten Pharaonen kommen wir heute nicht mehr heran, weil sie sich hinter dem Ornat, dem Protokoll, den Konventionen und Reglements ihres Amtes verstecken. Sie sind wenig individuelle Bausteine in der beeindruckenden Kontinuität des ägyptischen Pharaonentums. Nur einige Persönlichkeiten waren derart stark, dass das königliche Korsett sie nicht einzuengen vermochte – zu diesen zählten Amenophis IV., der sich Echnaton nannte, Ramses II. und eben Hatschepsut. Doch während Abhandlungen über die beiden Erstgenannten ganze Bücherwände füllen (etwa ein Drittel der gesamten ägyptologischen Literatur über die mehr als 3.000 Jahre währende pharaonische Kultur befasst sich mit der lediglich 17-jährigen Herrschaft des Echnaton, der sog. Amarnazeit), ist die Literatur über Hatschepsut noch durchaus überschaubar.
Die jüngere Vergangenheit war reich an Entdeckungen zum Thema „Hatschepsut“: 2007 konnte in Ägypten überraschend eine seit über 100 Jahren bekannte Mumie als die sterbliche Hülle der großen Pharaonin identifiziert werden, nachdem man lange Zeit der Meinung gewesen war, dass ihre Leiche nicht mehr existiere. Und in Bonn war es mir als ehemaligem Leiter des dortigen Ägyptischen Museums vergönnt, die Untersuchung eines einzigartigen Flakons (Abb. 1) mit dem Namen der Hatschepsut in Gang zu setzen, die uns ein großes Stück näher an den Menschen Hatschepsut herangebracht hat.
Wie ein Puzzle setzen sich die einzelnen Analysen zu Hatschepsut zusammen und es stellte sich heraus, dass der Flakon sogar einer der zentralen Puzzlesteine ist, denn er schließt an viele andere an und hilft dabei, ein klareres, deutlicheres, intensiveres, sensibleres und unmittelbareres Bild der berühmten Königin zu zeichnen, als es zuvor möglich war. Heute können wir Hatschepsut sehr realistisch und menschlich erkennen, wir können einen Blick hinter die ansonsten stereotype Fassade der ägyptischen Pharaonen werfen und begegnen einer Frau, die an der Macht zerbrach.
Abb. 1 Der Flakon mit der Namenskartusche der Pharaonin Hatschepsut befand sich zwischen 1998 und 2012 unter der Inventar-Nr. L 943 im Ägyptischen Museum der Universität Bonn. Er war durch einen Lehmverschluss, der als „Dreck“ missinterpretiert worden war, original verschlossen. In seinem Innern befanden sich Reste des ursprünglichen Inhalts, die zwischen 2009 und 2011 naturwissenschaftlich untersucht wurden. Höhe: 11,8 cm; maximale Breite: 3,3 cm.
Ich habe mit diesem Buch versucht, die Palasttore aufzustoßen und Hatschepsut ohne Make-up in ihren Privatgemächern aufzusuchen. Mit viel Empathie bin ich der berühmten Pharaonin von ägyptologischer Seite nahegekommen und hatte dabei unschätzbare Unterstützung von naturwissenschaftlicher Seite. Und plötzlich zeigte sich Hatschepsut als verletzlicher und sogar verletzter Mensch. Hatschepsut ungeschminkt. Hatschepsut hautnah. Eine Frau, die – nicht grundlos! – einen Schritt weiter gegangen war als jede Frau vor ihr, und die dafür einen extrem hohen Preis zu bezahlen hatte.
Neue Betrachtungen, neue Ideen und neue Fragestellungen lassen auch die bislang als bekannt geltenden Fakten vielfach in einem völlig neuen Licht erscheinen. Die Auslotung neuer Möglichkeiten bietet eine ganz persönliche Sicht auf die Frau unter der Doppelkrone.
War sie tatsächlich machtbesessen? Eine Despotin? Ich muss zugeben, dass ich sie früher für eine solche hielt, und auch die Meinung teilte, die einmal ein ägyptischer Inspektor auf der Grabung in Qantir, an der ich teilgenommen hatte, schnörkellos zusammengefasst hat: „She was a bitch!“ Heute sehe ich das anders, denn ein kleiner Flakon, der damals im Ägyptischen Museum in Bonn ausgestellt war, brachte mich dazu, sehr nahe an diese besondere Frau herankommen zu wollen.
Jahrelang habe ich mich mit Hatschepsut beschäftigt, ihre Hinterlassenschaften studiert, über schwer interpretierbaren Inschriften gebrütet und bin zu den Schauplätzen ihres Wirkens gereist. Inzwischen bin ich zu einer gegensätzlichen Überzeugung gelangt, denn ich habe sie als einen völlig anderen Menschen kennengelernt, als der, der die Geschichtsbücher beherrscht.
Ich zitiere immer wieder gerne eine Aussage von Leonard Cohen: „Es gibt keine Heiligen. Wir sind alle nur Pfadfinder.“ Es gibt keine absolute Wahrheit in Bezug auf das alte Ägypten, es gibt nur ägyptologische Pfadfinder, die Ihnen das Konzept von der Wahrheit anbieten, das ihnen selbst am sinnvollsten erscheint. In diesem Sinne lade ich Sie ein, mich auf den Weg zu begleiten, den ich zu Hatschepsut, der „Edelsten von allen“, gefunden habe.
Einiges war über sie bekannt, aber offenbar nicht genug, um sie als sog. erste Riege der heute gefeierten Herrscherpersönlichkeiten des Alten Ägypten zu zählen. Noch immer laufen ihr Echnaton, Nofretete und Tutanchamun – aus ihrer eigenen Familie – diesen Rang ab: Hatschepsut wird nicht wie Echnaton, einer ihrer Nachkommen, (übrigens völlig zu Unrecht!) mit der Durchsetzung eines monotheistischen Glaubens in Verbindung gebracht. Von Hatschepsut existiert keine bunte Büste wie von Nofretete, die ein völlig ebenmäßiges und zeitloses Schönheitsideal verkörpert. Auch wurde Hatschepsuts Grab nicht wie das des Tutanchamun fast völlig unberührt vorgefunden und blendete die Welt auch nicht mit seinem Goldglanz.
Hatschepsuts Leben und Schicksal unterscheiden sich vollkommen von denen der genannten Persönlichkeiten: Ihre Reformen setzen sie nicht (fälschlicherweise) in eine Reihe mit den großen Stiftern der Weltreligionen, ihre Darstellungen rauben der Welt nicht den Atem, ihre Schätze blenden die Menschen keinesfalls. Aber was wir von Hatschepsut besitzen, ist eine Kostbarkeit, die die Schätze des Tutanchamun und die konstruierte Schönheit der Nofretete zu blassen Schatten werden lässt: In der Gestalt eines auf den ersten Blick vielleicht unscheinbar wirkenden Gefäßes (vgl. Abb. 1) hat ein Objekt aus ihrem Besitz die Zeiten überdauert. Nach interdisziplinären Untersuchungen von Ägyptologie, Anthropologie, Archäometrie, Genforschung, Pharmazie und Medizin spricht dieses eine Gefäß inzwischen mehr als alles Gold aus dem Grab des Tutanchamun und öffnet uns dadurch ein Fenster in die Zeit und mitten hinein in das Leben der ersten Pharaonin der Weltgeschichte. Es ist der Kronzeuge in einer kriminalistischen Spurensuche.
Abb. 2 Pharaonin Hatschepsut blickt in ihrem Verehrungstempel zwischen zwei Pfeilern mit dem Kopf der Göttin Hathor in Richtung des großen Amun-Tempels von Karnak, jenseits des Nils. Luxor, Theben-West, Deir el-Bahari.
Hatschepsut – schon allein der Name beflügelt die Fantasie und scheint in sich alle Geheimnisse eines Ägyptens der Pharaonenzeit zu bergen.1 Er steht für kaum vorstellbaren Mut, für Selbstbewusstsein, Stolz und Trotz, für Zielstrebigkeit, Pflichtbewusstsein und für selbstaufopfernde Liebe. Und er steht für eine beispiellose Persönlichkeit – für die mächtigste Frau der antiken Welt.
Zu Lebzeiten hatte Hatschepsut die Menschen polarisiert und nach ihrem Tod wurde sie dafür – nach altägyptischer Weltanschauung – vernichtet.
Die Ägypter löschten das Andenken an Menschen aus, die gegen ihre Weltordnung, die Maat, verstoßen hatten, damit sie nicht in der Erinnerung der Zukunft weiterleben würden. Die Einnahme des pharaonischen Throns durch eine Frau war definitiv ein Verstoß gegen die Maat. Was Hatschepsut gewagt hatte, musste sie bitter bezahlen – mit der höchsten im Alten Ägypten denkbaren Strafe: der Auslöschung der Erinnerung an sie. Ihre Gebäude wurden geschliffen und in anderen Bauwerken verbaut, ihre Statuen wurden zerschlagen (Abb. 2), ihre Obelisken niedergerissen oder eingemauert, ihre Namen zerkratzt. Die königlichen Annalen führten sie nicht.
Hatschepsut wurde nach ihrem Tod vergessen. Dunkelheit legte sich über das Andenken an diese mutige Frau, die so viele Innovationen für Ägypten auf den Weg gebracht hatte. „Und was nicht in Vergessenheit hätte geraten dürfen, ging verloren. Geschichte wurde Legende, Legende wurde Mythos“, heißt es in J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“, aber Hatschepsut lebte in diesem Mythos nicht weiter. Die Welt hatte diese mutige Frau vergessen und es war, als ob es sie nie gegeben hätte.
Abb. 3 Der Verehrungstempel der Hatschepsut im frühen 20. Jh., nicht lange nach seiner Wiederentdeckung. Luxor, Theben-West, Deir el-Bahari.
Erst am Ende des 19. Jhs. christlicher Zeitrechnung – rund 3.300 Jahre nach ihrem Tod – stieß man in Hatschepsuts stark verfallenem Verehrungsstempel auf dem Westufer der heutigen Stadt Luxor (Abb. 3) auf die Überreste ihrer Hinterlassenschaften. Die Entdecker waren überrascht, dass man hier offenbar einen Pharao vor sich hatte, den die Geschichte nicht erwähnt hatte – und der außerdem einen eigentümlichen Namen mit einer weiblichen Endung besaß! Langsam begann man angesichts der Trümmer von Gebäuden und Bildwerken zu erahnen, dass bei diesem König offenbar mehr als nur der Name weiblich war … Ein ähnliches Erstaunen, das um 1490 v. Chr. die Landung eines weiblichen Falken auf einem bis dahin seit mehr als 2.000 Jahren fest in Männerhänden befindlichen ägyptischen Throns bei den Ägyptern ausgelöst haben dürfte, hat wohl auch die Forscher erfasst. Wie konnte das sein? Die weiteren Entdeckungen bestätigten die zunächst noch zögerlich geäußerten, vorsichtigen Vermutungen: Einige der zerschlagenen Statuen zeigten einen Pharao mit besonders zarten Gesichtszügen und Brüsten (s. Titelbild) – König Hatschepsut war eine Frau!
HATSCHEPSUT
„Ich habe vorher bedacht, was die Menschen reden werden.“
Die Pharaonin in neuem Licht
von Michael Höveler-Müller
Hatschepsut brach nicht radikal mit allen Regeln, die die ägyptische Kultur aufgestellt hatte – sie ging nur einen Schritt weiter als die Frauen vor ihr. Die dynastische Regelung, dass „Große königliche Gemahlinnen“, die Hauptfrauen eines Königs, zwischen dem Tod des Ehemanns und der politischen Reife des Sohnes übergangsweise die Regierungsgeschäfte am Nil übernehmen sollten, ist älter als die Pyramiden. Zudem waren die Ägypter an Zeiten temporärer matriarchalischer Machtausübung durchaus gewöhnt und Frauen, die vorübergehend auf dem Königsthron Platz nahmen, waren ihnen nicht fremd: Spätestens in der Frühdynastischen Zeit (um 3000 v. Chr.) erkennen wir, rund 1.500 Jahre vor Hatschepsut, in der Königin Merit-Neith eine mächtige Frau, die offenbar die Geschicke des Landes nach dem Tod ihres Mannes Djer und vor dem Heranwachsen ihres Sohnes Den gelenkt hatte. Im Alten Reich (ca. 2707 – 2202 v. Chr.) sehen wir gleich eine ganze Reihe außergewöhnlicher königlicher Frauen mit ungewöhnlichen Machtbefugnissen – unter ihnen Chenet-kau-es I. und II. sowie Anch-en-es-Pepi II.
Herodot berichtet sogar von der Regierung einer Frau am Ende des Alten Reiches: „Unter allen diesen Königsgeschlechtern befand sich … eine einzige Frau. … Sie rächte, wie es heißt, ihren Bruder, der vor ihr König war und den die Ägypter ermordeten, wodurch sie selbst auf den Thron gelangte.“ (Herodot, Historien II, § 100) Doch diese Herrscherin („Nitokris“) hatte es nie gegeben. Von der real existierenden Hatschepsut hingegen ist Herodot auf seiner Reise nichts berichtet worden, denn ihr Name bzw. ihr Geschlecht war ja erfolgreich aus den Annalen getilgt worden.
Im Mittleren Reich (ca. 2014 – 1794 v. Chr.) war es Neferu-Sobek, die am Ende der 12. Dynastie versuchte, das Herrscherhaus nach dem Tod ihres Bruders und Gemahls Amenemhet IV. vor dem Untergang zu bewahren.
Lange vor Hatschepsuts Regierung hatten also bereits einige Male Frauen die Regierungsgeschäfte übernommen. Zugegeben, vor dem Hintergrund der langen Zeitspanne von nahezu 2.000 Jahren ist die Zahl nicht besonders hoch, aber sie zeigt uns, dass die alten Ägypter – schon allein historisch bedingt – offenbar kein Problem damit hatten, vorübergehend von einer Frau regiert zu werden.
Der Beginn einer neuen Epoche: Das Neue Reich wird geschmiedet
Verschiedene Umstände führten dazu, dass die Zentralgewalt der Könige am Ende des Mittleren Reiches kollabierte und die sog. Hyksos eine nahezu 100 Jahre andauernde Fremdherrschaft über große Teile des gespaltenen Landes ausüben konnten. Die Hyksos kamen aus dem Norden und ihre heutige Bezeichnung geht auf den schon im pharaonischen Zeitalter verwendeten Sammelbegriff Heqau-chasut („Herrscher der Fremdländer“) zurück. Bereits während der 12. Dynastie (ca. 1976 – 1794 v. Chr.) kamen sie nach Ägypten und setzten sich im Delta fest. Als die Schwäche des ägyptischen Königtums seinen Höhepunkt erreicht hatte, die Hauptlinie des amtierenden Herrscherhauses mangels Nachkommenschaft dynastisch erloschen war und rund 50 Jahre andauernde Thronwirren das inzwischen zersplitterte Land ins Chaos gestürzt hatten, schlug die Stunde der Fremden. Die Hyksos dehnten ihre Macht über das Delta aus und regierten als 15. Dynastie. Ihre Vasallen waren Kleinfürsten in Mittelägypten, die heute als zeitgleiche 16. Dynastie bezeichnet werden. Die Opposition befand sich im Süden des Landes: Der Fürst des vierten oberägyptischen Gaues regierte ein Gebiet, das von der Südgrenze des Reiches bei der Nilinsel Elephantine bis tief nach Mittelägypten hinein reichte.2 Er weigerte sich, die bestehenden Machtverhältnisse anzuerkennen und hatte die (ebenfalls zeitgleiche) 17. Dynastie ausgerufen. Offenbar wurde dieser Status quo von den ausländischen Herrschern im Norden zunächst anerkannt, denn es gab keine direkten Konfrontationen, sondern alles deutete auf ein gegenseitiges laisser-faire hin. Die Hyksos durften die südlichen Steinbrüche nutzen und durch Oberägypten Handel mit Nubien treiben (HÖVELER-MÜLLER 2013: 157).
Erst unter Seqen-en-Ra Taa,3 einem Fürsten der südlichen 17. Dynastie, scheint ein vielleicht bis dahin unterschwellig schwelender Konflikt offen zutage zu treten und regelrecht zu eskalieren. Spätere Geschichten überliefern den Hyksos-Herrscher Apophis als üblen Aggressor, der keine Provokation ausließ, um Seqen-en-Ra herauszufordern. Ein Bote aus dem Norden erreichte Seqen-en-Ra im südlichen Theben, das hier als die „südliche Hauptstadt“ bezeichnet wird:
„Es ist König Apophis, der dir folgende Botschaft sendet: ‚Sorge dafür, dass man den Kanal der Nilpferde stilllege, der im Osten der (südlichen) Hauptstadt liegt! Denn sie lassen den Schlaf bei Tag und bei Nacht nicht zu mir kommen.‘ Denn der Lärm, den sie machen, erfüllt Seine Ohren.‘ … Schließlich sagte der Fürst der südlichen Hauptstadt zu ihm: ‚Sollte denn dein Herr etwas von dem Kanal der Nilpferde gehört haben, der im Osten der südlichen Hauptstadt liegt? … Kehre zurück zu König Apophis, deinem Herrn, und melde ihm: ‚Alles, was du mir gesagt hast, tue ich!‘ So sollst du ihm sagen.‘‘ (BRUNNER-TRAUT 1991: 196 f.)4
Der Bote kehrte nach Auaris, der nördlichen Hauptstadt im Ostdelta, zurück, in der die 550 km (Luftlinie) entfernten Nilpferde des Seqenen-Ra Apophis den Schlaf raubten (Abb. 4). Der Text gibt klar an, dass Apophis seinen südlichen Gegenspieler zu provozieren gedachte, aber nicht gewusst hatte, wie. Seine Berater hatten ihm die Idee mit den Nilpferden vorgeschlagen, die neben der offensichtlichen und banalen eine zweite, tiefergehende Dimension hatte: Apophis huldigte nach Aussage des Textes dem (bösen) Gott Seth und Nilpferde waren Tiere dieses Gottes. In Theben wurden sie gehalten und wahrscheinlich rituell gejagt. Man erkennt, dass offenbar sowohl gewöhnliche als auch ideologische Diskrepanzen zwischen den beiden Machthabern den vordergründig politischen Konflikt noch geradezu befeuerten. Nach einiger Zeit wurde ein weiterer Bote von Apophis an den Hof des Seqen-en-Ra gesandt, doch leider endet hier die Abschrift des Textes, sodass wir nicht wissen, wie die Geschichte in der Erinnerung des Volkes weiterlebte. Wir wissen nur, dass Seqen-en-Ra schließlich gegen die Fremdherrscher in den Krieg zog. Vermutlich wurde er gefangen genommen oder verschleppt und im Verborgenen brutal hingerichtet: Seine entstellte Mumie zeigt, dass er kniete, als eine Streitaxt in seinen Schädel geschlagen wurde, liegend erlitt er tiefe Hiebe von Waffen, die vier verschiedene Männer geführt haben müssen. Noch heute ist zu erkennen, dass sich die Arme und Hände in einer Abwehrhaltung vor dem Kopf befinden. Danach wurde er tot zurückgelassen, Tierfraß und einsetzende Verwesung konnten ihr Zerstörungswerk beginnen, bevor die Seinen ihn fanden. Wenn er auf dem Schlachtfeld gestorben wäre, hätte man sich unverzüglich darangemacht, seine sterblichen Überreste zu konservieren. Doch seine Mumifizierung begann erst, nachdem der Verwesungsprozess schon fortgeschritten war.
Abb. 4 Ägypten und seine Nachbarländer.
Mit dem Tod Seqen-en-Ras war der Befreiungskampf der Thebaner zunächst verloren, doch das Einigungswerk war eingeleitet und sollte durch seine Nachfolger weitergeführt und vollendet werden. Diese waren zunächst Kamose und nach dessen Tod Ahmose (Abb. 5).
Kamose, vermutlich der Bruder5 des gefallenen Seqen-en-Ra, ließ auf zwei Stelen, die im Hauptheiligtum des Gottes Amun im heutigen Dorf Karnak bei Luxor aufgestellt wurden, seine diesbezüglichen Erfolge festhalten.6 Der Gott Amun (Abb. 6) war von seiner Natur her ein Windgott, auf dessen ursprüngliche Funktion seine Krone mit den beiden hohen Federn hinweist, in denen die Bewegungen des Windes sichtbar werden. Sein Name bedeutet „der Verborgene“, was eine hervorragende Beschreibung für den Wind ist. Amun war etwa um 2014 v. Chr. der Gott der Einheit und sogar zum Reichsgott geworden, als Mentu-hotep II. rund 470 Jahre zuvor das politisch und verwaltungstechnisch zersplitterte Reich erfolgreich wieder zusammenführte. Dieser Erfolg wurde zu einem großen Teil dem Gott Amun zugeschrieben, der in dieser Zeit ein Heiligtum in der Nähe des heutigen Dorfes Karnak erhielt. Es war ein Gebiet, das vorher vom thebanischen Kriegsgott Month und vermutlich von Kulten für Widder und Gänse geprägt war. Im Laufe der Zeit wurde Amun der beherrschende Gott dieses Areals, Widder und Gänse wurden zu seinen heiligen Tieren und Month erhielt einen separaten Tempelbereich nördlich des sich stetig entwickelnden Hauptheiligtums von Karnak. Auch während der Geburtswehen zur neuerlichen Einheit des ägyptischen Staates war Amun der Schutzpatron der thebanischen Bemühungen, deren Teilerfolge ihm zu verdanken waren.
Abb. 5 Modifizierter und vereinfachter Stammbaum der 17./18. Dynastie.
Abb. 6 Amun war als Reichsgott, also höchster Gott des ägyptischen Pantheons, auch der Gott der neuerlichen Einheit Ägyptens. Luxor, Karnak-Tempel.
Nach Aussage der Stelen des Kamose eroberte dieser strategisch bedeutsame Städte und drang immer tiefer in das Gebiet der ägyptischen Vasallen der Fremdherrscher vor. Seine Siege erschütterten die Hyksos-Treuen, die erkennen mussten, dass ihre Herren die angegriffenen Städte und Gebiete nicht hatten schützen können. Dadurch hatte Kamose die Oberherrschaft der Hyksos nachhaltig ins Wanken gebracht und die nördliche Grenze des thebanischen Einflussbereiches um etwa 100 km weiter in Richtung Delta bewegt. Doch bevor die Fremdherrscher besiegt werden konnten, starb Kamose nach einer kurzen Regierungszeit – vermutlich ebenfalls in einer Schlacht.
Nach Kamoses Tod war es ein Kind, der vermutlich nicht einmal 10-jährige Sohn Seqen-en-Ras mit dem Namen Ahmose, das nun die Geschicke seines Volkes leiten sollte. In dieser politisch besonders sensiblen Situation traten nun zwei Kräfte auf, die dem jungen König unter die Arme griffen: Zum einen die Frauen aus Ahmoses Familie – seine Großmutter Teti-scheri, seine Mutter Ahhotep und seine Schwester-Gemahlin Ahmes Nefertari. Zum anderen eine Gruppe von Beamten, die ich als die „Elkab-Connection“ bezeichnen möchte und auf die ich später noch zu sprechen kommen werde. Beschäftigen wir uns zunächst mit den einflussreichen Frauen hinter Ahmose.