Loe raamatut: «Der Koran»
Der Koran
Übersetzung: Max Henning
Impressum
ISBN 9783940621283
Bearbeitung: Thomas Claes / Martina Lehnigk
© Vergangenheitsverlag, 2010 – www.vergangenheitsverlag.de
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
Inhalt
Einleitung
Was ist der Koran?
Interview mit Prof. Dr. Harry Hamun Behr
Der Koran
Erste Sure – Die Öffnende
Zweite Sure – Die Kuh
Dritte Sure – Das Haus Imran
Vierte Sure – Die Weiber
Fünfte Sure – Der Tisch
Sechste Sure – Das Vieh
Siebente Sure – Der Wall
Achte Sure – Die Beute
Neunte Sure – Die Reue
Zehnte Sure – Jonas
Elfte Sure – Hud
Zwölfte Sure – Joseph
Dreizehnte Sure – Der Donner
Vierzehnte Sure – Abraham
Fünfzehnte Sure – El-Hidschr
Sechzehnte Sure – Die Bienen
Siebzehnte Sure – Die Nachtfahrt
Achtzehnte Sure – Die Höhle
Neunzehnte Sure – Maria
Zwanzigste Sure – T. H.
Einundzwanzigste Sure – Die Propheten
Zweiundzwanzigste Sure – Die Pilgerfahrt
Dreiundzwanzigste Sure – Die Gläubigen
Vierundzwanzigste Sure – Das Licht
Fünfundzwanzigste Sure – Die Unterscheidung
Sechsundzwanzigste Sure – Die Dichter
Siebenundzwanzigste Sure – Die Ameise
Achtundzwanzigste Sure – Die Geschichte
Neunundzwanzigste Sure – Die Spinne
Dreißigste Sure – Die Griechen
Einunddreißigste Sure – Lokman
Zweiunddreißigste Sure – Die Anbetung
Dreiunddreißigste Sure – Die Verbündeten
Vierunddreißigste Sure – Saba
Fünfunddreißigste Sure – Die Engel
Sechsunddreißigste Sure – J. S.
Siebenunddreißigste Sure – Die sich Reihenden
Achtunddreißigste Sure – S.
Neununddreißigste Sure – Die Scharen
Vierzigste Sure – Der Gläubige
Einundvierzigste Sure – Erklärt
Zweiundvierzigste Sure – Die Beratung
Dreiundvierzigste Sure – Der Goldputz
Vierundvierzigste Sure – Der Rauch
Fünfundvierzigste Sure – Das Knien
Sechsundvierzigste Sure – El-Ahkaf
Siebenundvierzigste Sure – Mohammed
Achtundvierzigste Sure – Der Sieg
Neunundvierzigste Sure – Die Gemächer
Fünfzigste Sure – K.
Einundfünfzigste Sure – Die Zerstreuenden
Zweiundfünfzigste Sure – Der Berg
Dreiundfünfzigste Sure – Der Stern
Vierundfünfzigste Sure – Der Mond
Fünfundfünfzigste Sure – Der Erbarmer
Sechsundfünfzigste Sure – Die Eintreffende
Siebenundfünfzigste Sure – Das Eisen
Achtundfünfzigste Sure – Die Streitende
Neunundfünfzigste Sure – Die Auswanderung
Sechzigste Sure – Die Geprüfte
Einundsechzigste Sure – Die Schlachtordnung
Zweiundsechzigste Sure – Die Versammlung
Dreiundsechzigste Sure – Die Heuchler
Vierundsechzigste Sure – Der gegenseitige Betrug
Fünfundsechzigste Sure – Die Scheidung
Sechsundsechzigste Sure – Das Verbot
Siebenundsechzigste Sure – Das Reich
Achtundsechzigste Sure – Die Feder
Neunundsechzigste Sure – Die Unvermeidliche
Siebzigste Sure – Die Stufen
Einundsiebzigste Sure – Noah
Zweiundsiebzigste Sure – Die Dschinn
Dreiundsiebzigste Sure – Der Verhüllte
Vierundsiebzigste Sure – Der Bedeckte
Fünfundsiebzigste Sure – Die Auferstehung
Sechsundsiebzigste Sure – Der Mensch
Siebenundsiebzigste Sure – Die Entsandten
Achtundsiebzigste Sure – Die Kunde
Neunundsiebzigste Sure – Die Entreißenden
Achtzigste Sure – Er runzelte die Stirn
Einundachtzigste Sure – Das Zusammenfalten
Zweiundachtzigste Sure – Das Zerspalten
Dreiundachtzigste Sure – Die das Maßerkürzenden
Vierundachtzigste Sure – Das Zerreißen
Fünfundachtzigste Sure – Die Türme
Sechsundachtzigste Sure – Der Nachtstern
Siebenundachtzigste Sure – Der Hüchste
Achtundachtzigste Sure – Die Bedeckende
Neunundachtzigste Sure – Die Morgenrüte
Neunzigste Sure – Das Land
Einundneunzigste Sure – Die Sonne
Zweiundneunzigste Sure – Die Nacht
Dreiundneunzigste Sure – Der lichte Tag
Vierundneunzigste Sure – Dehnten wir nicht aus?
Fünfundneunzigste Sure – Die Feige
Sechsundneunzigste Sure – Das geronnene Blut
Siebenundneunzigste Sure – Die Macht (El-Qadr)
Achtundneunzigste Sure – Der deutliche Beweis
Neunundneunzigste Sure – Das Erdbeben
Hundertste Sure – Die Renner
Hundertunderste Sure – Die Pochende
Hundertundzweite Sure – Das Streben nach Mehr
Hundertunddritte Sure – Der Nachmittag
Hundertundvierte Sure – Der Verleumder
Hundertundfünfte Sure – Der Elefant
Hundertundsechste Sure – Quraisch
Hundertundsiebente Sure – Der Beistand
Hundertundachte Sure – Der Überfluß
Hundertundneunte Sure – Die Ungläubigen
Hundertundzehnte Sure – Die Hilfe
Hundertundelfte Sure – Verderben! (Abu Lahab)
Einhundertundzwülfte Sure – Die Reinigung
Einhundertunddreizehnte Sure – Das Morgengrauen
Einhundertundvierzehnte Sure – Die Menschen
Einleitung
Was ist der Koran?
Der Koran ist die Sammlung der an den Propheten Mohammed (568/69-632) im Zeitraum von etwa 22 Jahren ergangenen Offenbarungen; nach islamischem Glauben handelt es sich um das direkte Wort Gottes. Die Urschrift des Korans befindet sich nach islamischer Überzeugung „auf verwahrter Tafel“ (Sure 85:22), auf dieser wurde das Wort Gottes noch vor der Schaffung der Welt aufgeschrieben. Die Sprache des Korans ist arabisch. Die arabische Sprache wird auch im Koran selbst erwähnt (z. B. Sure 12:2). Das Wort Koran (von arabisch al-qur'ān) bedeutet nach gängiger Meinung „Vorzutragendes“ oder „Lesung“. Das Vortragen ist in der Tat von zentraler Bedeutung für den Koran: Es ist die Pflicht eines Muslimen, den Koran immer wieder zu rezitieren, um das „heilswichtige Wissen“ zu erlangen. So heißt es in Sure 96:1-5: „Trag vor (rezitiere) im Namen deines Herrn, der erschuf, erschuf den Menschen aus geronnenem Blut. Trage vor (rezitiere,) denn dein Herr ist allgütig, der die Feder gelehrt, gelehrt den Menschen, was er nicht gewusst.“ Der Text des Korans ist in 114 Abschnitte (die Suren) von sehr unterschiedlicher Länge unterteilt. Die Suren sind wiederum in Verse (āyāt) untergliedert. Mit Ausnahme der ersten Sure sind alle Suren der Länge nach geordnet, die zweite Sure ist mit 286 Versen die längste, wohingegen die 114. Sure mit sechs Versen eine der kürzesten ist.
Alle Suren des Korans haben eine oder mehrere Überschriften, welche meist auf das Kernthema der Sure hindeuten. Zum besseren Verständnis des Textes wird zwischen den Suren auch chronologisch unterschieden, grob werden diese in mekkanische (frühere) und medinische (spätere) aufgeteilt. Die in Medina offenbarten Suren sind oft länger als die in Mekka offenbarten Suren und enthalten meist Anweisungen und gesetzliche Bestimmungen. Hingegen enthalten die in Mekka offenbarten Suren häufig Verse mit mystischer oder unklarer Bedeutung. Hierzu zählen beispielsweise die Buchstaben, die einige Suren einleiten. Nur Allah allein, so der Glaube, kennt die wahre Bedeutung aller Verse. Der Gläubige muss nicht jeden Vers der Offenbarung Allahs verstehen, von ihm wird hauptsächlich Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes verlangt.
Bemerkenswert ist auch, dass viele Verse des Korans auch viele Geschichten der jüdischen und christlichen Tradition erwähnen. So finden alttestamentarische Figuren wie Adam, Abraham und Moses ebenso Erwähnung im Koran, wie die neutestamentarischen Figuren Maria, Johannes der Täufer und Jesus. Im Koran ist Jesus ebenfalls ein Prophet (z. B. Sure 4:169f.), aber er ist nicht der Sohn Gottes, auch sei er nicht gekreuzigt worden (Sure 4: 157).
Die Entstehung des Korans als Buch
Von besonderer Bedeutung für das Verständnis des Korans ist die Entstehung des Korans als Buch, denn beim Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632 gab es noch keine komplette schriftliche Sammlung seiner Offenbarungen. Einzelne Begleiter des Propheten kannten Teile oder gar den gesamten Koran auswendig, wenige Teile des Textes waren bereits schriftlich fixiert. In dieser Situation befahl Abu Bakr, der erste Kalif (d. h. der Nachfolger des Propheten in der Führung der islamischen Gemeinde) die erste schriftliche Fixierung des Korans.
Doch schon bald waren zahlreiche unterschiedliche Sammlungen des Korans unter den Muslimen in Umlauf. Zu diesen abweichenden Überlieferungen und Lesarten des Korans kam es unter anderem deshalb, weil sich mit den schnellen Eroberungen der frühen Moslems auch die Zentren des Islam immer weiter von den Ursprungsorten Mekka und Medina entfernten und nun beispielsweise schon in Basra oder Damaskus lagen.
Um dem Problem der abweichenden Überlieferungen des Korans zu begegnen, veranlasste der dritte Kalif Uthman die Edition eines einheitlichen Korans. Anschließend wurden Abschriften dieser Edition in alle wichtigen Städte des Reiches gesandt, verbunden mit der Aufforderung, die bis dato in Gebrauch befindlichen Exemplare zu vernichten. Diese Umstellung verlief nicht immer reibungslos: Es gibt Berichte über die Empörung, die diese Maßnahme auslöste: ebenso gab es immer wieder Versuche, abweichende Überlieferungen zu verkünden. Diese Versuche wurden jedoch meist streng bestraft. Insgesamt waren die Abweichungen in der Überlieferung jedoch nie dramatisch, meist handelte es sich um Kleinigkeiten, die den Sinn des Textes im Ganzen nicht veränderten.
Auch Ali, der vierte Kalif und Schwiegersohn des Propheten Mohammed soll eine eigene Koransammlung angelegt haben, doch scheint sich Ali später mit der von Uthman veranlassten Sammlung abgefunden zu haben, denn auch die Schiiten (die Anhänger Alis im auf Uthmans Tod folgenden Bürgerkrieg) verwendeten und verwenden die Koranedition Uthmans.
Doch auch dieser Urtext des Korans ließ noch mehrere, meist nur geringfügig abweichende, Lesarten zu, da er nur aus Konsonanten bestand und keine Vokalzeichen enthielt. Heutige arabische Koranausgaben sind jedoch meist vollständig mit Vokalzeichen versehen und lassen nur eine Lesart zu.
Abschließend ist festzuhalten, dass trotz der genannten Probleme in Überlieferung, Redaktion und Lesung des koranischen Textes, davon ausgegangen werden kann, „dass der Koran in der heute vorliegenden Form weitgehend das authentische Wort des Propheten – nach islamischem Glauben das ewige Wort Gottes – darstellt.“ (Nagel, 1991, S. 33)
Mohammed und seine Zeit
Mohammed wurde um 570 christlicher Zeitrechnung in eine Welt hineingeboren, die von Stammesfehden und Vielgötterei geprägt war. Im Alter von sechs Jahren verlor er seine Mutter Amina; der Vater, Abdallah, war vermutlich schon vor der Geburt des Sohnes gestorben. Mohammed wurde von seinem Großvater und nach dessen Tod, von seinem Onkel Abu Talib aufgezogen. Nicht viel mehr ist über die Kindheit und Jugend Mohammeds bekannt, da der Koran und später entstandene Texte sich über diese Zeit ausschweigen. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Mohammed sein Berufungserlebnis erfuhr, als er das 40. Lebensjahr bereits hinter sich gelassen hatte. Abu Talib sorgte gut für seinen Neffen: Handelsreisen in Begleitung des Onkels führten Mohammed vermutlich bis nach Syrien.
Selbst nicht wohlhabend, trat Mohammed nach dem 20. Lebensjahr in den Dienst der reichen Kaufmannswitwe Chadija. Ungefähr mit 25 Jahren heiratete er seine um 15 bis 20 Jahre ältere Dienstherrin. Chadija unterstützte ihren Mann nach Kräften; sie war die erste Frau, die zu der neuen Religion konvertierte und wurde seine engste Vertraute. Im Laufe ihrer Ehe schenkte sie Mohammed vier Töchter und drei Söhne. Während die Töchter, Zainab, Umm Kultum, Ruquaiya und Fatima verheiratet wurden, starben alle Söhne im Kindesalter.
Etwa um 610 n. Chr., im islamischen Monat Ramadan, empfing Mohammed in einer Höhle nahe Mekka die erste Offenbarung. Die islamische Überlieferung spricht davon, dass der Erzengel Gabriel Mohammed als Mensch erschienen sei und ihn den Koran gelehrt habe. Später wurden Mohammed weitere Verse des Korans im Traum offenbart oder in sein Herz eingegeben. Diese Offenbarung verunsicherte Mohammed zutiefst, seiner Frau vertraute er sich als erstes an.
Mohammed konnte zunächst einige seiner engsten Familienmitglieder von der neuen Religion überzeugen. Dazu gehörten neben seiner Frau auch sein Neffe Ali, der spätere vierte Kalif und sein Ziehsohn Zaid. Die große Mehrheit der Mekkaner blieben jedoch Polytheisten, viele waren sogar unerbittliche Gegner des entstehenden Islam. Zwar wurde Mohammed lange von seinem Onkel beschützt, doch nach dessen Tod wurde das Klima für Mohammed und seine Anhänger in Mekka zu gefährlich. Im Jahr 622 christlicher Zeitrechnung verließen sie daher Mekka und ließen sich in Medina nieder. Dieses Ereignis markierte den Beginn der islamischen Zeitrechnung.
In Medina empfing Mohammed weitere Offenbarungen und machte seine stetig wachsende Religionsgemeinschaft zu einem einflussreichen Teil der Gesellschaft Medinas. Zahlreiche Bewohner der Stadt traten zum Islam über. Die jüdische Bevölkerung weigerte sich jedoch, anders als Mohammed gehofft hatte, den Islam anzunehmen. In den folgenden Jahren kam es, wohl mehr aus machtpolitischen als aus religiösen Gründen, zu Kämpfen gegen die jüdischen Stämme. Nach dem Sieg über den jüdischen Stamm der Banu Quraiza töteten die Muslime die männlichen Stammesangehörigen und versklavten die Frauen und Kinder.
Zunehmend suchte Mohammed auch die Konfrontation mit Mekka. Er ließ die Karawanen der Mekkaner überfallen und trug in einigen Scharmützeln den Sieg davon. Doch 625 n. Chr. stand ein großes Heer der Mekkaner vor Medina und besiegte das Heer der Moslems. Doch die Muslime hatten Glück, das mekkanische Heer zog ab, ohne Medina einzunehmen. Im April 627 n. Chr. gelang es Mohammed, durch geschickte Verhandlungen mit den Beduinenstämmen, die Mekkaner und ihre Verbündeten im sogenannten „Grabenkrieg“ zu entzweien. Daraufhin waren die Mekkaner zu Verhandlungen bereit, ein zehnjähriger Waffenstillstand ermöglichte es Mohammed, das Heiligtum der Kaaba im Jahr 629 n. Chr. in Mekka zu besuchen. Dieser Besuch entfaltete eine geradezu 'propagandistische Wirkung' (Rudi Paret). Ende 629 n. Chr. brach Mohammed dann den Waffenstillstand und zog mit einer großen Streitmacht gen Mekka. Überrascht konnte der Prophet feststellen, dass sich inzwischen eine große Zahl von Mekkanern zum Islam bekannte; einige der einflussreichsten Führer der Stadt kamen ihm bei seinem Einzug sogar entgegen. 632 n. Chr. nahm der Prophet noch einmal an den alljährlichen Zeremonien der Kaaba teil, welche der Islam von den altarabischen Religionen übernommen hatte. Diese Wallfahrt gilt als die Abschiedswallfahrt Mohammeds, da der Prophet noch im selben Jahr starb.
Kurze Hinweise zur Lektüre des Korans in der vorliegenden Edition
Laut der islamischen Theologie ist eine echte Übersetzung des Korans nicht möglich, da jede Übersetzung auch bereits eine Interpretation ist. Doch erste Koranübersetzungen ins Lateinische gab es bereits im Mittelalter, auch wenn diese meist eher Paraphrasen des Korans waren. Die Übersetzung des Engländers Robert von Ketton von 1143 wurde 1543 mit einem Vorwort Philipp Melanchthons und Martin Luthers sogar gedruckt. Auf dieser Ausgabe basierte die erste deutsche Koranübersetzung von Salomon Schweigger aus dem Jahr 1616. Die vorliegende Koranübersetzung von Max Henning erschien erstmals 1901. Zwar ist diese Übersetzung teilweise stilistisch veraltet, gilt aber dennoch als präzise und wird auch heute noch wissenschaftlich benutzt.
In dieser Koranausgabe steht stets unter dem Titel der Sure, ob diese in Medina oder in Mekka offenbart wurde (Geoffenbart zu Medina oder Geoffenbart zu Mekka). Diese Angabe ist jedoch in vielen Fällen nicht hinreichend historisch gesichert. Sowohl in der westlichen Forschung als auch bei islamischen Korankommentatoren ist diese Aufteilung in vielen Fällen strittig.
Interview mit Prof. Dr. Harry Hamun Behr
(Interdisziplinäres Zentrum für islamische Religionslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg)
Wie zeitgemäß ist der Koran?
Der Koran ist ein 1400 Jahre alter Text - wie modern ist ein solcher Text bzw. darf man ihn überhaupt an moderne Lebensumstände anpassen?
Der Begriff „Koran“ geht auf die arabische Vokabel qur'ān () bzw. al-qur'ān () zurück, wie sie etwa in den ersten drei Versen der Sure 12 vorkommt. Zum grundlegenden Verständnis dieser Vokabeln gehört, dass hier weniger das gebundene Buch gemeint ist, sondern soviel wie die (arabische) „Rede“ eines (arabischsprachigen) Redners, also das gesprochene und nicht das gelesene Wort. Dies bedarf der besonderen Erwähnung, da der Koran heute in der Regel als ein Stoß Papier zwischen zwei Buchdeckeln in Erscheinung tritt. Auf das Geschriebene verweist an genannter Textstelle eher ein Wort wie kitāb () oder das im Hocharabischen verwendete mushaf (). Inzwischen aber wird der Koran weltweit wieder mehr gehört als gelesen, was mit der Verbreitung des auf Tonträgern eingelesenen Korans (murattal; ) etwa ab Mitte der 1950er Jahre bis in die heutige Zeit des Internets zu tun hat.
Der Koran ist ferner tansīl (), also Herabsendung in die vorfindliche Schöpfung hinein, die insgesamt auf Offenbarung Gottes beruht. Dieser Aspekt von Offenbarung Gottes in der Gestalt des von ihm Erschaffenen bezeichnet der Islam als taqdīr (), ausgehend von Textstellen wie 25:2. Die Offenbarung Gottes ist also weder beendet noch auf den frommen Text beschränkt, sondern findet permanent statt – die Welt ist im Vergleich zum textualen Koran der größere „Koran“. Deshalb ruft der Koran auf, sowohl in den Text zu schauen als auch die Welt zu „lesen“ und nicht blind zu sein gegenüber der Ansprache Gottes an den Menschen durch das Buch und durch die „Zeichen Gottes“ jenseits des Buchs (vgl. 25:73).
In mancher Hinsicht handelt es sich beim Koran in der Tat um einen Text, auf den die erwähnte Altersangabe zutrifft, mit allen damit verbundenen Erfordernissen eines kritischen Zugangs. In anderer Hinsicht aber ist er zugleich älter und jünger: älter insofern, als der Urheber dieses Textes die Diktion und die thematische Führung in den Kontext damals vorfindlicher „Texte“ (Erzählung; qasas; ) stellt, aus denen heraus sich mündlich oder schriftlich tradierte Religion generierte (vgl. im Koran 2:4); andererseits jünger insofern, als der Koran erst durch das Lesen zum Text wird und sich somit auch heute in den Geist des Lesenden stellt (vgl. im Koran 3:7), also gleichsam ewig jung. In der Wechselwirkung dieser beiden Aspekte liegt begründet, was für Goethe, Rückert oder Kant die Attraktivität des Korans ausmachte.
Für die theologische und religionspädagogische Interpretation stehen heute hermeneutische Fragen im Vordergrund, die nicht von der Entstehungsgeschichte und den soziokulturellen Kontexten des Textes zu trennen sind. Von daher ist die Bezugsetzung zu gegenwärtigen Lebensumständen überhaupt erst die Voraussetzung, den Koran zu verstehen und ihm als Text gerecht zu werden. Die Frage ist, wie dabei vorgegangen wird. Es ist kaum zu bestreiten, dass der Text reflektiert, was zu den Lebensumständen und zum Weltbild jener gehörte, in deren Mitte er entstand: Die Rede ist demnach vom 7. Jahrhundert nach christlicher Zeitrechnung und vom kulturgeografischen Raum des Hedschas, des südwestlichen Teils der arabischen Halbinsel sowie von den weiteren kulturellen Einflusssphären Syrien, Persien, Jemen und Ostafrika. In dieser Hinsicht erschließt sich der Koran zunächst als ein historisches und in gewisser Weise auch exotisches Diskursdokument.
Wer sich indes vom Koran ansprechen lässt, dem erschließt sich die Tiefe unter der Oberfläche des Textes. Gemeint ist mehr als nur das Lesen zwischen den Zeilen, mit dem der Koran selbst kokettiert; es geht vielmehr um die Genese von überzeitlichem Sinn als einer Leistung des lesenden Subjekts. Zum zeitgebundenen Gerüst des Textinhalts, dem Trägermilieu sozusagen, tritt der eigentliche Textgehalt in seiner zeitlosen und universalen Dimension hinzu. Die Kunst der Hermeneutik besteht nun darin, diese beiden Aspekte zueinander in Korrespondenz zu stellen und nicht gegeneinander auszuspielen. Mit dem lesenden Leser, durch den also der Koran überhaupt erst zum Koran im eigentlichen Sinne wird, treten zudem die rationalen und relationalen Merkmale seiner Person auf den Plan, die kulturräumlichen Spezifika, die eigene kognitive Karte, die relative Nähe oder Distanz zur arabischen Sprache sowie spirituelle und ästhetische Momente. All dies sind Ebenen, auf denen es zur „Passung“ zwischen Text, Lesendem und Welt kommt. Damit scheint der Koran über die Dimension seiner Historizität in der Dimension der Aktualität auf: Der Koran wird nicht nur erlesen, sondern erlebt.