Loe raamatut: «Empörung, Revolte, Emotion», lehekülg 7

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„Das ist doch alles Bullshit, du Troll!“

Eine sprechakttheoretische Betrachtung von Unwahrheit und Emotionalisierung in den sozialen Medien

Daniel Gutzmann & Katharina Turgay (Universität zu Köln & Universität Landau)

Abstract

Bullshit, Trolling und Fake News sind Mittel, die in den sozialen Medien eingesetzt werden, um die Diskurse absichtsvoll zu emotionalisieren. Dabei vereint diese drei Arten von Unwahrheiten eine Nähe zu Lügen. Allerdings unterscheiden sich die drei Kategorien sowohl von den klassischen Lügen als auch von den sogenannten Bald-Faced Lies darin, dass sich die Sprecher*in nicht auf die Wahrheit des Gesagten festlegt und sie die wesentliche Regel einer Assertion nicht erfüllen. Sie können demnach als „Antiassertionen“ bezeichnet werden, auch wenn sie augenscheinlich wie Assertionen aussehen. Darüber hinaus scheint die (intendierte) Emotionalisierung der Hörerschaft eine wichtige Funktion dieser Unwahrheiten zu sein, welche in die sprachakttheoretische Definition dieser Sprechakte aufgenommen werden sollte.

1 Einleitung

Diskurse in den sozialen Medien sind zusehends durch starke Emotionen geprägt. Dies mag ultimativ auf außersprachliche Faktoren zurückzuführen sein, spiegelt sich jedoch auch in der Art und Weise wider, in der Diskurse geführt und absichtsvoll emotionalisiert werden. Dies zeigt sich sprachlich vor allem darin, dass die Intention vieler Beiträge vornehmlich in dem Ausdruck von Empörung liegt, wie das Beispiel in (1) zeigt.


(1) a. Tageschau: Langjähriger VW Chef Piëch gestorben. Er war von 1993 bis 2002 Vorstandschef bei Volkswagen.
b. User Kommentar: Seine 12 Kinder reiben sich schon die Hände und freuen sich auf das Erbe!



Auf den Beitrag der Tagesschau auf Facebook, der bekannt gibt, dass der ehemalige Vorstandschef von VW Ferdinand Piëch gestorben ist, äußert sich der User in seinem Kommentar provokativ. Da der User vermutlich nicht weiß, wie die Kinder Piëchs auf diese Nachricht reagiert haben, kann man sicher davon ausgehen, dass das Ziel des Kommentars des Schreibers keine Informationsvermittlung noch eine Einladung zu einer sachlichen Diskussion ist. Stattdessen scheint der User hier darauf aus zu sein, die Leser*innen seines Kommentars zu provozieren und Emotionen in ihnen zu wecken. Dass dies zu gelingen scheint, zeigt sich darin, dass 38 Personen eine Reaktion auf den Kommentar zum Ausdruck bringen. Die Adressat*innen reagieren unterschiedlich emotional auf den Kommentar, in dem sie verschiedene Emojis nutzen. Zustimmung wird dabei mit dem Daumen-hoch-Emoji ausgedrückt, was in diesem Fall 20× erfolgte. Spezifischere Gefühle drücken die vier Verwender*innen des lachenden Emojis aus. Dass dieser Beitrag jedoch auch negative Emotionen hervorbringt und keine Zustimmung, zeigt die Verwendung der insgesamt 14 wütenden Emojis. Diese Reaktion lässt die provozierte Empörung vermuten.

Wie bereits kurz erwähnt, scheint der User, der den Kommentar in (1b) verfasst hat, nicht wirklich daran interessiert zu sein, eine wahrheitsgemäße Aussage zu treffen. Dies scheint eine generelle Strategie in politisch aufgeladenen Diskursen zu sein: Unwahre Äußerungen bzw. Äußerungen, denen es nicht auf die Wahrheit des Inhaltes ankommt, scheinen besonders geeignet zu sein, um Empörung auszudrücken und diese zu wecken, da solche Aussagen mehrere Seiten gleichzeitig bedienen können. Um solche Unwahrheiten näher auf ihr Empörungs- oder genereller ihr Emotionalisierungspotential hin zu analysieren, wollen wir diese in diesem Beitrag aus sprechakttheoretischer Sicht betrachten.

Auch wenn – so nehmen wir an – es sich bei (1b) um eine unwahre Äußerung handelt und der User – so nehmen wir weiterhin an – sich durchaus der Tatsache bewusst ist, dass sein Betrag unwahr ist, so ist es vermutlich nicht seine Intention, die Adressat*innen dazu zu bringen, etwas Unwahres zu glauben. Vielmehr scheint der User einfach kein Interesse am Wahrheitsgehalt der Äußerung zu haben. Dies macht derartige provokative Äußerungen zu einem interessanten Gegenstand für sprechakttheoretische Überlegungen. Denn eine Äußerung wie in (1) sieht aus wie eine Behauptung, also wie ein assertiver Sprechakt in Searles (1969) Klassifikation von Sprechakten. Doch für Assertionen spielt die Wahrheit eine entscheidende Rolle. Demnach gilt als wesentliche Regel für Assertionen, dass sich die Sprecher*in in unterschiedlichem Maße auf die Wahrheit einer Proposition festlegt. Nehmen wir als Beispiel die folgende Behauptung:


(2) In diesem Beitrag beschäftigen wir uns mit Assertionen.

Wenn wir (2) behaupten, so legen wir uns auf die Wahrheit fest, dass es sich in unserem Beitrag tatsächlich um Assertionen und nicht beispielsweise ausschließlich um deklarative Sprechakte handelt. Das ist die Proposition p, die als Teil des lokutionären Aktes nach Austin (1962) ausgedrückt wird und auf welche wir uns durch die Behauptung öffentlich festlegen. Das bedeutet, wir sollten dann auch so handeln, als ob (2) wahr ist. Insbesondere sollten wir nichts behaupten, was zu der Wahrheit von (2) im Widerspruch steht (also beispielsweise, dass wir uns in diesem Beitrag nicht mit Assertionen beschäftigen). Dies ist die sogenannte wesentliche Regel von assertiven Sprechakten. Ein weiteres Kriterium in Searles Sprechaktklassifikation ist der sogenannte psychische Zustand, in dem sich die Sprecher*in befinden muss, um einen bestimmten Sprechakt aufrichtig zu vollziehen. Bei assertiven Sprechakten ist dieser psychische Zustand der Glauben (der ausgedrückten Proposition). Wenn wir (2) also aufrichtig behaupten, dann glauben wir auch, dass unser Beitrag sich den Assertionen widmet. Das dritte Kriterium nach Searle ist die sogenannte Anpassungsrichtung. Wenn die Äußerung von (2) aufrichtig sein und glücken soll, dann sollten wir unsere Worte an die Fakten in der Welt anpassen. Die Anpassungsrichtung bei assertiven Sprechakten ist also „Wort-an-Welt“.

Diese kurze Ausführung zu den entscheidenden Merkmalen von assertiven Sprechakten zeigt schnell, dass es sich bei provokativen Äußerungen wie in (1b) nicht um Assertionen in diesem klassischem Sinne handeln kann, da sich die Sprecher*in von solchen Äußerungen nicht auf die Wahrheit der ausgedrückten Proposition festlegt. Trotzdem stellt sich die Frage, ob im Falle von empörenden unwahren Äußerungen dennoch von Assertionen gesprochen werden kann. Dieser Frage möchten wir in diesem Beitrag nachgehen. Dazu nehmen wir eine sprechakttheoretische Untersuchung vor und betrachten die Rolle der (Un)wahrheit bei verschiedenen Sprechakten der Internetprovokation, wozu wir provozierende Äußerungen auch von anderen Sprechakten aus dem Bereich der „Unwahrheiten“ abgrenzen, um deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten und der Frage nachzugehen, inwiefern provokative Äußerungen bestimmten Sprechaktarten entsprechen. Als Belegkorpus für unsere Untersuchungen dienen uns authentische, selbst recherchierte Daten aus den sozialen Medien, wobei wir uns vor allem auf Facebook konzentrieren, da hier die Emotionsbekundung – das sogenannte Liken – in Form von verschiedenen vorgegebenen Emojis erfolgen kann und somit diverse Facetten von Emotionen zum Ausdruck kommen; anders als es beispielsweise zurzeit bei dem an sich leichter durchsuchbaren Dienst Twitter der Fall ist. In dem Sinne dienen die Beispiele also lediglich als authentische Belege; unsere Studie erhebt weder den Anspruch einer quantitativen noch einer exhaustiven qualitativen Untersuchung.

Unser Beitrag gliedert sich wie folgt. In Abschnitt 2 werden wir uns zunächst verschiedenen Sprechakten widmen, die zwar von ihrer sprachlichen Struktur her nicht von normalen assertiven Sprechakten zu unterscheiden sind, die es mit der Wahrheit aber nicht so genau nehmen – sprich, bei denen sich die Sprecher*in nicht auf die Wahrheit der ausgedrückten Proposition festlegt. Dabei grenzen wir klassische Lügen von den sogenannten Bald-Faced Lies ab. Als weitere Formen unwahrer Sprechakte, die zur Empörung und Provokation dienen können, beleuchten wir das sogenannte Trolling, die Kategorie des Bullshits und gehen auch auf den aktuellen Begriff „Fake News” (oder „alternative Fakten“) ein. Nach der Etablierung dieser verschiedenen Sprechakte werden wir diese in Abschnitt 3 in Hinblick auf ihr Potential, Empörung bei den Adressat*innen hervorzurufen, untersuchen. In Abschnitt 4 werden wird die Erkenntnisse aus den vorherigen Abschnitten dann nutzen, um sprechakttheoretische Definitionen für die von uns betrachteten Unwahrheiten zu geben und diese abschließend mit gewöhnlichen Assertionen zu vergleichen. Wir schließen mit einigen Überlegungen zu den möglichen Konsequenzen der gewonnenen Resultate.

2 Unwahre Sprechakte

Im Jahr 2014 gab Donald Trump, der spätere Präsidentschaftskandidat der Republikaner*innen und Präsident der USA, die Äußerung in (3) von sich.


(3) I spoke indirectly – and directly – with President Putin, who could not have been nicer. (Trump, Mai 2014)

Üblicherweise sollten Hörer*innen dieser Aussage also davon ausgehen, dass dies dann auch der Wahrheit entspricht. Dies entspricht dem sogenannten Principle of Charity – dem Prinzip der wohlwollenden Interpretation – des Sprachphilosophen Donald Davidson (Davidson 1974): Gemeinhin gehen Menschen davon aus, dass Gesprächspartner*innen normalerweise die Wahrheit sagen. Davidson zufolge, der dieses Prinzip auf Überlegungen von Quine (1960) aufbaut, ist das Prinzip der wohlwollenden Interpretation jedoch nicht nur die Beschreibung davon, wie Hörer*innen Äußerungen zu interpretieren tendieren, sondern muss als eine zentrale Grundlage für (rationale) Kommunikation angenommen werden. Würden wir einem alternativen „Prinzip der skeptischen Interpretation“ folgen und alle Aussagen so interpretieren, dass sie falsch sind, würde diese die zwischenmenschliche Kommunikation erheblich erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen.

Ähnliche Überlegungen stellt auch Paul Grice mit seinen Überlegungen zu rationaler, kooperativer Kommunikation an (Grice 1975). Dessen Qualitätsmaxime – eine von vier Konversationsmaximen – besagt, dass die Sprecher*in versuchen sollte, ihren Beitrag so zu machen, dass er wahr ist (und nicht etwas behaupten soll, für das sie keine ausreichende Evidenz hat).

Wenn wir also Trumps Äußerung in (3) hören, gehen wir davon aus, dass er kooperativ kommuniziert und sein Beitrag wahr ist. Darüber hinaus gehen wir Searles Aufrichtigkeitsbedingung entsprechend davon aus, dass Trump auch glaubt, dass er indirekt und direkt mit Putin gesprochen hat und dass dieser ausgesprochen nett war. Und gemäß der wesentlichen Regel sollte sich Trump auch auf die Wahrheit der ausdrückten Proposition(en) festlegen und sich entsprechend auch so verhalten, als ob der Inhalt seiner Äußerung wahr ist. Insbesondere sollte er, wie oben erwähnt, nichts sagen, dass seiner Äußerung in (2) widerspricht. Doch zwei Jahre später, äußerte Trump folgendes:


(4) I never met Putin, I don’t know who Putin is. […] I never met Putin. […] I have nothing to do with Putin. I’ve never spoken to him. (Trump, Juli 2016)

Mit dieser Äußerung, die wie eine Assertion aussieht, scheint er jeglichen Kontakt mit Präsident Putin zu bestreiten. Es liegt auf der Hand, dass die Äußerung in (4) im Widerspruch zu der Aussage in (3) steht; mindestens einer der beiden Aussagen von Trump muss falsch sein. Hat Trump also gelogen? Um diese Frage zu beantworten, werden wir dazu das Konzept der klassischen Lüge etwas genauer aus sprechakttheoretischer Perspektive betrachten.

2.1 Klassische Lügen

Eine klassische Definition von Lügen sieht nach “Konzepte des Lügens” (Meibauer 2015) wie folgt aus: Die Sprecher*in äußert einen Deklarativsatz mit der Bedeutung p, wobei p hier und im Folgenden für den semantischen Gehalt des geäußerten Satzes steht; also der Proposition, die dieser ausdrückt. Während bei einer aufrichtigen Assertion die Sprecher*in den psychischen Zustand des Glaubens (dass der propositionale Gehalt p wahr ist) haben sollte, glaubt die Sprecher*in bei einer klassischen Lüge, dass die Proposition p falsch ist. Dennoch möchte sie, dass die Addressat*in glaubt, dass p wahr ist. Dies ist bei der klassischen Assertion üblicherweise auch der Fall. Weiterhin ist es – so zumindest eine weitverbreitete Ansicht – für die klassische Lüge notwendig, dass die Sprecher*in möchte, dass die Adressat*in nicht erkennt, dass die Sprecher*in den semantischen Gehalt der Äußerung eben gerade nicht glaubt. Oder anders ausgedrückt: Die Sprecher*in vollzieht eine verdeckte Verletzung der Qualitätsmaxime nach Grice oder der Aufrichtigkeitsbedingung nach Searle, die Sprecher*in möchte aber, dass die Hörer*in glaubt, die Sprecher*in würde die Qualitätsmaxime und Aufrichtigkeitsbedingung befolgen. Man kann also festhalten, dass eine Täuschungsabsicht seitens der Sprecher*in vorliegt: Eine Lüge ist dann erfolgreich, wenn die Adressat*in nachher glaubt, dass die Sprecher*in glaubt, dass die Proposition p wahr ist, und dass die Adressatin*in im Idealfall (aus Perspektive der Lügner*in) auch glaubt, dass p wahr ist.

2.2 Bald-Faced Lies

Der zuletzt erwähnte Aspekt – die Täuschungsabsicht – unterscheidet klassische Lügen von den sogenannten Bald-Faced Lies, bei denen dies nicht der Fall ist. Bei Bald-Faced Lies handelt es sich um untypische Lügen, die in der Literatur viel diskutiert wurden (Sorensen 2007) und bei denen die Adressatin*in weiß, dass die Sprecher*in nicht die Wahrheit sagt, und es der Sprecher*in auch bewusst ist, dass die Adressat*in die Lüge als solche erkennt. Beispiel (4), das an die Serie Mad Men angelehnt ist, illustriert diesen Fall.


(5) [Don kommt am Morgen nach Hause, nachdem er die Nacht mit seiner Affäre verbracht hat. Seine Frau Betty weiß davon und Don weiß, dass sie davon weiß.]
Betty: Wo bist du die Nacht gewesen?
Don: Ich habe im Büro geschlafen, weil wir noch ein langes Meeting hatten.
Betty: Du arbeitest zu hart.

Die Äußerung von Don, dass er aufgrund eines langen Meetings im Büro geschlafen hat, ist in diesem Szenario falsch und Don glaubt natürlich auch nicht, dass er im Büro geschlafen hat. So wie das Szenario gestrickt ist, kann aber keine Täuschungsabsicht von Seiten Dons vorliegen, da er ja weiß, dass Betty herausgefunden hat, dass er bei seiner Affäre war, und er folglich weiß, dass er Betty mit seiner unwahren Aussage nicht täuschen und dazu bringen kann, zu glauben, dass er im Büro geschlafen hätte. Statt des Versuchs, seine Frau zu täuschen, geht es in diesem Beispiel darum, dass Don und Betty über das offensichtliche Problem ihrer Beziehung – nämlich, dass Don eine Affäre hat – nicht reden möchten und sie oberflächlich so tun, als sei alles in Ordnung. In gewisser Hinsicht ist ihre Kommunikation also immer noch kooperativ, da beide so tun, als ob Qualitätsmaxime und Aufrichtigkeitsbedingung erfüllt sind.

Wie verhält es sich nun mit unwahren Äußerungen, die dazu dienen, Empörung hervorzurufen? Handelt es sich dabei um klassische Lügen? Oder sind es vielleicht Bald-Faced Lies? Betrachten wir das Beispiel in (6).


(6) a. Der Spiegel: Urteil im „Stromstoß“-Prozess in München: Die Schmerzen der Frauen. Das Gericht stellte fest, dass es den Angeklagten erregt habe, Frauen leiden zu sehen.
b. User-Kommentar: Tja, wenn es wichtiger ist zu wissen, was Sarah Lombardi für einen Nagellack verwendet, als die Wirkung von Strom zu kennen, tut’s halt weh! Das auszunutzen ist natürlich nicht in Ordnung!


Der User bringt in seinem Kommentar zum Facebook-Beitrag des Spiegels, in dem zu einem Artikel über das Gerichtsverfahren im “Stromstoß”-Prozess verlinkt wird (bei dem der Angeklagte Frauen Stromstöße versetzte), zum Ausdruck, dass die betroffenen weiblichen Opfer selbst schuld an ihrem erlebten Leid wären, weil sie sich als Frauen nur für Nagellack und Stars interessieren und deswegen nicht wüssten, welche Schmerzen Strom verursachen kann. Weil dieser doch recht boshafte Kommentar, der einen Fall des victim blamings darstellt, natürlich total übertrieben ist, gehen wir davon aus, dass der Verfasser dieses Kommentars nicht wirklich glaubt, dass Frauen im Allgemeinen oder die Opfer im Falle des Prozesses nicht wissen, dass Stromstöße starke oder gar tödliche Schmerzen verursachen können (die Begründung, dass sie sich nur für Nagellack interessieren würden, ist natürlich ebenso absurd wie unwahr). Stattdessen müssen wir davon ausgehen, dass der User weiß, dass seine Aussage nicht wahr ist, und dass er absichtlich extra krasse Klischees dazu verwendet, um andere Leser*innen zu verärgern, zu provozieren und zu empören.

Doch auch wenn das, was der User in (6) schreibt nicht wahr ist und er sich dessen auch bewusst ist (wovon zumindest auszugehen ist), so handelt es sich unserer Ansicht nach bei provokativen Äußerungen wie in (6) nicht um Lügen. Der provozierenden Person geht es nicht darum, die Adressat*innen zu täuschen und dazu zu bringen, den Inhalt der Provokation zu glauben. Im Gegenteil: Würde die provozierende Äußerung von den anderen User*innen einfach als wahr akzeptiert werden, dann hätte der Provokateur sein Ziel verfehlt. Es kann sich im Falle von (6) also nicht um eine klassische Lüge handeln. Wie steht es mit der Kategorie der Bald-Faced Lie? Auch diese lässt sich nicht auf das Beispiel anwenden. Denn auch wenn eine Bald-Faced Lie nicht täuschen soll, so soll der Diskurs im Anschluss an die Bald-Faced Lie dennoch so weitergeführt werden, als ob diese wahr sein. Würde Betty in einem alternativen Szenario zu dem in (5) auf Dons Behauptung, er habe im Büro übernachtet, wie in (7) antworten, dann wäre die Bald-Faced Lie nicht erfolgreich.


(7) Don: Ich habe im Büro geschlafen, weil wir noch ein langes Meeting hatten.
Betty: Das stimmt doch nicht! Wir wissen doch beide, wo du gewesen bist.

Dies unterscheidet Bald-Faced Lies von den Provokationen. Denn wieder gilt: Würde die provozierende Äußerung einfach als wahr akzeptiert (auch wenn die Leser*innen es nicht glauben) und keine empörte Gegenwehr auslösen, dann wäre die Provokation nicht erfolgreich gewesen.

Halten wir fest: Wenn mit unwahren Äußerungen bewusst provoziert und Empörung hervorgerufen werden soll, dann kann es sich entsprechend der vorangegangenen Überlegungen weder um klassische Lügen noch um Bald-Faced Lies handeln. Handelt es sich also um eine ganz eigenständige Art von Sprechakt? Um dieser Frage nachzugehen, werden wir im Folgenden verschiedene Arten von unwahren Sprechakten betrachten, die alle auch in Verbindung zur Provokation stehen.

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