Loe raamatut: «Gehört der Islam zu Österreich»

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Inhalt

Cover

Titel

VORWORT

Das Wir und das Ihr

Rainer Nowak und Erich Kocina

1. ISLAM UND ÖSTERREICH

Die muslimische Volkszählung

Erich Kocina

2. ISLAM UND POLITIK

Ein schwieriger Umgang

Oliver Pink

3. ISLAM UND KATHOLISCHE KIRCHE

Mehr Neben- als Miteinander

Dietmar Neuwirth

4. ISLAM UND WIRTSCHAFT

Österreichs Halal-Ökonomie

Jakob Zirm

5. ISLAM UND KINDERGARTEN

Radikalisierung und Skandalisierung

Eva Winroither

6. ISLAM UND SCHULE

Weltanschauungen im Klassenzimmer

Bernadette Bayrhammer

7. ISLAM UND FRAUEN

Das Tuch, das spaltet

Anne-Catherine Simon

8. ISLAM UND DIE TÜRKEN

Der Einfluss der alten Heimat

Köksal Baltaci

9. ISLAM UND EXTREMISMUS

Die Kinder des Jihad

Anna Thalhammer

10. ISLAM UND ANTISEMITISMUS

Neuer Import des alten Gifts

Rainer Nowak

11. ISLAM UND RECHT

Kein Minarett und keine Burka

Benedikt Kommenda

12. ISLAM UND MEDIEN

Viel beachtet, oft falsch dargestellt

Anna-Maria Wallner

13. ISLAM UND BUNDESHEER

Freitagsgebet in Uniform

Iris Bonavida

14. ISLAM UND JUSTIZ

Muslime hinter Gittern

Manfred Seeh

15. ISLAM UND VORBILDWIRKUNG

Der Kickboxer als Role Model

Gerhard Bitzan

16. ISLAM UND DISKRIMINIERUNG

Muslime als Feindbild

Erich Kocina

17. ISLAM UND MINDERHEITEN

Die „anderen“ Muslime

Duygu Özkan

Autorinnen und Autoren

Weitere Bücher

Impressum

Vorwort

Das Wir und das Ihr

Rainer Nowak und Erich Kocina

Gehört der Islam zu Österreich? Es ist eine provokante Frage und natürlich eine zugespitzte, die am Cover dieses Buches steht. Und es ist eine Frage, in der eine These steckt, die man als ein Problem sehen kann. Dass damit nämlich ein „Wir“ und ein „Ihr“ konstruiert wird. Eine Unterscheidung in Österreicher und Muslime, die suggeriert, dass es ein einheitliches Ganzes gibt – und das auf beiden Seiten. Allein, weder gibt es den monolithischen Block der Muslime, der wie ein Fremdkörper in ein Land gepflanzt wurde und an dem in einem lebensgroßen Experiment gezeigt wird, wie sich seine Mitglieder hier einfinden. Und auch Österreich ist weit davon entfernt, ein einheitlich organisierter Raum zu sein, der in sich reibungsfrei funktioniert und erst durch das Einsetzen einer religiösen Gruppe ins Wanken kommt.

Schon der Blick in die Geschichte zeigt, dass der Islam längst ein Teil von Österreich ist. Beginnend mit der Okkupation des muslimisch dominierten Bosnien-Herzegowina durch die Habsburger wurde der Islam auch formal ein Teil des organischen Ganzen. Als kleiner Teil, dem ganz selbstverständlich auch alle Rechte zugestanden wurden. Und der weit davon entfernt war, Bedenken von einem Kampf der Kulturen auszulösen. Wohl auch, weil im fernen Wien kaum etwas von dem Neuen zu spüren war. Und weil Religion nur ein Aspekt von vielen war, der im damaligen Vielvölkerstaat mitnichten die Hauptrolle spielte.

Der Orient und mit ihm der Islam hatte auch lange Zeit die Rolle eines Faszinosums für die Europäer. Irgendwo zwischen exotischer Begeisterung und Weltoffenheit in einer damals noch nicht globalisierten Welt rangierte der Umgang mit dieser Religion. Natürlich, es gab die Konflikte, die kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich. Die Türkenbelagerungen 1529 und 1683, nach denen Wien sich als Bastion des christlichen Abendlandes inszenieren konnte. Und schon damals wurde den Muselmanen, wie sie genannt wurden, auch Ablehnung entgegengebracht. Aber gleichzeitig blieb auch ein wenig vom Gefühl, dass man von dieser Zivilisation doch auch einiges lernen konnte.

Ein wichtiger Markstein im Verhältnis Europas zum Islam war in jedem Fall die Arbeitsmigration aus muslimischen Ländern, die Mitte des vorigen Jahrhunderts einsetzte. In Österreich und Deutschland waren das vor allem die Gastarbeiter aus der Türkei. Nur dass sich damals noch niemand für deren Religion interessierte. Genau genommen interessierte man sich auch sonst recht wenig für die Menschen, die da gekommen waren, um beim Boom der Wirtschaft mitzuhelfen. Es war ja nur als temporäre Maßnahme gedacht. Nach getaner Arbeit, so die damalige Vorstellung, würden sie ja ohnehin wieder in ihre Heimat zurückgehen.

Das war der erste große Irrtum. Gefolgt davon, dass man deswegen auch keine Notwendigkeit sah, sich besonders um diese Menschen zu kümmern. Sie mit dem Land vertraut zu machen, ihnen die Sprache und die Mentalität näherzubringen. Und dafür zu sorgen, dass sich Verbindungen zwischen den Gastarbeitern und der autochthonen Bevölkerung ergeben. Man lebte nebeneinander, hatte einander nicht viel zu sagen und erwartete nicht, dass aus der kurzfristigen Idee eine längerfristige werden würde. Aus den zunächst wenigen Gästen im Land wurden mehr – und irgendwann passte auch der Begriff „Gast“ nicht mehr so recht. Österreich und Deutschland hatten sich als eine zweite Heimat für diese Zuwanderer etabliert.

Lange Zeit waren sie vor allem Türken. Muslime waren sie nur in zweiter Linie – und selbst da war das Interesse nicht wahnsinnig groß, die Furcht vor dieser Religion noch alles andere als ausgeprägt. Im Lauf der Jahre kamen andere Menschen, unter ihnen wieder zahlreiche Muslime, etwa aus Bosnien-Herzegowina. Wieder im Zug von Arbeitsmigration, später als Flüchtlinge aus dem Jugoslawien-Krieg. Doch auch bei ihnen spielte die Religion keine große Rolle. Ja, es wurde schon damals politisiert – gegen „die Ausländer“. Doch der Fokus auf den Islam sollte erst später kommen.

Spätestens mit dem 11. September 2001, mit den Angriffen auf die Twin Towers in New York und das Pentagon in Washington, hatte der Islam den Aufstieg zu einer Art globalem Feindbild geschafft. Ein Feindbild, das nach dem Zerfall der Sowjetunion, dem Ende des Kalten Krieges, offenbar dringend benötigt wurde, erstmals konkret niedergeschrieben in Samuel P. Huntingtons „Clash of Civilizations“ aus dem Jahr 1996. Ein Buch, das quasi das theoretische Konzept dafür lieferte, wie die Welt sich in den kommenden Jahrzehnten entwickeln würde.

Die neue Konfliktlinie zwischen der westlichen und der islamischen Welt hat unter anderem dazu geführt, dass etwa in Österreich und Deutschland aus den Ausländern, aus den Türken, aus den Bosniern und Iranern „die Muslime“ geworden sind. Die Religion ist plötzlich zum primären Identifikationsmerkmal aufgestiegen. Nicht zu einem Merkmal unter vielen, das eben zu einer Person gehört. Sondern zum wichtigsten, hinter das alles andere zurückgereiht wird. Parallel dazu hat sich aber längst eine Wandlung vollzogen. Demografisch und auch ideell. Denn längst ist der Islam nicht mehr ein Merkmal, das vor allem zu Zuwanderern passte. Viele Muslime haben längst die Staatsbürgerschaften von Österreich oder Deutschland inne. Weil sie eingebürgert wurden. Oder sogar hier geboren sind. Aufgewachsen im Bewusstsein, Österreicher zu sein. Und Muslim. Die Frage, ob sie hier dazugehören, stellt sich für sie nicht. Auch wenn sie ihnen von außen immer wieder gestellt wird. Diese Trennung in den Köpfen der Bevölkerung, diese Grundeinstellung im öffentlichen Diskurs ist es, die die Frage, ob der Islam denn nun zu Österreich gehört, immer wieder aufwirft. Eine Frage, die aber weder so pauschal gestellt noch beantwortet werden sollte. Natürlich ist es lohnend, einen Blick darauf zu werfen, wie sich der Islam im österreichischen Staat, in der österreichischen Lebensrealität mittlerweile eingefügt hat. Wie er auf viele Dinge Einfluss nimmt, aber auch, wie er sich an die Gegebenheiten angepasst, sich verändert, eine eigene Spielart entwickelt hat.

In einzelne Lebensbereiche vorzudringen und sie darauf abzuklopfen, wie der Islam und Österreich sich angenähert und beeinflusst haben, aber auch, wo Potenzial für Konflikte begraben liegt, war eine Motivation für dieses Buch. Und das auf eine Art und Weise, wie es auch „Die Presse“ in ihrer täglichen Arbeit macht – und ihre Leserinnen und Leser es gewohnt sind und schätzen. Nüchtern, nämlich unaufgeregt und sachlich. Ohne Schaum vor dem Mund. Und ohne vorgefertigte Ergebnisse, die auf Nicht-Recherche beruhen.

Was dieses Buch auch von anderen unterscheidet, ist, dass hier nicht sogenannte „Islamexperten“ ans Werk gehen. Sondern weil ein Ansatz des Buches ist, dass die Spezialistinnen und Spezialisten aus der „Presse“-Redaktion sich weitgehend in dem thematischen Bereich bewegen, für den sie auch sonst zuständig sind. Themen, die auf den ersten Blick oft gar nichts mit dem Islam zu tun haben. Doch in denen man auf den zweiten Blick spannende Aspekte entdecken kann, wenn man in ihnen nach Verbindungen zu Muslimen sucht.

Das beginnt schon mit den Themenfeldern Politik und Kirche, die von Oliver Pink und Dietmar Neuwirth im Hinblick auf den Islam durchleuchtet werden. Jakob Zirm aus dem Wirtschaftsressort wiederum rückt Themen wie Halal-Zertifizierungen und Islamic Banking in das Zentrum seines Beitrags zu Islam und Wirtschaft. Eine politisch heikle Debatte ist die Erziehung und Ausbildung muslimischer Kinder – Eva Winroither und Bernadette Bayrhammer werfen einen genauen Blick in Kindergärten und Schulen. Feuilleton-Redakteurin Anne-Catherine Simon wiederum denkt rund um das Thema Frauenbild im Islam über eines der sichtbarsten – und umstrittensten – Symbole nach, nämlich das Kopftuch.

Köksal Baltaci aus dem Wien-Ressort hat die spezielle Rolle des türkischen Islam in Österreich analysiert, während seine Ressortkollegin Anna Thalhammer eines der besonders dunklen Kapitel bearbeitet, nämlich jenes der Radikalisierung junger Muslime, die in nicht wenigen Fällen weg aus Österreich und sogar in den Tod geführt hat. Rechtspanorama-Chef Benedikt Kommenda wiederum hat den Islam in Sachen Kompatibilität mit der österreichischen Rechtsordnung durchleuchtet. Medienredakteurin Anna-Maria Wallner widmet sich der Frage, wie Muslime in Medien repräsentiert sind und werden.

Einen Bereich, der als besonders wichtig für die Integration gilt, hat Innenpolitik-Redakteurin Iris Bonavida ins Visier genommen – das Bundesheer, in dem mittlerweile eine gar nicht so geringe Anzahl an Muslimen für die Landesverteidigung Österreichs zuständig ist. Weniger positiv ist der Blick, den Chronik-Redakteur Manfred Seeh auf die Verbindungen von Islam und Justiz wirft – nämlich auf die Lage von Muslimen in Österreichs Haftanstalten. Umgekehrt beleuchtet Österreich-Redakteur Gerhard Bitzan, wie wichtig Muslime auch als positive Role Models sein können, ehe Außenpolitik-Redakteurin Duygu Özkan noch einen Blick auf jene Muslime richtet, die nicht im Fokus der Debatte stehen: innermuslimische Minderheiten, also Schiiten, Aleviten und andere Glaubensrichtungen innerhalb des Islam, zusammengefasst unter „die anderen Muslime“.

Jedes Kapitel kann einen Beitrag dazu leisten, den Islam und die Muslime in Österreich ein Stück weit zu verorten. Ein wenig dazu beitragen, mehr über die Muslime zu erfahren, die hier leben. Wie sie in manchen Bereichen längst ganz selbstverständlicher Teil des Landes sind. Und wie in anderen noch Trennlinien existieren, von wem auch immer gezogen – von Muslimen selbst oder von jenen, die auf Muslime schauen.

Gehört der Islam, abschließend gefragt, nun also zu Österreich? Natürlich, das tut er längst durch all die Muslime, die hier leben, arbeiten, Steuern zahlen, ihre Kinder erziehen, das Land verteidigen, vielleicht auch mit manchen Dingen im Land unglücklich sind, mit manchen Traditionen ihre Probleme haben und manchmal womöglich auch mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Wichtig ist bei all dem, dass wir darüber reden. Dass wir ein Bild der Situation gewinnen. Und daraus ableiten können, wo das Zusammenleben gut funktioniert, wo es hakt – und was wir tun können, damit Österreich und der Islam nicht als Gegensatzpaar wahrgenommen werden müssen.

1.
Islam und Österreich
Die muslimische Volkszählung

Erich Kocina

Gehört der Islam zu Österreich? Es ist eine Frage, die philosophisch angegangen werden kann, aus politischer Sicht, aus einem kulturhistorischen Blickwinkel, aus einem gesellschaftlichen – und nicht zuletzt wird dafür auch häufig so etwas wie das Bauchgefühl bemüht. Ein Aspekt dabei aber steht zweifelsfrei fest: Die Muslime sind da, sie leben in Österreich, sind zugewandert oder hier geboren, haben die österreichische oder eine andere Staatsbürgerschaft und sind ein mittlerweile fast schon selbstverständlicher Teil des Landes. Doch schon die nächste logische Frage ist nicht mehr so klar zu beantworten: Wie viele Muslime gibt es überhaupt in Österreich?

Um zur letzten wirklich greifbaren Zahl zu kommen, muss man zurück ins Jahr 2001 gehen. 338.988 Muslime wurden damals bei der Volkszählung registriert. Das entsprach damals rund 4,2 Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: Bei der Volkszählung 1971 lag der Anteil der Muslime an der Bevölkerung mit 22.267 Menschen bei 0,3 Prozent. Zehn Jahre später lebten schon 76.939 Muslime im Land, rund ein Prozent der Bevölkerung. 1991 hatte sich der Anteil der Muslime mit 158.786 Menschen auf zwei Prozent verdoppelt. Weitere zehn Jahre später gab es noch einmal doppelt so viele Muslime.

Der nächste Schritt wäre gewesen, die Daten des Jahres 2011 heranzuziehen. Allein, es gibt sie nicht mehr. Die „Statistik Austria“ stellte das System der Volkszählung um – die Fragebögen, die die Bürger beim Besuch eines Volkszählers ausfüllen mussten, wurden eingemottet. Stattdessen werden seit damals Datensätze aus verschiedenen Institutionen zusammengeführt, vom Melderegister, dem Gebäude- und Wohnungsregister, den Finanzämtern, dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger oder auch dem AMS. Ein Verfahren, das massiv billiger ist – es kostet nur knapp zehn Millionen Euro statt rund 72 Millionen bei der traditionellen Methode. Aber auch ein Verfahren, das Nachteile hat. Denn bisher enthaltene Daten finden sich in den Registern nicht mehr. Dazu gehören der Beruf, die Umgangssprache und nicht zuletzt auch das Religionsbekenntnis.

Wer heute also die Frage stellt, wie viele Muslime in Österreich leben, ist auf Schätzungen und Hochrechnungen angewiesen. Eine erste erschien im Jahr 2010, herausgegeben vom „Österreichischen Integrationsfonds“ (ÖIF) und basierend auf den Daten von 2001, die mit der Nettomigration aus islamischen Ländern und den Geburtenraten der muslimischen Bevölkerung verknüpft wurden. Mit Stichtag 1. Jänner 2009 kommt die Hochrechnung auf 515.914 Personen mit islamischem Religionsbekenntnis. Das wäre ein Bevölkerungsanteil von 6,2 Prozent. Das „Institut für Islamische Studien“ der Universität Wien wiederum kam bei einer weiteren Hochrechnung mit dem Stichtag 1. Jänner 2012 auf 573.876 Muslime, was einem Anteil von 6,8 Prozent an der Bevölkerung entspräche. Der ÖIF war es wiederum, der 2017 in einer weiteren Hochrechnung bei rund 700.000 Muslimen landete, was einem Bevölkerungsanteil von rund acht Prozent entspräche. Und einer Verdopplung der Zahl der Muslime innerhalb von 15 Jahren.

Schätzungen anhand von Migration

Zuletzt arbeitete das „Vienna Institute of Demography“ an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an dieser Hochrechnung, die den Stand mit Anfang 2017 abbilden soll. Die Basis dafür ist erneut die Volkszählung von 2001. Dazu zählt Projektleiterin Anne Goujon vier Elemente. Zunächst die Fertilität – die Daten dazu liefert das Geburtenbarometer, in dem die Religion der Mutter eines Kindes erfasst wird. Um eine tatsächliche Geburtenrate zu berechnen, braucht es allerdings die Gesamtzahl der weiblichen Muslime, die wiederum geschätzt werden muss. Danach kommt die Sterblichkeitsrate – hier ist vor allem die ältere Bevölkerung der ersten Einwanderergeneration ein Unsicherheitsfaktor, weil doch noch einige ihre letzten Tage in der alten Heimat verbringen und dort sterben wollen, sie aber zum Teil in Österreich nicht aus den Registern fallen. Der dritte und größte Teil ist die Migration. Hier werden die Migrationszahlen mit der religiösen Verteilung der jeweiligen Herkunftsländer kombiniert – auf Basis von Volkszählungen oder Schätzungen des „Pew Research Center“ in Washington D. C. Das passiert bei Migration, etwa aus anderen europäischen Ländern, so wie auch bei Fluchtbewegungen. Bei den Flüchtlingszahlen greift man unter anderem auf die Registrierung zurück, die zum Erhalt der Grundversorgung nötig ist, aber auch auf die Zahlen von Asylanträgen. Das ist insofern wichtig, weil Personen, die nach Österreich zuwandern, erst in der Wanderungsstatistik erfasst werden, wenn sie mehr als 90 Tage in Österreich mit einem Hauptwohnsitz gemeldet sind.

Gerade die Flüchtlinge haben hier einen besonders großen Einfluss, weil sie fast alle aus muslimischen Ländern stammen. 2015 wurden knapp 90.000 Asylanträge in Österreich gestellt. 2016 waren es rund 42.000. Als vierte Kategorie für die Hochrechnung wird schließlich noch der Wechsel des Religionsbekenntnisses geschätzt. Dieser ist, im Gegensatz zu anderen Konfessionen, wo es einen sehr deutlichen Trend zu Säkularisierung in Form von Austritten gibt, bei Muslimen nur gering verbreitet. Goujon und ihr Team gehen von einer Säkularisierungswahrscheinlichkeit von etwa fünf Prozent bei den Muslimen in Österreich aus.

Die unbefriedigende Zahlenlage im Vergleich etwa zu den Katholiken lässt sich auch durch eine simple Organisationsfrage erklären. Denn die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), die Religionsvertretung der österreichischen Muslime, ist keine Kirche mit verpflichtender Zugehörigkeit. Zum Vergleich: Die katholische Kirche hebt von ihren Mitgliedern einen Kirchenbeitrag ein und führt daher auch ein Verzeichnis. Aus dem lassen sich sehr exakte Daten herauslesen. Auch die evangelischen Kirchen zählen ihre Mitglieder und können so recht präzise Angaben machen. Eine Aufstellung der Religionen in Österreich sieht nach wie vor eine deutliche Mehrheit an Katholiken, die 5,16 Millionen Mitglieder haben, dahinter folgen die Muslime mit rund 700.000 und die Orthodoxen mit rund 500.000 Menschen. Die letzteren Werte beruhen allerdings nur auf Schätzungen. Dahinter folgen mit 302.964 Menschen die Protestanten. Geschätzt leben rund 15.000 Juden in Österreich. Und schließlich bleiben rund 2,1 Millionen Menschen, die anderen Religionen anhängen oder konfessionslos sind.

Abgesehen davon, dass Schätzungen und exakte Zahlen gegenübergestellt werden müssen, gibt es bei den Daten für Muslime noch eine weitere Schwäche: Wie viele von ihnen wirklich gläubig sind, lässt sich aus diesen Zahlen nicht ablesen. Wie viele der geschätzten 700.000 ihren Glauben überhaupt ausleben, wie streng sie das machen und nach welchen Traditionen, das findet sich in all diesen Daten nicht. Das lässt sich zwar etwa auch bei den Katholiken nicht feststellen, doch kann man zumindest aus der Zahlung des Kirchenbeitrags eine gewisse Bindung zur Kirche herauslesen. Auf muslimischer Seite fehlt dieser Indikator. Das Bild des monolithischen Blocks aller österreichischen Muslime, die allesamt regelmäßig in die Moschee gehen und für die die Religion einen besonders hohen Stellenwert hat, ist jedenfalls nicht haltbar.

Einen Anhaltspunkt dafür liefert unter anderem „Religion im Leben der ÖsterreicherInnen 1970 – 2010“, eine 2011 veröffentlichte Langzeitstudie des Religionsforschers Paul M. Zulehner. Laut ihr gehört nur knapp jeder zweite Muslim in Österreich zur Gruppe der Praktizierenden. Rund ein Viertel zählt demnach zu den Säkularen. Religiöse Traditionen wie der Ramadan spielen aber auch bei dieser Gruppe noch eine Rolle – in Form eines Kulturislam, so wie auch säkulare Christen Feste wie Weihnachten oder Ostern feiern. Zwar liege laut der Studie die Religiosität der Muslime noch über derjenigen anderer Glaubensgemeinschaften, doch lasse sich auch hier ein Trend bemerken – dass nämlich der Glaube für die jüngere Generation einen deutlich geringeren Stellenwert hat als bei den Älteren. Vor allem bei den Zuwanderern aus Anatolien sei die Verbindung zwischen Kultur und Religion noch sehr stark. Jüngere und vor allem Frauen brechen diese Kombination zunehmend auf. Laut der Studie sind es vor allem Frauen, die ein moderneres Weltbild entwickeln und sich weg von traditionellen Rollenbildern bewegen – und die damit die Modernisierung unter den Muslimen antreiben.

Einen Trend zum säkularen Islam ortet auch „Muslimische Milieus in Österreich“, eine 2012 begonnene Langzeitstudie des „Instituts für Islamische Studien“ mit 700 Teilnehmern, die im Juni 2017 veröffentlicht wurde. Darin rechnen die Studienautoren Ednan Aslan, Jonas Kolb und Erol Yildiz rund 40 Prozent der befragten Muslime zu den eher Säkularen. Konkret ist das die Gruppe der „Kulturmuslime“, die Religiosität nur im Sinne einer kulturellen Gewohnheit lebt, und eine Gruppe, die unter „ungebundene Restreligiosität“ zusammengefasst wird. Beide Gruppen, glauben die Autoren, würden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die anderen rund 60 Prozent der Befragten werden als religiös betrachtet – allerdings in unterschiedlicher Intensität. Rund 14 Prozent davon, zusammengefasst unter „bewahrende Religiosität“, richte ihr gesamtes Leben vorrangig nach religiösen Prinzipien aus. Knapp 27 Prozent würden eine pragmatische Religiosität leben, also etwa religiöse Rituale dem Rhythmus des Arbeitsplatzes anpassen und nicht umgekehrt. Und schließlich würden knapp 15 Prozent eine offene Religiosität leben, also individueller und weniger auf religiöse Autoritäten ausgerichtet.

Was bei aller Hinwendung zum Säkularismus in der Studie dennoch auffällt, sind Einstellungen, die die Autoren als „hoch fundamentalistisch“ bezeichnen. Dazu zählen die Autoren etwa die Wertung der eigenen Religion als höherstehend bei gleichzeitiger Abwertung anderer Religionen. Allerdings haben die Autoren zwei wichtige Anmerkungen zu diesem Begriff. Zum einen, dass sich ein Hang zur Gewalt gegenüber Nichtmuslimen aus dieser Befragung nicht herauslesen lasse. Und zum anderen, ob bei einer solchen Umfrage unter Christen nicht auch ähnliche Ergebnisse herauskommen würden. Das gilt auch für Fragen, die weniger mit Religiosität als der Lebensweise zusammenhängen. So finde es etwa ein Drittel der Befragten „sehr bedrohlich“, wenn das eigene Kind einen Partner mit anderer Religionszugehörigkeit heiraten würde.

Die Studie zeigt noch einen weiteren Aspekt des muslimischen Lebens, der in der Öffentlichkeit und in der medialen Darstellung oft vernachlässigt wird: dass nämlich nur ein geringer Teil der Befragten Mitglied in einem Moscheeverein ist – nicht einmal 20 Prozent laut der Studie. Wobei bei der Gruppe mit der „bewahrenden Religiosität“ noch rund 42 Prozent, bei den pragmatisch Religiösen rund 26 Prozent zu einem Moscheeverein gehören.

Vereine bestimmen den religiösen Alltag

Diese Vereine sind es auch, die maßgeblich den Alltag der organisierten Religiosität bestimmen. Dabei handelt es sich vor allem um ethnisch oder nach Herkunftsstaaten zusammengesetzte Organisationen, allen voran die „Türkisch Islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich“ (ATIB), den mit – je nach Angaben – 75.000 bis 100.000 Mitgliedern und mehr als 60 Vereinen größten muslimischen Verband Österreichs. Er untersteht dem staatlichen türkischen Präsidium für religiöse Angelegenheiten in Ankara. Der zweite große Player mit rund 30 Ortsvereinen ist die „Islamische Föderation“, die zur türkischen Millî Görüs-Bewegung des 2011 verstorbenen türkisch-islamistischen Politikers Necmettin Erbakan gehört. Zahlenmäßig relevant ist auch noch die türkisch geprägte „Union Islamischer Kulturzentren“ (Avusturya Islam Kültür Merkezleri Birliǧi, UIKZ), die mehr als 40 Moscheen unter ihrem Dach versammelt. Die zahlenmäßig starken türkischen Vereine sind es auch, die in der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich das Ruder übernommen haben. Zuvor war sie von der zahlenmäßig doch kleinen Gruppierung der Araber dominiert worden.

Die Araber dürften in der Bevölkerung Österreichs allerdings in den vergangenen Monaten wieder zugelegt haben – durch die Fluchtbewegungen aus Syrien und dem Irak, wenn auch nicht in der Dimension, dass sie die zahlenmäßige Dominanz der Türkeistämmigen und der Bosniaken berühren wird. Wobei die ethnische Herkunft nur ein Merkmal ist – und das muss sich nicht unbedingt in der Staatsbürgerschaft niederschlagen. Denn ein großer Teil der in Österreich lebenden Muslime sind mittlerweile österreichische Staatsbürger, ob eingebürgert oder bereits von Geburt an. Bei der Volkszählung 2001 lag der Anteil der Österreicher mit islamischem Religionsbekenntnis noch bei rund 28 Prozent. Die Schätzung des Integrationsfonds 2009 sah den Anteil der Muslime, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, bereits bei 49 Prozent. Ein Anteil, der in der Zukunft wohl weiter steigen wird, wenn die Einbürgerungsrate der letzten Jahre von 0,7 Prozent auf gleichem Niveau weiter praktiziert wird. Und damit auch ein Anteil, der am Ende auch als ein befürwortendes Argument für die Frage herhalten kann, ob der Islam denn nun zu Österreich gehört.

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