Loe raamatut: «Grünröcke erzählen ...»

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Hubert Molitor

GRÜNRÖCKE ERZÄHLEN

Heitere und besinnliche Jagdgeschichten aus Urgroßvaters Zeiten


Umschlaggestaltung: Thomas Hofer, Reproteam-Druck GmbH., Graz

Titelbild: Aus: „Wild und Hund“, IX. Jahrgang, Nr. 27

Bildnachweis: Aus: „Wild und Hund“, IX. Jahrgang, Nr. 5; Nr. 13; Nr. 38; Nr. 51

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ISBN 978-3-7020-1337-0

eISBN 978-3-7020-1904-4

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© Copyright by Leopold Stocker Verlag, Graz 2011

Printed in Austria

Textverarbeitung: Klaudia Aschbacher, A-8111 Judendorf-Straßengel

Druck: Druckerei Theiss GmbH, A-9431 St. Stefan

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Camillo Morgan

Der erste heurige Hase

Unbekannt

Ein „kugelfester“, ein „tauber“ und ein „sprechender“ Bock

Camillo Morgan

Ein Jagdherrenpaar

Hans Schischka

Der Pratzengirgl

Walter Fiedler

Die Wilddiebe

Anton Achleitner

Bergjagd

Karl Witze

Mit meinem Teckel auf Sauen

Arthur Schubart

Der Hochzeitshecht

Oskar Horn

„Sein“ erster Hase

Karl Brandt

Der Unterschied zwischen schlau und gerieben

E. Heinshofen

Der höchste Wunsch

A. v. B.

„Abschuss“

Unbekannt

Wie Kantor Giese zu zwei Weihnachtsbraten kam

Waldheinrich

Das Mutterfass

Hanns Jagenteufel

Der Enziangraber

Fr. B. L.

Der freundliche Irgl

L. W.

Helljäger

Literaturverzeichnis

Vorwort

Als kleiner Junge hörte ich den Erwachsenen gespannt zu, wenn sie mir Geschichten erzählten. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Handlungen erfunden oder Realität waren, Hauptsache, sie waren spannend.

Später, im Erwachsenenalter, änderte sich meine Vorliebe für die Inhalte von Geschichten ganz erheblich. Aus Gründen, die nur das Schicksal vorgeben kann, musste ich mir aus beruflichem Anlass tagtäglich Geschichten anhören. Dabei kam es aber nicht so sehr darauf an, ob ich die Erzählungen spannend fand, sondern darauf, ob ich sie glaubte oder nicht. Dies führte auf Dauer zu einer gewissen Abstumpfung meiner mir ursprünglich angeborenen kindgerechten Gutgläubigkeit. Um ehrlich zu sein, führte die Art und Weise der erzählten Geschichten sogar zu einer periodischen Abneigung gegenüber Geschichten insgesamt. Im Nachhinein betrachtet, war diese Abneigung jedoch völlig unberechtigt, denn kein Mensch hatte mich schließlich gezwungen, Jurist zu werden.

Dennoch blieb die ständige Überfütterung meiner Person mit Geschichten nicht ohne Folgen. Aus Gründen der Fürsorge gegenüber meiner Gesundheit entzog ich mich dem ständigen Beschuss durch weitere Geschichten, zog mich ins Privatleben zurück und widmete mich künftig der Jagd und Fischerei. Einige Zeit gelang es mir so, mich dem Einfluss fremder Geschichten zu entziehen. Dies sollte sich jedoch ändern, als ich eines traurigen Tages das Erbe meiner verstorbenen Mutter antreten musste. In ihrem Nachlass befand sich nämlich eine umfangreiche Sammlung von Jagdzeitschriften, die mein Großvater, ein Revierförster, in den Jahren von 1902 bis 1928 gesammelt hatte. Ich fing an zu lesen und konnte nicht mehr aufhören. Eine neue, längst vergangene Zeit tat sich vor mir auf. Mein Interesse für Geschichten erwachte in mir von Neuem. Manche gefielen mir so gut, dass ich beschloss, sie in einer Zusammenfassung Ihnen, lieber Leser, weiter zu erzählen. Es würde mich freuen, wenn sie Ihren Gefallen ebenso finden würden wie dies bei mir der Fall war.


München, Februar 2011 Hubert Molitor

Jagdlicher Ehrgeiz schlägt zuweilen sonderbare Blüten. Diese Erkenntnis ist allerdings nicht neu, wie eine Erzählung des Herrn Camillo Morgan im Folgenden beweist. Aufgeschrieben wurde sie im Jahre 1902 unter dem Titel:

Der erste heurige Hase
Eine heitere, buchstäblich wahre Geschichte

Mein Freund Constantin gewann heuer auf höchst originelle Art eine Wette.

In Gemeinschaft mit sieben Herren hat er die Gemeindejagd des Ortes gepachtet, wo er domiziliert, und rennt in diesem Revier zu allen Stunden des Tages und der Nacht mit der Flinte herum, verpufft jedoch nur zur Zeit, wenn die Hasenjagd aufgeht, eine größere Anzahl Patronen, weil eben nur noch Lepus timidus in der traurigen Gegend vorkommt. Die letzten Hühner wurden vor drei Jahren geschossen, der letzte Bock, der vor sechs Jahren aus einem Nachbarrevier durchwechselte, fand seither keinen Nachfolger mehr, und sonstiges Wild ist überhaupt nicht vorhanden. Dass sich mein Freund Constantin infolgedessen zu einem ausschließlichen Hasenjäger ausbildete und alljährlich den ersten September kaum zu erwarten vermag, mit welchem in seinem Kronlande (Anmerkung: gemeint ist hier Niederösterreich) die Schusszeit der Hasen beginnt, ist unter solchen Umständen leicht zu begreifen. Auch heuer inspizierte er schon im August allabendlich sämtliche Waldlisieren (Anmerkung: alter Ausdruck für Lichtungen) des Gesellschaftsreviers, um sich zu orientieren, wo die meisten Hasen mit Sonnenuntergang ihren Tummelplatz und wo somit der beste Ansitzplatz wäre. Seine Mühe war auch keine vergebliche. Am 30. August hatte er eine Stelle entdeckt, wo er im Verlaufe von kaum einer Stunde nicht weniger als elf Hasen aus einem dichten Jungmaisbestand in einen Kleeacker hoppeln sah.

„Elf Hasen! Denke dir nur, elf Hasen“, sagte er aufgeregt zu seiner Gattin, als er heimkam und den Schießprügel auf den Gewehrhaken hängte.

Am Abendessen nahmen noch einige der Mitpächter teil, und das ganze Tischgespräch drehte sich um die elf Hasen.

„Wer wohl den ersten Hasen erlegen wird?“ meinte Constantins Gattin.

Sofort wurde gewettet und für den ersten Hasen ein Zwanzig-Kronen-Preis ausgesetzt, der nachher natürlich „flüssig“ gemacht, d. h. in „Bier“ oder „Wein“ „umgesetzt“ werden sollte, selbstverständlich unter Zuspruch der ganzen Corona. Zur Vorfeier wurde auch schon am 30. August ziemlich tief in die Krügel geguckt, und um Mitternacht legte sich Freund Constantin mit schwerem Schädel zu Bette.

Gott Morpheus gaukelte ihm Legionen von Hasen vor, unter welchen er wahre Massenmorde vollbrachte, und um 4 Uhr Morgens erwachte er aus seinem von so holden Traumgebilden durchwobenen Schlummer. Schlaftrunken richtete er sich aus seinen Polstern empor, warf einen Blick auf die an der Wand gegenüber hängende Kuckucksuhr und sprang dann mit beiden Füßen zugleich aus dem Bett.

„Höchste Zeit“, brummte er in den Bart, schlüpfte eilig in seine Kleider und verließ geräuschlos das Zimmer, um seine noch schlafende Frau nicht zu wecken. Im Nebenzimmer hing er sich den Schießprügel um, schlich sich auf den Zehen hinaus in den Hof, wo er Waldmann von der Kette losmachte, und im nächsten Augenblick trotteten Herr und Hund den ortsumfriedenden Wäldern entgegen. Ihr Ziel war „der Platz der elf Hasen“.

Richtig! Fast alle hockten sie noch beisammen im Klee!

Jetzt galts, auf einem kleinen Umwege, damit sie ihren zweibeinigen und vierbeinigen Todfeind nicht windeten, den Wald zu erreichen und dort, gut gedeckt, Posto zu fassen (Anmerkung: einen Ansitzplatz zu finden). Es gelang; Constantin und Waldmann lagen im dichten Ginsterbusch und harrten der „kommenden Dinge“, in diesem Falle der „kommenden Hasen“.

Ein um 5 Uhr zur Feldarbeit ausziehendes Bäuerlein mit knarrendem Leiterwagen bereitete der Reunion der frühstückenden Hasengruppe ein Ende; Rammler, Satzhäsinnen und Dreiläufer, alles kunterbunt durcheinander, rückte dem schirmenden Waldesgrün zu.

Da – ein Blitz, ein Knall – und ein kräftig entwickelter Junghase, dem man gute vier Kilo ansah, machte seinen letzten Salto mortale. Schon ist Waldmann zur Stelle, der ihn, stolz wedelnd, seinem Herrn apportiert, und nun blickt Constantin geraume Zeit in stiller Verzückung auf die zu seinen Füßen liegende Beute – auf den „ERSTEN“ in der Saison, auf den Zwanzig-Kronen-Preis-Hasen, denn nirgends im ganzen Revier war sonst noch ein Schuss gefallen.

In gehobenster Stimmung machten sich Constantin und sein getreuer Brauntiger auf den Heimweg. Bei ihrer Ankunft zu Hause ist die fürsorglich waltende Hausfrau soeben mit der Zurichtung des Frühstückstisches beschäftigt. Ohne ein Wort zu sprechen, aber mit leuchtenden Augen hebt Freund Constantin den Hasen empor und schwenkt ihn, wie ein Indianer den Skalp eines getöteten Bleichgesichtes, triumphierend ein paar mal ums Haupt.

„Um Himmels Willen, was hast du gemacht?“ schreit Constantins Gattin.

„Welche müßige und überflüssige Frage!“ entgegnete ihr Eheherr. „Du siehst es ja doch! Ich habe die Zwanzig-Kronen-Wette gewonnen, indem ich den ersten heurigen Hasen erlegte!“

„Aber Mann! Konfusionsrat! Pechvogel! Unglücksmensch! Heute ist doch erst der 31. August, aber noch nicht der 1. September!“ schrillt es ihm aus dem Munde seiner Ehehälfte entgegen.

Wie Keulenschläge trafen diese Worte Constantins Haupt; er wankte und taumelte, trat dabei seinem Waldmann auf eine Pfote, dass derselbe laut aufheulend und mit eingezogenem Schwanze in den Hofraum entwich, und sank dann, ein klägliches Bild des Jammers, zusammengeknickt wie ein Taschenfeitel, auf eine Chaiselongue.

„Erst der 31. August, aber noch nicht der 1. September!“ summte es ihm immer noch in den Ohren. Der Zwanzig-Kronen-Gewinn versank vor seinen Augen wie in einer Theater-Versenkung, und an seiner Stelle tauchte das drohende Gespenst einer Geldstrafe auf, die ihm sicher bevorstand, wenn das Bäuerlein, welches Zeuge der Tat war, wegen Nichteinhaltung der gesetzlichen Schonzeit gegen ihn eine Anzeige machte. Und dazu noch das Ausgelachtwerden, den Hohn und den Spott der ganzen Jagdgesellschaft ertragen! Es war zu viel – zu viel für Constantins sonst nicht leicht verzagende Seele. Zu alledem ließ es auch seine Gattin an einer scharfen Predigt nicht fehlen, welche mit allerlei, nicht sonderlich angenehm an ein Waidmannsohr klingenden Worten, wie „Sonntagsjäger“, „Aasjäger“, „Schießer“ und dergleichen gewürzt war; jeder dieser Schimpfnamen bohrte sich wie ein Stachel in Constantins Nimrodbrust; doch ertrug er alles als Held, ohne dass sich ein Wort der Entgegnung seinen schmerzlich zusammengekniffenen Lippen entrang. Der ganze Tag, ein „kritischer Tag erster Ordnung“ für Constantin, verlief in düsterem Schweigen; Herr, Frau und Dienstmagd gingen aneinander vorbei wie Trappisten, die das Gelöbnis lebenslänglichen Stummseins abgelegt hatten; und erst mit Anbruch der Nacht wurde es Constantin etwas leichter ums Herz, da er ins Bett steigen konnte, um seine Angst, Blamage und verletzte Jägereitelkeit zu verschlafen.

Wieder zauberte ihm der Traumgott unabsehbare Hasen-Kolonnen vor, mit dem Unterschied jedoch, dass diesmal nicht er wie ein Würgengel unter ihnen herumwütete, sondern sie die Verfolger waren, vor welchen er flüchtete über Stock und Stein, wie ein zu Tode Gehetzter. Mit dem Grauen des Morgens erwachte er wieder, zufälligerweise abermals ganz genau um 4 Uhr, wie am Unglückstage zuvor; alle Bangigkeit, alle Unruhe, aller Kummer schienen aber von ihm gewichen zu sein, als er sich ebenso hurtig wie am vergangenen Morgen erhob und ankleidete; ja, um seine Mundwinkel spielte sogar ein verschmitztes, spöttisches Lächeln.

Woher diese Umwandlung kam? Ganz einfach! Heute war ja erst der 1. September; das Malheur vom Vortage war allerdings nicht mehr ungeschehen zu machen; die Wette aber war ja immer noch zu gewinnen! Also rasch auf den Elf-Hasen-Platz!

Armer Constantin! Im Schlafzimmer war er noch so wohlgemut, so vergnügt, und im Nebengemache sollte er abermals eine Enttäuschung erfahren, die ein würdiges Gegenstück zu der tagsvorherigen ergab. So genau er nämlich auch jeden Winkel des Zimmers durchsuchte, sein Gewehr war nirgends zu finden. Seine Ehehälfte hatte es ihm ohne Zweifel versteckt, gewissermaßen als Strafe. Constantin begann nun wie ein Stabstrompeter zu fluchen, ganz im Stillen jedoch, denn im Hause hatte seine Gattin „die Hosen an“, und als er sich in seinem Innern genügend ausgeflucht hatte, blieb ihm nichts Anderes übrig, als ohne Gewehr das Haus zu verlassen. Er nahm seinen Stock, der dem gekürzten Krummstab eines Bischofs glich, und trat mit Waldmann seine Morgenwanderung an.

„Versuchen wir’s! Vielleicht geht es“, murmelte er geheimnisvoll vor sich hin, und abermals trat ein Lächeln auf seine Lippen, die eben zuvor noch im Flüstertone grimmige Flüche gelispelt hatten. Auf dem Weg zum ElfHasen-Platz sah Constantin einen der Mitpächter mit einem Jagdstuhl unter dem Arm aus einer andern Richtung dem Walde zusteuern. Constantin schnitt bei diesem Anblick eine Grimasse und beschleunigte seine Gangart. Mit Vergnügen bemerkte er, dass er vor jenem einen Vorsprung gewann, und als er dem Kleefeld nahe war, wo, wie am vergangenen Morgen, wieder eine Hasengesellschaft noch in aller Gemütsruhe schmauste, führte er nachstehendes, genial ausgedachtes Manöver aus.

Waldmann musste ein gutes Stück seitwärts in der Down-Lage liegen bleiben, während sich Constantin platt ins hohe Gras niederwarf und, den Stock in der Rechten, dem Kleefelde zukroch. Einige niedrige Büsche gewährten ihm Deckung, der Wind war günstig für ihn, und so kam er einem Häslein so nahe, dass er von dem Stocke Gebrauch machen konnte. Er schleuderte denselben so gut und so wuchtig, dass der am Kopf getroffene Lampe eine Weile sichtlich betäubt war, und diese kleine Weile genügte, dass der herbeigerufene Waldmann das Werk seines Herrn kunstgerecht zu vollenden vermochte.

Die anderen Hasen stoben natürlich in wilder Flucht auseinander, Constantin aber ergriff den seinen und ging mit demselben stolz dem Pachtgenossen entgegen, der soeben gegenüber am Waldesrand auftauchte und nicht wenig verwundert war, um den „Ersten“ gekommen zu sein und denselben bereits in Constantins Hand zu erblicken.

Abends beim „Goldenen Widder“ war große Zusammenkunft der ganzen Pachtjagdgesellschaft. Es gab erregte Debatten, ob die Wette von Constantin rechtsgültig gewonnen worden sei oder nicht; nachdem dieselbe aber gelautet hatte: „für den ersten Erlegten“ und nicht: „für den ersten Geschossenen“, so mussten die zwanzig Kronen meinem Freunde Constantin endlich zuerkannt werden, obgleich Manche die Art der Erlegung für unwaidmännisch erklärten. Constantin bekehrte jedoch diese Zweifler an seiner Waidgerechtigkeit alsbald zu einer anderen Meinung, indem er ihnen aus Xenophon vorlas, dass sich schon die Ureinwohner Griechenlands, die alten Pelasger, zur Hasenjagd eines als Wurfwaffe gehandhabten Krummstockes, des Logobolon, bedienten, woraus mit Sonnenklarheit hervorgehe, dass er den ersten heurigen Hasen der Anwendung einer echt klassischen Jagdmethode verdankte.

So geschehen im Herbstmonat des Jahres eintausend neunhundert und zwei, in einem Kronland Österreichs, in welchem solche und ähnliche „Jagd-Wunder“ durchaus nicht zu den Seltenheiten gehören.


Von außergewöhnlichen Begebenheiten auf der Rehbockjagd erzählen die folgenden drei Geschichten. Veröffentlicht wurden sie im Januar 1902 in der Bayerischen Forst- und Jagd-Zeitung. Leider wurde der Name des Autors nicht bekannt gegeben. Betitelt wurde der Artikel folgendermaßen:

Ein „kugelfester“, ein „tauber“ und ein „sprechender“ Bock
Einige Jagdepisoden aus dem „Dahner-Thale“ in der Rheinpfalz
I.

Im August vorigen Jahres war es, als ich eines schönen Morgens mit schwerem Kopfe einen kleinen Pürschgang antrat. Abends zuvor wurde einem von hier scheidenden Herrn ein Abschied gegeben, der sich aber bis in die frühen Morgenstunde ausdehnte, und natürlich: „Forstpartie fehlt dabei nie“, wie Herr G. von R. in seinem neuen Konversations-Lexikon schreibt. Dass bei solchen Gelegenheiten die „braune Welle“ etwas öfter als sonst die Gurgel spült, ist ja auch bekannt, und daher der „schwere Kopf‘. Zwei Herren, die während der Nacht auch die Ausdauer ihres „Sitzleders“ prüften, richteten an mich das Ansinnen, mich begleiten zu dürfen. Ich war damit einverstanden, und fröhlich wanderten wir dem Ausgang des Dorfes zu.

Natürlich ging ich jetzt voraus, während meine Begleitung auf circa 50 Meter Abstand folgte.

Kaum 100 Schritte hinter den letzten Häusern sah ich links von mir im saftigen Wiesengras drei Rehe äsen. Ein Blick durch den Feldstecher überzeugte mich von der Gegenwart eines kapitalen „Sechsers“.

Ein Blick nach rückwärts brachte die laut johlenden Sprechwerkzeuge und wackelnden Beine der Nachfolgenden zum Stillstehen.

Der Rehbock stand schussgerecht.

Ich legte an, und der Schuss hallte mit lautem Echo durch das stille Tälchen.

Natürlich glaubte ich den Bock im Verenden vor mir; denn dass man einen Bock auch fehlen kann, das wollte mir bis jetzt nicht in den Sinn. Diesmal musste ich aber daran glauben. Als sich nämlich der Pulverdampf verzogen hatte, sah ich die drei Rehe wie zuvor, nur mit hochgehobenem und sicherndem Grind vor mir stehen.

Hinter mir erscholl ein schallendes Gelächter, das natürlich mir galt. Aber sofort äugten und sicherten die Rehe nach der Richtung, aus der dasselbe kam, wodurch ihre Aufmerksamkeit von mir abgelenkt wurde.

Sofort stopfte ich eine neue Kugelpatrone in den Lauf, und nach ein paar Sekunden krachte der Schuss. Diesmal aber schien es, als ob die Rehe denselben gar nicht gehört hätten, denn sie ästen ganz ruhig weiter. Nur der Bock hob für einige Augenblicke den Grind, ließ sich aber dann auch nicht weiter in seiner Mahlzeit stören.

Ein dritter Schuss hatte gar keine Wirkung zu verzeichnen.

Jetzt lud ich die vierte und letzte Kugelpatrone, legte an und drückte los. Diesmal hörte aber auch ich nichts als ein leises „Knack“. Die Patrone hatte versagt. Ein zweites Spannen und Losdrücken hatte kein anderes Resultat.

Nun stand ich da – vor mir ein kapitaler „Sechser“, für dessen Geweih ich mir im Stillen schon einen Platz in meiner Junggesellenbude ausgesucht hatte, und in der Flinte eine versagende Patrone.

Für Schrot war die Distanz entschieden zu weit, denn diese betrug, wie sich später herausstellte, ca. 85–90 Meter (Anmerkung: Zur damaligen Zeit war der Schrotschuss auf Rehwild noch nicht verboten).

An ein Anpürschen war aber auch nicht zu denken, denn wenn ich über die vollständig freie Wiesenfläche dahinpürschen wollte, musste ich ja unbedingt bemerkt werden, bevor ich schussgerecht ankam. Aber dennoch probierte ich es. Ich dachte mir, hat sich der Bock vor dem tödlichen Blei nicht gefürchtet, so tut er dasselbe noch viel weniger vor mir.

Aber auch diesmal hatte ich falsch kalkuliert; denn kaum war ich ein paar Schritte auf Händen und Füßen in dem nassen Gras gekrochen, wurde die Rehfamilie auf mich aufmerksam, und ehe ich mich versah, war sie mit einigen Fluchten im nahen Wald verschwunden. Allen voran mein guter „Sechser“, dem ich noch ein kräftiges „Auf Wiedersehen“ nachrief, das er aber nicht verstanden zu haben schien. Er kam mir nämlich bis dato nicht mehr vor das Rohr.

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