Hacke, Spitze, Tor

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Hacke, Spitze, Tor
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detailliert bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-86506-906-1

© 2014 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Titelgrafik: Thees Carstens

Satz: Brendow Web & Print, Moers

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

www.brendow-verlag.de


INHALT

Cover

Titel

Impressum

1 LUNGE

Wolfgang Bauer

2 DAVID GEGEN GOLIATH

Rainer Buck

3 DAMIT WIR UNS NICHT BLAMIEREN

Inken Weiand

4 TALENT IST NICHT GENUG!

Annekatrin Warnke

5 ZWEI ZENTIMETER

Frank Bonkowski

6 DAS STADTTURNIER

Julia Pfläging

7 INTERVIEW MIT EINEM BILLARDSPIELER

(oder wie manche etwas anderes wurden, als sie werden wollten, aber trotzdem glücklich sind)

Heike Binder

8 EIN GANZ BESONDERER KOPFBALL

Anja Schimanke

9 MAXI

Gitta Edelmann

10 FAIR GEHT VOR!

Rebekka Gohla

11 CORIS TRAUM

Conny Ruß

Die Autorinnen und Autoren

Weitere Bücher


1 LUNGE

„Lunge! – L U N G E!“

Wild gestikulierend beordert Pep einen seiner schlaksigen Innenverteidiger nach vorn. Eigentlich ist es an diesem Junisamstag am frühen Nachmittag für einen Sprint über den halben Platz viel zu heiß. Aber es muss sein. Denn die Jungs der D-Jugend des VfB Raintal haben einen Eckball herausgeholt. Genaugenommen nicht einer der Jungs, sondern Caro – untersetzte, quirlige Flügelspielerin, einziges Mädchen im Team, wenn man mal von der Ersatztorfrau absieht, die aber meist nur im Training ran darf.

Caro hatte im gegnerischen Strafraum den Torwart unter Druck gesetzt. Der wusste sich nicht anders zu helfen, als den Ball ins Toraus zu kicken. Dafür darf er sich jetzt die abfälligen Kommentare seiner Mitspieler anhören: Sich ausgerechnet von einem Mädchen unter Druck setzen und verunsichern lassen … Und dazu die abschätzigen Blicke.

Auch die Eltern der Mannschaft aus Hortheim sparen nicht mit abfälligen Kommentaren. Längst haben sie den manchmal etwas tapsigen Torwart als Unsicherheitsfaktor ausgemacht. Und jetzt lässt er sich im entscheidenden Meisterschaftsspiel von einem Mädchen – ausgerechnet einem Mädchen! – im eigenen Strafraum fast den Ball abjagen.

Zwei Punkte liegen die Mannschaften auseinander. Bei noch einem ausstehenden Spiel kann Raintal die Meisterschaft schon sicher machen. Es geht also um alles, für Spannung ist gesorgt. Und das bei der Hitze!

Eigentlich waren die Hortheimer als haushohe Favoriten in die Saison gestartet, haben aber unterwegs unerwartet Punkte liegenlassen. Jedenfalls mehr als die Raintaler. Dementsprechend engagiert feuern Eltern und Trainer ihre Mannschaft an. Sie wollen alles versuchen, die letzte Chance zu nutzen.

Und jetzt der Torwartpatzer.

Caro interessiert das Geschrei der Erwachsenen nicht. Sie holt sich den Ball aus der Weitsprunggrube, wischt kurz mit dem Schweißband am rechten Handgelenk über ihre Stirn und trabt zur Eckfahne. Seit knapp fünf Monaten schafft sie es, von dort den Ball bis vor das Tor zu schlagen. Nicht präzise, aber noch einigermaßen hoch. Grund genug für den Trainer, den längsten Spieler nach vorne zu beordern. Gerade in den letzten beiden Wochen haben die VfBler Standards geübt: Freistöße und Ecken. Oft durfte dabei Caro treten. Im Training war es ihr schon zwei- oder dreimal gelungen, Lunge den Ball zum Kopfstoß zu servieren.

Lunge heißt eigentlich Laurentin Beyer, was aber Trainer und Mannschaft viel zu lang und zu umständlich ist. Lunge ist ein Phänomen, kann laufen ohne Ende. Keiner ist in Spielen so viel auf dem Platz unterwegs wie er: hager, groß, mit langen staksigen Beinen. Die er irgendwie immer zwischen Gegner und Ball bringt. Laurentin-Lunge gehört zu den Lieblingsspielern von Pep, der sich an seinem großen Vorbild Guardiola orientiert: Jeder Spieler muss auf möglichst vielen Positionen spielen können. Auch schon in der D-Jugend. Das ist sein Credo. Wobei Lunge aber vorzugsweise als Innenverteidiger eingesetzt wird.

Natürlich: Der VfB Raintal ist nicht der große FC Bayern München. Aber immerhin hat die D-Jugend des Clubs auch schon zwei Titel in dieser Saison ergattert: zwei Hallenturniere gegen starke Konkurrenz. Jetzt will Pep die Meisterschaft sichern. Und im Vereinsheim mit einem schönen Mannschaftsfoto an der Wand glänzen:

Bezirksliga Westfalen D-Jugend

Saison 2012 - 2013

Meister: VfB Raintal

Trainer: Clemens „Pep“ Schnittgras

Pep sieht das Schild schon vor sich. Auch weil die Chancen gut stehen. Denn seine Mannschaft führt 1 : 0. Und nur noch 15 Minuten sind zu spielen. Die Meisterschaft ist zum Greifen nahe. Selbst ein Unentschieden würde schon reichen. Und in diesem Spiel neutralisieren sich die beiden gleich starken Mannschaften.

Aus den Augenwinkeln nimmt Pep wahr, wie Spieler und Eltern der Hortheimer mit dem Torwart schimpfen. Armes Würstchen, denkt der Trainer. Dabei hat ihn doch erst der katastrophale Rückpass unter Druck gesetzt. Warum sind eigentlich gerade die Mütter so überehrgeizig und kreischen ständig am Spielfeldrand rum? Die Väter geben zwar auch altkluge Sportschaukommentare ab, was extrem lästig ist. Aber die Mütter …

Pep – sein bürgerlicher Name Clemens Schnittgras hat zum Mannschaftsruf „Heu, heu, Heu“ geführt – lässt sich nur kurz ablenken.

„Lunge! L U N G E!“

Sein Innenverteidiger drömmelt kurz hinter der Mittellinie in der eigenen Hälfte rum. Manchmal ist er bei den Samstagsspielen geradezu abwesend. Pep weiß auch den Grund. Genauso gern, wie Laurentin mit Caro Fußball spielt, geht Lunge mit ihr zur Jungschar des CP, der Christlichen Pfadfinder. Jetzt nestelt der Junge an seiner Leggins, die ihn vor Schürfwunden auf dem Ascheplatz bewahren soll. Lunge sieht und hört gar nicht, was sein Trainer von ihm will. Vor allem, weil er sich ein Wortgefecht mit einem Gegenspieler liefert, mit dem er im Spiel schon einige Male aneinandergeraten ist.

„Los, ab in den Strafraum, mach das entscheidende Tor.“ Pep brüllt sich die Lunge aus dem Leib. Mit seinen Armen wedelt er rum wie Kloppo, der versucht, gegen das Geschrei der Dortmunder Südkurve die Aufmerksamkeit eines Spielers zu finden.

Endlich nimmt Lunge die Schreie und wilden Armbewegungen wahr. Und läuft los. Genau das ist eine seiner Stärken: quer über den Platz nach vorne sprinten und bei vertaner Chance oder Ballverlust genauso schnell wieder zurück. Auf jeden Fall schneller, als der Gegner bei seinem Konter dem Tor gefährlich werden kann.

Diesmal kommt Lunge nicht weit. Noch im Mittelkreis fällt er ziemlich platt auf die Nase. Sein Gegenspieler, der auch Peps hektische Anweisungen mitbekam, hat im entscheidenden Moment mal kurz am Trikot gezupft. Ein klares Foul. Nicht sichtbar für den Schiri, denn der ist zu sehr mit der Eckballsituation und dem Gerangel im Strafraum beschäftigt. Und er bekommt auch nicht mit, dass sich die Jungs weiter mit Worten und Händen beharken, nachdem sich Lunge-Laurentin aufgerappelt hat.

Hinter der Absperrung am Spielfeldrand findet die Auseinandersetzung der beiden Elfjährigen ihre Fortsetzung im Erwachsenenkreis. Eine blondierte Mutter spricht von gesunder Härte, die ihr Sohn – Typ Brecher – nun endlich einmal auf den Platz bringt. Gleichzeitig weist ein – auch von der Mutter – genervter Vater von Laurentin auf ein taktisches Foul hin, das dringend eine Karte – möglichst eine rote – erfordert. Das Problem: Die beiden stehen eng beieinander. An der Schnittstelle der Raintaler und der Hortheimer Eltern.

 

Und so bleibt es nicht aus, dass die beiden sich wegen ihrer Söhne in ein Wortgefecht verwickeln. Würde der Schiri die Rangeleien auf dem Platz unterbinden, würde die Stimmung hinter der Bande auch nicht hochkochen. Aber der hat nichts gesehen. Oder wollte nichts sehen.

So nehmen die Dinge ihren Lauf.

Lunge-Laurentin kommt mit lädierter Nase im Strafraum an.

Caro steht immer noch an der Eckfahne. Mit dem linken Fuß tippt sie auf den Platz, hebt die rechte Hand und zeigt drei Finger. Gleichzeitig wischt sie sich mit dem Schweißband am anderen Handgelenk den Schweiß von der Stirn. Drei Finger der rechten Hand. Das verabredete Zeichen: Ich bringe den Ball auf die Mitte zwischen Fünf-Meter-Raum und Elfmeterpunkt.

Eine gute Idee bei einem verunsicherten Torwart. Er wird auf der Linie kleben bleiben und gegen einen platzierten Kopfball möglichst hoch ins Tor keine Chance haben.

Lunge nimmt sich vor, vom Rand des Sechzehners genau dorthin zu laufen. Sein Gegenspieler ist wie ein Schatten bei ihm.

Caro geht vier Schritte rückwärts, steht da wie ihr großes Idol „Pistolero“ Ronaldo: Beine gespreizt, die Arme leicht angewinkelt, als wolle sie einen Colt ziehen. Irgendwie passt der Auftritt nicht zu ihrer kruscheligen Lockenpracht, die sie mit Haargummis zu einem Pferdeschwanz gebändigt hat. Noch einmal der Wisch über die Stirn.

Dann läuft sie an und kickt den Ball Richtung Tor.

Mist! Leider kommt die Ecke zu kurz und geht auch noch gleich ins Toraus. Total verzogen.

Schade. Chance vertan.

Langsam traben die Spieler aus dem Sechzehner, der Torwart angelt sich den Ball, um ihn zum Abstoß hinzulegen.

Zwischen Elfmeterpunkt und Fünfmeterraum – genau dort, wo die Ecke eigentlich hinkommen sollte – liegen Lunge und sein Gegenspieler. Als Lunge dem Ball entgegenlaufen wollte, hat ihn sein Gegenspieler am Hals umgerissen. Und ist selber über den Gefoulten gefallen. Jetzt rappeln sich beide wieder mühsam auf.

Elfmeter war das natürlich nicht, wenn auch elfmeterreif. Aber kein Schiri würde einen Elfmeter pfeifen, wenn der Ball schon im Aus ist.

Lunge hat sich richtig wehgetan, weil er das Knie des Foulenden in den Rücken bekommen hat. Ziemlich atemlos hat er zu allem Überfluss Mühe, seine Tränen zurückzuhalten. Das fällt seinem Gegenspieler natürlich auf: „Memme!“, kommentiert der die feuchten Augen.

Für seine Mutter ist die Sache völlig klar: „Gesunde Härte“, meint sie am Spielfeldrand. Es scheint ihr Lieblingswort zu sein. Dann schiebt sie noch eine Allerweltsweisheit nach: „Schließlich sind wir hier nicht im Mädchenpensionat.“

Lunges Vater ist inzwischen stocksauer, weil der Schiri das Foul nicht gesehen hat. Mal wieder. Oder den fälligen Elfmeter nicht pfeifen wollte. Und die Spielermutter an seiner Seite regt ihn mächtig auf.

Irgendwie ist er auch sauer auf Pep, der es eine ganze Saison lang nicht geschafft hat, den Raintalern beizubringen, dass es in der D-Jugend rauer zugeht als zu friedlichen E-Jugend-Zeiten. Schön spielen ist gut und schön. Ein bisschen mehr Härte könnten die Jungs schon an den Tag legen. Und Caro natürlich auch.

Die hat sich gerade den Ball erkämpft und versucht, an der linken Außenlinie Richtung Hortheimer Tor zu stürmen. Mit einem wunderschönen Übersteiger lässt sie einen Verteidiger kurz vor dem Strafraum ins Leere laufen, bleibt dann aber am gegnerischen Sechser hängen, der zu Hilfe geeilt ist.

Mit einem langen Pass versucht der den Konter einzuleiten. Aber genau an der Mittellinie köpft einer seiner Mitspieler den Ball ins Seitenaus, statt ihn zu verlängern. Direkt vor den Eltern der beiden Kontrahenten bleibt die Kugel liegen.

Lunge kommt angerannt, um den Einwurf auszuführen.

„Laurentin, man darf sich auch wehren. Lass dir nicht alles gefallen!“ Herr Beyer spricht Lunge nie mit dem Spitznamen an. Aber macht jetzt eine klare Ansage: Wehr dich!

Eigentlich müsste sein Sohn am Spielfeldrand behandelt werden, weil sein rechtes Knie blutet. Aber auch das hat der Schiri nicht gesehen. Blindfisch, denkt Herr Beyer. Laurentin wird der Kratzer nicht umbringen, aber gegen die Regeln ist es. Wenn einer blutet, muss er raus.

Lunge bringt den Einwurf zu einem Mitspieler im Mittelfeld. Der leitet sofort den Angriff ein. Diesmal wird auf den rechten Flügel gespielt. Mit einem wunderbaren Doppelpass hebeln die Raintaler die Hortheimer Abwehr aus. Dann kommt die Flanke schön weit in den Strafraum. Aber der eben noch verunsicherte und gescholtene Torwart läuft raus und schnappt sich den Ball vor der einschussbereiten Caro. Das wäre die Entscheidung gewesen.

Des Spieles und der Meisterschaft.

Das Match geht hin und her. Im Gegenzug wird der Ball Richtung Außenlinie gepasst. Der linke Außenverteidiger der Raintaler ist noch zu weit vorne. Also muss Lunge aushelfen. Ausgerechnet sein Gegenspieler ist einen Schritt voraus. Kurz vor der Linie angelt der sich den Ball und will damit gerade lang nach vorne losdribbeln, als Lunge von hinten rankommt, mit einem langen Bein dazwischengrätscht und den Ball ins Seitenaus befördert. Eindeutig Ball gespielt, aber von hinten gegrätscht. Eine undurchsichtige Situation.

Im Fallen versucht Lunge, den Fuß zurückzuziehen, was ihm aber nicht mehr gelingt. Über sein ausgestrecktes Bein stolpert sein Gegenspieler, rutscht über die Seitenlinie und knallt mit voller Wucht gegen die Werbebande.

Herr Beyer hebt anerkennend den Daumen der rechten Hand und kommentiert: „Gesunde Härte!“

Pep klatscht Beifall: ein gelungenes Tackling.

Der Hortheimer Junge bleibt an der Bande liegen, krümmt sich. Offensichtlich hat er Schmerzen. Seine Mutter ist außer sich. Als Lunge sich um seinen Gegenspieler kümmern will, versucht sie, mit ihrem Schirm nach ihm zu schlagen. Mit Mühe können andere Eltern sie zurückhalten.

Der Schiri – selbst noch Jugendspieler aus Hortheim – hat jetzt alle Hände voll zu tun. Mehr mit Trainern, Betreuern und den Eltern als mit den Spielern selbst. Unparteiisch soll er sein. Aber es geht doch um seinen Verein. Welcher Blödmann hat denn versäumt, für dieses entscheidende Spiel einen wirklich Neutralen anzusetzen?

Kaum kann der Siebzehnjährige die Situation beruhigen. Mit den Spielern wird er ja fertig. Die Erwachsenen sind sein Problem. Und die lassen sich auch von seiner Kompromissentscheidung kaum beruhigen: gelbe Karte für Lunge, der sich trotz schützender Leggins seinen ascheplatzverschrammten Oberschenkel reibt, und Einwurf für die Hortheimer. Eingeweihte wissen: Das ist eine Fehlentscheidung. Entweder Karte und Freistoß oder nur Einwurf. Aber der Schiri weiß sich nicht anders zu helfen.

Zur Beruhigung der Gemüter trägt die Entscheidung jedenfalls nicht bei. Die Stimmung ist am Rand des Spielfelds bei Betreuern und Zuschauern in den nächsten Minuten ziemlich aufgeheizt.

Auch auf dem Feld geht es richtig zur Sache. Da gibt es mehr auf die Socken als sonst. Und der Ball wird zur Nebensache. Aber zu einer Chance kommt es weder auf der einen noch auf der anderen Seite.

Und so können die Raintaler kurz darauf ihre Meisterschaft ausgelassen feiern. Rund um den Mittelkreis tanzt die Mannschaft ihren D-Jugend-Samba. Unter der Dusche verspricht Pep seinen Jungs – und natürlich den beiden Mädchen, die nebenan duschen – Hamburger, Pommes und eine mittlere Cola zum Abschluss des nächsten Trainings.

Eine halbe Stunde nach Spielschluss kommen die Spieler aus der Kabine und gehen mit ihren Eltern, die sich trotz einiger Wortgefechte inzwischen beruhigt haben, zu den Autos.

Als Herr Beyer sein Auto startet und ausparkt, sagt Laurentin von hinten:

„Ich bin jetzt mit Nikolas befreundet.“

„Wer ist Nikolas?“, fragt sein Vater zurück.

„Der Junge, den ich gefoult habe.“

„Du hast ihn nicht gefoult. Der Schiri hat nicht gepfiffen. Also war es kein Foul. Du weißt doch, was Pep immer sagt: Abseits ist, wenn der Schiri pfeift. Das gilt auch für Fouls. Wenn er nicht pfeift, ist es keins. Und ihr seid jetzt Freunde?“

„Ich bin zu den Hortheimern in die Kabine gegangen, um zu sehen, wie es ihm geht. Caro meinte, das macht man so. Und dann haben wir uns vertragen.“

„Das finde ich ja großartig!“, kommentiert Herr Beyer und wundert sich mal wieder, wie schnell so etwas bei Kindern geht.

„Du, Papa?“

„Ja?“

„Ich hab da mal ’ne Frage. In der Jungschar hat Caros Mutter uns erzählt, dass Jesus gesagt hat, man müsse seine linke Hand hinhalten, wenn man auf die rechte geschlagen wird.“

„Hand? Wange, hat sie bestimmt gesagt.“

„Ja, vielleicht auch Wange. Aber wenn er das so gemeint hat, dann hätte ich Nikolas nicht so umgrätschen dürfen.“

„Also, ich finde, du solltest dich jetzt erst mal über die Meisterschaft freuen. Und darüber, wie toll du die Situation da an der Seitenlinie geklärt hast.“

„Trotzdem. Umgrätschen ist nicht Wange hinhalten.“

„Darüber mach dir mal keine Gedanken. So schlimm war das ja nun auch nicht.“

Laurentin denkt einen Moment nach. Dann sagt er: „Manchmal seid ihr Erwachsenen komisch. Da findet ihr etwas gut, was Jesus gesagt hat. Und dann sagst du, ich soll mal richtig hinlangen.“

„Das habe ich ja nun auch nicht gesagt“, wendet Herr Beyer ein. „Ich habe gesagt, dass man sich ruhig wehren darf, wenn man ständig gefoult wird.“

Und nach längerem Schweigen fügt er hinzu: „Aber ich finde das auch schwierig, den richtigen Mittelweg zwischen hinnehmen und sich wehren zu finden. Darüber muss man immer wieder neu nachdenken. Und lernt wohl nie aus. Irgendwie ist es auch schwierig, so eine Bibelstelle herauszugreifen und sie dann zum Maßstab für alles zu machen. Es gibt ja auch die Situationen, in denen Jesus selbst … sagen wir mal: sehr offensiv auf andere zugegangen ist und nicht alles hingenommen hat. Da hat er auch nicht immer die andere Wange hingehalten.“

„Vielleicht sollte Caros Mutter in der Jungschar mal so was erzählen. Aber immerhin: Nikolas und ich sind jetzt Freunde.“

WOLFGANG BAUER


2 DAVID GEGEN GOLIATH

Kein Zweifel. Sie mussten das letzte Spiel des Jahres unbedingt gewinnen. Meister konnten sie nur werden, wenn sie den FC Neuendorf besiegten. Das schien fast unmöglich.

Kevin, Spielführer der D-Jugend des SC Weststadt, hatte alle Ergebnisse der Spielserie in ein Schulheft eingetragen. Dann hatte er daraus die Tabelle errechnet. In der Zeitung brachten sie nur die Ergebnisse, jedoch nie die aktuelle Tabelle.

„Und?“, fragte Susann, die gerade ins Klassenzimmer kam. „Wer liegt vorne?“

Susann war ein hübsches, rothaariges Mädchen und Mittelstürmerin beim SC.

„Es hilft nichts“, erwiderte Kevin. „Die Neuendorfer haben klar das bessere Torverhältnis. Wenn wir sie nicht schlagen, ist die Meisterschaft futsch.“

„Aber wir haben bisher alle Spiele gewonnen“, sagte Susann.

Kevin nickte. „Die Neuendorfer leider auch. Dabei haben sie fast doppelt so viele Tore geschossen. Das letzte Spiel gegen Hochhausen haben sie 8 : 0 gewonnen!“

Susann stieß einen Pfiff aus. „Mann, als wir gegen Hochhausen spielten, gab es gerade mal ein mickeriges 2 : 1.“

Kevin erinnerte sich an dieses Spiel. Hochhausen war ein starker Gegner gewesen. Susann hatte erst kurz vor Schluss den Siegtreffer erzielt. Ein glücklicher Weitschuss. Wenn Neuendorf 8 : 0 gewonnen hatte, mussten sie klar die beste Mannschaft der Liga sein. Kevin kannte einige Spieler des FCN. Wie gerne hätte er diesen Angebern auf dem Spielfeld einen Streich gespielt.

Susann konnte die Jungs vom FCN ebenfalls nicht leiden. Die meisten waren ein Jahr älter und deutlich größer. Selbst wenn es die nettesten Typen der Schule gewesen wären: Beim Fußball wollte Susann nie verlieren. Nicht ohne erbitterte Gegenwehr.

„Kennst du die Geschichte von David gegen Goliath?“, fragte sie ihren Freund Kevin. „Meine Religionslehrerin hat sie uns erzählt. Der kleine David hatte gegen den Riesen Goliath eigentlich keine Chance, aber er hat ihn überlistet.“

 

Kevin ging nicht in den Religionsunterricht. Dafür kannte er eine andere Geschichte, die ihm Mut machte. Sein Opa hatte ihm immer wieder vom „Wunder von Bern“ erzählt. Damals, im Jahr 1954, war Deutschland Weltmeister geworden. Keiner hatte geglaubt, dass die Deutschen die Mannschaft von Ungarn hätten besiegen können. Nach acht Minuten stand es schon 2 : 0 für die Ungarn, die beste Elf der Welt. Doch Deutschland hatte es noch geschafft, das Spiel mit 3 : 2 zu gewinnen. Alle deutschen Spieler waren seit diesem Tag Helden.

„Wir müssen auch so ein Wunder schaffen“, sagte Kevin und ballte die Faust.

„Auf jeden Fall werden wir diesen Heinis vom FCN nicht kampflos die Meisterschaft überlassen“, bekräftigte Susann.

***

Am nächsten Tag war Training. Susann feuerte ihre Mitspieler immer wieder an, sich anzustrengen. Bei jedem Fehlschuss und jeder misslungenen Aktion sagte sie: „Das muss am Samstag gegen Neuendorf besser klappen.“ Achim, der Außenstürmer, hatte keine Lust, sich von einem Mädchen kritisieren zu lassen. Schließlich war Susann einen halben Kopf kleiner als er. Es wurmte ihn immer noch, dass zwei Mädchen in der Mannschaft mitspielen durften. Der SC Weststadt hatte schließlich eine eigene Mädchenmannschaft. Doch Susanns Vater war dafür eingetreten, den besten Spielerinnen eine Chance im Team der Jungs zu geben.

Susann und ihre Freundin Martina spielten deshalb seit diesem Jahr in der Jungenmannschaft. Susann schoss zwar nicht mehr ganz so viele Tore wie in der Mädchen-Liga, war jedoch zusammen mit Achim trotzdem die beste Torschützin. Martina war Torhüterin. Sie warf sich mutig jedem Ball entgegen und riskierte in brenzligen Momenten Kopf und Kragen.

Am Ende des Trainings versammelte Norbert die Mannschaft, um wie gewohnt mit ihnen das nächste Spiel zu besprechen. Norbert war Stürmer in der Herrenelf des SCW.

„Am Samstag gegen Neuendorf. Das wird ein schweres Spiel“, sagte er. Susann unterbrach den Trainer: „Mein Vater sagt, dass wir kämpfen müssen und uns auch mal trauen sollen, hart zu spielen.“

Norbert mochte die lebhafte Susann, doch als Trainer konnte er sich nicht einfach dazwischenreden lassen. „Du bist jetzt mal still“, sagte er. „Dein Vater ist nicht der Trainer. Wie ihr spielt, das bestimme nur ich. Wenn wir gegen Neuendorf verlieren, ist das gar keine Schande. Die meisten sind älter als ihr. Ihr sollt euer Bestes geben und fair spielen. Das ist mir wichtig.“

„Aber wenn wir Meister werden wollen, müssen wir uns etwas einfallen lassen“, rief nun Kevin dazwischen. „Könnten wir nicht am Freitag ein Sondertraining ansetzen?“

„Für ein Sondertraining habe ich keine Zeit. Und es ist auch nicht nötig“, meinte Norbert. „Wenn wir verlieren, sind wir immerhin Zweiter, und das ist eine tolle Leistung, finde ich.“

Als sie umgezogen waren, trommelte Kevin die Mannschaft noch einmal zusammen. „Am Freitagabend treffen wir uns auf dem Turnplatz der Schule zum Sondertraining“, erklärte er. „Susanns Paps hat früher in der Oberliga gespielt. Sie fragt ihn, ob er kommt und uns ein paar Tricks verrät.“

„Aber ist der Norbert nicht sauer, wenn er das mitbekommt?“, warf Olaf ein.

„Darauf können wir keine Rücksicht nehmen“, erwiderte Susann. „Ihr merkt ja, dass er vor den Neuendorfer Deppen Angst hat. Dabei ist im Fußball alles möglich, sagt mein Papa. Man muss halt mal dem Gegner gegen das Schienbein treten.“

Nicht alle fanden, dass Susanns Vater recht hatte, aber alle versprachen, zum Sondertraining zu kommen.

***

Der Tag des großen Spiels war da. Es waren mehr Zuschauer als sonst auf dem Sportplatz. Der Fußballverband hatte einen erfahrenen Schiedsrichter geschickt. Zudem stand ein älterer Mann am Spielfeldrand, der am Ende des Spiels den Meister ehren sollte. Zwischen dem FCN und dem SCW musste heute die Entscheidung fallen.

Susanns Vater unterhielt sich mit dem Mann, der den Meisterwimpel in der Hand hielt. Dann winkte er Susann und Kevin noch einmal zu sich und sagte: „Denkt daran, was ich euch am Freitag erklärt habe. Schärft es den anderen ein: Keinen Ball verloren geben. Wenn es sein muss, mal ein Foul riskieren. Damit verschafft ihr euch beim Gegner Respekt.“

Norbert warf Susanns Vater einen unfreundlichen Blick zu, weil dieser sich einmischte. Der aber grinste ihn einfach an. Susann und Kevin erhielten einen aufmunternden Klaps und liefen zurück aufs Feld.

Anpfiff. Die Neuendorfer legten los wie die Feuerwehr. Besonders Bastian Holzer wollte es dem „Weiberverein“, wie er den SCW verächtlich nannte, zeigen. Schon der erste Angriff führte zu einem Tor für den FCN. Bastian tänzelte durch die Reihen der Weststädter. Die Verteidiger wurden ausgespielt. Martina warf sich dem bulligen Angreifer zwar noch entgegen, aber Bastian zirkelte den Ball an ihr vorbei ins Tor. 0 : 1. Das tat weh.

Und es kam noch schlimmer. Gleich nach dem Anspiel verlor Achim den Ball an Theo Kranzler, der genau so ein Kraftpaket wie Bastian war. Der tankte sich gleich an zwei, drei Weststädtern vorbei und passte den Ball zu Bastian. Dieser setzte sich wieder gegen mehrere SC-Verteidiger durch. Diesmal schoss er von der Strafraumgrenze. Martina kam zwar noch mit den Fingerspitzen an den Ball, konnte den Treffer jedoch nicht verhindern. 0 : 2.

Als Bastian zur Mittellinie zurücklief, grinste er Kevin frech an. Kevin spuckte wütend auf den Boden. Der Schiedsrichter hob mahnend den Zeigefinger.

„Denk an Deutschland gegen Ungarn“, sagte Susann. „Jetzt geht’s erst richtig los.“

Diesmal übernahm sie nach dem Anspiel den Ball. Was Bastian konnte, beherrschte sie auch. Sie umspielte die Gegner so flink, als wären es Slalomstangen, und näherte sich dem gegnerischen Strafraum. Eigentlich wollte sie selbst aufs Tor schießen, aber im letzten Moment sah sie, dass Achim sich freigelaufen hatte. Sie schob das Leder zu ihm rüber, und Achim nutzte geschickt die Chance. Ein knallharter Schuss. Nur noch 1 : 2.

„Siehst du.“ Susann stupste Kevin an. „Und jetzt pass mal auf, wie wir den Bastian in die Knie zwingen.“

Der Stürmer des FCN versuchte gerade, den Sololauf, der zum ersten Tor geführt hatte, zu wiederholen. Er setzte seine Schnelligkeit und seine Körperkraft gegen die schmächtigen Verteidiger des SCW ein. Den angreifenden Olaf drängte er dabei einfach zur Seite. Diesmal war Susann jedoch nach hinten geeilt, um in der Abwehr auszuhelfen. Sie fiel nicht auf die Körpertäuschung von Bastian herein. Als er an ihr vorbei wollte, hielt sie dagegen und traf Ball und Schienbein des Gegners. Mit einem Schmerzensschrei ging Bastian zu Boden. Alles erwartete einen Foulpfiff, aber der Schiedsrichter ließ weiterspielen. „Kein Foul. Ball gespielt!“, rief er.

Susann leitete einen schnellen Gegenangriff ein. Die Spieler des FCN wurden durch die unvermutet heftige Gegenwehr der Weststädter kalt erwischt. Achim nutzte die Steilvorlage von Susann. Er lief frei auf den Torwart zu und umspielte ihn. 2 : 2-Ausgleich. Alles war wieder offen.

Als sich beide Mannschaften wieder zum Anspiel aufstellten, humpelte Bastian immer noch.

„Na warte, das setzt Rache“, zischte er Susann zu, als sie das nächste Mal um den Ball kämpften.

„Versuch es doch, Schwachkopf“, gab Susann zurück. Wieder blieb sie im Zweikampf Siegerin. Bastian war jetzt um einiges vorsichtiger. Er hatte Angst um seine Knöchel. Als ihm Susann allerdings mit dem Ball entwischen wollte, stellte er ihr mit gestrecktem Bein nach. Susann spürte nur sanft Bastians Fußspitze, ließ sich jedoch bei der Berührung fallen und blieb ausgestreckt auf dem Rasen liegen. Der Schiedsrichter pfiff sofort Foul.

Susann lag mit geschlossenen Augen auf dem Bauch und atmete tief durch. Bastians Fuß hatte sie nur gestreift. Doch sie vernahm freudig, wie der Schiedsrichter sagte: „Nummer 9. Noch so ein Foul, und du marschierst vom Platz.“ Langsam stand sie auf und hinkte bei den ersten Schritten noch ein wenig.

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