Loe raamatut: «Migration|Integration|Exklusion - Eine andere deutsch-französische Geschichte des Fußballs», lehekülg 6

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Die bürgerlichen Fußballvereine als Forschungsgegenstand in transnationaler Perspektive

Die sogenannten bürgerlichen Fußballvereine im Saarland und im angrenzenden Departement Moselle sind Forschungsgegenstand einer Dissertation, die 2014 als Monografie erschien.1 Analysiert wurden die Vereine von ihrer Gründung um die Jahrhundertwende bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Es war ein Zeitraum, der von mehreren politischen und sozialen Umstürzen und Verwerfungen überlagert war. Verwiesen sei an dieser Stelle beispielsweise auf den Retour der Moselle nach Frankreich im Jahr 1919 sowie die Herausbildung des Saarlandes als kulturelle Einheit unter dem Eindruck zweier Besatzungserfahrungen, aber auch unter dem Eindruck der dynamischen montanindustriellen Entwicklung an der Saar. Zugleich waren die ersten fünfzig Jahre des 20. Jahrhunderts auch ein Zeitraum, in dem es im Fußballsport – verstärkt nach dem Ersten Weltkrieg – zu einer dynamischen Weiterentwicklung des Sports selbst kam, der bereits die Zeitgenossen überforderte. Die Schlagworte zur Charakterisierung dieser Epoche sind bis heute gültig: Popularisierung, Kommerzialisierung und Professionalisierung.

Die Fußballvereine befanden sich im Spannungsfeld des autonomen Agierens einerseits und der Indienstnahme des Sports durch Dritte andererseits. Gefragt wurde nach den Gründen und den Motiven, warum die Vereine und Verbände so agierten, wie sie agierten. Nur zwei Beispiele: Obwohl die aus dem bürgerlichen Umfeld stammenden Vereine vor dem Ersten Weltkrieg eine stramme patriotische Gesinnung an den Tag legten, war eine Mitgliedschaft der Vereine im Jungdeutschland-Bund höchst umstritten. 1911 von deutschen Regierungsstellen als paramilitärische Dachorganisation von Jugendvereinigungen gegründet, sollte dieser dazu dienen, die Jugend vormilitärisch auszubilden und an die Armee heranzuführen.2 Gerade viele Fußballvereine sahen eine Mitgliedschaft allerdings kritisch, da sie einerseits eine Militarisierung ihrer Vereine befürchteten und andererseits die männliche Jugend lieber auf dem eigenen Sportfeld sahen als bei Übungen der Wehrerziehung.3

Als nach dem Ersten Weltkrieg der Umsturz im Deutschen Kaiserreich erfolgte, stellte es für den Süddeutschen Fußballverband nach jahrelanger Kooperation mit den kaiserlichen Eliten und einer zweifellos nationalistischen Ausrichtung kein Widerspruch dar, im Februar 1919 auf einem Verbandstag öffentlichkeitswirksam einen „Revolutionsgruß“ abzusetzen.4 In der Zeit des Nationalsozialismus zeigten sich die Vereine dann wiederum – wie die gesamte Gesellschaft – sehr kooperativ, wenn der Ausschluss jüdischer Vereinsmitglieder gefordert wurde.

Was waren die Motive der Sporttreibenden? In der Dissertation wurden die Fußballvereine als aktive gesellschaftliche und sportpolitische Akteure beschrieben, die „eigene Interessen“ verfolgten, die „aus dem Bereich des Sports selbst kamen“. Bei diesem Selbstverständnis stand pragmatisches Vorgehen im Vordergrund aller Handlungs- und Verhaltensweisen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen: Alles musste sich dem Streben nach sportlichem Erfolg unterordnen. Das performative Geschehen auf dem grünen Rasen – im Saarland war dies eher der rote Hartplatz – stand somit in direktem Zusammenhang mit dem (sport-)politischen Handeln der Vereinsfunktionäre. Dies war der signifikante Unterschied zu den Turnvereinen und bestimmte deren Tätigkeit. Beschrieben werden kann dies als Vereinspragmatismus. Es setzte eine Dynamik frei, die für den Fußballsport eine sich immer steigernde Professionalisierung und Kommerzialisierung mit sich brachte und zu Zielformulierungen führte, die mit jenen des außersportlichen Umfelds und des Staats kollidieren konnten – aber nicht mussten. Denn die Ziele der Vereine implizierten nicht generell oppositionelle Verhaltensweisen, vielmehr waren die Vereine in der Regel staatstragende Akteure. Sie waren in der bürgerlichen Vereinskultur verwurzelt und affirmatives Verhalten war grundsätzlich auch eine wichtige Grundvoraussetzung dafür, überhaupt erfolgreich agieren zu können.

Im Folgenden werden zwei Beispiele dafür gezeigt, wie der Fußballsport bereits in seiner Frühphase sowohl der Integration wie auch der Exklusion dienen konnte. Voraussetzung war dabei, dass der Fußball von Dritten für außersportliche Zwecke instrumentalisiert werden sollte. Dabei geht es zum einen um die Versuche sozialer und konfessioneller Milieus, den Fußballsport für sich nutzbar zu machen. In einem zweiten Beispiel wird am Beispiel der Moselle nach dem Ersten Weltkrieg aufgezeigt, wie sehr der Fußball von staatlicher Seite, aber auch vom Sport selbst als sportpolitischer Inszenierungsraum genutzt wurde.

Im Westen viel Neues: Die Indienstnahme des Fußballsports für außersportliche Zwecke seit 1900

Von Turnern, Arbeitern und Katholiken

Die traditionelle Deutsche Turnerschaft stand den sogenannten „english sports“ und insbesondere dem Fußballspiel zunächst ablehnend gegenüber. Kritisiert wurden insbesondere das Wettkampfspiel, das ständige Umherreisen und die vermeintliche Verlotterung der Jugend. Der englische Sport wurde als unpatriotisch und als „Produkt eines materialistischen Individualismus“ gebrandmarkt, während die turnerischen Leibesübungen der Bildung einer kulturellen „Volksgemeinschaft“ dienten. Letztendlich ging es dem bürgerlichen Turnen aber in erster Linie darum, die numerische, kulturelle und soziale Vorherrschaft gegenüber dem Sport nicht zu verlieren.1 Sportvereine wurden auf kommunaler Ebene zu knallharten Konkurrenten, wenn es um die Spielplatzvergabe ging oder die Jugend nun einen Sportverein bevorzugte. Es war also eine Flucht nach vorne, als die Turnvereinsvorstände es zähneknirschend akzeptierten, dass in ihren Turnvereinen nun Spiel- und Sportabteilungen gegründet wurden, in welchen die Jugend nun Fußball spielen konnte. Wenn der Fußball schon nicht zurückgedrängt werden konnte, so sollte er zumindest als „volkstümliches Turnspiel“ eingebunden werden, um die Jugendlichen langfristig an die Turnvereine zu binden – so die Hoffnung.

Die deutschen Turner gingen ein Bündnis mit der reformpädagogischen Spielbewegung ein. Diese propagierte die Einführung der englischen Ballspiele für Erziehungszwecke im schulischen Unterricht. Und sie suchte den Schulterschluss mit der Deutschen Turnerschaft. Ein prominentes Beispiel ist hier Konrad Koch, dessen Engagement heute noch als Geburtsstunde des Fußballs in Deutschland gefeiert wird.2 1891 gründeten er, weitere Pädagogen, Vertreter aus Politik und Militär den Zentralausschuß für Volks- und Jugendspiele, unterstützt vom preußischen Kultusministerium. Entsprechend staatsnah waren auch dessen Aktivitäten:3 Sozialdisziplinierung, Erziehung durch Bewegung, Wehrertüchtigung. Die Projektionsfläche Fußball bot jedem etwas.

Den Versuch, den Fußballsport und die fußballspielende Jugend einzuhegen, unternahm auch der saarländische Turnverein Malstatt. Um die Jahrhundertwende war der Verein einer der größten Turnvereine im saarländisch-lothringischen Grenzraum. Die schnell wachsende Industriestadt Malstatt-Burbach, heute ein Stadtteil der Großstadt Saarbrücken, zählte damals rund 30.000 Einwohner. Alleine in der Burbacher Hütte, einem großen Eisenwerk, waren 4.200 Arbeiter beschäftigt. Im Jahr 1903 wurde im Turnverein auf Betreiben des Turnlehrers Johann Poller eine Spielabteilung gegründet, in welcher von Jugendlichen Fußball gespielt wurde. Man erhoffte sich, mit Instrumenten wie Pflichtturnstunden, die Kontrolle zu behalten. Rasch entstanden in benachbarten Turnvereinen ebenfalls Fußballabteilungen, die zum Unbehagen der Turnfunktionäre allerdings eher danach strebten, gegeneinander Wettspiele auszutragen, als sich im eigentlichen Turnverein zu engagieren. Die Turnerschaft tat sich entsprechend schwer, einen wettkampforientierten Ligabetrieb einzurichten. Erst 1913 durften an der Saar auch Meisterschaftsspiele ausgetragen werden. Für die Abteilung des TV Malstatt kam dieses Einlenken zu spät. 1907 machte sich die Spielabteilung selbstständig. Es entstand der Fußballverein Malstatt-Burbach – später der FV Saarbrücken, heute bekannt als 1. FC Saarbrücken.4

Der „Kampf um die Jugend“ entbrannte auch im Arbeiter- wie auch im katholischen Milieu. Gerade der Fußballsport wurde von den sozialen Milieus der stark fragmentierten Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich zugleich als Gefahr und Chance wahrgenommen. Um die Jahrhundertwende hatten sich an der Saar soziale Milieus gebildet, die in sich geschlossen waren und die mit Anbruch des 20. Jahrhunderts nun mit dem aufkommenden Sport konfrontiert wurden. Wie überall im Deutschen Reich kam es in der Zwischenkriegszeit zur Gründung von Arbeitersportvereinen, die innerhalb des Milieus verhaftet blieben und untereinander zum Wettkampf antraten. Sport sollte proletarisch gedacht und gespielt werden. Letztendlich blieb der Arbeitersport im Saargebiet allerdings auf geringem Niveau. Auf seinem Höhepunkt zählte er im Jahr 1929 insgesamt 3.200 Mitglieder in 57 Vereinen. Wie marginal diese Zahl ist und welche Bedeutung dagegen entsprechend das sogenannte neutrale Sportvereinswesen hat, sieht man, wenn man realisiert, dass nur vier Prozent aller Sportvereinsmitglieder im Arbeitersport organisiert waren.5

Auch im katholischen Milieu, das sowohl im Saargebiet wie auch in Lothringen von hoher Bedeutung war, wurde versucht, den Fußballsport einzubinden und einzuhegen. Sowohl an der Saar wie auch in Lothringen waren im 19. Jahrhundert katholische Jünglingsvereine gegründet worden. In diesen hatten Turnen, Spiel und Sport seit den 1860er und 1870er Jahren Tradition, wurden aber erst seit 1896 von offizieller Seite gefordert und gefördert.6

Die katholischen Vereine machten sowohl gegen Arbeitervereine, aber auch gegen die Turnerschaft und die konfessionsneutralen Sportvereine Front und versuchten über die Sportabteilungen, die katholische Jugend gegenüber anderen Einflüssen abzuschotten. Über einen katholisch geprägten Sport sollte die Jugend in die kirchlichen Strukturen integriert werden. Auch auf regionaler Ebene im Saargebiet, dem Einzugsgebiet der Diözese Trier, kam es zu entsprechenden Anstrengungen. Im Februar 1909 wurde in Trier bei einer Versammlung der Jugendvereinspräsides des Bezirkes Trier über die Jugendarbeit gesprochen. Ein Kaplan von der Benediktinerabtei St. Matthias in Trier sprach neben den Gefahren, welche die Sozialdemokratie und der allgemeine „Sittenverfall“ für die Jugend bedeuteten, auch über die überkonfessionellen Sportvereine, die von der Geistlichkeit als Gefahr für die katholische Jugend angesehen wurden:

„Uns gehört die katholische Jugend, und uns muß sie auch ganz unversehrt erhalten bleiben. Das ist aber nur möglich in einer katholischen Organisation. Wir wissen ja, von gewissen Seiten ist man bemüht, interkonfessionelle Vereine entstehen zu lassen als Spiel- und Sportvereine im engen Anschlusse an die Fortbildungsschulen. Hierin liegt eine große Gefahr für unsere katholische Jugend. Wollen wir diese abwenden, und das müssen wir, so ist es unbedingt notwendig, daß wir baldigst katholische Organisationen ins Leben rufen und diese zweckentsprechend ausbauen.“7

In dem Zitat wird deutlich, dass die Sportvereine vor allem deshalb als Gefahr angesehen wurden, da durch diese externen Vereinigungen die Kirche die Kontrolle über die katholische Jugend zu verlieren drohte.

Im Bezirk Lothringen war die Situation einer stark fragmentierten Gesellschaft durch die Sprachgrenze noch komplexer gewesen und im französischsprachigen Teil außerdem von der nationalen Frage überlagert worden, weswegen im Rahmen dieses Beitrags auf die Dissertation verwiesen werden muss.8

Zusammenfassend lässt sich sagen: Integration und Exklusion gingen in den ersten Jahrzehnten des Fußballsports Hand in Hand. Mit zunehmender Popularität des Fußballs bei der Jugend inszenierten soziale Milieus über Sport und Fußball die Abschottung gegenüber anderen sozialen Gruppen. Innerhalb der Milieus verhaftet, hatte der Fußball keine gesamtgesellschaftliche Integrationskraft, sondern war spiegelbildlich für die Abschottungstendenzen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In dieser Hinsicht wurden die bürgerlichen, konfessionsneutralen Sportvereine tatsächlich zu einem Gegenmodell.

Eine Republik inszeniert sich. Das Departement Moselle nach 1918

Fußball wurde nach dem Ersten Weltkrieg populär. Ganz besonders deutlich wurde dies im französisch besetzten Saargebiet, das nach dem Versailler Vertrag politisch-administrativ vom Deutschen Reich abgekoppelt worden war und wo – von den wirtschaftlichen Turbulenzen in Deutschland unbeschadet – die Kommerzialisierung des Fußballsports eine erste Blüte erfuhr. Die Vereine vervielfachten ihre Mitgliederzahlen. Die Zuschauer*innenzahlen erreichten bei internationalen Wettspielen erstmals fünfstellige Zahlen und populäre Fußballspieler aus Wien und Budapest heuerten bereits zwei Jahre nach Kriegsende bei saarländischen Vereinen wie Borussia Neunkirchen an.9

Mit der verbundenen zunehmenden öffentlichen Wahrnehmung wurde der Fußballsport nun noch viel mehr als zuvor zu einer Projektionsfläche sozialer und politischer Ideen und Ideologien. Dies trifft auch auf das Departement Moselle zu, wo nur wenige Jahre nach dem Ende der Grande Guerre und der Rückkehr der Moselle nach Frankreich die französische Republik den Fußballsport als Inszenierungsraum für sich entdeckte.

Bezüglich des Retour der Moselle nach Frankreich ist es von Relevanz, die Konfliktlinien zu kennen, um das Vorgehen der Behörden einordnen zu können. Rund 100.000 deutschstämmige Lothringer*innen wurden gezwungen, den ehemaligen Bezirk Lothringen zu verlassen. Im ehemaligen Diedenhofen, das nun wieder seinen französischen Namen Thionville erhielt, waren von ursprünglich 6.800 Deutschen Ende 1920 nur noch 500 vor Ort.10 Die Eingliederung der Departements in das französische Staatswesen erwies sich dennoch als konfliktreich. Der größte Konflikt bestand im kulturellen Sonderbewusstsein und damit zusammenhängend in der Ablehnung des französischen Zentralismus durch die lothringische Bevölkerung. Die deutschsprachigen Lothringer*innen hatten außerdem damit zu kämpfen, in Innerfrankreich als boches beschimpft zu werden. Letztendlich ging der französische Zentralstaat auf die Forderungen nach kultureller Autonomie ein. Die französischen Schulgesetze und das Gesetz über die strikte Trennung von Staat und Kirche wurden nicht angewendet und auch die konfessionellen Schulen blieben weiterhin bestehen.11

Für die lothringischen Fußballvereine des Deutschen Fußball-Bundes hatte der aprupte Abbruch aller Beziehungen nach Deutschland einen Schock bedeutet. Die Ausweisungspolitik traf den bürgerlichen Fußball im Bezirk Lothringen stark. Gerade in den führenden Positionen befanden sich viele „Altdeutsche“, die nun das Land verlassen mussten. So emigrierte auch Ludwig Albert, der zweite Vorsitzende des Süddeutschen Fußballverbandes nach Frankfurt. Die französischen Militärbehörden bestanden außerdem auf der Auflösung der Sportvereine, die mit französischen Namen neu gegründet werden mussten.

Bereits Ende Dezember 1918 trafen sich in Sarreguemines die ehemaligen Mitglieder des alten SV Wodan Saargemünd, um die Société Lorraine Sportive aus der Taufe zu heben. Wie im alten Club wurden die Sportarten Fußball und Leichtathletik angeboten.12 Im August 1920 wurde in Metz die Ligue Lorraine de Football Association gegründet. Dieser neue Fußballverband umfasste alle vier lothringischen Departements und schloss sich dem erst 1919 gegründeten französischen Fußballverband Fédération Française de Football-Association (FFFA) an. In den folgenden Jahren kam es zu einer sportlichen Blütezeit der Vereine der Moselle. Sie stellten 23 der 40 Vereine in der Ligue Lorraine und dominierten die Fußballplätze. Bis 1939 kamen alle lothringischen Verbandsmeister ausschließlich aus der Moselle. Spannungen der ehemals deutschen Clubs mit den französischen Vereinen der drei anderen lothringischen Departements blieben Anfang der zwanziger Jahre nicht aus. 1922 verlangten die deutschsprachigen Vereine eine stärkere Rücksichtnahme, weil bei ihnen kein Französisch gesprochen wurde. Die Gegensätze zwischen den Vereinen der Moselle und der übrigen Departements schwächten sich im Laufe der Jahre ab. Die Moselle blieb zwar politisch wie kulturell eine Welt für sich, dennoch gelang es der Ligue Lorraine, das deutsche Erbe der Fußballvereine erfolgreich zu integrieren.13

Wie war es um das Verhältnis von Politik und Sport gestellt? Zum einen wirkte sich die traditionelle Verschränkung der französischen Armee mit dem Sport aus: Wie überall in Frankreich führten auch in der Moselle die größeren Sportvereine jeweils Abteilungen für die préparation militaire ein, in welchen Jugendliche durch die Teilnahme an Vorbereitungskursen seit Ende des 19. Jahrhunderts das Abzeichen brevet de préparation militaire erhalten konnten, welches ihnen im Militärdienst Privilegien verschaffte.14 Grundsätzlich sah der Staat im Sport insofern Potenzial, dass er gesundheitspolitische, militärische und patriotische Aufgaben übernehmen sollte. In den Abteilungen zur wehrpolitischen Vorbereitung der Jugendlichen wurden Schießübungen für die Jugend zum Standard und eine Selbstverständlichkeit. Einem Zeitungskommentar aus dem Elsass aus dem Jahr 1929 ist zu entnehmen, dass der Umgang der Vereine mit diesen Schießabteilungen auch pragmatisch und mit umgekehrten Vorzeichen gesehen werden konnte. Otto Jenner, der im Kicker regelmäßig aus dem Elsass berichtete, schrieb über die PM:

„Durch die PM [Préparation Militaire] ist schon mancher Junge für den Sport gewonnen worden, den er erst als PM-Kandidat kennen lernte und daran Gefallen fand.“15

Die politische Inszenierung kam mit dem Boom des Fußballsports. Im Jahr 1923 wurden in der Moselle drei größere Stadien eingeweiht: in Sarreguemines, in Metz und in Forbach. Die Platzeinweihungen in Metz und Forbach werden im Folgenden als Fallbeispiele dargestellt.16

In Metz wurde am 26. August 1923 das Stadion des Cercle Athlétique Messin (CAM) auf der Ile St. Symphorien eingeweiht. Das umfangreiche Terrain des Vereins, der als Sportverein auch über eine große Leichtathletikabteilung verfügte, umfasste neben dem Stadion auch ein Trainingsgelände sowie einen Tennisplatz. Die deutschsprachige Zeitung Lothringer Sport berichtete ausführlich über den Besuch der lokalen, regionalen und nationalen Eliten aus Politik und Wirtschaft.

„Regierung, Departement und Gemeinde entsandten ihre Vertreter, welche die Notwendigkeit der Schöpfungen solcher Kulturstätten der Körperpflege anerkannten.“17

Insbesondere die Teilnahme von Henry Paté, seines Zeichens Haut Commissaire à l'éducation physique et aux sports in der französischen Regierung sowie Mitglied im französischen Olympischen Komitee, wurde von der Presse gewürdigt. Neben Paté sprachen auch der lothringische Industrielle und Abgeordnete Guy de Wendel sowie Dr. Ahreiner im Namen der Ligue Lorraine de Football-Association. Im Anschluss fanden Wettkämpfe in der Leichtathletik teil sowie ein Fußballspiel zwischen dem belgischen Verein Union St. Gilloise und dem CAM.18

Die Feierlichkeiten zur Platzeinweihung in Forbach fanden nur einen Monat später, am 30. September 1923, statt. Am Abend zuvor war das Fest mit einem Feuerwerk eröffnet worden. Die Schirmherrschaft übernahm der französische Staatspräsident Alexandre Millerand, Raymond Poincaré die Ehrenpräsidentschaft. Beide kamen nicht persönlich zu den Festlichkeiten, ließen sich aber durch den Commissaire général d'Alsace et Lorraine, Gabriel Alapetite, vertreten. Auf der Liste der Ehrengäste standen weitere zahlreiche prominente Namen. Der Präfekt des Departement Moselle ebenso wie der Abgeordnete Guy de Wendel – seines Zeichens zugleich Großindustrieller und Sportmäzen, der nach dem Krieg einen nach ihm benannten Fußballpokalwettbewerb ins Leben gerufen hatte. Mit Robert Schuman war außerdem ein weiterer Abgeordneter der Französischen Nationalversammlung an diesem Tag vor Ort – außerdem: vier Senatoren des Departements und zwei Armeegeneräle. Neben den Vertretern aus Politik und Militär waren weitere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der Stadt und der Region, der Geschäftswelt, und der Industrie zugegen. Es dürfte die gesamte gesellschaftliche Elite des Departements Moselle an diesem Tag in Forbach versammelt gewesen sein.19

In der Presse wurden die Festlichkeiten detailliert geschildert: Um 12.45 Uhr stieg Monsieur Alapetite gemeinsam mit dem Präfekten der Moselle und dem sous-préfet von Forbach aus einem Auto vor der Turnhalle in Forbach aus, wo sie von der Forbacher Stadtkapelle mit einer Darbietung der Marseillaise begrüßt wurden. Im Anschluss daran folgte das Festbankett in der mit Girlanden und Fahnen geschmückten Halle. Es folgten patriotische Reden und eine zweite Darbietung der Marseillaise. Im Stadion – nach der dritten Darbietung der Marseillaise – sprach der Vereinspräsident Dr. Ahreiner. Er sprach über den Stadionbau und dankte allen Unterstützern. Abschließend interpretierte er die gesamte Vereinsarbeit als einen Dienst an der Republik und der Nation. Das Vereinsprogramm sei in erster Linie national ausgerichtet. Der einzige Wunsch der annähernd 500 Mitglieder, sei es, Frankreich zu dienen. Das Einweihungsspiel fand zwischen der Mannschaft der Union sportive Forbach der eigens angereisten Mannschaft des Club français aus Paris statt. Das Spiel selbst endete vor 6.000 Zuschauern bei sonnigem Herbstwetter 2:2 unentschieden.20

Die Beispiele der Platzeinweihungen in Metz und Forbach zeigen, wie rasch die lothringischen Sportvereine sich an das Französisch-Sein gewohnt hatten. Wie sehr und wie schnell haben wir es mit einer Republikanisierung und mit einer Französisierung der Fußballvereine zu tun? Was waren die Faktoren, die eine Integration in die französische Gesellschaft beförderten?

Die Antwort liegt in den Fußballvereinen selbst. Es waren in erster Linie die Verflechtungen der Clubs mit der zivilen Ebene, mit den Notabeln, Industriellen und Bürgermeistern, die zu einer Annäherung führten. Gerade der Bau von Sportplätzen und Stadien führte zu gemeinsamen Initiativen und kongruenten Interessenslagen. In Sarreguemines wurde beispielsweise 1922 der Bürgermeister zum Vereinspräsidenten gewählt. Die Kontakte zur französischen Verwaltung sowie zu den neuen lokalen und regionalen Eliten entwickelten sich in den lothringischen Städten trotz anfänglicher Schwierigkeiten also gut. Sowohl der Staat wie auch der Vereinssport hatten ein Interesse daran, die Entwicklung des Sports voranzutreiben. Die Motive waren dabei grundverschieden. Während es den Vereinen darum ging, ihren Sport möglichst ungehindert und unter den bestmöglichen Voraussetzungen ausüben zu können, ging es Wirtschaft und Staat darum, die Sportvereine aus gesundheitspolitischen, volkswirtschaftlichen, patriotischen und militärischen Gründen wegen zu fördern. Sport – so lautete immer noch die Botschaft im Frankreich der Zwischenkriegszeit – nutze dem Wiedererstarken der Nation in Hinblick auf kommende Konflikte.21

Zum Leitmotiv der französischen Sportpolitik wurde das Motto „Être fort pour être en paix“22. Dies war der Grund, warum das Kriegsministerium in den Sportvereinen Kurse zur militärischen Vorbereitung installierte und warum der Staat den Bau von Stadien und Sportplätzen subventionierte und mit patriotischen Einweihungsfestlichkeiten bedachte. Die Vereine passten sich ihrerseits an, übernahmen das patriotische Vokabular, kamen in den Genuss staatlicher Subventionen und bekamen Zugang zu neu errichteten Stadien und Sportplätzen.

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