Loe raamatut: «Nicht nur Mütter waren schwanger»

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Alisa Tretau (Hg.)

Nicht nur Mütter waren schwanger

Unerhörte Perspektiven auf die vermeintlich natürlichste Sache der Welt

2. Auflage 2020

Alisa Tretau (Hg.)

Nicht nur Mütter waren schwanger

Unerhörte Perspektiven

auf die vermeintlich natürlichste Sache der Welt

© 2018 by edition assemblage

Postfach 27 46

D-48014 Münster

info@edition-assemblage.de | www.edition-assemblage.de

Lektorat: Johanna Montanari, Hannah & Alma | edition assemblage

Cover & Illustrationen: Pia Eisenträger

Digitalsatz: Zeilenwert GmbH | zeilenwert.de

Digitalvertrieb: Libreka GmbH | info.libreka.de

ISBN ePub: 978-3-96042-807-7

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

FOLLIKELJUMP Prolog Alisa Tretau

Vorwort Alisa Tretau

TEIL 1: WÜNSCHE

Für immer scheinschwanger Just do it geht nicht immer Alisa Tretau

Von einem Mann, der auszog, ein Kind zu bekommen Benjamin Czarniak

Warten auf Schwangerschaft Beratungen bei unerfülltem Kinderwunsch Johanna Montanari

Wir brauchen doch nur Sperma und Geld Von Selbstfürsorge und Solidarität bei queerem Kinderwunsch Diana Thielen

„Lass Dir doch einfach ein Kind machen!” Familienplanung im Zeichen der biologischen Uhr Georgia

Queering Lässigkeit Bisexuelle Transformationen eines Kinderwunsches Lena

Not in my backyard Frauen* in linken Arbeitswelten Mascha Falkenberg

Schamvolle Wunscherfüllung Vierzig Jahre künstliche Befruchtung Ein Gespräch

Polis-ay Nadire Y. Biskin

TEIL 2: KATASTROPHEN

Für immer scheinschwanger Wenn wir Leben schenken, gebären wir den Tod immer mit Alisa Tretau

Sagten sie gerade „er“? Warum ein Mann keine Fehlgeburt haben sollte max

Für immer vier Mareice Kaiser

Scanned Verwertung eines Rechtsstreits Giegold & Weiß

Das war das erste, was ich entscheiden musste Krebs und Kinderwunsch Katharina Veitengruber (Protokoll: Alisa Tretau)

Gene auf der Probe Mareice Kaiser

no amount of ice cream gender, abortion, and what’s it all about Carrie McIlwain

Fishing for Love Die Geschichte mit meiner Pflegemutter Naseku

Mutterssprache Nadire Y. Biskin

TEIL 3: UMGÄNGE

Für immer scheinschwanger Gefangen im Übungszyklus Alisa Tretau

Letter to a friend Sharon Shmarron

„Schlimm ist nicht schlecht“ Protokoll eines Gespräches mit einer außergewöhnlichen Hebamme Mareice Kaiser

Die größte Liebe wurde mir gebor’n Schwarzsein, Mutterschaft und Rassismus Sula

Weil die Milch so lecker schmeckt Langzeitstillen aus transmännlicher Perspektive Julien

Vielleicht bin ich Mutter ohne Kinder? Ein Gespräch

Parallelleben Übers gemeinsame Kinderkriegen (mit einem schwulen Pärchen, besten Freund*innen und Sonntagslover) Katti Jisuk Seo

Produktionsmaschinen Nadire Y. Biskin

Für immer scheinschwanger Nachtragen Alisa Tretau

Danke sagen

Endnoten

Weitere Bücher

FOLLIKELJUMP
Prolog

Alisa Tretau

Also ich will auf jeden Fall schwanger werden. Ich will in den Club der hart arbeitenden, stets erschöpften und dennoch jung gebliebenen Bauchfrauen aufgenommen werden. Ich will an meinen eigenen Ansprüchen, Karriere und Kinder unter einen Hut zu bringen, scheitern, und sie dann dennoch erfüllen.

Ich will überzuckerte Kindergeburtstage ausrichten und zum falschen Judotraining hetzen, während zuhause der Akku meines Laptops immer schwächer wird.

Ich will auch...! mit riesigem Fraubauch oder Zwillingskarre durch die U-Bahn schieben, und in den mitfühlenden, neidischen und abschätzigen Blicken der Bauchfrauen, Follikelkinder und Starrpersonen baden.

Ich will die Angst vor ungewaschenen Lebensmitteln und Antibiotika, die Horrorvisionen von Fehlgeburten oder Behinderungen, die sich dann natürlich alle nicht erfüllen.

Ich will die ersten Schritte und mich selbst erkennen im Kleinen. Ich will Arbeit, viel zu viel Arbeit, Reproduktionsarbeit, Lohnarbeit, Stillarbeit - mein Kinderwunsch ist eine Ego-Nummer! Aber Vorsicht! Pass bloß auf. Wir Bauchfrauen werden richtig schnell schwanger.

Das geht ganz leicht.

Man muss sich einfach nur entspannen.

Vielleicht ein paar Medikamente nehmen oder ne kleine Bauchspiegelung durchführen, aber vor allem: loslassen.

Sich die Geduld nehmen.

Abwarten.

Und das kann ich einfach nicht.

Tut mir leid, Ich kann mich nicht darüber freuen, dass du guter Hoffnung bist.

Denn dein zufällig passiertes Bauchfrauglück ist der runde Beweis für mein Bauchscheitern.

Ich kann nur drüber stehen während ich unbeteiligt daneben stehe und leise Follikel verschwende.

Ich kann mich

abarbeiten

wieder aufbauen

dranbleiben

und Akupunkturnadeln ins System stecken

Auszug aus der Performance „Follikeljump“ im Rahmen von LA-BOUR_LAB, THIELEN_TRETAU, 2017

Vorwort

Alisa Tretau

Mittlerweile bin ich froh, dass es nicht „einfach so” passiert ist. Dass ich nicht idealtypisch schwanger geworden bin, sondern die Gelegenheit hatte, meinen Kinderwunsch und seine Prämissen zu reflektieren. Ich bin mit einer ziemlich naiven, heteronormativen Vorstellung davon, wie ich eine Familie gründe, gestartet und habe mir daran die Zähne ausgebissen. Ich arbeite immer noch hart daran, zu akzeptieren, dass gut Ding manchmal Weile bedarf. Und in dieser Weile habe ich dieses Buch herausgegeben! Dabei konnte ich erfahren, dass nicht nur ich mehr Offenheit im Diskurs über Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein brauche. Denn immer, wenn ich mich traute, über „es“ zu sprechen - über Versagensängste, Gefühle des Scheiterns und des Ausgegrenztseins - merkte ich, dass ich nicht alleine bin.

Von all den Geschichten, die ich mittlerweile über das Schwangerwerden gehört habe, ist keine einzige dabei, die der von mir einst angestrebten Norm entspricht. Im Prozess, dieses Buch herauszugeben, eröffnete sich mir nach und nach eine Vielfalt von Geschlechterkonstruktionen und Familienvorstellungen, die nicht in diese Norm passen, und ich erfuhr mehr über die medizinischen Möglichkeiten samt ihrer ungerechten Zugangsvoraussetzungen, die mit ihr zusammenhängen.

Die hier versammelten Geschichten sind voller Leben: in ihnen existieren Tragik und Witz, Hoffnung und Enttäuschung neben- und miteinander. Ich bin den Menschen sehr dankbar, die bereit waren, ihre unerhörten Erfahrungen rund um Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein, mit mir, und jetzt auch mit euch, zu teilen. Schmerzvolle Erfahrungen aufzuschreiben, ist ein verletzlicher Prozess. Auch deswegen hat sich die Mehrheit der Autor*innen in diesem Buch dafür entschieden, hier nicht unter Klarnamen zu veröffentlichen.

Wir am Buch Beteiligten vertreten nicht geschlossen eine Meinung. Jeder Text steht für sich. Manch eine Perspektive wird von anderen hinterfragt und herausgefordert. Dass die Texte trotzdem nebeneinander stehen dürfen, ist für uns Teil des solidarischen Möglichkeitsraums, den dieses Buch eröffnen möchte.

Eine besondere Herausforderung bei der Arbeit an dem Buch war die Frage nach dem Umgang mit Geschlechterbezeichnungen in der Sprache. Das Thema Schwangerschaft ist so körperlich, ständig geht es um die Frage, wer gebären kann oder können sollte und wer nicht, und welche diskriminierenden Normvorstellungen existierenden. Während des Lektorats tauchte immer wieder die Frage auf: Um wen geht es hier und wie lässt sich das am besten darstellen? Jeder Text löst dies unterschiedlich. Es ist uns wichtig, dass in jedem Beitrag deutlich wird, aus welcher Position er geschrieben ist, und wer gemeint ist, wenn von Müttern, Vätern, Eltern gesprochen wird. Oder von Frauen und Männern. In dem Prozess sind uns einmal mehr die Unzulänglichkeiten und Fallstricke deutlich geworden, über die wir stolpern, wenn wir probieren, persönliche Erfahrungen mit Geschlecht und Sexualität in einer diskriminierenden Gesellschaft zu erzählen, ohne diese Diskriminierungen zu reproduzieren.

Uns ist wichtig, euch als Leser_innen zu informieren, warum in diesem Buch bestimmte Dinge so stehen, wie sie geschrieben wurden – bzw. warum wir uns an einigen Stellen gegen eine Korrektur entschieden haben. Die zentrale Diskussion drehte sich um die sprachliche Nähe einiger Artikel an die Rhetorik von abtreibungsfeindlichen Lebenschützer_innen. So sprechen manche Autor_innen von Babys oder Leben in ihrem Bauch oder nennen sich etwa in der Schwangerschaft Mütter. Uns ist bewusst, dass Anknüpfpotential für rechte Diskurse gegeben ist. Jedoch geht es in diesem Buch immer wieder um die individuelle Aufarbeitung von traumatischen Erlebnissen mit Schwangerschaft. Die Autor_innen befinden sich oft eher in einem Reflektionsprozess mit sich selbst, als ein politisches Statement machen zu wollen. Deshalb möchten wir an dieser Stelle nochmal klar betonen, dass wir uns von der abtreibungsfeindlichen Lebenschützer_innenbewegungen abgrenzen. Wir als Autor_innenkollektiv positionieren uns als pro choice und gegen ein Weiterbestehen der Paragraphen 218/219, auch trotz der benutzten Sprache.

Wir treten für einen selbstbestimmten Umgang mit dem eigenen Körper für jede Person ein. Dazu gehört immer, sich für oder gegen eine Abtreibung entscheiden zu können. Und dazu gehört, die diskriminierenden Strukturen, die schwangeren Personen nötige medizinische und psychische Hilfe vorenthalten, sowie die systematische Benachteiligung von behinderten Personen, zu verurteilen und anzugehen. In diesem Sinne distanzieren wir uns von jedem Versuch, das Recht auf behindertes Leben gegen das Recht auf freie Entscheidung über den eigenen, schwangeren Körper auszuspielen. Und genauso, die strukturelle Behindertenfeindlichkeit im Punkto Selektive Pränataldiagnostik anzuprangern, und eine antiableistische Beratung von schwangeren Personen auf institutioneller Ebene zu fordern.

Der Sammelband ist in die drei Teile “Wünsche”, “Katastrophen” und “Umgänge”gegliedert, die grob die Situationen Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein widerspiegeln. Die Trennlinien sind jedoch unscharf. Auch Wünsche erzählen von Schmerz, Katastrophen von Hoffnung und im Umgang steckt Zweifel und Mut zugleich. Das Buch endet mit einem lose kollektiv verfassten Manifest, für das alle Autor*innen die Möglichkeit hatten, ein paar Sätze beizusteuern. Die Texte werden begleitet von Zeichnungen und Collagen der Künstlerin Pia Eisenträger.

Bevor es richtig losgeht, möchte ich euch versichern: Die hier versammelten Geschichten sind keine außergewöhnlichen Spezialfälle! Sie passieren ständig! Ich möchte euch auffordern: fragt nach und erzählt selbst! Der Wunsch, Eltern zu werden, ist genauso gewöhnlich wie der, kinderlos zu bleiben. Erst die Vielfalt der Erfahrungen und Gefühle ermöglicht uns, solidarisch miteinander zu handeln und unseren Schmerzen zärtlich zu begegnen.

TEIL 1:

Für immer scheinschwanger
Just do it geht nicht immer

Alisa Tretau

Seit über drei Jahren bin ich scheinschwanger. Das ist echt anstrengend. Nicht nur wegen der körperlichen Zustände, der Übelkeit und Bauchschmerzen, ich mache mir auch ständig Sorgen, dass ich etwas falsch mache und mein Körper nicht schwanger werden will. Jedes Mal, wenn sich mein Zyklus seinem Ende nähert, bin ich heimlich sicher: es hat geklappt! Mein Körper hilft mir fleißig, an diesem Glauben festzuhalten. Schon eine Woche vor der Regel ziehen meine Brüste, ist mir schlecht und fühle ich mich schwach. Ich schwindele. Mein Körper schwindelt mir Schwangerschaft vor, denn er weiß, dass ich dieses Gefühl liebe und brauche. Und dann, jedes Mal, wenn die Regelblutung kommt, bin ich tief enttäuscht von mir im Allgemeinen und meinem Körper ganz speziell. Der Loop aus Hoffnung und Scham, in dem ich gefangen bin, fängt von vorne an.

„Warum greift der Fakt, dass ich nicht ‘einfach so’ schwanger werde, mich derart an?”, frage ich mich, während ich einmal mehr im Wartezimmer meiner Gynaäkologin sitze, um mich beraten zu lassen, was „man tun kann“. Dabei ist mir das Schwangerwerden quasi in die Wiege gelegt worden: ich bin als cis-Frau geboren, bin weiß, Mittelschicht, und lebe in einer Hetero-Beziehung. Mittlerweile sind wir sogar verheiratet! Alle Türen stehen mir offen, eine gute Mutter zu werden. Sie sind so weit aufgerissen, dass sie auf mich wie dunkle Mundlöcher wirken, die mich anschreien: “Mach schon! Warum wird es bei dir nichts? Leg los mit den Kindern!” Und das will ich ja auch.

Und es klappt einfach nicht.


„Pass bloß auf, wir Tretau-Frauen werden schnell schwanger!”, hat meine Mutter mir schon früh gepredigt. Was als wohlmeinender Ratschlag mit Zwinkern in Richtung Anti-Baby-Pille gemeint war, sitzt mir nun als brennender Schamstachel im Fleisch. Denn was auf meine Oma, Mutter, Schwester und all die anderen Frauenfiguren in meiner Familie zuzutreffen scheint, kann ich von mir nicht behaupten. Dabei wollte ich es immer so machen, wie meine weiblichen Verwandten: eine junge Mutter sein, die sich einfach in das Abenteuer Leben stürzt, und trotz unwägbarer Überraschungen Kinder und Beruf famos unter einen Hut zu bringen weiß. An diesem Bild zweifeln wollte ich nie. Doch dann hatte ich, während der unzähligen Zyklen ohne die gute Nachricht, auf die ich wartete und warte, genug Zeit, das Hinterfragen zu lernen.

Im Sexualkundeunterricht, am Küchentisch oder in den altersgerechten Foren wird stets mit Schwangerschaft als der Konsequenz allzu unbedachten Beischlafs gedroht. Sex wird streng mit Verhütung verknüpft, dementsprechend sind platzende Kondome oder vergessene Pillen Anlass für schlaflose Nächte und beschämende Arztbesuche, in denen immer wieder rekapituliert wird, was das betreffende cis-Mädchen offenbar noch nicht verstanden hat: dass ihr, wenn sie nicht die Kontrolle behält, neben sexuell übertragbarer Krankheiten, ein ganz besonderes Schicksal droht: eine ungewollte Schwangerschaft, eine Situation, in der ihr nicht mehr geholfen werden kann. Denn wer will schon das demütigende, quasi per se traumatisierende Verfahren einer Abtreibung über sich ergehen lassen? Dann doch lieber noch vor Beginn der Periode Verhütungshormone nehmen, die oft mit praktischen Nebeneffekten wie Akne- oder Fettreduzierung für sich werben. Heute nehmen 80% aller vermutlich Gebärfähigen in Deutschland im Alter zwischen 18 und 20 die Anti-Baby-Pille. Viele sind überrascht, wenn sie diese dann irgendwann absetzen, wie anders ihr Körper sich anfühlt, dass permanent ablaufende Prozesse wie Follikelwachstum und Eisprung auf einmal spürbar werden. Dass Sex auf einmal mehr Spaß macht, weil eine neblige Taubheit sich auflöst, die eine weit verbreitete Begleiterscheinung der Pille ist. Eine Sexualpädagogin hat mir erzählt, dass, wenn sie junge cis-Frauen fragt, wie hoch die Chance sei, von einem Mal unverhütetem Sex schwanger zu werden, die meisten antworten „90%“. Dass es in Wahrheit 20-30% Wahrscheinlichkeit unter optimalen Bedingungen sind, dass eine Schwangerschaft von unglaublich vielen Faktoren abhängt und kein Automatismus ist, wird bei konventionellen Aufklärungsmethoden verschwiegen. Auch heute noch, wenn ich meine Freund*innen frage, die um die 30 Jahre alt sind, wissen viele nicht, wie Eierstock und Gebärmutter verbunden sind, wann im Zyklus der Eisprung stattfindet und was das überhaupt bedeutet. Wie lange dauert er? Kann ich nur dann schwanger werden? Wie viele Eier springen da überhaupt, und was ist die Regelblutung eigentlich genau? Kein Wunder, dass viele, so wie ich, in eine „Schocklücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit” fallen, wenn sie dann irgendwann schwanger werden wollen und das nicht sofort und quasi automatisch eintritt.

Bei manchen ja, klar. Es gibt „Pillenkinder“ und Unfälle. Sie sind sichtbar, über sie wird gesprochen, zumindest in meinem Umfeld. Oft habe ich das Gefühl, die beiläufige Art, schwanger zu werden, ist die einzig legitime, schützt sie doch davor, Ahnung haben zu müssen, von dem, was mit einer*m während der Schwanger- und Elternschaft passiert. Es scheint attraktiver, Kinder nicht zu planen, sondern nach dem „just do it“-Prinzip entstehen zu lassen. Und angesichts der lückenhaften Aufklärung, der wir alle unterzogen werden, macht es ja auch Sinn, Schwangerschaft als etwas Zufälliges zu begreifen. Wer daneben unsichtbar bleibt, sind Personen wie ich. Die, die sich Kinder wünschen, aber so schnell keine bekommen und sich dann konstant fragen, warum es nicht „einfach so“ passiert. Oder deren Beziehungskonstellation, sexuelle Orientierung, Alter, körperliche Verfassung oder ihr trans-Sein ausschließt, dass die Schwangerschaft sich als romantisches Nebenprodukt eines erfüllten Sexlebens einstellt. Sie alle müssen zunächst die passenden Orte finden, an denen ihre Fragen kompetent und mitfühlend beantwortet werden. Wenn ich gelernt habe, dass unverhüteter Hetero-Sex zur Schwangerschaft führt, was sagt es über mich und meinen Körper aus, wenn es bei mir, die alle diese Kriterien erfüllt, anders ist, bin ich dann keine „richtige Frau“? Und wie kann es sein, dass lesbische oder trans-Kinderwünsche weniger gelten als die von hetero- und cis-Personen? Mutterschaft ist in unserer Gesellschaft so eng mit Frau-Sein verknüpft, dass Ausnahmen von dieser Regel schwer wiegen, stets erklärt und verteidigt werden müssen. Das trifft auch auf diejenigen zu, die sich bewusst gegen das Mutter-Sein entscheiden.

Als ich nach gefühlten sechs Monaten ohne Verhütung zu meiner Gynäkologin ging, sagte sie mir, ich solle noch warten. „Kommen sie in einem halben Jahr noch einmal zu mir.” Ein Jahr warten sei in meinem Alter, mit Ende Zwanzig, normal. Erst danach bekommt die Situation einen Namen, mit dem medizinisch umgegangen werden kann: Unerfüllter Kinderwunsch.

Dabei sind die offiziellen Grenzen, ab wann ein Kinderwunsch als „unerfüllt“ und somit behandlungsbedürftig gilt, abhängig vom Alter und der historischen Perspektive. Orientierungshilfen finde ich bei meinen Recherchen nur für Hetero-cis-Paare: Heutzutage sollten diese, wenn sie um die 30 Jahre alt sind, nach spätestens einem Jahr unverhütetem Sex schwanger werden: Ab 35 Jahren – im Kontext Kinderwunsch die magische Grenze zum „Älter-Sein“ – „dürfte” dies an die zwei Jahre dauern. Andererseits wird gerade diesen Personen geraten, bereits nach einem halben Jahr Expert*innenhilfe einzuholen, denn, wie zum Beispiel die Stiftung Kinderwunsch erklärt: „Statistisch gesehen wird es ab 38 Jahre problematischer, schwanger zu werden, da die Fruchtbarkeit der Frau (sic!) ab da rapide abnimmt. Deutlich schwieriger wird es ab einem Alter von 43. Ab 45 Jahre wird es nahezu unmöglich, schwanger zu werden.” Dann wiederum wird immer wieder betont, dass jedes Paar individuell sei, dass es vielfältige Gründe für eine nicht-eintretende Schwangerschaft geben kann, die zunächst in den Bereich der Lebensweise geschoben werden: wer früh schulmedizinischen Rat sucht, wird wahrscheinlich anstelle einer Untersuchung den Rat bekommen, sich doch einfach mal zu entspannen, gesünder zu leben und in den Urlaub zu fahren.

Ende Teil 1

Von einem Mann, der auszog, ein Kind zu bekommen

Benjamin Czarniak

Die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt liegt bei Erstgebärenden ab 35 Jahren bei 40%.

Wenn schon der Wunsch von Transmännern, eigene Kinder zu bekommen unsichtbar ist, dann sind es ihre Erfahrungen mit Fehlgeburt, Trauer und Tod umso mehr.

Der Bildschirm wabert grau-schwarz wie eine wildgewordene Unterwasserkamera im Morast. Da! Plötzlich Schärfe im Bild und der Morast hat auf einmal eine klar umrissene Höhle im Visier. Puck. Puck. Eins…, Zwei…, Eins…, Zwei... Regelmäßig zuckt ein kleiner heller Ball in der Mitte. Er wird von einer leuchtenden Hülle umgeben.

Der Herzschlag.

Wow! Das hatte ich nicht erwartet. Thomas auch nicht. Und die Gynäkologin anscheinend auch nicht.

Es geht ein Ruck durch mich durch. Wahnsinn! Der Herzschlag. Du kannst den Herzschlag sehen.

Auf dem Weg nach unten albern Thomas und ich im schneckenlangsamen Fahrstuhl und machen Selfies. Zu dritt. Ich bin froh, dass Thomas an diesem Tag Zeit hatte mitzukommen. Er freut sich wie ein Schneekönig. Erst hatte Thomas nein gesagt, wollte nicht als Samenspender Katjas und meinen Co-Parenting-Plänen Leben einhauchen. Das passe nicht in sein Leben, ein Kind sei da nicht vorgesehen. Aber vor allem hatte er Angst, keine emotionale Bindung zum Kind aufbauen zu können. Als „Patentunte” zu versagen. Nachdem wir nochmal darüber geredet hatten, und Thomas mit seinem Mitbewohner über seinen Alltag als Teilzeitpapa gesprochen hatte, fing auch sein Herz an zu leuchten und er willigte ein, sich mit Katja und mir zu treffen. Statt Picknick im Park, ein Sommerwolkenbruch und Kochen zu Hause. Ich komme etwas später dazu. Die beiden verstehen sich prächtig. Im Herbst beginnen wir – nach ausführlichem Gesundheits-Check-Up von Thomas und einem noch ausführlicheren Vertrag. Alles ist neu. Wir sind aufgeregt, und alle drei mit viel Liebe dabei. Katja und ich werden die Co-Eltern, Thomas will aktiv im Leben des Kindes sein, ohne eine Elternfunktion zu übernehmen. Seine Eltern freuen sich, dass auch sie eine Rolle im Leben ihres Enkels spielen dürfen. Ich bin naiv und mir sicher, dass es sofort beim ersten Mal klappen wird. Wir unternehmen an jedem Tag des Fruchtbarkeitsfensters einen Versuch, aber nix da. Pustekuchen. Bis meine Regel ausbleibt, aber noch viel mehr, bis ich „in my guts” weiß, dass ich schwanger bin, vergehen vier Monate. Andere Menschen, die über Jahre versuchen, schwanger zu werden, winken hier nur müde ab.

Trotzdem ist es ein Vierteljahr. Ja, nein, vielleicht. Ermüdend.

Katja und ich waren einmal ein Paar. Vor vielen, sechzehn, Jahren. Gefühlt vor einem ganzen Leben. Mein Name war anders, meine Stimme höher und ich hatte keinen Bartwuchs. Wir waren verliebt und für eine Zeit schien nichts unserer Liebe etwas anhaben zu können. Ich glaubte an uns, musste aber Berlin verlassen um herauszufinden, ob ich „wirklich trans bin“ und was ich nach den Enttäuschungen an der Uni in Zukunft mit meinem Leben anfangen wollte. Ich war mir sicher, unsere Liebe würde meinen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt verkraften. Ich wurde eines Besseren belehrt. Unsere Beziehung zerbrach und wir verloren uns aus den Augen. Als ich Katja sieben Jahre später wieder traf, sprachen wir schnell darüber, ob wir nicht als Co-Eltern zusammen ein Kind großziehen wollten. Mittlerweile trage ich Bartschatten, einen anderen Namen und bin die verhassten Brüste losgeworden. Beruflich und aktivistisch erfolgreich.

Aber auch die Co-Elternpläne von Katja und mir zerbrechen zunächst wieder. Nicht zuletzt weil ich will, dass wir uns noch mal neu kennen lernen. Wir waren damals noch fast Teenager. Wer sind wir heute? In den nächsten Jahren unternehmen wir viel zusammen, die Vertrautheit wächst. Derweil arbeiten wir uns an unserem jeweiligen Kinderwunsch ab. Ich trenne mich von meinem langjährigen Partner. Nicht wegen seines fehlenden Kinderwunsches, aber in der Zeit nach der Trennung kann ich das Thema auf einmal freier und offener angehen.

Über ein queeres Familienportal lerne ich Tom kennen. Ein junger, schwuler Mann, der sich nichts sehnlicher wünscht, als Papa zu werden. Über ein halbes Jahr lernen wir uns kennen, fahren in einen Kurzurlaub, bis wir erkennen, dass wir nicht zusammen funktionieren. Er ist „gay by accident”, ich mittlerweile Vollzeitaktivist. Unsere Bildungshintergründe sind sehr unterschiedlich. Tom will am liebsten ‚normal’ sein. Mit einem Transmann ein Kind zu bekommen, ist alles andere als normal. Also, wieder von vorn. Mit wem? Wie? Allein?

Ein guter Freund sagt, es müsste eine Person sein, die mich kennt, eine Person, die ich schon lange kenne, eine_r der_die auf derselben politischen Wellenlänge funkt, eine_r der_die dich versteht. Katja und ich finden uns über das queere Familienportal wieder und geben uns auf einer Parkbank am Kanal das Ja-Wort: Willst du mit mir Kinder in die Welt setzen?

Ein freudiger Taumel. Der perfekte Deal. Unsere ungefähren Vorstellungen von Politik, Zusammenleben und das Bekenntnis zu gegenseitiger Freiheit, passen. Selbst die ernüchternde Rechtsanalyse unserer Konstellation hält uns nicht auf. Wenn ich ein Kind gebäre, werde ich mit weiblichem Namen in die Geburtsurkunde meines Kindes und als „Mutter“ eingetragen. Ich verliere das Recht meinen männlichen Vornamen zu tragen und muss ein neues Gerichtsverfahren mit neuen demütigenden Begutachtungen anstrengen. Da es keine Mutterschaftsanerkennung in Deutschland gibt, würde Katja auch erst nach langem Adoptionsprozedere und nur wenn wir heiraten, rechtlich mit dem Kind verbunden sein. Trotz dieser Horroraussichten in dem Land der Paragraphen steht für mich fest: Es gibt für mich keine Alternative zum Wunsch, eigene Kinder zu haben.

Wir diskutieren lange, ob wir versuchen sollen, zeitgleich oder nacheinander schwanger zu werden. Katja ist großzügig, lässt mir den „Vortritt“. Ich habe seit geraumer Zeit mein Testosteron abgesetzt und sie versteht, dass ich diesen Zustand gern so schnell wie möglich wieder beenden will. Wir starten motiviert in die Spender_innensuche und werden im Freund_innenkreis rasch fündig. Thomas, mein Wunschkandidat, ist nach anfänglichem Zögern Feuer und Flamme.

Der Embryo ist klein. Ganz schön klein. Das stört uns in der Euphorie über den Herzschlag nicht.

Ich bin überglücklich. Beim Friseur lehne ich mich zurück: Ich kann Mann sein, und schwanger und mir beim Herrenfriseur die Haare schneiden lassen. Ich gehe wie auf Eiern. Vermeide es, schwere Dinge zu tragen. Sind meine regelmäßigen Flugreisen jetzt noch ok? Die Ärztin beruhigt mich, empfiehlt aber, nicht mehr zum Kampfsport zu gehen. Thomas schreibt mir abends, dass er im Netz über embryonale Entwicklungsstufen gelesen hat, und dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Ich solle nur gut essen.

Mit den Tagen wächst trotzdem die Sorge in mir. Ich vergleiche die Größe des Knopfes auf dem Schwarzweißfoto mit den Wachstumstabellen: Gut 50 % unter dem Durchschnittswert für diese Schwangerschaftswoche. Ich fühle mich öfter etwas aufgebläht und mir wird schnell schlecht und schummrig. Am Donnerstag, circa zehn Tage nach dem Herzschlag auf dem Monitor, fühle ich körperlich, dass etwas nicht stimmt. Am Montag darauf, frühmorgens, kommt Katja mit zur Untersuchung. Die Ärztin will das Wachstum jetzt doch nochmal engmaschiger verfolgen.

Katja steht neben mir, dort, wo Thomas zwei Wochen vorher gestanden hat. Ich freue mich darauf, dass sie jetzt endlich auch das kleine Wunder sehen wird. Auf dem Monitor das grau-schwarze Unterwasserbild. Und da die schwarze Höhle. Still und dunkel. „Kein Herzschlag“, sagt die Ärztin. „Ok“, höre ich mich sagen. Schaue auf Katja, drücke ihre Hand. Als wäre es jetzt einfach damit getan. Als müssten wir die Tatsachen akzeptieren und weitermachen.


Die Ärztin ist sichtlich betroffen, sagt, sie hätte es nicht erwartet, auch wenn sie das verringerte Wachstum bei der vorherigen Untersuchung durchaus ernst genommen hatte. Sie beschreibt die verschiedenen Möglichkeiten, die es jetzt gibt: Eine Pille für Zuhause. Mit einer Blutung wird über ein bis zwei Tage alles ausgespült. Ich weiß von der Frau eines Freundes, dass sie dabei fürchterliche Schmerzen hatte. Ich fürchte mich vor dem Alleinsein zu Hause und dem blutigen Abort. Die zweite Möglichkeit ist, dass sie selbst unter Vollnarkose in einem ambulanten Eingriff die Überreste herausnimmt. Zu wissen, dass die Ärztin den Eingriff vornimmt, tröstet mich. Ein guter Abschluss für diese kurze Schwangerschaft.

Am Morgen des Eingriffs klettern wir zu dritt in das eisige Auto. Ich bin dankbar, dass Katja und Thomas dabei sind. Ich fühle mich geborgen und gewappnet. Am Tag vorher gehen Thomas und ich zusammen shoppen. Abends essen wir zu dritt. Ich hatte mir ein Abschiedsritual gewünscht.

Wir gehen an die Admiralbrücke am Kanal in der Nachbarschaft. Die Nacht ist kalt, windig und regnerisch. Wir haben Blüten dabei und geben sie in das Wasser. Unsere Wünsche, Hoffnungen und Trauer schaukeln auf dem langen Weg ins Meer. Der ewige Kreislauf des Lebens. Vier rote Grablichter spenden warmes Licht. Ich fühle mich seltsam abwesend. Kann nicht trauern, kann keinen Bezug zur Situation, der toten Materie in meinem Körper aufbauen.

Trotzdem ist es gut, das zu tun. Es verbindet uns.

Als wir gehen, blicke ich über die Schulter zurück. Die vier Grableuchten sind noch lange in der Dunkelheit sichtbar. Das Bild wird mich lange begleiten.

Ich schlafe gut, habe keine Angst am nächsten Morgen. In der Zwischenzeit hat bereits eine Blutung eingesetzt. Mein Körper hat mit dem Abschiednehmen begonnen.

Es ist OP-Tag in der Praxis. Die Sprechstundenhilfe bittet uns mit so viel Mitgefühl und Diskretion, wie ich es gar nicht erwartet hätte, herein. Wir sind früh dran. Die Praxis ist recht voll. Ein Mann sitzt hilflos stumm neben seiner Frau. Die beiden trennt ein Abgrund aus Trauer. Einer, der allein da ist, steht auf, als sein Name aufgerufen wird und geht in Richtung OP-Saal. Bevor Katja vom Einparken zurück ist, werde ich schon in den OP-Bereich gelotst. Ich bin leicht beschämt, komme mir fremd vor. Als Mann im Allerheiligsten der Frauen. Ich bekomme das Bett in der Ecke, versuche mich unsichtbar zu machen. Eine Frau weint in ihrem Bett. Der Narkosearzt schlampt etwas und ich sehe interessiert dem Blutfleck auf dem Laken zu, als er den Zugang legt.

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