Oberhausen

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Bundespolitisch polarisierte die Diskussion um die Agenda 2010 im linken politischen Spektrum zwischen SPD, DGB und der in den neuen Bundesländern gefestigten PDS, der Partei des demokratischen Sozialismus als Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED. Von der Agenda 2010 ging ein solcher Mobilisierungsschub aus, dass sich in Westdeutschland 2005 die WASG (Arbeit & Soziale Gerechtigkeit – die Wahlalternative) bildete, welche wiederum 2007 mit der PDS zur Partei die Linke verschmolz. Vor diesem Hintergrund nehmen sich die Wahlerfolge der Parteien PDS 2004 und Die Linke 2009 in Oberhausen als wenig überraschend oder stadtspezifisch aus: Mit gut 3 % und dann gut 6 % blieb die Linke in Oberhausen hinter den Ergebnissen etwa in Duisburg zurück, wo in den nördlichen Stadtteilen eine hohe Konzentration ihrer Zielgruppen wohnhaft ist. Somit gab die Schaffung der Neuen Mitte Oberhausen der Oberhausener Linken zwar die Möglichkeit, eine prägnante kommunale Komponente in die öffentliche Diskussion um eine wachsende Polarisierung der Gesellschaft einzubringen; signifikante Auswirkungen auf die Wahlerfolge hatte dies indes nicht.

Wie positionierten oder profilierten sich die beiden übrigen Parteien CDU und FDP, die Parteien des bürgerlichen Spektrums im Zuge des forcierten gesellschaftlichen Wandels? Mit der Pluralisierung der Lebensstile nach dem Zeitalter des Wirtschaftswunders ist bis heute eine stetige, markante Abschwächung kirchlicher Bindungen der Bevölkerungsmehrheit einher gegangen. Sowohl der Austritt aus den Institutionen der großen christlichen Kirchen als auch die Abnahme des durch Gottesdienstbesuch und Vereinsleben praktizierte Christentum führten dazu, dass sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die traditionellen konfessionellen Milieus als prägende gesellschaftliche Gruppen weitgehend auflösten. Das hatte unvermeidlich Auswirkungen auf die CDU in Oberhausen. Anders als beim Zentrum der 1920er Jahre vermochte die CDU nicht mehr über 70 % der katholischen Bevölkerung als Wählerschaft zu gewinnen. Durch die Ausdifferenzierung progressiver bürgerlicher Milieus seit Ende der 1960er Jahre fand eine sukzessive Verlagerung von Wähleranteilen der beiden großen Volksparteien zu den neuen Parteien Grüne und Linke statt; davon blieb die CDU in Bezug auf wertkonservative und zugleich ökologisch orientierte Bildungsbürger nicht verschont.

Über diese sozialstrukturellen Erfolgsfaktoren von Kommunalpolitik hinaus hatte das Absinken der CDU von 41,4 % 1969 auf zeitweise nur noch 29 % 1989 eine weitere wichtige Ursache in Programmatik und Erfolg der sozialdemokratischen Mehrheit, die es der christdemokratischen Opposition immer schwerer machte, eine konzeptionelle, inhaltliche und damit konstruktive Alternative zur regierenden Politik zu präsentieren. Folglich konzentrierte sich Oppositionshandeln in Wahlkämpfen oftmals auf die Kritik an vermeintlich eigennützigen Netzwerken und an vermeintlich unseriösem Finanzgebaren der Sozialdemokratie. In Ergebnissen ablesbar hat die CDU die Wählerschaft damit nicht überzeugt. Denn die Verluste der SPD, von 1994 bis 2009 immerhin die Differenz zwischen 57 und 44 % betragend, gingen kaum zu Gunsten der CDU, sondern vor allem zu Gunsten der kleinen Parteien im Rat. In der Kärnerarbeit der Kommunalpolitik bewies die CDU dagegen oftmals ein solches Maß an sachlich-kritischer Begleitung der Mehrheitspolitik, wie sie benachbarte Städte mit weniger unangefochtenen Mehrheitsverhältnissen nicht kannten. Damit hat die Oberhausener CDU insbesondere während der grundlegenden Entscheidungen über Projekte des Strukturwandels seit 1990 ihren nicht geringen Beitrag zu einer lösungsorientierten und unterdurchschnittlich populistischen oder polarisierenden politischen Kultur in Oberhausen geleistet.

In der Gesamtschau profitierten die Grünen und die Linken vom Verlust der absoluten SPD-Mehrheit, während die FDP eher Wählerverluste der CDU für sich zu nutzen wusste. Das gilt indes erst für das Wahljahr 2009. Zuvor war die FDP nur deshalb noch im Rat vertreten, weil die Fünf-Prozent-Hürde in den Rathäusern Nordrhein-Westfalens nach einer Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes seit 1999 gefallen war. Nach der Debatte um die Sondermüllverbrennung in Lirich, die dem örtlichen FDP-Kandidaten Bonmann in Lirich-Nord 1989 sogar 21 % der Stimmen beschert hatte, nach der erfolgreichen Realisierung der Neuen Mitte Oberhausen seit 1992 und über die Reformorientierung der rot-grünen Bundesregierung seit 1998 war der Oberhausener FDP angesichts eines schmalen traditionell liberalen Bürgertums in der Stadt das Erreichen von 5 % verwehrt geblieben.


Abb. 29: Eröffnung des Centro am 12.09.1996 durch Johannes Rau, Friedhelm van den Mond, Burkhard Drescher

Die Oberbürgermeister des Strukturwandels

Eine bedeutsame Frage bleibt bei der rückblickenden Beurteilung politischer Kultur in Oberhausen während der grundlegenden Umformungen von Wirtschaft und Gesellschaft während der intensivsten Jahrzehnte des Strukturwandels zwischen 1980 und 2010: Welchen Stellenwert nehmen die Oberbürgermeister als die herausragenden Persönlichkeiten der Stadt, nämlich in ihrer Wirkung auf die Bürgerinnen und Bürger, ein?


Abb. 30: Friedhelm van den Mond

Oberbürgermeister Friedhelm van den Mond amtierte in dieser Epoche am längsten, von 1979 bis 1997. Er war der letzte Repräsentant der von der britischen Besatzung 1946 geschaffenen Doppelspitze aus ehrenamtlichem, dem Rat vorsitzenden Oberbürgermeister und aus dem Oberstadtdirektor als Verwaltungsleiter. Friedhelm van den Mond vermochte es durch seine persönliche Biografie und durch seine direkte, auf Menschen zugehende Art, ein Höchstmaß an Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu erlangen. Er repräsentierte den politischen Kampf um Arbeitsplätze in der Montanindustrie. Dazu gehörte für ihn wie für Heinz Schleußer als SPD-Fraktionsvorsitzendem das Streiten um gute Lebensbedingungen für die vielen tausend Vorruheständler. Sozialpläne sicherten ab, dass niemand „ins Bergfreie fiel“, wie der ehemalige Steiger van den Mond gerne formulierte. Er stand bei den Oberhausenerinnen und Oberhausenern zugleich für soziale Verantwortung gegenüber den Jugendlichen, die Arbeit suchten, wie den Älteren, die eine gute Versorgungsinfrastruktur benötigen. Friedhelm van den Mond kämpfte aber auch oft im Verborgenen für neue Projekte, die Oberhausen eine gute wirtschaftliche Zukunft schufen: Fraunhofer Umsicht und das Centro, für dessen regionale Akzeptanz er als Vorsitzender der Verbandsversammlung des KVR – des Kommunalverbands Ruhrgebiet – vehement stritt, stehen da oben an. Und zuletzt merkte niemand in Oberhausen dem Oberbürgermeister an, dass er eigentlich ein ehrenamtliches, kein hauptberufliches Stadtoberhaupt war; so vielseitig und umfangreich waren sein Engagement und seine Präsenz. – Folglich bedarf es kaum noch der ausdrücklichen Aussage, dass Friedhelm van den Mond seinen unverzichtbaren Beitrag zu den Erfolgen der Stadt im Wandel und zur hohen Anerkennung für diese Politik durch die Bürger geleistet hat.


Abb. 31: Burkhard Drescher

Oberbürgermeister Burkhard Drescher amtierte als erster hauptamtlicher Oberbürgermeister Oberhausens seit der Gründung der Bundesrepublik von 1997 bis 2004, als er sich dazu entschloss, nicht erneut zu kandidieren. Sein Wechsel in die private Immobilienwirtschaft dokumentierte der Öffentlichkeit nochmals nachdrücklich, dass Drescher nicht nur eine neue Generation, sondern einen völlig anderen Typus von Kommunalpolitiker darstellte als sein Vorgänger. Burkhard Dreschers Image wirkt weiter als der zentrale Ermöglicher, Durchsetzer, Gestalter der Neuen Mitte Oberhausen auf Seiten der öffentlichen Hand. Somit beschreibt es ihn zutreffend, Drescher als den Manager des Strukturwandels zu begreifen, der in zweiter Linie ein modernes Managementverständnis von Verwaltung umzusetzen suchte. Burkhard Drescher personifizierte Dynamik und Erfolg. Er stand im gesamten Ruhrgebiet für das, was einer Kommune möglich ist, ohne dass zuvor all zu viele daran geglaubt hätten. Durch das Centro als Ankerprojekt der Neuen Mitte gelang es Burkhard Drescher, der Oberhausener Bevölkerung in neuer Qualität Zuversicht und Stolz zu vermitteln. Burkhard Drescher überzeugte mit seiner Neuen Mitte Oberhausen vor Ort große Teile der gesellschaftlichen „neuen Mitte“, die Bundeskanzler Gerhard Schröder 1998 gewann. Dadurch trug der Oberbürgermeister-Bonus Dreschers die SPD bei der Kommunalwahl 1999 drei bis vier Prozent über das hinaus, was vergleichbare Städte im Ruhrgebiet als Wahlergebnisse aufwiesen. Die politische Bilanz Burkhard Dreschers fällt bezüglich der Realisierung der Neuen Mitte Oberhausen bis zur Jahrtausendwende beeindruckend aus. In den Folgejahren gelang es dann nicht mehr, die NRW-Landesregierung von einer dem Centro vergleichbar zügigen Umsetzung des O.VISION Zukunftsparks auf dem Geländes des Stahlwerkes Oberhausen zu überzeugen.

Oberbürgermeister Klaus Wehling wurde 2004 gewählt und 2009, nun für 6 Jahre, im Amt bestätigt. Klaus Wehling repräsentiert einen völlig anderen Typus des Stadtoberhauptes als sein Vorgänger. Nach einem Vierteljahrhundert Ratsarbeit, davon die letzten 5 Jahre als Bürgermeister, trat ein Oberbürgermeister an, dessen Image nicht das des Stadtmanagers, sondern das des bürgernahen und vor allem sozialpolitisch engagierten Polit-Profis war. Klaus Wehling bewies in seiner bisherigen Amtszeit, dass Erwartungen, die aus seinen bisherigen Stärken erwuchsen, voll erfüllt wurden. Viele Oberhausenerinnen und Oberhausener kannten ihren Oberbürgermeister von Festen und öffentlichen Veranstaltungen als immer offenen, schlagfertigen Gesprächspartner ohne jede Distanz. So besetzte er vielfältig und nachhaltig die Fortentwicklung Oberhausens als „soziale Stadt“, die mit innovativen und leistungsfähigen Angeboten in den Feldern Bildung, Jugend, Familie, Integration Voraussetzungen dafür schafft, den beschleunigten demografisch-gesellschaftlichen Wandel zu meistern, mehr noch im Interesse der Selbstverwirklichung der Menschen zu gestalten. Oberbürgermeister Wehling legte um die Jahrtausendwende als Vorsitzender des Knappenbeirats sein „Meisterstück“ bei der effizienten Investition von 10 Millionen Euro in die Zukunftsgestaltung für die Menschen des Knappenviertels ab. Das brachte ihm nicht nur stadtweite Anerkennung, sondern auch unschätzbare Erfahrungen im Politik- und Projektmanagement ein.

 

Abb. 32: Klaus Wehling

Oberbürgermeister Wehling hat indes auch gezeigt, dass er engagiert politische Aufgaben anging, die vermeintlich nicht zu seinen Domänen zählten: 2007 wurde die Wirtschaftsförderung mit WFO und ENO erfolgreich umorganisiert; 2011 folgte die Zusammenführung der Arbeiten von Wirtschafts- und Tourismusförderung (TMO) im Haus der Wirtschaftsförderung an der Essener Straße 51. Seit ihrer Gründung 2007 bis 2015 war Klaus Wehling zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Wirtschaftsförderung für das ganze Ruhrgebiet, der WMR – Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr. In dieser Funktion gab er viele Impulse für mehr praktische Zusammenarbeit der Kommunen. Und ein zweites Feld gehört zu Wehlings praktizierter Verantwortung für seine Stadt: Mit dem Haushaltskonsolidierungskonzept 2008, dann erneut mit dem Haushaltssanierungsplan 2012 gelangen der von Klaus Wehling geleiteten Verwaltung erfolgreiche Anstrengungen, um die Zukunft der Stadt wieder finanzierbar zu gestalten. So ist Klaus Wehling wie seine Vorgänger zu einem Markenzeichen der Stadt und seiner Partei, der SPD geworden. Er war ein Oberbürgermeister, der großes Engagement, Glaubwürdigkeit und Bürgernähe verkörperte. Der zu Beginn seiner Amtszeit selbst gesetzte Anspruch, in der Bürgerschaft die Präsenz und die Akzeptanz Friedhelm van den Monds zu erreichen, wird von ihm für die Mehrzahl der Oberhausenerinnen und Oberhausener umfassend erfüllt. – Was sicher ebenfalls bleiben wird, ist das geringe Verständnis, das Teile der Bürgerschaft für seine persönliche Entscheidung aufbrachten, seine sechsjährige Amtszeit bis zum 20. Oktober.2015 auszuschöpfen und sein Amt nicht bereits mit der Kommunalwahl vom 25. Mai 2014 zur Verfügung zu stellen. Es herrschte die weit verbreitete Auffassung, dass dies unnötige Kosten verursachte, und ganz nebenbei über eine geringere Wahlbeteiligung bei der OB-Wahl als bei einer gemeinsamen Wahl von Rat und OB die Erfolgsaussichten des SPD-Kandidaten verringern würde.

Kommunalpolitik für das 21. Jahrhundert5 2009 bis 2014: – Rot-Grüne Koalition in der Haushaltskrise

Nach einem halben Jahrhundert büßte die SPD 2009 ihre absolute Mehrheit im Rat der Stadt Oberhausen ein. Die Ursachen dafür lagen sicherlich – doch vielleicht zum kleineren Teil - in einem Wandel der politischen Kultur bundesweit, der eine zunehmend kritische Bewertung von absoluten Mehrheiten einschloss. So hatte die CSU in Bayern nach über 40 Jahren die Mehrheit verloren, begleitet von einem vielfach positiven Echo der Öffentlichkeit, dass dies die dortige Landespolitik bereichern könne. In Oberhausen trat indes als wichtige Einflussgröße der politischen Verhältnisse eine strukturelle und längerfristige Veränderung vor Ort hinzu: Während die 1990er Jahre in der Stadtöffentlichkeit einen weit verbreiteten Zukunftsoptimismus in Bezug auf die großen Potenziale des Strukturwandels in der Neuen Mitte auslösten, folgte darauf seit 2000 Ernüchterung sowie die Enttäuschung mancher weit gesteckten Zielsetzung.

Ernüchternd war zunächst 2002 der Konkurs des letzten Oberhausener Industriekonzerns, der Deutschen Babcock AG. Wenngleich die Mehrzahl der gut 3.000 Arbeitsplätze am Standort gesichert werden konnte, erlebte die Stadtöffentlichkeit, wie der Strukturwandel nach dem Verlust von Kohle und Stahl auch vor dem Anlagenbau nicht halt machte. Obgleich sich Oberhausens Oberbürgermeister Drescher und NRW-Ministerpräsident Clement energisch einsetzten, um zu retten, was zu retten war, blieb ein herber Verlust für die Stadt zurück. Enttäuschend verliefen verschiedene Bemühungen der Stadt, den dynamischen Wandel der Neuen Mitte durch ein zweites Großprojekt fortzusetzen, das noch mehr finanzielles wie steuerndes Engagement der Kommune erforderte als das Centro: Das endgültige Aus seitens der schwarz-gelben Landesregierung für die Förderung des O.Vision Zukunftsparks als landesweitem „Marktplatz für Gesundheit“ im Januar 2006 bedeutete für die Stadt einen herben Rückschlag und mehr noch als das, die Erkenntnis, dass auf das Centro nicht mehr spektakuläre Großprojekte folgen würden, sondern vielmehr die sukzessive Komplettierung des Freizeit- und Dienstleistungsstandortes. – Mit den öffentlich sichtbaren Grenzen kommunaler Gestaltbarkeit des weiteren Wandels ging zwar nicht ein Stück des seit 1996 gewachsenen neues Stolzes auf die Heimatstadt, aber ein Stück Grundoptimismus verloren. Das erschwerte die Aussichten der Oberhausener SPD, ihre seit 1999 zum Alleinstellungsmerkmal im Ruhrgebiet gewordene absolute Mehrheit 2009 ein drittes Mal behaupten zu können. Mit dem Wahlergebnis von 44 % wurden dann neue Verhältnisse geschaffen.


Abb. 33: Der Rat der Stadt am 22.06.2015

Mangelnde Koalitionserfahrung der Sozialdemokraten bedeutete jedoch keinen Hemmschuh für das zügige Eingehen und sehr konfliktarme Gestalten einer Koalition mit den Grünen. Insbesondere im Kontrast zu kommunalen Entwicklungen etwa in Essen, Mülheim und Dortmund verstärkt sich der Eindruck von der konstruktiven Gestaltung der neuen Situation. In der Koalition gelang es beiden Partnern, ihre politischen Profile zu behaupten. Während die Grünen das Handlungsfeld Umwelt und Klima vielfach besetzten, blieb die SPD öffentlich als der große Partner mit Kompetenzen vornehmlich bei den Aufgaben Infrastruktur, Soziales und Bildung öffentlich präsent. Allerdings geriet die Oberhausener Kommunalpolitik von anderer Seite unter massiven Handlungsdruck: von Seite der Kommunalfinanzen. Seit 1986 befand sich Oberhausen– mit zweijähriger Unterbrechung 1991 und 1992 – im Nothaushaltsrecht. Das bedeutete nicht wenige, als dass die Stadt aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage war, ihren Haushalt im mittleren Zeitraum von vier Jahren auszugleichen. Folglich erhielt die staatliche Kommunalaufsicht weitgehende Rechte, finanz- und personalwirtschaftliche Sanktionen zu verhängen. Davon war indes bis 2007 nur maßvoll Gebrauch gemacht worden. Insbesondere seitdem die Hoffnung auf Entschuldung seit 2002 vollends schwand – Unternehmenssteuerreform und Konjunkturkrise von 2003 mit steigernden Sozialaufwendungen ließen die Stadt in die „Vergeblichkeitsfalle“ geraten – bildete Kommunalpolitik in Oberhausen vornehmlich noch reaktives Krisenmanagement. Insbesondere auf Druck der Kommunalaufsicht ergriff die Stadt dann aber 2008 als erste der Großstädte in NRW die Initiative zu einer tief greifenden Konsolidierung: Es wurden Maßnahmen beschlossen, die sich bis 2012 auf eine jährliche Entlastung von 50 Mio. Euro aufbauten. Doch auch diese Anstrengung hätte kaum ausgereicht, die Fehlbeträge abzutragen. Die Folgen der Wirtschaftskrise von 2008/09 allerdings entzogen diesen Planungen rasch die Grundlage.

Die Finanzlage Oberhausens verschärfte sich mit den Einnahmeausfällen der Weltwirtschaftskrise von 2009 zu einem Flächenbrand, der nahezu das gesamte Ruhrgebiet und das Bergische Land erfasste. Seitdem forderten die Kommunen gemeinsam eine Strukturhilfe des Landes NRW. Das zeigte sich allerdings erst nach dem Wechsel der Landesregierung von schwarz-gelb hin zu rot-grün 2010 entgegenkommend. So entstand 2011 der Stärkungspakt Kommunalfinanzen, der auch Oberhausen seit 2001 erstmals wieder die Aussicht auf den Abbau seiner Defizite mit Hilfe staatlicher Zuschüsse und eigener kommunaler Konsolidierungsbeiträge verschaffte. Die Notwendigkeit von eigenen kommunalen Anstrengungen war und ist es jedoch, die Einfluss auf die Entwicklung der politischen Kultur in der Stadt nimmt.

Während für die Koalitionsmehrheit aus SPD und Grünen der Primat vom Erhalt der Zukunftsfähigkeit, vom Verhindern eines „Kaputtsparens“, einer Demontage der Infrastruktur zu Lasten der Entwicklungschancen der Stadt sowie der Chancen auf Selbstverwirklichung ihrer Bürgerinnen und Bürger gilt, nehmen die Oppositionsfraktionen im Rat der Stadt seit 2012 modifizierte Positionen ein, die von Bedeutung für die politische Kultur der Folgejahre zu werden versprechen. Dies gilt für CDU und FDP, kaum jedoch für die Linke, die bereits anlässlich des umfänglichen Haushaltskonsolidierungskonzeptes von 2008 in Fundamentalopposition ging: Leistungskürzungen wie Einnahmesteigerungen wurden vollständig abgelehnt mit dem Hinweis darauf, dass die Ursache der Misere nicht im Ausgabeverhalten, sondern in der strukturell unzureichenden Finanzausstattung Oberhausens und vieler anderer Kommunen bestehe. Wenngleich die Verwaltungsführung wie die übrigen Ratsfraktionen die Analyse im Grundsatz teilten, zogen sie völlig andere Schlussfolgerungen: Eine Lösung der Finanzprobleme sei – in Übereinstimmung mit Städtetag, Memorandum-Städten und den finanzwissenschaftlichen Gutachtern Junkernheinrich / Micosatt – realistisch und richtigerweise nur zu erreichen durch das Zusammenwirken aller staatlichen Handlungsebenen: Bund und Land müssten in Beachtung des Konnexitätsprinzips – wer bestellt, bezahlt! – erweiterte gesetzliche Aufgaben mit zusätzlichen Finanzzuweisungen versehen; die Kommunen selbst aber sollten durch eigene Anstrengungen Verantwortung für ihre Zukunft übernehmen und den Staat veranlassen, dem schon seit Jahren sich erhöhenden Problemdruck endlich mit geeigneten Maßnahmen zu begegnen.

Im Sinne dieser Gesamteinschätzung war die kommunalpolitische Kultur Oberhausens seit 2008 von einem breiten Konsens der vier Parteien SPD, CDU, Grüne und FDP geprägt, der sich konstruktiv vom Stil der Auseinandersetzung in manch anderem Kommunalparlament abhob. Diese Grundhaltung trug auch in die Entscheidungsfindung über den Haushaltssanierungsplan 2012 hinein, der für sämtliche Folgejahre bis 2020 die wesentlichen Weichenstellungen zur Erfüllung der Konsolidierungsziele beinhaltete. Zugleich bezogen CDU und FDP beim Beschluss über die Sanierungspläne 2012 und 2013 zu wesentlichen kommunalen Handlungsfeldern modifizierte Positionen. Diese bringen zum Ausdruck, dass trotz der Kontinuität in der Sachorientierung von Kommunalpolitik in Oberhausen - gegenüber einer vergleichsweise unterdurchschnittlichen parteipolitischen Polarisierung der Diskussionen - Ansätze für einen vielleicht bedeutungsvollen längerfristigen Wandel vorliegen könnten.

Für den Haushaltssanierungsplan 2013 behielt die FDP ihre Grundhaltung aufrecht, dem Plan sowie dem Haushalt insgesamt zuzustimmen. Das bedeutete wie in den Vorjahren seit 2008 ein starkes Signal der Bereitschaft, kommunale Verantwortung auch jenseits von Koalitionen zu tragen. Zugleich trug Hans-Otto Runkler für die FDP weitaus entschiedener als zuvor seine tief greifende Kritik an wesentlichen Aspekten der Kommunalpolitik vor und näherte sich damit der Grundorientierung der CDU an. Diese kritische Haltung umfasst nunmehr vor allem drei kommunale Aufgaben: erstens die Festsetzung erhöhter Sätze für die zentralen kommunalen Steuerquellen, die Grund- und die Gewerbesteuer, zum zweiten die Beurteilung der Gebührenberechnung für die Müllentsorgung durch die in PPP geführte Gemeinschaftsmüllverbrennungsanlage als zu hoch, drittens vor allem aber die grundsätzliche Kritik am Verhältnis zwischen der Stadt und ihrer wirtschaftlich wesentlichen Beteiligungen zur Leistungserbringung, manifestiert an der Oberhausener Gebäudemanagement GmbH OGM. Indem CDU und FDP Verwaltungsführung wie Koalition eine unzureichende Steuerung dieser Beteiligung vorwerfen und daraus die Konsequenz nach der, mindestens teilweisen, Rekommunalisierung der OGM erheben, wird ein möglicherweise prinzipieller Dissens erkennbar, der vor 2012 allenfalls in Einzelaspekten der Gebührenpolitik bestand.

 

Für die Zukunft der politischen Kultur in Oberhausen weisen diese kommunalpolitischen Debatten zum Haushaltssanierungsplan und zum Haushalt 2013 darauf hin, dass unter den verschärften Anforderungen zu eigenen Maßnahmen der Haushaltssanierung der recht breite Konsens von Koalition und bürgerlicher Opposition einer starken Belastungsprobe ausgesetzt ist. Zugleich wird die zukünftige Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zur Politik der Ratsmehrheit aus SPD und Grünen nachhaltig davon abhängen, dass ein „sowohl als auch“ von verantwortbaren Sparmaßnahmen und von kostenbewusster Gestaltung der Zukunftschancen der Stadt und ihrer Menschen gelingt.

2014 - Die „Ampel“, Spiegelbild einer kommunalpolitischen Kultur im Wandel

Mit der Kommunalwahl vom 25. Mai 2014 veränderte sich die kommunalpolitische Landschaft Oberhausens. Es ist nicht eine einzige Veränderung zu Gunsten oder zu Lasten einer einzigen politischen Gruppierung, die ein solches Ergebnis bewirkt, sondern die Summe der Veränderungen, die sich zu einem komplexen Bild zusammen fügen. Dieses Bild wiederum bedarf der Einordnung in die langfristige Entwicklung der Oberhausener Kommunalpolitik ebenso wie es nach der Beurteilung im Hinblick auf die Bewältigung der Zukunftsaufgaben Oberhausens verlangt.

Doch zunächst steht die Beschreibung der Ergebnisse an:

Oberbürgermeister Klaus Wehling machte von seinem Recht Gebrauch, die sechsjährige Amtszeit bis zum 30.09.2015 zu vollenden. Damit standen für die Oberhausener Bürgerschaft 2014 „nur“ der Rat und die Bezirksvertretungen zur Wahl. In Zeiten allerdings, die von der Personalisierung politischer Debatten geprägt sind, waren Auswirkungen auf die Mobilisierung der Wählerschaft und damit auf die Höhe der Wahlbeteiligung absehbar. – So ist es gekommen: Die Wahlbeteiligung sank im Vergleich zu 2009 von 46,1 auf 43,7 % um 2,4 %. Traditionell wirkte sich dies zu Ungunsten der Mobilisierung der großen „Regierungspartei“ SPD aus. Dass die SPD indes gegenüber 2009 markante 5 % von 44 auf 39 % der Wählerstimmen verlor, ist selbstverständlich nicht allein darauf zurück zu führen. Hinzu trat die Kombination aus übergeordneten bundespolitischen Einflüssen – als neue Berliner Regierungspartei – mit einem ortsspezifischen Glaubwürdigkeitsdefizit in Bezug auf den Erhalt von Bürgernähe wie vorzeigbaren Erfolgen der Oberhausener Sozialdemokratie. Das Defizit an Überzeugungsfähigkeit der SPD trat schließlich noch durch die neue Partei BOB – Bündnis Oberhausener Bürger – neuartig ins Bewusstsein der kommunalen Öffentlichkeit.–Was steckte dahinter?


Abb. 34: CDU-Fraktion 22.06.2015


Abb. 35: Linke-Liste-Fraktion, 22.06.2016

Seit dem Herbst 2013 legten die Koalitionsparteien SPD und Grüne mit ihrem Ratsbeschluss über 26 Einzelpunkte ein so genanntes Stadtentwicklungsprogramm auf, das durchaus als Signal verstanden werden wollte und sollte: Nach mehreren Jahren, auch Sparzwängen geschuldeter, geringerer Aktivität im Städtebau würden Projekte zur Entwicklung von Schlüsselimmobilien in den drei Stadtteilzentren Impulse für Wandel und Prosperität geben. –Vom Ende her, nämlich dem Wahlergebnis betrachtet, fand diese Aktivität in der Öffentlichkeit recht breite Zustimmung; etwa 70 % wurden gemessen. Doch gerieten SPD und Grüne, Stadtverwaltung und Oberhausener Gebäudemanagement OGM in ein kaum aufzulösendes Dilemma: Nach langen Jahren geringer Bauaktivitäten des Konzerns Stadt zweifelten viele Bürgerinnen und Bürger daran, dass hier statt wahlkampforientiertem Aktionismus tatsächlich seriöse stadtentwicklungspolitische Nachhaltigkeit am Werke sei. Soweit fand Michael Groschek, Unterbezirksvorsitzender der Oberhausener Sozialdemokratie und zugleich Minister für Verkehr und Stadtentwicklung im Land NRW, klare und selbstkritische Worte beim Parteitag vom 23. Juni 2014, der über den Koalitionsvertrag der „Ampel“ beschloss. Die Oberhausener Presse indes spekulierte zudem darüber, ob das besagte Glaubwürdigkeitsdefizit womöglich dadurch gesteigert worden war, dass der amtierende Oberbürgermeister und sein – zum damaligen Zeitpunkt - vermeintlicher Nachfolger an der Spitze der OGM für die große Diskrepanz zwischen der wiederholt kritisierten Beschaulichkeit der Vorjahre und der sprunghaften PR der Wahlkampfmonate standen. – Auch diese Fußnote der Oberhausener Kommunalpolitik erscheint in Kenntnis des Wahlergebnisses der OB-Wahl vom 13. September 2015 in neuem Licht. Wenden wir uns mit mehr Ertrag den übrigen Parteien zu:

SPD, Die Grünen und FDP erreichten in der Wahlperiode 2014 bis 2020 30 von 60 Ratsmandaten. Gemeinsam mit Oberbürgermeister Klaus Wehling stellten sie von 2014 bis 2015 die Mehrheit. Damit hatten sich drei Parteien im Juni 2014 recht geräusch- und konfliktlos zu einer Koalition zusammen gefunden, die bereits 2009 miteinander verhandelten. Dass die SPD über die strukturelle Stärke verfügte, beiden kleineren Partnern als der prädestinierte Bündnispartner zu erscheinen, spiegelt die langfristigen Auswirkungen der kommunalen Kultur Oberhausens wieder. So ist es nur redlich herauszustellen: Nicht die bündnisstrategische Nähe zur Sozialdemokratie, sondern vornehmlich bundespolitische Einflüsse erschwerten Grünen und FDP den Kommunalwahlkampf, so dass sie mit Verlusten aus diesem hervorgingen. Während die FDP jedoch die Hälfte ihrer Mandate einbüßte, behaupteten sich die Grünen nach 10,4 % 2009 mit 8,6 % in 2014 recht stabil. Es liegt nahe, das Wähler/innenvotum als Anerkennung für die Arbeit in der Koalition vor Ort seit 2009 einzustufen.


Abb. 36: SPD-Fraktion, 22.06.2015


Abb. 37: Fraktion Die Grünen, 22.06.2015


Abb. 38: FDP-Gruppe, 22.06.2015

Markanter Ausdruck für die Veränderung des kommunalen Spektrums durch die Kommunalwahl 2014 ist der eindrucksvolle Erfolg von BOB, des Bündnisses Oberhausener Bürger, mit 8,59 % der Stimmen. Damit war eine sechste Gruppierung in Fraktionsstärke in den Rat der Stadt eingezogen, die ihren Ausgangspunkt aus Bürgerinitiativen und Bürgerforen in Alt-Oberhausen und Osterfeld nahm. Oberhausen schien damit einmal mehr mit einem guten Jahrzehnt Verspätung in der vermeintlichen kommunalen Normalität zahlreicher Nachbarstädte des Ruhrgebiets angekommen: Bürgerbewegungen, die erfolgreich den Anspruch auf eine intensivere Bürgernähe erheben als dies den etablierten Parteien gelänge, sind seit der Jahrtausendwende in viele Räte eingezogen, in Mülheim beispielsweise gleich dreifach. Die Folge besteht in der deutlichen Erschwerung von traditionellen, formalisierten Koalitionen zur Mehrheitsfindung. Essen und Mülheim etwa stellen sich dem Beobachter nicht selten als Kommunen dar, die zumindest in vielen bedeutenden Fragen der Kommunalpolitik von informellen großen Koalitionen bestimmt werden. Ursache ist unbestritten ein Verlust an Binde- und Integrationskraft der etablierten Parteien. Unter den Bedingungen der politischen Kultur des Ruhrgebiets findet dieser Wandel seinen Ursprung ganz maßgeblich in einer veränderten Aufgabenwahrnehmung der SPD innerhalb der kommunalen Teil-Öffentlichkeiten. – Was ist damit gemeint?


Abb. 39: BOB-Fraktion, 22.06.2015

Eine Neubewertung kommunalpolitischer Kultur im 21. Jahrhundert

Die Entstehung und der Wahlerfolg von BOB 2014 reihen sich in eine lange Reihe des Jahrzehnte währenden Strukturwandels der kommunalpolitischen Kultur Oberhausens ein. Seit Erringung der absoluten Mehrheit durch die SPD Ende der 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre – Ausdruck eines umfassenden Integrationsprozesses wichtiger Gruppen der Stadtgesellschaft aus sozialistischer Arbeiterbewegung, Teilen der katholischen Arbeiterbewegung und schließlich den progressiven Mittelschichten – fand in Stufen die Erosion der sozialdemokratischen Netzwerke zur Repräsentation und Integration der Stadtgesellschaft statt. Wie bereits an den Beispielen der Grünen und der Linken dargestellt, vermochte die Sozialdemokratie es nicht mehr, die breite Mehrheit zu integrieren. Dies war indes nicht eindimensional Ergebnis von sozialdemokratischen Versäumnissen, sondern ebenfalls Ausdruck der massiv fortschreitenden Pluralisierung der postindustriellen Gesellschaft selbst. – „In the long run“ reiht sich das Entstehen von BOB in diese Strukturentwicklung ein: