Loe raamatut: «Sternstunden der Wahrheit»
Ringel
Sternstunden der Wahrheit
Michael Ringel (Hrsg.)
Sternstunden der Wahrheit
Michael Ringel
wurde 1961 in Moers geboren und lebt seit 1982 in Berlin. Seit dem Jahr 2000 ist er Redakteur der Wahrheit-Seite in der »taz«. Seit seinem Studium der Germanistik und Publizistik an der Freien Universität Berlin hat er sich mit allen Formen der Komik und des Humors beschäftigt. Seit Jahren beschäftigt sich Ringel auch mit dem Thema »Listen« und hat dazu mehrere Bücher herausgegeben.
© 2009 Oktober Verlag, Münster
Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung
des Verlagshauses Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster
Alle Rechte vorbehalten
Satz: Anh Nguyen
Umschlag: Linna Grage und Anh Nguyen
unter Verwendung einer Zeichnung von ©Tom
Herstellung: Monsenstein und Vannerdat
ISBN: 978-3-938568-85-9
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Deutsch & Dichtung
Wahre Schreibtische: ©Tom
Li-La-Lyrik in der Leitung – Heike Runge / Michael Ringel
Bild Welt – Dietrich zur Nedden
Der Welt schönstes Wort
Das Gebot der Wahrheit – Michael Ringel
Wehes Prusten – Thomas Gsella
Montagskolumne: Meinhard Rohr zur Lage der Nation im Spiegel seines Wissens
Montagskolumne: Meinhard Rohr zur Lage der Nation im Spiegel seines Wissens
Gurke des Tages
Schon jetzt gewählt: Das dümmste Wort des Jahres
Das Tabu ist zurück – Harald Keller
Rechschreibschwäche: Bedauerlicher Vorfall in der Warheit
Das muss er sein: der Reinbringer
Elternbesuch – Kathrin Passig
Das Streiflicht: Heute ausnahmsweise auf der Wahrheit-Seite
Das Wetter: Aus dem Nähkästchen – Peter Köhler
Deutschland besackenhack! – Peter Köhler
Stirn ermüdet, Herz vergletschert – Gerhard Henschel
Gurke des Tages
Sommer des Scheidewegs – Michael Ringel
Wenn alle Stricke reißen … – Tom Wolf
Deutsch-chinesische Probleme: Merkel telefoniert mit Wen
Das Wahrheit-Märchen: Der kleine Blindtext und die schöne Fee
Das Sommerloch – Klaus Pawlowski
Berührungsangst mit Schleim – Gerhard Henschel
Essen & Trinken
Wahre Schreibtische: Michael Rudolf
Esst mehr deutsche Schäferhunde! – Karl Wegmann
Grill-Hendl – was denn sonst – Eckhard Henscheid
Nachthunger: Irisches Bäuchlein wohl gefüllt
Schluss mit dem Cornflakesterror – Ralf Sotscheck
Herzlichen Glückwunsch: Bekotzte Teppichfliese wird dreißig
Avantgarde der Leidenschaft – Wladimir Kaminer
Talking Food – Ilke S. Prick
Mein Freund ist Fleischer – Hans-Hermann Kotte
Gammelrochen und andere essbare Biowaffen – Hartmut El Kurdi
Bier, Chips und Pornos
Bier, Chips und Pornos (2)
Brechreiz beim debilen Bäcker – Joachim Frisch
Don Camillo und seine Spelunke – Ralf Sotscheck
Alfredissimo auf einem Bein – Rob Alef
Die zehn Gebote des Frankfurter Allgemeinen Küchenmoses – Rudolf Walther
Deckweiß hilft: das Missgeschick, das ©Tom das Bild und dem Redakteur fast das Essen versaute
Roland Koch aufgegessen – Michael Ringel
40.000 Jahre Durst
Das Wetter: das Fußpils
Feinde & Freunde
Wahre Schreibtische: Corinna Stegemann
Xavier Naidoo: Der dümmste Refrain des Jahres
Das Wetter: Wenzel im Knast
Hollywood: Joseph Fischers Leben wird verfilmt
Hollywood: Joseph Fischers Leben wird tatsächlich verfilmt
Bild Deutsch kann schreiben
Ernst Hubertys Scheitel – Gerald Fricke
Der Penis-Prozess: Das Urteil
Aus dem Reich des lieben Führers: »Hunde, wir haben die Zukunft« – Arno Frank, Stefan Kuzmany, Michael Ringel, Corinna Stegemann
Saddam, tamm, tamm – Björn Blaschke
Goodbye, alte Rotzbremse – André Paris
Der Fürst des Feuilletons – Michael Ringel
Kreuzritter ohne Pferd – Mathias Bröckers
Lieber Hans-Ulrich Jörges,
Hitlers hungrige Helfer – Tanja Kokoska
Zimtsternsüß klingen die Geigen – Bernd Müllender
Das Rollkommando Gottes – Michael Quasthoff
Gurke des Tages
Der homosexuelle Mann … und sein angeblich dunkles Geheimnis – Elmar Kraushaar
Joseph Fischer: Fast kommt es zur Katastrophe
Nina Ruge: Bekenntnisse eines Backfischs – Hartmut El Kurdi
Aus dem Reich des lieben Papstes: »Auf, lasst uns nach Hause gehen!« – Michael Ringel, Carola Rönneburg, Corinna Stegemann
Gurke des Tages
Gurke des Tages
Gurke des Tages
Hartmut Engler lebt
Gurke des Tages
Gurke des Tages
Polens neue Kartoffel – Peter Köhler
Liebe Kartoffel,
Nein, Kai Diekmann!
Von einer, die auszog, das pure Gruseln zu lernen – Corinna Stegemann
Feierabend in Pjöngjang – Reinhard Umbach
Truth Medal für True Metal – Corinna Stegemann
Der Staatsfeind Nummer eins – Michael Ringel
Die Schleimplage – Christian Maintz
Hinaus aus Hamburg mit den Schuften! – Gerhard Henschel
Bushido gegen die Wahrheit – Michael Ringel
Der Schlosshund Gottes – Carola Rönneburg
Der Stumpfkopf – Jürgen Roth
Dem Nasenhornbesinger zum 63. – Christian Maintz
Korvettenkapitän Iglo – Michael Ringel
Feuerwasser & Rauchwaren
Wahre Schreibtische: Ralf Sotscheck
Der Fidel und seine Frau – Archi W. Bechlenberg
Bier sind Papst – Dietmar Bartz, Helmut Höge, Judith Luig, Barbara Bollwahn, Michael Ringel, Beate Willms, Frank Ketterer, Philipp Gessler, Edith Kresta, Jörn Kabisch, Arno Frank
Der Amboss im Kopf – Michael Quasthoff
Der einsame Zecher – Jan Kaiser
Tod eines Automaten
Weltkulturerbe Raucherecke – Fritz Tietz
»Ich war voll auf Pille« – Kay Sokolowsky
Schwabinger Krawall: Ausgehungert – Michael Sailer
Hirn aus Holz, Herz aus Stein – Peter Köhler
Razzia bei der Putztruppe – Ralf Sotscheck
Das Wiesnrad – Michael Sailer
Verpisst euch, Gesundheitler! – Jürgen Roth
Flucht nach Asch – Michael Quasthoff
Lust & Liebe
Wahre Schreibtische: Ilke S. Prick
Der Jörg will eh bloß kuscheln – Jochen Herdieckerhoff
Herr und Sklave – Matthias Thieme
Das Wetter: Küster voll Hass
Ist Bin Laden schwul? – René Martens
Schnarönkulor! – Jan Kaiser
Bild-Zeitung: Der Neun-Zentimeter-Artikel
Die letzten Rituale: Das Fest der Männertitten
Intra-uterine Navigation – Ilke S. Prick
Deutsche Frauen: Immer die Ruhe weg
Gurke des Tages
Vom Stamme Untenrum
Gurke des Tages
Das unerklärliche Universum der Ganzkörpertierkostümträger – Jenni Zylka
Einsam im November – Georg Raabe
Spaniens Nationalhymne: unverständliche Aufregung
Attacke, Mädels! – Horst Tomayer
Phänomene im Alltag: Das Frauenschwanken beim Essen im Gehen
Begrüßungsschal der Liebe – Silke Burmester
Orte & Unorte
Wahre Schreibtische: Anke Richter
Nichts ist, wie es in Jordanien einst war – Björn Blaschke
Freitag, 14 Uhr. Unter Geiern – Oliver Maria Schmitt
Vernichtet Sylt!
Die Buchmessenwoche der Wahrheit: Litorales Litauen
Wussten Sie schon …?
Die Buchmessenwoche der Wahrheit: Marodierende Litauer
Bad hair days in New York – Pia Frankenberg
Im Terrorzug nach Nirgendwo – Hartmut El Kurdi
Das irische Busfahrplanspiel – Ralf Sotscheck
Bloß keine Eile … – Klaus Wittmann
Unter Tanzteebeuteln – Jürgen Roth
Der lange Marsch in klein – Christian Y. Schmidt
Der dreimal überfahrene Onkel – Ralf Sotscheck
Im Reich des Lungerns – Uli Hannemann
Neues aus Neuseeland: Krokodilstränen bei Königs – Anke Richter
Wir sind das Volksfest! – Christian Bartel
Neues aus Neuseeland: Die Rache der Delfine – Anke Richter
Zwölf Stunden Scheine zählen – Rüdiger Kind
Sport & Mord
Wahre Schreibtische: Fritz Tietz
Der Lottogeschichtenerzähler – Fritz Tietz
Ausschreibung für den Arachnoschnapp – Carola Rönneburg
Brutale Wattebäuschchen – Ira Strübel
Der älteste Fußballwitz der Welt: Pointentod nach Umbenennung
Eröffnungstag – Georg Raabe
Knetball Ömer wurde ermordet
Obacht – beim Hammerwerfen! – Albert Hefele
Schwuchteln, Schlampen, Sch… – Susanne Fischer
Ab 2006 erlaubt: Handys in Flugzeugen
Sommerfest mit Magnum – Joachim Schulz
Gurke des Tages
Ein lappenfreier Sommer – Hartmut El Kurdi
Die Lust am Umlegen – Frank Schäfer
Günter Netzer, Pausenschreck – Klaus Pawlowski
Tod & Teufel
Wahre Schreibtische: Michael Ringel
Sag mir, wo die Ohren sind – Rayk Wieland
Nach dem Frühstück ins Bett – Kathrin Passig
Taliban nach Seevetal – Fritz Tietz
Rühmlich – Thomas Gsella
Gurke des Tages
Die schwärzeste Witwe
Huber Bubba – Michael Rudolf
Gesichter glühten im Wind – Mathias Wedel
Herbert Reinecker ist tot: Sein letzter Dialog
Gurke des Tages
Tod überwunden
Im Bunker ist die Hölle los – Christian Bartel
Der Papst und die gestohlenen Anekdoten – Michael Ringel
Der Papst und die Hanutas – Michael Ringel
Zwei Finger für ein Halleluja – Michael Ringel
Walter Kempowski ist tot: sein letzter Dialog
Rentnerin gegen Herrgott: ein ungleicher Kampf
Wahn & Witz
Wahre Schreibtische: Tom Wolf
Eised en Kundwert
Mutters Geburtstag – Michael Rudolf
Volvo und Vulva – Heike Runge
Warten auf das Happyend – Susanne Fischer
Die Badezimmerkachel als Geißel der Menschheit – Barbara Häusler
Selbstverpflichtung: Ergänzung der Wahrheit-Grundsätze
Bin Laden: »Bin scheißen!«
Die Wahrheit gibt 20 Prozent Rabatt
Leser im Rabatt-Fieber
Text wieder aufgetaucht
Einbruch bei Ablachwerten – Fritz Tietz
Komisches Scheitern an Schaubildern – Michael Ringel
Arme Karikaturisten: Murschetz und Gulbransson
Zur Ruhe kommen mit Freund Birnbaum – Jan Ullrich
Bei Anruf Ohrenterror – Rayk Wieland
Die Sichtbarmachung in der ausgestorbenen Gegend – Eugen Egner
0,8 Promille Humor – Kay Sokolowsky
Gurke des Tages
Die guten Seiten der Finanzkrise: Wahrheit kauft Island
Wesen & Unwesen
Wahre Schreibtische: Dieter Grönling
Wie ich einmal den Papst kennen lernte – Corinna Stegemann
TÜV-Wettbewerb: Idiotentest sucht neuen Namen
Die Leiden der Brotspinne – Bernhard Becker
Das Gärtlein der Frau Wallert – Horst Tomayer
Atmosphäre unter Null – Dietrich zur Nedden
Das Wetter: Das Versehen
Gurke des Tages: Kollateralschaden Yeti
Goldfarbene Phalli in der hohlen Hand – Colin Goldner
Die heimliche Invasion – Volker Heise
Mutti hält 48 Prozent von Martin – Tanja Küddelsmann
Fluch über die Fichte – Michael Rudolf
Vorbild Wilde – Reinhard Umbach
Ein Hoch der Pappel – F.W. Bernstein
Gartenzwergentführungen: Stoppt die Terroristen!
Er liebte das Brausen der Hörner – Rob Alef
Lektionen in Schwyzerdütsch, Anfängerkurs – Susanne Fischer
Das Wetter: Rhabarberchen
Mittwochs nie – dringende Warnung vor einem Fitness-Papst – Ulrike Stöhring
Künstler bei der Arbeit – Frank Schäfer
Der Schüttler von Schöneberg
Die lautesten Journalisten der Welt: Medienredakteure! – Jenni Zylka
Tom Buhrow: sein dunkles Geheimnis ist gelüftet
Diktatur des Proletariats – Carola Rönneburg
Der Zweite Januar – Thomas C. Breuer
Bosse im Blaumann – Mark-Stefan Tietze
Der Tod des Dr. Besserwiss – Michael Ringel
Die Wahrheit-Autoren
Vorwort
Du kannst wählen zwischen Wahrheit und Ruhe,
aber beides zugleich kannst du nicht haben.
Ralph Waldo Emerson
Vom Wahrsagen lässt sich wohl leben,
aber nicht vom Wahrheit sagen.
Georg Christoph Lichtenberg
Die Wahrheit wird 18. Endlich erwachsen! Da sie 1991 das Licht der Welt erblickte, wird die Wahrheit im Jahr 2009 volljährig. Endlich darf sie alles tun: den Führerschein machen, an Wahlen teilnehmen, Pornos gucken ... Aber will sie das überhaupt? Erwachsen werden? Seriös, solide, schnarchlangweilig? Wie ihre Feinde? Die beschimpfen die Wahrheit gern als »Kinderseite« der taz und merken nicht, dass sie eine der ältesten Strategien aller Ernstler gegen die Kraft des Humors verwenden – die Diminuierung: Was man anders nicht beseitigen kann, soll wenigstens verniedlicht werden. Doch dafür ist die Wahrheit zu sperrig. Niedlich ist sie nur, wenn es um Tiere geht, die liebt sie über alles. Denn Tiere sind humaner als Menschen und jenen Kindern und Narren verwandt, die ja bekanntlich stets die Wahrheit sagen. Außerdem ist die Wahrheit immer wieder von Tieren gerettet worden, wenn die Ticker leer waren und nur wenige Agenturmeldungen hereinrauschten. Dann erschien plötzlich kurz vor Redaktionsschluss wie einst Flipper oder Lassie irgendein Elch oder Bär im Nachrichtendschungel, und durch das Wahrheit-Büro gellte der erleichterte Ruf: »Endlich eine Bärenmeldung!« Und die Wahrheit-Seite wurde zur Verblüffung aller Beteiligten erneut pünktlich fertig.
Zumindest bietet der wie die meisten Jubiläen an den Haaren herbeigezogene Anlass die Möglichkeit, zurückzuschauen auf das, was die Wahrheit in den vergangenen Jahren der Weltöffentlichkeit präsentiert hat. Und eine Entwicklung lässt sich tatsächlich ablesen. Parallel zur Globalisierung ist die Wahrheit internationaler geworden. Hat sie sich in den Neunzigerjahren um öde Orte gekümmert, die meist in der deutschen Provinz lagen, schaut sie heute schon mal in Neuseeland vorbei, um zu erfahren, was auf der anderen Seite der Erde los ist.
Für diesen Sammelband wurden vor allem Wahrheit-Artikel aus den letzten rund zehn Jahren ausgewählt. Denn seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Herausgeber dieses Buchs amtierender Wahrheit-Redakteur und verantwortet damit den Charakter der Seite. Außerdem sind satirische Texte zeitgebunden, bei manchen weiter zurückliegenden Ereignissen wären heute schon erhebliche Erklärungen der Hintergründe für die Leser nötig. Auf einen Fußnotenapparat wollten wir aber verzichten. Damit sollen sich künftige Generationen von Germanisten beschäftigen. Die Texte mögen lieber für sich selbst sprechen und zeigen, dass die Wahrheit zwar ein Teil einer Tageszeitung ist, oft aber über das aktuelle Tagesgeschäft hinausweist.
Über die Alltagsarbeit hinaus wollte die Wahrheit immer auch einen Einblick geben in das Handwerk der Komik, wie Satiren, Glossen, Fakes, Anekdoten, Grotesken oder Nonsens-Texte funktionieren. Ein guter Wahrheit-Text muss immer auch ein humorkritisches Element besitzen und zumindest durchscheinen lassen, welche Schule des Humors der Autor besucht hat. Und da der Wahrheit-Redakteur während seiner Schulzeit zuviel Dozirin eingeträufelt bekam, hat er der Wahrheit sogar ein Programm gegeben. Demnach hat die Wahrheit, wie es in ihrer Selbstdarstellung heißt, drei Grundsätze: »Warum sachlich, wenn es persönlich geht«, »Warum recherchieren, wenn man schreiben kann«, »Warum beweisen, wenn man behaupten kann«.
Neben dieser hammerhart ironischen Programmatik gibt es allerdings einen sehr ernsthaften Grundsatz: Die Wahrheit schlägt nie auf Schwächere ein. Die Frage ist nur: Was sind Schwächere? Sind das auch all die Religiösen, die nicht nur die Wahrheit, sondern alle vernünftigen Menschen dauernd einschränken wollen, weil sie sich schwer verletzt fühlen, wenn man ihre Religion verspottet. Da bleiben Konflikte nicht aus, wie zum Beispiel im Jahr 2001, als die Wahrheit einen Scherzreim über Allahs Arsch druckte. Als Reaktion gab es 13.000 Leserbriefe aus aller Welt, Drohanrufe in der Redaktion, Unterschriftenlisten in Moscheen und eine Titelgeschichte im türkischen Boulevardblatt Hürriyet. Wenn’s der Wahrheitfindung dient. Die Muslime hatten einfach nicht verstanden, dass es uns eine Ehre war, sie zu verspotten. Statt sie auszugrenzen, werden Muslime nämlich von der Wahrheit genauso behandelt wie andere Gläubige. Damit Komik entlarvend wirkt, müssen Regeln verletzt werden. Vor allem jene Regeln, die angeblich von einer höheren Macht aufgestellt wurden und in deren Auftrag Glaubensritter anderen Menschen etwas wegnehmen oder verbieten wollen.
Aber nicht nur religiöser Wahn treibt seine Blüten. Auch Politiker können einen mullahartigen Eifer entwickeln. Wie die Grünen, deren Sprecher im Jahr 2001 die taz vom Parteitag verbannte, weil die Wahrheit zu ihrem zehnten Geburtstag die Seite eins der taz übernahm und zu einem Riesenfoto der Grünen-Chefin Claudia Roth im bunten Abendkleid titelte: »Die Gurke des Jahres«. Mit dem beeindruckenden Titel schaffte die Wahrheit es das erste Mal in die »Tagesschau«.
Ein weiteres Mal gelangte die Wahrheit im Jahr 2006 mit der »Kartoffel-Affäre« in die Nachrichten. Peter Köhler schrieb in seiner Reihe »Schurken, die die Welt beherrschen wollen« über den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski. Die Warschauer Spaßbremse fühlte sich derart angegriffen, dass die Satire mit dem Titel »Polens neue Kartoffel« zur Staatsaffäre wurde und zu diplomatischen Verwicklungen führte. Kaczynski ließ mit der offiziellen Begründung, dass er Bauchgrimmen habe, ein deutschfranzösisch-polnisches Treffen auf höchster Ebene ausfallen und verlangte vom deutschen Außenminister, dass er sich für die Wahrheit-Satire entschuldigte. Dem Autor Peter Köhler und den verantwortlichen taz-Redakteuren wurden von der polnischen Justiz rechtliche Konsequenzen angedroht, da der Tatbestand der Beleidigung eines Staatsoberhaupts erfüllt worden sei. Halb belustigt, halb fassungslos griffen Medien aus aller Welt die »Kartoffel-Affäre« auf. Ein Jahr später wurde das Verfahren stillschweigend eingestellt.
Die Wahrheit hat einige Gerichtsprozesse überstanden – meist als Sieger. Manchmal aber auch nicht. Deshalb gibt es Artikel, die leider aus rechtlichen Gründen in diesem Buch nicht mehr veröffentlicht werden dürfen, wie zum Beispiel die Satire von Gerhard Henschel mit dem Titel »Sex-Schock! Penis kaputt?« (8.5.2002). Darin wurde behauptet, dass der Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, eine Penisverlängerung an sich habe vornehmen lassen. Diekmann verklagte daraufhin die taz. Im sogenannten Penis-Prozess wurde der taz gerichtlich untersagt, den Artikel noch einmal zu veröffentlichen. Allerdings erhielt Diekmann auch nicht das von ihm geforderte Schmerzensgeld, da er in seiner exponierten Stellung als Chefredakteur der Bild-Zeitung mehr Kritik erdulden müsse als andere Personen des öffentlichen Lebens, wie das Gericht urteilte. Damit schrieb die Wahrheit zumindest Medienrechtsgeschichte. Der Bild-Chefredakteur aber bekannte später in einem Interview, dass der »Penis-Prozess« die größte Dummheit seines Lebens gewesen sei.
Bei soviel öffentlich wirksamen Kontroversen blieben Konflikte innerhalb der taz nicht aus. Und selbstverständlich hat die Wahrheit auch Fehler gemacht. Einmal handelte sie sich eine Rüge des Deutschen Presserats ein, auf die sie nicht stolz ist. Denn auf der Wahrheit-Seite wurde eine Todesanzeige verspottet, und der Wahrheit war nicht klar, wie weit sie zu weit gegangen ist. Aber legen wir über all den Ärger mit der taz-Chefredaktion, mit taz-Kollegen oder mit taz-Lesern lieber das Schweigen des Mäntelchens der Geschichte. Sonst würde der Rahmen dieses Buchs gesprengt.
Bedauerlicherweise kann hier einiges nicht gezeigt werden, das wesentlich für die Wahrheit ist. An erster Stelle sind da die einzigartigen Cartoonstreifen von ©Tom: der touché, den ©Tom seit nunmehr 18 Jahren täglich außer sonntags frisch zeichnet. ©Tom ist damit neben Ralf Sotscheck, der ebenfalls seit 18 Jahren dabei ist und jeden Montag seine Kolumne auf der Seite veröffentlicht, der beständigste Mitarbeiter der Wahrheit. Hier können nur zwei touché stellvertretend für ©Toms unglaublich konstante Komik abgebildet werden. Auch fehlen hier die regelmäßigen Cartoons und Zeichnungen von Rattelschneck oder Ari Plikat oder Anna Zimmermann, die immer wieder die Wahrheit-Seite zieren.
Nicht vergessen werden darf an dieser Stelle ein Element der Wahrheit, das manchmal arg am Rande steht und viel zu wenig gewürdigt wird, obwohl es seine treuen Fans hat: das samstägliche Rätsel »wahrhaftig und verborgen«, das Ulrich Danielowski beharrlich für die Wahrheit produziert und mit Fragen spickt, die schon manchen Kopf zum Rauchen gebracht haben.
Auch nicht wiedergegeben werden können all die vielen Fotogeschichten der vergangenen Jahre: So zeigte die Wahrheit zum Beispiel »weltexklusiv: Jacques Chirac nackt auf dem Balkon« (31.8.2001). Sie präsentierte »Die Achsel des Bösen« (7.2.2002). Eine ganze Boulevardseite widmete die Wahrheit einem schockierenden Bericht: »Effe spannt Kanzler Frau aus – Deutschland geschockt« (6.5.2003). Sie begrüßte den Kokainfreund Christoph Daum mit Fotos von berühmten Koksern: »Willkommen im Klub« (13.6.2003). Die Wahrheit fragte nach dem Tod von Johannes Paul II.: »Wer wird der nächste Papst?« und bot Kim Jong Il, Marcel Reich-Ranicki, Alice Schwarzer, Fernandel, Mel Gibson und Erwin Teufel als Nachfolger an. Während des Streits um die Mohammed-Karikaturen bildete die Wahrheit eine Woche lang den »Mohammed des Tages« ab: von Mohamed Zidan bis Muhammad Ali (7.-11.2.2006). Nach dem Ende der Fußballweltmeisterschaft 2006 enthüllte die Wahrheit »das schwarze Loch nach der WM« (10.7.2006). Und während der Europameisterschaft 2008 bewies sie mit den Flaggen von Ländern wie »Badvorlegistan« oder »Leopardien«, die in deutschen Städten aus Fenstern und von Balkonen hingen, dass nicht jedes Land Europameister werden kann (20.6.2008).
Nicht annähernd gewürdigt werden können hier die Aktivitäten des Wahrheitklubs, dessen bekannteste Mitglieder wohl Harry Rowohlt und die Hartmetaller von Manowar sind. Mit seinen rund 1.300 Mitgliedern steht der Vorstand das Jahr über im regen Austausch, und zweimal jährlich tagt der Vorstand öffentlich: auf der Leipziger und auf der Frankfurter Buchmesse. Berühmt-berüchtigt sind ©Toms Spiele für Wahrheitklubmitglieder, die offenbar alles mitmachen, solange es nur der Klubdevise dient: »ridentum dicere verum«. Lachend die Wahrheit sagen.
Im Rahmen des Wahrheitklubtreffens wird zudem der wahrscheinlich wichtigste Journalistenpreis Deutschlands verliehen: Der »Jieper-Preis«. Er handelt sich um einen Unterbring-Wettbewerb, denn alle Jahre wieder müssen Journalisten einen denkwürdigen Satz in einer Zeitung oder einer Zeitschrift unterbringen, um die Auszeichnung zu erhalten. Im Jahr 2000 lautete der Satz: »Wer Jieper hat, muss schmackofatzen«, und die FAZ gewann als Preis den stets ausgelobten Gran Duque d’Alba oder »die Große Ente«, wie der Brandy auch in der Wahrheit genannt wird. Im Jahr 2004 gewann erstaunlicherweise erneut die FAZ, der Unterbring-Satz hieß – weil Arabien Partnerland der Frankfurter Buchmesse war – »Wer kalift, muss mutaboren«. Im Jahr 2006 sollte in Anlehnung an die »Kartoffel-Affäre« der Satz »Beim Wullacken niemals mit dem Mottek wackeln« untergebracht werden. Erstmals ging der »Jieper-Preis« an einen Verlag, den Umschau-Verlag in Neustadt, der in dem Kochbuch »Kartoffeln« die Affäre aufgriff und den Satz prominent erwähnte. Im Jahr 2008 gewann den Jieper-Preis schließlich das Berliner Stadtmagazin Zitty, das den Satz »Wer einmal mit Obama pennt, gehört schon zum Establishment« als Aufmacherfoto der Titelgeschichte präsentierte.
Wie also eine Ordnung hineinbringen in all die wild sprießenden Geschichten und Themen der Wahrheit? Aber will man das überhaupt? Alles ordnen und rubrifizieren? Die Lösung kam aus der Wahrheit selbst. Im Jahr 2006 hatte der Wahrheit-Spezialist Dieter Grönling eine kleine Serie entwickelt: die »wahren Schreibtische«. Gezeigt wurden die Schreibtische von Wahrheit-Redakteuren und -Autoren. Wie es im Vorspann hieß: »Jeder Koch hat seine Mise en place, seine eigene Art, in der Küche den persönlichen Arbeitsplatz einzurichten mit Gewürzen und Kochgeräten und allerlei Dingen, die zum Gelingen eines Gerichts notwendig sind. Auch Autoren und Schriftsteller inszenieren ihre Schreibtische nach sehr eigenen Vorstellungen. Die Wahrheit hat sich an den Arbeitsplätzen ihrer Köche umgesehen.« Deshalb beginnt jedes Kapitel mit dem Foto eines Schreibtischs, an dem ein Wahrheit-Autor arbeitet. Und was er dabei auf seiner Arbeitsfläche vorfindet, wird im Begleittext erklärt.
Wir haben also versucht, die Wahrheit in zehn verschiedene Kapitel zu fassen. Da die Wahrheit sich aber nicht so leicht einordnen lässt, entzieht sich mancher Text einer Kategorisierung. So sind einige Kapitel umfangreicher geworden als andere, etwa jenes über »Feinde & Freunde«. In 18 Jahren sammeln sich da einige an – vor allem Feinde. Einige Geschichten und Figuren wandern durch verschiedene Kapitel. Wir konnten es nicht verhindern und lassen sie munter herumgeistern. Was wiederum ein paar Wahrheit-Autoren nicht mehr dürfen. Bedauerlicherweise mussten sich in den vergangenen Jahren einige Mitarbeiter von der Wahrheit verabschieden, da sie die wichtigste Spielregel der Wahrheit nicht akzeptieren wollten: Man muss immer wissen, wie weit man zu weit gehen kann. Solchen Spielverderbern können wir auch in dieser Anthologie kein Forum bieten und rufen ihnen lieber ein fröhliches »Hasta la vista, baby!« nach.
Der größte Verlust, den die Wahrheit je erlitten hat, war der Tod von Michael Rudolf, der sich im Jahr 2007 das Leben nahm. Seit Mitte der Neunzigerjahre hatte der Bier-, Pilz- und Humorkenner für die Wahrheit geschrieben und »war einer der wenigen ernst zu nehmenden Ostautoren des deutschen Humors«, wie es in seinem Nachruf auf der Wahrheit-Seite hieß. Ihm ist ein großartiges Buch gewidmet, das zur einen Hälfte aus seinen Texten und zur anderen Hälfte aus Artikeln von Wahrheit-Autoren über Michael Rudolf besteht: »Der Mann mit den neunhundertneunundneunzig Gesichtern« (Oktober Verlag, 2008).
Damit soll zum Schluss all jenen gedankt werden, die an der Wahrheit mitgearbeitet haben oder noch mitwirken – insbesondere allen Wahrheit-Redakteuren, die in den vergangenen 18 Jahren die Wahrheit aufgebaut und geprägt haben. Stellvertretend für sie sei Corinna Stegemann hervorgehoben, die auch schon ein paar Jährchen tapfer alles mitmacht, was auf die Wahrheit zukommt. Ein besonderer Dank geht auch an alle Wahrheit-Autoren, ohne deren Fähigkeiten die Seite nicht wäre, was sie ist.
Die Wahrheit ist, wie es in der Selbstbeschreibung heißt, die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Arbeiten wir daran, dass die eine oder andere Wahrheit hinzukommt.
Michael Ringel, im Januar 2009