Vegane Ernährung

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Vegane Ernährung
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Heike Englert, Sigrid Siebert (Hrsg.)

Vegane Ernährung

Mit Beiträgen von Heike Englert, Franziska Heine, Christian Köder, Alwine Kraatz, Julia Mai, Theresia Schoppe, Sigrid Siebert, Corinna Tigges und Alexandra Tölke

2., aktualisierte und erweiterte Auflage

Haupt Verlag

Prof. Dr. Heike Englert, MPH, lehrt Ernährungsmedizin, Ernährungsberatung und Public Health im Fachbereich Oecotrophologie und Facility Management an der Fachhochschule Münster.

Dipl. oec. troph. Sigrid Siebert ist Oecotrophologin, staatlich geprüfte Diätassistentin und seit 1995 Dozentin an der Akademie Gesundes Leben in der Stiftung Reformhaus-Fachakademie in Oberursel.

Corinna Tigges, M.Sc., ist Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaftlerin und forscht im Rahmen ihrer Doktorarbeit über den Einfluss gesunder Lebensstile auf mentale und physische Erkrankungen.

Dipl. oec. troph. Alwine Kraatz ist seit 2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin mit den Schwerpunkten Lebensmittelzusatzstoffe und Funktionelle Lebensmittel an der Fachhochschule Münster.

Christian Köder, M. Sc., ist Ernährungswissenschaftler und untersucht für seine Doktorarbeit den potenziellen Einfluss gesunder Lebensstile auf kardiovaskuläre Risikoparameter.

2. Auflage 2020

1. Auflage 2016

Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2016 Haupt Bern

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Umschlagabbildung: iStock – 1047798504_YelenaYemchuk

Satz: Die Werkstatt Medien-Produktion, Göttingen

Printed in Germany

E-Book Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim

UTB-Band-Nr.: 4402

ISBN: 978-3-8252-5217-5 (Buch)

ISBN: 978-3-8463-5217-5 (EPUB)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 2. Auflage

[7] Sowohl die „Pflanzenbasierte Ernährung“ als auch die „Vegane Ernährung“ mit ihrer vielschichtigen Bedeutung in medizinischen, psychologischen, sozialen, ökologischen oder politischen Kontexten ist seit 2016 noch einmal mehr in den Fokus der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt.

Wir freuen uns, dass wir in der 2. Auflage das brisante Thema „Nachhaltigkeit und Vegane Ernährung“ in einem eigenen Kapitel adressieren konnten.

Die 2. Auflage wurde darüber hinaus um die wichtigsten neuen Erkenntnisse und statistischen Daten zur veganen Ernährung ergänzt. Die Zufuhrempfehlung von Vitamin B12 sowie der Proteinbedarf bei Älteren wurde aktualisiert.

Gerne werden wir Ihre Sachkritik und Anregungen in der nächsten Auflage berücksichtigen.

Münster, im Februar 2020

Heike Englert

Sigrid Siebert

Vorwort zur 1. Auflage

Liebe Leserin, lieber Leser,

[8] Veganismus liegt im Trend. Die Zahl derer, die sich vegan ernähren, hat in den letzten Jahren besonders in den westlich geprägten Gesellschaften stark zugenomme. Einige Marktforscher beschreiben die Entwicklung als New Veganism. Veganismus wird von vielen nicht länger als eine Lebensart von Veganern mit hohen ethischen Ansprüchen angesehen – von Teilen der Bevölkerung oft assoziiert mit «Dogmatismus», «Lustfeindlichkeit» oder «Verzicht». Das Image des Veganers hat sich stark gewandelt und wird heute vielmehr mit Begriffen wie «trendy» und «lifestyle» assoziiert (EYMANN 2014). Der Ernährungsmarkt reagiert auf das neue Renommee und entwickelt eine Fülle von Produkten rund um die vegane Ernährung: von Kochbüchern und Lifestylemagazinen mit Rekordauflagen, dem Beginn veganer Supermarktketten mit explodierenden Umsatzzahlen, Produkten wie Tofuschnitzeln und veganem Fleischsalat bis hin zu tierfreier Mode (vegane Lederhose) und veganen Beauty-Produkten. Es vergeht kaum ein Tag ohne einen veganen Medienimpuls.

Der rapide Anstieg des Interesses an der veganen Ernährung erklärt sich durch unterschiedliche Entwicklungen, die alle mit dem übermäßigen Verzehr tierischer Produkte in Verbindung gebracht werden: Gesundheitsstatistiken zeigen eine stetig steigende Anzahl von Patienten mit ernährungsbedingten Zivilisationskrankheiten. Berichte in den Medien über Massentierhaltung, Umweltkatastrophen, Klimawandel, Hungerkatastrophen oder Ressourcenverschwendung bringen wachsende Teile der Gesellschaft zum Nachdenken über die eigene Ernährungsweise und sensibilisieren für einen verantwortungsbewussten Lebensstil. Dabei ist zu beobachten, dass sich die vegane Ernährung für einen Teil der Gesellschaft zu einer Weltanschauung und/oder zum Statussymbol entwickelt. So wird sie Ausdruck einer persönlichen Lebensweise und soll Gesundheit, Schönheit, Anerkennung, «gutes Gewissen» und/oder Sinnstiftung garantieren und wird durch das Weglassen tierischer Produkte von vielen nicht als Einschränkung, sondern als Reduktion von Komplexität in einer multioptionalen Gesellschaft empfunden.

[9] Mit der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung des Themas steigt die Zahl kontroverser, zeitweilig emotional geführter Diskussionen. Besonders nachdem die WHO vermehrten Fleischkonsum als gesundheitsgefährdend eingestuft hat, fühlen sich «überzeugte Fleischesser» bedroht und wehren sich mehr oder weniger vehement gegen Entwicklungen hin zu einem fleischfreien Leben (WHO 2015). Verstärkt wird diese Reaktion durch die Sorge vor einer nicht ausreichenden Nährstoffversorgung bei veganer Ernährung.

Verbraucher stehen heutzutage vor komplexen Fragen. Sie sind herausgefordert, eine eigene Haltung zum Essen zu entwickeln, individuellen Anforderungen (eigenes Gewissen) und den unterschiedlichen gesellschaftlichen Fragestellungen (Arbeitsbedingungen, Tierschutz, steigende Prävalenz Übergewichtiger und chronisch Erkrankter, Klimawandel und Umweltzerstörung) gerecht zu werden. Ist Veganismus der Weg zu einer zukunftsfähigen Ernährung mit hilfreichen Antworten? Auch im Internet (Food Blogs, Social Media) ist die vegane Ernährung ein stark diskutiertes Thema. Eine Gefahr liegt bei diesen Quellen jedoch darin, dass interessierte Verbraucher sich über Chancen und Risiken einer veganen Ernährung nicht unbedingt adäquat informieren können. Gerade bei der Frage nach der richtigen Umsetzung der veganen Ernährung sind wissenschaftlich fundierte Angaben und Hinweise jedoch wichtig.

Voraussetzung für die Entfaltung des Potenzials einer veganen Ernährung ist eine umfassende Aufklärung und ggf. professionelle Beratung, damit eine bedarfsgerechte Ernährung gewährleistet werden kann.

Dieses Buch richtet sich an Ernährungsexperten, Berater und Akteure im Gesundheitswesen sowie Studierende. Es dürfen sich ebenfalls die interessierten Verbraucher angesprochen fühlen – das Buch soll auch ihnen Möglichkeit zur Information, Reflexion und Auseinandersetzung mit dem Thema geben. Es kommen Wissenschaftler und Experten aus der Praxis zu Wort, die wichtige Aspekte einer veganen Ernährung kritisch, fundiert und wissenschaftlich aufgearbeitet haben. Schwerpunkte des Buches sind:

Die Entwicklung und Beweggründe für eine vegane Ernährung,

die Nährstoffversorgung in unterschiedlichen Lebensphasen,

der Einfluss veganer Ernährung auf Gesundheit und Krankheit,

Integrative Therapiekonzepte und Best-Practice-Beispiele auf der Basis veganer Ernährung,

Vorstellung von veganen und funktionellen Lebensmitteln, deren lebensmittelrechtlichen Aspekten, Kennzeichnungen und Zertifizierungen sowie

Veganismus in Praxis und im Beratungsalltag.

[10] Den Autorinnen ist bewusst, dass vegane Ernährung auch im Rahmen der Nachhaltigkeitsdebatte eine Rolle spielt. Dieser Aspekt konnte in der vorliegenden Arbeit keine Berücksichtigung finden. Aus Gründen der Lesbarkeit werden in diesem Buch für die Bezeichnung männlicher und weiblicher Personen nur maskuline grammatikalische Formen verwendet.

 

Die Herausgeberinnen möchten mit diesem Buch grundlegende Informationen für eine faktenbasierte Debatte über die vegane Ernährungsweise liefern und freuen sich über Anregungen und kritische Bemerkungen zum Thema.

Wir möchten an dieser Stelle allen Mitautorinnen danken, die diesen manchmal schwierigen Prozess mitgetragen haben, Herrn Lind vom Haupt Verlag für das Lektorat sowie Hartmut Bäumer und Lutz Augustin für die mentale Unterstützung.

Münster, im Februar 2016

Heike Englert und Sigrid Siebert

1 Einführung: Vegane Ernährung – Entwicklungen und Aspekte der pflanzlichen Ernährung
Heike Englert in Zusammenarbeit mit Alexandra Tölke

[11] Indien hat weltweit mit ca. 40 % den größten Bevölkerungsanteil an Vegetariern und Veganern. Dies erklärt sich aus der Geschichte des Landes: In der klassischen Hochkultur (ab 500 v. Chr.) wurden die religiösen Tieropfer kritisch hinterfragt und revolutionäre philosophische Grundüberzeugungen entwickelt, die auch ein unabhängiges ethisches Denken mit sich brachten (KAMLESH 2010). Der Verzicht auf getötete Tiere in der Ernährung geht dabei auf das Konzept der Gewaltlosigkeit (Ahimsa) zurück und spielt in einigen der großen Religionen Indiens (Hinduismus, Buddhismus und Jainismus) eine wichtige Rolle (STATISTA 2015; PLETCHER 2010). Die fleischlose Ernährung setzte sich daraufhin im ostasiatischen Raum nahtlos bis in die heutige Zeit fort.

Die ersten Aufzeichnungen über eine fleischlose Ernährung im Mittelmeerraum finden sich in den Lehren der antiken Philosophen; so z. B. bei Pythagoras (6. Jahrhundert v. Chr), Platon (384–322 v. Chr.), Plutarch (ca. 45–120 n. Chr.) oder Porphyrios (ca. 233–305 n. Chr.), die vornehmlich aus ethischen/ tierethischen Gründen auf Fleisch verzichteten (SPENCER 1993). Anders als in Ostasien, konnte sich eine fleisch- und tierfreie Ernährung in Europa aber nicht etablieren und wurde erst ab dem 19. Jahrhunderts wieder populärer. 1801 wurden in England der erste Vegetarier-Verein, 1847 die Vegetarian Society und ca. 100 Jahre später (1944) die Vegan Society ins Leben gerufen. Die Industrialisierung mit ihren negativen Folgen für Umwelt und Bevölkerung löste schließlich auch in Deutschland und der Schweiz Reformbewegungen aus, so z. B. die vegetarische Bewegung, die Abstinenz- und die Naturheilkundebewegung (vgl. LEITZMANN/KELLER 2013; GRUBE 2006; WOLFF 2010). Der Erste Weltkrieg, der Niedergang der Weimarer Republik und die Instrumentalisierung der «Volksgesundheit» auf der Grundlage des Rassendenkens durch die Nazidiktatur drängten die Lebensreformbewegungen vorübergehend zurück. Die wirtschaftlichen Folgen des Zweiten Weltkriegs und die daraus resultierende [12] Not führten zu einem neuen Pragmatismus – die Frage nach dem «Was sollte man essen?» wurde ersetzt durch die Frage «Was kann man sich leisten?» (SPIEKERMANN 2001). In der Folge dieser entbehrungsreichen Jahre wurde in der Nachkriegszeit der Fleischverzehr zu einem Statussymbol mit hohem Prestige. Erst mit der 1968er-Bewegung kam Kritik an diesem Lebenstil auf. Die skeptische Betrachtung der industrialisierten Produktionsweise von Nahrungsmitteln rückte dadurch wieder verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses, die sich nicht zuletzt mit der Parteigründung der Grünen 1980 im öffentlichen Bewusstsein niederschlug (MEADOWS et al. 2004).

Zur Jahrtausendwende hin hat sich der Fokus sukzessive von dieser zunächst politischen hin zu einer vermehrt auf das Individuum ausgerichteten Perspektive verschoben. Vor allem Verbraucher, die sich verstärkt über Lebensstile definieren, begannen ihre Ernährungsweise zu optimieren, oftmals angetrieben durch verunsichernde Ereignisse wie z. B. Skandale im Lebensmittelbereich oder Seuchen wie die BSE-Krise. Hierbei zeigt sich die Gegenwart mehr und mehr vielschichtig, sodass unter den Konsumenten ein Bedürfnis nach Reduktion von Komplexitäten entsteht.

Heute ist der Verzicht auf Fleisch und tierische Produkte ein Trend, der immer stärker in den Mainstream westlicher Gesellschaften drängt. Eine mögliche Erklärung, warum gerade jetzt die vegane Ernährung einen solchen Aufschwung erlebt, mag darin zu finden sein, dass sie einer Folie gleicht, auf die sich die Komplexitäten des Lebens projizieren lassen. Hierbei steht die Ernährung (und die Beschäftigung mit ihr) stellvertretend für politische und gesellschaftliche Fragestellungen, Konsum- oder Genussstile (HIRSCHFELDER und WITTMANN 2015). Auch wenn zurzeit wenig zuverlässige, repräsentative Daten vorliegen, so lässt sich doch in vielen westlichen Ländern eine steigende Tendenz hin zur fleischlosen Ernährung erkennen. Der Vegetarierbund Deutschland geht mittlerweile von ca. 10 % Vegetariern und rund 1,1 % Veganern in Deutschland aus (VEBU 2015).

In Österreich wird laut einer Studie des Österreichischen Instituts für empirische Sozialforschung in den letzten Jahren ein Anstieg vegetarisch lebender Personen von 2,9 % auf 9 % verzeichnet, darunter ca. 1–1,5 % Veganer, und auch in der Schweiz kann ein steigender Trend in diese Richtung festgestellt werden (VEGANE GESELLSCHAFT ÖSTERREICH 2015; SWISS VEG 2015).

[13]

Ursprung des Begriffs «vegan»

1847 wurde in England die erste vegetarische Gesellschaft gegründet («Vegetarian Society of the United Kingdom»), bei deren konstituierenden Versammlung das Wort «vegetarian» (abgeleitet von lat. «vegetus»: lebendig, frisch, kraftvoll) als offizielle Bezeichnung für die fleischlose Ernährung eingeführt wurde (SPENCER 2000, S. 238). Mit der Gründung der Internationalen Vegetarian Union (IVO) 1908 wurden erstmals auch die ethischen Konsequenzen des Milchkonsums innerhalb der vegetarischen Bewegung diskutiert. Daraus entstand 1944 die erste Vegan Society, die von Elsie Shrigley und Donald Watson ins Leben gerufen wurde und die «milchfreie Vegetarier» zusammenführte. Bei einem weiteren Treffen wurde die Bezeichnung strenge Vegetarier durch die Wortneuschöpfung «vegan» (Abkürzung aus vegetarian) ausgetauscht, um sich nunmehr auch begrifflich vom klassischen Vegetarismus abzugrenzen (STEPANIAK und MESSINA 2000).

Im Oxford English Dictionary erschien der Begriff «vegan» zum ersten Mal 1962 und wurde dort als «vegetarian who eats no butter, cheese, or milk» (Vegetarier, der keine Butter, keinen Käse und keine Milch verzehrt) erläutert. Diese Definition wurde Mitte der 1990er-Jahre erweitert. Demnach ist ein Veganer «a person who does not eat or use animal products», also eine Person, die keine tierischen Produkte isst oder verwendet (CONCISE OXFORD ENGLISH DICTIONARY 1995).

Eine rechtsverbindliche Definition der Begriffe vegan und vegetarisch gibt es bisher im deutschsprachigen Raum nicht (SCHWINK 2014).

1.1 Die Veganer

Eine detaillierte soziodemografische und gesellschaftliche Beschreibung der Veganer fällt schwer. Die wenigen quantitativen Untersuchungen von Veganern (z. B. die Oxford Vegetarian Study, die Gießener Vegetarier Studie oder eine Studie des Marktforschungsinstituts YouGov) machen deutlich, dass Veganer im Gegensatz zu Vegetariern erst seit einiger Zeit als eigenständige Kohorte wahrgenommen werden (APPELBY et al. 1999; LEITZMANN/SCHÖNHOFER 1988; YOUGOV 2014). Laut YOUGOV 2014 ernähren sich vermehrt Frauen vegan (56 %). Veganerinnen und Veganer haben ein Durchschnittsalter von 35 bis 54 Jahren, leben vornehmlich in Singlehaushalten und zeigen einen höheren Bildungsstatus als der Rest der untersuchten Kohorte (YOUGOV 2014).


[14] Abb. 1-1: Überblick möglicher Veganertypen.

«Es ist nicht leicht, die Gruppe der ‹Veganer› in einer ‹Multioptionsgesellschaft› zu beschreiben. Es handelt sich hier um einen neuen Konsumtypus, der sich in den unterschiedlichen Ausprägungen von ‹Cheety Veganer› über ‹Flexi-Veganer bis hin zum konsequenten ‹Roh-Veganer› darstellt» (YOUGOV 2014).

So unterschiedlich die Beweggründe für eine vegane Ernährung sein können, so breit ist auch das Spektrum an gelebtem Veganismus. Je nach Persönlichkeit und Motivation sind Variationen bei der Umsetzung der veganen Ernährungsweise denkbar, die zunächst auf einer pflanzlichen Ernährung basieren, ggf. aber auch einzelne tierische Nahrungskomponenten mit einschließen (siehe [15] Abb. 1-1). Die unterschiedlichen Bezeichnungen entstammen sowohl der populären als auch der wissenschaftlichen Literatur und sind auf unterschiedliche Trends zurückzuführen.

Konsequente Veganer

Konsequente Veganer, wie die traditionellen Veganer, ernähren sich zu 100 % vegan. Sie verzehren ausschließlich pflanzliche Lebensmittel sowie andere nichttierische Lebensmittel (z. B. Pilze) und meiden Nahrung sowohl vom toten (Fleisch, Wurst) als auch vom lebenden Tier (z. B. Milch und Milchprodukte, Ei, Honig). Konsequente Veganer sprechen sich zudem gegen die Haltung von Nutztieren aus und verzichten auf jegliche Gebrauchsgegenstände, die unter Verwendung von Tieren hergestellt werden (z. B. Leder, Fell, Wolle, Seide und Horn). Aber auch Produkte mit tierischen Zusätzen wie Bienenwachs, Chitin, Gelatine, echtem Karmin, marinem Kollagen, Seidenextrakt und Kosmetikartikel, deren Hersteller Tierversuche durchführen, werden abgelehnt (REFORMHAUS EG 2015). Viele konsequente Veganer sind stark ethisch motiviert und beschäftigen sich über den Verzicht tierischer Lebensmittel hinaus mit Themen wie Tierrechten, Umweltschutz, Gesundheit und den globalen Problemen der Gegenwart und Zukunft (RUBY et al. 2013).

Fruganer und Roh-Veganer zählen ebenfalls zu den konsequenten Veganern, befolgen jedoch weitere Kriterien bei der Lebensmittelauswahl. Die Fruganer (alternative Bezeichnungen: Frutarier oder Fruitarier) setzen eine vegane Ernährung auf Basis von Obst und Früchten um. Sie konsumieren, was die Natur ihnen aus «freien Stücken» zur Verfügung stellt. Gemeint sind Produkte, die ohne Beschädigung der Pflanze bei der Ernte gewonnen werden. Dazu zählen Früchte und Beeren, die bereits vom Baum bzw. Strauch gefallen sind, Gemüsefrüchte (Tomaten, Gurken, Auberginen, Paprika, Kürbis etc.), Hülsenfrüchte (Erbsen, Bohnen, Soja etc.), Blüten und Blätter, Samen und Nüsse. Eine Ausnahme bilden Knollen, Wurzeln und Blätter von Nahrungspflanzen, die bei der Ernte zerstört werden, wie Rote Bete, Möhren oder Kartoffeln und Getreidesorten wie Weizen oder Hafer, deren Stammpflanze bei der Ernte schon abgestorben ist. Roh-Veganer bevorzugen frische, nicht erhitzte Nahrung pflanzlichen Ursprungs. Nach der Gießener Rohkoststudie (1997) wird Rohkosternährung definiert als eine Ernährung «die weitgehend oder ausschließlich unerhitzte, pflanzliche Lebensmittel enthält». Hierzu zählen Obst und Früchte, Gemüse, Kräuter, Sprossen, Wildpflanzen, Avocado, Nüsse, Samen, Pilze, Öl und milchsauer vergorene Lebensmittel wie Gemüsemoste, Sauerkraut und Bohnen. Erlaubt sind auch Lebensmittel wie Trockenfrüchte oder kaltgepresste Pflanzenöle, [16] bei deren Herstellung eine gewisse Hitzezufuhr (40–42 °C) erforderlich ist. Befürworter einer veganen Rohkost gehen davon aus, dass so temperaturempfindliche Stoffe (z. B. einige sekundäre Pflanzenstoffe wie Chlorophyll, Vitamin C, Enzyme und ungesättigte Fettsäuren) erhalten bleiben und die unerhitzte Nahrung ihren Energiewert behält (KOEBNICK et al. 1997).

Zur Gruppe der konsequenten Veganer kann auch im weitesten Sinne der Pudding-Veganer gefasst werden, der sich zwar strikt vegan ernährt (Pudding aus Sojamilch oder Pommes in pflanzlichem Fett frittiert), dabei aber weniger auf eine ernährungsphysiologisch ausgewogene Zusammensetzung der Kost achtet. Bei ihm spielen hauptsächlich ethische Gründe eine Rolle, während die gesundheitlichen Aspekte eher untergeordnet sind (SCHWINK 2014).

Es bezeichnen sich durchaus auch andere Menschen als konsequent vegan lebend, wenn sie bestimmte tierische Produkte wie Honig, Fisch oder Meeresfrüchte etc. verzehren (ROTHGERBER 2014).

Honig-Veganer: Manche Veganer ernähren sich in Bezug auf tierische Lebensmittel, die von größeren Tieren stammen, konsequent vegan, sie machen aber in Bezug auf Honig und andere Bienenprodukte eine Ausnahme und verwenden bzw. verzehren diese.

Pesco-Veganer: Sie sind eigentlich keine Vegetarier/Veganer. Sie verzehren Fisch und eventuell Meeresfrüchte, ansonsten aber keine tierischen Lebensmittel.

 

Makrobiotiker: Die makrobiotischen Ernährungsweisen sind meist nicht konsequent vegan und sollten von veganen Ernährungsweisen unterschieden werden. Die Makrobiotik gründet auf den taoistischen Lehren und stellt das Prinzip der Gegensätze von Yin und Yang ins Zentrum. Ziel ist es, eine Harmonie zwischen den beiden Gegensätzen zu erreichen. Der makrobiotischen Ernährung kommt hierbei eine wichtige Rolle zu (vgl. KUSHI 2000). Sie besteht aus verschiedenen Vollkorngetreiden (50–60 % der Energiezufuhr), frischen Gemüsen (25 %) und Früchten (mehrfach pro Woche), Bohnen und Meeresgemüsen (5–10 %) sowie weiteren 5–10 % in Form von Suppen. Tierische Lebensmittel wie Fisch gibt es je nach Bedarf in kleinen Mengen (vgl. KUSHI 2000; ACUFF 1989, S. 32).