Loe raamatut: «VISIONEN & WIRKLICHKEIT»

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Michael Haitel & Jörg Weigand (Hrsg.)

Visionen & Wirklichkeit

Rainer Eisfeld zum 80. Geburtstag

AndroSF 139

Michael Haitel & Jörg Weigand (Hrsg.)

VISIONEN & WIRKLICHKEIT

Rainer Eisfeld zum 80. Geburtstag

AndroSF 139

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: 04. April 2021

p.machinery Michael Haitel

Titelfoto: Heinz J. Galle

Fotografien: Robert Christ, Gustav R. Gaisbauer, Beistellungen von Gustav R. Gaisbauer, Dieter von Reeken

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.pmachinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 232 4

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 863 0

Jörg Weigand: Zielstrebig und mutig

Rainer Eisfeld – Science-Fiction-Fan und engagierter Politikwissenschaftler

Meine Frau Karla und ich hatten in der zweiten Hälfte des Jahres 2002 die Freude, eine Woche mit Walter Ernsting in Salzburg verbringen zu können. Thema war das Gästebuch, das die Familie Ernsting seit 1956 ihren Gästen für einen Eintrag präsentiert hatte. Dankenswerterweise hat der Erste Deutsche Fantasy Club das einzigartige, z. T. schwer entzifferbare Dokument über die Fan-Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland ein Jahr später in Faksimile und kommentiert herausgebracht.

Wer darin blättert, findet die Unterschrift des gerade einmal fünfzehnjährigen Rainer Eisfeld direkt unter der Signatur von Wolfgang Jeschke. Anlass war der sogenannte Zwischencon des SFCD vom 1. bis 3. April 1956 in der Nähe von Bayrischzell, nach dem ersten Haupttreffen der Fans in Wetzlar. Ein anderer, damals prominenter Gast war Ernst H. Richter, der unter eigenem Namen wie auch unter den beiden Pseudonymen »William Brown« und »Ernest Terridge« bereits etliche Science-Fiction-Romane im Leihbuchformat veröffentlicht hatte.

Einschub: Ich gestehe, dass ich sehr neidisch wurde, als ich diesen Eintrag zum ersten Mal las. Welche Entschlusskraft bei einem so jungen Mann, von Bonn aus (wo Eisfeld damals zu Hause war) bis nach Oberbayern zu fahren, um sich mit (bislang unbekannten) Gleichgesinnten zu treffen. Und (Überraschung!) – diese Eltern. Bei meiner Familie wäre das nicht möglich gewesen. Wie viel Vertrauen müssen Eisfelds Eltern in ihren Sohn gehabt haben!

Umgeblättert, findet sich noch einmal Eisfelds Name. Der Eintrag lautet:

»Als mein hungriger Magen durch ein Mittagessen bei W. E. besänftigt war, stieg im Geiste eine Zukunftsvision vor mir auf:

We fly to the neverending space,

We fly to eternity,

But happy are our faces,

For we’ll conquer infinity!«

Worauf sich der Nachsatz: »Na, Mr. Parr, was sagen Sie nun?« bezieht, kann ich nicht deuten. Der Engländer Julian Parr war 1955 Mitbegründer des Science Fiction Clubs Deutschland. Rainer Eisfeld selbst notiert bei diesem Eintrag seine Mitgliedsnummer beim SFCD mit Nr. 106.

Die Faszination, der »sense of wonder«, wie er in den Anfangsjahren, quasi während der Aufbruchszeit der Science-Fiction in der Bundesrepublik Deutschland, die Fans auszeichnete, spricht eindrucksvoll aus dem Gedicht des jungen Eisfeld. Kein Wunder also, dass er sich selbst auch als Autor von Science-Fiction versuchte, nachzulesen in der 1957 von »Henry Bings« alias Heinz Bingenheimer zusammengestellten und herausgegebenen utopischen Anthologie »Lockende Zukunft«. Der Band erschien in dem auf Titel für gewerbliche Leihbüchereien spezialisierten Bewin-Verlag, angesiedelt im sauerländischen Menden. Während diese billig ausgestatteten und produzierten Romane gemeinhin einen Kunststoffeinband erhielten, Supronyl genannt, wurde die Bingenheimer-Anthologie für Sammler nicht nur mit Schwarz-Weiß-Zeichnungen versehen, sondern erhielt auch einen Leineneinband. Unter den Autoren finden sich zu späterer Zeit so bekannte Namen wie Clark Darlton alias Walter Ernsting, Jay Grams alias Jürgen Grasmück, Wolfgang Jeschke, Ernst H. Richter, Karl Herbert Scheer, Willi Voltz und eben auch Rainer Eisfeld.

Seine kurze Erzählung »Die Hölle auf Erden«, illustriert von Jan Groenmeyer, greift ein nach den Schrecken von Hiroshima und Nagasaki in der SF der Fünfzigerjahre gängiges Schreckensmotiv vom Untergang der Menschheit nach einem weltumspannenden Atomkrieg auf. Und ist – gemessen an so manchem anderen Beitrag in dieser Anthologie – für einen Fünfzehn-, Sechzehnjährigen überraschend gut, ja geradezu professionell geschrieben. Man kann sagen, der junge Mann traute sich etwas zu.

Das Selbstvertrauen des jungen Rainer Eisfeld war sehr ausgeprägt: Auf seine Nachfrage mit dem Hinweis, dass er inzwischen Science-Fiction in der Originalsprache lese, hatte ihm Walter Ernsting bereits ein Jahr zuvor eine Probeübersetzung für das von ihm herausgegebene »Utopia-Magazin« anvertraut. Es handelte sich um die im November 1950 in »Galaxy Science Fiction« veröffentlichte Erzählung »Misbegotten Missionary« von Isaac Asimov; die Übersetzung erschien in der fünften Ausgabe des »Utopia-Magazins«. Offensichtlich war Ernsting von Eisfelds Übersetzungsfähigkeiten so beeindruckt, dass in der nächsten Ausgabe bereits die zweite Eisfeld-Übersetzung erschien: eine Erzählung von Murray Leinster (diesmal freilich, zum Leidwesen des jungen SF-Schaffenden, ohne Angabe des Übersetzers).

Im gleichen Jahr wie Bingenheimers Anthologie »Lockende Zukunft« erschien auch Eisfelds erste Romanübersetzung als »Utopia Kriminal« Band 25: »Ingenieure des Kosmos« von Clifford D. Simak (Originaltitel »Cosmic Engineers«). In den nächsten Jahren folgten weitere Romane im Romanheft wie im Leihbuch, unter anderen solche von Isaac Asimov, Jon J. Deegan, Raymond F. Jones, A. E. van Vogt und Jack Williamson, zum Teil unter dem von Ernsting verwendeten Pseudonym »Armin von Eichenberg«.

Einschub: Die Arbeit als Übersetzer hat dem jungen Rainer offenbar nicht nur willkommenes Honorar eingebracht, sondern auch Spaß gemacht. Bis Mitte der Sechzigerjahre war Eisfeld auf diesem Arbeitsfeld aktiv und übersetzte neben nicht wenigen Science-Fiction-Titeln auch Western (etwa von Louis L’Amour »The Tall Stranger«, veröffentlicht im Jahre 1963 unter dem Titel »Der fremde Reiter« im Leihbuchverlag Balowa), aber auch Kriminalromane. Für den Ullstein-Verlag übertrug er 1965/66 mehrere Titel des Autors W. T. »Todhunter« Ballard ins Deutsche, etwa »Feuerwasser«, »Mörderische Stadt«, »Fahrt in den Tod« oder »Gefährliche Erbschaft«. Auch ein Erle-Stanley-Garner-Titel kommt dazu (möglicherweise gibt es mehrere, die ich nicht identifiziert habe): »The Case of Lazy Lover«, erschienen als »Perry Mason und der lustlose Liebhaber«.

Zurück zu den ersten Jahren des R. E.:

Auch sonst war der Fan Rainer Eisfeld sehr aktiv. Er hatte in Bonn die Ortsgruppe des SFCD gegründet und wurde anlässlich des Neubaus seines Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums initiativ. Walter Ernsting hat Eisfelds Bericht an ihn über das Ereignis in einem Beitrag über »SFCD und die Öffentlichkeit« im Utopia-Magazin Nr. 5, wo auch auf eine Veranstaltung in Recklinghausen hingewiesen wurde, auf Seite 123, zitiert:

»Mir bot sich eine gute Gelegenheit, als am 1. Oktober 1956 das neue Schulgebäude eingeweiht werden sollte, und einige Ausstellungen unter dem Motto: ›Freizeitbeschäftigungen der Schüler‹ gestartet wurden. Ich schnappte mir kurzentschlossen meinen SFCD-Freund Volkhard Peters und erklärte ihm: ›Wir machen eine Ausstellung über Science-Fiction!‹

In fünf Nachmittagen war das nötige Material ausgesucht und aufgebaut. Bei der Aufteilung wurde nach mehreren Hauptgesichtspunkten verfahren. Raumfahrt zeigte, wie weit der Mensch heute ist und bald sein wird. Astronomie hatte hauptsächlich die Verhältnisse auf den Planeten des Sonnensystems zum Gegenstand. Außerirdisches Leben wurde kurz gestreift und das viel umstrittene Thema der fliegenden Untertassen behandelt. Dem SF-Film waren einige Plakate und Bilder gewidmet, und mehrere Tische zeigten SF als Literatur. Neben amerikanischen Pocketbooks und Magazinen sah man Bücher aus England, Frankreich und Deutschland. Den Abschluss bildete ein Blick auf den SFCD.«

Walter Ernsting konnte mit seinem jungen Fan wahrlich zufrieden sein. Er zog das Fazit:

»Diese beiden Ausstellungen zeigen, dass SF eine Literatur ist, die es verdient, beachtet zu werden. Sie beweisen, dass man auch den SFCD bereits beachtet. Wir werden in fünfzig Jahren wissen, wie weit die technische Weiterentwicklung unsere kühnsten Träume überflügelt hat. Vielleicht werden wir dann feststellen, dass wir noch viel zu pessimistisch waren.«

Eisfelds Initiative, die einem Hauptanliegen Walter Ernstings entgegenkam, der Science-Fiction in der Bundesrepublik Deutschland möglichst viel Aufmerksamkeit und damit Leser und gleichzeitig die Fans in einer großen Organisation (SFCD) zu sammeln, beeindruckte den Utopia-Redakteur derart, dass er dem Gymnasiasten die Betreuung der Wissenschaftsrubrik im Vereinsorgan »Andromeda« anbot.

Wie zielstrebig und selbstbewusst sich der junge Rainer Eisfeld in die Fanorganisation SFCD einbrachte, ist auch an der Tatsache erkennbar, dass er die deutschen Fans im Auftrag des SFCD 1957 auf dem Worldcon zu London vertrat. Zum allerersten Mal wurde dieses Großtreffen der SF-Begeisterten außerhalb der Vereinigten Staaten abgehalten; für die deutschen »Provinzler« die Gelegenheit, sich zu präsentieren. Galionsfigur für Deutschland war Rainer Eisfeld und er schlug sich offenbar gut.

Ernsting hatte dem Botschafter der deutschen SF eine Aufgabe mitgegeben, die dieser brav erfüllte: internationale Unterstützung einzufordern. Zusammen mit dem amerikanischen Literaturagenten, Herausgeber und Großsammler Forrest J. Ackerman, der sich während des gesamten Aufenthalts des jungen Fans vom europäischen Festland angenommen hatte, verfasste er ein »Manifest«, das unter anderen von so großen Autorennamen wie Brian W. Aldiss, H. Kenneth Bulmer, H. J. Campbell, Eric Frank Russell, Robert Silverberg und John Wyndham unterzeichnet war. Zurück in Deutschland, konnte Eisfeld seinem Auftraggeber Vollzug vermelden und den Aufruf auf dem ersten großen Con des SFCD in Bad Homburg (sogenannter »Biggercon« vom 14. bis 16. September 1957) präsentieren.

Darin heißt es:

»Die Unterzeichneten kennen die Probleme der SF in Deutschland und können Walter Ernsting in seinen Methoden und Zielen nur unterstützen. Soweit wir informiert sind, strebt Walter Ernsting die weitmöglichste Verbreitung des SF-Gedankens mithilfe des Erich-Pabel-Verlages an, dem ersten deutschen Verleger utopischer Heftromane. Wir sind davon überzeugt, dass dies der einzige und beste Weg ist, Science-Fiction populär zu machen.«

Dass so viele in der angloamerikanischen SF-Szene bekannte und berühmte Autoren unterschrieben, war leicht erklärlich: Es winkte ein großer Absatzmarkt im deutschsprachigen Raum und ein derart Aktiver wie Walter Ernsting musste unbedingt unterstützt werden: Es lockten Abdrucke in den »Utopia«-Reihen, vorzugsweise im »Utopia Großband«, aber auch im Leihbuch. Da scherte es niemanden, dass der Pabel-Verlag auch die gerade in der Anfangsphase besonders radikal-militaristische Reihe der »Landser«-Romane herausbrachte.

Der Gymnasiast Rainer Eisfeld blieb offenbar während seiner gesamten Schulzeit »am Ball« der Science-Fiction, wenngleich sein Hang zum Fandom mit den Jahren schwächer wurde. Nicht wenig Schuld daran trug Walter Ernsting, der sich zunehmend als meinungsdiktatorisch entpuppte.

Im letzten Schuljahr zeigte Eisfeld, dass ihm bereits in jungen Jahren auch an der sekundären Aufarbeitung »seiner« Science-Fiction gelegen war, erstaunliche Einsicht für den Abiturienten. Es gelang ihm, das Label »Science Fiction Times« (SFT), in den USA erfolgreich auf dem Markt, für Deutschland zu erwerben und sich Nachdruckrechte zu sichern. Die deutsche SFT sollte in den folgenden Jahrzehnten eine Entwicklung nehmen, die durchaus nicht immer im Sinne des als akademischer Lehrer tätigen Eisfeld war; ihr Einfluss auf Leser und – vor allem – auf gewisse Lektoren und Macher in den Verlagen war eine Zeitlang unübersehbar.

Eisfeld legte 1959 das Abitur ab. Nach erfolgreichem Abschluss der Schulzeit arbeitete er zunächst für den Augsburger Science-Fiction- und Kriminalromanautor Wolf Detlef Rohr, der parallel zu seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch noch eine literarische Agentur betrieb. Dies währte freilich nicht lange. Eisfeld hat selbst darüber berichtet:

»Nach einem Jahr allerdings wurde mir klar, dass ich beruflich etwas anderes anstrebte. Nicht nur aus Rohrs Agentur schied ich aus – auch dem Fandom kehrte ich den Rücken.«

Ehe wir uns später noch einmal mit dem Thema »Rainer Eisfeld und die Unterhaltungsliteratur, speziell die Science-Fiction«, beschäftigen, sei hier zunächst auf seinen beruflichen Werdegang Bezug genommen. Auch hier galt und gilt für seine Person: Zielstrebig und mutig war sein Motto.

Für Eisfeld folgte nun ein Studium der Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft, das er 1971 mit der Promotion abschloss. Thema der Dissertation war »Pluralismus zwischen Liberalismus und Sozialismus«: Für diese Doktorarbeit erhielt Eisfeld den Promotionspreis der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät seiner Universität Frankfurt am Main, eine Auszeichnung, die auf die Begabung des jungen Wissenschaftlers hinwies. Die Science-Fiction und die damit zusammenhängenden Randgebiete (z. B. Fandom) blieben für die Folgejahre zunächst unwesentlich. Und die Konzentration auf seine weitere Ausbildung zeitigte schnelle Erfolge. Bereits 1974, mit dreiunddreißig Jahren, wurde Rainer Eisfeld ordentlicher Professor für Politologie an der gerade gegründeten Universität Osnabrück – ein ziemlich beispielloser Karriereschub, wie er an deutschen Universitäten nicht gerade häufig zu bemerken ist.

Ohne die frühzeitige Lektüre der Science-Fiction und seine Aktivitäten innerhalb des deutschen Fandoms wäre Eisfeld wahrscheinlich nie auf ein in seinem Fach Politologie geradezu brisantes Thema aufmerksam geworden: Wernher von Braun und seine Tätigkeit während des Naziregimes.

Dazu der Autor:

»Hätte ich mich als Sozialwissenschaftler einem – auf den ersten Blick jedenfalls – so stark technikgeschichtlichen Thema zugewendet? Eher unwahrscheinlich. Hätte ich mich mit Raketentechnik, mit Peenemünde, mit Wernher von Braun befasst, ohne dass Walter Ernsting meinen ersten Enthusiasmus bestärkt, mir in Andromeda die ›Wissenschaftliche Redaktion‹ übertragen hätte? Stark zu bezweifeln.«

In den Achtzigerjahren hatte sich Eisfeld auf das Themengebiet »Wissenschaftliche Verantwortung unter dem Nazi-Regime« konzentriert und dazu auch die Erinnerungsbücher der zur damaligen Zeit verantwortlichen und einflussreichen Persönlichkeiten gelesen. Bei zwei dieser Autoren fand er erhebliche Widersprüche in der Beschreibung der Herstellung der sogenannten Vergeltungswaffen, der Raketen »Aggregat 2« alias »V 1« sowie »Aggregat 4« alias »V 2« in Peenemünde. Diese Autoren waren zum einen Generalmajor Walter Dornberger (1895–1980), zuständig im Heereswaffenamt für das Raketenwaffen-Programm, und sein 1952 erschienenes Buch »V 2 – Der Schuss ins Weltall« sowie Albert Speer (1905–1981), Architekt und ab 1942 Reichsminister für Bewaffnung und Munition und seine 1969 erschienenen »Erinnerungen«.

Während Speer offen über die unmenschlichen Bedingungen im unterirdischen Mittelwerk bei Nordhausen sprach, über das Elend der KZ-Häftlinge, die als Zwangsarbeiter die V-Waffen fertigen mussten, erwähnte dies Dornberger mit keinem Wort. In deutschen und amerikanischen Archiven fand Eisfeld genügend Material, um Wernher von Braun, dem von Walter Ernsting so verehrten Raketenpionier, und einige seiner Mitarbeiter als aktive Mittäter des braunen Terrors markieren zu können. Erste Publikationen führten dazu, dass Eisfeld nach der Wiedervereinigung in das »Kuratorium KZ-Gedenkstätte Mittel-Dora« berufen wurde.

Und es entstand eine Monografie: »Mondsüchtig. Wernher von Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei« erschien 1996 und erregte internationales Aufsehen. Das Buch zerstörte so manche Schwärmerei von den idealistischen Zielen und dem Wirken der deutschen Raketenpioniere. Die Monografie wurde 1997 von der Jury der Zeitschrift »Bild der Wissenschaft« unter die Wissenschaftsbücher des Jahres gewählt.

In der deutschen Presse erlebte das Buch breitgestreute Beachtung – von der »Frankfurter Allgemeinen« bis zur »taz«. Die Reaktion im deutschen SF-Fandom ist zunächst eher ungläubig, ehe die Fakten vorhandene Zweifel ausräumen: Die Archivfunde eines Rainer Eisfeld belegen alles genauestens. Und sie zeugen von der Akribie des Autors dieses Enthüllungsbuches. Alles nach der Devise: als Wissenschaftler (und zeitgeschichtlicher Forscher) stets der Wahrheit verpflichtet!

Dies zeigt sich auch anhand anderer Veröffentlichungen Eisfelds, in denen er auf die Verantwortung der Wissenschaft, insbesondere in seinem Fach der Politikwissenschaft, gegenüber der Gesellschaft (und damit auch im Sinne der Wahrheit) hinweist und gnadenlos mit manchen Kollegen abrechnet.

Bereits im Jahre 1991 hatte Eisfeld die Rolle der deutschen Politologen während des Dritten Reichs hinterfragt und sich nicht gescheut, in »Ausgebürgert und doch angebräunt« auf Sympathisanten und Unterstützer der Nationalsozialisten hinzuweisen. Dass ihm das von gewissen Seiten keinen Beifall eintrug – verständlich. Insbesondere da er in einer Aufsatzsammlung 2006 die Aufgabenstellung seines Faches verdeutlichte: »Streitbare Politikwissenschaft. Studien zu Demokratisierung, politischer Kultur und wissenschaftlicher Verantwortung«. Das war deutlich und zeugte davon, dass Eisfeld keineswegs geneigt war, Diskussionen oder gar Kontroversen zum Thema aus dem Weg zu gehen.

Den bisherigen Höhepunkt bei Eisfelds Beschäftigung mit dem brisanten Thema »Deutsche Politologie und Nationalsozialismus« bildeten seine Recherchen zu Theodor Eschenburgs Vergangenheit. Zahlreiche deutsche Politikwissenschaftler waren und sind Schüler dieses akademischen Lehrers (bzw. der von ihm ausgebildeten Professores), dessen Verhalten während der braunen Zeit bislang als untadelig galt. Bis Eisfeld in den »Vierteljahresheften für Zeitgeschichte« (2014) unter dem Titel »Theodor Eschenburg und der Raub jüdischer Vermögen 1938/39« offenbarte, dass dem nicht so war. Ein ausgesprochen brisantes Thema also, was sich anhand durchaus kontroverser Diskussionsbeiträge dazu leicht belegen lässt.

Die »Neue Osnabrücker Zeitung« würdigte diese Rechercheleistung des Politologen der einheimischen Universität nicht ohne Stolz auf die wissenschaftliche Bedeutung mit der Artikelüberschrift »Osnabrücker entlarvt Politikwissenschafts-Pionier als Nazi« und brachte es damit auf den Punkt. In einem Sammelband »Mitgemacht. Theodor Eschenburgs Beteiligung an ›Arisierungen‹ im Nationalsozialismus« (2016) stellte Eisfeld als Herausgeber den gesamten Themenkomplex in geballter Form der breiteren Öffentlichkeit vor.

Indes beschränkte sich Eisfeld Arbeit während der ganzen Jahre durchaus nicht auf politisch-soziologische Untersuchungen. Sein Verbundensein mit der Science-Fiction wie auch sein Interesse für abenteuerliche Unterhaltungsliteratur im Allgemeinen führte zu etwas lockerer gestalteten, sprich: flotter geschriebenen Monografien, die man einem deutschen Ordinarius nicht so unbedingt zugetraut hätte. Umso mehr sind sie hier ausdrücklich zu loben.

Kommen wir zunächst – unter Auslassung der Science-Fiction, zu einem Themengebiet, das in Zusammenhang mit Rainer Eisfelds Namen so manchen SF-Fan überraschen mag: der Western. Zunächst erschien 1994 »Wild Bill Hickok. Westernmythos und Wirklichkeit«. Die historische Gestalt des Revolverhelden und zeitweisen Gesetzeshüters James »Wild Bill Hickok« Butler (1837–1876) hat viele Autoren inspiriert; die Mythen rund um seine Person und seine Zeit sind Legion. In gewohnt sorgsamer, ja akribischer Weise hat Eisfeld das Thema abgeklopft und manche Fantasieblase der Westernschreiber zum Platzen gebracht.

Fast genau fünfundzwanzig Jahre später hat sich Eisfeld noch einmal des Themas angenommen, diesmal allerdings als Gesamtschau der schwerpunktmäßig von deutschen Autoren als angeblich »authentische Western« vorgelegten Romane und Romanzyklen. In »Hundert Jahre deutsche Westernmythen« (2019) sind von Armand über Karl May bis zu G. F. Unger so gut wie alle wesentlichen Namen des Genres im deutschsprachigen Raum vertreten. Eine überraschende Schau auf ein unerwartetes Interessengebiet des Professors Eisfeld.

Fünf Jahre nach seinem »Wild Bill Hickok« näherte sich der Autor der ihn seit frühester Jugend faszinierenden Science-Fiction auch publizistisch wieder näher an, wenn man will, auf Umwegen. Denn zunächst erschien ein Band, in dem Eisfeld seine Erinnerungen an die eigene Teenagerzeit mit dem ganzen Drumherum zu Papier brachte: »Als Teenager träumten. Die magischen 50er Jahre« (1999), durchaus eine Art zeitgeschichtlicher Memoiren und für heutige Zeitgenossen desselben Jahrgangs ein enormes Stück Nostalgie.

Eisfelds Leseerfahrung in der Science-Fiction und deren Vorläufer sowie seine Kenntnis der Entwicklung der Raumfahrttechnik, so gar nicht selbstverständlich für einen Geisteswissenschaftler, schon gar nicht für einen deutschen, erlaubten eine Zusammenarbeit mit Wolfgang Jeschke, dem verantwortlichen Herausgeber der SF-Programme im Münchener Wilhelm Heyne Verlag. Es entstand ein vorzügliches Gemeinschaftswerk: »Marsfieber. Aufbruch zum roten Planeten. Phantasie und Wirklichkeit« (2003). Gerade die Gegenüberstellung von Träumereien und Spekulationen zum Roten Planeten unseres Sonnensystems mit den inzwischen doch erstaunlichen Erkenntnissen über die Wirklichkeit auf diesem Himmelskörper, das Ganze mündend in eine zeitnah mögliche reale Erforschung des Mars geben diesem Buch eine Intensität, die zum wiederholten Lesen verführt. Und das ist, wenigstens was mich betrifft, nur äußerst selten der Fall. Ein rundum gelungenes Werk.

Spielte beim »Marsfieber« die Science-Fiction bereits eine wichtige Rolle, so ist sie das hauptsächliche Thema bei den in Folge erscheinenden Titeln des Autors. Gleich bei »Die Zukunft in der Tasche. Science-Fiction und SF-Fandom in der Bundesrepublik. Die Pionierjahre 1955–1960« (2007; durchgesehene Neuausgabe 2012) kann Eisfeld tief in die Kiste seiner eigenen Erinnerungen greifen. Da werden Sehnsüchte und Hoffnungen offenbart, Illusionen beschrieben und die Enttäuschung über Fehlschläge und Fehlverhalten vorgeführt. Das klingt nicht nur authentisch, es ist authentisch. Ein ehrliches Buch und eine teilweise sehr subjektive Darstellung, dem gewiss mancher widersprochen hätte, der in dieser Monografie genannt wird. Doch viele der Gründerväter der deutschen Science-Fiction nach 1945 wie auch so manche ihrer Anhänger und Schüler gibt es nicht mehr. Das ist schade, denn – egal, wie man zu manchen Anmerkungen steht – lesenswert, ja sogar wichtig ist das Buch in jedem Fall.

In den beiden Folgebänden »Abschied von Weltraumopern. Science Fiction als Zeitbild und Zeitkritik. Kommentare aus 25 Jahren« (2011) und »Zwischen Barsoom und Peenemünde. Von den eingebildeten ›Landschaften‹ des Mars bis zu den zerbröckelnden Mythen der V-2-Konstrukteure« (2014) bietet Eisfeld das breite Spektrum seiner Veröffentlichungen und enthebt den Interessenten der Aufgabe, in Magazinen, Zeitschriften und Sammelbänden sich die verschiedenen kürzeren Einzelarbeiten zusammensuchen zu müssen. Beide Bände haben die gewohnte Eisfeld-Qualität und dokumentieren ein für Science-Fiction wie Weltraumfahrt wichtiges Zeitfenster.

Eine Anmerkung sei dem Chronisten noch gestattet, ist es doch eine Ehre und Freude, einem so sauber und genau arbeitenden Menschen gelegentlich helfen zu können.

Die erste Erwähnung der unmenschlichen Zustände und die gnadenlose Ausbeutung der KZ-Häftlinge fand – zur Überraschung Eisfelds, der damit gewiss nicht gerechnet hatte – ausgerechnet in der bereits bei Erscheinen geächteten Kriegsserie »Der Landser« statt, verlegt von Erich Pabel in Rastatt. Im »Der Landser Großband« erschien als Nummer 2 im Jahre 1958 der Titel »Raketen über Peenemünde«; als Verfasser war ein Karl Hansen genannt. Unter diesem Autorennamen war auch ein »Utopia-Kleinband« erschienen, nämlich Band 142 »Das eisige Grauen« (1958). Einer Unachtsamkeit des Lektorats verdanken wir auch den Hinweis, dass sogar ein »Jim Parker«-Band, erschienen unter dem Verlagspseudonym »Alf Tjörnsen« vom gleichen Autor stammt.

Bei einem Treffen in der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar sprach mich Rainer Eisfeld auf das Thema an, hatte ich doch ein Pseudonym-Lexikon herausgebracht. Glücklicherweise konnte ich ihm helfen.

Einige Jahre zuvor hatte ich die Möglichkeit bekommen, im Archiv des Rastatter Erich Pabel Verlages zu recherchieren, und war dabei auch auf einen Pack Verträge gestoßen (der eigentlich da oben unterm Dach nichts zu suchen hatte). Darunter befand sich auch der Vertrag zu »Raketen über Peenemünde«. Hinter dem Pseudonym »Karl Hansen« verbarg sich der frühere Raketeningenieur Hans K. Kaiser (1911–1985), der nach 1945 nicht nur Sachbücher zur Raumfahrt veröffentlicht hatte, sondern auch SF-Jugendbücher (als »Thomas Hellberg«) und Heftromane, z. B. als »R. J. Richard(s)«. Kaiser hatte den »Landser«-Roman mit Fakten des eigenen Erlebens angereichert. Rätsel gelöst.

Wer nun freilich der Meinung ist, das hier Dargelegte sei eigentlich als Lebensleistung für einen einzelnen Menschen fast unglaubwürdig viel, der sei darauf hingewiesen, dass der rastlose Eisfeld sozusagen zwischendurch auch am »Heyne Science Fiction Magazin« sowie an den von Wolfgang Jeschke herausgegebenen Jahrbüchern mitgearbeitet hat: Nachrufe auf Chad Oliver, Wolf Detlef Rohr oder Carl Sagan, Beiträge wie »30 Jahre bemannter Raumflug« usw.

Und nicht zuletzt sei ausdrücklich hingewiesen auf die in der internationalen Sekundärarbeit über Science-Fiction geradezu einmalige Arbeit Eisfelds zu A. E. van Vogt. Als Student hatte er Leihbuchausgaben van Vogts übersetzt, nun wandte der Politikprofessor noch einmal dem Œuvre dieses international berühmten, wenn auch umstrittenen amerikanischen Autors zu. Als die Nummern 58, 73 und 83 edierte er innerhalb der »Bibliothek der Science Fiction-Literatur«, die zwischen 1981 und 1993 im Wilhelm Heyne Verlag herauskam, van Vogts »Null A«- und »Isher«-Zyklen sowie den Episodenroman »Die Expedition der Space Beagle«. Alle drei Bände mit erklärendem Vorwort und kommentierendem Nachwort versehen. So mancher SF-Roman eines anderen Autors hätte das wohl auch verdient, aber dazu müssten sich erst kompetente Herausgeber finden.

Fazit: Rainer Eisfeld ist das Paradebeispiel dafür, dass Hobby und Beruf – seien sie noch so unterschiedlich – durchaus unter einen Hut zu bringen sind. Zielstrebig und mutig war sein Vorgehen, der Erfolg lässt sich sehen.

Gratulation!


Rainer Eisfeld auf dem Oldiecon 2007 in Unterwössen.

Foto: Gustav R. Gaisbauer

€4,49