Loe raamatut: «Wo heute predigen?»

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Maria Elisabeth Aigner · Johann Pock

Hildegard Wustmans (Hg.)

Wo heute predigen?

Verkündigung an bekannten und ungewöhnlichen Orten

Maria Elisabeth Aigner · Johann Pock

Hildegard Wustmans (Hg.)

Wo heute predigen?

Verkündigung an bekannten und ungewöhnlichen Orten

echter

Für Alfred Wallner, zu seinem 80. Geburtstag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar,

1. Auflage 2018

© 2018 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Umschlag: Hain-Team (Foto: Shutterstock)

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

ISBN

978-3-429-04362-9

978-3-429-04921-8 (PDF)

978-3-429-06341-2 (ePub)

Inhalt

Vorwort

Bekannte Orte

Ewald Huscava

Die Firmpredigt im Zusammenspiel von Konstellation, Konfiguration und Transfiguration

Christof Buda

Die Predigt beim Gottesdienst in der Schule und ihre Bedeutung

Hans Hütter

„Missionspredigt“

Sepp Riedl

Predigt im Gefängnis

Exemplarische Predigtorte und ihre Herausforderungen

Frank Muchlinsky

Predigen auf der Straße. Eindrücke und Einsichten aus der Aktion „Mahl ganz anders“

Veit Neumann

Prekäre Kommunikation in der Zukunft. Das Gotteswort auf der Kanzel jenseits der Überhöhung

Johann Pock

Osterpredigt im Grünen. Die Osterspeisensegnung („Fleischweihe“) – ein zentraler Ort der Verkündigung für die Osterbotschaft

Ungewöhnlichere Situationen und Zugänge

Maria Elisabeth Aigner

„Gott springt wie der Räuber aus dem Versteck …!“

Predigtort: Katholisch-Theologische Fakultät

Hildegard Wustmans

Kreative Kontraste. Kirchenraum – Zuhörer_innen – Prediger_in

Hermann Glettler

Kunst und Predigt

Werner Otto

Der Gottesdienst ist die Predigt. Glaubensverkündigung in einer Jugendkirche

Georg Zluwa

Predigt mit Handpuppen

Franz Zessner

Wie verstehen wir, was in einer Predigt gesagt wird? Überlegungen am Beispiel der Seinsweise Demenz

Homiletische Lerneffekte

Christian Bauer

Predigt im Wagen des Äthiopiers? Homiletische ‚Andersorte‘ im lukanischen Doppelwerk

Thomas Hürten

Laientheolog_innenpredigt – Wann, warum, wo?

Wolfgang Beck

Das schnelle Urteil, oder: Homiletische Lerneffekte in modernen Medien

Liste der Autor_innen

Vorwort

Orte und Anlässe beeinflussen die Predigt. Es gibt unterschiedlichste Orte in- und außerhalb unserer Kirchen, an denen Wort-Verkündigung stattfindet. Das vorliegende Buch thematisiert sowohl Orte (wie das Gefängnis, die Jugendkirche oder die Straße, aber auch virtuelle Orte wie die Social Media) als auch Gelegenheiten für die Verkündigung (Osterspeisensegnung, Firmung, Begräbnis, Kirchenführung). Es stellen sich aber auch damit verbundene Fragen, wie z.B.: Wie sieht es mit der Predigt von Laientheolog_innen aus? Wie predigt man vor dementen Menschen? Und was haben Handpuppen mit der Predigt zu tun?

Das Konzept dieses Buches beruht auf Vorarbeiten Lehrender im Bereich der Predigt an Universitäten, in Diözesen und Ordensgemeinschaften in Österreich und steht in einer Reihe mit dem Band Predigtwerkstatt.1 Neben Homiletiker_innen aus Österreich und Deutschland kommen in diesem Buch aber auch Praktiker_innen zu Wort, die ihre Praxiserfahrungen und kreativen Modelle vorstellen.

Die Beiträge erscheinen äußerst bunt und sind von vielfältigen Verkündigungserfahrungen geprägt. In ihnen zeigt sich, dass zur Predigtpraxis nicht nur die Durchführung der Predigten selbst, sondern auch der Vorbereitungsprozess und die Reflexionsarbeit danach gehören. So geht es den Autor_innen dieses Buches auch weniger um theoretische Grundlagen als um die Weitergabe von Erfahrung und gewonnener Erkenntnis.

In einem ersten Teil werden häufige und übliche Predigtanlässe thematisiert: die Firmpredigt – durch einen, der selbst als Firmspender über viele Jahre Erfahrungen dazu sammeln konnte (Ewald Huscava); der Kontext Schulgottesdienst (Christof Buda) oder auch die – mittlerweile schon wieder fast in Vergessenheit geratene – Missionspredigt, thematisiert von einem Vertreter des Redemptoristenordens, der eine jahrhundertelange Tradition von Volksmissionen kennt (Hans Hütter).

Der zweite Teil widmet sich den spezifischen Herausforderungen unterschiedlicher, konkreter Predigtorte. Zunächst ist es die Kanzel, ein im katholischen Raum selten, im evangelischen hingegen häufig genutzter klassischer Predigtort (Veit Neumann). Auch das Gefängnis stellt als sehr spezifischer seelsorglicher Ort die Predigt vor spezielle Herausforderungen, wie es ein Gefängnisseelsorger ausgehend von seinen Erfahrungen beschreibt (Sepp Riedl). Ein anderes Verkündigungsprojekt versucht, das Zentrum christlicher Theologie und Liturgie, das eucharistische Mahl, auf der Straße darzustellen und damit den Binnenraum kirchlicher Verkündigung aufzubrechen (Frank Muchlinsky). Schließlich wird zu Ostern nicht nur in der Osternacht in der Pfarrkirche, sondern häufig auch schon am Karsamstag bei vielen kleinen Marterln, Kreuzen und Kapellen im Rahmen von Osterspeisensegnungen die Auferstehungsbotschaft verkündet – die Predigt verlässt auch hier den gewohnten Ort und rückt dem Alltagskontext der Menschen näher (Johann Pock).

In einem dritten Teil werden ungewöhnliche Situationen und Zugänge zur Predigt thematisiert. So ist seit etlichen Jahren die Predigtausbildung an der Universität Graz als „Werkstatt“ konzipiert, bei der die Studierenden im Rahmen der „Predigt am Donnerstag“ das Wort Gottes verkünden (Maria Elisabeth Aigner). Die Glaubensverkündigung in einer Jugendkirche analysiert Werner Otto; Hildegard Wustmans geht am Beispiel von „Vesperpredigten“ auf die kreativen Aspekte im Zusammenspiel von Kirchenraum – Zuhörer_innen – Prediger_in ein. Der „Künstlerpriester“ und neue Bischof der Diözese Innsbruck, Hermann Glettler, widmet sich dem Einfluss und den Möglichkeiten von (moderner) Kunst für das Predigtgeschehen.

Aber auch Hilfsmittel zum Predigen verändern das Geschehen und machen den üblichen Gottesdienstraum plötzlich zu einer „Bühne“, wenn die Predigt mit Hilfe von Handpuppen (nicht nur) für Kinder erfolgt (Georg Zluwa). Schließlich kommt noch ein Ort zur Sprache, der eher die Abwesenheit von vielen Worten verlangt – die Predigt im Rahmen von Gottesdiensten für demente Menschen bzw. die Frage, wie ein Verstehen dort möglich sein kann, wo die üblichen Kategorien von Erinnerung und Wiedererkennen nicht oder kaum mehr greifen (Franz Zessner).

In einem abschließenden vierten Teil werden homiletische Lerneffekte benannt und Andersorte thematisiert. Christian Bauer spürt im lukanischen Doppelwerk einem „homiletischen Andersort“ nach, wenn im Wagen des Äthiopiers Verkündigung erfolgt. Thomas Hürten geht angesichts des immer noch vorfindbaren Predigtverbotes für Laientheolog_innen in einer Eucharistiefeier der Frage nach, welche Möglichkeiten sich für die Verkündigung in Form einer Statio ergeben könnten. Verkündigung geschieht heute aber nicht nur „face to face“, sondern vermehrt über moderne Medien. Welche homiletischen Lerneffekte dabei zu entdecken sind, analysiert Wolfgang Beck, selbst einer der Sprecher des „Wortes zum Sonntag“ in Deutschland.

Die Beiträge des Buches werden von den Autor_innen selbst verantwortet. Sie sind in erster Linie vom jeweiligen homiletischen Konzept und Predigtverständnis der Verfasser_innen geprägt und spiegeln nicht primär die Meinung der Herausgeber_innen wider.

Das Buch ist dem langjährigen Lektor für Homiletik in Graz, Pfarrer Dr. Alfred Wallner, anlässlich seines 80. Geburtstages im Jahr 2017 gewidmet. Er hat mit seiner Homiletik eine ganze Generation an Verkündiger_innen in der Diözese Graz-Seckau und darüber hinaus geprägt.2

Bedanken möchten wir uns bei Monika Mannsbarth vom Institut für Praktische Theologie in Wien für die sorgfältige Lektoratsarbeit.

Ein besonderer Dank gilt schließlich dem Bischöflichen Fonds der Katholischen Privat-Universität Linz sowie der Forschungsförderung der Universität Graz für die finanzielle Unterstützung, die diese Publikation erst möglich gemacht hat.

Maria Elisabeth Aigner/ Johann Pock / Hildegard Wustmans

Graz / Wien / Linz, April 2018

1 Der erste Band erschien unter dem Titel: „Wie heute predigen. Einblicke in die Predigtwerkstatt“, Würzburg 2014.

2 Vgl. Alfred Wallner, Werkbuch Predigt: Im Dialog mit der Gemeinde, Graz 1989.

Bekannte Orte

Die Firmpredigt im Zusammenspiel von Konstellation, Konfiguration und Transfiguration

Ewald Huscava

In der Erzdiözese Wien werden pro Jahr über 8.000 Jugendliche von über 40 Firmspendern gefirmt. Wenn man für jeden Firmling 10 Begleitpersonen rechnet, kommt man auf mindestens 80.000 Personen aus unterschiedlichsten Milieus, welche am Fest der Firmung mit der Kirche in Kontakt kommen. Es lohnt sich daher, dieser Situation Aufmerksamkeit zu schenken. Ich selbst bin seit über 10 Jahren im Auftrag des Erzbischofs in meiner Funktion als Domprediger mit etwa 14 Firmungen jährlich tätig. Aus dieser Perspektive heraus werde ich dem Gesamtkomplex „Firmung“ und der darin eingebetteten Predigt umfassenderes Augenmerk schenken und meine Erfahrungen darlegen.

1. Konstellation Firmung

Sterne stehen in einer Konstellation zueinander, die von der menschlichen Seite aus nicht verändert werden kann. Dennoch gibt es durchaus langsame Veränderung am Sternenhimmel. Die Firmung findet in einer gesamtgesellschaftlichen Konstellation statt, die sich in den letzten Jahrzehnten in vielschichtiger Weise verändert hat.

Firmlinge erleben die gesellschaftlichen Konstellationen und ihre Beziehung zu Glauben und Kirche folgendermaßen:1

[…] Meine Hobbys sind Bergsteigen, Fußball, Landhockey, wandern, schwimmen und joggen. […] Ich mache viel Sport. Ich schlichte in der Schule oder wo anders Streit. Wenn sich zwei streiten, gehe ich dazwischen und frage, warum sie streiten. Mein Traumberuf ist Polizist. Ich mag anderen Menschen helfen und sie retten. Ich mag Gerechtigkeit nach Österreich bringen. Ich gehe zur Firmung, weil ich ein gläubiger Christ bin und an Gott glaube. Weiters hoffe ich, dass Gott an meiner Seite ist und immer auf mich aufpassen wird. Wenn ich in Nöten bin, hoffe ich, dass mich Gott mit seiner Kraft unterstützt. Ich halte 9 von 10 Geboten ein und ich ehre Gott. […] Ich bete zu Gott, dass jeder von meiner Familie und ich von Gott beschützt werden. [Marcel]

In diesem Blitzlicht meint man bereits in die künftige Lebensdynamik und Lebensbiographie von Marcel blicken zu können. Da ist einer, der beim Streit dazwischen geht, dem Gerechtigkeit ein großes Anliegen ist und der in sich eine Sendung spürt. Gott ist für ihn Garant eines geschützten Lebens. Welches Gebot von den zehn er auslässt, bleibt offen, wird aber ehrlicherweise angesprochen. Über die Motive, warum er sich engagiert und Polizist werden will, wird er sich hoffentlich noch klar werden. Was wird passieren, wenn sich Gott nicht als Garant des geschützten Lebens herausstellen wird?

[…] Mich zeichnet meine Ehrlichkeit, meine verrückte Art, mein ansteckendes Lachen und meine Hilfsbereitschaft aus. Ich gehe zur Firmung, weil ich es erst von Freunden gehört habe, dass sie gefirmt sind und ich mir dann gedacht habe: warum mich nicht auch firmen lassen? Dann habe ich die Taufe, die Erstkommunion, die Firmung und wenn ich erwachsen bin, dann die Hochzeit. Ich dachte mir, das ist doch eigentlich eine tolle Reihenfolge und deswegen lasse ich mich firmen.

Wie vorher gesagt: ich bin ehrlich also werde ich auch jetzt ehrlich sein. Ich werde natürlich römisch-katholisch bleiben, dennoch werde ich nicht sehr oft in die Kirche gehen, da ich kein Kirchenmensch bin. Ich werde schon vielleicht mal helfen, aber so richtig religiös bin ich nun auch nicht. [Selina]

Selina weiß um ihre persönlichen Qualitäten. Der Einstieg in die Firmvorbereitung erfolgte über Freunde. Es zeigt sich, dass es immer noch eine gesellschaftliche Stützung der Firmung gibt, die bei Selina aus dem Freundeskreis stammt. Ähnlich wie bei Sebastian (s.u.), bei dem es allerdings das familiäre Umfeld ist. Andere haben sich firmen lassen und vielleicht kann es auch für mich etwas Wertvolles sein. Bei Selina taucht die sakramentale Reihenfolge auf: Taufe, Erstkommunion, Firmung und Hochzeit. Das Thema „Hochzeit“ wird hauptsächlich von den weiblichen Firmlingen thematisiert. Was ihre kirchliche Nähe angeht, formuliert Selina ganz offen: Sie ist kein Kirchenmensch und thematisiert implizit, dass es über ihre eigene Haltung hinaus „religiösere“ Menschen gibt und sie selbst vermutlich zumindest eine kirchliche Sympathisantin bleiben wird.

[…] Die Motivation, mich firmen zu lassen, hat mehrere Gründe. Einerseits sind alle meine Verwandten, die älter sind als ich, bereits gefirmt und deswegen möchte ich das auch. Außerdem finde ich, dass die Firmung zum Leben eines Christen einfach dazugehört. Durch die Firmung hat man auch jemanden, […] mit dem man über Probleme reden kann. Einerseits Gott, andererseits den Firmpaten. [Sebastian]

Bei Sebastian taucht zweimal das „einerseits“ und „anderseits“ auf. Einerseits seine Verwandtschaft, anderseits das Bewusstsein, dass die Firmung „dazugehört“. Seine Problembewältigungsstrategien sind einerseits gottbezogen, andererseits patenbezogen. Mehr „Innenansicht“ von seinem Seelenleben oder von Erlebnisqualitäten bietet er nicht dar. Das erlebe ich bei den Briefen von Burschen als sehr typisch. Viel gesprächiger ist Viola und sie steht damit in der Linie der weiblichen Firmlinge, die von ihrem Erleben immer wieder Blitzlichter preisgeben und ein hohes Maß an Introspektionsfähigkeit verraten.

[… So] wurde Gott zu so einem wichtigen Bestandteil meines Lebens, der er heute ist, als meine Großmutter vor drei Jahren verstarb. Auch mit meiner Freundin erlitt ich zu der Zeit eine schwierige Phase. Die Kirche war der Ort, wo ich über alles nachdenken konnte, wo ich mich nicht verstellen musste. […] Vor allem beim Vaterunser, wo wir uns alle die Hände reichen, überkommt mich immer dieses wunderbare, wohlige Gefühl. Es ist, als würde ich alle meine Sorgen loslassen, als würde ich frei sein von all meinen Sünden. Wie aus einem Bilderbuch überkommt mich dann ein Lächeln, die ehrlichsten und freudigsten Lächeln meines ganzen Lebens. Manchmal fragt man uns, was der wichtigste Teil der Messe für uns ist; die meisten antworten die Heilige Kommunion, doch für mich ist es das Vaterunser, das gemeinsame Beten. Denn dort fühle ich mich, als würde ich mit Gott in Verbindung sein […]. [Viola]

Viola scheint in hohem Maße kirchlich eingebunden zu sein. Sie bringt religiöse Erfahrung zur Sprache und weiß gleichzeitig für sich, wo sich das „Einfallstor“ ihrer Glaubenserfahrung geöffnet hat. Der Vergleich vom „Bilderbuch“ in Verbindung mit dem Lächeln weist auf hohe sprachliche Kompetenz hin. Beim folgenden Brief von Fabian, der zur Gänze wiedergegeben wird, stellt sich wiederum männliches Normalmaß ein: kurz, ehrlich, unpoetisch …

[…] Mein Name ist [Fabian].

Meine Hobbys sind Jiu Jitsu, ein wenig Fußball, im Winter Eishockey und dann spiel ich noch Gitarre. Mit der Religion hab ich mich außer der Schule nicht so intensiv beschäftigt. Ich habe mich zur Firmung angemeldet, weil ich finde, dass es zu unserem Glauben dazu gehört. Ich würde in die Kirche, wenn ich was ändern könnte, würde ich mehr Schwung rein bringen. Was ich später arbeiten will, weiß ich noch nicht so genau.

Ich werde nach der Firmung wahrscheinlich nicht mehr so oft in die Kirche gehen, weil ich dann kein Ministrant mehr bin und ich ein wenig faul bin und nicht aufgefordert werde, in die Kirche zu gehen. Bei der Vorbereitung auf die Firmung hat mir besonders gut gefallen das Zusammensein, aber eigentlich hat mir alles sehr gut gefallen. Mit besten Grüßen, [Fabian].

Allein aus diesen Ausschnitten der Briefe öffnet sich ein Kosmos von unterschiedlichsten Lebenslagen von jungen Menschen, die sich gerade in der Lebensphase erster Grundentscheidungen befinden. Was werden sie nach Abschluss der Pflichtschule tun? Fabian ist sich da nicht so sicher. Und die Distanz zu regelmäßigem Gottesdienstbesuch ist programmiert, da offenbar keine weitere Stützung aus dem familiären Umfeld zu erwarten ist.

Manche werden dann die Frage stellen: Darf man dann überhaupt firmen? Es ist doch vorhersehbar, dass keine Integration in die Pfarrgemeinde erfolgen wird. Die Hoffnung, dass sich mit der Firmung Pfarrgemeindebezug einstellen wird, wird größtenteils enttäuscht. Der Firmling Stefan formuliert:

Nun will ich mich firmen lassen. Da ich an Gott glaube, glaube ich auch daran, nach der Firmung auf meinem Weg mit Gott bekräftigt zu werden. Deshalb lasse ich mich firmen.

In diesen drei Sätzen formuliert er (stellvertretend für viele Firmlinge) den Gottesbezug bzw. Christusbezug seiner Firmung, aber wenig dazugehörigen Kirchen(gemeinde)bezug, obwohl die Firmvorbereitung, die ja in den Pfarrgemeinden stattfindet, fast immer als positiv bis sehr positiv wahrgenommen wird.

Das ist eine Realität bzw. Konstellation, in der die Firmung gefeiert wird. Dennoch schreiben zwei weitere Firmlinge:

Ich werde nach der Firmung weiterhin die Kirche besuchen.

Nach der Firmung möchte ich persönlich weiter in die Kirche gehen, da ich dann ein Teil der Kirche bin.

2. Konfiguration und Transfiguration

An Konstellationen kann man zuerst einmal nichts ändern. Auch die Vorstellung, in einer (Moral)Predigt gegen sie aufzutreten, um es den Leuten einmal „hineinzusagen“, kann ad acta gelegt werden. Ich kann mich vor den Großglockner hinstellen und ihm befehlen: „Spring!“; er wird sich nicht bewegen. Ich kann allerdings den Moment des Firmgottesdienstes nützen, um großzügig auszusäen (vgl. Mk 4,1-9) und um in einer evangeliumsgemäßen Konfiguration des Gottesdienstes die Chance auf die Transfiguration zu erhöhen. Unter Konfiguration verstehe ich Vorgangsweisen und Interventionen eines Firmspenders, um das Ganze des Gottesdienstes zu einer figura, zu einem (atmenden) Gesamtgebilde zusammenzuführen, das man auch als einen „Großleib“2 bezeichnen kann. Den Begriff der Transfiguration entnehme ich der lateinischen Bibelübersetzung, in welcher die Verklärung des Herrn als transfiguratio bezeichnet wird. Aus Jesus, den viele seiner damaligen Begleiter_innen als besonderen Menschen kennen, bricht für eine begrenzte Zahl der Jünger Licht hervor (vgl. Mk 9,2-8). Eine himmlische Stimme erklärt ihn zum geliebten Sohn, auf den sie hören sollen.

In Anlehnung an dieses Gipfelereignis kann ein ähnliches Erleben seitens der Mitfeiernden stattfinden. Während man in der Konfiguration Vorgangsweisen benennen kann, die häufig erfolgversprechend sind, ist die Dimension der Transfiguration nicht einfachhin herstellbar bzw. auch nicht einsehbar (wer weiß schon, was zwischen Gott und dem Firmling geschieht?), aber dennoch manchmal im „Großleib“ spürbar. Theologisch kann dieser Erfahrungsraum als geisterfüllte Ergriffenheit bezeichnet werden, die man auch als Gnadenerfahrung qualifizieren kann.3 Die zusammengekommene Gemeinschaft wird transzendiert und weist auf eine größere figura hin, an der sie im Moment der Feier Teil hat. Erst daran kann Mystagogie ansetzen: Zuerst diese Form des „Lichts“, dann das deutende Wort. Anders gesagt: Ohne vorliegenden Erfahrungsraum keine „griffige“ Deutung. So muss man daher zuerst versuchen, durch Konfiguration der Transfiguration eine Chance zu geben. Deshalb werden nun einige Elemente skizziert, welche für die Konfiguration wichtig sind.

Das Rollenrepertoire des Firmspenders

Seitens des Firmspenders gibt es verschiedene Rollen, in denen er in Erscheinung tritt:

1) Er ist der Vertreter des Bischofs. Es ist nicht der Pfarrer, der firmt, sondern jemand, der von „Außen“ und von „Oben“ aus der kirchlichen Hierarchie kommt und dem dadurch ein besonderes Augenmerk geschenkt wird. Die sonntägliche Routine wird durchbrochen.

2) Der Firmspender ist Vorsteher der Feier. Ein bisher Unbekannter steht „vorne“, und das beinhaltet die Chance, einmal jemand anderen als Leiter der Liturgie zu erleben, was durchaus auch Unsicherheit bei den Ministrant_innen und anderen Rollenträger_innen auslösen kann, weil die eingespielten Routinen durchbrochen werden können. Als Vorsteher trägt man auch die Verantwortung für die „Atemzüge“ der Feier (s.u. „Zusammenspiel der Stimmungslagen“).

3) Immer wieder tritt man als Moderator in Erscheinung. In dieser Rolle gibt man kurze und (womöglich charmante) Handlungsanweisungen an die Teilnehmer_innen. „Ich bitte diejenigen, die die Fürbitten beten, hierher herauszukommen.“4 Das gibt vor allem den liturgisch nicht versierten Personen Sicherheit und sorgt für äußere und innere Ruhe. Der Vorsteher der Feier unterstützt den Fluss bzw. die „Atmung“ der Liturgie und gibt die Sicherheit, das Richtige zum richtigen Zeitpunkt zu tun. Diese „Spielregel“ wird vor Beginn der Firmung in einem kurzen Treffen mit den Betroffenen vereinbart.

4) Als Firmspender hat man auch die Rolle des Verkündigers inne. Man tritt als Repräsentant der Kirche und der mit ihr verbundenen christlichen Botschaft in Erscheinung. In diesem Fall gilt das Gesetz des guten Designs: form follows function. Der Sockel dessen, was man verkündet, ist wie man verkündet. Und dieses „Wie“ wird durch die Konfiguration grundgelegt. Nimmt der Verkündiger mit mir wirklich Kontakt auf? Habe ich mit meiner Lebensbiographie Platz in der Liturgie oder muss ich mich „verbiegen“? Blitzt meine Lebenssituation auf? In welcher Form appelliert er? Spricht er von oben herab oder werde ich als Kommunikationspartner auf gleicher Augenhöhe angesprochen? Diese Form von „Begleitmusik“ eröffnet den kerygmatischen Kommunikationsraum, in den das Was der Botschaft eingebettet wird.

5) Schließlich taucht die Rolle des Mystagogen auf. Der minimale Ansatzpunkt für Mystagogie ist das Berührtsein. So kann ich z.B. in der Predigt den Bogen spannen: „Die Firmung erfolgt in drei Schritten: Die Erneuerung des Taufversprechens, das Gebet um den Heiligen Geist und schließlich die Besiegelung durch die Salbung. Denken Sie, liebe Eltern, an den Tag der Taufe zurück, als Sie ihr Kind damals zur Kirche getragen haben. Jetzt ist es bereits auf dem Weg, erwachsen zu werden, und hat begonnen eigene Entscheidungen zu fällen. Und ihr, liebe Firmlinge, fällt nun, mit der Hilfe des Heiligen Geistes, eine der großen Lebensentscheidungen. Ihr sagt Ja zu dem Glauben, in den euch die Eltern hineingestellt haben.“ In dieser Sequenz werden einerseits die Eltern berührt, weil Erinnerungen an die Taufe des Kindes wachgerufen werden. Andererseits werden die Firmlinge mit ihrer Lebenssituation berührt, da sie tatsächlich bereits begonnen haben, Entscheidungen für ihr Leben zu fällen, z.B. welche Ausbildung sie weiter verfolgen werden oder wer ihre (exklusiven) Freunde und Freundinnen sind. Dieses Angebot von Deutung der berührten Situation kann noch einmal mit einer kurzen Bemerkung vor der Salbung zugespitzt werden: „Jetzt erfolgt eure Entscheidung. Euer Ja begegnet dem Ja Gottes. Seine Treue wird euch tragen.“ Diese Berührung kann dann tatsächlich im „Großleib“ der Feiergemeinde spürbar werden und transfigurativen Charakter annehmen. Ein Indikator dafür sind Momente der erfüllten Stille.

Die leere Stille wird als Unterbrechung oder Störung im Fluss der Liturgie wahrgenommen und produziert Irritation oder Langeweile. Erfüllte Stille hingegen durchspannt den ganzen Kommunikationsraum durch positiv gestimmte Betroffenheit und die Haltung des Gebets (wie immer das bei den einzelnen Teilnehmer_innen auch aussieht). Ein weiterer Indikator dafür ist: Bleibt dieser „Großleib“ über den Verlauf der Liturgie bestehen oder zerfällt er? Kurze mystagogische Angebote können den Verbleib im Gesamt der Feier stimulieren: „Legen Sie mit den Gaben, die zum Altar gebracht werden, Ihre Sorgen, Ihre Familie mit auf den Altar.“

Ein wesentlicher Aspekt der Konfiguration besteht darin, in der Rolle des Vorstehers für die „Atemzüge“ des Großleibs Verantwortung zu tragen. Eine flache Atmung weist auf Stress hin, heftiges Ein- und Ausatmen auf hohes Tempo. Stimmungen beeinflussen die Atmung. Der wichtigste Ansatzpunkt für die gelungene „Atmung“ oder die Gestimmtheit der Feiergemeinde besteht darin, Sicherheit zu geben. Die Angst, Fehler zu machen und vor anderen dann dumm da zu stehen, reduziert eine gelungene Teilnahme an der Feier. Deshalb ist die Begegnung mit den Firmlingen und Pat_innen kurz vor der Feier besonders wichtig. Sie dient der Kontaktaufnahme und dem Vermitteln der Devise des Tages: „Es wird alles gut gehen! Und wenn etwas passiert, dann lächeln wir und machen weiter. Keine Sorge! Ich sage immer wieder an (Rolle des Moderators), was geschehen wird. Wer von euch betet die Kyrierufe? Aha, ihr seid es! Ich rufe euch dann heraus. Lasst euch Zeit und betet sie wirklich.“ In der Kirche tut es den Angehörigen gut, ebenfalls die gute Nachricht zu hören, dass alles gut gehen wird und diese Feier keine Militärparade sein wird.

Das Zusammenspiel von drei Gestimmtheiten

Die vermittelte Sicherheit bietet den Sockel für drei Formen von Gestimmtheiten: Konzentration, Sammlung, Entspannung. Diese haben jeweils antagonistische Faktoren, von denen einige thematisiert werden:

1) Konzentration bedeutet Fokussierung, das Scharfstellen des Denkens auf Themen oder Personen. In diesem Fall ist die homiletische Kompetenz des Firmspenders gefragt. Wenn in der Predigt z.B. ein Ausschnitt aus einem der Briefe der Firmlinge vorgelesen wird (ohne Nennung des Namens), steigt die Aufmerksamkeit rapide an. Wenn die Predigt darauf Bezug nimmt, dass die Firmlinge häufig in der Lebensphase sind, in der die Eltern schwierig werden, ist zumindest ein Schmunzeln garantiert und das Thema Jugendliche/Eltern präsent gemacht. Der Antagonist der Konzentration ist z.B. der „Kirchenslang“, in dem unvermittelt von „Gnade“ gesprochen wird, ohne dass dabei ein Erfahrungsraum aufgetan wird. Kirchliche Worthülsen werden zumeist von den Mitfeiernden erwartet, steigern allerdings die Gefahr der geistigen Zerstreuung, die auch ihm Großleib spürbar wird. Der Hüstelfaktor steigt an.

2) Die Sammlung ist mit der Konzentration verwandt, aber nicht mit ihr gleichzusetzen. Wer sich sammelt, tritt mit sich selbst in Kontakt, sammelt sich „ein“ und wird gegenwärtig. Die Sammlung einzelner Personen unterstützt die Bildung des „Großleibs“. Musik, Gesang und eine sich ausbreitende freudige Stimmung sind wesentliche Faktoren des Sich-Einsammelns. Die Einladung zum Gebet: „Lasset uns beten“ und die darauf folgende erfüllte Stille ist ein Indikator dafür, dass kollektive Sammlung eingetreten ist. Es entstehen Phasen der Andacht, welche zur Erfahrung der Transfiguration hinführen. Ein antagonistischer Faktor ist z.B. das heruntergeleierte Gebet, das ohne Kontakt mit den Mitfeiernden dem lieben Gott aufgesagt wird. Hier ist der Vorsteher in der Pflicht, die Orationen wirklich zu beten und zwar als Zusammenfassung des Gebets der Versammelten.

3) Die Entspannung ist ein wesentlicher Faktor der gemeinsamen Atemzüge des Großleibs. Es ist unmöglich, über zwei Stunden konzentriert und gesammelt zu sein. Im Ablauf der Firmung gibt es zwei große Momente der Entspannung: Nach der Salbung wird den Neugefirmten ein Applaus gegeben, der zumeist sehr kräftig ausfällt. Sie haben es „geschafft“. Nach dem Hochgebet und dem Vaterunser hilft beim Friedensgruß „Gebt einander ein Zeichen dieses Friedens“ der Zusatz „Es darf nun auch gemurmelt werden“ wiederum dazu, eine kurze Phase der Entspannung einzuleiten, die eine gesammelte Atmosphäre bei der Kommunion unterstützt. Einer der antagonistischen Faktoren ist die durchgehende „Gewichtigkeit“ des gesamten Gottesdienstes, der zum berühmt-berüchtigten liturgischen „Strudelteig“ wird, der die Stimmung von Mühsamkeit und Ermattung verbreitet. Das heimliche Stöhnen von „hoffentlich ist es bald aus“ durchzieht den Großleib. Kleine humorvolle Bemerkungen zwischendurch bringen Funken der Leichtigkeit in die Feier.

Das Zusammenspiel aller drei Faktoren ermöglicht, dass form follows function erlebt wird. Das Evangelium, das sich in den Atemzügen der liturgischen Feier inkarniert (function), kennt Lachen aber auch den heiligen Ernst. In seiner Gewichtigkeit bietet es aber auch gewisse Leichtigkeit (form). Aber alles hat seine Zeit, denn nicht alles ist gleichzeitig möglich.

3. Zur Predigt in der Firmung

Die Personen, die zur Firmung zusammenkommen, entstammen den unterschiedlichen Milieus der gegenwärtigen Gesellschaft. Von den traditionell geprägten (Ordnung und Pflichterfüllung), über die modernen (Selbstverwirklichung und Individualisierung), schließlich zu denen, die der Multi-Optionalität, Experimentierfreude und dem Selbstmanagement zuneigen. Das „postmodernste“ Milieu sind z.B. die Digitalen Individualisten. Sie „definieren das eigene Leben als individuelle Erfahrungs-, Erkenntnis- und Sinnschöpfungsreise. Spontaneität und Lust auf Selbsterfahrung münden in ein Lebensgefühl, das nicht auf Konventionen baut und ohne anerkannte Statussymbole auskommt […]. Vor allem junge Menschen gehören diesem Milieu an“ .5 Das bedeutet nicht, dass alle Firmlinge diesem Milieu angehören, aber es zeigt den Zug der Zeit an. Ich will/muss selbst „meine“ Welt zusammenhalten und konzipieren und lasse das „man macht“ hinter mir. Die Milieu-Gemengelage eines Firmgottesdienstes ist damit auch eine missionarische Situation, in der die Mission Christi, die man im Begriff des Evangeliums zusammenfassen kann, im Modus des form follows function womöglich erlebbar gemacht wird. Das, was gesagt wird, tritt in wesenhafte Interaktion mit dem Wie des Laufs des Gottesdienstes und des Umgangs mit den Teilnehmer_innen. Darin inkarniert sich subkutan das Wie des Umgangs Gottes mit den Menschen. Diese Was/Wie-Relation bestimmt den Zeugnischarakter für das Evangelium. Mehr als dieses Zeugnis ist auf menschlicher Seite nun mal nicht „drin“, und die Wirkungen dieses Aussäens des Evangeliums bleiben angesichts der heterogenen Versammlung unbestimmt. Aber zumindest für den Moment der Feier lassen sich bei transfigurativen Augenblicken Samenkörner erahnen. Den Rest muss man der hintergründigen Gegenwart Gottes übergeben, welche den Samen zum Wachsen bringt.6

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