Grundkurs Familienrecht für die Soziale Arbeit

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Grundkurs Familienrecht für die Soziale Arbeit
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vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich

Reinhard Joachim Wabnitz

Grundkurs Familienrecht für die Soziale Arbeit

Mit 7 Tabellen, 67 Übersichten, 14 Fallbeispielen und ­Musterlösungen

4., überarbeitete Auflage

Ernst Reinhardt Verlag München Basel

Prof. Dr. jur. Dr. phil. Reinhard Joachim Wabnitz, Magister rer. publ., Ministerial­direktor a. D., Professor für Rechtswissenschaft, insbesondere Familien- und Kinder- und Jugendhilferecht am Fachbereich Sozialwesen, Hochschule RheinMain, Wiesbaden

Außerdem von R. J. Wabnitz im Ernst Reinhardt Verlag erschienen:

Grundkurs Recht für die Soziale Arbeit (2., überarb. Auflage 2014, ISBN 978-3-8252-4143-8

Grundkurs Kinder- und Jugendhilferecht für die Soziale Arbeit (3., überarb. Aufl. 2012, ISBN 978-3-8252-3841-4)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 2754

ISBN: 978-3-8252-4264-0

© 2014 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Satz: Da-TeX Gerd Blumenstein, Leipzig

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Abkürzungsverzeichnis


a. a. O. am angegebenen Ort
AdVermiG Adoptionsvermittlungsgesetz
AG Amtsgericht
BAföG Bundesausbildungsförderungsgesetz
BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BEEG Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz
BErzGG Bundeserziehungsgeldgesetz
BKGG Bundeskindergeldgesetz
BtBG Betreuungsbehördengesetz
BVerfG Bundesverfassungsgericht
BVerfGE Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BKGG Bundeskindergeldgesetz
BGH Bundesgerichtshof
BGHZ Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs
EGBGB Einführungsgesetz zum BGB
EGZPO Einführungsgesetz zur ZPO
EStG Einkommensteuergesetz
FamFG Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
FGG Gesetz über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit
FPR Familie, Partnerschaft und Recht
FuR Familie und Recht
GVG Gerichtsverfassungsgesetz
Haager MSA Haager Minderjährigenschutzabkommen
i. V. m. in Verbindung mit
JAmt Das Jugendamt (früher: Der Amtsvormund)
JGG Jugendgerichtsgesetz
JZ Juristenzeitung
KindPrax Kindschaftsrechtliche Praxis
KJB Kinder- und Jugendbericht
LG Landgericht
LPartG Lebenspartnerschaftsgesetz
NJW Neue juristische Wochenschrift
NZFam Neue Zeitschrift für Familienrecht
OLG Oberlandesgericht
PStG Personenstandsgesetz
RBerG Rechtsberatungsgesetz
RdJB Recht der Jugend und des Bildungswesens
RDG Rechtsdienstleistungsgesetz
RKEG Gesetz über die religiöse Kindererziehung
SGB Sozialgesetzbuch
SGB I Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Allg. Teil)
SGB VIII Achtes Buch SGB (Kinder- und Jugendhilfe)
SGB X Zehntes Buch SGB (Verwaltungsverfahren)
SGG Sozialgerichtsgesetz
StGB Strafgesetzbuch
StPO Strafprozessordnung
UVG Unterhaltsvorschussgesetz
UN Vereinte Nationen
UN-KRK UN-Kinderrechtskonvention
vgl. vergleiche
VwGO Verwaltungsgerichtsordnung
ZfJ Zentralblatt für Jugendrecht (bis 2005)
ZKJ Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe
ZPO Zivilprozessordnung

Vorwort

Familienrecht gehört zu den Kernfächern der Ausbildung von Studierenden an den Fachbereichen für Soziale Arbeit, Sozialpädagogik bzw. Sozialwesen an Hochschulen und mitunter auch an Universitäten in Deutschland. Zumeist ist dort bereits im Grundstudium eine entsprechende Lehrveranstaltung zu besuchen und mit einer Klausur abzuschließen. Dies stellt eine besondere Herausforderung für Studierende wie für Lehrende dar, zumal die gängigen Lehrbücher dafür überwiegend als zu umfangreich und komplex erscheinen.

 

Diese Lücke will der vorliegende »Grundkurs Familienrecht für die Soziale Arbeit« schließen, der aus Lehrveranstaltungen an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden hervorgegangen ist. Das Buch vermittelt in 14 Kapiteln das für die Soziale Arbeit relevante Basiswissen des Familienrechts in einer systematischen und deshalb einprägsamen und zugleich auf die Zielgruppe zugeschnittenen, verständlich formulierten Art und Weise. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen Übersichten und Tabellen über das »Wichtigste« für die Klausur, ergänzt um Erläuterungen und Fallbeispiele. Für diejenigen Studierenden, die darüber hinaus »weiterarbeiten« wollen, sei auf die Vertiefungen in einzelnen Kapiteln sowie auf die Literatur- und Rechtsprechungsangaben verwiesen.

Erfreulicherweise sind seit der 1. Auflage dieses Grundkurses im Jahre 2006 bereits drei weitere Neuauflagen erforderlich geworden. In dieser 4. Auflage ist das Werk wiederum auf den aktuellen Stand von Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung gebracht worden. Insbesondere die Gesetze zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern sowie zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters sowie das Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes sind dabei berücksichtigt worden.

Hingewiesen wird zudem auf die »Parallelwerke« des Autors: »Grundkurs Kinder- und Jugendhilferecht für die Soziale Arbeit« (3. Aufl. 2012) sowie »Grundkurs Einführung in das Recht für die Soziale Arbeit« (2. Aufl. 2014), die ebenfalls im Ernst Reinhardt Verlag erschienen sind.

Viel Erfolg und Spaß beim Einstieg in eine für die Soziale Arbeit außerordentlich wichtige und spannende, weil lebens- und praxisnahe Rechtsmaterie!

Wiesbaden, Sommer 2014

Reinhard Joachim Wabnitz

1 Familien und Familienrecht
1.1 Ehe und Familie in Deutschland

Ehe und Familie stellen außerordentlich bedeutende kulturelle und sozialpolitische Themen dar und sind der zentrale und originäre Lebensbereich der meisten Menschen in Deutschland. Ehe und Familie sind auch wesentlicher Gegenstand zahlreicher Wissenschaften: der Sozialarbeitswissenschaft, der Soziologie, der Psychologie, der Bevölkerungswissenschaft, der Statistik, aber auch der Ökonomie, der Philosophie, der Theologie – und nicht zuletzt der Rechtswissenschaft.

Was ist deshalb »Familie«? Manche sagen: »Familie ist dort, wo Kinder sind.« Dies ist im Wesentlichen zutreffend, wenn dabei auch ausgeblendet wird, dass auch sehr alte Menschen mit ihren längst erwachsenen »Kindern«, die jedoch keine Kinder im Rechtssinne mehr sind, weiterhin eine Familie darstellen. Familie im soziologischen Sinne ist deshalb definiert als eine Gruppe von Menschen, bei der im Verhältnis zueinander die einen von den anderen abstammen. Die Rechtswissenschaft folgt diesem soziologischen Grundverständnis. Sowohl für die Soziologie als auch für die Rechtswissenschaft ist es also unerheblich, ob die Eltern miteinander verheiratet sind oder nicht, ob beide Eltern mit dem Kind zusammenleben oder »nur« ein Elternteil, ob es sich um ein Kind, um zwei, drei oder mehr Kinder handelt und ob nur ein Elternteil oder beide Eltern das Sorgerecht haben.

Was ist »Ehe«? Ehe im Rechtssinne wird definiert als »exklusive«, auf Dauer angelegte und aufgrund von staatlichen Regelungen begründete, geschützte und privilegierte Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau. Als soziale Institution war die Ehe jedoch immer wieder erheblichen Wandlungen unterworfen. In römischen Zeiten hatten gut situierte Männer oft eine zweite Frau, und auch in Deutschland war dies bis ins Mittelalter häufig der Fall. Erst später wurde das Konkubinat abgeschafft. Im Gegensatz dazu bestanden über Jahrhunderte hinweg Eheverbote für Männer, die ökonomisch nicht dazu in der Lage waren, eine Familie zu unterhalten.

Dementsprechend gab es in früheren Zeiten weit mehr nichteheliche Kinder und Stiefelternteile als heute. Die 1950er und 1960er Jahre, die als die »Blütezeit der Familie« gelten, waren mithin eher ein historischer Ausnahmefall als die historische Regel, weil das Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit sowie nach einem geregelten Leben in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg – und insbesondere in Deutschland – besonders groß gewesen ist.

Im Grundgesetz von 1949 wurden »Ehe und Familie« noch gleichsam in »einem Atemzug« genannt (vgl. Art 6 Abs. 1 GG) und auch in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit im Regelfall als Einheit verstanden: Wer heiratete, wünschte sich fast immer Kinder – oder man heiratete, um sie nicht unehelich auf die Welt kommen zu lassen. Kinderlosigkeit oder Nichtehelichkeit von Kindern wurden als Defizit oder gar als Makel empfunden. Von alledem kann heute jedenfalls generell nicht mehr die Rede sein.

Auch das Verhältnis zwischen Mann und Frau einerseits und zwischen Eltern und Kindern andererseits hat sich im Lauf der Jahrhunderte immer wieder, ganz besonders jedoch in den letzten drei Jahrzehnten, grundlegend geändert. Zur Zeit des Inkrafttretens des BGB im Jahre 1900, im wilhelminischen Kaiserreich, war der Mann und Vater eine fast uneingeschränkte Herrscherfigur in Ehe und Familie, während die Frau wenig und die Kinder fast überhaupt nicht »mit zu reden« und mit zu entscheiden hatten. Der Mann konnte der Frau die Berufstätigkeit untersagen und hatte die »elterliche Gewalt«, wie dies damals lautete, über die Kinder.

Erst seit den 1950er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann der deutsche Gesetzgeber, die Rechte von Mann und Frau – und übrigens auch von nichtehelichen und ehelichen Kindern – schrittweise anzugleichen. Deren volle rechtliche Gleichstellung wurde jedoch erst in den 1990er Jahren verwirklicht.

Die derzeit zumeist diskutierten Entwicklungen und Probleme im Zusammenhang mit Ehe und Familie sind u. a. folgende:

• grundlegende Veränderungen im Partnerschaftsverhältnis vor dem Hintergrund der Forderung nach einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf,

• die Auflösung traditioneller Haushaltsformen,

• die Zunahme von Ehescheidungen,

• die steigende Zahl von Alleinerziehenden,

• der Rückgang der Heiratsneigung,

• der Anstieg der nichtehelichen Lebensgemeinschaften und

• ein starkes Absinken der Geburtenraten seit mehr als einer Generation.

Die Zahl der Ehescheidungen ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Zurzeit wird in Deutschland mehr als jede dritte Ehe geschieden. Dies hat nicht nur mit einer besseren wirtschaftlichen und rechtlichen Absicherung von Frauen und einem Nachlassen der Geltungskraft sozialer und religiöser Normen zu tun, sondern auch mit der Entwicklung der Ehedauer. Vor 100 Jahren war noch jede dritte der im üblichen Alter geschlossenen Ehen schon nach etwa 20 Jahren durch Tod eines Ehegatten beendet. Heute dauert eine Ehe, die im Alter von etwa 30 Jahren geschlossen und nicht geschieden wird, in den europäischen Ländern je nach den Sterbeverhältnissen 40 Jahre oder länger.

Grundlegend verändert hat sich in den Industriestaaten auch die Größe von Familien. Heute dominiert die Ein- und Zweikinderfamilie, die Drei- und Vierkinderfamilien sind sehr selten geworden.

Dies alles hat auch zu einem drastischen Geburtenrückgang in Deutschland, aber auch in anderen Ländern geführt. Seit über 40 Jahren werden in Deutschland ca. ein Drittel zu wenig Kinder geboren, als rein rechnerisch erforderlich wären, um einen gleichmäßigen Bevölkerungsaufbau zu gewährleisten. Statt der »notwendigen« 2,1 Kinder pro erwachsenes Paar bzw. pro Frau sind es relativ konstant in Deutschland nur noch 1,3 bis 1,4 Kinder pro Frau, die rein statistisch gesehen das Licht der Welt erblicken.

Die Ehe als Lebensform wird allerdings nach wie vor hoch bewertet: Die große Mehrheit der Frauen und Männer in West- und Ostdeutschland (mit geringfügigen Unterschieden) halten die Ehe nach wie vor für sinnvoll und erstrebenswert. Kinder werden dabei – nachdem sie nicht mehr für die soziale Absicherung ihrer Eltern aufkommen müssen – als Möglichkeit der Lebenserfüllung der Eltern gesehen, als Quelle der Freude und als persönliche Bereicherung. Die Wertschätzung von Ehe und Familie ist in der Bevölkerung also nach wie vor fest verankert.

Generell lässt sich feststellen, dass eine Gesellschaft ohne Kinder eine Gesellschaft ohne Zukunft ist. Auch könnten Staat und Gesellschaft die von Familien erbrachten Leistungen weder bezahlen noch organisieren, geschweige denn Humanität, Liebe, Geborgenheit und solidarisches Mit- und Füreinander in ähnlicher Weise gewährleisten.

Familie ist einerseits der »privateste Raum« der meisten Menschen, in den sich der Staat grundsätzlich nicht einmischen sollte. Familie ist andererseits aber auch keine reine »Privatsache«, sondern das Fundament von Staat und Gesellschaft, das Familienpolitik und Familienrecht stützen, fördern und stabilisieren sollen. Schließlich ist Familie aber leider auch ein Bereich, in dem tausendfach Elend, Vernachlässigung und Gewalt vorkommen, so dass den jeweils »schwächeren« Familienmitgliedern geholfen werden muss. Für all dies braucht es nicht zuletzt rechtliche Regelungen – insbesondere im Familienrecht.

1.2 Familienrecht und Grundgesetz

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, die ranghöchste innerstaatliche Rechtsquelle, enthält im Wesentlichen fünf zentrale Verfassungsbestimmungen, die für Ehe und Familie wichtig sind und die in der Übersicht 1 aufgeführt sind.

Übersicht 1

Familienrecht und Grundgesetz (GG)

1. Art. 6 Abs. 1 Ehe und Familie

– besonderer Schutz der staatlichen Ordnung

2. Art. 3 Abs. 2 Satz 1

– Gleichberechtigung von Mann und Frau

3. Art. 6 Abs. 2 Pflege und Erziehung der Kinder

– als Recht und Pflicht der Eltern (Satz 1)

über die die staatliche Gemeinschaft wacht, so genanntes »Staatliches Wächteramt« (Satz 2)

4. Art. 6 Abs. 4 Mutterschutz

– Anspruch auf Schutz/Fürsorge

5. Art. 6 Abs. 5 Kinder

– Gleichberechtigung von nichtehelichen und ehelichen Kindern

Von besonderer Bedeutung für das Familienrecht sind primär Art. 6 Abs. 1 und 2 GG.