Zweifel an der Kultur

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Zweifel an der Kultur
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Zweifel an der Kultur
Essayistische Notizen

Reinhard Matern

AutorenVerlag Matern

Worte Kultur sind gesellschaftlich nahezu beliebig geworden. Auch in den Kulturwissenschaften fehlt es an sprachlicher Sorgfalt. Dem ‚linguistic turn‘ in der Philosophie wird ein ‚cultural turn‘ entgegengesetzt, vielleicht um die Relevanz von Sprache für ein Verstehen auszuhebeln. In den essayistischen, oftmals pointierten Notizen, geht Matern der Frage nach, was als Kultur galt und gilt, und er gelangt zu dem kritischen Résumé, dass letztlich Projektion als zentrale Kulturtechnik fungiert.

In den historischen Erörterungen von Worten ‚Kultur‘ wird darauf verzichtet, die Worte theoretisch zu interpretieren, weil dies der kontextualen Verwendung nicht entspricht. Deutlich wird vielmehr, dass die Verwendungen politisch motiviert waren, bis in die Gegenwart hinein politisch motiviert sind. Eine Kulturwissenschaft lässt sich auf diesem Verhalten nicht aufzubauen, aber eine Kritik.

Die Notizen sind 2012 / 2013 entstanden. Die meisten Texte wurden vorab auf dem lokalen Duisburger Blog ‚xtranews.de‘ publiziert. Neu hinzugekommen sind vor allem Erörterungen, in denen die politische Verwendung stärker ins Zentrum rückt. Die ursprüngliche Form der einfachen Reihung ist für das eBook beibehalten worden, jedoch sind einige Eingriffe in die spontan entstandenen Texte vorgenommen worden.

1. Auflage 2013, Version 1.2

Copyright © 2013 AutorenVerlag Matern

Cover-Foto: tululli, „Dante“, CC-Lizenz (BY 2.0)

http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de

aus der kostenlosen Bilddatenbank www.piqs.de

Cover-Design und eSatz: Joshua

Schriften: www.linuxlibertine.org,

www.softmaker.de (Cover)

ISBN 978-3-929899-08-5 (ePub)

ISBN 978-3-929899-09-2 (Kindle)

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie uns auf unserer Website, oder bei Facebook

01 Der Award

Es gibt derzeit kaum einen Schriftzug, der so flexibel einsetzbar ist, wie ‚Kultur‘. Die Verwendung erreicht ein babylonisches Niveau, bleibt aber auf Menschen und ihre Errungenschaften bezogen, auf Individuen und auf Gemeinschaften unterschiedlicher Größe wie Städte oder Nationen.

Der zentrale Kontrast besteht zu ‚Natur‘, ein Gegensatz, der allerdings nicht eindeutig ist, wie es häufig in der Umgangssprache vorkommt. Eine Natur, die nicht von Menschen in irgendeiner Weise geformt wurde, ist kaum noch auszumachen. Entfällt eine Nutzung, z.B. eine landwirtschaftliche wie auf Eis- oder in Sandwüsten, erreicht doch die Verseuchung von Wasser, Luft und Erde alle Striche und Winkel des Planeten. Alternativ lässt sich ‚Kulturlandschaft‘ anführen, auch wenn eine Verwendung im Hinblick auf Umweltkatastrophen schwerfallen kann, die von Menschen verursacht wurden.

Gewöhnlich wird Kultur als etwas Positives interpretiert. Sie schafft die Möglichkeit, sich mit den Taten und Ergebnissen zu identifizieren, auch um einer Fremd- und Selbstachtung willen. Alaskas ölverseuchte Strände, von Plastikmüll überzogene Inseln wie die im Great Pacific Garbage Patch, oder emissionsbedingte Einflüsse auf das Klima sind hervorragende Beispiele für die Auswirkungen menschlicher Innovation. Man wird kaum umhin kommen, die katastrophalen Ereignisse und Resultate mit gebührender Achtung als menschliche Errungenschaften einzubeziehen, um ein relativ umfassendes und klares Bild zu erhalten.

Einfache Differenzierungen zwischen Kultur und Natur sind nicht sehr häufig anzutreffen. Kultur und Zivilisation fallen dabei in eins. Zusätzlich wird gerne Wirtschaft von Kultur abgegrenzt, nicht umfassend, weil auch Kultur wirtschaftliche Interessen entfalten kann und einige Firmen eine Unternehmenskultur in Anspruch nehmen. Bezieht man auch noch Technik und Wissenschaft ein, außerdem, um der beruflichen Dominanz in den Unterscheidungen etwas entgegenzuhalten, Alltagskultur, wird es allmählich unüberschaubar. Technische Produktionsmittel, Anwendungen und Produkte, die über Handwerkliches hinausgehen, auch kreativwirtschaftliche Aktivitäten und die Verwertung wissenschaftlicher Ergebnisse, sind in der Wirtschaft als auch in der Kultur auffindbar. Und die Alltagskultur ist zu einem Auffangbecken von wirtschaftlich ausgerichteten Dienstleistungen und Produkten aller Bereiche geworden, die kaum noch etwas aussparen, bis hin zum Personal Branding der Kunst, sich selber zu modellieren, die von einigen Marketingagenturen angeboten und vermittelt wird.

Angesichts der fortgeschrittenen Relevanz von Wirtschaft und Technik in der Kultur, auch der Verwertung wissenschaftlicher Resultate, kann es erstaunen, dass weiterhin an einer Unterscheidung von Natur und Kultur festgehalten wird, einer Differenzierung, die das gesellschaftlich zugängliche Wissen außer Acht lässt und einen sonderbar egozentrischen Blick verrät. Die Menschheit, ihre Werke und das erlangte Selbstwertgefühl der Natur entbunden zu haben, ist wohl das Eigentümlichste in der Menschheitsgeschichte, das konzeptionell erschaffen wurde. Ginge die Welt an den menschlichen Segnungen in unserer Zeit zugrunde, könnte man sich fragen, ob mit dem Personal Branding nicht das geschichtliche Telos, der Höhepunkt und esoterische Sinn der Menschheit erreicht wäre, so dass man zum erfolgreichen Untergang noch einen Award bereithalten dürfe!

02 Ein Blick zurück

Die umgangssprachliche Unterscheidung in Kultur und Natur gehört zu den äußerst seltenen Fällen, in denen sachlich mehr als einige Beliebig- bzw. Zufälligkeiten zum Ausdruck kommen. Diese Differenzierung, die Menschen und ihre Werke einer Natur gegenüberstellt, lässt sich sprachlich bis in das Altertum, sachlich bis in die sogenannte Neolithische Revolution und die Sesshaftwerdung der Menschen zurückverfolgen.

Üblich ist, sich historisch auf die lateinische Sprache zu beziehen, auf eine buchstäblich aufzeigbare Herkunft des Begriffs Kultur. Ein solches Vorgehen ist durchaus berechtigt, gewinnt aber erst durch die Einbeziehung weiterer Sprachen eine Relevanz, die über den Schriftzug hinausweist. Ich werde das Altgriechische hinzunehmen, zumal es einen interessanten Kontrast bietet und den Blick von den Buchstaben zu lösen hilft.

Bevor jedoch auf die sprachliche Herkunft des Begriffs Kultur eingegangen werden kann, ist eine grundsätzlich Frage zu erörtern: Gibt es den Begriff Kultur überhaupt? Reicht die bloße Buchstabenfolge, reicht der Schriftzug Kultur aus, um von dem Wort, dem Begriff sprechen zu können

Berücksichtigt man das babylonischen Niveau, auf dem unzählige Bedeutungen und Bezüge möglich geworden sind, wird die Frage auch praktisch wichtig. Handelt es sich um ein Wort, ein Begriff mit zahllosen Bedeutungen und Bezügen, oder um unterschiedliche, wenn auch gleichlautende Worte?

Würde man sich für ein Wort, einen Begriff Kultur entscheiden, beständen Worte zentral aus Buchstaben, den grafischen Gebilden, bzw. aus Lauten. Der vielseitigen Verwendung nach wären Bedeutungen und Bezüge fast egal, solange sie irgendwas mit den Menschen und ihren Machenschaften zu tun haben. Ich möchte nicht ausschließen, dass sich das gesellschaftliche Sprachverhalten u.a. in dieser Weise erläutern lasst, dennoch schlage ich vor, einen alternativen Weg zu beschreiten. Nicht die Buchstaben bzw. Laute, sondern die Bedeutungen und Bezüge rücke ich in das Zentrum der Betrachtung. Auf diese Weise können gleichlautende aber unterscheidbare Worte aufgefunden werden, Worte Kultur, die sich auf die menschliche Zivilisation beziehen, speziell auf eine von Menschen verursachte Umweltkatastrophe und ihre Folgen, oder auf Künste, je nach dem Zusammenhang, in dem sie genutzt werden. Schwierig wird eine Kommunikation, wenn die Zusammenhänge oder Kontexte kaum deutlich werden, wenn die Artikulation in einem Brei von Kultur erstickt.

II

Im Lateinischen lassen sich Substantive cultura und cultus finden (Georges). Gesprochen wird von der Kultur des Ackers, des Bodens, der Weiden. Der Bezug richtet sich auf den Anbau und die Bearbeitung, je nach Zusammenhang auch auf die konkreten landwirtschaftlichen Verfahren. Deutlich tritt über die Bezüge die menschliche Gestaltung hervor, jedoch überwiegend in einem speziellen Zusammenhang oder Kontext.

Bemerkenswert ist, dass sich Worte cultura und cultus nicht nur auf landwirtschaftliche Tätigkeiten, sondern auch auf religiöse beziehen, so auf die Huldigung oder Verehrung eines Gottes (divinus cultus), ebenso auf die jeweiligen Vorgehensweisen, die Riten. Landwirtschaft und Gottesdienst korrespondieren der Überlieferung nach auf eine sonderbare Art und Weise.

Bei Cicero ist zum ersten Mal von einer Übertragung auf den menschlichen Geist die Rede (Tusculanae disputationes), mit Bezug auf die Pflege und Ausbildung geistiger Fähigkeiten. Geht man nicht von einem Schriftzug Kultur, sondern von Worten aus, dann ist zwar eine assoziative Verknüpfung zu erkennen, jedoch eine, die nicht zu einer Übertragung, sondern zu weiteren Worten Kultur führt. Und damit ist der Entstehungsprozess noch nicht abgeschlossen: Cicero und spätere Autoren lassen auch die Körperpflege, „das Schmücken und Putzen“ (Georges), ein kulturelles Ereignis sein.

Begreift man die Bemühungen Ciceros und die der späteren Autoren als erzieherische bzw. pädagogische, dann lassen sich bereits für die spätrepublikanische Zeit, in der Cicero lebte und wirkte, drei zentrale gesellschaftliche Themenbereiche der bürgerlichen Kultur Roms anführen: Landwirtschaft, Gottesdienst, Erziehung! Diese werden auch das lateinische Mittelalter prägen. Bevor aber der jüngeren geschichtlichen Entwicklung zu folgen ist, gibt es noch etwas im Altertum zu entdecken.

 

Zu cultura und cultus werden mit colo Verbvarianten ausgewiesen, die außer den vergleichbaren Bedeutungen und Bezügen wie bewirtschaften noch etwas hinzufügen: „einen Ort bewohnen“, „sich bleibend aufhalten“, „einen Ort häufig besuchen“ (Georges) - wobei wohnen gemeinhin mit habitare und anderen Verben ausgedrückt wird. Aus heutiger Sicht würde ich anhand der Erläuterungen keinen zusätzlichen gesellschaftlichen Themenbereich ausbilden wollen. Für erwähnenswert halte ich die Facette der lateinischen Sprache allerdings, weil sie auffallend gut zu den vermittelten landwirtschaftlichen und gottesdienstlichen Errungenschaften passt.

III

Im Altgriechischen ist eine deutlich geringere Verallgemeinerung zu bemerken. Sammelbegriffe Kultur sind kaum auszumachen. Adjektive hemeros beziehen sich auf Eigenschaften wie „gezähmt“, „veredelt“ oder - ich möchte ausdrücklich offen lassen, ab wann - „gesittet“ (Benseler), bezeichnen also die konkreten Resultate innovativer Anstrengungen in Landwirtschaft - und Erziehung. Homer orientierte sich im Hinblick auf soziales Verhalten noch an asteios, um eine städtische, feine, artige Verhaltensweise zu beschreiben. Substantive hemera verweisen nicht speziell auf Tätigkeiten bzw. Funktionen, sondern auf den Tag, insbesondere auf den Arbeitstag, der mit dem Sonnenaufgang beginnt und mit dem Sonnenuntergang endet (Benseler).

[Durch Hesiods dichterische Theogonie ist eine im Stammbaum früh angesetzte Göttin des Tages überliefert (Hemera). Es ist jedoch kaum auszumachen, welche andere Relevanz diese Erörterung haben soll, als Element eines konstruierten Bildes zu sein. Identifikationen mit der in Griechenland tatsächlich verehrten Eos, der rosenfingrigen Göttin der Morgenröte, von der Homer spricht, hätten es hingegen schwer zu gelingen.]

Es lässt sich eine sprachliche Verknüpfung finden, die ästhetisch motiviert scheint und sich an Worten kallos, „Schönheit“, auch im Plural, u.a. „Prachtstücke“ (Benseler), orientiert. Unter den Wortformen kalli- finden sich auch solche, die auf Feldfrüchte oder Haustiere Bezug nehmen. In späterer Zeit verschwindet die ästhetische Ausrichtung: Substantive kalliergeia bezeichnen im Neugriechischen schlicht den Feldanbau. Und eine weitere Veränderung ist hervorzuheben: Worte politismos bezeichnen heute die Kultur als Zivilisation, stehen im Kontext von neugriechisch poli bzw. altgriechisch polis, Stadt. Die Bürger werden in das Zentrum gestellt.

Schriftzüge Kultur sind allerdings derart lateinisch geprägt, dass innerhalb der neugriechischen Sprache sogar ein Lehnwort entstand: koultoura, allerdings mit besonderer Bezugnahme auf die Künste.

IV

Für einen Vergleich der indoeuropäischen Herkünfte werden gerne lateinisch colo und altgriechisch pelo herangezogen. Verbvarianten von colo sind bereits aufgefallen: als bewirtschaften, auch konkret auf landwirtschaftliche Tätigkeiten bezogen, ebenso in der Bedeutung von wohnen. Griechisch pelo kam hingegen noch gar nicht zur Sprache. Benseler weist „in Bewegung sein“ aus, „sich bewegen“, ebenso „sich befinden“, „stattfinden“ als auch „sein“. Es handelt sich um relativ unspezifische Formwörter, im Kontrast zur lateinischen Orientierung an der Landwirtschaft. Nicht einmal zu wohnen findet mit Verben pelo im Griechischen eine Entsprechung. Lediglich der Doppelcharakter beider Ausdrücke könnte wage herangezogen werden, ohne jedoch irgendwas Nennenswertes zur vorliegenden Erörterung beitragen zu können.

Als „in Bewegung sein“ wird eine hypothetisch angenommene proto-indoeuropäische Fassung beschrieben, ich erachte es allerdings als müßig, Spekulationen über geschichtliche Prozesse anzustellen, die, beachtet man die sonderbaren Wege und Abgründe der hier erörterter Wortvarianten, überhaupt nicht abschätzbar sind, auch nicht unter der Einbeziehung von Lautverschiebungen.

Schade ist es allerdings schon, dass die Kenntnisse über die alte Geschichte und über die Herkunft der Indoeuropäer relativ gering sind. Die verschiedenen Gruppen, die in Indien, Kleinasien und Europa siedelten, brachten Ackerbau und Viehzucht bereits mit. Die erhaltenen schriftlichen Aufzeichnungen aus dem betrachteten Raum reichen nicht sehr weit zurück, berücksichtigt man, dass sich die sogenannte Neolithische Revolution bereits ab ca. 12.000 auszubreiten begann, mit zum Teil katastrophalen Folgen durch die neu gewonnenen Abhängigkeiten.

V

Was aber ist hier gewonnen? Zunächst einmal: Man kommt auch ohne einen Schriftzug Kultur sehr gut aus, wie das alte Griechenland zeigen kann, ohne in die Gefahr zu geraten, ein Barbar zu sein bzw. zu werden. Viele der heute als kulturell geltenden Techniken, einschließlich der einer städtischen Lebensart, gab es unabhängig von einem wie auch immer zusammenfassenden Vokabular. Worte Kultur sind auch kaum ein proto-indoeuropäisches Erbe. Nicht nur geht ein Vergleich mit dem Altgriechischen leer aus, auch die Spekulationen über Vorzeiten führen im vorliegenden Kontext zu nichts Verwertbarem.

Worte Kultur erweisen sich als speziell lateinische Worte. Die sonderbare Zusammenstellung von landwirtschaftlichen und religiösen Bezügen könnte in Bedingungen liegen, die vor und nach der Entstehung Roms vorhanden waren. Leider ist die Quellenlage nicht ausreichend, um eine plausible Erläuterung oder gar Erklärung zu geben. Die Religion als Ansatz zu wählen, führt zunächst in den limitierten und speziellen Bedarf einer Agrargesellschaft. Davon waren jedoch auch andere Gegenden betroffen. Und ob die im frühen Rom von Numa Pompilius betriebene „peinliche Religionsordnung“ (Tertullian) jenes Sprachverhalten begünstigte, ist für mich derzeit nicht zu entscheiden.

- - - - -

Zwei Quellenerläuterungen: ‚Georges‘ verweist auf die drei gleichnamigen Handwörterbücher, die beiden „großen“ Bände lateinisch/deutsch, auf den „kleinen“ Band deutsch/lateinisch. ‚Benseler‘ auf das gleichnamige altgriechische Wörterbuch griechisch/deutsch.

03 Notizen und Notizen?

Der knappe sprachgeschichtliche Rückblick hat deutlich werden lassen, dass Kultur von Anbeginn an kein Gegenstand, nicht einmal ein Sachverhalt war, sondern ein Konzept, das man, wie im entstehenden Rom, ausbilden, haben und später erweitern konnte, oder, wie im alten Griechenland, auch nicht. Es ist schlicht belanglos, weil das gesellschaftliche Leben, auch die Bereiche, die man für wichtig oder sogar für konstitutiv erachtete, ohne Kultur betrieben werden konnten und wurden.

Kultur von Beginn an als Konzept zu bezeichnen, verweist darauf, dass es Teil der Umgangsprache war und es den mehr oder weniger klugen Sprechern überlassen blieb, damit, wie auch immer, umzugehen. Schließt man theoretische Erwägungen und Regeln aus, bleiben soziale Sanktionen übrig, die maßgeblich für die Formung und den Gebrauch des Konzeptes bzw. der Konzepte waren und sind. Um in die Gesellschaft konzeptionell wirken zu können, müssen Einflussmöglichkeiten vorausgesetzt werden. Diese hatten in Rom nur Mitglieder höherer Schichten.

Ernst Cassirer hatte nicht unrecht zu betonen, dass sich die Menschheit in Bezug auf Kultur primär mit sich selber beschäftigt, daraus aber eine Philosophie der symbolischen Formen zu entwickeln, halte ich aufgrund der gesuchten Sinnhaftigkeit und der geforderten Allgemeinheit, auch unter Berücksichtigung nicht aufeinander reduzierbarer Erlebniswelten innerhalb der Kultur, für wenig ergiebig. Er geht den umgangssprachlichen Konzepten und der betriebenen sozialen Differenzierung auf den Leim.

Wenn es aber konzeptionell grundsätzlich gleichgültig ist, ob und was als Kultur ausgezeichnet wird, lediglich soziale Sanktionen maßgeblich sind, auch innerhalb von modernen Demokratien, dann bleibt kaum anderes übrig, als Kultur historisch zu betrachten, in ihrer geschichtlichen Kontingenz.

Das bedeutet jedoch nicht, Kultur typischerweise mit Mythen beginnen zu lassen: Ob Mythen zur Kultur gehören, ist eine Frage des jeweiligen Konzepts, nicht der historisch erforderlichen Betrachtung. Hier kann es nur um die Geschichte der umgangssprachlichen Konzepte und der darin enthaltenen Willkür gehen.

Wenn es auf die Frage, was Kultur ist, keine Antwort gibt, weil Kultur gar nicht existiert, sondern nur Ansichten und Konzepte darüber, was man jeweils als Kultur bezeichnet, einem Begriff zurechnet, dann muss zu Beginn auch auf die allgemeine Fassung verzichtet werden, mit der alles einbezogen wird, was Menschen hervorgebracht haben. Eine solche Meinung ist ihrerseits ein geschichtliches Produkt, jedoch ein relativ spätes. Inwieweit diese, auf sonderbare Weise biologisch ausgerichtete, artspezifische Fassung tragfähig ist, kann aber durchaus diskutiert werden. Zunächst gilt es jedoch, den sprachgeschichtlichen Beginn von Kultur aufzusuchen

Ich muss jedoch warnen: Mit den essayistischen Notizen betreibe ich keine Wissenschaft, auch keine Philosophie im akademischen Sinn. Ebenfalls habe ich den Begriff Aphorismus vermieden, um möglichen ästhetischen Beschränkungen vorzugreifen Was mir diese gewonnene Autonomie einbringen wird, vermag ich noch nicht zu sagen. Ich hoffe mehr als nur Notizen und Notizen.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?