Loe raamatut: «Martin Luthers theologische Grundbegriffe»
Reinhold Rieger
Martin Luthers theologische Grundbegriffe
Von Abendmahl bis Zweifel
Mohr Siebeck GmbH & Co. KG
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
Abendmahl
Abgott
Ablass
Affekt
Allegorie
Alt/neu
Amt
Analogie
Anbetung
Andacht
Anfechtung
Angst
Annehmen
Antichrist
Apostel
Arbeit
Armut
Auferstehung
Auslegung
Äußeres/Inneres
Ausschließlichkeit
Barmherzigkeit
Bedeutung
Begierde
Bekehrung
Bekenntnis
Berufung
Betrachtung
Bild
Böses
Buchstabe/Geist
Bund
Buße
Christ
Dank
Demut
Dienst
Dreifaltigkeit
Ehre
Einigkeit
Elend
Empfangen
Engel
Erfahrung
Erfüllung
Erkenntnis
Erleuchtung
Erlösung
Erwählung
Evangelisch
Evangelium
Ewigkeit
Exempel
Figur
Fleisch/Geist
Form
Freiheit
Freude
Friede
Frömmigkeit
Fühlen
Furcht
Gabe
Gebet
Gebot
Geduld
Gegenteil
Geheimnis
Gehorsam
Geist
Genugtuung
Gerechtigkeit
Gericht
Geschichte
Gesetz
Gewalt
Gewissen
Gewissheit
Glaube
Gleichheit
Gnade
Gott
Gottesdienst
Gottlos
Gunst
Güte
Heide
Heil
Heiligkeit
Herr
Herrlichkeit
Herrschaft
Herz
Heuchelei
Hilfe
Himmel
Hoffnung
Hölle
Hören
Irrtum
Jüngster Tag
Ketzer
Kind
Kirche
Kraft
Kreuz
Leben
Lehre
Leib
Leiden
Licht/Finsternis
Liebe
Lust
Macht
Mensch
Metapher
Missbrauch
Mittler
Mönch
Nächster
Name
Natur
Nichts
Notwendigkeit
Nutzen
Offenbarung
Opfer
Papst
Person
Pfarrer
Philosophie
Predigt
Priester
Prophet
Rat
Recht
Rechtfertigung
Reformation
Reich
Reinheit
Religion
Reue
Sakrament
Schönheit
Schöpfung
Schrecken
Schrift
Schuld
Schwachheit
Schwärmerei
Seele
Segen
Sehen
Selbst
Seligkeit
Sicherheit
Sinn
Sorge
Sprache
Sterben
Strafe
Sünde
Taufe
Teufel
Theologie
Tod
Traurigkeit
Treue
Trost
Tugend
Unglaube
Unterscheidung
Urteil
Verborgenheit
Verdammnis
Verdienst
Vergebung
Verheißung
Verkündigung
Vernunft
Versöhnung
Verstehen
Vertrauen
Verzweiflung
Vollkommenheit
Wahrheit
Weisheit
Welt
Werk
Widerspruch
Wiedergeburt
Wille
Wissen
Wohlgefallen
Wohltat
Wort
Wunder
Zeichen
Zeit
Zeugnis
Ziel
Zorn
Zuversicht
Zwang
Zweifel
Sachregister
[Zum Inhalt]
|1|Vorbemerkung
Die Theologie Luthers soll am Leitfaden ihrer Grundbegriffe und in seinen eigenen Aussagen dargestellt werden. Grundbegriffe sind hier nicht notwendigerweise streng definierte Systembausteine, sondern tragende Begriffe einer Theologie, die selbst Verkündigung des Evangeliums sein will. Sie hatten meist schon vor Luther eine Geschichte und erfuhren oft von ihm eine Umprägung, Neubestimmung, Zuspitzung, die sie zu spezifischen Begriffen seiner und der an ihn anknüpfenden Theologie werden ließen.
Die alphabetische Folge der Stichwörter benennt theologische Grundbegriffe Luthers, die allerdings ein unterschiedliches Gewicht haben. Sie sind in seinen Texten sprachlich oft durch verschiedene Wörter zum Ausdruck gebracht, einerseits schon wegen des Nebeneinanders seiner lateinischen und deutschen Texte, andererseits durch Synonyme, bedeutungsverwandte Wörter, Antonyme, aber auch durch verschiedene Wortarten wie Substantive, Adjektive, Verben, in denen ein Begriff erscheinen kann. Deshalb enthalten die Belege manchmal nicht das Artikelstichwort selbst, obwohl die mit ihm gemeinte Sache in anderen Ausdrücken zur Sprache kommt.
Die gebotenen Belegtexte aus den Schriften Luthers sind oft weniger Übersetzungen aus dem Lateinischen oder Frühneuhochdeutschen als eher Paraphrasen, in denen allerdings Luthers Syntax und Wortschatz noch durchschimmern. Auslassungen sind nicht vermerkt. Die Belegstellenangabe bezieht sich auf die Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers (WA für die Reihe der Schriften, WABr für die Reihe der Briefe und DB für die Deutsche Bibel) und nennt zuerst den Band, dann die Seite, schließlich die Zeilen. Sie ermöglicht, in dieser Ausgabe den Beleg in seinem Originalwortlaut und seinem Zusammenhang nachzulesen. Nicht alle Texte in der WA stammen aus der Feder Luthers selbst, einige von ihnen sind Predigt- oder Vorlesungsmitschriften von Hörern. Die Belege berücksichtigen Texte beider Provenienzen. Der Überlieferungsunterschied ist in den Einleitungen zu den Texten der WA nachgewiesen.
Die Artikel setzen gegebenenfalls ein mit definitorischen Bemerkungen oder Beobachtungen Luthers zum Stichwort oder seinem Bedeutungs- oder Begriffsfeld. Darauf folgen im Hauptteil inhaltliche Aussagen in sachlicher Gliederung, wobei innerhalb der Abschnitte meist Themen- und Motivblöcke gebildet, sonst häufig eine chronologische Reihenfolge der Belege gewählt wurde. In manchen Fällen treten Änderungen der Auffassung Luthers, Unstimmigkeiten, ja Widersprüche zu Tage, die nicht zugunsten einer harmonisierenden oder systematisierenden Darstellung unterschlagen wurden.
Die Literaturhinweise am Ende der Artikel benennen vor allem neuere, aber auch klassische ältere Veröffentlichungen der Lutherforschung. Der Kürze halber sind manchmal die präziseren Untertitel angeführt und die weniger aussagekräftigen Haupttitel vernachlässigt. Die Abkürzungen der Titel von Periodika und Nachschlagewerken richten sich nach den gängigen Verzeichnissen.
Das Sachregister ermöglicht ein Auffinden weiterer Erwähnungen der Stichwörter in anderen Artikeln und weiterer theologischer Begriffe Luthers, denen kein eigener Artikel gewidmet wurde.
[Zum Inhalt]
|3|Abendmahl
→ Leib, Sakrament
Das Wort Abendmahl wurde schon vor Luther für ein abendliches Essen und das Abschiedsmahl Jesu, vereinzelt auch für das Sakrament, gebraucht, Luther aber hat das Wort für das letztere durchgesetzt, so dass es zum feststehenden Terminus im Protestantismus wurde. Luther nennt das Abendmahl sehr häufig Sakrament des Leibes und Blutes Christi, im Lateinischen spricht er von coena Domini, dem Mahl des Herrn. Er übernimmt aber auch die Bezeichnung als Messe (missa) und erklärt deren griechisches Äquivalent Eucharistie (Ign. Phld. 4) als Danksagung (6, 231, 7). Auch die traditionelle Bezeichnung sacramentum altaris (Altarsakrament; Aug. Sermo 228, 3) und sacramentum panis (Brotsakrament) kommen vor. Allgemein spricht Luther vom Abendmahl als dem Sakrament (sacramentum; Cyp. Ep. 63, 16).
1. Das Abendmahl ist die Summe und die Zusammenfassung des Evangeliums (6, 525, 36). Im Abendmahl empfängt man Christus, aber das wäre ganz umsonst, wenn man nicht neben dem Sakrament Christus im Wort empfinge. Denn das Wort macht Christus bekannt im Herzen, das ihn bloß aus dem Sakrament nicht verstünde (2, 112, 13–17). Das Abendmahl ist ein Sakrament und verbindet als solches das wirksame Wort der göttlichen Verheißung mit einem sichtbaren Zeichen, Leib und Blut Christi in den Elementen Brot und Wein. (6, 518, 10–16). Das Entscheidende ist das Wort der Verheißung. Nach Augustin (Tr. in Joh. 80) gilt, wenn das Wort zum äußerlichen Ding kommt, so wird es ein Sakrament (30I, 223, 28–32). Das Abendmahl ist die Erfüllung des Wortes der Verheißung und gewährt Vergebung der Sünden, Geist, Gnade, Leben und alle Seligkeit (26, 478, 25–479, 6).
2. Das Abendmahl ist kein Werk, kein Opfer der Kirche, sondern eine Tat Christi an uns, seine Gabe und sein Geschenk (11, 442, 12–16; 30III, 310, 3–10). Weil Christus beim Abendmahl das Sakrament nicht geopfert hat, soll es auch in keiner Messe geopfert werden, und nichts Neues außer der Schrift aufgerichtet werden (6, 523, 22–25; 10II, 255, 27–29). Das Abendmahl als Opfer zu betrachten, ist der gottloseste Missbrauch, der dazu geführt hat, das Abendmahl als gutes Werk aufzufassen und menschliche Bemühungen in den Mittelpunkt zu stellen, statt der Tat Christi am Menschen zu gedenken (6, 512, 7–25; vgl. 8, 431–448; 8, 511, 22–26; 23, 273, 13–33). Nicht die Handlung des Menschen, und sei es des Priesters, ist das entscheidende, sondern allein das Wort Christi, durch das er das Abendmahl eingesetzt, vollbracht und befohlen hat. Denn in diesem Wort besteht die Kraft, Natur und das ganze Wesen der Messe (6, 512, 33f.). Die Messe ist also die von Gott uns gegebene Verheißung der Vergebung der Sünden, die durch den Tod des Sohnes Gottes bekräftigt ist (6, 513, 34–36). Ein Opfer darzubringen ist eine menschliche Gabe, in der Messe aber empfangen die Menschen die Verheißung Gottes. Es wäre widersprüchlich, eine Verheißung zu empfangen und ein Opfer zu bringen. Dasselbe kann nicht zugleich empfangen und geopfert werden (6, 523, 38–524, 2). Die zur Messe mitgebrachten Gaben oder die Gebete und das Abendmahl selbst müssen klar unterschieden werden (6, 524, 4–525, 5; 526, 5–21).
3. Das Abendmahl hat Wirkung nur durch Glauben, es wirkt nicht durch den bloßen äußerlichen Vollzug: Das Sakrament für sich selbst, ohne den Glauben, wirkt nichts (6, 371,7–10; vgl. 2, 749–752; 6, 520, 14–16). Da das Abendmahl Verheißung ist, setzt es keine Werke, keine Kräfte, keine Verdienste voraus, sondern allein den |4|Glauben. Dem Wort des verheißenden Gottes entspricht der Glaube des annehmenden Menschen (6, 514, 12f.). Der Glaube ist die Erfüllung des durch das Wort Verheißenen (30I, 226, 23–28.). Der würdige Vollzug der Messe erfordert nichts als den Glauben, der sich auf die Verheißung fest verlässt und aus dem als Frucht die Liebe hervorgeht und ein neuer Mensch entsteht (6, 515, 30f.). Der im Abendmahl begriffene Schatz, das Wort Gottes, kann nur mit dem Herzen ergriffen werden. Dennoch ist die Wirkung nicht vom subjektiven Glauben abhängig: Das Abendmahl steht nicht auf menschlichem Glauben oder Unglauben, sondern auf Gottes Wort und Ordnung (26, 506, 21–25; vgl. 6, 525, 33–35). Denn es ist nicht gegründet auf menschlicher Heiligkeit, sondern auf Gottes Wort (30I, 224, 18–30). Aber Luther kennt eine Wirkung des Abendmahl an Ungläubigen: Der Ungläubige kann die mit dem Abendmahl verbundene und in ihr wirksame Verheißung den Glaubenden mitteilen und auch selbst daran teilnehmen, aber sie wirkt in ihm anders als im Glaubenden. Dasselbe Sakrament und dieselbe Verheißung bewirken im Glaubenden ihr eigentliches Werk, die Erlösung, im Unglaubenden ihr fremdes Werk, das Gericht, die Verdammung (6, 526, 8–10; vgl. 57III, 171, 1). Da nach Röm 14,23 alles, was nicht aus Glauben getan wird, Sünde ist, wirkt das Essen des Abendmahl ohne Glaube die Verdammnis (6, 97, 28–36; 30I, 231, 4f.; 30III, 123, 10f.).
4. Wirkungen des Abendmahl sind Sündenvergebung, Trost, Leben: Luther mahnt, das Abendmahl für ein lebendiges, ewiges, allmächtiges Wort zu halten, das lebendig, von allen Sünden und Tod frei machen kann (11, 433, 25–28; 30I, 231, 9–13). Wer ein böses Gewissen hat von den Sünden, der solle zum Sakrament gehen und Trost holen, nicht an Brot und Wein, nicht an Leib und Blut Christi, sondern am Wort, das im Sakrament den Leib und das Blut Christi als für uns gegeben und vergossen darbietet (18, 204, 5–8). Die Worte Christi beim Abendmahl sind Worte des Lebens und der Seligkeit, so dass dem, der daran glaubt, durch solchen Glauben alle Sünden vergeben sind und er ein Kind des Lebens ist und Hölle und Tod überwunden hat (11, 432, 21–27; vgl. 23, 205, 20–23).
5. Die Wirkung des Abendmahl hat ihren Grund in der wirklichen Gegenwart Christi im Abendmahl Die Einheit von Brot und Wein mit Leib und Blut Christi im Abendmahl ist rational nicht zu verstehen (6, 511, 18–21). Dennoch ist die Einheit nicht wider Vernunft und Logik (26, 440, 16f.). Aber die vermeintliche rationale Erklärung als Transsubstantiation führt in die Irre, weil sie philosophisch argumentieren will und eine bloße Meinung etabliert, die mit dem Glauben nichts zu tun hat (6, 508, 17–22), aber mit dem Anspruch auf verbindliche Glaubenswahrheit verkündet wird (ebd. 17. 27–31; vgl. 11, 441, 18–31). Die Transsubstantiation, die nicht notwendig angenommen werden muss, ist für eine Erfindung menschlicher Meinung zu halten, da sie durch keine Schriftstelle und keinen Vernunftgrund gestützt wird (6, 509, 15–21). Die Zweinaturenlehre in der Christologie zeigt, dass eine Einheit zweier Wesen möglich ist, ohne dass sich eines der beiden verändern müsste. So gebe es auch im Abendmahl den wahren Leib und das wahre Blut Christi, ohne dass Brot und Wein ihre Substanz ändern müssten (6, 511, 34–512, 1; vgl. 23, 145, 13–21; 26, 440, 34–441, 8). Der Begriff der Konsubstantiation ist für die Deutung der Abendmahlslehre Luthers ungeeignet, da er den Substanzbegriff voraussetzt, der bei der Erläuterung des Abendmahl auf eine falsche Ebene, die des Wissens, führt. Luther toleriert diese philosophische Deutung des Abendmahl, fordert aber, diese Meinung nicht zu einem |5|verbindlichen Glaubensartikel zu erklären (6, 512, 4–6). Es besteht nach Luther keine logisch-ontologische Identität von Brot und Leib, sondern eine sakramental-soteriologische Einheit, wo zwei unterschiedliche Wesen in ein Wesen kommen (26, 443, 15), obwohl jedes für sich sein eigenes Wesen hat (ebd. 27–32). Diese Einheit aus zwei für sich bestehenbleibenden Dingen, die zusammen ein neues Wesen ausmachen, wird sprachlich durch eine Synekdoche ausgedrückt (26, 444, 2). Der Grund für die Anwesenheit Christi im Abendmahl liegt in seiner Erhöhung zur Rechten Gottes nach Auferstehung und Himmelfahrt. Christus ist als Gott und Mensch bei Gott und hat Teil an Gottes Allwirksamkeit und Allgegenwart (23, 143–153) (Ubiquität; vgl. 19, 491, 13–20). Diese verschiedenen Varianten des Ausdrucks der Realpräsenz Christi im Abendmahl toleriert Luther, aber er lehnt ihre Interpretation als Bedeutungen, die analog zur alttestamentlichen Typologie zu verstehen wären, ab: Das ‚Ist‘ in den Abendmahlsworten ‚Das ist mein Leib‘ dürfe nicht als ‚bedeutet‘ verstanden werden, so dass es heiße: ‚das bedeutet mein Leib‘ (11, 434, 17–26). Diese Interpretation der Abendmahlsworte fand Luther zuerst 1522 bei Cornelius Honius (Hoen), später bei Karlstadt und Zwingli, gegen die er vehement die Realpräsenz verteidigte. Luther wirft Zwingli ein Missverständnis der Funktionsweise von Metaphern vor, wenn er die Rede Christi im Abendmahl ‚Das ist mein Leib‘ als Rede über die Bedeutung verstehen wolle. Denn eine Metapher schafft ein neues Wort mit neuer Bedeutung, und ihre Prädikation ist eine Aussage über das Sein, nicht über die Bedeutung. Auch Johannes Oekolampads Auffassung, das Brot im Abendmahl sei Zeichen des Leibes Christi, entspricht nicht der Rede Christi (23, 105; 26, 278f.). Luther lehnt auch die Deutung des Abendmahls als Integration in den geistlichen Leib Christi, also die christliche Gemeinde ab (11, 437, 16–18). Auch dies wäre eine nicht schriftgemäße Rationalisierung (11, 438, 10). Denn der geistliche Leib Christi ist nicht für uns gegeben, sondern sein natürlicher Leib ist für seinen geistlichen Leib, der wir sind, gegeben (11, 438, 30f.).
6. Der Leib Christi im Abendmahl ist ein geistlicher Leib, der geistlich genossen wird: Diese Speise verwandelt den, der sie isst, in sich und macht ihn ihr selbst gleich, geistlich, lebendig und ewig. Es ist dieselbe unvergängliche Speise, die im Abendmahl mit dem Mund leiblich und mit dem Herzen geistlich gegessen wird (23, 203, 14–33). Es gibt also im Abendmahl ein leibliches und ein geistliches Essen zugleich. Das geistliche nährt das Herz des Menschen (5, 665, 2–4).
7. Gemeinschaft der Glaubenden mit Christus und untereinander ist eine Folge des Abendmahls. Denn der Genuss des wirklichen Leibes Christi im Abendmahl schafft die Teilhabe am geistlichen Leib Christi (11, 439–441). Die Bedeutung oder das Werk dieses Sakraments ist Gemeinschaft aller Heiligen; darum nennt man es auch Communio, das ist Gemeinschaft Christi mit allen seinen Heiligen in einem geistlichen Körper (2, 743, 7–22). So wird das Abendmahl zu einem Gemeinschaftsmahl: Dass wir einerlei Brot und Trank genießen, das bewirkt auch, dass wir ein Brot und Trank werden, ja einer des andern Speise und Trank, gleichwie Christus uns Speise und Trank ist (11, 441, 3–8). Die Liebe ist also Folge der im Abendmahl empfangenen Gabe (2, 750f.). Auch Dank ist Folge des Abendmahls, das deshalb Eucharistie genannt wird (5, 198, 18f.; 6, 231, 6; 368, 8–10; 26, 463, 28f.).
8. Das Abendmahl ist Merkmal der Kirche: Die Zeichen, an denen man äußerlich bemerken kann, wo dieselbe Kirche in der Welt ist, sind Taufe, Abendmahl und das Evangelium (6, 301, 3f.).
|6|9. Das Abendmahl ist nicht heilsnotwendig, sondern wie alles für den Christen frei: Christus habe selbst das Abendmahl nicht als notwendig gefordert und durch ein Gesetz festgelegt, sondern es jedem freigestellt (12, 216, 33f.). Aber obwohl Christus wusste, dass alles unter einer Gestalt, ja allein im Glauben, ohne das Sakrament, empfangen würde, hat er nicht vergebens beide Gestalten eingesetzt (7, 399, 28–30; vgl. 6, 79, 32–34; 518, 17–23; 11, 433, 18–20). Aber das Abendmahl ist sowohl Gebot als auch Verheißung. Man soll niemand zum Abendmahl treiben noch zwingen, aber das soll man dennoch wissen, dass solche Leute für keine Christen zu halten sind, die sich lange Zeit dem Sakrament entziehen (30I, 227, 16–23).
10. Das Abendmahl ist unter beiderlei Gestalt, als Brot und Wein, allen Glaubenden zu reichen, da es von Christus so eingesetzt wurde (2, 742f.). Es ist gottlos und tyrannisch, den Laien das Abendmahl in beiderlei Gestalt zu verwehren (6, 506, 33f.; vgl. 7, 391. 399). So haben die Priester nun ein anderes Sakrament als die Laien (7, 395, 22f.). Nicht dass die gegen Christus sündigen, die eine Gestalt gebrauchen, denn Christus hat nicht geboten, sie zu gebrauchen, sondern hat es dem Willen eines jeden anheimgestellt. Aber diejenigen sündigen, die verbieten, denen, die das Abendmahl freiwillig so halten wollen, es in beiderlei Gestalt zu geben. Die Schuld liegt nicht bei den Laien, sondern bei den Priestern. Das Sakrament gehört nicht den Priestern, sondern allen (6, 507, 7–12; vgl. 6, 525, 12).
12. Luther setzte sich zuerst mit der römischen Abendmahlslehre auseinander. Die erste Gefangenschaft des Abendmahls durch die römische Kirche ist für ihn die Verweigerung des Laienkelches und die Beschränkung auf die Gabe des Brotes an die Laien (6, 507). Die zweite Gefangenschaft ist die römische Lehre von der Transsubstantiation, wie sie vom vierten Laterankonzil 1215 dogmatisiert worden war, nach der in der Messe die Substanz der Elemente in Leib und Blut Christi gewandelt, die Akzidentien beibehalten werden. Luthers Kritik daran begründet eine neuartige Abendmahlslehre, die sich nicht mehr philosophischer Begriffe bedient und eine wissenschaftliche Meinung ausbildet. Die dritte Gefangenschaft ist das Verständnis der Messe als Opfer. Luther gibt der Messe eine neue Form, ohne Offertorium. Nach dieser Auseinandersetzung mit der römischen Messlehre verteidigte Luther gegen Karlstadt und Zwingli die im Glauben erfahrbare und geschichtlich wirksame Realpräsenz Christi im Abendmahl und gab so der lutherischen Abendmahlslehre ihren spezifischen Gehalt. Gegen Karlstadt hielt Luther am Sakramentscharakter des Abendmahls fest (18, 139–142; 162, 36).
📖 Theodor Kochs, Art. Abendmahl, in: DWB 1, 137f. Christoph Markschies, Art. Abendmahl II. Kirchengeschichtlich 1. Alte Kirche, in: RGG 4. Aufl., 1, 15–21. Thomas Kaufmann, Art. Abendmahl II. Kirchengeschichtlich 3. Reformation, ebd. 24–28. Jörg Baur, Art. Abendmahl III. Dogmatisch 1. Evangelisch, ebd. 31–36. Jürgen Diestelmann, Das Heilige Abendmahl bei Luther und Melanchthon, 2007. Hartmut Hilgenfeld, Mittelalterliche traditionelle Elemente in Luthers Abendmahlsschriften, 1971. Hans Grass, Die Abendmahlslehre bei Luther und Calvin, 2. Aufl. 1954. Eberhard Grötzinger, Luther und Zwingli. Die Kritik an der mittelalterlichen Lehre von der Messe als Wurzel des Abendmahlsstreites, 1980. Franz Hildebrandt, Est. Das lutherische Prinzip, 1930. Ernst Kinder, Realpräsenz und Repräsentation. Feststellungen zu Luthers Abendmahlslehre, in: ThLZ 84 (1959) 881–894. Ulrich Kühn, Sakramente, 1985, 45–67. Athina Lexutt, Das Abendmahl. Die lutherische Position, in: Die Marburger Artikel als Zeugnis der Einheit, 2012, 151–174. Frido Mann, Das Abendmahl beim jungen Luther, 1971. Hans Bernhard Meyer, Luther und die Messe. Eine liturgiewissenschaftliche Untersuchung über |7|das Verhältnis Luthers zum Meßwesen des späten Mittelalters, 1965. Albrecht Peters, Realpräsenz. Luthers Zeugnis von Christi Gegenwart im Abendmahl, 2. Aufl. 1966. Albrecht Peters, Kommentar zu Luthers Katechismen, Band 4, 1993, 129–187. Joachim Ringleben, Der Sinn der Einsetzungsworte nach Luther, in: Karl-Hermann Kandler, Hg., Das Mahl Christi mit seiner Kirche, 2006, 13–31. Reinhard Schwarz, Der hermeneutische Angelpunkt in Luthers Meßreform, in: ZThK 89 (1992) 340–364. Ders., Selbstvergegenwärtigung Christi, in: Dietrich Korsch, Hg., Die Gegenwart Christi im Abendmahl, 2005, 18–49. Wolfgang Simon, Die Meßopfertheologie Martin Luthers, 2003. Ernst Sommerlath, Der Sinn des Abendmahls nach Luthers Gedanken über das Abendmahl 1527 / 29, 1930. Carl Fr. Wislöff, Abendmahl und Messe. Die Kritik Luthers am Meßopfer, 1969.