Es ist immer aufgefallen, dass im friesisch-sächsischen Recht, in friesisch-sächsischer Eigenart, im Allgemeinen in der Freiheitsliebe und demokratisch-aristokratischen Gesinnung Ähnlichkeit mit den Schweizern besteht, was sich auch daraus erklären ließe, dass, wie behauptet wird, sowohl Friesen und Sachsen wie Alemannen von den Sueven abstammen. Indessen die Verschiedenheit ist ebenso groß wie die Ähnlichkeit, wie denn auch das Ergebnis der Freiheitskämpfe am Meer und in den Alpen ein verschiedenes war. Die Freiheitskämpfe der Meerfriesen und Meersachsen haben etwas von der Wildheit eines Löwen, der sich in seinem Reich gewaltig verteidigt; wagt sich einer hinein, so zermalmt ihn die königliche Tatze, und die Seinen müssen froh sein, wenn sie den blutigen Leichnam heimtragen dürfen. Da fielen König Wilhelm von Holland und viele andere holländische Grafen, da fielen Grafen von Oldenburg, da fiel Herzog Gerhard VI. von Schleswig-Holstein und mancher andere. Sie fochten kaum andere als Verteidigungsschlachten und diese mit naiver Großartigkeit. Sie hatten keine einzige befestigte Stadt; ihre Wälle waren die Sümpfe und Moore, die ihr Gebiet umgeben, die sie etwa durch Verschanzungen noch undurchdringlicher machten. Sie schützten sich auch persönlich nicht durch Harnische; die Natur ihres Landes und ihre furchtlose Tapferkeit, ihr Glauben an das Recht ihrer Freiheit waren die Mittel ihrer Siege. Die von der Natur gegebene Grundlage ihrer Freiheit auszubauen, sich mit Gleiches erstrebenden Nachbarn zu verständigen, dazu fehlte es ihnen an staatsmännischer Gesinnung. Es war ihnen wichtiger, unbehelligt zu bleiben, als sich in ihre Umwelt einzugliedern. Sie waren noch immer am liebsten allein auf ihrem Hof mit dem wie eine Adlerschwinge schirmenden Dach unter alten Eschen und Erlen. Vielleicht war es gerade die Geschlechterverfassung, die den einzelnen fest an sein Geschlecht band, einen einzelnen ohne Geschlecht überhaupt nicht kannte, die den Gemeinsinn, der zur Staatenbildung führt, weniger aufkommen ließ. Niemals schlossen sie Bündnisse mit den großen Handelsstädten, die an ihren Grenzen lagen, Hamburg, Bremen, obwohl sie gemeinsame Interessen im Kampfe gegen dieselben Fürsten nicht selten gehabt hätten. Die Bremer sahen in den Friesen, nicht durchaus mit Unrecht, Seeräuber, die Friesen gaben ihnen die Geringschätzung zurück. Zwei friesische Brüder, Didde und Gerolt, sollten in Bremen hingerichtet werden, weil sie eine Burg hatten zerstören wollen, mit der die Bremer friesische Nachbarn zu beherrschen gedachten. Nachdem Diddes Haupt gefallen war, ergriff es Gerolt und küsste den toten Mund. Als von dieser Gebärde gerührt die Ratsherren ihm das Leben schenken wollten, wenn er ein Mädchen aus der Stadt heiratete, sagte Gerolt: »Ich bin ein edler freier Friese und will lieber sterben, als eines Pelzers oder Schuhmachers Tochter zur Frau nehmen«, und ließ sich den Kopf abschlagen. So erzählt die Überlieferung. Die Dithmarscher traten zwar vorübergehend mit Hamburg, Bremen und Lüneburg in Verbindung, änderten auch mit ihrem Beistand im Anfang des 15. Jahrhunderts ihre Verfassung im Sinne einer Stärkung der Zentralgewalt, aber eine Einung von Dauer kam nicht zustande. Der Stadt Hamburg nahmen es die Dithmarscher, deren hauptsächlicher Feind ihr Nachbar, der Graf von Holstein war, sehr übel, dass sie es mit Holstein gegen Dänemark hielt. Sie zogen die Verbindung mit Dänemark immer einer solchen mit dem gehassten Holstein vor, haben ja auch später zu Dänemark gehört.
Die Friesen hatten einen Mittelpunkt in der Landesversammlung am Upstalsboom in der Nähe von Aurich, wo die Abgeordneten von West- und Ostfriesland zusammenkamen; aber schon im dreizehnten Jahrhundert hörte das auf. Wegen des fehlenden Sinnes für Staatenbildung und wohl aus geografischen Gründen ist im Mittelalter eine nordische Schweiz nicht entstanden. Unvergänglich ist dennoch der Ruhm der großen Freiheitsschlachten, wenn sie auch wie Kometen, außerhalb der Himmelsordnung, mächtig leuchtend vorübergingen, der Schlacht bei Oldenwöhrden, der Schlacht an der Hamme, bei Hemmingstedt und mancher anderen, in denen barfüßige Bauern geharnischte Ritter demütigten.
Wie die Geschichte des Mittelalters vorwiegend eine Geschichte des Adels, so waren seine Schlachten solche des Adels. Sie glichen Turnieren, bei denen es ja auch oft Tote gab, und bei denen die Forderungen der Ehre eine große Rolle spielten. Mit dem Vorwurf der Feigheit ließ sich alles durchsetzen, keine Gründe kamen dagegen auf. In der Schlacht bei Hausbergen war die Überzahl der Straßburger so groß, dass die bischöflichen Ritter den unglücklichen Ausgang voraussahen; da der Bischof sie feige schalt, gingen sie ohne Wanken in den Tod. Die Zahl der Kämpfenden war klein; Rudolf von Habsburg soll gesagt haben, mit 4000 auserlesenen Reitern und 40 000 Mann zu Fuß würde er von der ganzen Welt unbesiegbar sein. In der eben angeführten Schlacht bei Hausbergen zwischen dem Bischof von Straßburg, Walter von Geroldseck und der Stadt Straßburg, mit welcher sie sich im Jahre 1262 die Unabhängigkeit erkämpfte, fielen auf seiten des Bischofs 60 Ritter und Edelleute, auf seiten der Stadt ein einziger Bürger. Die Sieger trugen 76 Gefangene davon; des Lösegeldes wegen sah man es darauf ab, viel Gefangene zu machen. Der Bischof war selbst mitten im Kampfe, zwei Pferde wurden unter ihm erstochen. Die Mehrzahl der Kämpfer war beritten, von den Städtern fochten die Geschlechter zu Pferde. Der alte Ritter Liebenzeller, der die Straßburger führte, gab in der Schlacht den Rat, alle Rosse ohne Ausnahme niederzustoßen. Den Berittenen war schwer beizukommen, der Gestürzte konnte leicht erschlagen werden, wenn er nicht von den Hufen der Pferde zertreten wurde. Deshalb war es für den Gestürzten so ungemein wichtig, dass ihm sofort ein Getreuer beisprang, ihn deckte und ihm etwa gar das eigne Pferd überließ; Rudolf von Habsburg ist in zwei Schlachten auf solche Art gerettet worden und bewies seinen Helfern zeitlebens Dankbarkeit. Die Rosse zu töten war eine sehr alte Regel, deren sich schon Hermann im Kampfe gegen die Römer bedient haben soll. In einer ihrer berühmten Schlachten gaben die Dithmarscher die Losung aus: Schonet den Kerl, schlaget das Pferd! Als sie aber des Sieges sicher waren, erschlugen sie umgekehrt den Mann und erhielten sich sein kostbares Tier.
Eine vorbildliche Ritterschlacht war die Schlacht bei Worringen in der Nähe von Köln, die wegen der vielen edlen Namen, die darin glänzten, die Zeitgenossen zu ausführlichen Schilderungen gereizt haben mag. Sie entstand im Streit um die Nachfolge im Herzogtum Limburg, auf welche einerseits Graf Adolf von Berg, andererseits Graf Rainold von Geldern Anspruch erhoben. Zugrunde lag eigentlich der Wettbewerb des Erzbischofs von Köln und des Herzogs von Brabant um die Herrschaft am Niederrhein. Um den Erzbischof, einen Grafen von Westernburg, gruppierten sich Graf Rainold von Geldern, Graf Heinrich von Lützelburg, Graf Adolf von Nassau und die vom Erzbischof abhängige Stadt Soest; um den Herzog von Brabant der Graf von Berg, Graf Simon von Teklenburg, die Herren von Waldeck, von Virneburg, von Reiferstein und die Stadt Köln, die herkömmlicherweise ihrem Erzbischof den Gegenpart hielt. Es war eine außerordentlich blutige Schlacht, in der über tausend Ritter fielen. Es fiel der Graf von Westernburg, Bruder des Erzbischofs, es fiel Graf Heinrich von Lützelburg, der Vater des späteren Kaisers, als er seinen persönlichen Feind, den Herzog von Brabant, anrannte und bereits vom Pferde zu reißen im Begriff war; ein Ritter rettete den Fallenden, indem er dem Luxemburger den Speer unter die Rüstung stieß. »Unglücklicher!« so rief der Brabanter seinem Retter zu, »was hast du getan! Du hast den tapfersten Ritter getötet, der verdient hätte, ewig zu leben.« Ein Herr von Born sah seine Söhne teils fallen, teils gefangen werden, kämpfte aber weiter, bis ihm der Arm zerschlagen wurde. Der von Falkenburg, der als der schönste Mann seiner Zeit galt, fiel, und Adolf von Nassau, der spätere Kaiser, wurde gefangen. Als er vor den Herzog von Brabant geführt wurde und dieser ihn fragte, wer er sei, antwortete er: »Ich bin Adolf von Nassau, zwar nit ein großer Herr, aber der begehrt, große Sachen zu vollbringen.« Um seine Achtung so hohen Sinnes zu beweisen, ließ ihn der Herzog ohne Lösegeld frei. Die Herren wetteiferten in der Entfaltung edler Ritterlichkeit: sie waren Feinde, hassten sich, töteten sich, gönnten sich nichts, aber sie fühlten sich als die Ebenbürtigen, verbunden durch die gleiche Kultur und die gleichen Anschauungen von Ehre und Ritterpflicht. Allerdings wenn die Sage überliefert, der Erzbischof von Köln habe seinen Gegner, den Grafen von Berg, als es ihm nach der Schlacht gelungen sei, ihn zu fangen, mit Honig bestrichen in einen Käfig gesperrt und den Bienen preisgegeben, so wird man an allen den ausschmückenden Schnörkeln irre. Wechselten wirklich Züge abgefeimter Grausamkeit mit solchen der Großmut ab? Oder kam es bei der Schilderung von Begebenheiten nicht nur auf treue Wiedergabe an, wie man ja auch von den Bildern von Personen nur verlangte, dass sie schön oder eindrucksvoll, nicht aber, dass sie ähnlich seien. Auf den Charakter des Kampfes und der Kämpfenden im Allgemeinen kann man indessen doch aus den zeitgenössischen Berichten schließen. Obwohl nun die Schlacht bei Worringen, die im Jahre 1288 geschlagen wurde, durchaus eine Turnierschlacht war, so gaben doch, das ist bemerkenswert, die niederrheinischen Bauern des Grafen von Berg und das Fußvolk der Stadt Köln, das den Fahnenwagen des Erzbischofs eroberte, den Ausschlag.
In der Entscheidungsschlacht bei Dürnkrut, durch welche Österreich an das Haus Habsburg fiel, hatte Ottokar von Böhmen die größere Zahl verdeckter Rosse, so nannte man die geharnischten, und glaubte deshalb Aussicht auf den Sieg zu haben. Dass Rudolf ihn davontrug, soll er erstens den Ungarn und ihrer leichten Reiterei verdankt haben, sodann einer neuen Anordnung, die er sich selbst ausgedacht zu haben scheint. Er sonderte nämlich 50 schwer geharnischte Ritter aus, die anfänglich abseits zu bleiben hatten, um erst im späteren Verlauf der Schlacht, wenn sich die Lage etwa verschlechterte, einzugreifen. Die Zumutung, sich nicht sofort zu beteiligen, kam den Rittern so unerhört vor, dass sie sich erst auf den strengen Befehl des Königs hin herbeiließen, die Führung dieser Notschar zu übernehmen. Doch unterließen sie es nicht, bei den anderen Herren umherzugehen und ihr Verhalten zu erklären und zu entschuldigen.
Die Schlacht bei Göllheim am Fuße des Donnersberges, durch die Adolf von Nassau und Albrecht von Habsburg den Streit um das Reich ausmachten, war eine ausgesprochene Ritterschlacht. Das Mitteltreffen führten auf beiden Seiten die Könige selbst an, Adolf von Nassau im goldenen Harnisch, vor beiden wehte die Reichssturmfahne. Wie in der Schlacht bei Worringen die persönlichen Feinde sich suchten, so hier die beiden Könige; Albrecht wurde später beschuldigt, seinen Herrn, denn er hatte anfangs den rechtmäßig gewählten Adolf anerkannt, mit eigener Hand getötet und damit eine unerhörte Freveltat begangen zu haben. Manchen mochte es als gerechte Vergeltung erscheinen, dass er selbst zehn Jahre später durch Mörderhand fiel. Während in der Schlacht nur hundert Kämpfer gefallen sein sollen, wurden über 20 000 Pferde getötet. Wenn dadurch der Vorzug des Berittenseins als trügerisch, mindestens als zweifelhaft erwiesen wurde, so zeigte sich vollends, dass der Harnisch, der den Mann schützen sollte, ihm vielmehr zum Verhängnis werden konnte. Es war ein heißer Sommertag; auf beiden Seiten kam es vor, dass Ritter in ihrer Rüstung erstickten. Lange sah man ein Ross über das Schlachtfeld jagen, den toten Herrn von Ochsenstein aus einem den Habsburgern treu ergebenen elsässischen Geschlecht aufrecht in angeschnallter Rüstung auf dem Rücken tragend. Wie Saurier muten diese Ritter an, denen die Schuppen und die lederne Haut und das Riesengebiss selbst, alle die Waffen, mit denen die Natur sie ausstattete, zuletzt anstatt ihnen zu helfen, ihr Verderben beschleunigten, besonders als behändere Tiere den Kampf mit den allzu schwer gerüsteten Ungetümen wagten. Noch wurden aus der Erfahrung keine Schlüsse gezogen. Herzog Leopold zweifelte im Jahre 1315 nicht, dass er mit der Menge seiner geschulten und gerüsteten Krieger die Bauern von Schwyz und Uri leicht würde erdrücken können. Am Ende des Jahrhunderts zog ein anderer Herzog Leopold mit einem großen Ritterheere gegen Luzern, das mit den Waldstätten verbündet die österreichische Landstadt Sempach an sich gezogen hatte, um das Erbe der Väter zurückzugewinnen. Bei Sempach kam es zu der furchtbaren Schlacht, in der die Blüte des schwäbischen, oberrheinischen und elsässischen Adels fiel. Wieder war es ein heißer Julitag, und mancher erstickte im Harnisch. Wieder entfaltete sich inmitten des Unterganges der stolze Sinn der Herren, wie der Chronist mit sichtlicher Vorliebe aufgezeichnet hat. »O rette Österreich, rette!« rief der Herzog, und die Getreuen folgten seinem Rufe, ohne das Verderben aufhalten zu können. Leopold focht als ein Leu, so heißt es, und verschmähte die Flucht, indem er sagte, er wolle lieber sterben mit Ehre, als unehrbarlich leben auf Erden. Seinem stolzen Tode stellt die Sage den Opfertod Arnold Winkelrieds von Nidwalden gegenüber, eines Abkömmlings jenes Struth von Winkelried, der einen Drachen tötete und, von dessen Gift getroffen, in demselben Augenblick starb, wo er seine Heimat befreite.
So waren denn die Bauern, die in den Kriegen Heinrichs IV. entmannt worden waren, weil sie sich angemaßt hatten, gegen Ritter zu kämpfen, von Bauern, die freie Herren geblieben waren, gerächt. Aber die späte Rache der Geschichte, die außer erkennbarem Zusammenhange trifft, genügt dem Bedürfnis nach ausgleichender Gerechtigkeit nicht. Auch kam es kurz nach der Schlacht bei Sempach vor, dass Pfalzgraf Ruprecht, nachdem er rheinische Städte bei Worms besiegt hatte, sechzig Knechte, die an der Schlacht teilgenommen hatten, in einen Ziegelofen werfen und verbrennen ließ, während die ritterlichen Gefangenen in der üblichen standesgemäßen Gefangenschaft gehalten wurden. Diese düsteren Fragen könnten nur durch den Glauben an eine überirdische Klarheit, in der Menschenirrsal mündet, gelöst werden.
Am Tage der Ungarschlacht im Jahre 955 erhoben sich die verschiedenen Abteilungen des königlichen Heeres bei Morgengrauen, alle gaben sich gegenseitig den Friedenskuss, schwuren erst ihrem Führer, darauf einer dem anderen treuen Beistand und zogen dann aus dem Lager dem Feind entgegen. Als die Vasallen des Königs Hettel von Hegelingen sich anschickten, übers Meer nach Irland zu fahren, um die Tochter Hagens für ihren Herren zu freien, schwuren sie einander mit gestabten Eiden treuen Beistand. Im Angesicht einer großen Gefahr pflegten germanische Männer ihr Zusammenwirken durch einen Schwur zu heiligen und nannten das eine Schwurgenossenschaft oder Eidgenossenschaft. Das taten auch einige Männer aus den kleinen Ländern Schwyz, Uri und Unterwalden an einem durch die Reuß gebildeten See im oberen Schwaben, als sie ihre Freiheit bedroht glaubten. Es war ein altgermanischer Brauch, den sie übten, und mit den alten Germanen hatte dies Bergvolk mehr Verwandtschaft als mit den kirchentreuen Christen ihrer Tage. Es ist bei ihnen nicht viel die Rede von Gebet, von Stiftung und Heiligtümern, und wenn sie sich beugen, tun sie es mit dem Vorbehalt trotzigen und ungestümen Widerstandes sowie die Gelegenheit es ermöglicht. Dass spätere Geschichtschreiber sie von den Schweden oder Sachsen ableiteten, mögen sie zum Teil im Gefühl für das Nordisch-Heidnische getan haben, das diesen bäuerlichen Heroen eigen war. Söhne des Gotthard waren sie, der selbst wie ein alter Gott über Bergen und Tälern lagert, das Haupt von Wolken und Winden umkreist, wohltätige Ströme den Menschen, die ihm dienen, herablassend. Wie mit einem Gott müssen die, die an seinem Fuße wohnen, mit ihm ringen, bevor er sie segnet; wenn sie sich verwegen und furchtlos erweisen, sind sie sein Volk und haben teil an seinem elementaren Wesen. Sie sind ein Geschlecht von Riesen, die der Lawinen und Blöcke, die ihr wilder alter Gott ins Tal rollt, nicht achtend über zackigen Granit schreiten und Feinde, die sich in ihren heimischen Bezirk wagen, mit geschleuderten Felsen vertreiben. Aber wenn sie Riesen waren, so waren sie doch nicht einfältigen oder plumpen Geistes; sie konnten ihre politische Lage mit jedem Vorteil und Nachteil beurteilen und die Umstände des Geschehens in Nähe und Ferne berechnen und benützen.
Die beiden Länder Schwyz und Uri waren überwiegend von Adligen und freien Leuten bewohnt, die sich nach altgermanischer Auffassung kaum vom Adel unterschieden. Das Ländchen Uri war ein Teil der Ausstattung, mit der im Jahre 853 König Ludwig der Deutsche seine Tochter Hildegard beschenkt hatte, als er in der Nähe der königlichen Pfalz auf dem Lindenhofe beim Orte Zürich ein Kloster gründete und sie zur Äbtissin desselben machte. Wie für alle Klöster wurde auch für die Abtei Fraumünster ein Vogt bestellt, der die hohe Gerichtsbarkeit über das klösterliche Gebiet führte; mit dem Ende des 11. Jahrhunderts kam die Schirmvogtei an die Herzöge von Zähringen. Der Umstand, dass die durch die Immunität aus dem Gesamtverbande gelösten Länder unter derselben Gerichtsbarkeit standen, dass die Bewohner Markgenossen an derselben Allmende waren, das Zusammengedrängtsein namentlich im selben Tale, das Umschlossensein von denselben Bergen nährte in den Leuten von Uri das Gefühl, ein Ganzes, eine Gemeinde auszumachen: im Beginn des 13. Jahrhunderts nannten sie sich die Universitas hominum vallis Uroniae. Das Aussterben der Zähringer im Jahre 1218 befreite die Gemeinde Uri von der Gefahr, Untertanen dieses Hauses zu werden; aber eine neue erhob sich, als Friedrich II. die Vogtei dem Grafen Rudolf dem Älteren von Habsburg verpfändete. Wenn schon die Vögte fast immer danach trachteten, das Land, dem sie als Richter vorstanden, in ihren erblichen Besitz zu bringen, so gab sich die Gelegenheit zu solcher Vergewaltigung vollends bei Verpfändungen. Die Urner suchten sofort sich der Schlinge zu entziehen, die ihrer Freiheit gelegt war, und sie hatten Glück: Heinrich VII., des Kaisers junger Sohn, den er zu seinem Stellvertreter in Deutschland ernannt hatte, erklärte ihren Boten zu Hagenau im Elsaß, dass er die Vogtei zurückgekauft habe und dass er die Männer des Tales Uri niemals dem Reich entfremden werde. Mit diesem Brief des unglücklichen jungen Königs erhielten die Urner die Beglaubigung ihrer Reichsfreiheit, die ihnen nie bestritten wurde. Die Vogtei wurde künftig von Amtmännern aus ihrer Mitte ausgeübt, die nach einiger Zeit Landammänner hießen. Seit dem Jahre 1243 gab das Land seiner Selbstständigkeit dadurch Ausdruck, dass es ein eigenes Siegel führte.
Auch Schwyz, das damals aus dem Flecken Schwyz und dem Dorf Steinen bestand, wurde hauptsächlich von Freien bewohnt; doch gab es dazwischen auch eigene Leute verschiedener Dynasten und Klöster. Die Gerichtshoheit über Schwyz hatten als Landgrafen vom Zürichgau die Grafen von Lenzburg und, nachdem diese ausgestorben waren, die Grafen von Habsburg. Von dieser Familie, die zu ihrem Eigenbesitz an der Aare verschiedene Güter des Grafen von Lenzburg hinzugeerbt hatte, war vorauszusetzen, dass sie versuchen würde, das landgräfliche Amt in eine Herrschaft umzuwandeln, die freien Schwyzer zu Untertanen zu machen. Das Beispiel von Uri wies den Schwyzern den Ausweg aus der sich bildenden Klammer: einzig die Reichsfreiheit gab Sicherheit vor der Unterwerfung unter eine Dynastie. Aus der anschwellenden Flut der Feudalität ragte der Kaiser als ein Fels der alten Volksfreiheit, er handhabte sein Zepter wie einen Zauberstab, mit dem er die Überschwemmung vor denen zum Stehen bringen konnte, die sich ihm ergaben, und die er annahm. Würde er die Männer von Schwyz begnaden, Friedrich II., der Rätselhafte, der Schreckliche, der eben seine ganze Kraft aufbot, um den Papst zu vernichten? In diesem Kampf, der das Abendland erschütterte, erspähten die aufmerksam beobachtenden Männer von Schwyz einen Anlass. Graf Rudolf von Habsburg-Laufenburg nämlich, der die Landgrafschaft innehatte, stellte sich auf die Seite des Papstes, wurde somit Feind des Kaisers, der gern dazu beitragen würde, den Abtrünnigen zu schwächen. Man weiß nicht, wie die Männer hießen, die den schicksalvollen Weg über das Gebirge antraten, um dem Kaiser ihr Anliegen vorzutragen. Es ist anzunehmen, dass sie vorher sich mit denen von Uri besprachen; dann stiegen sie mit festen langen Schritten die Schöllenen hinauf, an der tobenden Reuß entlang, über die stiebende Brücke, die seit einer Reihe von Jahren den Felsen umging, den jetzt das Urner Loch durchbohrt, und über den wilden Gotthard zum Süden hinunter. Vor Faenza fanden sie den Kaiser. Staunend betrachteten sie wohl die Mauern, die der Gewaltige hatte aufrichten lassen, um die tapfer sich wehrende Stadt abzusperren, die nie gesehenen Belagerungswerke und Untergrabungen, mit denen er ihr zusetzte. Vielleicht sahen sie die siebzig Leichen der Bürger von Faenza, die er im Angesicht der Stadt zur Drohung hatte aufhängen lassen. Inmitten der Schrecken hatten die von Schwyz Glück: Friedrich anerkannte ihre Reichsfreiheit, versprach ihnen seinen Schutz und die Fülle seiner Gnade, und dass er sie niemals dem Reich entfremden werde. Leichteren Herzens als sie abgereist waren, kehrten sie zurück, die Urkunde in der Hand, die ihnen verbriefte, was ihnen teurer als ihr Leben war, die Freiheit. Indessen wussten sie wohl, die politisch sehr gewitzigt waren, dass die Urkunde allein ihnen die Freiheit nicht sicherte. Zum Siegel des Kaisers, der wie eine Schachfigur bald auf diesem, bald auf jenem Brette stand, musste das Siegel des Blutes kommen, damit sie gültig werde.
Im Lager des Kaisers vor Faenza befand sich einer von seinen treuesten Vasallen, Graf Rudolf von Habsburg, damals, 1240, 22 Jahre alt, der Friedrichs Patenkind und ihm fast wie ein Sohn ergeben war. Er war der Neffe des Grafen Rudolf, der Landgraf im Zürichgau war, gegen dessen Interesse der Freiheitsbrief sich richtete, den die Schwyzer davontrugen; wenn er davon erfuhr, hielt ihn wohl die Ehrfurcht vor seinem kaiserlichen Herrn von einer Äußerung über die Angelegenheit zurück, die ihn im Augenblick nicht anging. Sein Oheim hingegen, Graf Rudolf der Ältere, erkannte das Geschehene nicht an, forderte vielmehr den Papst auf, alle diejenigen in den Oberen Landen, die sich dem Kaiser angeschlossen hätten, darunter Schwyz und Unterwalden, mit dem Banne zu belegen. In dieser Zeit allgemeinen Aufruhrs schwuren Männer von Schwyz und Uri, vielleicht auch solche von Unterwalden und Luzern, in einem etwaigen Kampfe um ihre Freiheit einander beizustehen, einer für alle, alle für einen. Nicht die Geschichte und nicht einmal die Sage meldet von diesem Schwur, man schließt aus dem, der später vollzogen wurde, auf einen, der ihm voranging. Es kann ihm kein Denkmal gesetzt werden, er ist an keine Stätte gebannt, er ist der Geist der Freiheit, der das hochgetürmte Land wie mit undurchdringlichen Flammen umgürtete.
Im Lande Unterwalden gab es wenig freie Leute, die meisten waren den Klöstern Murbach und Engelberg untertänig, deren Vögte die Habsburger waren. Sie bildeten infolgedessen keine Markgenossenschaft; was sie einigte, war die Gerichtshoheit der Vögte, denen sie gemeinsam unterstanden, und die geografische Nachbarschaft. Der Ort Luzern gehörte dem Kloster Murbach im Elsaß; auch dort gab es eine Partei, die Anschluss an den Kaiser suchte.
Fünf Jahre nachdem Friedrich II. den Schwyzern den Freiheitsbrief ausgestellt hatte, starb er; es folgte der Sturz der Staufer, der Sturz des Kaisertums. Jahre hindurch gab es keinen höchsten Richter mehr im Reiche, der Quell des Rechtes hörte auf zu fließen. Als dann im Jahre 1273 die Kurfürsten wieder einen König wählten, der allgemein anerkannt wurde, war das Ergebnis für die Orte im Oberen Lande Schwaben unheilvoll; König wurde der Graf von Habsburg, sodass nun der Dynast, dessen Machtstreben Schwyz und Uri sich entziehen wollten, und der Oberherr, bei dem sie vor ihm Schutz suchten, eine Person waren. Würde Rudolf, derselbe, der im Lager vor Faenza war, als Friedrich den Schwyzern die Reichsunmittelbarkeit verbriefte, ihnen gegenüber der Landgraf und Vogt oder würde er der König sein? Rudolf, der, bevor er König wurde, im Solde Straßburgs stand und auch als König den Städten manche Gunst erwies, war kein Despot und kein Eroberer; es war, obwohl es ihm an Zügen der Größe nicht fehlte, etwas Bürgerliches in seiner Natur, etwas von der bedächtig scharrenden Methode des Krämers in der Art, wie er seine Hausmacht ausbaute. Dass er es tat, war richtig, ohne einen sicheren Punkt unter den Füßen konnte er das königliche Amt nicht ausüben, und es war selbstverständlich, dass er die Gegend zu einem habsburgischen Reiche erweitern wollte, wo er bereits Güter und Rechte besaß. Dies Land war, scheinbar arm mit seinen Felsen, die kaum Ziegen ernährten, von unermesslicher Wichtigkeit als Zugang zur Gotthardstraße, die seit der Errichtung der stiebenden Brücke zu einem der meistbegangenen Pässe nach Italien wurde, wichtig für den König wegen seiner Beziehungen zur Lombardei und zu Rom, aber auch für jeden anderen Fürsten, der sich an den Zöllen des Handelsweges bereichern konnte. Als ein ehrenhafter Mann ging Rudolf nicht gewalttätig, nicht räuberisch vor: den Freiheitsbrief der Urner erkannte er förmlich an. Anders stellte er sich zu den Schwyzern, indem er überhaupt im Reiche den Grundsatz aufgestellt hatte, nur die Urkunden Kaiser Friedrichs aus der Zeit, bevor er im Banne war, gelten zu lassen. Trotzdem hinderte er nicht, dass die Schwyzer sich wie ein Reichsland selbst durch Landammänner verwalteten und ein eigenes Siegel führten. Ebensowenig griff er in die inneren Verhältnisse von Unterwalden ein. Dennoch breitete sich seine Macht allmählich aus, und er rückte den geängstigten Orten näher und näher. Die Besitzungen der Habsburg-Laufenburger Linie gingen auf ihn über, auch die Kiburger beerbte er, und am Ende des Lebens glückte ihm noch ein bedeutender Fang, indem er dem Kloster Murbach die zwischen Zürich und dem Gotthard gelegene Stadt Luzern abkaufte, in deren Nähe er bereits Besitzungen hatte. Als Rudolf am 12. Juli 1291 starb, atmeten die freiheitsliebenden Leute in den Oberen Landen auf, wie wenn eine Lawine, die sich auf sie herabzuwälzen schien, plötzlich abseits in einen Abgrund gestürzt wäre. Alle, die sich bedroht fühlten, eilten Bündnisse zu schließen; im August, nach der Überlieferung war es der erste, traten Männer von Uri, Schwyz, Unterwalden zusammen, um den Schwur zu erneuern, den sie früher in der Not geschworen hatten, einen Schwur, der ihre Personen nicht nur, sondern die Länder, die sie vertraten, auf ewige Zeit zu einer Genossenschaft verbinden sollte. Man kann annehmen, dass ein Herr von Attinghausen von Seiten Uris und ein Stauffacher von seiten der Schwyzer dabei waren, denn diese Namen erscheinen immer als diejenigen, die die Geschicke ihrer Länder leiteten. Sie verleugneten nicht den Charakter germanischer freier Bauern: ungestüm tapfer, wenn es zum Kämpfen kam, waren sie vorsichtig zurückhaltend in der Verantwortung des vorbereitenden Handelns, ganz und gar konservativ in der Gesinnung. Die ehrwürdige Urkunde, die die Bedingungen der Schwurgenossenschaft festsetzt, nennt den Feind nicht geradezu, gegen den sie sich richtet; es sollen, heißt es, die Rechtszustände wiederhergestellt werden, wie sie vor König Rudolfs Zeit waren. Das Wesentliche war der enge Zusammenschluss der Schwurgenossen: ihre Streitigkeiten sollen von einem Schiedsgericht entschieden werden. Die bestehenden Herrschaftsverhältnisse sollen nicht angetastet werden; die freien Männer von Schwyz und Uri hatten Hörige, wer Knecht war, sollte auch künftig Knecht bleiben. Was für bewundernswerte Politiker diese Bergbewohner waren, bewiesen sie einige Monate später, als sie den Kreis ihrer Bestrebungen durch einen kühnen Schritt erweiterten und mit der Stadt Zürich ein Bündnis abschlossen. Es war eins der vielen Bündnisse, die im Reich geschlossen wurden, bald auf ein Jahr, bald auf mehrere Jahre, die vorübergehenden Zwecken dienten und ohne Folgen blieben; aber es war einzig als Bündnis zwischen Bauernschaften und einer Stadt, als der Keim eines Staates, der im Abendlande ohnegleichen war.