Loe raamatut: «Das Gehirn eines Buddha»
RICK HANSON &
RICHARD MENDIUS
Das Gehirn eines Buddha
Die angewandte Neurowissenschaft
von Glück, Liebe und Weisheit
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt
von Christine Sadler
Arbor VerlagFreiburg im Breisgau |
© 2009 Rick Hanson
© 2010 der deutschen Ausgabe: Arbor Verlag GmbH, Freiburg
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel:
Buddhas Brain – the practical neuroscience of happiness, love & wisdom, New Harbinger.
Alle Rechte vorbehalten
E-Book 2017
Titelfoto: © 2010 Janna Pham
Lektorat: Lothar Scholl-Röse
Gestaltung: Anke Brodersen
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.arbor-verlag.de
ISBN E-Book: 978-3-86781-193-4
Wichtiger Hinweis
Die Ratschläge zur Selbstbehandlung in diesem Buch sind von den Autoren und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft worden. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Bei ernsthafteren oder länger anhaltenden Beschwerden sollten Sie auf jeden Fall einen Arzt oder einen Heilpraktiker Ihres Vertrauens zu Rate ziehen. Eine Haftung der Autoren oder des Verlages für Personen-, Sach-, und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.
Inhalt
Vorwort
Zum Geleit
Einleitung
KAPITEL 1 Das sich selbst transformierende Gehirn
TEIL EINS Die Ursachen des Leidens
KAPITEL 2 Die Evolution des Leidens
KAPITEL 3 Der erste und der zweite Pfeil
TEIL ZWEI Glück
KAPITEL 4 Das Gute in sich aufnehmen
KAPITEL 5 Die Feuer kühlen
KAPITEL 6 Starke Absichten
KAPITEL 7 Gleichmut
TEIL DREI Liebe
KAPITEL 8 Zwei Wölfe im Herzen
KAPITEL 9 Mitgefühl und Durchsetzungsstärke
KAPITEL 10 Grenzenlose Güte
TEIL VIER Weisheit
KAPITEL 11 Grundlagen der Achtsamkeit
KAPITEL 12 Glückselige Konzentration
KAPITEL 13 Das Selbst lockern
Anhang
Neurochemie und Ernährung
Über die Autoren
Danksagungen
Literaturverzeichnis
Vorwort
Das Gehirn eines Buddha lädt Sie dazu ein, von der Konzentration Ihres Geistes Gebrauch zu machen, um die Kraft der Aufmerksamkeit dafür zu nutzen, Ihr Leben und Ihre Beziehungen zu anderen zu verbessern. Durch die Verbindung uralter Erkenntnisse aus der in den buddhistischen Traditionen wurzelnden kontemplativen Praxis mit modernen Entdeckungen auf dem Gebiet der Neurowissenschaft haben Rick Hanson und Richard Mendius einen zum Nachdenken anregenden und praktischen Ratgeber zusammengestellt, der Sie Schritt für Schritt durch das Erwachen Ihres Geistes begleitet.
Eine revolutionäre wissenschaftliche Entdeckung hat kürzlich gezeigt, dass das erwachsene Gehirn die gesamte Lebensdauer hindurch offen für Veränderungen bleibt. Obwohl viele Gehirnforscher in der Vergangenheit behauptet haben, der Geist sei nur die Aktivität des Gehirns, können wir die Verbindung zwischen diesen zwei Dimensionen unseres Lebens nun aus einer anderen Perspektive betrachten. Wenn wir den Geist als einen verkörperten und relationalen Prozess ansehen, der den Energie- und Informationsfluss reguliert, erkennen wir, dass wir den Geist tatsächlich nutzen können, um das Gehirn zu verändern. Die simple Wahrheit ist die, dass die Art und Weise, wie wir unsere Aufmerksamkeit konzentrieren, wie wir bewusst den Energie- und Informationsfluss durch unsere neuronalen Schaltkreise leiten, direkt die Aktivitäten sowie die Struktur des Gehirns ändern kann. Der Schlüssel liegt im Kennen der Schritte, die uns dahin führen, unser Gewahrsein auf Arten und Weisen zu nutzen, die das Wohlbefinden fördern.
Mit dem Wissen, dass der Geist relational ist und das Gehirn das soziale Organ des Körpers, gelangen wir auch zu einer weiteren neuen Sichtweise: Unsere Beziehungen zueinander sind kein beiläufiger Teil unseres Lebens; sie sind grundlegend dafür, wie unser Geist funktioniert, und ein wesentlicher Aspekt der Gehirngesundheit. Unsere sozialen Verbindungen miteinander prägen die neuronalen Verbindungen, welche die Struktur unseres Gehirns bilden. Dies bedeutet, dass die Art, wie wir kommunizieren, den Schaltkreis unseres Gehirns ändert, vornehmlich auf Arten und Weisen, die dazu beitragen, unser Leben im Gleichgewicht zu halten. Die Wissenschaft bestätigt weiterhin, dass wir uns, wenn wir in unserem Leben Mitgefühl und achtsames Gewahrsein kultivieren – wenn wir Urteile loslassen und unsere volle Aufmerksamkeit der Gegenwart widmen –, die sozialen Schaltkreise des Gehirns zunutze machen, um uns in die Lage zu versetzen, sogar unsere Beziehung zu unserem eigenen Selbst zu transformieren.
Für den vorliegenden Ratgeber, der aufzeigt, wie man diese positiven Veränderungen bewusst in sich selber erzeugt, haben die Autoren über zweitausend Jahre hinweg entwickelte buddhistische Übungen und neue Einblicke in die Funktionsweise des Gehirns miteinander verflochten. Die heutige Zeit veranlasst uns häufig dazu, den Autopiloten einzuschalten, laufend mehrere Arbeiten parallel zu erledigen und uns mit digitaler Stimulation, Informationsüberflutung und Terminplänen, die unser Gehirn belasten und uns überfordern, beschäftigt zu halten. In diesem Chaos innezuhalten, ist zu einem dringenden Bedürfnis geworden, das zu befriedigen sich nur wenige von uns die Zeit nehmen. Mit Das Gehirn eines Buddha sind wir dazu aufgefordert, tief Luft zu holen und die neuronalen Gründe zu betrachten, warum wir unser Tempo verlangsamen, unser Gehirn ins Gleichgewicht bringen und unsere Beziehungen zueinander und zu unserem Selbst verbessern sollten.
Die hier vorgestellten Übungen basieren auf Praktiken, von denen wissenschaftlich erwiesen ist, dass sie positive Auswirkungen haben: Sie prägen unsere innere Welt, indem sie uns konzentrierter, belastbarer und einfallsreicher machen. Diese etablierten Schritte erhöhen zudem unsere Empathie mit anderen und weiten unseren Kreis des Mitgefühls und der Fürsorge in die durch Vernetzung gekennzeichnete Welt, in der wir leben, hinein aus. Die in dem Ansatz, unseren Geist zu nutzen, um mit Hilfe dieser Praktiken unser Gehirn zu ändern, liegende Verheißung ist die, dass wir Augenblick für Augenblick, eine Person und eine Beziehung zurzeit, die Schaltkreise der Güte und des Wohlbefindens aufbauen. Was wollen wir mehr? Und welcher Zeitpunkt könnte besser geeignet sein als der jetzige, um hiermit zu beginnen?
DANIEL J. SIEGEL
Autor von Das achtsame Gehirn
Los Angeles, Kalifornien
Juni 2009
Zum Geleit
Mit Das Gehirn eines Buddha bieten Rick Hanson und Richard Mendius uns einen wunderbar klaren und praktischen Zugang zu den wesentlichen Weisheitslehren des Buddha. Unter Verwendung der aktuellen Sprache wissenschaftlicher Forschung laden sie den Leser dazu ein, sich den Geheimnissen des Geistes zu öffnen, und liefern ein modernes Verständnis der uralten, tiefgründigen Lehren der Praxis der inneren Meditation. Das Gehirn eines Buddha verflicht diese klassischen Lehren geschickt mit den revolutionären Erkenntnissen der Neurowissenschaft, die begonnen hat, das Vorhandensein der menschlichen Fähigkeiten zu Achtsamkeit, Mitgefühl und Selbstregulierung – die für das kontemplative Training von zentraler Bedeutung sind – zu bestätigen.
Beim Lesen dieses Buches werden Sie sowohl etwas über die Gehirnforschung lernen als auch über praktische Wege, wie Sie von innen heraus Ihr Wohlbefinden verbessern, Leichtigkeit und Mitgefühl entwickeln und Leiden verringern können. Vorgestellt werden weise neue Perspektiven des Lebens und die biologischen Grundlagen für das Fördern der Weisheitsentwicklung. Diese Kapitel werden Ihnen helfen, die Funktionsweise des Geistes und die neurologischen Wurzeln von Glück, Empathie und wechselseitiger Abhängigkeit besser zu verstehen.
Die einem jeden Kapitel zugrunde liegenden Lehren – die Edlen Wahrheiten, die Grundlagen der Achtsamkeit und die Entwicklung von Tugend, Liebender Güte, Vergebungsbereitschaft und innerem Frieden – sind eindeutig und direkt und gehen mit der vom Buddha bekannten, mit offenen Händen ausgegebenen Einladung an jeden einher, sie individuell für sich selber zu verstehen. Die diesen Lehren folgenden Übungen sind ebenfalls klar und authentisch. Sie bieten im Wesentlichen dasselbe Training, das Sie in einem Meditationstempel erhalten würden.
Ich habe gesehen, wie Rick und Richard diese Lehren weitergeben, und ich habe Hochachtung davor, wie positiv dies den Geist und das Herz derer beeinflusst, die kommen, um mit ihnen zu üben.
Mehr denn je muss die menschliche Welt Wege finden, um Liebe, Verständnis und Frieden aufzubauen – in individueller Hinsicht wie im globalen Maßstab.
Mögen diese Worte einen Beitrag zu diesem entscheidenden Bestreben leisten.
Segenswünsche,
JACK KORNFIELD
Spirit Rock Center
Woodacre, Kalifornien
Juni 2009
Einleitung
In diesem Buch geht es darum, wie man in das Innere seines Gehirns vordringt, um mehr Glück, Liebe und Weisheit zu erzeugen. Es untersucht die in der Geschichte beispiellose Schnittstelle von Psychologie, Neurologie und kontemplativer Praxis, um zwei Fragen zu beantworten:
• Welche Gehirnzustände liegen den Geisteszuständen Glück, Liebe und Weisheit zugrunde?
• Wie können Sie Ihren Geist nutzen, um diese positiven Gehirnzustände zu stimulieren und zu stärken?
Das Ergebnis ist ein praktisches Handbuch über Ihr Gehirn, gefüllt mit Werkzeugen, die Sie nutzen können, um es Schritt für Schritt zum Besseren hin zu verändern.
Richard ist Neurologe und ich bin Neuropsychologe. Zwar habe ich den größten Teil dieses Texts geschrieben, doch ist Richard seit langer Zeit mein Kollege und Lehrpartner; seine in dreißig Jahren Tätigkeit als Arzt erworbenen Kenntnisse über das Gehirn haben Eingang in diesen Text gefunden. Gemeinsam haben wir das Wellspring Institute for Neuroscience and Contemplative Wisdom gegründet; auf dessen Internetseite, www.wisebrain.org, finden sich viele Artikel, Vorträge und weitere Informationen (auf Englisch).
In diesem Buch lernen Sie wirksame Wege, mit schwierigen Geisteszuständen umzugehen, einschließlich Stress, Niedergeschlagenheit, Ablenkbarkeit, Beziehungsproblemen, Angst, Sorge und Wut. Unser Hauptaugenmerk aber liegt auf positivem Wohlbefinden, auf psychologischem Wachstum und auf spiritueller Praxis. Über Tausende von Jahren haben kontemplative Menschen – die Olympiaathleten des geistigen Trainings – das Gehirn studiert. In diesem Buch nehmen wir die uns am besten bekannte kontemplative Tradition – den Buddhismus – und wenden sie auf das Gehirn an, um neuronale Wege zu Glück, Liebe und Weisheit aufzuzeigen. Niemand kennt die vollständige Natur des Gehirns eines Buddha oder irgendeiner anderen Person. Worüber aber zunehmend Kenntnis herrscht, ist die Art und Weise, wie sich die neuronalen Grundlagen froher, mitfühlender und zutiefst einsichtiger Geisteszustände stimulieren und stärken lassen.
Wie man dieses Buch benutzt
Sie benötigen keinerlei Vorkenntnisse in den Bereichen Neurowissenschaft, Psychologie oder Meditation, um dieses Buch zu benutzen. Es verflicht Informationen und Methoden miteinander – gleich einer Bedienungsanleitung für Ihr Gehirn, die mit einem Werkzeugkasten kombiniert ist – und Sie finden für sich die Werkzeuge, die für Sie am besten funktionieren.
Weil das Gehirn faszinierend ist, präsentieren wir Ihnen jede Menge Information über den aktuellen Stand der Forschung zu diesem Organ, einschließlich zahlreicher Quellenangaben für den Fall, dass Sie die diesbezüglichen Untersuchungen selber nachlesen möchten. (Um aber zu vermeiden, dass aus diesem Buch ein Lehrbuch wird, haben wir die Erklärungen der neuronalen Aktivitäten vereinfacht dargestellt und uns auf deren wesentliche Merkmale konzentriert.) Falls Sie hingegen mehr an praktischen Methoden interessiert sind, können Sie sich darauf beschränken, die Abschnitte mit wissenschaftlichen Informationen lediglich zu überfliegen. Weil die Psychologie und die Neurologie beide so junge Wissenschaften sind, gibt es natürlich vieles, was sie noch nicht verstehen. Deshalb haben wir gar nicht den Versuch einer allumfassenden Darstellung unternommen. Vielmehr waren wir opportunistisch und haben uns auf solche Methoden konzentriert, bei denen es eine plausible wissenschaftliche Erklärung dafür gibt, wie sie unsere neuronalen Netzwerke der Zufriedenheit, der Güte und des Friedens aktivieren.
Zu diesen Methoden gehören einige geleitete Meditationen. Die Anweisungen zu diesen sind bewusst locker gehalten und beinhalten häufig eine Sprache, die eher poetisch und evokativ ist als beschränkt und konkret. Sie können auf unterschiedliche Weise an diese Anweisungen herangehen: Sie können sie einfach nur lesen und über sie nachdenken; Sie können Teile von ihnen in die meditativen Übungen einfließen lassen, die Sie bereits durchführen; Sie können sie gemeinsam mit einem Freund oder einer Freundin durcharbeiten; oder Sie können sie auf Band oder CD aufnehmen und alleine ausführen. Die Anweisungen sind lediglich Anregungen; legen Sie zwischen ihnen so lange Pausen ein, wie Sie möchten. Es gibt keine falsche Art, eine Meditation auszuführen – die richtige Art ist die, die sich für Sie richtig anfühlt.
Ein warnender Hinweis: Dieses Buch dient nicht als Ersatz für professionelle Hilfe und bietet keine Behandlungsmethode für irgendwelche geistigen oder körperlichen Leiden. Bei unterschiedlichen Menschen funktionieren unterschiedliche Dinge. Bisweilen verursacht eine Methode möglicherweise unangenehme Gefühle, insbesondere, wenn Sie eine traumatische Vorgeschichte haben. Zögern Sie nicht, eine Methode zu übergehen, sie mit einem Freund oder einer Freundin (oder einem Berater bzw. einer Beraterin) zu diskutieren, sie abzuwandeln oder fallen zu lassen. Seien Sie gut zu sich selber.
Zu guter Letzt: Wenn ich eine Sache sicher weiß, dann die, dass Sie in Ihrem Geist kleine Dinge tun können, die zu großen Veränderungen in Ihrem Gehirn und in Ihrer Erfahrung des Lebens führen. Ich habe dies immer und immer wieder bei Menschen gesehen, die ich als Psychologe oder als Meditationslehrer kennengelernt habe, und ich habe es auch an meinen eigenen Gedanken und Gefühlen gesehen. Man kann seinem gesamten Sein wirklich jeden Tag in eine bessere Richtung verhelfen.
Wenn Sie Ihr Gehirn verändern, verändern Sie Ihr Leben.
KAPITEL 1
Das sich selbst transformierende Gehirn
Mit ihren grundlegenden Aktivitäten führen Gehirne
in sich selbst Veränderungen herbei.
Marvin L. Minsky
Wenn sich Ihr Geist verändert, verändert sich auch Ihr Gehirn. Aus dem Werk des Psychologen Donald Hebb stammt der Satz: Wenn Zellen gemeinsam feuern, verdrahten sie sich – geistige Aktivität erzeugt in der Tat neue neuronale Strukturen (Hebb 1949; LeDoux 2003). Deshalb können selbst flüchtige Gedanken und Gefühle in Ihrem Gehirn nachhaltige Spuren hinterlassen, ganz so, wie ein Frühlingsregen auf einem Hang kleine Spuren hinterlassen kann.
Beispielsweise entwickeln Taxifahrer in London – deren Tätigkeit das Sichmerken zahlreicher kurvenreicher Straßen erfordert – einen größeren Hippocampus (eine für die Schaffung visuell-räumlicher Erinnerungen wesentliche Gehirnregion), da dieser Teil ihres Gehirns ein Extratraining erhält (Maguire et al. 2000). Wenn Sie ein glücklicherer Mensch werden, nimmt die Aktivität der linken Frontalregion Ihres Gehirns zu (Davidson 2004).
Was durch Ihren Geist strömt, formt Ihr Gehirn. Folglich können Sie Ihren Geist dazu nutzen, Ihr Gehirn zu verbessern – was Ihrem gesamten Dasein und jeder anderen Person, mit deren Leben Sie in Berührung kommen, zugutekommt.
Dieses Buch will Ihnen zeigen, wie. Sie werden lernen, was das Gehirn tut, wenn der Geist glücklich, liebend und weise ist. Und Sie werden viele Wege lernen, diese Gehirnzustände zu aktivieren und sie dabei jedes Mal ein wenig zu stärken. Hierdurch werden Sie die Fähigkeit erlangen, Ihr Gehirn allmählich – von innen nach außen – neu zu vernetzen: für größeres Wohlbefinden, mehr Erfüllung in Ihren Beziehungen und größeren inneren Frieden.
Ihr Gehirn – einige grundlegende Fakten
• Ihr Gehirn besteht aus drei Pfund tofuähnlichem Gewebe, das 1,1 Billionen Zellen enthält, darunter 100 Milliarden Neurone. Jedes Neuron empfängt im Schnitt etwa fünftausend Verbindungen, sogenannte Synapsen, von anderen Neuronen (Linden 2007).
• An seinen empfangenden Synapsen erhält ein Neuron Signale – normalerweise in Form von einer Salve an chemischen Stoffen, die Neurotransmitter genannt werden – von anderen Neuronen. Signale sagen einem Neuron entweder, dass es feuern, oder, dass es nicht feuern soll; ob es feuert, hängt in erster Linie von der Kombination an Signalen ab, die es jeden Moment empfängt. Im Gegenzug sendet ein Neuron, wenn es feuert, mittels seiner sendenden Synapsen Signale zu anderen Neuronen und weist sie damit an, zu feuern oder nicht zu feuern.
• Ein typisches Neuron feuert 5- bis 50-mal in der Sekunde. In der Zeit, die Sie brauchen, um die Stichpunkte in diesem Kasten zu lesen, durchqueren in der Tat Billiarden von Signalen Ihren Kopf.
• Jedes neuronale Signal ist ein Stückchen Information; so wie Ihr Herz Blut hin- und herschickt, schickt Ihr Nervensystem Information hin und her. Es ist all diese Information, die wir grob als den Geist definieren; das meiste davon liegt für immer außerhalb Ihres Gewahrseins. In unserer Verwendung des Begriffs gehören zum „Geist“ die Signale, welche die Stressreaktion regulieren, das Wissen, wie man Rad fährt, persönliche Neigungen, Hoffnungen und Träume sowie die Bedeutung der Worte, die Sie hier lesen.
• Ihr Gehirn ist hauptzuständig für die Regung und Prägung des Geistes. Es ist so beschäftigt, dass es, obwohl es nur 2 Prozent des Körpergewichts ausmacht, 20 bis 25 Prozent der dem Körper zur Verfügung stehenden Sauerstoff- und Glukosemenge verbraucht (Lammert 2008). Gleich einem Kühlschrank ist es ständig am Summen und verrichtet seine Funktionen; infolgedessen verbraucht es immer ungefähr die gleiche Menge an Energie, egal, ob Sie tief schlafen oder scharf nachdenken (Raichle und Gusnard 2002).
• Die Zahl möglicher Kombinationen aus 100 Milliarden feuernder oder nicht feuernder Neuronen ist ungefähr 10 hoch eine Million oder, anders ausgedrückt, eine 1 mit einer Million Nullen hintendran; dies ist die Zahl der möglichen Zustände Ihres Gehirns. Um die Größe dieser Menge zu verdeutlichen: Die Zahl an Atomen im Universum wird „nur“ auf etwa 10 hoch 80 geschätzt.
• Bewusste mentale Ereignisse basieren auf vorübergehenden Synapsenverbindungen, die sich bilden und auflösen – gewöhnlich innerhalb von Sekunden – wie Strudel in einem Fluss (Rabinovich, Huerta und Laurent 2008). Neurone können auch dauerhafte Schaltkreise bilden und ihre Verbindungen untereinander infolge geistiger Aktivität stärken.
• Das Gehirn funktioniert als Gesamtsystem; folglich ist es normalerweise eine Vereinfachung, wenn eine seiner Funktionen – wie Aufmerksamkeit oder Emotion – lediglich mit einem seiner Teile in Verbindung gebracht wird.
• Ihr Gehirn interagiert mit anderen Systemen in Ihrem Körper – die wiederum mit der Welt interagieren – und wird zusätzlich auch vom Geist geprägt. Im weitesten Sinne wird Ihr Geist durch Ihr Gehirn, Ihren Körper, die natürliche Welt und die menschliche Kultur sowie durch den Geist selber gebildet (Thompson and Varela 2001). Wir vereinfachen die Dinge, wenn wir das Gehirn als die Basis des Geistes bezeichnen.
• Der Geist und das Gehirn interagieren so tief greifend miteinander, dass sie am besten als ein einziges, koabhängiges Geist-/Gehirnsystem gesehen werden.
Eine beispiellose Gelegenheit
So wie das Mikroskop die Biologie revolutioniert hat, haben in den letzten Jahrzehnten neue Forschungsgeräte wie der funktionelle Magnetresonanztomograf für einen ernormen Zuwachs der wissenschaftlichen Kenntnisse über den Geist und das Gehirn gesorgt. Als Folge davon haben wir heute viel mehr Möglichkeiten, im täglichen Leben glücklicher und erfolgreicher zu werden.Unterdessen ist das Interesse an den kontemplativen Traditionen angewachsen, deren Anhänger seit Tausenden von Jahren den Geist – und folglich das Gehirn – untersuchen; sie haben das System Geist/Gehirn genügend zur Ruhe gebracht, um sein leisestes Gemurmel zu bemerken, und ausgeklügelte Wege entwickelt, um es zu transformieren. Wenn man in irgendetwas gut werden möchte, ist es hilfreich, sich mit den Menschen zu beschäftigen, die die entsprechende Fertigkeit bereits beherrschen, zum Beispiel mit Spitzenköchen im Fernsehen, wenn man gerne kocht. Falls Sie also gerne mehr Glück, innere Stärke, Klarheit und Frieden verspüren möchten, ist es sinnvoll, von denen zu lernen, die kontemplative Techniken praktizieren – sowohl von engagierten Laienpraktizierenden als auch von Mönchen – und wirklich die Kultivierung dieser Eigenschaften betrieben haben. Mag „kontemplativ“ auch exotisch klingen, waren Sie doch, falls Sie jemals meditiert oder gebetet oder einfach nur mit einem Gefühl des Staunens die Sterne betrachtet haben, selber bereits kontemplativ. Es gibt viele kontemplative Traditionen auf der Welt, von denen die meisten mit den wichtigsten Religionen dieser Erde im Zusammenhang stehen, darunter das Christentum, das Judentum, der Islam, der Hinduismus und der Buddhismus. Von diesen hat die Wissenschaft sich am meisten mit dem Buddhismus auseinandergesetzt. Wie die Wissenschaft ermuntert der Buddhismus die Menschen dazu, nichts einfach nur zu glauben, und er erfordert keinen Glauben an Gott. Er besitzt auch eine detaillierte Vorstellung vom Geist, die sich gut auf die Psychologie und Neurologie übertragen lässt. Infolgedessen stützen wir uns, mit großer Achtung vor anderen kontemplativen Traditionen, vor allem auf buddhistische Sichtweisen und Methoden.
Wir haben in den letzten zwanzig Jahren wahrscheinlich mehr über das Gehirn gelernt als in der gesamten bisherigen Geschichte.
Alan Leshner
Alles Geringere als eine kontemplative Sicht des Lebens ist ein beinah sicheres Programm zum Unglücklichsein.
Pater Thomas Keating
Stellen Sie sich eine jede dieser Disziplinen – Psychologie, Neurologie und kontemplative Praxis – als einen Kreis vor (Abbildung 1). Zwar beginnen sich die vielversprechenden Auswirkungen der im Zentrum dieser drei Kreise stattfindenden Entdeckungen gerade erst zu zeigen, doch haben Wissenschaftler, Kliniker und Kontemplative bereits eine Menge über die Gehirnzustände gelernt, die gesunden Geisteszuständen zugrunde liegen, sowie darüber, wie sich diese Gehirnzustände aktivieren lassen. Diese bedeutenden Entdeckungen geben Ihnen eine große Fähigkeit, Ihren eigenen Geist zu beeinflussen. Sie können diese Fähigkeit nutzen, um Leid oder Funktionsstörungen jeder Art zu verringern, Ihr Wohlbefinden zu erhöhen und die spirituelle Praxis zu fördern. Dieses sind die zentralen Aktivitäten des Weges, der als Pfad des Erwachens bezeichnet werden könnte, und unser Ziel besteht darin, die Gehirnforschung dafür zu nutzen, Ihnen zu helfen, auf diesem Pfad gut und weit voranzukommen.
Abb. 01 Die Schnittstelle dreier Disziplinen
Kein Buch kann Ihnen das Gehirn eines Buddha geben, aber durch das bessere Verständnis des Geistes und des Gehirns von Menschen, die einen weiten Weg auf diesem Pfad zurückgelegt haben, können Sie deren Qualitäten Frohsinn, Mitgefühl und Einsicht verstärkt auch in Ihrem eigenen Geist und Gehirn entwickeln.
Die geschichte der Wissenschaft ist reich an Beispielen dafür, wie fruchtbar es ist, zwei Sätze an Techniken, zwei Sätze an Ideen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen im Streben nach neuer Wahrheit entwickelt wurden, miteinander in Berührung zu bringen.
J. Robert Oppenheimer
Das erwachende Gehirn
Richard und ich glauben beide, dass beim Geist, beim Bewusstsein und beim Pfad des Erwachens etwas Transzendentales mitspielt – nennen Sie es Gott, den Heiligen Geist, die Buddhanatur, den Seinsgrund, oder benennen Sie es gar nicht. Was immer es ist, per Definition liegt es jenseits des physischen Universums. Da es sich weder auf die eine noch auf die andere Art beweisen lässt, ist es wichtig, es als eine Möglichkeit anzuerkennen. Dies steht im Einklang mit dem Geist der Wissenschaft.
Abgesehen davon zeigen immer mehr Studien, wie stark der Geist vom Gehirn abhängig ist. Wenn sich beispielsweise in der Kindheit das Gehirn entwickelt, entwickelt sich auch der Geist; ist das Gehirn jemals beschädigt, gilt dasselbe auch für den Geist. Feine Veränderungen in der Chemie des Gehirns ändern die Stimmung, die Konzentration und die Erinnerung (Meyer und Quenzer 2004).Der Einsatz starker Magnete zur Unterdrückung des Emotionen verarbeitenden limbischen Systems verändert die Art, wie Menschen moralische Urteile fällen (Knoch et al. 2006).Selbst einige spirituelle Erfahrungen korrelieren mit neuronalen Aktivitäten (Vaitl et al. 2005).
Jeder Aspekt des Geistes, der nicht transzendental ist, muss sich auf die physischen Prozesse des Gehirns verlassen. Geistige Aktivität, ob bewusste oder unbewusste, leitet sich von neuronaler Aktivität ab, ganz so, wie ein Bild eines Sonnenuntergangs auf Ihrem Computerbildschirm sich von einem Muster magnetischer Ladungen auf Ihrer Festplatte ableitet. Abgesehen von potentiellen transzendentalen Faktoren ist das Gehirn die notwendige und nahezu ausreichende Bedingung für den Geist; es ist nur nahezu ausreichend, weil das Gehirn in ein größeres Netzwerk aus biologischen und kulturellen Ursachen und Bedingungen eingeschachtelt ist und selber vom Geist beeinflusst wird.
Natürlich weiß heute noch niemand genau, wie das Gehirn den Geist erzeugt oder – wie Dan Siegel es ausdrückt – der Geist das Gehirn benutzt, um den Geist zu bilden. Manchmal wird gesagt, die größten verbliebenen wissenschaftlichen Fragen seien die folgenden: Was verursachte den Urknall? Welches ist die große vereinheitlichte Theorie, die die Quantenmechanik und die allgemeine Relativitätstheorie integriert? Und: Welches ist die Beziehung zwischen Geist und Gehirn, insbesondere in Bezug auf die bewusste Erfahrung? Die letzte Frage steht hier gemeinsam mit den zwei anderen, da sie genauso schwer zu beantworten und genauso wichtig ist.
Um eine Analogie zu verwenden: Nach Kopernikus akzeptierten die meisten gebildeten Menschen die Theorie, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Aber keiner wusste, wie das eigentlich geschieht. Etwa 150 Jahre später erarbeitete Isaac Newton das Gravitationsgesetz, das zu erklären begann, wie die Erde um die Sonne kreist. Dann, nach weiteren 200 Jahren, entwickelte Einstein Newtons Erklärung mit Hilfe der allgemeinen Relativitätstheorie weiter. Es könnte noch 350 Jahre oder länger dauern, bis wir die Beziehung zwischen dem Gehirn und dem Geist vollkommen verstehen. In der Zwischenzeit aber ist der Satz Der Geist ist das, was das Gehirn tut eine vertretbare Arbeitshypothese.
Folglich bedeutet ein erwachender Geist auch ein erwachendes Gehirn. Die gesamte Geschichte hindurch haben sowohl unbesungene Männer und Frauen als auch große Lehrmeister bemerkenswerte Geisteszustände kultiviert, indem sie bemerkenswerte Gehirnzustände erzeugten. Wenn sich zum Beispiel erfahrene tibetische Praktizierende in tiefe Meditation versenken, produzieren sie äußerst starke und durchdringende Gamma-Gehirnwellen elektrischer Aktivität, die ungewöhnlich große Flächen neuronalen Territoriums synchron 30- bis 80-mal die Sekunde pulsieren lassen (Lutz et al. 2004) und dabei weite Bereiche des Geistes integrieren und vereinigen. Mit einer tiefen Verbeugung vor dem Transzendentalen bleiben wir also im Rahmen der westlichen Wissenschaft und sehen uns an, was die moderne Neuropsychologie – geprägt von der kontemplativen Praxis – im Hinblick auf wirksame Methoden zum Erleben größeren Glücks sowie größerer Liebe und Weisheit zu bieten hat.
Selbstverständlich ersetzen diese Methoden keine traditionellen spirituellen Praktiken. Sie brauchen kein EEG und keinen Doktortitel in Neurowissenschaften, um Ihre Erfahrungen und die Welt zu beobachten und ein glücklicherer und gütigerer Mensch zu werden. Aber zu verstehen, wie man sein Gehirn beeinflussen kann, kann sehr hilfreich sein, insbesondere für Menschen, die nicht die Zeit für intensive Praxis haben, wie sie etwa im Kloster stattfindet, wo rund um die Uhr, sieben Tage die Woche am Leben geschliffen und poliert wird.
Die Ursachen des Leidens
Gehört zum Leben auch viel Freude und Vergnügen, so beinhaltet es doch ebenfalls beträchtliches Unbehagen und Leid – der bedauerliche Nebeneffekt dreier Strategien, die sich herausgebildet haben, um Tieren, wir Menschen eingeschlossen, bei der Weitergabe ihrer Gene zu helfen. Was das bloße Überleben angeht, funktionieren diese Strategien hervorragend, jedoch führen sie auch zum Leiden (wir werden dies in den nächsten zwei Kapiteln eingehend untersuchen). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass immer dann, wenn es bei einer Strategie zu Schwierigkeiten kommt, unangenehme – bisweilen sogar quälende – Alarmsignale durch das Nervensystem pulsieren, um das Tier wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Nur kommt es jedes Mal zu Schwierigkeiten, da eine jede Strategie inhärente Widersprüche enthält, versucht das Tier doch:
• zu trennen, was eigentlich miteinander verbunden ist, um eine Grenze zwischen sich selbst und der Welt zu schaffen
• zu stabilisieren, was in ständiger Veränderung begriffen ist, um seine inneren Systeme innerhalb enger Grenzen zu halten
• an vergänglichen Freuden festzuhalten und unvermeidlichem Schmerz zu entfliehen, um sich Chancen zu nähern und Bedrohungen zu meiden
Die Nervensysteme der meisten Tiere sind nicht komplex genug, als dass sie es den Alarmsignalen der Strategien erlauben würden, zu beträchtlichem Leid anzuwachsen. Unser wesentlich stärker entwickeltes Gehirn aber ist ein fruchtbarer Boden für eine Ernte des Leidens. Nur wir Menschen machen uns Sorgen um die Zukunft, bedauern die Vergangenheit und machen uns Vorwürfe wegen der Gegenwart. Wir sind frustriert, wenn wir nicht bekommen können, was wir möchten, und enttäuscht, wenn zu Ende geht, was uns lieb ist. Wir leiden darunter, dass wir leiden. Wir regen uns darüber auf, dass wir Schmerzen haben, ärgern uns darüber, dass wir sterben, und sind traurig darüber, dass wir einen weiteren Morgen traurig erwachen. Diese Art des Leidens – das den größten Teil unseres Unglücklichseins und unserer Unzufriedenheit umfasst – wird durch unser Gehirn konstruiert. Es ist erfunden. Was zugleich ironisch und schmerzlich ist, aber auch Hoffnung macht.