Loe raamatut: «Die Kraft der Präsenz», lehekülg 5

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Aus Traum und Drama erwachen!

Ist es Ihnen schon einmal passiert, dass Sie mitten in der Nacht aufgewacht sind und sich Sorgen über etwas gemacht haben? Vielleicht über ein Problem bei der Arbeit oder über einen dummen Streit. Wahrscheinlich ist Ihr Verstand wie wild hin und her gesprungen, da jeder angstvolle Gedanke Sie an etwas erinnert hat, was wiederum einen neuen Anlass zur Sorge gab. Vielleicht haben Sie plötzlich über eine unangenehme Situation mit einem Verwandten nachgedacht oder Sie haben sich daran erinnert, wie abweisend ein Kollege bei der Arbeit zu Ihnen war, und nun fühlen Sie sich gekränkt und verärgert. Sicher haben Sie auch Gespräche in Ihrem Kopf immer wieder durchgespielt und es bedauert, bestimmte Dinge gesagt oder nicht gesagt zu haben, oder Sie haben sich innerlich Sätze zurechtgelegt, die Sie sagen wollen, wenn Sie das nächste Mal in eine solche Situation kommen … Fest steht in jedem Fall, dass die gedankliche Beschäftigung mit dem Thema Sie zusätzlich aufgewühlt hat.

Vielleicht sind Sie auch aufgewacht und haben sich Sorgen über Geld gemacht, über die Rechnungen, die sich auf Ihrem Schreibtisch türmen. Wie wollen Sie das nur packen? Womöglich führte das auch zu Gedanken über andere Leute, die mehr Geld haben als Sie oder die sich um Geld keine Gedanken machen müssen. Hat das Gefühl des Neids bewirkt, dass Sie sich noch hilfloser oder wütender oder noch stärker als Opfer gefühlt haben?

Da lagen Sie also und wälzten sich ruhelos im Bett herum, erschöpft von Ihren eigenen Gedanken und Emotionen. Außerdem war Ihnen bewusst, dass Sie am nächsten Tag so einiges zu erledigen hatten – und schon gesellte sich die Angst dazu, nicht mehr einschlafen zu können. Wie sollten Sie nur den nächsten Tag überstehen – ohne ausreichenden Schlaf? Und so entstand ein neuer Teufelskreis an Gedanken, der Sie in seine scheinbare Realität hineinzog …

Wenn Ihnen das, was ich hier beschrieben habe, bekannt vorkommt, sollten Sie sich deswegen nicht schlecht fühlen. Es ist einfach eine typische Reaktion des Ego, die einsetzt, wann immer Sie sich in irgendeiner Weise bedroht oder unsicher fühlen, also beispielsweise speziell dann, wenn eine schwere Krankheit droht oder Sie sich inmitten in einer größeren Veränderung befinden. Das Ego weiß einfach nicht, wie es mit schwierigen Gefühlen (wie Verwundbarkeit oder Machtlosigkeit) umgehen soll. Wenn das Ego Regie führt, können Sie eine gewisse Dynamik beobachten: Ein Gedanke erzeugt eine Emotion, die zu einem weiteren Gedanken führt, der die nächste Emotion hervorruft … So drehen wir uns im Kreis, wie ein Hund, der seinem eigenen Schwanz nachjagt. Dabei werden wir immer nervöser und unglücklicher, auch wenn es uns ansonsten gerade gut geht und wir warm und sicher im Bett liegen. Das Interessante dabei ist, dass Sie das ursprüngliche Gefühl, dass diese ganze Gedankenlawine ausgelöst hat, nie wirklich erkennen; Sie bekommen es nicht zu Gesicht und können ihm nicht mit vollem Gewahrsein begegnen.

Damit Sie dermaßen in Fahrt kommen, muss das Ego Sie gegenüber dem gegenwärtigen Moment blind machen, denn wenn Sie im Hier und Jetzt völlig präsent sind, gibt es keinen Raum für das Ego. Aus Selbsterhaltungstrieb zerrt das Ego Sie daher aus dem Jetzt und damit aus der Realität heraus – mit jedem Gedanken ein Stückchen weiter. Wenn Sie beginnen zu beobachten, was Ihr Ego da anstellt (und dazu kommen wir in Kürze), werden Sie feststellen, dass es Sie aus dem Jetzt nur an vier andere Orte bringen kann: in die Vergangenheit, in die Zukunft, in Geschichten über Sie selbst oder in Geschichten über andere.

Die gute Nachricht ist, dass Sie dieses „Karussell“ verlassen können, sobald Sie bemerken, dass Sie nicht in der Gegenwart sind. Fragen Sie sich: „Was passiert jetzt in diesem Moment?“ Schauen Sie sich um, beobachten und lauschen Sie. Worin bestehen die Unterschiede zwischen Ihrer tatsächlichen Situation und Umgebung – Geräusche, Licht, Farben und so weiter – und der mentalen und emotionalen Welt, die von Ihren Gedanken erzeugt wird? Nehmen Sie Ihren Atem und Ihren Körper bewusst wahr. Entspannen Sie sich. Sie sind vielleicht krank, aber Sie werden nicht angegriffen – außer von Ihren eigenen Gedanken.

Erkennen Sie, was Ihr Ego getan hat? Es hat Sie aus der Gegenwart herausgezerrt, hinein in die Welt der Erinnerungen und Erwartungen. Gedanken an die Vergangenheit haben zu Emotionen wie Schuld, Vorwürfen, Bedauern oder Nostalgie geführt, Gedanken an eine imaginäre Zukunft zu Angst und Furcht. Sie wurden von lähmenden, vom Verstand erzeugten Emotionen überwältigt. Eine solch intensive Selbstsabotage kennzeichnet das Ego in seinen schlimmsten Ausprägungen. Wenn Sie jedoch gewahr werden, dass Sie gerade nicht in der Gegenwart sind, sondern sich vielmehr in der Zukunft oder in der Vergangenheit bewegen, dann können Sie aus diesem Traum und Drama erwachen.

Durch die Rückkehr in die Gegenwart legt sich der innere Aufruhr, denn Sie dämmen dadurch die Flut der Gedanken ein, die ihn erzeugt und aufrechterhalten haben. Sie zerstören die Trugbilder. Wenn Sie gelernt haben, sich mithilfe Ihres Gewahrseins in den gegenwärtigen Moment zurückzuholen, sind Sie stärker im Körper präsent, wacher für Ihr wahres Selbst und in der Lage, die Anforderungen Ihres Lebens mit Klarheit anzugehen.

Jedes Mal, wenn Sie das Jetzt verlassen, identifizieren Sie sich unweigerlich mit einer Geschichte, die Sie sich über Sie selbst, Ihre Gesundheit oder Ihr Leben erzählen. Das ist so, als wären Sie – wie die Titelfigur aus Alice im Wunderland – durch ein Kaninchenloch in eine imaginäre Welt gefallen. Aber im Gegensatz zu Alice, der bewusst war, dass sie sich in einer Fantasiewelt befand, sind die meisten von uns völlig davon überzeugt, dass diese Welt echt sei.

Es ist von entscheidender Bedeutung, sich diesen letzten Punkt klarzumachen, denn die blinde Identifikation mit Ihren Geschichten wird sich endlos fortsetzen, wenn Sie nicht das Muster erkennen und es dem Licht des Gewahrseins des gegenwärtigen Moments aussetzen. Sie können nur dann Ihr authentisches Selbst sein, wenn Sie aufwachen und Ihren rechtmäßigen Platz als das bewusste Wesen einnehmen, das die ganze Show beobachtet, aber nicht mehr in ihrem Bann gefangen ist.

Der Prozess des Wachwerdens für ein höheres Maß an Gewahrsein und Präsenz wird manchmal als Tod des Ego bezeichnet. Aber das Ego stirbt nicht, wenn Sie einen höheren Grad an Präsenz gewinnen, und sollte dies auch gar nicht tun. Wichtig ist allein, dass es Ihren Verstand nicht mehr regiert und Ihre Erfahrung nicht mehr bestimmt. Stattdessen dient es dem Gewahrsein, indem es Ihren einzigartigen Standpunkt repräsentiert – allerdings nicht länger in einer Form, die Ihre Identität definiert, Sie von anderen abtrennt und Sie zu etwas Besonderem macht. Wenn das Ego sich zurückzieht und dem Gewahrsein den Vorrang gibt, verliert Ihre Identität als Einzelperson an Dominanz und Sie können die ganze Fülle des Seins kosten.

KAPITEL 3


Die eigene Wirklichkeit erschaffen

Eine in unserer Zeit populäre Aussage lautet: „Du erschaffst dir deine eigene Realität.“ Leider wird dies oft missverstanden und so gedeutet, dass etwa ein Kranker seine Krankheit selbst verschuldet habe. Natürlich gibt es durchaus Fälle, in denen man eine gewisse Verantwortung für seine Krankheit trägt, etwa wenn man in der Vergangenheit nicht besonders gesund gelebt, wenn man geraucht oder ein Übermaß an Alkohol zu sich genommen hat. Gleiches gilt für die Einnahme von Drogen oder für Medikamentenmissbrauch. Von diesen offensichtlichen Beispielen einmal abgesehen können Sie jedoch in den meisten Fällen nicht wissen, warum Sie erkranken. Deshalb sollten Sie das Ganze nicht noch zusätzlich verschlimmern, indem Sie sich schuldig fühlen.

Die eigentliche Wahrheit, die in dem oben zitierten Satz steckt, ist die, dass Sie tatsächlich Ihre eigene Wirklichkeit erschaffen, allerdings nur gerade jetzt, in diesem Moment. Und zwar tun Sie dies mit den Geschichten, die Sie sich erzählen und mit denen Sie sich identifizieren. Sie erschaffen nicht die Szenerie, in der Sie sich befinden, sondern Ihre Reaktion darauf.

Wie das Wetter beispielsweise sich präsentiert, liegt nicht in Ihrer Hand. Aber wenn Sie die jeweilige Wetterlage und dann den ganzen Tag als „mies“ bezeichnen, verdirbt Ihnen das die Laune. Sobald Sie verstehen, dass Sie für die psychische und emotionale Realität verantwortlich sind, die Sie in diesem Moment erleben, werden Sie wach für die Natur Ihres Bewusstseins und lassen solche Gefühle wie Schuld hinter sich.

Wenn Sie sich selbst sagen: „Ich habe diese Krankheit verursacht“, dann erzeugt dies sofort ein Gefühl von Scham und Schuld. Besser geht es Ihnen damit auf keinen Fall. Selbst wenn Sie zuvor nicht immer gesund gelebt haben, hilft es im gegenwärtigen Moment nicht, sich deswegen Vorwürfe zu machen. Der Schlüssel dazu, Ihr Potenzial des Heilwerdens zu stärken, liegt in der Entscheidung, völlig präsent zu sein. Oder anders gesagt: Zerbrechen Sie sich nicht länger den Kopf darüber, was Ihre Krankheit verursacht hat, und lassen Sie sich lieber ganz auf das ein, was Ihre tatsächliche Erfahrung in jedem Moment ist.

Die Auffassung, dass Sie Ihre Krankheit selbst verursacht hätten, hat aber noch eine weitere Konsequenz: Sie werden dann vermutlich glauben, Sie könnten erst dann Heilung erreichen, wenn Sie die Ursache der Krankheit herausgefunden hätten. So stehen Sie erst recht unter Druck, denn zu Ihrem Schuldgefühl gesellen sich noch Angst und Sorge hinzu. Die Wahrheit ist also, dass Sie tatsächlich Ihre eigene Realität erzeugen, und zwar allein durch Ihr Denken. Wenn Sie glauben, dass Sie Verursacher(in) Ihrer Krankheit seien (was Sie im Übrigen wieder zu etwas Besonderem macht), führt dies nur zu unnötigem Leiden.

Wie ich bereits ausgeführt habe, geht es dem Ego um Identität. Außerdem hält es sich an die Chronologie der Ereignisse und zieht aus den Veränderungen, die sich im Laufe der Zeit einstellen, seine Schlüsse: „Ich war gesund und jetzt bin ich krank, … also muss etwas passiert sein, was dies verursacht hat.“ Sind Sie hingegen einfach präsent, so haben Sie die Zeit losgelassen und damit auch das Ego. Die Dinge sind einfach so, wie sie sind, und Sie identifizieren sich nicht länger mit Begriffen wie krank oder gesund.

An Ursache und Wirkung zu glauben, also an das Prinzip der Kausalität, das ist eine Art, wie Sie Geschehnisse und Erfahrungen interpretieren können: Wenn A stattfindet, dann resultiert daraus B, also verursacht A das B … Die moderne Medizin und die Wissenschaft ganz allgemein basieren auf diesem Prinzip der Kausalität: Wenn man die Kette der Ereignisse, die zu einer Krankheit führen, erkennen und dann ändern kann, ist man vielleicht auch in der Lage, sie aufzuhalten. Dieser Ansatz hat es möglich gemacht, viele Krankheiten in den Griff zu bekommen. Die moderne Medizin rettet jeden Tag unzählige Leben, die noch vor wenigen Jahrzehnten verloren gewesen wären.

Doch auch wenn die äußere, objektive Welt dem Gesetz von Ursache und Wirkung zu folgen scheint, verliert die Kausalität beim Wechsel in die Gegenwart – in das Sein – an Bedeutung und wird gänzlich unbestimmbar. Es ist so, als würden Sie sich immer mehr dem Zentrum eines sich drehenden Rades nähern: Am Ende dieser Annäherung liegt ein Punkt, der völlig bewegungslos ist.

Wenn Sie im Jetzt sind, hört Ihr Verstand auf, über Sie und alles andere nachzudenken, und Sie sind einfach gewahr. Die Zeit hält in gewisser Weise an oder „verlangsamt“ sich so weit, dass Ihr Selbstempfinden nicht mehr das von jemandem ist, der sich auf dem Weg irgendwohin befindet. Sie sind einfach, wie Sie sind. Ihre Situation – oder genauer gesagt: Ihr gegenwärtiger Zustand – ist nichts, was von etwas Vorausgegangenem verursacht wurde. Sie vergleichen ihn weder mit der Vergangenheit, noch treffen Sie irgendwelche Vorhersagen für die Zukunft. Sie erklären Ihre Erfahrung nicht länger und rechtfertigen, rationalisieren oder interpretieren sie auch nicht. Daher weisen Sie dem, was Sie erleben, auch keine Ursache zu – Sie sind einfach. Und in diesem Sein sind Sie stets und immer schon heil und ganz. Wichtig ist nicht, wie Sie an den Punkt gekommen sind, an dem Sie sich jetzt befinden, sondern wie präsent Sie in der jeweiligen Erfahrung sind.

Beispiel: Brustkrebs

Ich kenne eine Frau, die mittlerweile 82 Jahre alt und mir eine ständige Quelle der Inspiration ist. Ihr Körper leidet seit sieben Jahren an Metastasen bildendem Brustkrebs. Dennoch begegnet sie mir immer mit einem Augenzwinkern und ist sich selbst gegenüber vollkommen ehrlich. Sie ist sozusagen ein wandelndes Lächeln und strahlt eine unglaubliche Liebe aus.

Als sie erfuhr, dass sie Krebs hatte, beschloss sie von Anfang an, in ihrem fortgeschrittenen Alter keine Chemotherapie mehr zu machen und der Krankheit stattdessen ihren Lauf zu lassen. Sie lebt ein nahezu normales Leben und lässt an kaum einem Tag ihre leichten Tai-Chi-Übungen aus. Wenn sie es allerdings nur ein wenig übertreibt, „aktiviert“ sich ihr Krebs und es kann plötzlich zu einer lebensbedrohlichen Krise kommen. Mehrmals schon waren ihr Bauchraum und ihre Lunge so voller Wasser, dass sie auf der Schwelle zum Tod stand. Doch jedes Mal erholte sie sich auf geheimnisvolle Weise wieder.

Andererseits ist das Ganze vielleicht doch nicht so geheimnisvoll, wie es zunächst scheinen mag: Sie kämpft nicht gegen den Tod an, sondern gibt sich dem hin, was ist. Und das bedeutet, im Bett zu bleiben und ein bewusster Teil des Sterbeprozesses zu sein, wenn er denn ansteht. Sie hat sich selbst gefragt, welche Art von Tod sie sich wünscht, und gründlich darüber nachgedacht. Ihre Entscheidung lautet: „Ich will bis zum Ende alles liebend annehmen.“ Kürzlich sagte sie zu mir: „Das Leben hat vielleicht seine eigenen Pläne – wer weiß schon, wie ich wirklich gehen werde. Aber ich habe immerhin das Recht, meine Meinung zu äußern.“ Der Krebs scheint bei dieser Frau von ihrem Zustand tiefer Annahme und dem achtungsvollen Hören auf sich selbst in gewisser Weise in Schach gehalten zu werden. Für sie ist das Ja zum Leben gleichbedeutend mit dem Ja zum Tod.

Wirklichkeit bildet sich ständig neu

Wir leben in einer Welt, die von Kausalität regiert zu werden scheint; aber auf einer fundamentalen Ebene (derjenigen der bewussten Beziehung zu unserer Erfahrung in jedem Moment) greift das „Gesetz“ von Ursache und Wirkung offenbar nicht. Stattdessen gibt es dort eine in Entwicklung begriffene Realität, eine ständige Dynamik von Sein und Entdeckung. Nehmen wir beispielsweise Krebs: Krebs ist nicht nur bei jedem Menschen eine andere Krankheit, es ist auch bei jedem Menschen in jedem Moment eine andere Krankheit, denn wie bereits erwähnt organisiert sich der Körper – in Abhängigkeit davon, wie präsent eine Person ist – in einem geringeren oder stärkeren Grad von Ganzheit neu.

Wenn Sie das verstehen, können Sie sich vom Konstrukt der Kausalität verabschieden: dass irgendetwas Sie krank gemacht hat und Sie auf eine bestimmte Weise leben und spezielle Medikamente nehmen müssen, um wieder gesund zu werden. Natürlich ist dies manchmal zum Teil der Fall, aber wenn Sie nichts anderes tun, als den Anweisungen Ihres Arztes zu folgen, dann übergehen Sie Ihren inneren Arzt, der wesentlich klüger ist und eventuell sogar wirkungsvoller heilen kann.

Beispiel: Nackenschmerzen

Neulich besuchte mich eine gute Freundin, die unter chronischen Nackenschmerzen leidet. Diese hatten sich mittlerweile so sehr verschlimmert, dass es ihr weder möglich war, am Computer zu sitzen und zu arbeiten, noch konnte sie lesen oder fernsehen. Selbst im Bett zu liegen brachte keine Erleichterung. Im Laufe der Jahre war sie bei vielen verschiedenen Ärzten gewesen, die zahllose Tests und Untersuchungen durchgeführt hatten. Sie wusste, dass sie eine degenerierte Bandscheibe hatte. Einige Ärzte schlugen ihr vor, zu operieren; andere bezweifelten, dass dies helfen würde. Sie durchforstete das gesamte Spektrum der Schul- und Alternativmedizin. Manchmal war sie ein paar Stunden schmerzfrei, manchmal sogar ein paar Tage, aber die Schmerzen kehrten immer wieder zurück und wurden nach und nach schlimmer.

Als wir an diesem Tag beisammensaßen, schlug ich ihr vor, dass sie – anstatt die nächste Behandlungsmöglichkeit zu erörtern oder mir die medizinischen Gründe für ihre Schmerzen darzulegen –, einfach versuchen sollte, sie als Ausgangspunkt für eine Reise in die Gegenwart zu nehmen. Ich bot ihr an, sie intuitiv auf dem Weg in den Schmerz zu begleiten.

Als sie ihre Aufmerksamkeit auf den Schmerz lenkte, bat ich sie, die gesamte Konstellation dessen, was sie in ihrem Kopf, im Nacken und den Schultern spürte, ganz leicht mit einem inneren Blick zu „berühren“ und gleichzeitig einen Teil ihres Gewahrseins auf ihren gesamten Körper und in den Raum hinein auszudehnen. Diese letzte Komponente, das Ausdehnen des Gewahrseins, ist besonders wichtig, denn wenn man sich auf den Schmerz fokussiert, dann neigt er dazu, sich zu verstärken, sofern man nicht gleichzeitig ein Gefühl der Ausdehnung oder Weiträumigkeit hinzunimmt. Als sie den Schmerz fühlte, schlug ich ihr vor, damit so in Kontakt zu gehen, als spüre sie ihn zum ersten Mal und mache somit eine ganz neue Erfahrung.3

Plötzlich hatte meine Freundin eine Vision von einem dichten, dunklen Wald aus „Bäumen“, die aus etwas bestanden, was sie nicht beschreiben konnte. Die ganze Szene spielte sich in einer Unterwasserlandschaft ab und sie empfand an dem Ort eine merkwürdige Kraft. Nach einigen Minuten konnte ich spüren, dass sie nicht mehr in der Gegenwart war. Ich fragte sie, wohin sie abgedriftet sei, und sie erklärte, sie versuche, eine Verbindung zwischen dem Schmerz und der Vision herzustellen. Anders gesagt, sie analysierte und hatte sich damit von der Unmittelbarkeit der Vision entfernt. Außerdem hatte sie sich von ihrem Verstand in die Vergangenheit befördern lassen. Also forderte ich sie auf, zu ihrem Bild und der „seltsamen Kraft“ zurückzukehren. Ich sagte, sie solle jede Erwartung in Bezug darauf, wohin dies führen könne, loslassen und einfach nur bei ihrem inneren Erleben bleiben. Kurz darauf begann sie, leise zu schluchzen. Sie sprach von einem Gefühl der Wärme, das in ihr hochstieg, speziell im Brustraum, und die Vision des Unterwasserwaldes löste sich auf. Gleichzeitig stellte sie fest, dass die Schmerzen komplett verschwunden waren.

Die Schmerzen blieben nahezu eine ganze Woche lang aus und während dieser Zeit fühlte sie sich emotional erstaunlich gut. Es war keine komplette Heilung, aber es macht etwas sehr Wichtiges deutlich: Das grundlegende Glaubenssystem meiner Freundin baute darauf auf, dass sie nur die richtige Ursache für das Problem und die richtige Therapie finden müsse, um wieder gesund zu werden. Dies versetzte sie ständig in eine erdachte Zukunft, in der es ihr nach dem Finden der richtigen Behandlung wieder gut gehen würde. In ihrer Vorstellung würde sie wieder so sein, wie sie sich in Erinnerung hatte, bevor die Schmerzen einsetzten.

Nun jedoch hatte sie gelernt, dass eine Reise in ihr Erleben in vollem Gewahrsein und unter Zurücklassen der Vergangenheit und der Zukunft ebenfalls eine Erleichterung bringen konnte. Ein weiterer interessanter Aspekt war, dass dies auch zu einem besseren emotionalen Gleichgewicht führte. Sie hatte einen neuen Weg eingeschlagen – einen Weg der Nähe zu sich selbst im Jetzt –, bei dem die Ursache ihres Problems unwichtig und das Erzielen eines gewünschten Ergebnisses sogar kontraproduktiv waren.

Ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass sich meine Freundin auf einem Weg der emotionalen Befreiung und vielleicht auch der körperlichen Heilung befindet – sofern sie lernt, diese Reise zum Gewahrsein jedes Mal anzutreten, wenn Schmerzen oder andere schwierige Gefühle ihren Verstand dazu bringen, in die Vergangenheit oder Zukunft abzuschweifen.

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