Loe raamatut: «Die Chroniken des Südviertels»

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Dieses Buch ist ein Roman.

Deshalb sind Übereinstimmungen mit der Wirklichkeit ausgeschlossen.

Es sei denn, Sie gehören zu den Protagonisten.

Inhaltsverzeichnis

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»Tschij eto sumki?!«, wem gehören diese Taschen, brüllte der lettische Zöllner zum dritten Mal auf Russisch durchn ganzen Waggon.

Wir, n paar Abteile weiter – keinen Mucks. Überprüfen, ob unsere Ausweise noch da sind, wenn wir die nicht mehr haben, wäre das viel schlimmer als die zwei Säcke, vollgestopft mit Brotlaiben. Es konnte doch keiner von uns wie so n Hosenscheißer aufspringen und dem Grenzer entgegenrufen, das gehört uns, Herr Zollbeamter! Da sieh mal einer an, warum so viel Brot? Ist das das denn erlaubt? Oh, wir haben nicht gewusst, dass man das nicht darf, das ist das erste Mal, Ehrenwort, das erste Mal, das wir fahren.

Was soll das Theater? Wenn er will, nimmt er uns alles weg, und wenn er schlecht drauf ist, dann haut er auch noch nen Stempel in den Pass – und auf Nimmerwiedersehen, Lettland. Aber wir haben ganz sicher nicht deshalb die teureren Tickets fürn Zug von Minsk nach Tallinn gekauft, dass die Heinis vom Zoll uns jetzt einsacken. Das ist doch n internationaler Zug, der kann nicht lange an der Grenze hängen bleiben.

Minde bibberte am meisten. Alles, nur keinen Ärger mit den Bullen – ohne Gepäck wieder nach Hause, dann halt ohne Gepäck –, aber Minde hatte die Hosen voll. Und mir wollte eine Sache einfach nicht in die Birne. Er suchte sich wie mit Absicht immer die riskanteren Varianten aus: nen ganzen Haufen Waren fürs große Business. Aber die bringt man nur schwer los und man geht auch den Bullen leichter ins Netz. Ist doch klar wie Kloßbrühe. Aber wegen genau diesem Stunk machte er sich dann in die Hosen. Ich aber folge stets der Maxime: Lieber weniger, aber ohne Stress und auf Nummer sicher.

So war das, manchmal fehlte mir bei ihm einfach der Durchblick, er war n wenig anders, langes Haar wie n Hippie, aber sonst eigentlich ganz normal. Seine Alten hatten nen Haufen Kohle, aber er trieb sich mit mir auf den Märkten rum – auch das raffte ich nicht. An Zaster mangelte es ihm wirklich nicht, er hatte schon ne Lederjacke. Von so einer konnte ich nur träumen – ich hatte ja nicht mal nen anständigen Trainingsanzug. Aber vielleicht tat er das ja wegen der Romantik, oder vielleicht brauchte er auch den Adrenalinkick. Was solls, ich fand es ganz nett, nicht allein durch die Gegend ziehen zu müssen. Wir lachten zusammen über irgendwelche Typen, hatten unseren Spaß. Er erzählte nen Haufen dummes Zeug – halb im Ernst, halb zum Scherz. Er sagte, er hat von so einem Poltergeist gelesen, n klasse Buch: Es war einmal n alter Mann, wenn der nachts pissen gehen wollte, dann beschmiss der Poltergeist ihn mit Klopapier, und als er ihm einmal eins mit der Seife überzog, hatte er danach ne Platzwunde am Hinterkopf. Und wenn der Alte nachts zum Kühlschrank wollte, dann – zack! – eins auf die Birne. Und kam ne Tusse vorbei, dann hob er sofort ihren Rock oder ihren Pullover hoch. Was also blieb dem Alten anderes übrig, als sich mit Pornos auszuhelfen, aber kaum bückte er sich, um die Sexheftchen unterm Bett hervorzuziehen, flogen sie auch schon durchs Zimmer. So musste der Opa den Pfaffen kommen und seine Hütte segnen lassen, für die Kirche opfern, aber der Poltergeist trieb, wenn auch seltener, weiter sein Unwesen.

»Und ich habe gehört, dass die Psi-Heinis Verbrecher jagen. Sie sagen den Bullen alles vor, und die müssen dann nur noch hinfahren und die Schurken einsacken.«

»Wenn die Zöllner die herbrächten, dann gute Nacht!«

Aber diesmal waren keine Medien an der Grenze, und wir hatten wie waschechte Kaschpirowskis alles genau vorausgesehen. Der Zöllner stänkerte noch n wenig rum und machte dann nen Abgang – er konnte ja nicht wegen jedem Brotsack n Affentheater starten. Wir hatten unsere Säcke irgendwelchen Leuten überlassen. Waren einfach in ihr Abteil marschiert und hatten gesagt, hm, in unserem Abteil ist irgendwie nicht genug Platz, dürfen wir unser Gepäck bei euch lassen? (Ja, Gepäck, genauso hatten wir es ihnen gesagt – Minde war dieses Wort wieder eingefallen.) Bei ihnen war noch Platz. Also gut, sagten sie, lasst es hier. Und das taten wir. Komme, was wolle. Soll der Zöllner es doch mitnehmen, wenn er will, wir haben nix damit zu tun. Ich malte mir aus, wie jene Leute ihn auf die Palme brachten: Sitzen auf Säcken voller Brot und sagen dem Zöllner ins Gesicht: Das sind nicht unsere, die hat jemand hiergelassen.

Und selbst wenn er die Säcke mitnahm – kein so großer Verlust, nur n Rumgerenne, bis man das Brot wieder zusammengekauft hatte. Seit kurzem gab es so ne Verordnung, dass man nur zwei Weißbrote kaufen durfte. Schön viel Arbeit, bis man genug zusammenhatte. Überall ellenlange Schlangen. Schlange stehen aber heißt leben lernen. Ich hatte n Riesenglück: Ich bekam mehr als zwei, die Verkäuferin war nämlich dabei, in Hysterie auszubrechen, und die Verordnungen waren ihr schnurzegal. Stellt euch das vor: Da stehste den ganzen Tag, alle nervös, alle texten dich zu, schreien dich an. Zum Beispiel die Alte mit Tränen in den Augen: drei Kinder zu Hause, die alle vor Hunger sterben … Also gut, sie gibt ihr vier kleine Laibe, aber die hinter ihr stehende Rentnerin krakeelt, warum sie jener vier gegeben habe, sie soll doch ihre Bälger herbringen, oder sind die etwa schon so schwach, dass sie nicht mehr ausm Bett aufstehen? Hinter der Rentnerin schon wieder eine mit vielen Kindern, hält der Verkäuferin irgendwelche Bescheinigungen unter die Nase, bekommt auch vier. Die schmeißt sie unverschämt dem neben ihr stehenden Kerl in seinen Kartoffel sack. Noch n paar und er ist voll. So ist das also, den Spekulanten verkauft ihr welches und den armen Leuten gebt ihr nichts!, proben n paar Alte sofort den Aufstand. Dann fällt auch noch so n Muskelprotz über die Verkäuferin her: Welche Verordnung denn, verfickt noch mal, was haste denn, machste etwa mit der Ware unterm Tisch hervor zu wenig Kohle, dass du knickerst, du Opfer, soll ich dich vielleicht nach der Arbeit nach Hause begleiten, warst wohl schon lange nicht mehr beim Zahnarzt – fünf Laibe, aber dalli!

Alle standen wie angewurzelt da, keine Alte ließ auch nur nen Pieps von sich hören. Vor mir stand n ordentlich gekleideter älterer Herr, vielleicht n Lehrer oder so was. Und der fragte, als er an die Reihe kam, die Verkäuferin: Warum lächeln sie nicht? Ihre Miene hättet ihr sehen müssen! Das ist ne ganz neue Mode, dass die Verkäuferinnen lächeln müssen, ausm Ausland mitgebracht. Da kommt irgendn Ausländer daher und lamentiert, unsere Verkäuferinnen sind mürrisch, hochnäsig und so weiter. Dann stell dich doch hier hinter den Ladentisch und lächle, du Esel! Wir sind freie Menschen hier – wer will, der lächelt, wer nicht will, nicht, kapiert?!

Und als ich an der Reihe war, sagte ich ganz ruhig: Für mich vier. Die Verkäuferin blieb erst an Ort und Stelle stehen. Wir sind zu zweit, sagte ich und zeigte dabei mitm Kopf irgendwohin, wo niemand war. Sie war schon so fix und fertig, dass sie keine Fragen mehr stellte. Offenbar bekam sie gar nix mehr mit von dem, was rundherum passierte.

Wie ihr seht, brauchte man jetzt Zeit, um alles zu besorgen. Was solls – wir trieben uns eh den ganzen Tag in der Gegend rum. Hätten wir etwa zur Schule gehen sollen? Vielleicht Chemie büffeln? Die Chemie war für mich n Buch mit sieben Siegeln, n dunkler, auswegloser Wald. Oder Informatik? Im Informatikunterricht saßen wir doch nur da und schrieben ins Heft: IF … THEN … Nen Computer, ja, den hatte ich bei Remyga gesehen, sein Bruder hatte n paar Spiele, also ging ich manchmal zu ihm, aber auch dort – bis der PC hochgefahren war und die starteten, musste ich schon wieder nach Hause. Und im Kunstunterricht – warum sollte ich irgendwas aufs Papier kleckern, wir machten uns sowieso immer ausm Staub. Oder Litauisch? Was gibts da zu lernen – du schlägst das Lehrbuch auf, wenn die Lehrerin es gerade nicht sieht, schreibst n paar Sätze ab und damit hat sichs. Wozu sollte ich überhaupt in der Penne rumsitzen? Was ist der Witz dabei? Schaut mal genau hin, wer macht die meiste Kohle? Habt ihr es gesehen? Und? Es fragt sich, ob die überhaupt schreiben können, nö? Dafür polieren sie mit ihren Schlagringen allen die Fresse. Ihre Handschrift ist klar und deutlich. Und ist ne Type schwer von Begriff, dann setzt die Gang alle Kommas und Ausrufezeichen am rechten Ort. Und falls der arme Kerl doch wider Erwarten im Krankenhaus aufwacht, ist sein Leben viel einfacher. Oder habt ihr vielleicht gedacht, sie würden irgendwelche Papiere unterschreiben? Heutzutage ist alles ganz einfach, und die einzig wichtigen Papiere sind die mit den Wasserzeichen. Was soll da die Schule? Du büffelst und büffelst, und was dann? Was fängste mit all dem Gelernten an? Doch nicht etwa Pauker werden? Ihr lacht, ja, ja. Also, wenn ihr nicht Lehrer werden wollt, wozu dann pauken?

Denkt ja nicht, ich würde keine Zeitungen lesen. Wisst ihr denn, wie viel die Lehrer verdienen. Zwei gelungene Fahrten über die Grenze nach Lettland – da habt ihr ihren Monatslohn. Diese Mathematik habe ich noch nicht vergessen. Nur jetzt – da kommt so ne Alte, zitiert mich zur Wandtafel und dreht mich so durchn Fleischwolf, dass ich nur noch Bahnhof verstehe. Da haben wirs, Rimants, setz dich. Für dich ne Fünf. Und dann schneidet sie ne zufriedene Grimasse. Vor ihr waren Mathematik und Algebra n Kinderspiel, aber jetzt schiebt sie uns solche Aufgaben unter, dass … Ich löse sie, aber sie sagt, ich löse sie nicht richtig. Ich würde die Formeln nicht kennen, mit denen ich sie viel schneller lösen könnte. Was macht es für nen Unterschied, wie man die Aufgaben löst? Sagt es mir. Soll sie sich doch unterm Herbstlaub begraben. Zählen kann ich. Und wenn ich nachzähle, wer wie viel kriegt, dann sehe ich, dass es n Riesenunterschied ist, wie viel und wie mans verdient. Wenn ich mit zwei, drei Fahrten nen Lehrerlohn abkassiere, dann sagt mir, wer weiß hier nicht, wie man richtig Kohle macht – sie oder ich? Da habt ihr sie, die Gleichungen und Formeln. Witzlos, Zeit mit der Schule zu verschwenden. Du bringst ne gefälschte Entschuldigung mit, und damit hat sichs, nicht ne Stunde ohne triftigen Grund gefehlt. Ich habe schon n gutes Händchen für diese Entschuldigungsschreiben. Anfangs nahm ich eins von meiner Mutter, dazu n leeres Blatt, und ab damit, an die Fensterscheibe halten – und dann zog ich ihre Unterschrift nach. N wenig Training, und jetzt kann ich ihr Autogramm im Schlaf.

Kein Grund zur Sorge also.

Aber kaum in Riga ausgestiegen, war es auch schon vorbei mit der Ruhe. Aber nicht etwa, weils hier kalt, voller Matsch und Dreck war. Landschaft und Wetter kratzten mich nicht. Und obwohl die farbigen Schilder beinahe grau wirkten, strahlte für uns dort alles. Als würden uns dahinter Licht und Seligkeit erwarten, fast wie der Tunnel, durch den die Seelen nachm Tod reisen. Die Zeitungen waren ja voll mit solchem Zeugs. Nur strahlte uns vom Ende unseres Tunnels nicht das ewige Leben entgegen, sondern n Haufen Geld in Form von lettischen Rubeln.

Dann kriegste dich wieder ein und es klingelt bei dir, jetzt ist nicht die Zeit zum Relaxen, denn jetzt kommt erst der wichtigste Teil. Und das Wichtigste ist, dass man dich nicht einsackt, du hast ja keine Verkaufsgenehmigung und denkst nicht einmal im Traum daran, dir eine zu besorgen. Also, du steigst ausm Zug und gehst diese Wische holen … Während die anderen ihre Ware in aller Ruhe verticken und schon zwei Stunden später wieder aufm Heimweg sind, biste noch nicht mal an der Reihe mitm Überprüfen der Qualität der deinen. Und dann kostet die Genehmigung auch noch was. Fürn Arsch. Also, du stellst dich hin, schmeißt die Taschen wies gerade kommt aufn Boden, trittst n wenig zurück, und schon kommen die Käufer einer nachm anderen, suchen sich was aus und stellen Fragen. Sich vor den Rigaer Markthallen hinzustellen ist genauso, wie während der Laichzeit zu angeln. Nur braucht man hier ne Genehmigung, anderswo nicht. Aber wie sollte man der Versuchung widerstehen, alles schnell über die Bühne zu bringen und wieder heimzufahren? Also stellste dich vor die Hallen. Die Säcke sind noch nicht mal aufgeschnürt, da fragen die Leute auch schon von allen Seiten, was das Brot kostet. Und du wiederholst wie n Mantra auf Russisch, das sind litowskije tawary, litauische Waren, keine ukrainischen aus Tschernobyl, und wirfst den Köder aus.

Du nimmst diese Rubel und kannst es einfach nicht glauben, dass die Leute hier so viel bezahlen. Du hast es gerade erst gekauft, dann schnurstracks hierher, hast den Preis um das Vierfache hochgeschraubt, und sie reißen dir die Brote voll zufrieden aus der Hand. Wie im Kino. Hauptsache, nicht weich werden und vor lauter Glückseligkeit die Preise runtersetzen, wenn der Verkauf n wenig ins Stocken gerät, also alles okay – dreimal teurer reicht auch, oder etwa nicht? Natürlich nicht, das ist ja kein Ausflug nach Riga, da muss richtig Kohle dabei rausspringen. Und dann darfste auf Wolke sieben auch nicht vergessen, ständig nach den Bullen Ausschau zu halten.

Mit einem Wort, wenn du in einem Augenblick der Schwäche die Preise nicht runtergesetzt hast, um alles möglichst schnell zu verscherbeln, wenn dich die lettischen Zöllner an der Grenze nicht hoppgenommen haben, wenn dir im Zug niemand die Säcke oder Taschen geklaut hat, wenn du alles verkloppt hast, wenn die lettischen Bullen dich aufm Markt nicht eingesackt haben, wenn man dir keine gefälschten Dollars untergeschoben hat, wenns nicht so scheißkalt war, dass du dir Schnaps kaufen und ihn dir in die Kehle kippen musstest, wenn dus mitm Spiritus Marke Royal zurück über die Grenze geschafft und ihn hier ohne Stunk zu kriegen vertickt hast, dann ist das n gutes Business. Will heißen, du hast zehn oder fünfzehn Bucks in der Tasche.

Aber an jenem Tag machten wir es anders.

Wir gingen durch ne Unterführung und überlegten, was wir mit diesen lettischen Rubeln machen sollten: Zusammenlegen und Dollars, möglichst in großen Scheinen, kaufen – dafür bekam man nämlich nen besseren Kurs, dann kostete der Dollar vielleicht 180 lettische Rubel, und zurück in Litauen konnte man die für 400 verkaufen – oder Spiritus Royal kaufen, aber den musste man loswerden und, noch wichtiger, sie an den Heinis vom litauischen Zoll vorbeischmuggeln – die Letten kontrollierten uns ja bei der Rückkehr nicht mehr. Aber das mit den Litauern war easy – du drückst ihnen einen oder zwei Dollar in die Hand und basta. Aber in dieser Unterführung verkaufte jemand Plakate, und so blieben wir mit offenem Mund wie angewurzelt stehen: Stallone, Van Damme, Arnie ausm zweiten Terminator, Chuck Norris, Sharon Stone, 2 Unlimited, Madonna, Nirvana … und so weiter und so fort. Plakate gab es auch in Šiauliai, aber die hier waren gigantisch. Fast in Echtgröße. Und die Farben so, dass wir glaubten, sie würden uns gleich ansprechen. Noch echter als in der Glotze. Im Vergleich zu diesen Plakaten wirkten die TV-Farben so, als würde man durch n Fenster voller Vogelscheiße schauen. Und was für Plakate wurden schon in Šiauliai verkauft? Die unterschieden sich kaum von den kleinen Postern in der Bravo, Popcorn oder anderen Magazinen. Aber auch die fanden ihre Käufer, denn noch vor gar nicht allzu langer Zeit gab es nur Plakate aus der Jaunimo gretos oder, noch besser, abfotografierte Bilder von Bruce Lee oder Van Damme. Ungefähr so groß wie ne Schulheftseite. Da gab es nix zu überlegen. Wir schauten einander an, alles klar, die würden weggehen wie warme Semmeln.

Wir fühlten uns, als hätten wir Amerika entdeckt. Kannste dir das Gefühl vorstellen, wenn du was aufspürst, was niemand zuvor hat finden können – du bist der Allererste. Du wirst nicht nur Kohle machen, sondern auch Respekt ernten, die anderen werden dich fragen, wo du das herhast, wie viel es gekostet hat und vieles mehr. Und dann dämmert dir, dass du nicht einfach nur Gewinne einfährst, nein, du hast sie verdient, weil du so n geiler Typ bist, dass du was gefunden und gerafft hast, was die vor dir entweder übersehen oder dessen Wert nicht kapiert haben. Mit einem Wort, es gibt nicht viele Situationen, in denen du dich so toll fühlen kannst.

Natürlich würde der Gewinn nicht gewaltig sein – das Doppelte, Maximum das Dreifache. Aber es macht doch viel mehr Spaß, was von Herzen zu tun und nicht nur wegen der Kohle. Knete ist gut, aber wenn du von dem, waste tust, auch noch high wirst, dann umso besser, dann kriegste beim Raushauen der Ware keine Langeweile, hast genug Fantasie, um sie schnell loszuwerden, und Überzeugungskraft, dass die anderen glauben, dass ihre Bude ohne deine Plakate wie Onkel Toms Hütte aussieht.

Und so fuhren wir voll relaxed nach Hause – an der Grenze würde uns niemand doof anmachen. Wir sahen die anderen n wenig von oben herab an, etwa so: Zittert ihr ruhig wie Espenlaub, wenn ihr zu faul seid, euren Grips anzustrengen, und einfach der Herde folgt. Obwohl, diese Bande war eigentlich ganz sympathisch. Wie ne große Familie, denn einer war wie der andere und alle atmeten dieselbe Luft. Alle strickten, nähten, fuhren rum, tauschten, kauften und verkauften. Und wie in jeder Familie wollte jeder cooler als der andere sein. Aber Konkurrenz ist gesund. Und wie bei Familientreffen erzählten auch in diesem Zug alle dieselben Geschichten: von der Fahrt über die Grenze, wer was und für wie viel versilbert und so. Wir fuhren mitm Zug – wie viel konnte man da schon in die eine und andere Richtung mitschleppen –, aber es gab auch welche, die nahmen das Ganze viel ernster. Sie packten ihr Auto randvoll mit Waren und baten nen Treckerfahrer, es über die Grenze zu schleppen, wo es nur lauter Gestrüpp und weit und breit keine Zöllner gab. Die Leute an der Grenze arbeiteten als Spitzel und meldeten, ob die Luft rein war, und dann sammelten sie die im Gebüsch versteckten Waren von der lettischen Seite wieder auf. Noch andere schmuggelten zu Pferd, die sprangen über die Meliorationskanäle – ne Verfolgung war sinnlos.

Die konnten sie nicht fassen. Wie ich beim Anblick der Zugbegleiterin einfach nicht fassen konnte, warum jetzt die Zeitungen voll waren von Inseraten mit ein und demselben Text: »Nur unsere entzückendsten, allerliebsten Guides und Begleiterinnen bringen Sie wieder zu Laune und sind immer und überall bei Ihnen.« Eines dieser Inserate hatte auch ne Zeichnung dabei – zwei Silhouetten, ne männliche und ne weibliche. Die Frau beim Typen eingehakt und viel größer. Ne »Touri-Führerin« also, sie weiß, wos langgeht, und zeigt den Opas, dass sie Herrin der Lage ist? Riesenstuss. Und was hatte das mit den Zugbegleiterinnen zu tun?

Aber ich zerbrach mir nicht lange über solchen Unsinn den Kopf, diesmal ging es fast ohne Generve. Šiauliai kam immer näher. Die Stadt der Fahrräder, sagte man. Vielleicht war sie das ja mal. Jetzt kostete der Sprit zwar fast so viel wie Gold, aber die Zahl der Drahtesel nahm nicht zu. Die neuen, von den Deutschen hier produzierten Fahrräder, landeten alle im Ausland, weil ihre Preise uns zum Lachen bringen – für das Geld konnte man sich auch ne Karre kaufen. Die guten Radrennfahrer kamen aus Klaipėda, aus Panevėžys oder woher auch immer, nur nicht aus Šiauliai. Es gab auch welche, die nannten Šiauliai die Stadt der Sonne. Die könnte hier ruhig öfters scheinen. Aber nüchtern betrachtet war Šiauliai die Stadt der Strickenden, Spekulanten, des Rugby und der Hockey-Spielerinnen. Und noch mehr der Van Dammes und Schwarzeneggers, ne Muckibude an jeder Ecke und in jeder davon hingen Plakate der beiden. Und wenn man da rauskam, stellte man sich vor, in so nem Film die Hauptrolle zu spielen.

Wir erreichen den Bahnhof. Augen auf, Stallones und Van Dammes, Šiauliai! Genau hier sollten eure Filme spielen. Wisst ihr, ich fühle mich so, als hätte ich euch heimgebracht. Die Ohren gespitzt! Šiauliai. Hört ihrs? Nein? Noch mal – Shaolin! Seht ihr, hier sind die Leute wie ihr, fühlt euch wie zu Hause!