Loe raamatut: «Der rote Komet»
I
»Siehst du die purpurne Röte, die in gerader Linie sich herab auf die Erde senkt?« fragte Romulus Futurus in größter Aufregung seinen Freund John Crofton, den berühmten Berichterstatter des ›New York Herald‹ in Berlin. »Bist du nun überzeugt, dass ich die Wahrheit gesprochen habe? Noch kannst du den roten Kometen nicht erkennen, und niemand wird imstande sein, ihn mit bloßem Auge zu sehen. Aber jetzt gibst du zu, dass meine Diagnose richtig war?«
John Crofton, ein Mann von etwa sechsunddreißig Jahren, mit echt amerikanischem Typus, beugte sich schweigend nieder und sah durch eines der großen Riesenferngläser hinauf zum Horizont. Es war abends um 9 Uhr am 10. Oktober des Jahres 2439.
»Berlin steht augenblicklich in der Ekliptik des ›Steinbocks‹, des ›Wassermanns‹, der ›Fische‹, des ›Widders‹, des ›Stieres‹ und der ›Zwillinge‹«, fuhr der große Astronom zu sprechen fort. »Im Osten stehen ›Castor und Pollux‹, die Zwillingssterne, die in letzter Zeit eine seltsame Lichtfülle verbreiten. Östlich zwischen dem Horizont und dem Scheitelpunkt erblickst du die ›Capella‹ im ›Fuhrmann‹«.
»Ist das jener Doppelstern, von dem der eine strahlender erscheint als der andere?« fragte Crofton, immer noch durch das Fernrohr blickend.
»Ganz recht. Schon die ältesten Astronomen schreiben der ›Capella‹ das Alter der Sonne zu. Diese beiden Sterne brauchen hundertundvier Tage, um sich umeinander zu bewegen.«
»Wenn ich nicht irre«, meinte John Crofton, »so haben verschiedene Gelehrte den Untergang der Welt durch einen Zusammenstoß mit der ›Capella‹ prophezeit?«
Romulus Futurus lächelte. Das stand ihm wohl an; denn er war ein großer, kräftiger Mann mit schwarzem, leicht meliertem Vollbart und sinnenden Augen.
»Das kam daher, weil diese Zwillingssterne sich im Laufe der letzten Jahrzehnte fast unmerklich der Erde genähert haben, allerdings um ein Minimum, das nur die Mathematik der Astronomen hat feststellen können. Du wirst dich erinnern, John, dass man zuerst den roten Schimmer, der seit einiger Zeit unsere Erde erfüllt, der ›Capella‹ zugeschrieben hat.«
»Bis du aufgetreten bist, Romulus, und mit Hilfe deiner neuen, fabelhaften Erfindung, der lichtempfindlichsten photographischen Platte der Welt, dem ›Lumen‹, nachwiesest, dass ein neuer Komet, vorläufig unsichtbar durch einen dichten Nebelmantel, der Erde sich nähere. Auf diese Entdeckung hin wurde dir ja auch der Ehrenname ›Futurus‹ verliehen.«
John Crofton sprach die Wahrheit. Dieser Komet, der die beiden Männer in der Sternwarte beschäftigte, war bis jetzt noch nicht sichtbar geworden. Aber die Erde stand im Zeichen eines roten Schimmers seit mehr denn sieben Monaten, umflossen von einem purpurnen Glanz, der sich wie ein fabelhafter Regenbogen scharf vom Himmel abhob und alles mit einer aufregenden Lichtfülle übergoss.
Einige Wochen hatte ein Taumel die Welt erfasst, denn niemand hatte anders geglaubt, als dass der Weltuntergang schon hereinbreche. Das kam in der Hauptsache wohl daher, weil man zuerst die ›Capella‹ für den verhängnisvollen Kometen hielt, und weil die Astronomen berechnet hatten, dass, wenn sie der Erde überhaupt nur so nahe kommen würde, wie die Sonne, jedes Leben unten unmöglich werden müsste.
»Fabelhaft! Einfach fabelhaft!« begann John Crofton plötzlich, indem er den Blick auf einen großen photographischen Apparat heftete, der mitten in der Sternwarte stand. »Da drinnen befindet sich also deine phänomenale Erfindung, Romulus?«
Der Astronom lächelte.
»Ich habe bis jetzt nur gehört, Romulus, dass du imstande gewesen bist, den roten Kometen zu fotografieren, ehe ihn eines Menschen Auge überhaupt hat wahrnehmen können; nicht einmal durch die größten und sichersten Fernrohre war er zu sehen. Was ist das für ein unglaubliches Ding, das um so vieles lichtempfindlicher ist, als das menschliche Auge?«
»Das ist eine Platte, die ich dir gerne zeigen möchte, wenn sie nicht mit dem Augenblick unbrauchbar werden würde, da sie mit dem Lichte in engste Berührung kommt«, entgegnete Romulus Futurus. »Diese photographische Platte ist von solcher Vollendung und Lichtempfindlichkeit, dass die Dinge bei der Aufnahme sich nicht so reproduzieren, wie man sie seit langen Zeiten kennt und wie das menschliche Auge sie sieht. – Nein!« fuhr Romulus Futurus in wachsender Begeisterung fort, während seine Augen leuchteten. »Wenn alle Sinne trügen, so spricht meine photographische Platte die lauterste Wahrheit, denn sie zeigt alles so, wie es ist. Man wird in unserem Jahrtausend erkennen müssen, dass fast alles anders ist, als man bislang angenommen hat; ja ich behaupte, dass meine neueste Erfindung die äußersten Grundsätze umstoßen wird.«
In der Tat, Romulus Futurus hatte recht. Das erkannte auch die deutsche Nation, als sie ihn in Anerkennung seiner Verdienste und Fähigkeiten zum Kultusminister machte. War doch das Ereignis auf die Prophezeiung erfolgt! Während man erst nur einen dichten, grauen Nebel am Himmel gesehen hatte, war plötzlich dieser rote Strahl auf die Erde geglitten, der von Woche zu Woche, ja beinahe von Tag zu Tag sich verstärkte und die Menschen in einen wahren Sinnestaumel versetzte. Schließlich hatte Romulus Futurus der Akademie der Wissenschaften die Fotografie des roten Kometen gezeigt, desselben, den bis jetzt noch niemand hatte wahrnehmen können.
– Bis dorthin hatte Romulus einen anderen Namen besessen; ›Futurus‹ war der Ehrenname, den ihm die Akademie auf die Entdeckung des Kometen hin verlieh. Denn in damaliger Zeit fand man es geschmacklos, die wenigen Gärten der Erde auszurotten und durch Denkmäler zu verunzieren, oder gar Orden und Denkmünzen als Ehrenzeichen zu verteilen; man gab dem, den man über die anderen hervorheben wollte, das Recht, einen besonderen, auf seine Fähigkeiten und Verdienste hinweisenden Namen zu tragen. —
Berlin stand also seit Monaten im Zeichen des roten Kometen. Nicht nur Berlin! Ganz Deutschland, ganz Europa, die ganze Welt! Und die ganze Erde war verwandelt! Von alters her wusste jeder Psychiater, dass die rote Farbe eine aufreizende Wirkung auf die Sinne besitzt. Das Leuchten des neuen Kometen aber war so intensiv, dass sich kein Mensch auf der Erde seinem Einfluss entziehen konnte. Es trat ein plötzlicher Umschwung in den Charakteren ein, der kaum zu beschreiben wäre. Die Welt, die bis zu diesem Zeitpunkte sich mehr und mehr von den Übertreibungen des Mittelalters und des Altertums in sinnlicher Beziehung entfernt hatte, kehrte zu den ursprünglichen Leidenschaften zurück.
In den Palästen der Reichen jagten sich die Orgien. Das Verbrechen nahm in furchtbarer Weise überhand und trat gerade da auf, wo man es bislang am wenigsten vermutete. —
John Crofton hatte sich schweigend in einen Sessel geworfen und eine Zigarette angezündet. Der Abend schritt vor.
Die beiden Männer waren seit vielen Jahren Freunde, und dieses Band hatte sich noch gefestigt durch ihre gegenseitige Stellung, denn John Crofton war in seiner Position das, was in früheren Zeiten die Gesandten vorstellten. Es gab keinen diplomatischen Austausch zwischen den Ländern mehr, sondern die regierende Presse sandte ihre Vertreter in die einzelnen Staaten, und in den Händen dieser Männer lagen alle die Rechte und Befugnisse, welche ehedem die offiziellen Gesandten inne gehabt hatten.
»Hättest du nicht Lust, Romulus, uns heute Abend Gesellschaft zu leisten?« fragte der Journalist plötzlich.
Futurus entgegnete lachend:
»Ich habe für heute nichts vor, John, und werde mich also freuen, mit meiner Gemahlin zu dir zu kommen. Hast du ihr schon deine Aufwartung gemacht?«
»Nein, ich will das nachholen, ehe ich dich verlasse«, entgegnete John Crofton mit einer gewissen Verlegenheit, die seinem Freunde entging.
Futurus fragte neuerdings:
»Erwartest du außer uns noch weitere Gäste?«
»Ja, mein Freund. Es haben sich angesagt: Miss Head, die berühmte Sängerin der großen Oper, die übrigens vor kurzer Zeit durch den Minister der schönen Künste den Ehrennamen ›Divina‹, die Göttliche, erhielt; sodann General Treufest, welcher vor einigen Monaten das Kommando der schweren deutschen Küstenartillerie übernommen hat. In seiner Begleitung versprach Ralph Jonathan Wieland zu kommen, derselbe, der die großen elektrischen Kraftwerke der Nord- und Ostsee besitzt, also ein richtiger deutscher Magnat des Goldes, nach neuester Schätzung der reichste, den wir überhaupt besitzen. Gegen ihn waren die amerikanischen Kohlenbarone die reinsten Waisenkinder!«
»Sonst kommt niemand?«
»Wenn wir Glück haben, so werden wir auch die junge Fürstin Angelika bei mir sehen, desgleichen Dr. Diabel den Hausarzt des Regenten. Er dürfte in Begleitung seines Famulus, des Studenten der Medizin Peter Cornelius, erscheinen.«
»Also eine Gesellschaft, die interessant zu werden verspricht«, entgegnete Romulus Futurus.
John Crofton verabschiedete sich. Er schritt von der Sternwarte durch einen schier endlosen Gang, der durch die Bibliothek und die kostbare Gemäldegalerie des berühmten Astronomen und Kultusministers führte, bis er die Gemächer Frau Fabias, der Gattin des Romulus Futurus erreicht hatte.
Es war kein Geheimnis in Berlin, dass der Astronom mit seiner Gattin nicht gerade sehr gut lebte.
»Nicht umsonst war es eine Liebesheirat«, pflegte John Crofton zu witzeln, wenn er sich im eingeweihten Freundeskreise befand.
Jetzt blieb er vor einem der riesengroßen Venezianer stehen, richtete seine nach neuester Mode gefärbte Krawatte und ließ sich Frau Fabia melden.
Durch hallende Prunkgemächer hindurch führte ihn der Diener in das große Wohnzimmer der jungen Frau.
Sie saß nachlässig zurückgelehnt in einem byzantinischen Sessel und beschäftigte sich mit einer Stickerei. Um sie waren afrikanische Sklavinnen, junge Negerinnen, welche aus den Kolonien nach Europa geschickt worden waren, um die mangelnden Arbeitskräfte zu ersetzen.
Unruhig sah sie auf, als der Kammerdiener John Crofton meldete, gab aber doch durch ein leichtes Kopfnicken ihre Zustimmung kund, ihn zu empfangen.
Der Besucher trat ein. Einige Sekunden blieb er stehen, ganz und gar in den Anblick dieser wundervollen Frau versunken. Sie war außergewöhnlich schön. Gleich Romulus Futurus, ihrem Gatten, war sie groß, ein richtiges Kind unverfälschter Rasse, mit breiten Schultern, deren vornehme Rundung durch ihre kraftvolle Gestaltung nicht beeinträchtigt wurde. Schwarzes Haar umrahmte das edel geschnittene Gesicht mit den großen, dunklen Augen, in denen der Glanz einer fröhlichen Lebensauffassung lag. Die Miene, welche John Crofton zur Schau trug, war eine ganz andere, als bei Romulus Futurus. Auf seinem Gesicht spielte ein heimliches, sinnliches Lächeln, als er sich Frau Fabia näherte, ihre weiße, kühle Hand an seine Lippen zog und sagte:
»Wie befinden Sie sich, gnädigste Frau?«
Sie entgegnete lachend, das große, schöne Auge zu dem Besucher erhebend:
»Gut, wie immer, mein Freund.«
Sie sprach nicht die Wahrheit. Aber niemandem hätte sie gestanden, dass sie Tage und Nächte durchweinte in der Einsamkeit; das Unglück ihrer Ehe war nicht durch ihre Schuld hervorgerufen, sondern durch Romulus Futurus, der ihre Nähe mied. Sie selbst liebte ihren Gatten mit einer an Wahnsinn grenzenden Leidenschaftlichkeit, aber ihr Stolz verbot ihr, dies kundzutun.
John Crofton, der geschickte Weltmann, bemerkte sehr wohl, dass sie log, und flüsterte:
»Die Einsamkeit macht Sie noch schöner, Frau Fabia. Unter allen Todsünden ist wohl jene die größte, die Romulus an Ihnen begeht.«
Sie zuckte leicht zusammen und sandte ihre Dienerinnen aus dem Zimmer. Dann sagte sie, während ihre Stimme einen kühlen Klang annahm:
»Ich habe Ihnen kein Recht gegeben, Mr. Crofton, in dieser Weise von meinem Gatten, von mir und unseren eigenen Angelegenheiten zu sprechen.«
Zwischen seine Brauen grub sich eine Falte. Fast heftig entgegnete er:
»Doch, Frau Fabia! Ich weiß, dass Sie vorübergehend eine Neigung für mich besaßen, dass Sie hofften, bei mir Trost zu finden!«
Sie wurde tiefrot und entgegnete:
»Es ist wahr. Es gab eine kurze Zeit, in der ich alles tat, um meinen Gatten zu vergessen und wo ich glaubte, eine Neigung für Sie zu empfinden. Warum sollte ich es leugnen? Aber das ging schnell vorüber, und ich kann Sie versichern, Mr. Crofton, dass ich Ihre Worte und die Art, wie Sie sich heute bei mir einführen, als Beleidigung empfinde!«
Er entgegnete leidenschaftlich:
»Die Liebe, die wahnsinnige Liebe, die ich für Sie empfinde, Frau Fabia, gibt mir ein Recht, anders zu Ihnen zu sprechen, als zu jeder andern Frau!«
Sie erhob sich rasch. Er aber fasste mit beiden Händen nach ihrem weißen, hübschen, kühlen Arm und drückte die schöne Frau mit Gewalt in ihren Sessel zurück. Ja, einige Augenblicke entspann sich ein Ringen zwischen diesen beiden Menschen; die Beleidigung, die John Crofton der Gattin eines der angesehensten Männer in Berlin zufügte, war unerhört. Aber alle Bande der Sitte und jener Rücksichten, die die Menschen im eigensten Interesse zu Gesetzen gemacht hatten, waren gerissen unter dem Einfluss des rötlich schimmernden Lichtes, das auch Frau Fabias Zimmer geheimnisvoll durchflutete.
»Sie müssen mich erhören!« fuhr John Crofton mit einer Stimme fort, welche die unglückliche Frau erschreckte und sie jedes weiteren Widerstandes beraubte. »Ja, ich liebe Sie, werde nie aufhören, Sie zu verehren, und Sie werden mein werden, ich schwöre es Ihnen, und wenn ich Berge niederreißen müsste, Sie zu gewinnen!«
Er hatte sich auf die Knie niedergelassen und seine Arme um den Leib der Frau geschlungen, die die Gattin seines Freundes war, den er in diesem Augenblick in der schmählichsten Weise betrog. Frau Fabia aber sprang auf, riss seine Arme von ihren Hüften und schleuderte sie von sich, als seien sie giftige Reptilien, vor denen sie sich entsetzte.
»Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen, als das eine: Betreten Sie nie mehr meine Gemächer ohne Begleitung meines Gatten!«
John Crofton machte einen letzten Versuch, sich ihr zu nähern. Er stürzte noch einmal auf sie zu, riss sie an sich, ja, er vergaß in diesem Augenblick, was er Frau Fabia als Weib schuldig war, und bog ihren Kopf zurück, um seine Lippen auf die ihren zu pressen, sie aber riss sich los und erreichte die elektrische Klingel, welche in das Dienerzimmer führte.
Da verließ der Amerikaner das Gemach. Draußen, als der Lakai ihm den Mantel um die Schultern hing, knirschte er mit den Zähnen.
»Du sollst es mir büßen! Du sollst es furchtbar büßen!«
Damit verließ er des Romulus Futurus’ Haus.
* * *
II
Es war eine bizarre Idee des Astronomen, dass er in den kleinen Kreis, den er bei John Crofton traf, seinen photographischen Apparat mitnahm. Vielleicht hatte der Journalist ihn auch darum gebeten; jedenfalls wurde die photographische Platte, die in aller Welt bereits bekannt war, der Beginn von Romulus Futurus Unglück und Untergang.
Der große Gesellschaftssaal in dem Hause John Crofton war mit einer langen Tafel versehen worden. Man hatte alle elektrischen Lichter verlöscht und ließ nur dem purpurnen Lichte des Kometen Zutritt, das ganz Berlin erfüllte und die Menschen in einer ewig prickelnden Aufregung hielt.
Die kleine, gewählte Gesellschaft unterhielt sich aufs Beste. Schon die Tatsache, dass Divina, die Sängerin, in diesen vornehmen Kreis geladen worden war, bewies, dass man im dritten Jahrtausend alle lästigen Vorurteile der früheren Zeiten beiseite ließ.
Das Gespräch drehte sich natürlich um den roten Kometen, der seit Monaten alle anderen Interessen in den Hintergrund gedrängt hatte. Zudem war Romulus Futurus die einzige Autorität, die über den neuen Stern sachkundige Aufklärungen geben konnte.
»Nun, was meinen Sie, Herr Kultusminister«, sagte Miss Head-Divina, indem sie mit einer koketten Bewegung das feingeschliffene, biegsame Sektglas an die rotleuchtenden Lippen hob und Romulus Futurus einen ihrer zündendsten Blicke zuwarf: »Wird der neue Komet zu uns kommen ober nicht?«
Romulus Futurus nickte.
»Er wird zu uns kommen, Miss Head-Divina, verlassen Sie sich darauf!«
Sie legte den schönen Hals zurück und lachte, wurde aber plötzlich ernst und beugte sich vor mit dunkel sprühenden Augen:
»Ich erwarte ihn! Ich erwarte ihn voll Ungeduld! Ob Sie mir glauben oder nicht, Herr Minister, ich vergehe förmlich vor tiefer, heißer Sehnsucht nach diesem Stern, den man ja bald zu sehen bekommen wird! Sein Licht ruft in mir etwas wie eine stete Raserei hervor!«
John Crofton, der bevorzugte Günstling der schönen Amerikanerin, beugte sich über ihre weißen Schultern und flüsterte:
»Ich werde eifersüchtig werden, göttliche Happy, eifersüchtig auf diesen Kometen, der dich scheinbar mehr interessiert, als meine Liebe!«
Sie warf ihm einen lächelnden Blick zu und sah dann zu Ralph Jonathan Wieland hinüber, dem Krösus, der mit gleichgültiger Miene sein Sektglas hob. Und es wollte Romulus Futurus, dem Menschenkenner, scheinen, als ob in dem nebensächlichen Blick der göttlichen Sängerin und der offen zur Schau getragenen Gleichgültigkeit des Krösus ein geheimer Sinn läge.
Aber der Astronom war klug genug, zu schweigen, umso mehr, als ihm die Leidenschaft für eine Frau etwas Unverständliches war. Er hatte nie in seinem Leben geliebt, und der Rausch, den er einstmals für seine Braut Fabia empfunden, war eben nichts weiter gewesen als eine Aufwallung, die sich rasch genug gelegt hatte. Das Weib erschien ihm als etwas durchaus Minderwertiges, das kein Anrecht auf männliche Ehrerbietung besaß, und Romulus Futurus hatte aus diesen seinen Ansichten auch niemals ein Hehl gemacht. Sein Benehmen gegen die Frau war, wenn auch durch weltmännische Gewandtheit verdeckt, stets von einer heimlichen Brutalität geleitet.
»Und was wird werden, wenn der Komet auf die Erde kommt?« fragte Dr. Diabel, indem er sein bleiches, von einem blauschwarzen Bart umrahmtes Gesicht über den Tisch neigte und gleichzeitig die großen, glänzenden Augen auf die Fürstin Angelika heftete, die am Ende der Tafel saß und keinen Blick von Romulus Futurus wandte. Die junge Fürstin war das Gegenteil von Frau Fabia. Schlank, zierlich, dabei von seltener Schönheit, glich sie einer jener Orchideen, die in den Treibhäusern ihre schönsten Farben entwickeln. »Was wird geschehen, wenn der Komet auf die Erde kommt?« wiederholte Dr. Diabel seine Frage.
Da Romulus Futurus nicht sofort antwortete, so entgegnete General Treufest:
»Darüber kann ich Ihnen Auskunft geben. Auf alle Fälle werden wir mit allen Hilfsmitteln der Technik, die uns zur Verfügung stehen, versuchen, das drohende Unheil abzuwenden. Sollte es aber etwa gar auf einen Eroberungszug der mystischen Bewohner dieses Kometen abgesehen sein, so werden sie eine fatale Bekanntschaft mit unseren großen Riesenkanonen machen müssen.«
»Es besteht sehr wenig Wahrscheinlichkeit, dass dieser Komet bewohnt ist!« wandte Romulus Futurus ein. »Die Tatsache, dass er eine so phänomenale Leuchtkraft besitzt, spricht dagegen. Dieses Purpurlicht, meine ich, ist auch vorläufig für uns eine größere Gefahr, als der Komet selbst, denn unsere Zeitungen bringen tagtäglich neue, fürchterliche Berichte über Entartungen und Verbrechen, die im Zeichen des roten Kometen geschehen!«
»Zuerst wird wohl eine Revolution ausbrechen, wie die Erde keine zweite gesehen hat!« sagte plötzlich hastig Peter Cornelius, der junge Student, indem er sich nervös durch das reiche, blonde Haar fuhr. »Die Völker werden aufstehen und das Joch der Tyrannei abwerfen, unter dem sie lange genug geschmachtet haben.«
Während er das sagte, sah er mit brennenden Augen zu Miss Head-Divina hinüber. Die aber schenkte ihm keinen Blick. Sie hatte sich vorgebeugt und flüsterte dem General zu:
»Ist es wahr, wovon man allgemein spricht? Wir werden einen Krieg mit Frankreich und England bekommen?«
Der General, der sich schon in vorgerückter Weinlaune befand, entgegnete:
»Es ist richtig, dass eine außergewöhnliche Aufregung zwischen diesen drei Ländern besteht und dass im Kriegsministerium eifrig gerüstet wird. Aber woher wissen Sie davon? Bis jetzt wird alles geheim gehalten!«
Woher sie davon wusste? Natürlich von John Crofton, dem Bevollmächtigten Amerikas, der besser orientiert war als General Treufest. Miss Head aber versuchte, den General weiter auszuforschen.
Plötzlich kam John Crofton auf die bizarre Idee, Romulus Futurus möchte sie doch alle zusammen fotografieren.
»Nachdem dein Apparat von einer so immensen Schärfe ist, Romulus, dass er selbst versteckte Kometen auf die Platte zaubert, so dürften die Bilder, die du von uns erhältst, sicherlich das Beste werden, was hervorgebracht werden kann. Wir werden keine verschwommenen, oberflächlichen Züge tragen. Wir müssen auf dem Bilde ganz so sein, wie wir in Wirklichkeit sind und wie wir uns mit unseren schwachen Augen überhaupt nicht sehen. Happy«, – der große Journalist wandte sich an die Schauspielerin, die die Brauen hochgezogen hatte und mit einer gewissen Unruhe diesem Vorschlage zuhörte. – »Happy, nimm dich in acht! Die Entstehungsgeschichte deiner Schönheitspflästerchen wird sicherlich auch auf diese mysteriöse Platte gezaubert werden, und ich werde vielleicht, wenn ich dich im Bilde sehe, finden, dass du abscheulich bist!«
Romulus Futurus widersprach lebhaft dem Wunsche des Freundes, ein Experiment auszuführen, das der berühmte Astronom bis zu diesem Augenblick noch nie versucht, denn er hatte seine Erfindung ganz und gar in den Dienst der Wissenschaft gestellt.
Sein Freund John Crofton aber ließ nicht nach mit Bitten, und schließlich musste Romulus Futurus doch selbst zugeben, dass er etwas Ähnliches im Sinne gehabt, sonst hätte er den Apparat ja gar nicht in die Wohnung seines Freundes zu bringen brauchen. Oder war dies rein mechanisch geschehen, unter dem Drucke jenes Unbewussten, das John Crofton ›das schwarze Schicksal‹ zu nennen pflegte? —
Genug – Romulus Futurus entschloss sich, zum Andenken an diesen vergnügten Abend ein Gruppenbild herzustellen. Auch seine Gattin nahm an dem Tische Platz, um den sich alle Anwesenden mit natürlicher Grazie gruppierten. Romulus Futurus schob unter dem Schutze eines schwarzen Tuches die lichtempfindliche Platte ›Lumen‹ in den Apparat.
Eigentlich empfand er ein dunkles, geheimes Grauen gegen die Ausführung seines Planes. Aber er scheute sich, es zu gestehen. Nachdem er also mit seinen Vorbereitungen zu Ende war, exponierte er eine halbe Minute, nahm dann die ›Lumen‹-Platte heraus und überzeugte sich, dass die Aufnahme gelungen war.
»Ich werde jedem der Beteiligten morgen ein Bild senden«, sagte er. – Eine leichte Blässe überzog sein Antlitz, nachdem er die Platte gegen das Licht längere Zeit beobachtet hatte. Es war nämlich eine Eigenheit derselben, dass sie sofort, ohne entwickelt und fixiert werden zu müssen, deutlich nach der Aufnahme das Negativ dem Auge zeigte.
Spät des Nachts trennten sich die Gäste. Intensiv und grell war das purpurne Licht, das vom Himmel in die Fenster strömte.
»Der Komet ist wieder um viele Tausend Kilometer näher gekommen«, murmelte Romulus Futurus und sah auf die Uhr.
In dem prachtvollen Flugcoupé, das der Astronom besaß, fuhr er mit seiner Gattin Fabia, die den ganzen Abend über schweigsam gewesen war, nach Hause.
Eine Viertelstunde später saß er wieder in dem großen, kühlen Raume der astronomischen Sternwarte. Die fabelhaften Riesengläser glotzten ihn mit ihren schwarzen, unheimlichen Augen an. Das Firmament schien ein unendlicher Teppich von blauer Farbe zu sein, in den ungezählte blitzende Diamanten gewebt waren. Über alles spannte sich ein greller, roter Bogen.
Das war der Himmel.
Angesichts der gigantischen Unendlichkeit begann Romulus Futurus einen Abzug von der Platte zu machen. Warum zitterte er? Warum nahm dieses nebensächliche Geschäft seine Aufmerksamkeit dermaßen in Anspruch, dass er in jener Nacht sogar vergaß, seine gewöhnlichen Beobachtungen zu machen und zu registrieren, dass der rote Komet sich der Erde wiederum ein verhängnisvolles Stück genähert hatte? – —
Es war etwa drei Uhr morgens, als Romulus Futurus den sprechenden Abzug vor sich auf den Knien liegen hatte.
Da war er so bleich wie die weißen Wände des Sternwartensaales und seine Augen glühten beinahe so rot wie der Komet. Auf dieser Platte stand ein furchtbarer Roman, mit blutiger Tinte geschrieben, mit hässlichen Wahrheiten durchsetzt. Er bemerkte nicht, dass Frau Fabia leise und unhörbar, das weiße Gewand gerafft, dass es nicht rauschen konnte, in die Sternwarte getreten war. Und wie sie nun einen Blick über die Schultern ihres Gatten hinweg auf das Bild geworfen hatte, schrie sie plötzlich auf und rang verzweifelt die Hände:
»Ich bin unschuldig! Ich schwöre dir, Romulus, ich bin unschuldig!«
Er aber packte sie an ihren langen, wunderschönen schwarzen Haaren und stieß sie zu Boden, dass sie beinahe die Besinnung verlor und zusammengekauert liegen blieb, gleich einem verwundeten Reh. Romulus Futurus aber rannte wie ein Rasender auf und nieder; indem er zu seiner Gattin Fabia sprach, deutete er von Zeit zu Zeit auf das Bild, dann wieder gestikulierte er mit den Händen in der Luft.
»Ich wusste es ja!« schrie er, »ich wusste es ja! Die ›Lumen‹-Platte ist so empfindlich, dass sie die schwächsten Reaktionen mit genauester Deutlichkeit wiedergibt! Die Platte hat nicht nur die Gesichter all dieser Elenden fotografiert, sondern auch ihre heimlichsten, tiefsten und innerlichsten Gedanken. Ha! Ich halte also jetzt den Schlüssel zu einer neuen, geheimnisvollen und furchtbaren Wissenschaft in Händen! Ich werde imstande sein, von heute ab zu wissen, was jeder Mensch denkt!«
Selbstverständlich hatten sich die Gedanken, von denen Romulus Futurus sprach, nicht in Schriftzeichen auf der Fotografie kopiert. Es ist eine alte Weisheit, dass jedes Ding auf Erden einen Reflex hinterlässt, jede Bewegung, jede Schall-, jede Lichtwelle. Ebenso gibt auch der menschliche Gedanke, so schnell er immer gedacht sein mag, einen unwillkürlichen Reflex in den menschlichen Mienen, so deutlich, dass jedes Kind den Gedanken lesen könnte, wenn sein Auge nur scharf genug wäre, den Reflex zu sehen.