Traumafabrik

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Und dann folgt eine Sequenz, die „What Price Hollywood?“ für sich allein genommen zu einem der interessantesten Hollywoodfilme überhaupt macht.

Nachdem Evans ihren Mentor Carey aus dem Gefängnis ausgelöst hat, glaubt sie, mit ihm die Vereinbarung getroffen zu haben, dass er fortan nüchtern bleibt. „All right. From tonight on I won’t cause you anymore trouble“, sagt er daraufhin. Als sie zur Tür schreitet, ruft er sie noch einmal: „Yes, darling?“ – „I just wanted to hear you speak again, that’s all.“ Als sie das Zimmer verlassen und die Tür geschlossen hat, fasst er sich voll innerem Schmerz ins Gesicht (so wie 22 Jahre später James Mason in „A Star Is Born“). Carey entsteigt dem Bett und als er den Raum verlassen hat, liegen die Schatten der Fensterrahmen über ihm wie die Gitterstäbe einer Gefängniszelle oder eines Käfigs. Auf der Suche nach einem Feuerzeug findet er in einer Schreibtischschublade eine Pistole, schließt die Schublade aber wieder. Als er kurz darauf ein gerahmtes Porträt seiner selbst – adrett und selbstbewusst – und im Spiegel darüber sein aktuelles Selbst mit der Suff-Visage sieht, gedeiht in seinem Gesicht das Entsetzen über seinen Niedergang – Cukor unterlegt diese Szene mit einem klaustrophobischen Surren –; daraufhin kehrt Carey zur Schublade zurück, nimmt die Waffe und erschießt sich. Im Unterschied zu den „A Star Is Born“-Epigonen sieht man hier den Suizid, sieht man die Leiche.

Das ist zugleich der Punkt im Film, an dem sich die hässliche Fratze des Starrummels offenbart: Die ominösen Umstände von Careys Tod im Haus der mittlerweile geschiedenen Evans, die einst Careys Schützling war und stets im Verdacht einer Affäre mit ihrem Förderer stand, werden jetzt von der Presse brutal ausgebeutet. Paparazzi belagern ihr Anwesen, Kinos zeigen ihre Filme nicht mehr, die Abgesandte des Fanmagazins beschimpft sie von der Haustür aus. „You are a motion picture star, you belong to the public – they make you and they brake you“, erklärt ihr Chef. Schon zuvor hatte ihr Ehemann Lonny geklagt: „No privacy, no home life“; zwei Szenen später, als ein sturzbetrunkener Carey in ihrem Schlafzimmer steht, ruft Lonny: „I’m going as far away from Hollywood and all its inmates as I can get.“ Hollywood ist für ihn – den Alien – „a world where people are cheap and vulgar without knowing it“.

Das Private am Privatleben gilt in der Hollywoodwelt ja in der Tat nicht viel. Und so zeigt es auch schon „What Price Hollywood?“. In einer Szene will die „awfully important“ Frau vom Fanmagazin (Josephine Whittell) ein Interview über das Liebesleben von Mary Evans führen, das sie gerade in dem Augenblick stört, als sich Mary und Lonny vergnügt auf dem Bett wälzen. Auch die Hochzeit der beiden Promis verkommt zum reinen PR-Stunt: „Little church nothing!“, ruft Saxe, als er von den Heiratsabsichten seines Stars erfährt. „The biggest church in Beverly Hills“ verlangt der Studioboss. „An outstanding wedding, it must be great!“, weist Saxe die Abteilungsleitungen seines Studios an. Aus der Hochzeit macht Saxe in der riesigen Hollywood United Methodist Church, am Fuße der Hollywood Heights gelegen, eine gigantische Marketingaktion, die jegliche Privatsphäre auflöst.

Vor laufender Kamera tritt das Brautpaar vor die am Kirchenausgang versammelte Masse, umringt von Reportern, mühselig beschützt von heillos überforderten Polizisten. Als sich das Brautpaar seinen Weg bahnen will, grapschen promigierige Hände nach dem Schopf der Braut und reißen an deren Schleier und Kleid, sodass sich die Hochzeitsgesellschaft zurück in die Kirche flüchten muss. Saxe triumphiert wie bei einem gelungenen Filmstart: „We broke all the house records for this church! It was terrific!“, ehe er dem sowieso schon völlig entnervten Brautpaar mitteilt, dass sich die Flitterwochen wegen eines Nachdrehs zu Evans’ neuem Film zu verschieben hätten („Darling, release dates are not waiting for honeymoons.“).

Obwohl die verblüffende Nähe von Bennett und Sherman zu ihren Filmfiguren fast das Niveau von Judy Garland als Esther Blodgett in „A Star Is Born“ (1954) oder Gloria Swanson und Erich v. Stroheim in „Sunset Blvd.“ (1950) erreichte, ragte „What Price Hollywood?“ der reinen Hollywoodformalität nach jedoch kaum aus der Mittelmäßigkeit heraus. Adela Rogers St. Johns und Jane Murfin waren bei den 1932er Academy Awards für das Beste Originaldrehbuch nominiert. Ansonsten musste der Film als Box-Office-Niederlage verbucht werden, da er unter Berücksichtigung von Vertrieb und Marketing kaum das Geld einspielte, das RKO für ihn ausgegeben hatte. Auch dass in ihm durchaus feministisch progressiv die Frau als andauernde Retterin des kaputten Mannes fungiert und sich als Alleinerziehende mit Karriere behauptet, verschaffte ihm später nicht die Beachtung, die man diesem vergessenen Werk inzwischen schenken sollte.

Die nachhaltigste Wirkung, die von „What Price Hollywood?“ ausging, war indes eine ganz andere: Der Film machte Selznick im Nachhinein zum Initiator des Quasi-Franchise von „A Star Is Born“, einer regelmäßigen Selbstreflexion der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Nur fünf Jahre später begann diese Serie – abermals mit David O. Selznick im Zentrum des Geschehens.1

A Star Is Born (1937)

Ein Stern geht auf

Ein Drehbuch mit dem Vermerk „Final shooting script“ wird aufgeschlagen, die erste Szene spielt im Mondschein, in dem sich in verschneiter Landschaft mit Wolfsgeheul das „isolated farmhouse“ der Blodgetts im Hintergrund abzeichnet. Dann sieht man die dazugehörige Einstellung, eine fast märchenhafte Szenerie, irgendwo im Nirgendwo von North Dakota. Esther (Janet Gaynor) kommt gerade mit ihrem kleinen Bruder Aleck (A.W. Sweatt) aus dem Kino, aus einem Norman-Maine-Film. „He never does anything but kiss a lot of girls“, resümiert der Jüngere und die Ältere erwidert: „Norman Maine is one of the best actors in pictures.“ Sie träumt von einer Karriere als Filmstar, deren Wesen und Anforderungen sie aus Fanmagazinen zu kennen glaubt. „She’s just a silly little girl whose head has been turned by the movies“, bescheidet ihre Tante (Clara Blandick). Aus Esthers Hollywoodfantasie erwächst indes eine ernsthafte Ambition, die sie ihren skeptischen Verwandten mit ihrem kleinen Farm-Horizont an den Kopf wirft: „What’s wrong with wanting to get out and make something of myself?“

Träume, aus dem Herkunftsmilieu auszubrechen und ein Leben zu beginnen, das von dem der Eltern und Großeltern drastisch abweicht, waren die notwendige Voraussetzung, um das Elternhaus zu verlassen und den Neubeginn fernab der überkommenen Strukturen zu wagen. Aber die hinreichende Bedingung erfüllte sich erst für die Generation der 1920er und 1930er Jahre: als auch die Mittel und Infrastruktur dafür bereitstanden – erschwingliche Mobilität dank Zügen und Kraftfahrzeugen. Und im Falle von Esther Blodgett natürlich die PR-Auswüchse der Hollywoodindustrie in Gestalt der vielen Fanmagazine, die junge Menschen wie Blodgett mit einem solchen Gedanken überhaupt erst infizierten. Esther jedenfalls verbringt ihre Freizeit im Kino, studiert die Fanzeitschriften und übt sich in Imitationen von Stars à la Greta Garbo („And the other day I caught her talking to a horse with a Swedish accent“, empört sich die Tante). Ihr Weg nach Hollywood ähnelt dem Aufbruch der (wahlweise mutigen oder verzweifelten) Siedler:innen zu Frontier-Zeiten, die sich auf den langen und beschwerlichen Weg nach Westen aufmachten, in eine ungewisse, doch hoffentlich blühende Zukunft. Und deshalb findet Esther auch die Unterstützung ihrer Großmutter Lettie (May Robson). „When I wanted something better“, sagt die lebenserfahrene Frau, „I came across those plains in a prairie schooner“. Ihren Mann töteten Indianer, sie vergrub ihn und fuhr weiter. „There’ll always be a wilderness to conquer. Maybe Hollywood’s your wilderness now.“ Die Großmutter überlässt der Enkelin ihr Erspartes, damit sie mit dem Zug nach Kalifornien, nach Hollywood, reisen kann. Gerade vor dem Hintergrund der damaligen Wirtschaftskrise in den USA erinnert das entfernt an den Aufbruch der von Sandstürmen und Trockenheit gepeinigten Menschen aus dem Mittleren Westen, die in den Dreißigern, also ungefähr zur Zeit von „A Star Is Born“, sich zu Hunderttausenden nach Kalifornien aufmachten, weil ihre Felder verdorrt und ihre Böden wertlos geworden waren – ähnlich, wie die glamourösen Träume einer jungen Frau in North Dakota allmählich verblühen.

Dieser Prolog ist bereits einer der wenigen Aspekte, die „A Star Is Born“ von dem fünf Jahre zuvor erschienenen „What Price Hollywood?“ (1932) unterscheiden. Die Ähnlichkeit beider Filme war so groß, dass RKO beinahe seinen einstigen Produktionsleiter David O. Selznick verklagt hätte. Denn der inzwischen unabhängige Selznick war der Produzent von „A Star Is Born“; vielleicht auch deshalb hielt sich der „What Price Hollywood?“-Regisseur (und enge Selznick-Freund) George Cukor von dem Projekt fern und lehnte die abermalige Regie ab. Die übernahm stattdessen William „Wild Bill“ Wellman, der im Ersten Weltkrieg als waghalsiger Jagdflieger an der europäischen Westfront gekämpft hatte, gerne mal die Fäuste sprechen ließ und vor seinem Wechsel zu einem anderen Studio dem Paramount-Leiter B.P. Schulberg zum Abschied einen Haufen Pferdeexkremente auf dem Schreibtisch hinterließ. Wellman bekam später zusammen mit seinem 13 Jahre jüngeren Co-Autor Robert Carson den Oscar für die Beste Originalgeschichte – die einzige reguläre Academy-Trophäe, die „A Star Is Born“ gewann (Kameramann W. Howard Greene erhielt darüber hinaus 1938 eine Ehrenauszeichnung für die Farbfotografie, die allerdings erst im Jahr darauf, 1939, zu einer eigenen Oscarkategorie avancierte). Bei insgesamt sieben Nominierungen war dies freilich eine enttäuschende Ausbeute. Nichtsdestotrotz war „A Star Is Born“ einer der bedeutendsten Filme des Jahres 1937, nominiert als Bester Film; weitere Nominierungen gab es in den wichtigsten Bereichen: Bester Hauptdarsteller, Beste Hauptdarstellerin, Beste Regie, Bestes Drehbuch und damals noch (zum letzten Mal) Beste Regieassistenz.

 

Dass Wellman und Carson für die Originalgeschichte mit dem bedeutendsten Filmpreis der Welt ausgezeichnet wurden, zeigt freilich die Ungerechtigkeiten und Verrücktheiten der Filmbranche. In der Tat waren es Wellman und Carson, die ursprünglich an Selznick mit einem Konzept herantraten, wodurch das Projekt überhaupt erst angestoßen wurde und ein Fundament erhielt. Selznick hatte sich nach Stationen in drei der größten Hollywoodstudios – MGM, Paramount und RKO – mit dem Ruf des jungen, ungemein begabten Filmemachers als Independent Producer gerade unter dem Panier „Selznick International Pictures“ selbstständig gemacht und kannte Wellman gut. Im Januar 1927 hatte Wellman dem nach einem Streit mit Irving Thalberg bei MGM arbeitslos gewordenen Selznick einen neuen Job verschafft – als Assistent von B.P. Schulberg bei den Famous Players-Lasky-Studios. Außerdem war Selznicks Bruder Myron der Agent von Wellman. Für Selznick, der sich mit den wenigen Produktionen, die sein kleines Studio pro Jahr stemmen konnte, keinen Flop erlauben durfte, war ein weiterer Film über Hollywood ein unternehmerisches Wagnis; und so wird Wellmans Anteil an dem Projekt nicht zuletzt in der Überzeugungsarbeit bestanden haben, einen mitunter zögerlichen Selznick auf diesen Film einzuschwören.

Aber die Grundzüge der Carson/Wellman-Geschichte, und damit die von „A Star Is Born“, ähnelten doch sehr der Selznick-Produktion „What Price Hollywood?“, die damals ja erst ein paar Jahre zurücklag. Allerdings stammt die Story um den Abstieg des Einen parallel zum Aufstieg der Anderen ja im Kern von Adela Rogers St. Johns, die 1932 dafür auch ganz offiziell mit einer Oscarnominierung gewürdigt worden war, bei sämtlichen „A Star Is Born“-Filmen aber nicht mehr genannt wurde, der also in gewisser Weise die Urheberschaft entrissen worden war. Rogers St. Johns, die weiterhin in Selznicks Diensten stand, arbeitete neben etlichen anderen ebenfalls am „A Star Is Born“-Drehbuch mit. Letzteres hatte in seiner Urfassung im Übrigen allein Carson geschrieben. Gleichviel: Selznick hatte einst bei RKO ihr Skript gekauft, weil er wie Wellman einen Hollywoodfilm über Hollywood drehen wollte; und „A Star Is Born“ war schlicht ein zweiter Versuch, den respektablen Vorgänger in Wirkung und Umsatz zu übertreffen. Insofern ist „A Star Is Born“ mehr ein Reanimationsversuch Wellmans und Carsons denn ein originelles Projekt. Von Carson und Wellman stammte vor allem die Idee, den Weg des späteren Stars von der Peripherie nach Los Angeles zu zeigen („What Price Hollywood?“ beginnt direkt in L.A. und lässt die Herkunft seiner Protagonistin im Unklaren); und der Gedanke, aus den beiden Hauptfiguren – dem aufleuchtenden und dem verglühenden Stern – ein Liebespaar statt lediglich Freunde zu machen.

Selznick reklamierte also wohl nicht ganz zu Unrecht die Urheberschaft der Filmidee später für sich. Wellman selbst bekannte öffentlich, der Oscar gebühre eigentlich Selznick – und in der Tat soll die Statuette dann auch in Selznicks Besitz übergegangen sein. Doch auch Selznick wiederum war nicht der alleinige Anstoßgeber, da seine damalige Frau Irene – die jüngste Tochter des MGM-Moguls L.B. Mayer – ihn wohl schon bei „What Price Hollywood?“, später dann erneut bei „A Star Is Born“ hartnäckig zu einem solchen Filmprojekt über Hollywood gedrängt hatte. Wie dem auch sei: „A Star Is Born“ hat sich seither als eine Art Franchise etabliert; der Titel stammt übrigens von Selznicks Vertrautem, dem millionenschweren Unternehmer John Hay Whitney, dem der Arbeitstitel „The Stars Below“ nicht gefiel.

Ungeachtet dessen hatte Selznick gleich mehrere Motive, eine neue Variante von „What Price Hollywood?“ drehen zu lassen. Erstens konnte er das Ganze nun in Farbe präsentieren, da das Dreifach-Technicolor-Verfahren bei „What Price Hollywood?“ noch nicht verfügbar gewesen war; dies machte aus dem Film quasi automatisch etwas Besonderes, kursierten damals doch in der ganzen Filmstadt lediglich fünf Technicolor-Kameras. Neben dem technischen Update glaubte Selznick – zweitens – noch immer an das Box-Office-Potenzial der Geschichte und unternahm einen weiteren Anlauf, nachdem sein erster Film nicht einmal seine Kosten eingespielt hatte. Selznick wollte nun allen Zweifler:innen beweisen, dass Filme über Hollywood eben doch erfolgreich sein konnten. Jedenfalls hatte er das voyeuristische Potenzial erkannt, auf der einen Seite den ruhmreichen Aufstieg und auf der anderen den tragischen Abstieg eines Stars zu zeigen. Auch wollte er, drittens, all die vorgeblichen Kinostrateg:innen, die den kommerziellen Sinn des 1932er Filmfinales, des Selbstmordes, infrage gestellt hatten, eines Besseren belehren, wollte auch hier den Beweis antreten, dass tragische Enden mindestens genauso erfolgreich sein können wie Happy Ends. Und viertens war es ihm – einem mittlerweile waschechten Hollywoodianer – wichtig, den verzerrten Blick auf die glitzernde Filmstadt an der kalifornischen Küste ein wenig zu korrigieren.

„I believed that the whole world was interested in Hollywood and that the trouble with most films about Hollywood was that they gave a false picture, that they burlesqued it, or they oversentimentalized it, but that they were not true reflections of what happened in Hollywood.“ (David O. Selznick zit. nach Behlmer 2000, S. 104.)

Und hatte Selznick mit seinem Blick für Talente wie Katharine Hepburn nicht schon oft selbst Momente erlebt, in denen er sagen konnte: „A star is born“?

Jedenfalls: David O. Selznicks Mischung aus Nostalgie und Geschäftssinn hatten erst „What Price Hollywood?“ bewirkt und nun zu „A Star Is Born“ geführt. Als 1954 das gleichnamige Remake erschien, schrieb der US-amerikanische Edelkritiker Bosley Crowther in der New York Times über die 1937er Version: „probably the most affecting movie ever made about Hollywood“ (Crowther, Bosley: The Screen: ‚A Star Is Born‘ Bows, in: The New York Times, 12.10.1954.). Die Faszinationskraft dieses Films liegt vor allem in seiner geschichtlichen Aura; wie durch ein schummriges Zeit-Periskop blickt man in eine längst vergangene Epoche Hollywoods. Man muss sich das Alter dieses Films, das in den Interieurs und Lebensweisen der Menschen im Dreißigerjahre-Kalifornien gar nicht so drastisch zum Ausdruck kommt, einmal vor Augen halten: In Deutschland herrschten damals bereits seit Jahren Hitler und die Nationalsozialist:innen, steuerten auf einen neuen Weltkrieg zu; auf den Filmfestspielen von Venedig war „A Star Is Born“ für den Coppa Mussolini nominiert, Europa stand unmittelbar vor der Katastrophe. Das Kolorit dieser Zeit wirkt ungleich ferner von heute als der erstaunlich modern anmutende Selznick-Film.

Die etwas dunkler ausgeleuchteten Räume – das Hotel-Foyer oder eine Bar – könnten so auch aus den 1950er oder 1960er Jahren stammen, wirken hier aber ungleich nostalgischer. Mit „A Star Is Born“ taucht man tief ein in die elitär-exaltierte Hollywoodsphäre, vermeint ein wenig von dem Klima, der Aura, dem Esprit jener fernen Zeit und Welt zu spüren. Durch implizite Annahmen, vage Andeutungen und hastige Streifzüge vermittelt der Film mehr, als seine Bilder tatsächlich zeigen. Esther Blodgetts Weg zum Ruhm beginnt denn auch am „Grauman’s Chinese“, einem Wahrzeichen des alten Hollywood mit seiner exotischen Architektur, den betonierten Hand- und Fußabdrücken der Stars im Gehweg. Jean Harlow, Harold Lloyd, Shirley Temple oder Eddie Cantor heißen die Stars damals – auch Norman Maine hat sich dort mit dem Spruch „Good Luck“ verewigt.

Blodgetts Ankunft in Hollywood repräsentiert die Phase all der Träumer:innen, die nach Los Angeles gekommen sind in der Hoffnung auf Ruhm und Reichtum als Star eines der über die Stadt verteilten Studios. Das „Oleander Arms“, in dem Blodgett mit dem Geld ihrer Großmutter ein Zimmer mietet, ist wie später in „The Day of the Locust“ (1975) eine Heimstätte der Suchenden und Wartenden. Blodgett schreibt die Studios an, aber niemand mit ihrem Karrierestatus kommt an der Central Casting Corporation am Hollywood Boulevard vorbei; dort empfängt alle Karriereaspirant:innen eine große Tafel mit den entmutigenden Zahlen der Vergeblichkeit: 5.393 Frauen, 5.517 Männer und 1.506 Kinder haben sich als Extras eingeschrieben – das Sechzehnfache des Bedarfs. Im Büro sitzen ein halbes Dutzend Telefonistinnen, die wie verrückt unentwegt den Satz „Try later, thank you“ aufsagen, während kleine Lämpchen immer neue Anrufe ankündigen. „Every one of those little lights thought it was going to be a star“, sagt die Angestellte im Empfangsraum. Ein bisschen Hollywoodromantik wird sich nicht verkniffen, denn der Hotelbesitzer ist so gnädig, Blodgett trotz der säumigen Mietzahlungen nicht rauszuschmeißen und sie also auch nicht zur vorzeitigen Abreise zu bewegen. Im „Oleander Arms“ lernt Blodgett den Leidensgenossen Danny McGuire (Andy Devine) kennen, einen arbeitslosen Regieassistenten. Ihm verdankt sie letztlich ihre große Chance, einen Gelegenheitsjob: Sie hilft auf der Party eines Regisseurs als Kellnerin aus, einem für Hollywood typischen Umschlagplatz der Karrieren also.

Jedes Mal, wenn sie den Gästen Horsd’œuvres von ihrem Tablett anbietet, imitiert sie eine berühmte Schauspielerin – erst Greta Garbo, dann Bette Davis, schließlich Mae West. Und dann trifft sie auf Norman Maine, ihren Leinwandhelden, der reichlich betrunken aufkreuzt und mit seinen Ausfällen gerade seinem Regisseur am Set das Leben zur Hölle macht. Maine interessiert sich nicht für die übrigen Hollywoodgäste, sondern für die Kellnerin – das erinnert an die Hollywoodlegende, demnach der spätere Star Colleen Moore als Dienstmädchen auf einer Party ihrer Tante ausgeholfen habe, wo sie dann der Regisseur D.W. Griffith entdeckt haben soll. Blodgett jedenfalls lässt sich von Maine nicht abschleppen, er findet sie „lovely“ und ruft noch in derselben Nacht seinen Boss an. Die Uhr zeigt zehn vor drei, als Oliver Niles (Adolphe Menjou), der Kopf an der Spitze des Oliver Niles Studio, aus dem Tiefschlaf heraus den Anruf entgegennimmt – offenkundig eine Maine-Marotte und ein Star-Prärogativ, bei Niles sporadisch Screentests für hübsche Frauen zu arrangieren. Die Begegnung zwischen etabliertem Star und unbekannter Aspirantin, der eine besoffener Gast, die andere eine schlagfertige Kellnerin, entspricht dem Beginn von „What Price Hollywood?“.

Und wie fünf Jahre zuvor bei Constance Bennetts Mary Evans gelingen auch Janet Gaynors Esther Blodgett die Probeaufnahmen, sie wird unter Vertrag genommen. Das Studio promotet sie als „Cinderella of the Rockies“. Sie absolviert Trainings im Herabschreiten einer Treppe und geht zu einem Sprechcoach. Im Make-up-Department fragen sich die beiden Spezialisten: „Pretty small mouth, eh?“ – „Give her that Crawford smear.“ Wie später im 1954er Remake wird das ungeheuerliche Leid zahlloser Schauspielerinnen der Studio-Ära, dem Make-up-Department und den Studiomanagern ausgeliefert, humorvoll verkleidet. Doch wäre Blodgett noch lange kein Star, hätte sich für sie nicht abermals eine günstige Gelegenheit ergeben.

Ebenfalls wie in der 1954er Version sucht Niles nach einer Besetzung für die vakante weibliche Hauptrolle, in diesem Fall für Maines neuen Film, „The Enchanted Hour“. Als Maine ihm Blodgett vorschlägt, die bis dahin noch keine einzige Rolle gespielt hat, ist Niles bereits mit dem gesamten Studioverzeichnis aller Vertragsschauspielerinnen durch und mit seinem Rat am Ende. Als Niles und sein PR-Chef Matt Libby (Lionel Stander) Blodgetts Namen erfahren, reagieren sie, als müssten sie einen Mord vertuschen. „Hey, we’ll have to do something about that, right away“, sagt Niles, während Libby den Namen voll fassungsloser Verachtung wiederholt. Niles: „Well, that Blodgett’s definitely out.“ In weniger als einer Minute ist ein neuer Name gefunden: Vicki Lester. Später im Film erfahren wir auch Maines echten Namen: Alfred Hinkel. Es ist sicher kein Geheimnis, dass ein karriereförderliches Pseudonym damals, in der Studio-Ära, zum üblichen Prozedere einer Star-Werdung gehörte – wenige, wie Ingrid Bergman, verweigerten sich dem Ansinnen der Filmemacher. Fast jeder Film über Hollywood spielt mit dieser Komponente der Star-Werdung. Dass in Hollywood nicht einmal die Namen echt sind, ist Teil der Illusionsmaschinerie. Und auch die Biografie wird nach allen Regeln der Marketingkunst frisiert. Libby fragt Blodgett nach ihrer Herkunft. In Filmore, North Dakota sei sie geboren. Libby an der Schreibmaschine: „Oh no. Grace saw light of day in a mountain cabin, a trappers hut high up in the rockies.“ Ihr Vater sei ein Farmer – Libby schnarrt verächtlich und tippt weiter: „There amidst the mountain flowers, he raised another blossom. His lovely little daughter …“

 

Dann der Lackmustest: die Vorschau vor echten Zuschauer:innen; auf der Leinwand flackert ein Hinweistext: „You are about to see the Preview of a picture that has not been finally edited. Your opinion will be appreciated. Please mail comment cards.“ Niles und Libby lungern wie Spione vor dem Kino herum, um die Gespräche der herausströmenden Zuschauer:innen mitzuhören. Das Preview-Publikum ist begeistert, alle halten Lester für den nächsten großen Star – „That Lester kid’s a gold mine“, ruft ein Journalist Libby zu. „A star is born“, sagt Maine zu Blodgett, als sie sich unbemerkt davonstehlen.

Wie sein Vorläufer „What Price Hollywood?“ nimmt der erste „A Star Is Born“ sein Publikum mit in eine Welt, die halb Märchenland, halb Hölle ist. Seinen Namen und Teile seiner Biografie aufzugeben, ist sicherlich nicht leicht, aber erscheint vor dem Hintergrund des eigenen Wollens der Star-Aspirant:innen noch vertretbar. Einen erheblich delikateren Punkt berührt indes die Szene, in der sich die Kosmetikexperten über Esther Blodgetts Gesicht beugen und darin herumpinseln, während sie über die idealen Augenbrauen grübeln. Dieser Vorgang, in der 1954er Fassung mit beinahe masochistischen Selbstbezügen Judy Garlands leicht abgewandelt, zielt auf die schmerzhaften, nicht zuletzt entwürdigenden Gesichtsoperationen ab, denen sich unzählige Frauen in der Studio-Ära zu unterziehen hatten, wollten sie ihre Chance wahren, ein Star zu werden. Und natürlich der Star-Status selbst, der neben seinen Privilegien auch verhängnisvolle Tücken birgt: die permanente Beobachtung durch unersättliche Paparazzi, die mit ihrer Hartnäckigkeit und ihrem Instinkt auf Fehltritte des Prominenten warten, die sie anschließend in der skrupellosen Klatschpresse ausbeuten können; oder die Alkoholsucht, der Norman Maine schon lange vor seinem ersten Auftritt im Film, bereits während seiner Erfolgszeit, verfallen ist.

Norman Maine, der gestandene Star: Das ist eigentlich die zentrale Performance eines jeden „A Star Is Born“-Films, von Fredric March über James Mason und Kris Kristofferson bis hin zu Bradley Cooper – seit 1976 ist die Figur kein Schauspieler mehr, sondern Musiker; 1976 heißt er John Norman Howard, 2018 Jackson Maine. Denn „A Star Is Born“ handelt im Kern weniger vom Aufstieg als vom Abstieg. Die äußerlichen Merkmale haben sich geändert, aber die tiefe Tragik bleibt: Norman Maine zerstört sich im Verlauf der Filme selbst, sein Stern erlischt. Und das ist die Stärke der 1937er Variante: die Blicke des Fredric March, aus denen die Unsicherheit in einem eigentlich selbstbewussten Körper spricht. Gleich von seiner ersten Szene an erleben wir das ganze Spektrum des Maine’schen Alkoholismus, von Peinlichkeit bis zu Gewalt. Zwanzig Minuten vergehen bis zu seinem ersten Auftritt; mit einer Begleitung torkelt er zu seinem Platz im „Hollywood Bowl“, der großen Freilichtbühne in den Hollywood Hills, die einem antiken Theater nachempfunden ist – „he seems to have had that one extra cocktail“, kommentiert Danny, der neben Esther ein paar Reihen oberhalb von Maine sitzt. Das Publikum klatscht, als der Dirigent die Bühne betritt, aber Norman Maine denkt in diesem Moment, der Applaus gelte ihm, und reckt die Arme empor, ehe er beim Hinsetzen mit seinem Stuhl zu Boden kracht. Dem Fotografen, für den er seinen Arm um die Frau neben ihm legen soll, nimmt er erbost die Kamera ab und zertrümmert sie; es kommt zu einem Handgemenge, in das die Polizei eingreifen muss. Kurz darauf klagt Maines aktueller Regisseur dem Studioboss: „His work is beginning to interfere with his drinking.“

Als Norman Maine Esther Blodgett entdeckt, sind seine Tage als Box-Office-Held und damit als Filmstar längst gezählt. Viele Stars sind damals für die Studios notorische Troublemaker, aber Norman Maine spielt nicht mehr das nötige Geld ein, um das Management darüber hinwegsehen zu lassen. PR-Mann Libby, der berufsmäßige Troubleshooter, spricht gegenüber Niles sein Verdikt über Norman Maine: „[…] the exhibitors don’t like him, the critics don’t like him, the public don’t like him, and I don’t like him.“ Als Libby später im Film das frischgebackene Ehepaar Maine behelligt, um Exklusivaufnahmen des Glamourpaares im neuen Zuhause zu machen („Caption: Their honeymoon never ends.“), wollen die Menschen doch eigentlich nur Bilder von Vicki Lester sehen. Niles kommt dazu und setzt sich abseits der nun zur Vicki-Lester-Fotosession verdichteten PR-Aktion mit Maine unter die Palmen. Im Gespräch wird klar, dass der große Erfolg von Vicki Lesters Leinwanddebüt allein ihr und nicht Maine zugeschrieben wird. „Do you think I’m slipping?“, fragt Maine seinen Freund und Chef. „The tense is wrong“, antwortet der, „you’re not slipping, you’ve slipped.“ Man hört förmlich die Worte in Maines Bewusstsein einsickern. „My fan mail is still big“, wendet er ein; aber Niles ernüchtert ihn, dass Fotografien billiger als Tapeten und die Anfragen für Maine-Porträts folglich kein gültiger Prestigeindikator seien. Ein anderer Schauspieler, Pemberton, scheint in Maines Fußstapfen zu treten, er – nicht mehr Maine – soll im nächsten Vicki-Lester-Film die männliche Hauptrolle übernehmen. Auf den großen Filmplakaten, die „The Enchanted Hour“ bewerben, wird schon bald der Name „Norman Maine" mit dem von Vicki Lester überklebt; während die Berge an Lester-Fanpost hektisch anwachsen, landet in Maines Fach bloß noch sporadisch ein Brief; kurz darauf gibt das Niles-Studio bekannt, den Vertrag mit Norman Maine aufgelöst zu haben. „Orchids to Niles!“, jubelt die Presse. Kinos, die bereits Maine-Filme gebucht haben, werden vom Studio von ihren Obligationen entbunden – ein desaströses, unrühmliches Karriereende.

Zu Hause, in der malerischen Villa am Strand von Malibu, schlägt Maine nun die Zeit mit Wohnzimmergolf tot, während seine Frau Filme dreht. Anrufer halten ihn für Vicki Lesters Butler. Als sie von einem langen Arbeitstag im Studio zurückkommt, hat er Sandwiches vorbereitet, ein gemütlicher Abend in romantischer Zweisamkeit scheint bevorzustehen. Aber Norman Maines Zustand ist derart fragil, dass ihn die Serie an kleinen Herabstufungen allmählich zermürbt. Als dann auch noch der Paketbote an der Tür skeptisch fragt, wer er denn sei, ihn obendrein als „Mr. Lester“ adressiert, da treibt es ihn zu einem „little drink“.

Vicki Lester gelingt schließlich der ultimative Triumph: Sie gewinnt den Oscar – und damit die Anerkennung ihrer Peers, die sie gekürt haben. Vor der versammelten Academy-Gemeinschaft trägt sie einen sanften, demütigen Dank vor, als plötzlich ein lautes „Hey!“ ertönt und Norman Maine – auf den sie zuvor vergeblich an ihrem Tisch mit Niles gewartet hat – in das Zeremoniell hineinplatzt. Er wankt zum Podium, gratuliert seiner Frau und stößt dabei versehentlich eine der aufgereihten Oscarstatuetten um. „Now I wanna make a speech“, setzt er seine Blamage fort: „Gentleman of the Academy and fellow suckers“, ruft er. Und mit Blick auf seine drei Flops, die unlängst sein Karriereende besiegelt haben, verlangt er für sich einen Spezial-Oscar, „for the worst performance of the year. In fact, I want three statues. For the three worst performances of the year, because I’ve earned them!“