Die Krieger des alten Japan

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Die Krieger des alten Japan
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Roland Habersetzer

Die Krieger des alten Japan

Berühmte Samurai, Rônin und Ninja

Aus dem Französischen

von Frank Elstner

Palisander

Der Verlag dankt dem Museum Schloß Lichtenwalde, insbesondere Frau Birgit Mix, für die Zurverfügungstellung der in diesem Buch abgebildeten Farbholzschnitte zur Reproduktion. Weiterhin dankt der Verlag Hans-Jürgen Greiner-Petter (Berlin), Janett Kühnert, Norbert Wölfel und Jens Regner (Chemnitz), für die fachliche Unterstützung bei der Redaktion.

2. Auflage November 2011

Titel der Originalausgabe (Teil I und II): Les Paladins du Soleil Levant

© 1988 by Amphora

Titel der Originalausgabe (Teil III): Ninja: >Les Guerriers de l’Ombre

© 2008 by Roland Habersetzer

Deutsch von Frank Elstner

© 2011 by Palisander Verlag, Chemnitz

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Anja Elstner, unter Verwendung eines Holzschnitts von Yoshikazu Utagawa

Lektorat: Palisander Verlag

Redaktion & Layout: Palisander Verlag

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

ISBN 9783938305508

www.palisander-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Der Autor

Wie eine Kirschblüte

I Heilige und Helden

Samurai – eine Kunst zu leben und zu sterben

Minamoto-no-Yoshitsune

Aristokraten und Krieger

Die Offenbarung

Benkei, ein Gefährte fürs Leben

Tödliche Eifersucht

Die Schlacht von Ichi-no-Tani

Der Überfall auf Yashima

Die Seeschlacht von Dan-no-Ura

Die lange Treibjagd

Der Beginn der Legende

Die Loyalität des Kusunoki Masashige

Ein Baum im Süden

Die Belagerung von Akasaka-jô

Die Belagerung von Chihaya-jô

Go-Daigos vorzeitige Rückkehr

Die Schlacht von Minatogawa

Tsukahara Bokuden – der »Schwertheilige« aus Kantô

Das Genie aus Kantô

Für die Ehre des Kamiizumi-dôjô

Das Turnier im Tempel von Kashima

Die feinste Klinge Japans

Der Kenshi

Die eintausend Tage

Aufstieg und Fall des Klans der Takeda

Der ewige Sieger

300 Krieger für Unnokuchi

Die Jugendjahre des Uesugi Kenshin

Grünspecht und Rad

Mit dem Schwert, nicht mit Salz

Mikatagahara

Kagemusha, der Schatten des Kriegers

Die Schlacht von Nagashino

Der spektakuläre Selbstmord des Shimizu Muneharu

Takamatsu-jô

Ein Steinchen auf dem Weg zur Macht

Eine Geschichte vom Wasser

Der Pakt

Sterben für Takamatsu-jô

Die Abenteuer des Rônin Yamada Nagamasa

Die Ära der Tokugawa

Das Kind, das Samurai werden wollte

Der Weg der Macht

Herzog von Siam und König von Ligor

Miyamoto Musashi

Frühe Reife

Die erste Herausforderung

Kämpfe gegen den Yoshioka-Klan

Das letzte Duell des Miyamoto Musashi

Musashis Sohn

Die Schule der zwei Schwerter

Gorin no Sho

Amakusa Shirô – Der Gesandte Gottes

Eine Entdeckung

Das Edikt des Shôguns

Schreckensherrschaft auf Shimabara

Die Ankunft des Messias

Wie ein Tsunami

Die Rebellen auf dem Vormarsch

Rückzug nach Hara-jô

Gott auf Seiten der Unterdrückten

Der Schraubstock

Verrat

Bis zum Letzten

Das Haupt des Amakusa Shirô

Akô Gishi: Die 47 Rônin aus Akô

Die Provokation

Für die Ehre

Die Schläfer

Der Weckruf

Süß ist die Rache

Am Grabe Asanos

46 Blitze blauen Stahls im Licht der aufgehenden Sonne

Saigô Takamori, der letzte Samurai

Der Riese aus Kagoshima

Meiji – die Welt verändert sich

Der Bruch

Der Aufstand im Süden – Satsuma-no-ran

 

Saigô, der Rebell

Saigô, der Große

II Die Unbesiegbaren

Vorbemerkung

Kôdan-Geschichten

Der hundertste Pfeil für Kihachi

Der Samurai, der als Prinz starb

Einer gegen alle

Duelle – Herausforderung zum Tod

Hasebe Nobutsura – ein würdiger Krieger

Minamoto Tametomo – ein Pfeil für ein Schiff

Takahashi Nagatsuna – tödliche Großmut

Saitô Bettô Sanemori – zu Staub zerfallen

Senô-no-Tarô Kaneyasu – für die Ehre und für den Sohn

Die ersten zwei Kämpfer am Fluß Uji

Minamoto Yoshinaka – der letzte Pfeil in der Schlacht von Awazu

Tomoe Gozen – eine japanische Amazone

Die Brüder Kawara

Ein unwürdiger Tod

Der Weg des Schwertes und der Poesie

Verrat und Treue

Dôjô-Geschichten

Die Lektion des Banzo

Satori

Unreife

Mutekatsu-ryû

Der Krötenmann

Die drei Söhne des Tsukahara Bokuden

Rettung eines Kindes

Der Teemeister und der Samurai

Der Teemeister und der Rônin

Die Ehre des Kage Genshirô

Feindliche Schwingungen

Das Geheimnis der Schwertkampfkunst

Schwerter und Fliegen

Das Reiskorn

III Ninja – Die Schattenkrieger

Meuchelmörder und Spione

Aus dem Dunkeln – Teil 1

Die Schlacht bei der Burg des »Weißen Phönix«

Vorspiel

Das lange Warten

Trügerischer Sieg

Hattori Hanzô, Wegbereiter der Tokugawa

Herbst 1581

Frühjahr 1582

Triumph

Post für Takamatsu-jô

Vorspiel

Durch feindliches Gewässer

Die Mission

Lautloser Tod

Nachspiel

Ninja-Anektdoten

Der Ninja und die Wiesel

Der betrogene Ninja

Die wiedergefundene Ehre der Ninja des Totsuka-Klans

Verhängnisvolles Können

Das Flammenmeer

Ninja-seppuku

Verräterische Insekten

Eine uneinnehmbare Festung

Auf der Richtstatt

Gejagt von den Ninja des Oda Nobunaga

Die Falle

Vogel im Regen

Der Schwertdieb

Mugei-mumei

Aus dem Dunkeln – Teil 2

Fußnoten

Anhang

Glossar

Die historischen Provinzen Japans

Zeittafel

Bibliographie

Der japanische Farbholzschnitt

Weitere Bücher von dem Palisander Verlag

Mabuni Kenei: Leere Hand – Vom Wesen des Budô-Karate

John Okute Sica: Das Wunder vom Little Bighorn

Roland Habersetzer: Amakusa Shirô

Der Autor

Roland Habersetzer, Jahrgang 1942, ist seit 1957 Praktizierender der Kampfkünste. Bereits 1961 erhielt er den 1. Dan und wurde so zu einem der ersten französischen »Schwarzgurte« im Karate. Zu recht wird er sowohl als Spezialist der japanischen Kampfkünste (Budô) als auch der chinesischen (Wushu) angesehen. Nachdem er verschiedene Graduierungen in Frankreich, Japan und China erhalten hatte, wurde Roland Habersetzer im April 2006 in Japan durch O-Sensei Tsuneyoshi Ogura (Schüler von Yamaguchi Gôgen und Gima Makoto) der 9. Dan, Hanshi, sowie der Titel eines Sôke (Meister-Gründer) für seinen eigenen Kampfkunststil »Tengu no michi« (Tengu ryû Karatedô, Kobudô, Hôjutsu) verliehen. Damit wurden seine außerordentlichen Bemühungen bei der Verbreitung der Kampfkünste und die hohe Effektivität seines Wirkens gewürdigt. Nicht zuletzt stellt dies auch die Legitimierung seines eigenen Konzepts der Praxis der Kampfkünste dar, des »Weges des Tengu« (»Tengu no michi«).

Im Jahre 1968 erschien Roland Habersetzers erstes populärwissenschaftliches Buch über die Kampfkünste. Heute besteht sein Werk aus nahezu 80 Büchern, was ihn zum Autor der weltweit bedeutendsten Buchreihe auf diesem Gebiet werden läßt. Seine Bücher, die in mehrere Sprachen übersetzt worden sind, gelten in allen frankophonen Ländern als historisches, technisches und pädagogisches Standardwerk. Auch in vielen anderen Ländern besitzen sie hohes Ansehen.

Sein erster Roman, »Li, le Mandchou«, erschien im Jahre 1976 bei Trévise, in der Folge veröffentlichte er drei weitere Romane mit kampfkunstbezogener Handlung im renommierten französischen Verlag Pygmalion. Seine Erzählungen über berühmte Samurai und Rônin wurden 1988 publiziert. Die im vorliegenden Band enthaltenen Ninja-Erzählungen werden hiermit erstmals veröffentlicht.



Roland Habersetzer

Centre de Recherche Budo – Institut Tengu (CRB-IT)

7b, rue du Looch

67530 Saint-Nabor (Frankreich)

http://www.tengu.fr

Deutsche CRB-Website:

www.wslang.de/karatecrb

Illustrationen

Die Farbabbildungen sind Reproduktionen japanischer Holzschnitte aus der Sammlung Brühl, Schloß Lichtenwalde, mit Ausnahme der Abbildungen 2 (lizenzfreie Quelle) und 4 (Archiv des Autors). Die Zeichnungen im Buch stammen vom Autor, die anderen Schwarzweißabbildungen entstammen dem Archiv des Autors, lizenzfreien Quellen und der Sammlung Brühl, Schloß Lichtenwalde (1 und 24). Die Landkarten 25 und 26 wurden von Maria Nitschke gezeichnet. Das Foto des Autors wurde von Gabrielle Habersetzer angefertigt.

Den Starken und den Reinen

von überall und aus allen Zeiten.

Roland Habersetzer

Hana wa sakura gi hito wa bushi.

Was unter den Blüten die Kirschblüte, ist unter den Menschen der Krieger.

Wie eine Kirschblüte

Im Kampfe waren sie unerbittlich und grausam, aber sie vermochten es auch, in Gedichten tiefe Gefühle auszudrücken. Ihr Wille war unbeugsam, und zugleich waren sie außerordentlich empfindsam. Jederzeit waren sie zum Sterben bereit, doch ihre Siegesgewißheit war grenzenlos. Sie waren stolze Ritter und trugen aus mehreren Schichten bestehende Rüstungen in schillernden Farben. Als Zeichen ihrer Privilegien führten sie zwei Schwerter mit sich, die sie als ihre lebendigen Begleiter betrachteten. Dies waren die Samurai.

Über ihr bewegtes Leben ist viel berichtet worden. Es ist nicht einfach, sich heute ein realistisches Bild von ihnen zu machen, durch den Nebel der Legenden hindurch, die über die Jahrhunderte um sie gewoben wurden. Wie bei den Recken unserer Heldenlieder oder den Helden der nordischen Sagenwelt vermischte sich ihre Geschichte mit dem Mythos, und die Erzählungen ihrer großen Taten wurden über Generationen hinweg durch ein Volk, das seine Helden bewunderte, überliefert. In den Geschichten sind daher die Grenzen zwischen historischer Wahrheit und Märchen mitunter fließend, und manche Einzelheiten werden vielleicht etwas unglaubwürdig klingen. Doch dies ist kein Makel. Man sollte die Erzählungen in dem Bewußtsein des zeitlichen Abstands lesen und sich dabei vom Gefühl des Wunderbaren, das sie durchdringt, erfüllen lassen. Ein wenig Begeisterung und ein wenig Träumerei sind vielleicht genau das, dessen unser Zeitalter bedarf.

 

Es ist kaum möglich, unberührt zu bleiben angesichts des Lebens, des Charakters und der Ethik der Berufskrieger des japanischen Mittelalters. Einige von ihnen erlangten schon früh einen Ehrenplatz in der Geschichte, anderen wurde er erst später zuteil. Nicht alle erreichten die Berühmtheit eines Minamoto Yoshitsune, eines Takeda Shingen oder eines Kusunoki Masashige. In der japanischen Geschichte gibt es derartig viele blutige Geschehnisse, in denen sich Männer, aber auch Frauen, ruhmvoll hervorgetan haben, daß von zahlreichen Helden nicht einmal die Namen überliefert wurden. Viele ihrer außergewöhnlichen Taten wurden in früheren Zeiten als etwas Alltägliches betrachtet.

Ruhm konnte ein Krieger sowohl durch den Erfolg als auch durch die Niederlage erlangen. Die japanische Tradition kennt den Begriff hôgan biiki, die Würde des Gescheiterten. Auch wenn ihr Mut, ihre Treue und ihre Entschlossenheit überragend waren, haben doch viele Samurai und Rônin – dies waren Samurai, die keinem Herren dienten – ihr Leben im Kampf gegen übermächtige Kräfte verloren oder wurden Opfer niedriger Intrigen. Ihr Geschick war oft tragisch. War ein Samurai den Mächtigen nicht mehr nützlich, konnte es geschehen, daß er unbarmherzig verfolgt wurde. So war es keine Seltenheit, daß ein Samurai einsam in der Verbannung starb oder zu rituellem Selbstmord gezwungen wurde. Oft war der Ruhm der Helden flüchtig und zerbrechlich, ein magischer Augenblick, der schon verstrichen war, kaum daß man zu glauben begann, er würde ewig dauern.

Der Samurai begegnet uns häufiger als ein zutiefst empfindsamer Mensch denn als unüberwindlicher Held. Aber das trug um so mehr dazu bei, daß er nicht vergessen wurde. Im Gegensatz zur westlichen Welt, wo man sich am liebsten der siegreichen Helden erinnert, liebt man in Japan vor allem die unglücklichen Helden. Sie sind die schillernden Figuren der kabuki- und nô-Theaterstücke, der Balladen, Erzählungen und Filme. Der Bericht von ihrem Lebensweg, so nüchtern er auch sein mag, wirft auch nach Jahrhunderten stets die gleichen Fragen auf: Bedeutet ihr Tod Sieg oder Niederlage? Ist der Sieger wirklich immer derjenige, der überlebt? Welchen Sinn haben Opfertaten? Warum triumphiert so oft das Böse oder das Mittelmaß?

Die tapferen Krieger, über die hier berichtet wird, verkörpern die Tugenden eines verflossenen Zeitalters. Ihre Geschichten erinnern uns daran, daß der Mensch selbst in den schwersten und unruhigsten Zeiten die Fähigkeit bewahren kann, Werte aufrechtzuerhalten, nach denen wir auch heute noch streben, um in der modernen Gesellschaft Halt zu finden. Ich glaube, daß sie es verdienen, immer wieder erzählt zu werden, weil sie beispielhaft sind und weil sie Hoffnung geben.

Alle Geschichten in diesem Buch sind wahr. Alle Persönlichkeiten, von denen berichtet wird, haben existiert, und ihre Rolle in der japanischen Geschichte wird auf authentische Weise wiedergegeben. Auch die Daten sind streng historisch. Man muß hierbei aber berücksichtigen, daß nach japanischem Brauch ein Kind, das zur Welt kommt, bereits ein Jahr alt ist. Dies erklärt, warum in den Quellentexten, je nachdem, ob es sich um japanische oder nichtjapanische handelt, manche Daten oder Altersangaben zu den Protagonisten dieser epischen Abenteuer unterschiedlich sein können.

Es war meine Absicht, mit meinen Worten die großen Krieger des alten Japan wieder zum Leben zu erwecken. Ihre Zeitgenossen glaubten, daß sich diese Helden in einer Hinsicht von den gewöhnlichen Menschen unterschieden: Für einen Augenblick, der wie ein kräftiger Windstoß war, besaßen sie eine Ausstrahlung, die jenem einzigartigen Schimmer glich, welcher der Kirschblüte (sakura) zu eigen ist, kurz bevor sie zu welken beginnt.

Fragt dich jemand

nach dem Geiste Japans:

Es ist eine Kirschblüte,

die ihren Duft in der aufgehenden Sonne verströmt.

Motoori Norinaga (1730-1801)


Samurai unter blühendem Kirschbaum. Japanischer Holzschnitt (Detail).

I
Heilige und Helden


»Der Weg des Samurai liegt im Tod.«

Aus dem Hagakure1

Samurai – eine Kunst zu leben und zu sterben

Der Samurai gilt in der Kriegertradition Japans als Urbild des tapferen, einzelgängerischen und romantischen Menschen, der treu ist bis zu seinem Tode. Für unzählige Generationen von Japanern war dieser Kriegertypus, der sich zugleich durch Stolz und Bescheidenheit, durch Kraft und Empfindsamkeit auszeichnete, ein Muster der Tugendhaftigkeit. Während 700 Jahren spielten die Samurai eine entscheidende Rolle in der bewegten Geschichte ihres Landes. Sie brachten Fürstenfamilien an die Macht und stürzten sie. Sie schlugen sich im Dienste rivalisierender Parteien, sie trotzten auf allen Schlachtfeldern dem Tode und lebten nach ihren eigenen Regeln.

Das Wort Samurai entwickelte sich phonetisch aus »saburai«, das wiederum abgeleitet ist von »sabura«, »zur Seite stehen, bewachen, dienen«. Der Begriff kam zwischen dem 9. und dem 11. Jahrhundert auf. Als Samurai wurde zunächst eine Elite bezeichnet, die aus den Familien der großen Lehnsherren des Landes stammte, und aus der jene ihre Vasallen auswählten. Die ersten Samurai waren demzufolge von geringer Zahl, und jeder von ihnen verfügte über eigene Truppen. Sie waren damit den Grafen des europäischen Mittelalters vergleichbar. Diese Vertreter des Kriegeradels (buke) standen anfangs im Schatten der kaiserlichen Macht. Im 12. Jahrhundert änderten sich jedoch die Machtverhältnisse. Im Ergebnis verheerender Bürgerkriege wurde einer der ihren zum Shôgun2 und damit zum tatsächlichen Machthaber im Lande. Nachdem der Klan der Minamoto (auch Genji3 genannt) den mächtigen Taira-Klan (auch als Heike-Klan4 bezeichnet) vernichtend geschlagen hatte, wurde im Jahre 1192 das Oberhaupt des Siegerklans, Minamoto-no-Yoritomo, zum Seii Taishôgun ernannt, d. h., zum »Oberbefehlshaber mit dem Auftrag, die Barbaren zu unterwerfen«. Damit hatte das »Zeitalter der Krieger« (buke jidai) begonnen, das erst 1868 zu Ende ging. Dieses Zeitalter läßt sich in zwei Epochen unterteilen: Die ersten vier Jahrhunderte (1192-1603), die Ären Kamakura, Muromachi und Azuchi-Momoyama, waren geprägt durch zahlreiche Bürgerkriege, in denen die Kriegerklane miteinander um die Macht stritten. Das ganze Land wurde durch Feuer und Schwert verwüstet. Mit Anbruch der Tokugawa-Ära, die von 1603 bis 1868 andauern sollte und die durch Tokugawa Ieyasu gegründet wurde, stabilisierten sich die Machtverhältnisse, und die Kaste der Samurai wurde gezwungen, sich zu disziplinieren. Dieses Zeitalter fand 1868 mit der »Meiji-Revolution« ein Ende. Unter Führung des jungen Kaisers Mutsuhito begann eine grundlegende Modernisierung des Landes. Die Samurai wurden hierfür nicht mehr benötigt, und somit endete unwiderruflich ihre Zeit.

Es waren vor allem die Samurai der Tokugawa-Ära, die als Typus ihrer Gattung in das Bewußtsein des Volkes eingingen. Diese Zeit wurde durch starke Zentralisierung der Regierungsgewalt geprägt. Während die Kaiser in Kyôto residierten, regierten die Shôgune das Land von der Stadt Edo aus, dem heutigen Tokio. Den Tokugawa gelang es, im ganzen Land den Frieden durchzusetzen. Dieser »Pax Tokugawa«, der vom Shôgun auferlegt wurde, stützte sich vor allem auf die unter seiner Kontrolle stehenden lokalen Herrscher, die in Burgen lebenden Daimyô5. Den Samurai wurde somit mehr und mehr die Grundlage ihrer Existenz genommen, denn sie lebten für den Kampf.

Die Zeiten waren günstig für den Stand der Kaufleute, die immer reicher wurden, während die Krieger mehr und mehr ohne Beschäftigung waren und in Vergessenheit, schließlich gar ins Elend gerieten. Erstaunlicherweise entstand gerade in jener Epoche das romantische Bild des Samurai als Heldentypus, und das bushidô6, das seine Lebensregel, seinen Ehrenkodex darstellte, wurde populär. Daß solch eine verklärte Darstellung der Vergangenheit, die half, die Gegenwart zu ertragen, sich verbreitete, lag nicht zuletzt darin begründet, daß sie sehr gut ins Konzept der Machthaber paßte. Die Tokugawa-Shôgune waren zu allen Zeiten darauf angewiesen, daß die Samurai ihnen auch unter den widrigsten Bedingungen treu und ergeben blieben. Sie waren der beste Garant dafür, daß ihre Herrschaft im Lande bestehen blieb. Nachdem nun die Zeit der unaufhörlichen Kriege zwischen den rivalisierenden Klanen vorüber war, mußten andere Möglichkeiten gefunden werden, den Samurai einen Daseinszweck zu vermitteln. Ihre gewaltige Energie mußte so gelenkt werden, daß sie den Herrschenden nicht gefährlich würde. Zum einen wurde daher der Umgang mit den Waffen auf die Art kodifiziert, wie sie oft auch heute noch in den japanischen Kampfkünsten besteht. Auf diese Weise entwickelten sich zunächst das bugei7 und daraus das bujutsu8, die Techniken des Kriegers, und schließlich bildete sich das budô9 heraus, der Weg des Kriegers. Zum anderen förderte das Shôgunat die höhere Bildung der Samurai, mit dem Ergebnis, daß aus ihren Reihen viele Dichter hervorgingen. Auf diese Weise wurde der Samurai des klassischen Zeitalters geboren. In den Zeiten der Bürgerkriege hatte er die Überlebensregeln gelernt, die ihn noch immer zu einem furchteinflößenden Wesen machten. Aber zu seinem unerschütterlichen Siegeswillen war Eleganz hinzugetreten, seine Gewalttätigkeit war gezähmt worden – er wurde ein zivilisierter Mensch.

Der Typus des Samurai hat sich also im Laufe der Geschichte gewandelt. Doch sein Wesenskern blieb unverändert: Der Samurai lebte, um zu dienen, allen Widrigkeiten zum Trotz und bis in den Tod hinein. Wenn es geschah, daß seine Bindung zu seinem Herren verlorenging, weil z. B. der Klan, dem er diente, im Kriege unterging und aufhörte zu existieren, wurde der Samurai zum Rônin10. Befreit von seinem Eid und seiner Pflicht, wurde er entweder zum Verteidiger der Schwachen oder aber zum Wegelagerer. Sein ganzes Vermögen, das er stets bei sich trug, waren seine Waffen. Der Rônin, der zum Helden vieler Romane wurde, trat mitunter auf seinen Reisen in verschiedenen dôjô11 als Lehrer auf und vermittelte seine Kampferfahrungen. Manchmal gründete er auch eine eigene Kampfschule (ryû), für gewöhnlich auf dem Gebiet des Schwertkampfes (kenjutsu).


Samurai-Helm.

Mit der Zeit öffnete sich die Samurai-Elite der ersten Jahrhunderte, so daß auch Menschen aus nichtaristokratischen Schichten Zugang zu ihren Kreisen fanden. Die soziale Herkunft wurde zweitrangig bei der Rekrutierung neuer Samurai. Was zählte, waren allein die Tapferkeit im Kampf und die Bereitschaft, sich für den Herrn, an den sie sich banden, aufzuopfern. Im Lauf der Zeit führte diese Entwicklung zu einem gewissen Verfall der sehr strengen Sitten, die einst dazu geführt hatten, daß die alte Kriegerkaste zu solch einer Größe und Reinheit gelangen konnte. Doch trotz dieser »Demokratisierung« unterschied sich ihre Klasse nach wie vor aufs deutlichste von der der gewöhnlichen Krieger. Letztere wurden als unwürdiges Fußvolk (ashigaru) betrachtet. Die ashigaru waren wesentlich leichter bewaffnet, und in Schlachten wurden sie als Hilfstruppen eingesetzt. Ihr Motiv für den Kampf waren eher die bei Plünderungen zu erwartenden Gewinne als die Ehre.

Ob er sich nun auf dem Kriegspfad befand oder nicht, der Samurai hatte stets das Recht auf äußere Zeichen seines besonderen Standes. Eines dieser Vorrechte bestand darin, in der Stadt den hakama tragen zu dürfen, einen bis zu den Knöcheln reichenden Hosenrock. Ein weiteres Privileg bestand darin, ein Paar Schwerter unterschiedlicher Länge, daishô genannt, zu tragen. Das katana war das Langschwert, und das wakizashi das Kurzschwert. Die Schwerter steckten im Gürtel, und ihre Schneiden zeigten nach oben, so daß es unmittelbar nach dem Ziehen des Schwertes möglich war, damit einen Schnitt auszuführen (iaijutsu). Der Schädel des Samurai war von vorn bis zur Kopfmitte rasiert. Das Haar trug er sorgfältig geknotet und nach hinten frisiert. Dieser Haarknoten (chonmage) wurde abgeschnitten, sobald der Samurai in den Ruhestand trat oder zum Rônin wurde. Wenn er in den Kampf zog, trug der Samurai eine Rüstung (yoroi, später den leichteren dômaru), die im Vergleich mit den Panzerungen europäischer Ritter relativ wenig wog, dafür aber auch leichter zu durchdringen war. Sie bestand aus lackierten Eisenplatten oder aus beweglich angeordneten Lederplättchen, die sich manchmal überlagerten und die miteinander durch farbige Bänder verbunden waren (die Farbe war das Unterscheidungsmerkmal für die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Klan). Auf dem Kopf trug er einen Eisenhelm (kabuto) mit Visier und einem großen Nackenschutz. Geschmückt war der Helm mit Flügeln, Hörnern oder sogar mit der Nachbildung eines Tieres in Bronze oder Leder. Manchmal bedeckte eine Maske aus Metall oder Leder das ganze Gesicht (sômen), oder, was häufiger der Fall war, die untere Gesichtshälfte (menpo). Die Maske sollte sowohl das Gesicht schützen als auch furchteinflößend auf den Gegner wirken. Es war üblich, daß der Samurai sich vor der Schlacht schminkte und parfümierte, damit er im Falle seines Todes ein schönes Haupt auf dem Schlachtfeld zurücklassen konnte. Entweder auf dem jimbaori, einer ärmellosen Weste, die der Samurai über der Rüstung trug, oder auf einem Wimpel (sashimono) an einem Schaft, der am Rückenteil der Rüstung befestigt war, waren Wappen (mon) gestickt. Auf diese Weise konnte man stets die Familie oder den Klan, dem der Samurai angehörte, erkennen.






Ankleiden eines Samurai.

Die Geschichte kündet durchaus auch von Niedertracht, Korruption, Treue­bruch, Intrigen und unnötigen Grausamkeiten von Seiten der Samurai. Dies mag das Bild vom edlen Samurai trüben, aber nichtsdestotrotz überwogen andere, weit positivere Eigenschaften bei der Mehrzahl dieser hartgesottenen Männer, die dem Leid mit Härte begegneten und Schicksalsschläge ergeben hinnahmen. Tatsächlich bedeutete das Dasein als Samurai in erster Linie eine Lebenskunst. Je tapferer diese Krieger waren, desto feinfühliger waren sie auch. Ihre Empfindsamkeit war oft außerordentlich, aber sie wußten ihre Gefühle zu beherrschen, denn niemals durfte es soweit kommen, daß ein Samurai das Gesicht verlor.

Der klassische Samurai war sehr empfänglich gegenüber den pathetischen Aspekten der Dinge (mono-no-aware) und der unabwendbaren Macht des Schicksals (Karma)12. Den Verlierern (hôgan biiki) galt sein tiefes Mitgefühl. Es konnte geschehen, daß er von einer Welle der Melancholie überrollt wurde, so daß man ihn kaum wiederzuerkennen vermochte. Er konnte dann plötzlich zerbrechlich wie ein Kind sein, und er verwandelte sich in einen Dichter oder einen Musiker. Der traditionelle Typus des Samurai entsprach weder einem mit allen Wassern gewaschenen Haudegen noch einem übernatürlichen, wie aus Stein gemeißelten Heldenwesen. Falls er dennoch in den Augen der anderen wie ein Übermensch wirkte, so lag das daran, daß er aufgrund seiner speziellen Ausbildung in der Lage war, Herr seiner Schwächen zu sein und auf außerordentliche Kraftreserven zurückzugreifen.

In der Anfangszeit der Geschichte der Samurai war die Ausbildung zweifelsohne sehr spartanisch und darauf ausgerichtet, die für den Kampf nötigen Reflexe zu entwickeln. Aber es ging stets auch darum, den Lernenden für Kunst, Kultur und Religion empfänglich zu machen, für eine Philosophie, die danach strebte, den Menschen in ein harmonisches Verhältnis zum gesamten Universum zu stellen. Dieser Harmonie sollte die echte Effektivität entspringen, sowohl auf dem Schlachtfeld als auch in Bezug auf alle anderen Dinge. Shintôismus, Konfuzianismus und schließlich der Zenbuddhismus beeinflußten diese Menschen, die es gewohnt waren, dem Tod ins Auge zu blicken, zutiefst. Die Erfahrung, immer wieder mit den Schrecken des Krieges konfrontiert zu werden und immer wieder dem Tode knapp zu entrinnen brachte sie dazu, nach einem aufs äußerste verfeinerten Leben zu streben und es wertzuschätzen. Das Bewußtsein, jeden Augenblick vom Tod ereilt werden zu können, ließ sie in Friedenszeiten nach Luxus und Eleganz trachten. Diese unerschrockenen Krieger waren Ästheten, wenn die Umstände es erlaubten. Sie lebten ganz im Augenblick, sowohl in der Schlacht als auch im Alltag. Die Liebe zur Schönheit und der Wunsch nach Vollendung fanden selbst in ihrer Bewaffnung Ausdruck. Auch wenn der eigentliche Zweck der Waffen darin bestand, mit ihnen den Gegner zu besiegen, wurden sie im Laufe der Zeit zu echten Kunstwerken. Auf diese Weise wollten sie sogar dem Tode Schönheit verleihen, denn der Tod war der wahre Begleiter der Samurai. Er wich ihnen nie von der Seite, er war Teil ihres Lebens. Von frühester Jugend an bereiteten sie sich auf ihn vor, und durch diese Vertrautheit mit ihm nahmen sie ihm den Charakter der Bestrafung, des Bruchs. In gewisser Weise gelang es ihnen, den Tod zu zähmen. Er stand ihnen zeit ihres Lebens zur Verfügung.


Darstellung eines seppuku. Holzschnitt.

Samurai sein bedeutete auch, zu sterben zu wissen. Jeder Samurai lernte bereits in jungen Jahren, wie man »gut stirbt«, den Regeln entsprechend und in der richtigen Haltung. Nichts durfte dem Zufall überlassen werden, oder zumindest so wenig wie möglich. Der Idealfall bestand darin, selbst den Zeitpunkt des Todes zu bestimmen, ihn sich selbst zu geben, wenn keine andere Möglichkeit mehr bestand, die eigene Ehre oder die des Herren zu retten. Der Freitod erfolgte auf langsame Weise und wenn möglich in der Öffentlichkeit. Diese Todesart war ein Weg, den Lebenden seinen Mut ins Antlitz zu schleudern. Sie war auch ein Mittel des Protestes. Zudem gab sie alles, was sich weiterhin ans Leben klammerte, der Lächerlichkeit preis. Im Lauf der Jahrhunderte entwickelte sich auf diese Weise ein ganzer Kodex des freiwilligen Todes, des Todes als öffentliches Schauspiel, bei dem man sich den Bauch aufschnitt. Das Ritual war bis in die Einzelheiten festgelegt, und es verlieh den letzten Augenblicken des Samurai, der beschlossen hatte, auf diese Weise aus dem Leben zu scheiden, eine ethische Dimension, die seiner Kultur entsprach. Dieses Ritual wurde seppuku genannt. Bekannter ist es unter dem volkstümlichen Begriff des hara kiri, was wörtlich »den Bauch aufschneiden« bedeutet; der Bauch wurde als Sitz des Atems und der Lebensenergie betrachtet.