Loe raamatut: «Kirche ist Mission», lehekülg 4

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Die Wirkung von Lausanne

Es ist nicht erstaunlich, dass die Ergebnisse von Lausanne vor allem in Lateinamerika erfreut zur Kenntnis genommen wurden. Zum einen waren die Beiträge der Lateinamerikaner René Padilla und Samuel Escobar interessiert aufgenommen worden. Zum anderen war Lateinamerika der Kontinent, der unter Anregung der Befreiungstheologie schon vor Lausanne begonnen hatte, eine eigenständige evangelikale Theologie zu entwickeln.

1979 fand in Lima ein Kongress über Evangelisation statt, an dem die Evangelikalen über die evangelistische Aufgabe in ihrem Kontext nachdachten.6 Die Teilnehmer beriefen sich namentlich auf die Lausanner Verpflichtung. So heißt es im Lima Letter, dem Brief, der die Kongressergebnisse den Kirchen zukommen ließ: „Wir bestätigen unser Festhalten an der Erklärung des Ersten Lateinamerikanischen Kongresses über Evangelisation und an der Verpflichtung des internationalen Kongresses über Evangelisation im schweizerischen Lausanne im Juli 1974“ (Lima Letter 1985 [1979], 15).

Auch in Asien zeigte der Geist von Lausanne Wirkung. Hier waren es vor allem der Inder Vinay Samuel und sein britischer Kollege Chris Sugden, die die Evangelikalen Asiens ermutigten, eine authentische asiatische Theologie zu entwickeln (Samuel und Sugden 1980, 50–51). Dass diese Anstiftung erfolgreich war, zeigt die Madras Declaration of Evangelical Social Action India, die an einer Konferenz indischer Evangelikaler verabschiedet wurde.7

In meiner Dissertation habe ich gezeigt, dass in der Madras Deklaration drei Themen als Ausdruck radikaler Theologie in den Vordergrund treten (Hardmeier 2008, 36–37). Erstens wurde in der Madras Deklaration das Eintreten für soziale Gerechtigkeit vom Alten Testament und vom Gesamtwerk Christi her begründet und das Geschehen am Kreuz soziologisch gedeutet. Letzteres bedeutet, dass das Kreuz nicht nur als Heilsgeschehen betrachtet wurde, sondern dass von ihm auch Folgerungen für die sozialen Beziehungen abgeleitet wurden. Zweitens wurde ein klares Bekenntnis zum sozial-politischen Handeln abgelegt und dieses mit der Pflicht des Christen zur Nächstenliebe begründet. Drittens wurden die strukturellen Verwerfungen Indiens beklagt und wurde die Verpflichtung auf sich genommen, sich für gerechte Strukturen einzusetzen. Damit waren wichtige Eckpfeiler eines transformatorischen Missionsverständnisses vordefiniert. In Madras wurde deutlich, dass sich auch in Asien ein evangelikales Segment gebildet hatte, dessen Theologie radikaler Natur war. Es unterschied sich schon wenige Jahre nach Lausanne erheblich von der Theologie der Evangelikalen im Westen.

Von Lausanne gelangten entscheidende Impulse auch nach Afrika. 45 der über 400 afrikanischen Delegierten in Lausanne versammelten sich während der Konferenz zu einem informellen Austausch und begannen mit den Vorbereitungen für einen afrikanischen Folgekongress. Der Lausanner Kongress hatte „die afrikanischen Teilnehmer darin bestärkt, die Evangelisation in Afrika voranzutreiben, aber diesmal durch Afrikaner, auf afrikanische Art und bezogen auf aktuelle Nöte, Fragen und Herausforderungen dieses Kontinents“ (Kapteina 2001, 112).

Die in Lausanne angeregte afrikanische Konferenz fand 1976 als Pan African Christian Leadership Assembly in Nairobi statt. Im Zentrum der Konferenz stand die Suche nach der Bedeutung des Evangeliums für den afrikanischen Kontext. Die Teilnehmer „suchten primär nach Gegenwartsrelevanz der christlichen Verkündigung und konzentrierten sich daher mehr auf die Identitätsthematik des modernen Afrikaners. Sie wollten mit der Übersetzungsaufgabe der Theologie ernst machen und widmeten daher Themen kontextueller Theologie einen weiten Raum … [Es] fand eine erste theologische Einbeziehung der inneren und äußeren Umwelterfahrung des modernen Afrikaners in die Afrikanische Evangelikale Theologie statt“ (Kapteina 2001, 125–126).

Nairobi war für die Evangelikalen Afrikas ein wichtiger Kongress. Er ermöglichte einen konstruktiven Austausch zwischen westlichen, afrikanischen und lateinamerikanischen Evangelikalen und man scheute auch den Dialog mit ökumenischen Theologen nicht. Die Anstiftung zur gesellschaftlichen Relevanz ging in Nairobi und auch bei späteren afrikanischen Kongressen zu wesentlichen Teilen von radikalen Theologen Lateinamerikas aus. Sie regten dazu an, eine auf Transformation ausgerichtete Missionspraxis zu entwickeln. So forderte Orlando Costas an einem der Folgekongresse, der South African Christian Leadership Assembly 1979 im südafrikanischen Pretoria: „Um Christus in unseren jeweiligen Situationen der Unterdrückung zu inkarnieren, muss die Kirche als Ganzes und durch ihre Mitglieder in diese Situationen eintauchen und für ihre Transformation arbeiten, denn Christus kam nicht in die Welt um die Dinge zu belassen wie sie waren, sondern um eine neue Lebensweise zu bringen“ (Adeyemo 1979, 6). Diese Forderung fiel in Afrika und in der Zwei-Drittel-Welt überhaupt auf fruchtbaren Boden.

Der Westen

Im Westen wurde den sozialen und gesellschaftlichen Fragen weniger Aufmerksamkeit geschenkt als in der Zwei-Drittel-Welt. Vor allem aber führten sie zu etlichen Kontroversen, die in den nächsten Jahren die evangelikale Bewegung beschäftigen sollten.

Einer der Auslöser der Kontroverse war die Konsultation über den einfachen Lebensstil in Hoddesdon bei London, die im Jahr 1980 stattfand. Das Treffen wurden von den radikalen Theologen Ronald Sider, Vinay Samuel, Chris Sugden und René Padilla geprägt. Das Resultat des Konsultation, die Londoner Verpflichtung, widerspiegelt den radikalen Einfluss deutlich.8 So heißt es in der Präambel: „Wir sind betroffen von der Ungerechtigkeit der Welt, besorgt um ihre Opfer und tun Buße für unsere Mitschuld.“ Im ersten Absatz über die Schöpfung heißt es: „Gottes Schöpfung ist gekennzeichnet durch reiche Fülle und Mannigfaltigkeit, und er will, dass ihre Güter zum Wohl aller sorgsam verwaltet und geteilt werden. Wir verurteilen deshalb die Zerstörung der Umwelt, die Verschwendungssucht und gewinnsüchtige Vorratshaltung. Wir beklagen das Elend der Armen, die unter den Folgen dieser Übel leiden.“

Die weiteren Absätze sprechen sich für einen einfachen Lebensstil und für konkrete Nächstenliebe aus. Die Beschäftigung mit der sozialen Verantwortung in Lausanne hatte das soziale Gewissen der Evangelikalen im Westen nachhaltig wachgerüttelt. Der massive Reichtum des Westens wurde als Schuld und als missionarische Verpflichtung empfunden. Allerdings gehen ganze Passagen weit über das eigentliche Thema der Konferenz hinaus. In Abschnitt 7 über Gerechtigkeit und Politik heißt es:

Armut und übermäßiger Wohlstand, Militarismus und Rüstungsindustrie und die ungerechte Verteilung von Kapitel, Land und Rohstoffen werden bestimmt von Macht und Ohnmacht. Ohne eine Veränderung der Machtverhältnisse durch strukturellen Wandel können diese Probleme nicht gelöst werden. Die christliche Kirche ist zusammen mit dem ganzen Rest der Gesellschaft unvermeidlich in politisches Geschehen mit einbezogen, welches ja die „Kunst des Zusammenlebens“ ausmacht. Diener Christi müssen Gottes Herrschaft mit ihrem politischen, sozialen und wirtschaftlichen Einsatz und in ihrer Liebe zum Nächsten zum Ausdruck bringen durch ihre Mitarbeit an politischen Prozessen.

Noch nie war im Westen eine Konferenz mit so radikalen Ergebnissen zu Ende gegangen. Entsprechend unterschiedlich waren die Reaktionen auf die Londoner Verpflichtung: „Von den Teilnehmern wurde die Konferenz als historischer Wendepunkt im sozialen Bewusstsein der evangelikalen Bewegung gepriesen. Die Ergebnisse lösten jedoch bei der Leitung der Lausanner Bewegung nicht geringe Bestürzung aus“ (Berneburg 1997, 101). Vor allem der Mangel an Ausgleich zwischen evangelistischem und sozialem Dienst zugunsten des sozial-politischen Engagements stieß auf Ablehnung. Die sozialpolitische Schlagseite der Londoner Verpfichtung und die gegensätzlichen Reaktionen auf das Dokument ließen in der evangelikalen Bewegung eine Kluft in der Frage des Missionsverständnisses zu Tage treten:

Der Vergleich zwischen Lateinamerika, Asien und Afrika einerseits und dem Westen anderseits zeigt, dass in den unmittelbar auf Lausanne folgenden Jahren die evangelikale Theologie in der Zwei-Drittel-Welt sich auf eine radikale Position zubewegte, während man im Westen dieser Entwicklung abwartend bis ablehnend gegenüberstand. Die radikalen Impulse von Lausanne hatten eine unumkehrbare Entwicklung innerhalb der evangelikalen Bewegung in Richtung einer vermehrten Beschäftigung mit sozial-politischen Fragen und deren Einbezug in die Missionstheorie in Gang gesetzt. (Hardmeier 2008, 43)

Nach der Konsultation in Hoddesdon war klar, dass sich die evangelikale Bewegung um eine schnelle und gründliche Klärung ihres Missionsverständnisses bemühen musste.

Pattaya (1980)

Die erste Gelegenheit sich mit der brennenden Frage der Einordnung der sozialen Verantwortung in den Missionsauftrag zu befassen, hatte die evangelikale Bewegung am Weltevangelisationskongress in Pattaya, Thailand. Die Verantwortlichen des Kongresses erkannten die Zeichen der Zeit jedoch nicht und stürzten die evangelikale Bewegung damit in eine veritable Krise. In der Vorbereitungsphase des Kongresses wurde die soziale Frage bewusst ausgeklammert (Steuernagel 1988, 188–189) und strategische Überlegungen in den Mittelpunkt gerückt.

Die Sondererklärung

Die Vertreter eines ganzheitlichen Missionsverständnisses fühlten sich durch die Ausklammerung der sozialen Frage übergangen und ließen als Reaktion auf ihre Zurücksetzung eine Sondererklärung zirkulieren, die innerhalb eines Tages von einem Drittel der Teilnehmer unterzeichnet wurde. In der Erklärung wurde bemängelt, dass dem Umstand nicht genügend Rechnung getragen wurde, dass in der Lausanner Verpflichtung nebst der Evangelisation auch die politische und soziale Betätigung zur christlichen Pflicht gerechnet wurde:

Es ist jedoch eine Tatsache, dass, abgesehen von einigen wenigen edlen und lobenswerten Bemühungen, das Lausanner Komitee für Weltevangelisation sich nicht ernsthaft mit den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Fragestellungen in vielen Teilen der Welt beschäftigt hat, die ein großer Stein des Anstoßes für die Verkündigung des Evangeliums sind. Dies wird sehr deutlich hier in Pattaya. (Costas 1987, 15–16)

Konkret wurde bemängelt, dass man sich zwar einigen sozialen Problemen annahm, aber nicht bereit schien, sich mit den strukturellen Ursachen dieser Probleme zu befassen:

Wir haben eine Arbeitsgruppe „Flüchtlinge erreichen“, aber keine, die sich mit denjenigen befasst, die zum großen Teil verantwortlich für die Flüchtlingssituation in aller Welt sind: Politiker, Militärs, Befreiungskämpfer, nationale Oligarchen und die, die die internationale wirtschaftliche Macht kontrollieren. (Costas 1987, 16)

Es ging den Kritikern in Pattaya nicht um eine Herabsetzung der evangelistischen Aufgabe, sondern um deren Sicherstellung. Es wurde darauf hingewiesen, dass Evangelisation gehindert wird, wenn sich ihr politische, wirtschaftliche und soziale Barrieren in den Weg stellen:

Weil die Welt nicht nur aus Volksgruppen besteht, sondern auch aus Institutionen und Strukturen, muss die Lausanner Bewegung, wenn sie eine andauerne und tiefe evangelistische Wirkung in den sechs Kontinenten der Welt haben will, eine besondere Anstrengung unternehmen, Christen, örtliche Gemeinden, Denominationen und Missionsgesellschaften zu helfen, nicht nur Volksgruppen zu identifizieren, sondern auch die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Institutionen, die ihr Leben determinieren, und die Strukturen hinter ihnen, die die Evangelisation behindern. (Costas 1987, 16)

Das Lausanner Komitee wurde aufgefordert, Studiengruppen zu bilden, um die drängenden sozialen Fragen zu diskutieren. Vor allem wurde darauf gedrängt, dass das Komitee den Teil der Lausanner Verpflichtung ernst nehmen soll, der die soziale und politische Tätigkeit als christliche Pflicht bezeichnet (Costas 1987, 17).

Im Westen sind die Vertreter eines sozialpolitischen Missionsverständnisses fast durchwegs auf Widerstand gestoßen. Man befürchtete, sie arbeiteten an einer Ersetzung des evangelikalen Missionsverständnisses durch politische Aktionen. Es ging jedoch zu keinem Zeitpunkt um eine Ersetzung, sondern um eine Erweiterung des Missionsverständnisses. Man wollte der evangelistischen Aufgabe die Pflicht zum sozialen und politischen Handeln zur Seite stellen. Das Ziel dieses erweiterten Missionsbegriffs lag darin, angemessen auf die sozialen Probleme und politischen Möglichkeiten zu reagieren.

Die Zerrissenheit

Es war offensichtlich in Pattaya, dass ein beträchtlicher Teil der evangelikalen Bewegung mit der Entwicklung seit Lausanne nicht zufrieden war. In Pattaya prallten zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite stand das Lausanner Komitee, in deren Köpfen das Zeitalter des Kolonialismus noch nicht völlig Vergangenheit war. Es waren immer noch die westliche Sichtweise und westliche Themen, welche die Agenda der evangelikalen Bewegung bestimmten. Doch diese Sichtweise wurde der evangelikalen Realität längst nicht mehr gerecht. Samuel liegt richtig, wenn er sagt, dass die Sondererklärung in Pattaya die Position der Mehrheit der Evangelikalen in der Zwei-Drittel-Welt repräsentierte (Samuel und Sugden 1984, 154).

Nach Pattaya war die evangelikale Bewegung zerrissener denn je. Das wird an der Ersten Konferenz evangelikaler Missionstheologen aus der Zwei-Drittel-Welt in Bangkok 1982 deutlich. Sie verstand sich als Reaktion auf die Enttäuschung von Pattaya. Im Konferenzband scheint denn auch immer wieder eine kritische Distanz zur westlichen Sichtweise durch.9 In ihm wird deutlich, dass man die missionarische Arbeit des Westens als unzureichend für den Kontext der Zwei-Drittel-Welt empfand:

Die westlichen missionarischen Bemühungen … ließen sich im allgemeinen nicht auf eine ernsthafte Begegnung mit der religiösen Suche und den sozialen Realitäten in unseren jeweiligen Kontexten ein. Daher sind die Kirchen in der Zwei-Drittel-Welt in der Gefahr, fremdartigen Kategorien verpflichtet zu sein. Diese erlauben es ihnen nicht, den Problemen und Herausforderungen, die in der Verkündigung Christi in unseren Kontexten entstehen, in angemessener Weise zu begegnen. (Konferenzergebnisse 1987 [1982], 276)

Der Kontext der Zwei-Drittel-Welt mit seinen sozialen Problemen und der starken Präsenz von nicht-christlichen Religionen verlange danach, dass die Evangelikalen ihre eigene Art und Weise entwickeln müssten, das Evangelium weiterzugeben:

In diesen Kontexten ist es dringend geboten, die biblische Leidenschaft für Gerechtigkeit, das biblische Anliegen der ‚Ganzheitlichkeit‘ des Heils und das biblische Konzept der Universalität Christi zu bedenken. Es ist notwendig für uns, uns eingehend und theologisch nicht nur mit der Realität der Unterdrückung, Machtlosigkeit und Armut einzulassen, sondern auch mit anderen Religionen in ihren verschiedenen Dimensionen, die in manchen unserer Kontexte einen starken Rückhalt besitzen. Die Konferenzberichte, die Referate und auch die Diskussion spiegeln unser Anliegen wider, dass unsere Hermeneutik dem historischen Christentum gegenüber treu zu sein hat und zugleich dem Engagement in unseren jeweiligen Situationen entspringt. Die Aufgaben, denen wir gegenüberstehen, erfordern, dass wir neue Wege suchen, unseren Glauben an Christus Jesus als Herrn zu artikulieren. (Konferenzergebnisse 1987 [1982], 275)

Die in Lausanne losgetretene Bewegung war in volle Fahrt gekommen. Die Positionen zwischen dem Westen und der Zwei-Drittel-Welt drifteten auseinander, der Ton war scharf, das Misstrauen groß. Es musste ein Weg gefunden werden, um die Gräben in der evangelikalen Bewegung zuzuschütten. Dieser Versuch wurde zwei Jahre später in Grand Rapids unternommen – und er war erfolgreich.

Grand Rapids (1982)

Das kritisierte Lausanner Komitee für Weltevangelisation und die Weltweite Evangelische Allianz beriefen auf den Juni 1982 die Consultation on the Relationship of Evangelism und Social Responsibility im nordamerikanischen Grand Rapids ein. Das anfängliche Misstrauen wich während der eine Woche dauernden Konsultation allmählich gegenseitigem Respekt. Der scharfe Ton milderte sich und man bemühte sich, einander zuzuhören.

Der Konferenzbericht

Das Ergebnis der Konferenz ist der Bericht über Verkündigung und soziale Verantwortung, der auf Deutsch von Klaus Bockmühl herausgegeben wurde. Einige Aussagen werfen ein gutes Licht auf den Stand des Missionsverständnisses in den frühen 1980er Jahren. Im Bericht heißt es:

Wir sind entsetzt, dass 800 Millionen Menschen – ein Fünftel der Menschheit – in äußerster Armut existieren … Nur das Evangelium kann Menschenherzen verändern, und kein Einfluss macht Menschen menschlicher als das Evangelium. Dennoch können wir nicht bei der Wortverkündigung stehen bleiben. Zusätzlich zur weltweiten Evangelisation sollte sich das Volk Gottes energisch bei Hilfsaktionen, in der Entwicklungshilfe und in der Suche nach sozialer Gerechtigkeit und Frieden engagieren. (Verkündigung und soziale Verantwortung 1983 [1982], 17)

Kernstück des Berichts ist die Frage, wie Verkündigung und soziales Handeln sich zueinander verhalten. Während die einen im Vorfeld von Grand Rapids die Position vertreten hatten, Mission sei im Wesentlichen Evangelisation, hatten die anderen die Integration des sozialen Handelns in den Missionsauftrag gefordert. Man erkannte, dass das Beharren auf absoluten Positionen keine verwertbaren Ergebnisse erzielen würde. So legten sich die Teilnehmer darauf fest, dass das Verhältnis zwischen Evangelisation und sozialem Handeln dreifach definiert werden könne (Verkündigung und soziale Verantwortung 1983 [1982], 23–25):

• Erstens bezeichnete man soziales Handeln als Folge der Evangelisation. Menschen, die zum Glauben kommen, würden ihr neues Leben in den Dienst für andere stellen. Dieser Dienst sei eines der Hauptziele der Verkündigung, denn Christsein müsse immer zu guten Werken führen. Allerdings geschehe dies nicht automatisch und deshalb müsse die Kirche die soziale Verantwortung lehren.

• Zweitens definierte man soziales Handeln als Brücke zur Verkündigung. Soziales Handeln könne Vorurteile abbauen, geschlossene Türen öffnen und dem Evangelium Gehör verschaffen.

• Drittens begleite das soziale Handeln die Verkündigung als Partner. Jesus habe den Menschen gedient und ihnen gepredigt. Die gute Nachricht von der Liebe Gottes müsse durch die Sorge für die Bedürftigen verdeutlicht werden, was jedoch nicht heiße, „dass man sie als identisch ansehen sollte, denn Verkündigung ist nicht soziale Verantwortung, und soziale Verantwortung ist nicht Verkündigung. Aber jedes bringt das andere mit ein“ (Verkündigung und soziale Verantwortung 1983 [1982], 25).

Schließlich wurde die Frage der Vorrangigkeit der Verkündigung behandelt – ein Anspruch, den die Vertreter eines ganzheitlichen Missionsverständnisses zunehmend bestritten. Man berief sich in Grand Rapids auf die Lausanner Verpflichtung, in der es heißt: „Bei der Sendung der Gemeinde zum hingebungsvollen Dienst steht die Verkündigung an erster Stelle.“ Diese Vorrangigkeit wurde einerseits damit begründet, dass die soziale Verantwortung nur wahrgenommen werden könne, wenn durch Verkündigung und Belehrung in der Jüngerschaft Menschen zu sozial verantwortlichen Christen werden. Anderseits sei das ewige geistliche Heil der Menschen wichtiger als ihr zeitliches materielles Wohl (Verkündigung und soziale Verantwortung 1983 [1982], 27).

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