Ameisenmonarchie

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ROMINA PLESCHKO

AMEISENMONARCHIE

ROMAN


ALS DOKTOR HERB Mazur beschloss, die gynäkologische Praxisklinik nach und nach an seinen Sohn Herb Simon Mazur zu übergeben, wusste er nicht, dass dieser nichts weniger vor Augen haben wollte als täglich zwanzig Vaginen. Herb Junior war kein Frauenarzt aus Leidenschaft, aber nun einmal der einzige Sohn des Hauses. Ein Solitär. Seine Schwester Greta lebte seit Jahren in Schweden und kontaktierte den Vater nur mehr, wenn die Finanzplanung ihres aufwändigen Lebensstils überraschende Lücken aufwies, was die Kontakte immerhin regelmäßig ausfallen ließ. Mazur Senior war stadtbekannt als Koryphäe im Ultraschallen. Er konnte das Geschlecht eines Fötus schon ab der 9. Schwangerschaftswoche fehlerfrei bestimmen. Er kannte alle Winkel, alle Schatten, alle Ausformungen und hatte sich in den über dreißig Jahren seiner Berufstätigkeit nur zwei Mal geirrt. Das war aber noch zu einer Zeit gewesen, in der die Gerätschaften einem das Leben schwer machten mit ihrer grauwolkigen Ungenauigkeit. Eigentlich war Herb Mazur Senior seit Jahren unfehlbar.

Mochte er eine Patientin – weil sie fügsam war, keine Fachfragen stellte und die Schamhaare nicht nach der allerneuesten Mode trug, sondern konservativ zurechttrimmte –, dann verriet er ihr das Geschlecht des Fötus auf der Stelle, obwohl das rechtlich vor der 13. Woche nicht gestattet war, um geschlechtsspezifische Abtreibungen zu vermeiden.

Wenn bei dieser Untersuchung, wie heutzutage durchaus üblich, der Ehegatte oder Partner anwesend war, ergänzte er die Verkündung eines Mädchens standardmäßig mit dem Satz »Das wird aber teuer für Sie, mein Lieber!«, denn er wollte sich einfach nicht vorstellen, dass es weitaus günstigere Töchter als Greta geben könnte.

Herb Junior konnte mit dem Charisma seines Vaters natürlich nicht mithalten, was dieser unbewusst unterstützte, indem er bei Einzug des Sohnes in die Praxis gleich die Gelegenheit nutzte, seinen eigenen Behandlungsraum neu zu schmücken. Eine persönliche Note bekam er nun endlich durch zahlreiche Familienfotos an der Stelle, an der vorher Werbematerial diverser Pharmafirmen gestanden hatte. Auf diesen Fotos war in signifikanter Häufigkeit Herb Junior abgebildet. Es war ein mäßig dekorativer Querschnitt seiner schwersten Jugendjahre, zu erkennen an der beachtlichen Akne oder dem in den frühen Neunzigerjahren modischen Helm-Haarschnitt, bei dem sich sein feines blondes Haar eichelartig um den Oberkopf schmiegte. Herb Junior hatte zum Zeitpunkt dieses Haarschnitts auch noch eine Zahnspange getragen und erstmals entdeckt, dass sein Interesse mehr den Penissen als den Vaginen galt. Diese Information wusste er aber geschickt zurückzuhalten und so studierte er Medizin, wie von ihm verlangt, mit der unvermeidbaren Spezialisierung auf Gynäkologie.

DIE PACKUNG MIT den Beruhigungsmitteln, die Magdalena Mazur hinter dem Racletteofen im Küchenschrank fand, war fast aufgebraucht. In der Nacht hatte sie einen Albtraum gehabt, in dem ihr Körper plötzlich von innen mit Teflon ausgekleidet war und die Organe anfingen, tief in ihr Becken hineinzurutschen. Eine ekelhafte Vorstellung, sie war schweißgebadet aufgewacht. Wohl wissend, dass dies anatomisch unmöglich war, wollte Magdalena trotzdem überprüfen, wie viele neue Raclettepfännchen sie für Weihnachten benötigten, weil die alten sich bereits in ihre Einzelteile zersetzten. Gesund war es sicher nicht, wenn man die Antihaftbeschichtung vermengt mit Flüssigkäse aß.

Jetzt fragte sie sich, aus welchem Grund Herb Senior diese Tabletten nahm. Wahrscheinlich regte ihn die anstehende Pensionierung doch mehr auf, als er zugeben wollte. Er sprach nicht viel darüber, aber Magdalena merkte an seinem steigenden abendlichen Alkoholkonsum, dass ihn etwas beschäftigte.

Sie ging zum Kühlschrank, wählte eine italienische Stangensalami mit Fenchelaroma und schnitt sich ein unelegant großes Stück davon ab. Beim Hineinbeißen quoll das Fett durch ihre Zahnzwischenräume, sie liebte dieses Gefühl. Ein kleines Stück Fleischfaser verfing sich zwischen zwei Backenzähnen, sie wollte es erst dann entfernen, wenn es gänzlich an Geschmack verloren hatte. Als Vegetarierin würde sie innerhalb kürzester Zeit zugrunde gehen, davon war Magdalena überzeugt, denn sie hatte die Blutwerte einer jungen Frau, die sich ausgewogen ernährte. Und das, obwohl sie hauptsächlich Salami zu sich nahm und auch nicht mehr besonders jung war.

Eine schwarze Feder vom Kragen ihres schon sehr abgetragenen Morgenmantels wehte in immer wieder unterbrochenen Etappen über den Küchenfußboden, als hätte sie ein unschlüssiges Eigenleben. Es dauerte eine Weile, bis Magdalena bemerkte, dass ihr wippender Fuß die Feder antrieb. Sie saß auf einem Barhocker an der Kücheninsel und starrte die Packung mit den Beruhigungsmitteln an. Es passte nicht zu Herb Senior, dass er Tabletten versteckte. Magdalena saugte an der Fleischfaser zwischen ihren Zähnen, um sie herauszulösen, sie fuhr mit der Zunge den Zahnzwischenraum entlang und erschrak, als sich ein kleiner harter Brösel aus der Faser löste. Magdalena war stolz auf ihre gesunden Zähne und hatte vor, die Originale bis ins hohe Alter zu behalten. Der Brösel löste sich auf und hinterließ einen bitteren, metallischen Geschmack.

Dieser spezielle Geschmack war ihr vertraut. Nicht in der Intensität, aber in seiner Grundbeschaffenheit. Kühl setzte er sich fest in ihrer Mundhöhle, als würde man das Fleisch des toten Tieres vor seinem allerletzten Weg noch einmal desinfizieren, damit es nicht in irgendeiner Form, und sei es nur die von Bandwürmern, wieder zum Leben erwachen konnte.

Magdalena nahm einen Zahnstocher aus der Besteckschublade und schob damit die hartnäckige Fleischfaser aus dem Zwischenraum der beiden Backenzähne. Vorsichtig nahm sie das durchgespeichelte Stück zwischen Daumen und Zeigefinger und streifte es an der schwarzen Arbeitsplatte ab. Es war weiß, mit rosigen ausgefransten Enden und komplett formlos. Magdalena rollte es ein wenig unter ihren Fingern.

Früher hatte sie sogar manchmal einen der Herbs gebeten, ihr eine andere Sorte Stangensalami aus dem Feinkostladen mitzubringen, aber sie schmeckten alle ähnlich bitter, daher hatte sie sich schließlich auf die am angenehmsten zu portionierende Variante festgelegt. Was wusste sie schon kulinarisch, seit Neuestem ließ man Fleisch kontrolliert verschimmeln für gelangweilte Gaumen. Sie musste nicht alles verstehen.

Magdalena rollte die Fleischfaser immer weiter über die Arbeitsfläche, sie zog eine fettig glänzende Spur bis hin zur Schachtel mit den Beruhigungstabletten und blieb schließlich an ihr kleben. Mirtabene stand darauf, und direkt neben dem Schriftzug prangte jetzt die erschlaffte Fleischfaser wie ein Urzeitkrebs, der ungefragt in die Gegenwart katapultiert worden war und in dieser sofort an schweren Depressionen zu leiden begann. Früher hätte Magdalena dieses Stillleben sofort gemalt, Skurriles lag ihr am Herzen, aber schon beim Gedanken daran versteifte sich ihr Handgelenk.

Der Verdacht allein war ihr unbehaglich, wusste sie doch nie etwas Produktives damit anzufangen. Sie ahnte schon seit Herb Juniors Kindheit, dass er homosexuell war, aber sie ließ diese Ahnung unbearbeitet. Der frühere Mitbewohner ihres Sohnes, der dem Moderator der Lottoziehung zum Verwechseln ähnlich sah, drang ebenso wenig in ihre Gefühlswelt wie die Erinnerung an längst vergangene Kindergeburtstagsfeiern, bei denen Herb Junior jedes Jahr eine gestisch hochdramatische Zaubershow in einem silbernen Umhang zum Besten gegeben hatte. Magdalena sah, verstand die Essenz, aber reagierte in keiner Weise darauf. Ahnungen waren unangenehm genug, endgültige Gewissheiten sollten sich deshalb einfach von selbst ergeben.

Herb Senior verabreichte ihr also Beruhigungsmittel, untergemischt in eine Wurst, wie einer renitenten Hauskatze. Magdalena kratzte die Fleischfaser von der Tablettenschachtel, steckte sie wieder in den Mund und schluckte.

HERB JUNIOR WAR heute zwar in der Ordination, aber nicht bei der Sache. Am Morgen hatte er im Lift das Parfum des Nationalratsabgeordneten gerochen, Mandarino di Amalfi von Tom Ford, süßlich dominant, ein eindeutiges Statement. Kein heterosexueller Mann verwendete Tom Ford. Die Frauen des Hauses konnte er alle ausschließen, auch wenn das bei der ansonsten glasklaren Beweislage zur sexuellen Orientierung des Nationalratsabgeordneten unnötig war, die hatten keinen Geschmack, bis auf seine Mutter, aber Magdalena fuhr nie mit dem Lift. Die restlichen Bewohnerinnen arbeiteten zumeist irgendwo im Verkauf und trugen grauenhaft zitronige Synthetikmischungen, so üppig aufgesprüht, dass Herb Junior bestätigt wurde in seiner Theorie über den Verfall des Geruchssinnes im Einzelhandel. Je länger die Frauen täglich in Kosmetikabteilungen oder Drogerien standen, desto mutiger setzten sie sich zur Wehr gegen die starke Beduftung dort, indem sie sich selbst von oben bis unten einnebelten, um nicht komplett unterzugehen in diesen gnadenlosen Neonlichthöllen.

Jetzt saß eine erwartungsvolle Schwangere vor ihm, sechste Woche, und er hatte keine Lust auf die Untersuchung. Die Frau war schrecklich dünn, litt an Morgenübelkeit und wollte endlich einen Herzschlag hören. Herb Junior bat sie, den Bauch freizumachen, sichtlich irritiert gehorchte sie. Er drückte den Schallkopf auf ihre Bauchdecke, eventuell etwas zu fest, aber obwohl sie so schlank war, bekam er nichts zu sehen. Also doch vaginal. Der Herzschlag war schnell gefunden, die Schwangere glücklich.

 

Herb Junior fixierte die große Tätowierung auf ihrem Oberschenkel, ein grimmig dreinblickendes kleines Mädchen mit Zigarette im Mundwinkel.

»Woher stammt diese Narbe hier am Unterbauch«, fragte er.

»Äh, von meinem Kaiserschnitt«, antwortete die Schwangere.

»Sie können sich wieder anziehen«, sagte er.

Herb Junior zog die Einweghandschuhe aus und wusch sich gründlich die Hände und Arme, bis fast zum Ellenbogen. Er roch an seinen Fingern, seifte sie ein zweites Mal ein und spülte sie gründlich ab. Seine Hände waren rot und schmerzten vom eiskalten Wasser.


DREIUNDZWANZIG NEUE BEITRÄGE. Karin hatte nur kurz Mittagessen gekocht und schon gab es dreiundzwanzig neue Beiträge zu ihren abonnierten Threads im Familienforum. Sie schaltete die Kaffeemaschine ein und machte es sich auf dem Sofa gemütlich. Helene schlief, Karin hatte jetzt ungefähr eine Stunde Zeit, um selbst etwas zu schreiben, bevor ihre Tochter wieder aufwachen würde.

Heute wurde über die Ethik der Leihmutterschaft, die Veganität von Muttermilch und über die anstehenden Nationalratswahlen diskutiert, durchsetzt von den üblichen Finanzgeschichten, bei denen es in erster Linie darum ging, wer mehr Geld hatte als die anderen und das so subtil in seine Forumsidentität einflechten konnte, dass niemand sich traute, seinen Neid zu verbalisieren. Man pflanzte den Neid in eine Cloud, sozusagen. Karin hatte mittlerweile gelernt, dass man Geld nur für bestimmte Dinge ausgeben durfte, für Bioobst, ein faltbares Fahrrad, für Ergotherapien und ein Kindertheater-Abo, eventuell noch für nachhaltige Reisen in streng ökologisch geführte Ferienresorts, sicherlich aber nicht für eine Nanny, Handtaschen oder Kosmetik. Das Beschäftigen einer Nanny führte nämlich nach drei Threadseiten zur Conclusio, dass man besser gar keine Kinder hätte bekommen sollen, wenn man sie nicht durchgehend selbst betreute. Eine teure Handtasche bedeutete, dass man die Prioritäten im Leben falsch setzte, und eine Affinität zu Luxuskosmetik, dass man oberflächlich war und dumm genug, den leeren Versprechungen der Industrie zu glauben.

Karin wusste nicht genau, warum sie seit Jahren süchtig nach diesem Forum war, dessen Teilnehmerinnen sie sich alle entweder sozial komplett unbeholfen oder so besserwisserisch vorstellte, dass das reale Umfeld die Flucht ergriffen hatte. Wie sie selbst dort hineinpasste, darüber vermied sie nachzudenken, denn sie beschäftigte sich nicht gerne mit eventuellen Defiziten ihrer Persönlichkeit, sondern lieber mit denen der anderen, zudem konnte sie außerhalb ihres Berufslebens nicht viel Zeit in soziale Kontakte investieren. Manchmal reichte es ihr, nur zu lesen und teilzuhaben an den rührend tollpatschigen Selbstdarstellungen im Netz. Vor allem die Männer hatten es ihr angetan. Das Familienforum wurde nämlich fast ausschließlich von Nutzerinnen besiedelt, man konnte die Nutzer an zwei Händen abzählen. Zu ihnen gehörte zum Beispiel der latent unzufriedene Apachenträne76, der so besessen war vom Sozialdarwinismus, dass er seine Tochter – natürlich Einzelkind, denn alles andere hätte einen Verlust der Finanzkraft zur Folge gehabt – zum Bogenschießen und Kampfsport zwang, damit sie der Härte der Welt eines Tages gut gerüstet gegenübertreten konnte. Er partizipierte nie an privaten Themen, außer es ging um Schulhofprügeleien (Sehr gesund für die Entwicklung! Nur Weicheier wollen ohne Gewalt durchs Leben!), das Sammeln von Uhren (Chronographen, bitte, so viel Zeit muss sein!) oder das Schreiben von Kinderbüchern (Durch strategisch effiziente Produktplatzierung beeindruckende Verkaufszahlen der Werke aus Eigenverlag).

Einmal hatte er versucht, sie über private Nachrichten anzuflirten. Darin war er nicht besonders geschickt, ging es doch hauptsächlich um ein vages Anklingenlassen seines überdurchschnittlichen Einkommens und seine Vorliebe für Funktionskleidung. Karin hatte sich konservativ wild gegeben, eine riskante Mischung, aber sie wollte schon immer einmal der aufflammende Traum eines Mannes sein, der das Scheitern seines Lebens final auf sich zukommen sah. Karin gefiel es, wenn alternden Männern allmählich jede Möglichkeit eines Alphatierdaseins geraubt wurde, trotz eigentlich bester Voraussetzungen. Bei Frauen passierte der Prozess des Scheiterns viel zu früh und schnell, er tat den meisten auch nicht weh, sondern war nichts weiter als natürliche Fügung. Man bekam Kinder, so war das eben.

ALS MAGDALENA HERB Senior in den Achtzigern auf einem Fest des Tennisclubs kennengelernt hatte, fiel ihr zuallererst auf, wie weiß der Kragen seines Polohemds war. Leuchtend rahmte er sein Gesicht, ein spiegelverkehrter Heiligenschein. Obwohl Herb Senior schon damals einen Hang zum Übergewicht hatte, schwitzte er weniger als der Durchschnitt und wirkte fit und frisch. Sein Fleisch war fest.

Magdalena fand Mediziner von allen Berufsgruppen am anziehendsten, sie gab sich gerne der Illusion hin, mit ihrem Partner eine Geheimwaffe gegen den Tod zu besitzen. Sollte jemals das viel beschworene weiße Licht zu einem unerwünschten Zeitpunkt auf sie zukommen, dann könnte sie »Stopp! Mein Mann ist Arzt!« rufen, und wenn das nichts nutzen würde, gäbe es immerhin als österreichische Eigenheit die Option auf einen Grabstein mit einem in goldenen Lettern eingemeißelten »Frau Doktor«.

Herb Senior war witzig und selbstbewusst, er hielt Türen auf und legte seine wohltemperierten Finger sanft zwei Handbreit unter Magdalenas Schulterblätter. Das gefiel ihr, erinnerte es sie doch an die Art, wie ihr der Vater damals das Schwimmen beigebracht hatte, die Hand immer sanft an ihrem Bauch, kaum spürbar, aber sofort mit aller Kraft da, sobald sie unterzugehen drohte.

Jedes Mal, wenn sie die Orientierung verlor, was ihr in den verwinkelten Räumlichkeiten des Clubhauses und unter Einfluss eines leicht erhöhten Weißweinkonsums andauernd passierte, dirigierte Herb Seniors Hand sie in die richtige Richtung. Magdalena beschloss, dass er eine ernsthafte Möglichkeit für ihre Zukunft zu sein hatte.

Der erste Geschlechtsverkehr in der Woche darauf verlief enttäuschend, ganz ohne Polohemd verlor Herb Senior sofort die Form, und Magdalena war in einem ausreichend überdurchschnittlichen Maße hübsch, um sich sexuell normalerweise nie anstrengen zu müssen. Verwirrt von seiner passiven Erwartungshaltung griff sie zaghaft nach seinem schlaffen Penis und bewegte ihn hin und her, bis er eine nicht besonders vertrauenswürdige, wankende Härte erreichte. Herb Senior war ungeschickt, Magdalena hatte eine gewisse anatomische Versiertheit erwartet, aber er brauchte beide Hände, um seinen Penis einzuführen. Sie vergrub den Kopf in seiner Halsbeuge, weil sein Atem zu stark nach Whisky und Zigarren roch. Danach gingen sie beide auf die Toilette, und sie konnte ihn im Gästebad hören, wie er seine Blähungen in die Freiheit entließ. Immerhin hat er sie bis jetzt zurückgehalten, dachte Magdalena, während sie dem zähen, fadenartigen Sperma zusah, das langsam ihrem Unterleib entwich.


DER MANN NAMENS Klaus liebte seine Wohnung, denn dort war alles perfekt auf ihn abgestimmt. Er besaß vier Tassen, drei Gläser, sechs Teller – drei kleine und drei große. Für Schalen hatte er ein Faible entwickelt, er mochte deren Multifunktionalität, daher hatte er gleich acht Stück, alle unterschiedlich groß.

Jeden zweiten Tag erledigte er den Abwasch, indem er zuerst das Besteck einweichte, dann die Gläser, die Teller, zum Schluss die dreckigen Töpfe und Pfannen abrieb. Danach spülte er alles gründlich ab, ließ es lufttrocknen und polierte vor dem Einräumen mit einem weichen Tuch nach.

Er hatte einen Staubsaugerroboter, einen Handsauger und einen Staubwedel mit Teleskopstange, mit dem er sogar mühelos die Spinnweben an der Decke entfernen konnte. Sein Bodenwischer besaß einen integrierten Tank, so konnte er den Boden mit geringem Aufwand wischen, und das vor allem, ohne seine Bandscheiben zu strapazieren. Kleinstverschmutzungen des Fußbodens behandelte er mit etwas Spucke und der Unterseite seiner Socken, so viel Disziplinlosigkeit erlaubte er sich doch hin und wieder.

Für das Badezimmer hatte er sich bei einem Shoppingsender spezielle Mikrofasertücher bestellt. Nach jeder Benutzung polierte er die Armaturen nach, somit musste er das Bad nie gründlich putzen. Den Mischhebel des Wasserhahns betätigte er grundsätzlich nur mit dem Handgelenk, um feuchte Abdrücke zu vermeiden, und vor dem Stuhlgang kleidete er die Kloschüssel mit Papier aus, um Anhaftungen zu verhindern und die Klobürste keimfrei zu halten. Sein Kühlschrank und sein Backofen waren selbstreinigend.

Der Mann namens Klaus hatte sein Leben höchst effizient organisiert, nur wusste er jetzt mit der vielen freien Zeit nichts anzufangen, außer sich in das Lautsprechersystem der Nachbarn zu hacken und deren Musiklautstärke langsam auf für ihn erträgliche Maße herunterzuregeln. Er hatte die sichere Methode entwickelt, die Lautstärke alle drei Minuten um einen Klick zu reduzieren, einzeln so gut wie nicht nachweisbar, aber in Summe recht effektiv. Die Nachbarn liebten momentan Italo Pop, eine Tatsache, die dem Mann namens Klaus schwer zu schaffen machte.

Er konnte viel ertragen, aber wenn er mehrmals täglich Azzurro hören musste, dann kroch eine vage Todessehnsucht in ihm hoch, derer er schwer Herr wurde. Heute war einer dieser Tage, an denen die Nachbarn wieder einmal zur Maßlosigkeit neigten. Das Album der größten Hits von Adriano Celentano war zur Gänze durchgelaufen und fing gerade wieder von vorne an.

Azzurro

il pomeriggio è troppo azzurro

e lungo per me.

Der Mann namens Klaus drückte einmal kurz auf den Lautstärkeregler seines Handys. Die Musik wurde leiser, ganz wenig, denn sie drang immer noch durch die Wohnzimmerwand zu ihm herüber.

Mi accorgo

di non avere più risorse

senza di te.

Er schaltete seinen Fernseher ein. Dann drückte er noch einmal auf den Lautstärkeregler des Handys. Die Musik fing an, sich mit dem Ton des Fernsehers zu vermischen. Unerträglich überplärrte Adriano Celentano einen Fernsehsprecher mit wohltuender Bassstimme.

E allora

io quasi quasi prendo il treno

e vengo, vengo da te.

Ma il treno dei desideri

nei miei pensieri all’incontrario va.

Er stellte den Ton des Fernsehers lauter und atmete auf. Es war nichts mehr von drüben zu hören, er vernahm nur mehr den Nachhall seiner eigenen Aufregung. Jetzt musste er sich zwar eine Dokumentation über die Herstellung von Limoncello an der Amalfiküste ansehen, aber das war es ihm wert.