Seewölfe - Piraten der Weltmeere 313

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 313
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-710-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Abo war unter dicken schwarzen Rauchwolken begraben, die sich fett und träge über den Hafen an der Südwestküste von Finnland wälzten. Der Feuerteufel hatte gewütet und unermeßlichen Schaden angerichtet. Ein großer Teil der aus Holz errichteten Bauten war den Flammen zum Opfer gefallen, die Bewohner waren daraus geflohen und hatten sich in die am Ufer des Aura-Flusses stehende Burg gerettet.

Durch rasches Handeln war die „Isabella IX.“, die an einer Pier des Hafens vertäut gewesen war, von dem Brand verschont geblieben. Sie ankerte jetzt auf der Reede. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hatte sie gerade noch rechtzeitig genug von den Besatzungen der Beiboote wegschleppen lassen.

Es war der Vormittag des 14. März 1593. Abo bot einen Anblick, als habe hier eine schwere Schlacht stattgefunden. Der Schuldige für das Feuerattentat war bereits gestellt: Er hieß Paavo Korsumäki und war der Stammeshäuptling der auf den der Küste vorgelagerten Inseln lebenden Menschen.

Auf einem dieser Inselchen, keine halbe Meile von dem Hafen entfernt, hatte sich eben der entscheidende Kampf abgespielt. Korsumäki war der Gefangene der Seewölfe und des Stadtkommandanten Eino Pekkanen. Seine restlichen Kumpane hatten sich ebenfalls ergeben müssen. Von den anderen waren einige gefallen, ein paar hatten sich noch rechtzeitig vor dem Erreichen des Schlupfwinkels auf der Insel in einem Boot nach Westen abgesetzt.

„Ihr Hunde!“ brüllte Korsumäki, als die Männer wieder in die Boote stiegen und die Insel verließen. Er traf Anstalten, sich auf seine sechs Spießgesellen zu stürzen. „Ihr habt mich verraten! Das werdet ihr mir büßen! Ich bringe euch um!“

Tatsächlich hatten sich die Männer im Augenblick höchster Gefahr gegen ihn gewandt. Sie hatten nicht in der Blockhütte auf der Insel verbrennen wollen und ihren Anführer überwältigt, als er nicht bereit gewesen war, zu kapitulieren. Somit war Hasards Aktion, bei der sie die Kerle ausgeräuchert hatten, ein voller Erfolg geworden.

Pekkanens Gendarmen hielten Korsumäki fest, dann fesselten sie ihn. Er stieß weiterhin die wildesten Verwünschungen aus, doch als der Kommandant ihm damit drohte, ihm auch einen Knebel anzulegen, schwieg er endlich.

Stenmark, der Schwede, der die finnische Sprache beherrschte, fungierte wieder als Dolmetscher und übersetzte den Seewölfen alles, was gesprochen wurde. Umgekehrt übertrug er auch vom Englischen ins Finnische, was Hasard Pekkanen zu sagen hatte.

Hasard durfte aufatmen. Er hatte vom Stadtkommandanten erfahren, daß bei dem nächtlichen Brand in Abo nur zwei Männer der Stadtgarde leicht verletzt worden waren. Alle Zivilisten waren unversehrt, es hatte keine Toten gegeben. Der Seewolf plagte sich auch so schon mit Selbstvorwürfen, denn der eigentliche Angriff hatte ja der „Isabella“ gegolten, doch alles wäre noch viel schlimmer gewesen, wenn unschuldige, unbeteiligte Dritte von der Rache des Paavo Korsumäki getroffen worden wären.

Den Sachschaden konnte man ersetzen, die niedergebrannten Häuser von Abo würden neu aufgebaut werden. Hasard hatte sich bereits vorgenommen, dabei mitzuhelfen. Er hatte in dieser Stadt Freunde gewonnen, Heikki Lahtinen beispielsweise, den Handelsherrn, mit dem er geschäftliche Beziehungen angeknüpft hatte – oder Eino Pekkanen, der sich mehrfach bei ihm bedankte. Allein ihnen war er es schuldig, daß die „Isabella“ den Hafen nicht verließ, bevor nicht die gröbsten Aufräumungsarbeiten vollzogen waren.

Handelsbeziehungen anknüpfen – dies war übrigens der geheime Auftrag, den die Seewölfe mit ihrer neuen „Isabella“ im Gebiet der Ostsee ausführten. Die Order hatten sie von der englischen Königin erhalten. Lord Gerald Cliveden, der Sonderbeauftragte Elizabeths, hatte ihnen die versiegelte Mappe im Hafen von Plymouth überreicht. Das war Ende Dezember 1592 gewesen, und so waren es nun bald drei Monate, in denen die Männer mit wechselnden Schwierigkeiten in der Ostsee unterwegs waren.

Carberry und alle anderen, von denen die Ostsee anfangs eine „Pißrinne für Reiher“ und einen „Ententümpel“ genannt worden war, hatten inzwischen einsehen müssen, daß dies ein Irrtum war. Auch dieses Meer hatte es in sich, die Abenteuer und haarsträubendsten Ereignisse wollten nicht abreißen.

Die Boote waren wieder voll bemannt und kehrten in den Hafen von Abo zurück. Hasard hatte wieder mit seiner zehnköpfigen Crew die große, achtriemige Jolle der „Isabella“ übernommen. Seine Begleiter waren Big Old Shane, Stenmark, Smoky, Dan O’Flynn, Mac Pellew, Ferris Tucker, Matt Davies, Gary Andrews, Bob Grey und Bill.

Carberry hingegen, der Profos der „Isabella“, saß auf der achteren Ducht der kleinen Jolle, bediente die Ruderpinne und trieb seine Rudergasten Pete Ballie, Roger Brighton, Jack Finnegan, Paddy Rogers, Batuti und Blacky mit den üblichen saftigen Flüchen zum schnelleren Pullen an.

Die Jagd auf die Übeltäter war beendet, alles schien doch noch einen guten Abschluß zu finden.

Doch plötzlich herrschte in den Booten des Stadtkommandanten Aufregung, die Gendarmen deuteten zum westlichen Ufer der Insel. Erst jetzt stellte Hasard zu seiner Überraschung fest, daß eins der ursprünglich sechs Boote des Stadtkommandanten noch fehlte. Es kehrte soeben von der Umrundung der Insel zurück, und die Insassen riefen und gestikulierten.

Pekkanen lachte mit einemmal grimmig, dann versuchte er, Hasard durch Gebärden etwas mitzuteilen. Immer wieder deutete er auf das nahende Boot.

„Was, zum Teufel, ist da los?“ schrie Carberry und richtete sich von der achteren Ducht seiner Jolle auf. „Gibt es neuen Ärger? Bei allen triefäugigen Seejungfrauen, hört diese Schweinerei denn überhaupt nicht mehr auf?“

„Ed“, sagte Hasard. „Ich empfehle dir, wenigstens für einen Augenblick die Luft anzuhalten und das Schott zu schließen. Sten versucht gerade zu übersetzen, aber bei deinem Gebrüll kann ich kein Wort verstehen.“

Dan O’Flynn hatte den Kieker zur Hand genommen, zog ihn auseinander und spähte hindurch.

„Ich werd’ verrückt“, sagte er. „Die Gardisten in dem Boot haben Zuwachs erhalten.“

„Sie haben das Boot gejagt, mit dem Korsumäkis Kumpane geflohen sind“, erklärte Stenmark. „Während wir auf der Insel gekämpft haben, ist es ihnen gelungen, die Kerle zu stellen. Nach einem kurzen Kampf ist es ihnen geglückt, das Boot zu versenken. Zwei Kerle haben sie geschnappt, die anderen sind doch noch entwischt, und zwar schwimmend.“

„Eine gelungene Überraschung“, sagte der Seewolf. „Somit sind es also sieben Gefangene, mit denen wir nach Abo zurückkehren.“

„Und sieben Mann, die bald am Galgen baumeln“, fügte Shane hinzu. „Pekkanen hat ja gesagt, daß es für sie keine Gnade gibt. Recht so. Ich finde auch, daß da ein Exempel statuiert werden muß.“

Das Boot stieß zu dem Verband und ordnete sich ein. Hasard und seine Männer vermochten deutlich zu erkennen, daß die beiden Gefangenen, die gefesselt zwischen den Gendarmen auf den Duchten hockten, Schürfwunden aus dem Kampf davongetragen hatten. Sie ließen die Köpfe hängen, über ihr weiteres Schicksal schienen sie keine Illusionen zu haben.

Der komplette Bootsverband nahm nach diesem kurzen Aufenthalt nunmehr direkten Kurs auf den Hafen. Hasard begann, Ben Brighton und den anderen Männern, die an Bord der „Isabella“ zurückgeblieben waren, Zeichen zu geben. Nach der Explosion auf der kleinen Insel, mit der das Blockhaus in die Luft geflogen war, mußten sich die Kameraden mit den größten Sorgen geplagt haben. Jetzt aber begriffen sie, daß es weder bei Hasards noch bei Carberrys Trupp Tote oder Verwundete gegeben hatte, und auch sie hatten allen Grund zum Aufatmen.

Old Donegal Daniel O’Flynn stand neben Ben Brighton auf dem Achterdeck der „Isabella“ und beobachtete das Einlaufen der acht Boote. Die Männer auf dem Hauptdeck stimmten Jubelrufe an und schrien „Arwenack“, der alte Kampfruf der Seewölfe dröhnte über die Reede und wurde vom Südwestwind bis zu den Kaianlagen getragen.

Philip junior und Hasard junior, die Söhne des Seewolfes, hatten mit Plymmie, der jungen Wolfshündin, die Back geentert und winkten den Männern in den beiden Jollen begeistert zu. Plymmie bellte dreimal kurz, dann ließ sie sich schwanzwedelnd und mit einem zufriedenen Brummeln auf ihren Hinterläufen nieder. Auch sie schien verstanden zu haben, daß der ganze Aufruhr nun sein Ende gefunden hatte.

Old O’Flynn grinste plötzlich. „Ich hab’s ja gesagt – der dreizehnte März ist zu Ende, und schon wird alles wieder gut. Habe ich nicht recht gehabt, Ben?“

„Fang nicht wieder mit diesem blödsinnigen Aberglauben an“, sagte Ben. „Und laß uns nicht zu früh lachen.“ Er blickte durch sein Spektiv zu den Jollen und dann zu den sechs Booten des Stadtkommandanten, in denen sich je acht Soldaten und die neun Gefangenen befanden. Anschließend richtete er die Optik auf die Kaianlagen, wo sich eine beachtliche Menschenmenge versammelt hatte.

 

„Ich weiß schon, was du sagen willst“, brummte der Alte. „Nicht nur die Trümmer der Stadt rauchen. Die Leute da sind ganz hübsch geladen und würden sicher gern mit dem Korsumäki-Gesindel abrechnen. Aber was haben wir damit zu tun?“

„Im Grunde genommen gar nichts“, erwiderte Ben. „Doch ich kenne Hasard.“

„Ich vielleicht nicht? Aber diesmal siehst du viel zu schwarz, Mister Brighton, und das paßt mir überhaupt nicht. Wenn hier jemand den Teufel ans Schott malen darf, dann bin ich es.“

„Dieses Monopol will dir auch keiner nehmen“, sagte Ben.

Old O’Flynn stapfte mit seinem neuen Holzbein, das Ferris Tucker angefertigt hatte, auf, als wolle er die Festigkeit der Eichenholzplanken prüfen. „Wenn du jetzt mit Fremdwörtern um dich schmeißt, räume ich das Achterdeck. Schlaues Daherreden geht mir gegen den Strich, ich bin für klare Verhältnisse.“

„Ich auch“, sagte Ben und konnte ein Seufzen nur mit Mühe unterdrücken. „Und überflüssiges Gerede kann ich erst recht nicht leiden.“

Die Männer auf dem Hauptdeck, die den kurzen Dialog mitverfolgt hatten, stießen sich untereinander an und grinsten.

„Ich glaube, Donegal täte Ben sogar einen Gefallen, wenn er das Achterdeck räumen würde“, sagte der Kutscher leise.

„So ist es“, sagte Al Conroy. „Wenn der Alte so richtig in Fahrt gerät, ist er verdammt redselig. Vorhin hat er mir was von Rußdämonen erzählt, die zwischen den Trümmern von Abo herumkriechen.“

„Und du glaubst daran?“ fragte Jeff Bowie.

„Nicht die Bohne“, antwortete Al. „Ich bin ein nüchtern denkender Mensch, kapiert? Und überhaupt nicht abergläubisch.“

Sam Roskill lachte. „Aber sicher doch. Keiner von uns gibt sich mit Geistern und dem ganzen Kram ab, oder? Aber ich weiß aus sicherer Quelle, daß es sogenannte Irrwische gibt. Das sind Feuerdämonen, die sich beim Hellwerden verflüchtigen.“ Plötzlich blickte er zum Kai, hob die Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger über das Schanzkleid und stieß hervor: „Da! Da fliegt ja so ein Wesen!“

Alle hatten es gehört, fuhren herum und spähten zum Kai hinüber. Ihre Mienen drückten Verblüffung und Entsetzen aus. Nur Sam drehte sich langsam zu ihnen um, stemmte beide Fäuste in die Seiten und grinste verächtlich.

„Nicht abergläubisch, was?“ höhnte er. „Das ist ja der beste Beweis.“

„Weißt du, was du mich kannst, Mister Roskill?“ sagte Al Conroy drohend.

Natürlich wußte Sam es, aber sie hatten keine Gelegenheit dazu, ihr Gespräch weiterzuführen. Die beiden Jollen der „Isabella“ und die Boote des Stadtkommandanten hatten die auf der Reede ankernde Galeone inzwischen erreicht, und Hasard richtete sich von seinem Platz auf der Heckducht der großen Jolle auf.

„Alles klar bei euch, Ben?“ rief er.

„Hier an Bord ist alles in Ordnung!“ schrie Ben zurück. „Wie sieht es bei euch aus?“

Der Bootsverband glitt am Bug des Schiffes, der nach Nordwesten gerichtet war, vorbei, und der Seewolf winkte grüßend zu seinen Söhnen hoch, die nach wie vor auf der Back standen. Er blickte auch zu seinen Männern und registrierte, daß sie vollzählig an Deck versammelt waren. Außer Ben, Old O’Flynn, dem Kutscher, Al, Jeff und Sam waren da also Luke Morgan, Will Thorne, Nils Larsen, Jan Ranse und Piet Straaten. Dreißig Mann stark war die Crew der „Isabella“ jetzt, größer als früher, aber auch das Schiff hatte ja ganz andere Maße als die alte „Isabella VIII.“, die sie in Ägypten im versandeten Kanal der Pharaonen hatten zurücklassen müssen.

Fünfhundertundfünfzig Tonnen groß war die „Lady“, über fünfzig Yards lang und zehn Yards breit. Ihre Kiellänge betrug zweiundvierzig Yards. Bestückt war sie mit sechsundzwanzig Kanonen, vierzehn davon waren 25pfünder und zwölf 17pfünder. Dazu kamen je zwei Drehbassen auf der Back und dem Achterdeck – insgesamt also eine Armierung von dreißig Kanonen.

Ja, die Seewölfe konnten stolz auf dieses Schiff sein, das wieder von dem genialen Hesekiel Ramsgate erdacht und gebaut worden war. Die ersten Härteproben hatte es ohne Schaden überstanden, nur einen Ruderbruch hatten die Männer hinnehmen müssen. Schnell und wendig war die „Lady“, sehr seetüchtig und höchst manövrierfähig – ein Dreimaster, der die besten Voraussetzungen für eine Weltumsegelung bot.

Hasard wäre denn auch längst wieder auf der Schlangeninsel gewesen, hätte die Küsten der Neuen Welt angelaufen und vielleicht sogar das Kap der Stürme gerundet, wenn der geheime Auftrag der Königin nicht gewesen wäre. So aber hatte es ihn zunächst in die Ostsee verschlagen. Die Mission, die es zu erfüllen galt, verlangte ihm mehr Zeit ab, als er ursprünglich angenommen hatte, doch er hatte sich fest vorgenommen, den Auftrag zur Zufriedenheit aller Beteiligten abzuschließen.

Dies ging ihm durch den Kopf, als er jetzt zu Ben und Old O’Flynn hochschaute. Die Welt war groß, und es gab noch viele unerforschte Winkel für sie. Wer hätte jemals gedacht, daß sie eines Tages in Abo landen würden?

„Keine Verluste, keine Verwundeten!“ entgegnete er mit lauter, fester Stimme. „Auch bei der Garde des Stadtkommandanten keine Verletzten! Wir haben die Korsumäki-Bande ausgeräuchert und gefangengenommen!“

„Meinen Glückwunsch!“ rief Ben.

„Arwenack!“ schrie die Crew, und Old O’Flynn schwenkte triumphierend eine seiner Krücken.

„Ben“, sagte der Seewolf und gab seinen Männern im Boot das Zeichen zum Weiterpullen. „Wir kehren noch nicht an Bord zurück und sind Pekkanen noch dabei behilflich, die Gefangenen ins Stadtgefängnis zu bringen. Anschließend versuche ich, mit Heikki Lahtinen Kontakt aufzunehmen.“

„Aye, aye, Sir!“ rief Ben. Er hatte sich bereits gedacht, daß die Jollen den Kai anlaufen würden. Im Grunde war Hasards Vorgehen auch logisch: Einmal hatte Paavo Korsumäki bereits fliehen können, als nämlich die Garde des Stadtkommandanten ihn und seine Kumpane auf Hasards Bitte hin abgeholt hatte. Korsumäki hatte in der Menschenmenge, die sich am Hafen versammelt hatte. Anhänger gefunden, es hatte eine Schlägerei gegeben – und plötzlich war der „finnische Hurensohn“, wie die Männer der „Isabella“ ihn nannten, mitsamt seinen Gefährten verschwunden gewesen.

Diese Flucht hatte verhängnisvolle Folgen gehabt. Diese Folgen waren bis zu dieser Stunde keineswegs beseitigt. Ja, es flackerten da und dort sogar noch kleine Brände auf, wie Hasard feststellte. Das Feuer schien immer wieder Nahrung zu finden.

Abo bot einen verheerenden Anblick. Das nächtliche Feuer, von Korsumäki und dessen Kumpanen gelegt, hatte fürchterlich gewütet. Wie gigantische Zahnstummel ragten die schwärzlichen Überreste der Holzhäuser im Südwestviertel in den Morgenhimmel auf. Zwischen den Brandruinen schien sich kein Leben mehr zu regen.

Der Rauch breitete sich immer noch nach allen Seiten aus, der Wind schien ihn nicht wegkehren zu können. Ein infernalischer Gestank stieg den Männern in den Booten in die Nasen. Ein paar Gendarmen begannen zu husten. Carberry ließ einen seiner übelsten Flüche los. Keinen von ihnen verlangte es danach, zwischen die verkohlten, schwelenden Trümmer zurückzukehren. Der Pesthauch des Todes schien über der Stadt zu liegen. Noch war der Umfang der Schäden nicht abzusehen. Hasard vermutete, daß mehr als die Hälfte der Häuser vernichtet worden war. Er war sicher, sich darin nicht zu täuschen.

2.

Heikki Lahtinen, der Besitzer des Handelshauses an der Linnan Katu, hatte sich in den Hafen begeben, um sich davon zu überzeugen, daß seinen Freunden von der „Isabella“ nichts zugestoßen war. Die Nacht über hatte er zu retten versucht, was von seinem Anwesen noch zu retten war. Viel war es nicht – der größte Teil der Lagerschuppen war ein Opfer der Flammen geworden. Das Kontor war nur zum Teil erhalten geblieben.

Lahtinens Gesicht war rußgeschwärzt, seine Kleidung war versengt und zerfetzt. Er hatte die Schüsse gehört, das Grollen der Kanonen, und es war ihm auch berichtet worden, wie energisch die Engländer in den Kampf gegen Korsumäki eingegriffen hätten. Doch die letzten Nachrichten darüber, wie die Verfolgung ausgegangen war, fehlten. So wollte sich der alte Mann mit den weißen Haaren nun selbst ein Bild von der Lage verschaffen.

Er hatte Philip Hasard Killigrew und dessen Kameraden ja selbst vor Korsumäki gewarnt. Der Kerl war eine Mischung aus Räuberhauptmann, Aufrührer, Schnapphahn und Rebell, der sich niemandem beugte und noch in der Welt seiner heidnischen Vorstellungen lebte. Er verfluchte den Gott der Christen und haßte alle Fremden.

Doch seine Aktion hatte sich nicht nur gegen die Männer der „Isabella“ gewandt. Lahtinen war fest davon überzeugt, daß der Seewolf dies annahm. Doch darin irrte er sich. Korsumäki plante sicherlich schon seit einiger Zeit, Abo niederzubrennen und zu besetzen, und er schien zumindest auf der einen Insel vor dem Hafen einen geheimen Stützpunkt gehabt zu haben. Er wollte nicht nur der Herr der Inseln sein, er wollte auch Abo in seine Gewalt bringen.

Dies wollte Lahtinen dem Seewolf mitteilen. Er hatte es sich fest vorgenommen. Lahtinen war ein distinguierter, feinsinniger Mann, der sich in die Gedanken seines Handelspartners sehr gut hineinversetzen konnte. Gewiß quälte sich der Seewolf wegen der Vorfälle der Nacht mit Vorwürfen herum. Vielleicht gab er sich selbst sogar die Schuld an allem. Diese Gedanken waren unsinnig, Lahtinen hatte sich vorgenommen, mit ihm darüber zu sprechen.

Mit besorgter Miene trat Heikki Lahtinen jetzt jedoch an den Kai. Eine große Menschenmenge hatte sich versammelt. Viele Bürger hatten sich während der Nacht aus ihren lichterloh brennenden Häusern in die Burg am Hafen gerettet. Die Burg hatte den Brand unbeschadet überstanden. Pekkanen und dessen Gendarmen hatten es auch verstanden, sie gegen die Angriffe der Korsumäki-Meute zu verteidigen. Allerdings war es ihnen nur dank der Unterstützung der Seewölfe gelungen, sich auf Dauer zu halten.

Am frühen Morgen hatten die ersten Zivilisten dann gewagt, die Burg zu verlassen und mit den Aufräumungsarbeiten zu beginnen. Auch die Frauen, die gräßliche Angst vor einem neuen Überfall der Korsumäki-Bande gehabt hatten und Pekkanen sogar an einem Ausrücken hatten hindern wollen, hatten sich mittlerweile beruhigt. So schufteten die Bürger zwischen den Trümmern, zäh und verbissen. Jetzt aber hatten sie die Werkzeuge aus der Hand gelegt und waren zum Hafen gelaufen, um die Ankunft der acht Boote abzuwarten.

Das Leben geht weiter, dachte Heikki Lahtinen, aber für Korsumäki und dessen Kumpane könnte es doch sehr schnell zu Ende sein, nämlich dann, wenn sie diesen Menschen in die Hände fallen.

Auch von Bord der „Isabella“ aus beobachteten Ben Brighton und die Crew das Zusammenrücken der Menschen am Kai mit gemischten Gefühlen.

„Es konnte ja nicht ausbleiben, daß die Boote gesichtet werden“, sagte Ben. „Aber ich hoffe, daß Pekkanen nicht ausgerechnet am Kai landet.“

„So klug wird er wohl sein“, meinte Old O’Flynn. „Hast du eine Ahnung, wo sich das Stadtgefängnis befindet?“

„Nein. Hoffentlich nicht direkt am Hafen.“

Der Alte grinste. „Sollte das der Fall sein, so kann von dem Bau nicht viel übriggeblieben sein. Dann muß der Kommandant erst einen neuen Kerker errichten lassen.“

„Möglich wäre, daß in der Burg ein Verlies eingerichtet ist“, sagte Ben. „Aber auch das wäre schlecht, denn die Menge würde sich sofort an der Wehrmauer zusammenrotten.“

„Die Gendarmen werden ja wohl mit ihnen fertig werden.“

„Das ist noch die Frage, Donegal.“

„Zur Hölle mit diesem verfluchten Abo!“ stieß der Alte hervor. „Ich bin froh, wenn wir endlich wieder auslaufen.“ Er spuckte ins Wasser und blickte wieder zum Hafen, wo die acht Boote inzwischen die verkohlten Stege fast erreicht hatten.

Die Menge stimmte ein Murren und Fluchen an. Fäuste wurden gegen Korsumäki und die sechs anderen Gefangenen geschüttelt.

Ein Mann rief: „Auf was warten wir? Holen wir uns diese Feuerteufel! Diese Bande von Meuchelmördern und Galgenstricken verdient nichts anderes, als auf der Stelle totgeschlagen zu werden!“

Heikki Lahtinen trat auf diesen Mann zu, den er gut kannte. Er hieß Kaarlo Tanner und war der Schneider von Abo. Lahtinen ließ sich bei ihm seine Anzüge anfertigen.

 

„Sei vernünftig, Kaarlo Tanner“, sagte er. „Pekkanen wird entscheiden, was mit den Gefangenen geschieht.“

Tanners leicht flackernder Blick richtete sich auf Lahtinens Gesicht.

„Es wäre gut, wenn du dich aus der Sache heraushalten würdest“, sagte er. „Das ist mein Rat, Heikki Lahtinen. Für einen Mann wie dich ist das, was hier gleich geschieht, ohnehin nichts.“

„Willst du dich mit Korsumäki auf eine Stufe stellen?“ fragte der Handelsherr unbeirrt. „Hältst du das für richtig? Ich richte einen Appell an dein Gewissen. Tu nichts, was den Kommandanten verärgern könnte.“

Tanners Miene wirkte verzerrt.

„Ich bin obdachlos“, sagte er seltsam abgehackt. „Meine Frau und meine Kinder wären in meinem Haus verbrannt, wenn ich sie nicht gerade noch rechtzeitig genug geweckt und hinausgezerrt hätte. Zählt das oder zählt das nicht, Heikki Lahtinen? Muß ich erst einen Richterspruch abwarten, um den Teufel Korsumäki an einem Ast baumeln zu sehen?“

„Ja, das mußt du. Wir sind zivilisierte Menschen.“

„Aber wer mich schlägt, den schlage auch ich.“

„Kaarlo Tanner, du gehst jeden Sonntag in die Kirche und schwörst bei Gott, daß du die zehn Gebote achten und befolgen wirst“, sagte Lahtinen. „Hast du vergessen, wie das fünfte lautet?“

„Nein. Aber ‚Auge um Auge und Zahn um Zahn‘ – auch das steht in der Bibel.“

„Ich will mich mit dir nicht streiten“, sagte Lahtinen ruhig. „Aber ich habe dich vor überstürzten, falschen Hoffnungen gewarnt.“

„Und ich empfehle dir, in dein Kontor zurückzukehren!“ zischte Tanner aufgebracht.

Die Boote folgten dem Verlauf des Ufers in östlicher Richtung und bogen in die Mündung des Aura ein. Die Mannschaften pullten den Fluß hinauf, der Verband glitt auf die Brücke zu, die während der Nacht eingezogen worden war, so daß Korsumäki und seine Anhänger den Fluß mit Booten hatten überqueren müssen. Dabei waren sie von den Männern der „Isabella“ gestört worden. 17-Pfünder- und 25-Pfünder-Kugeln waren geflogen und hatten ihr Ziel gefunden. Die Brand- und Pulverpfeile von Big Old Shane und Batuti hatten die mittelalterlichen Steinkatapulte zerstört, mit denen die Aufwiegler die „Isabella“ beschossen hatten.

Das Stadtgefängnis befand sich an der linken Flußseite, von See her gesehen, im Westen also, und zwar etwa zweieinhalb Meilen vom Hafen entfernt. Diese Entfernung mußte noch zurückgelegt werden. Eino Pekkanen, Hasard, Carberry und alle anderen Männer an Bord der Boote schwiegen, doch sie beobachteten mit wachsender Besorgnis, wie sich die große Gruppe von Menschen, die sich am Kai zusammengeschart hatte, jetzt an das Ufer des Flusses verlagerte.

Gruppenweise rotteten sich die Bürger zusammen und begleiteten die Boote im Laufschritt. Ihre Zahl wuchs ständig, ganz Abo schien auf den Beinen zu sein. Die meisten Männer hatten rauchgeschwärzte Gesichter, ihre Kleidung war angesengt. Auch Frauen erblickte der Seewolf, und sogar ein paar Halbwüchsige schlossen sich der Versammlung an.

„Da sitzt der Schweinehund!“ rief jemand.

„Stoßt ihn ins Wasser!“ schrie eine Frau. „Na los! Ersäuft ihn!“

Stenmark wurde wieder seiner Pflicht als Dolmetscher gerecht. Was er übersetzte, steigerte Hasards innere Unruhe. Big Old Shane warf einen langen Blick auf die Leute, die neben den Booten herliefen, und sagte: „Die sind außer sich vor Wut. Denen genügt nicht, daß wir die Kerle geschnappt haben.“

„Da braut sich was zusammen“, sagte nun auch Ferris Tucker.

„Ja“, pflichtete Smoky ihm bei. „Alles deutet darauf hin, daß die Leute nicht übel Lust haben, Korsumäki und die sechs Halunken eigenhändig am nächsten Baum aufzuhängen.“

„Natürlich wollen sie Selbstjustiz üben“, sagte Hasard. „Ich kann ihre Reaktion sogar verstehen. Aber Pekkanen scheint mir nicht der Mann zu sein, der vor irgendwelchen Bedrohungen kapituliert. Niemals würde er die Gefangenen den Bürgern zum Fraß vorwerfen.“

„Ganz bestimmt nicht“, meinte Dan O’Flynn. Er sah zu dem Boot des Stadtkommandanten hinüber. Pekkanens Miene war hart geworden, sein Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt.

Er hielt eisern daran fest, daß alles seine Richtigkeit haben mußte. Mit anderen Worten: Paavo Korsumäki und die sechs Mitgefangenen sollten vor ein ordentliches Gericht gestellt werden, das dann darüber befinden würde, wie die Kerle zu bestrafen waren.

Daß es die Todesstrafe sein würde, war ohnehin sicher. Aber es mußte Recht gesprochen werden. Kein Weg führte daran vorbei, und Eino Pekkanen war trotz des Verständnisses, das auch er für den seelischen Zustand seiner Landsleute aufbrachte, fest entschlossen, die neun Delinquenten in den Kerker zu sperren.

Natürlich hatte auch Paavo Korsumäki ganz genau verfolgt, was sich an Land abspielte. Er war wieder voll Herr seiner Sinne. Das Bewußtsein hatte er ja bereits am Ufer der Insel wiedererlangt, und die Kopfschmerzen, die er verspürt hatte, nachdem seine Kumpane ihn niedergeschlagen hatten, waren auch fast völlig verflogen. Was er jetzt empfand, war Haß. Abgrundtiefer Haß – gegen seine Gefährten, die ihn im Stich gelassen hatten, gegen die Männer der „Isabella“, gegen die Gendarmen und gegen die Bevölkerung.

Alles, was er begonnen hatte, war fehlgeschlagen. Er hatte die Fremden töten wollen und mit ihnen die Bürger von Abo, die sich auf Geschäfte mit diesen „Christenhunden“ eingelassen hatten. Ausrotten hatte er sie wollen, und danach wäre er zum unumschränkten Herrscher der Küstenregion aufgestiegen, der sich gegen jeden Versuch der Schweden, Abo zurückzuerobern, erfolgreich zu wehren gewußt hätte. Die Schweden verwalteten Finnland, auch sie waren Paavo Korsumäkis Todfeinde.

Zwar hatte das Feuer verheerend gewütet, aber die Bürger von Abo und vor allem die verfluchten Engländer lebten noch. Ja, eigentlich verdankte er, Korsumäki, seine Niederlage diesen Fremden. Daß ihm jetzt die Hölle auf Erden bevorstand – die er in der Nacht den Bürgern bereitet hatte – konnte er sich an den fünf Fingern abzählen. Er mußte ihrer Rache entgehen.

Plötzlich stand sein Plan fest. Er würde sich von ihnen nicht hängen und tottrampeln, steinigen oder niederknüppeln lassen. Dieser Schmach würde er entgehen.

Plötzlich fuhr er trotz seiner auf den Rücken gefesselten Hände von der Ducht hoch, ehe auch nur einer der Gendarmen ihn daran hindern konnte, und sprang vom Boot in den Fluß. Pekkanen zuckte zu ihm herum und stieß einen wütenden Laut aus. Einer der Gendarmen griff mit der Hand nach Korsumäkis Fußknöchel, doch sein Handeln erfolgte zu spät.

Schon schlugen die Fluten mit einem Klatschen über Paavo Korsumäki zusammen. Er tauchte unter. Zunächst sah es so aus, als müsse er unweigerlich ertrinken, weil er sich mit den gefesselten Händen nicht fortbewegen konnte. Doch das war eine Täuschung. Korsumäkis einziger Gedanke lautete Flucht, und trotz seiner scheinbar ausweglosen Lage war er mit der ihm eigenen Wildheit und Verbissenheit darum bemüht, den Plan in die Tat umzusetzen.

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