Loe raamatut: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 38»
Impressum
© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-295-7
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
Kapitel 11.
1.
Panfilo de Retortilla fluchte.
Er hatte seine schwere, aus Rohlederstreifen geflochtene Peitsche zusammengerollt und unter den linken Arm geklemmt. Während er über den Gang des Unterdecks lief, versuchte er, das Gleichgewicht zu halten. Das Schiff rollte und schlingerte in den kochenden Fluten der Karibik. Schwer krängte es nach Backbord, aber schon im nächsten Moment legte es sich wie ein angeschlagener Gigant auf die Steuerbordseite – so weit, daß es zu kentern drohte.
Gleichzeitig hob und senkte sich die Galeone in ihrer Längsrichtung – mal schoß es die steilen Hänge von Wellenbergen hinauf und ritt über deren gischtende Kämme, mal neigte sich der Bugspriet den gähnenden schwarzen Tiefen der Wogenschluchten entgegen und leitete eine rasende Talfahrt ein. Dröhnend und heulend tobten die Urgewalten der Natur.
Es war die Hölle.
Panfilo de Retortilla, ein schlanker und sehniger Mann mit Oberlippenbärtchen, verlor auf halber Höhe des Niederganges die Balance. Mit der Schulter krachte er gegen die rechte Seitenwand. Er rutschte daran zu Boden. Beinahe wäre er die Holzstufen hinuntergestürzt und auf den Gang zurückgekehrt. Im letzten Augenblick stemmte er die Füße gegen die andere Seitenwand, stützte sich mit den Händen ab und richtete sich wieder auf.
Voll Wut stürzte er auf Deck.
Es lag nur zum Teil am Sturm, daß er so ungehalten war. Da war noch etwas anderes: ein Verdacht, den er schon seit langem gehegt hatte.
Die Galeone holte wieder nach Backbord über. Der Spanier hatte seine Not, sich irgendwo festzuklammern und nicht über Bord gerissen zu werden. Grollend rollten die Brecher heran, türmten sich neben der Steuerbordseite hoch und rauschten als schwärzlich-grüne Wand hoch über das Schanzkleid hinaus. Das Wasser ergoß sich zischend über die Kuhl.
Ein Seemann, der verzweifelt damit beschäftigt war, ein Fall zu klarieren, wurde durch die Wucht des Brechers von der Nagelbank fortgeräumt wie ein unnützer Sack Lumpen.
De Retortilla war Zeuge, wie der Mann über das Backbordschanzkleid hinausgespült wurde. Er unternahm jedoch keinen Versuch, den Bedauernswerten zu retten. Es hätte ihn das Leben kosten können. In dieser Lage war sich jeder selbst der Nächste. Der Seemann schrie gellend, dann erstickte das Brüllen des Sturmes seine Laute. De Retortilla sah ihn in den brodelnden Fluten verschwinden.
Panfilo de Retortilla biß die Zähne zusammen und hangelte an den über Deck gespannten Manntauen nach achtern. Er befand sich auf der Höhe der Kuhlgräting, als die Brecher erneut mit unbezwingbarer, furchtbarer Gewalt auf die Galeone einhieben. Der Mann mit dem Bärtchen duckte sich. Dann warf er sich hin und klammerte sich an der Gräting fest.
Wassermassen prasselten auf ihn nieder, und er glaubte, ertrinken zu müssen. In diesem Moment verlor er auch seine Rohlederpeitsche. Der Sturm heulte stärker als je zuvor. Er rüttelte an der Dreimast-Galeone. Ein Ruck durchlief sie und fuhr bis tief in die Verspannungen, daß es bedrohlich knackte.
De Retortilla rappelte sich auf. Er war bis auf die Haut durchnäßt. Die Kürbishose und das Schoßwams klebten ihm am Körper, seinen Hut hatte er längst verloren. Sein scharfgeschnittenes Gesicht hatte etwas von der Arroganz verloren, die es gewöhnlich zur Schau stellte.
Er hastete an den Manntauen weiter. Von den anderen beiden Schiffen, die zu ihrem Verband gehörten, vermochte er in dem tobenden Wetter nichts zu erkennen. Wo waren sie? Abgefallen, vom Kurs abgekommen und auf rasender Irrfahrt durch das wogende Element? Oder gar bereits von der See verschlungen?
Es kostete ihn viel Kraft, bis zum Achterkastell zu gelangen. Der aus Südost herantosende Sturm drohte ihn von den Füßen zu reißen. Ein falscher Griff, ein Fehltritt, und er würde gegen den Großmast geschleudert oder über die Kuhl gewirbelt werden. Dann würde er dem außenbords gegangenen Seemann und den anderen Schiffbrüchigen folgen, die schon in den Fluten trieben. Wer nicht ertrank, der würde von Haien zerrissen werden.
De Retortilla blickte auf. „Wo ist Sagreras?“ schrie er. „Wo steckt der Kapitän?“
Niemand konnte ihm eine Antwort geben. Der Rudergänger, der Stockmeister und die Offiziere, die sich auf dem Achterdeck versammelt hatten, zuckten nur mit den Schultern. Sie hatten alle Hände voll zu tun. Sie klammerten sich an den Nagelbänken, am Schanzkleid und an der Five-Rail fest, flehten zum Himmel, fochten einen erbitterten Kampf gegen das drohend über ihnen schwebende Schicksal und versuchten zu retten, was noch zu retten war.
Sie trachteten danach, das Schiff vor dem Querschlagen und Kentern zu bewahren. Sinnlose Befehle wurden über Deck geschrien. Die Mannschaft hatte bereits jegliche Kontrolle über sich selbst und über ihr Schiff verloren. Die Galeone hatte sich in ein in panischer Angst dahingaloppierendes Roß verwandelt, das seinem Herrn durchgegangen war.
De Retortilla zog den Kopf ein, als über ihm die Segel zu schlagen begannen. Das Knattern war gewaltig. Es übertönte noch das Orgeln des Sturmes. Die Mannschaft schrie in Todesangst, und die Offiziere auf dem Achterdeck beteten mal zu Gott, mal riefen sie den Leibhaftigen an. Der Stockmeister brüllte auf den Rudergänger ein, als sei dieser für das Chaos verantwortlich.
Endlich hatte de Retortilla das Backbordquerschott des Achterkastells erreicht. Er riegelte es auf. Bevor neue Brecher heranfegten und ihm zusetzten, tauchte er im Dunkel des Niederganges unter. Er stieg nach unten und hastete wankend auf dem Gang entlang, der zur Kapitänskammer führte. Ohne anzuklopfen, riß er die Tür auf.
Ein untersetzter Mann in Uniform fuhr mit hochrotem Kopf aus einer Ecke der Kammer hoch. „Sie! Zum Teufel, was fällt Ihnen ein, hier so einfach ...“
„Kapitän Sagreras!“ rief de Retortilla erbost. „Das Schiff fährt mitten durch sämtliche Feuer der Verdammnis, und Sie verkriechen sich feige in Ihrer Kammer!“
„De Retortilla! Ich verbiete Ihnen, so weiterzureden. Ich ...“
„Feigling!“ brüllte der Mann mit dem Oberlippenbärtchen. Er stolperte in den Raum, das Schlingern des Schiffes ließ keine vernünftigere Gangart zu. „Sie elender Narr haben feige Ihren Posten oben auf der Hütte verlassen.“
„Das ist infam!“
„Das ist die Wahrheit!“
„Ich bin hier unten, um mich anhand der Karten über unsere genaue Position zu vergewissern“, sagte der Kapitän mit vor Wut zitternder Stimme.
„In der Ecke dort?“
„Ich bin gefallen. Außerdem – ich bin Ihnen keinerlei Rechenschaft schuldig.“ Sagreras richtete sich schwerfällig auf. Beim ersten Mal mißlang dies, er kippte wieder in seine Ecke zurück.
De Retortilla hatte sich in Zorn und Eifer geredet. Er hielt sich in keiner Weise mehr zurück. „Was gedenken Sie zu tun, Sagreras? Haben Sie die Hosen so gestrichen voll, daß Sie nicht mehr in der Lage sind, ein vernünftiges Kommando zu erteilen?“
Sagreras stand jetzt auf den Füßen. Er war darum bemüht, die heftigen Schiffsbewegungen durch Beinarbeit auszugleichen. Eine Hand hielt er hinter dem Rücken. „Ich verbitte mir diesen Ton, de Retortilla. Das ist Meuterei. Sie wissen, was Sie riskieren.“
Der Mann mit dem Oberlippenbärtchen rückte weiter auf ihn zu. „Ja, ich weiß, daß Sie mich vor ein Bordgericht stellen und zum Tod verurteilen könnten. Aber hier geht es bereits um das nackte Leben, falls Sie das noch nicht bemerkt haben sollten.“ Er stand jetzt dicht vor Sagreras und keuchte. „Da ist es mir egal, wie Sie über mich denken. Kurzum, ich scheiße auf die Vorschriften und die Borddisziplin. Ich will, daß Sie diesen elenden Kahn vor dem Untergang retten.“
Der Kapitän schien zu überlegen. „Wie steht es mit denen im Unterdeck?“
„Die? Um die brauchen Sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen“, erwiderte de Retortilla wild. „Ich habe dieses Vieh angekettet, daß es sich nicht mehr rühren kann. Nicht mal Satan höchstpersönlich könnte sie losreißen. Wenn wir Pech haben und vom Sturm erdrückt werden, saufen sie alle ab, aber sich befreien – nein, das schaffen sie niemals.“
Er packte Sagreras an den Rockaufschlägen und zog ihn zu sich heran. „Tu endlich was, du elender Hasenfuß. Laß uns nicht so schimpflich verrecken. Nicht ich, sondern du bist der Lump auf diesem Schiff.“
In diesem Augenblick polterte hinter dem Rücken des Kapitäns etwas zu Boden. Panfilo de Retortilla entdeckte eine halbleere Rumflasche, die polternd aufschlug und in die Ecke rollte. Der Rest des Inhalts lief aus. Jetzt bemerkte er auch die Alkoholfahne, die ihm aus Sagreras’ Mund entgegenwehte, und etwas in ihm kochte über.
„Bastard! Verbrecher!“ schrie er. „Oben auf Deck schinden sich die Männer ab, und du Dreckskerl säufst dir die Hucke voll, um nicht vor Angst verrückt zu werden.“
Er überhäufte Sagreras mit einem Schwall übelster Beschimpfungen. Dann schlug er ihm zweimal ins Gesicht. Sagreras versuchte den Degen zu ziehen. Die Waffe verhedderte sich jedoch im Wehrgehänge, und Panfilo de Retortilla stieß seine Faust in die Magengrube des untersetzten Mannes.
Der Kapitän taumelte zurück und setzte sich auf seinen Allerwertesten. Der Gegner stürzte auf ihn zu, entwand ihm den Degen und die Pistole und schleuderte sie weit von sich. Sie fielen zu Boden und rutschten unter die Koje – unerreichbar für Sagreras.
De Retortilla packte den Kapitän, riß ihn hoch und stieß ihn vor sich her in Richtung auf den Gang. Die Galeone holte unter schweren Brechern weit nach Steuerbord über, und sie fielen beide hin. Sagreras wimmerte plötzlich. Er wollte fortkriechen.
De Retortilla holte ihn ein. Er hieb ihm mit voller Wucht gegen die Brust. Sagreras stöhnte und rang nach Luft.
„Du Versager“, stieß der Mann mit dem Oberlippenbärtchen hervor. „Ich sorge dafür, daß du degradiert und abgeurteilt wirst, wenn wir jemals aus dieser Hölle rauskommen. Unternimm jetzt endlich was.“
„Ich will nicht sterben ...“
„Du willst stockbesoffen krepieren, du Aas. Du denkst, daß es sich so leichter stirbt. Aber daraus wird nichts.“
„Laß mich hier unten ...“
De Retortilla raffte sich auf, griff mit beiden Händen nach dem schweren Mann und schleppte ihn mit sich durch den düsteren Gang. Das Tosen des Sturmes war ein greuliches Konzert, das sie erschaudern ließ. Sagreras jammerte, daß es eine Schande war.
„So habe ich dich eingeschätzt!“ rief de Retortilla. „Von Anfang an habe ich gewußt, daß du eine Memme bist, und deswegen konnte ich dich nicht ausstehen, Sagreras.“
„Hilf mir, de Retortilla, mein Gott, ich werde dich reich belohnen!“
„Einen Dreck tue ich. Jetzt wird abgerechnet. Du und ich, wir klettern aufs Achterdeck. Da kannst du eine Probe seemännischen Könnens liefern. Du wirst uns aus der Klemme helfen. Ich schwöre dir: ich steche dich ab, wenn du es nicht schaffst.“
Sagreras schrie vor Panik. „Kein Mensch kann diesen Kahn noch vor dem Absaufen bewahren. Das weißt du so gut wie ich!“
Panfilo de Retortilla rammte dem Kapitän die Faust in die Seite. Dieser krümmte sich unter unsagbaren Qualen. Die Schmerzen durchzuckten seinen Leib in rasenden Stößen, Schleier wogten vor seinen Augen auf und ab.
Sagreras war halb ohnmächtig, als der Mann mit dem Oberlippenbärtchen ihn aus dem Holzquerschott des Achterkastells auf das Quarterdeck und dann in Richtung auf den Großmast dirigierte. Mehr instinktiv als bewußt hielt sich der Kapitän an den Manntauen fest. Gischt hüllte sie beide wie Nebelschleier ein.
Die Mannschaft bestand nur noch zur Hälfte, und dieser kleine, verzweifelte Resthaufen hatte sich auf der Kuhl versammelt und trachtete danach, sich unters Vordeck zu retten, ehe ihn das Schicksal der anderen, vom Meer verschlungenen Seeleute, traf.
Die Männer schrien um ihr Leben.
„Sieh sie dir an!“ brüllte de Retortilla dem Kapitän ins Ohr. „Sie sind nicht viel mehr wert als das Vieh, das im Unterdeck festgekettet ist – und doch haben sie dir einiges voraus, du Bastard. Ergreife die Initiative, wenn dir dein Leben lieb ist. Tu etwas!“
„Ich kann nicht!“ kreischte Sagreras.
Panfilo de Retortilla zückte sein Messer. Er war allen Ernstes darauf aus, den Kapitän zu töten. Niemals würde sich wieder eine so günstige Gelegenheit dazu bieten. Sagreras war betrunken, angeschlagen und halb wahnsinnig vor Furcht, er leistete keinen Widerstand mehr. Er war ein willenloses Etwas in de Retortillas Fäusten.
Die Blicke des Stockmeisters, der Offiziere und des Rudergängers hafteten auf dem Mann mit dem Oberlippenbärtchen. Keiner regte sich, um Sagreras beizustehen. Sie konnten ihn alle nicht leiden, den zur Fülle neigenden, Entscheidungen gern aus dem Weg gehenden Mann.
Sagregas war ein Mensch, der den Weg des geringeren Widerstandes liebte und nie Kapitän hätte werden dürfen. Begünstigungen, Vetternwirtschaft und Korruption hatten ihm überhaupt erst zu seinem Posten verholfen. Er eignete sich nicht zum Führer. De Retortilla hatte das früh erkannt und es verstanden, während ihrer Reise für sich zu werben. Er war nicht der Typ, der Sympathien hortete, aber er verfügte über die Überzeugungskraft und Härte, die Sagreras fehlten. Schon lange hatte er daran gedacht, den Kapitän abzusetzen und die Führung an sich zu reißen.
Und darauf lief es hinaus. In einer dramatischen Szene wollte er Sagreras vor aller Augen niedermetzeln und das Schiff übernehmen. Sagreras hatte sich schließlich geweigert, die Lage zu meistern. Alle wußten das. So bestand eine Rechtfertigung für den Mord.
Später, im fernen Spanien, konnte man übereinstimmend behaupten, der Kapitän sei im Sturm über Bord gegangen, und er, de Retortilla, habe bravourös Schiff und Mannschaft gerettet.
Die Messerklinge schwebte über Sagreras’ Brust.
„Nein!“ schrie der Mann in panischem Entsetzen.
„Töte ihn!“ brüllte der Erste Offizier.
Doch es kam anders. Die Segel über ihren Köpfen schlugen wie wild, und in diesem Augenblick geschah es. Mit ohrenbetäubendem Krachen ging die Großmarsrah in die Brüche. Sagreras riß sich von de Retortilla los, als dieser für eine Sekunde aufblickte. De Retortilla zog den Kopf ein, sprang zur Seite und suchte sich ebenfalls in Sicherheit zu bringen.
Die schwere Spiere krachte mitsamt dem an ihr befestigten Segelzeug auf das Deck nieder. Doch das war erst der Beginn des großen Unheils.
Plötzlich erbebte der Schiffsrumpf unter einem gewaltigen Schlag. Berstende Geräusche waren zu vernehmen, das Geschrei der Männer, das Heulen des Sturmes und das Rauschen der Brecher waren die grausige Untermalung dazu. Panfilo de Retortilla warf sich hinter eine Nagelbank und hielt sich fest. Er wußte nicht, wo Sagreras steckte, aber im Augenblick interessierte es ihn auch nicht mehr. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er sah ganz deutlich, wie es geschah:
Der Großmast brach.
De Retorilla warf sich der Länge nach auf die Planken. Er beobachtete nicht, was weiter geschah. Er schloß die Augen und spürte nur noch, wie das Inferno in seiner Vollendung über sie hereinbach.
2.
Gary Andrews, der hellblonde, hagere Mann aus Philip Hasard Killigrews Mannschaft, hatte Mühe, sich aufrecht zu halten und nicht von dem aus Südosten herantosenden Sturm umgeblasen zu werden. Der heulende Wind fegte über die Bergkuppe weg, beulte Garys Kleidung auf und zerzauste seine Haare. Eine besonders heftige Bö brachte ihn zum Straucheln.
Er fluchte, hielt sich an dem Stumpf einer abgebrochenen Krüppelkiefer fest und wartete eine Weile. Dann setzte er seine Ausguckwache fort. Aus zusammengekniffenen Augen schaute er aufs Meer hinaus, ließ den Blick schweifen, bis er auf die „Isabella V.“ traf, die unter ihm in der versteckten Bucht ankerte.
Sie war wieder seeklar, die schmucke, gut bestückte Lady, die sie Generalkapitän Don Francisco Rodriguez unter dem Hintern weggekapert und erfolgreich gegen die Tortuga-Piraten unter Caligu verteidigt hatten. Die Gefechtsschäden waren vollauf behoben. Aber nicht nur Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, und dessen Helfer hatten in diesen vergangenen Tagen alle Hände voll zu tun gehabt. Auch der Kutscher, Koch und Feldscher in der Crew, war kaum zur Ruhe gelangt.
Denn der Seewolf und viele seiner Männer hatten sich die Wunden lekken müssen, die sie aus der letzten großen Seeschlacht in der Windward-Passage davongetragen hatten. Fünf Tage und Nächte hatte der erbitterte Kampf gedauert – dann war der Seewolf der Meute unter der Führung von Caligu entwischt. Die Karibik-Piraten hatten sicherlich Gift und Galle gespuckt, daß ihnen dieser fette Brocken entgangen war.
Philip Hasard Killigrew hatte sich mit der „Isabella“, in deren Frachträumen ein riesiger Schatz lagerte, in diese versteckte Bucht bei Port Morant, an der Südostküste von Jamaica, verholt. Jetzt, Anfang Oktober 1579, war die Mannschaft endlich wieder aktionsfähig.
Aber der Sturm verhinderte das geplante Auslaufen. Der Seewolf nahm die Verzögerung mit Gelassenheit hin, denn die kleine Bucht bot ihnen guten Schutz zur See hin, so daß ihre Dreimast-Galeone nicht gefährdet war.
Gary marschierte über die Bergspitze in südöstlicher Richtung. Er mußte sich gegen den Sturm stemmen, um nicht von den Beinen geholt zu werden. Wenn die starken Böen einfielen, suchte er Schutz hinter Bäumen und Buschwerk. Es wäre ein leichtes gewesen, sich einfach in irgendein Gestrüpp zu legen oder gar eine kleine Höhle aufzusuchen und dort das Vorüberziehen des Sturmes abzuwarten. Aber gerade das lief einem Mann wie Gary Andrews gegen den Strich. Und es war gegen die Prinzipien und die Bordmoral, die auf der „Isabella V.“ herrschten.
Der Seewolf hatte ihm befohlen, Ausguckwache dicht an der Bucht zu gehen – und Gary tat das. Er wußte ja auch nur allzu gut, was aus einer Nachlässigkeit erwachsen konnte. Patrick O’Driscoll hatte auf der Wache geschlafen, als sie vor Cayman Grae geankert hatten. Das hätte sie alle den Kopf kosten können, wenn nicht Valdez gewesen wäre, Valdez, der in Ehren ergraute spanische Soldat, der Caligu entwischt war und sie gewarnt hatte.
Patrick O’Driscoll hatte zu jenem Teil von Hasards Crew gehört, der sich aus ehemaligen Karibik-Piraten zusammensetzte. Der vierschrötige Ire hatte sein Versagen unter der neunschwänzigen Katze büßen müssen. Der Seewolf hatte kein Erbarmen gekannt. O’Driscoll, rachsüchtig wie er gewesen war, hatte Valdez vergeblich zu töten versucht, war dann über Bord gesprungen und von Piraten Caligus aus dem Wasser gefischt worden. Bei einem nächtlichen Versuch der Meute, die Schätze der „Isabella“ zu erbeuten, war O’Driscoll schließlich über die Klinge gesprungen. So hatte ein Mann sein Ende gefunden, der sich durch sein eigenes Verschulden von der sonst so fest zusammengeschmiedeten Seewolf-Crew abgesondert hatte.
Gary Andrews arbeitete sich bis zum Osthang des Berges vor. Es war Nachmittag, doch die grauen und schwarzen Wolkengebilde, die sich über der See bis zur Kimm hin türmten, ließen kaum Sonnenlicht durch. Der Sturm trieb die bizarren Formationen wie ein peitschenschwingender Tyrann vor sich her. Über dem Meer verwuchsen die tiefhängenden Wolkenbänke mit den hoch aufsteigenden Wogen. Die Farben der kochenden Fluten variierten zwischen Schwarz, Grün und Grau, und nur weit in der Ferne war als einziger Kontrast zu diesem düsterem Bild des Infernos ein schmutzigroter Schimmer zu erkennen. Er war nicht dazu angetan, Hoffnungen auf ein baldiges Abklingen des Wetters zu wecken. Gary Andrews wußte nur zu genau, daß dort, inmitten des rötlichen Scheins, das Kerngebiet des Sturmes lag.
Die Brecher rollten auf die Insel zu, sprangen gegen ihre Küste an, suchten sich einen Weg zwischen vorgelagerten Klippfelsen hindurch, teilten sich daran, rasten auf die natürliche steile Ufermauer zu, prallten erbost dagegen und schäumten sprühend hoch. Gischtwolken stiegen fast bis zu Gary auf.
Gary Andrews wollte sich schon abwenden und wieder zurückmarschieren, als er plötzlich etwas entdeckte. Er kauerte neben einer Gruppe von Felsenquadern und richtete seinen wachen, geschulten Blick auf die südöstliche Kimm. Vor dem schmutzigroten Schimmer des tobenden Wetters waren plötzlich Bewegungen zu erkennen – undeutlich nur, aber konkret genug, um Gary zu alarmieren.
Er hob sein mitgebrachtes Spektiv vors Auge und sah die Masten und Aufbauten von Schiffen.
„Drei Galeonen“, murmelte er vor sich hin. „Hölle und Teufel, das wird doch wohl nicht wieder Caligu mit seinen Hundesöhnen sein?“
Gary beobachtete angestrengt. Die Galeonen wurden vom Sturm auf die Insel zugetrieben. Sie liefen vor ihm her und hielten auf die äußerste östliche Spitze der Insel zu. Eins der Schiffe schien schwer angeschlagen zu sein.
Und dann sah Gary Andrews, wie der Großmast dieser Galeone über Bord ging. Er stieß einen leisen Pfiff aus, erhob sich und lief über die Bergspitze auf die Bucht zu. Rasch eilte er an einen Platz, von dem aus er den Seewolf unter dem Wind anrufen konnte. Er mußte dazu die Bucht umrunden. Als er den Platz erreicht hatte, legte er beide Hände wie einen Trichter an den Mund und schrie:
„Wahrschau! Wahrschau! Drei Galeonen in Südost mit Kurs auf die Insel! Himmel, Arsch und Zwirn, seid ihr denn alle taub?“
Eine Stimme wehte von der „Isabella“ zu ihm herüber – eine Stimme, die sich fast bis in den Diskant hinaufschraubte und dann überkippte. „He, Gary, du Kakerlakenfresser, nimm das Maul nicht so voll! Wir sitzen hier nicht auf unseren Ohren!“
Gary grinste breit. „Dan O’Flynn, du Schlingel. Na warte, wenn ich dich zu fassen kriege.“
Während Gary von seinem jetzigen Punkt aus weiterverfolgte, was sich draußen auf See abspielte, schrie Dan O’Flynn auf der „Isabella V.“ aus dem Großmars: „Deck, Deck, wir kriegen Besuch! He, ho, sagt Hasard Bescheid!“
Das war nicht mehr notwendig, denn soeben öffnete sich das Steuerbordschott im Achterkastell und der schwarzhaarige Riese mit den eisblauen Augen betrat das Quarterdeck. Er lief zu den Großmastwanten in Lee, schwang sich aufs Schanzkleid und enterte in den Webeleinen auf. Kurz darauf kletterte er über die Segeltuchverkleidung der Marsplattform.
Durch den Kieker konnten sie genau beobachten, wie sich die drei Galeonen durch die tosende See kämpften und wie das Schiff mit dem zerstörten Großmast zum Spielball der Wogen wurde. Der Mast hing nach Steuerbord über. Die Galeone krängte so erheblich, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis sie kenterte.
„Der Mast liegt zu gut drei Vierteln außenbords“, sagte Hasard.
„Es hat ihn oberhalb der Nagelbank wie einen Strohhalm weggeknickt“, fügte Dan hinzu. „Das Schanzkleid, wo er aufliegt, ist zersplittert. Ich möchte nicht in der Haut der Leute auf dem Schiff stecken.“
„Und wenn es Caligus Verbündete sind?“
„Dann wünsche ich ihnen natürlich den Teufel auf den Hals.“
„Der sitzt ihnen schon im Nacken“, erklärte der Seewolf ernst. „Das Drama nimmt seinen Lauf. Wahrscheinlich haben die Männer Schoten, Wanten und Fallen des Mastes kappen können, aber sie schaffen es nicht, ihn ganz über Bord und in die See zu wuchten. Das Ganze kann nicht gut auslaufen.“
Bald konnten alle an Bord der „Isabella V.“ beobachten, wie die entmastete Galeone hinter den beiden anderen Schiffen des kleinen Verbandes zurückblieb. Auf den zwei noch intakten Galeonen schien man um sein eigenes Wohlergehen bemüht zu sein, jedenfalls dachte keiner daran, dem ramponierten Schiff zu Hilfe zu eilen.
„Das sind Dons“, sagte Dan im Großmars. „Ich habe ganz deutlich eines ihrer unvermeidlichen Holzkreuze vor der Galion des vordersten Schiffes baumeln sehen. Sie führen keine Hoheitszeichen, aber welcher Pirat wäre schon so närrisch, sich ein Kreuz an den Vorsteven zu binden. Es sei denn, die Freibeuter haben die Schiffe gekapert und ...“
„Es sind Spanier“, unterbrach ihn der Seewolf. „Mich würde lebhaft interessieren, was die geladen haben.“
„Vielleicht wissen wir’s bald. Die entmastete Galeone treibt auf uns zu.“
Wie gebannt beobachteten Philip Hasard Killigrew und seine Männer, wie das Unglücksschiff von den haushohen Wogen gegen die Küste der Insel geworfen wurde. Korallenbänke, etwa zweihundert Yards vor dem Ufer plaziert, verhinderten den direkten Aufprall an der Steilküste. Die Galeone geriet zwischen die Bänke. Trotz des Sturmheulens war das Splittern und Krachen zu vernehmen, mit dem sie auseinanderbrach. Die Männer der „Isabella“ konnten auch deutlich das entsetzliche Schreien von Menschen hören.
„Wer immer sie sind, Gott sei ihrer Seele gnädig“, sagte der Seewolf. Diesmal hatte Dan O’Flynn keine Entgegnung auf der Zunge.
Nach wie vor kümmerten sich die Besatzungen der anderen beiden Galeonen nicht um das Schicksal ihrer Gefährten. Die Schiffe liefen nach Westen ab.
„Das ist gefährlich genug für sie“, sagte Dan nach einigem Schweigen. „Die Südküste der Insel ist Legerwall. Bei dem auflandigen Wind könnten sie leicht ein ähnliches Ende finden wie ihre Companeros.“
„Sie haben uns nicht gesehen“, sagte Hasard. „Und das ist auf jeden Fall von Vorteil für uns. Sollten sie sich unversehrt nach Kingston oder sonstwohin verholen, können sie nichts über eine mysteriöse Galeone erzählen, die früher mal als Flaggschiff eines Konvois fungiert hat. Ich kann hier keine Schnüffler gebrauchen. Ich will endlich mit meiner Beute nach England.“
Allmählich verschwanden die beiden Galeonen außer Sicht. Kurze Zeit darauf brach die Dämmerung herein und vervollkommnete die Finsternis über der Karibik, noch bevor die Nacht einsetzte. Der Sturm dauerte fort.
Philip Hasard Killigrew kehrte auf Deck zurück und trat zu Ben Brighton, Edwin Carberry und Ferris Tukker.
„Es wäre heller Wahnsinn, mit den Beibooten zu den Korallenbänken hinauszupullen und nach Überlebenden zu suchen“, sagte er. „Außerdem glaube ich nicht, daß auch nur ein Besatzungsmitglied der Galeone das Unglück überstanden hat.“
Tasuta katkend on lõppenud.