Loe raamatut: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 53»
Impressum
© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-370-1
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
1.
Der Sturm glich einem Giganten.
Er schien in den Tiefen der Biskaya geschlummert zu haben, doch jetzt hatte ihn ein einzelnes Schiff gestört und in Wut und Rage versetzt – jedenfalls mutete es so an. Er erhob sich, stieg auf und rückte an. Die Farbe des Himmels war schwarzgrau bis schwarz, teilweise aber auch von roten und gelben Streifen durchzogen. Das Meer verwandelte sich in ein milchig-grünes Pandämonium.
Urgewalten wurden da frei. Der Sturm orgelte mit größter Kraft von Nordosten heran und wurde zu einem Ungeheuer, das sich brüllend und tobend vor der Karavelle mit den zwei Masten aufrichtete, zupackte und dann nicht wieder losließ. Gischtende Wogenberge türmten sich bis zu Haushöhe auf und trugen die „Isabella VII.“ bis auf ihre Schaumkämme empor.
Die „Isabella“ ritt über den Kamm. Sie schüttelte sich unter der Wucht der Vorwärtsbewegung und lief auf der rasenden Flut der Verdammnis mit, bis sie an den Abbruch gelangte. Danach jagte sie hinunter in die gähnende schwärzlichgrüne Tiefe einer Schlucht, aus der es kein Entkommen mehr zu geben schien.
Dan O’Flynn war gerade noch rechtzeitig aus dem Hauptmars abgeentert.
Er hatte mit seinen scharfen Augen natürlich entdeckt, was sich im Nordosten zusammengebraut hatte. Dann war plötzlich alles sehr schnell gegangen, und er hatte Eile gehabt, seinen luftigen Posten zu räumen. Aber Arwenack, der kecke Schimpansenjunge, hatte sich diesmal wohl um einen Deut überschätzt. Er hangelte noch an einem losen Fall, als der Sturm zum ersten Mal zuschlug.
Dan, schon auf Deck angelangt, schrie auf.
Arwenack wirbelte plötzlich durch die Luft und wurde über das Backbordschanzkleid hinauskatapultiert. Er war ein schwarzes, unbedeutendes Nichts im dröhnenden Höllenkonzert der entfesselten Naturmächte. Es sah aus, als würde er in die brodelnden Fluten gestoßen und gnadenlos ersäuft.
Aber er hatte Glück. Vielleicht existierte auch in der Affenwelt eine Art Schutzengel, wie auch immer, Arwenack kam gewissermaßen mit einem blauen Auge davon. Die „Isabella VII.“ rauschte jählings in die Tiefe. Und die Richtungsänderung versetzte Arwenack den nötigen Gegenschwung, durch den er wieder zurück an Bord gelangte. Das Fall hatte er keinen Augenblick losgelassen – es wäre unweigerlich sein Ende gewesen. So aber hatte es ihn zwar außenbords befördert, riß ihn nun aber wieder auf das Schiff zurück.
Arwenack landete, kroch kreischend zu Dan und klammerte sich an ihm fest. Sein Leben war gerettet. Vorläufig.
Dan hangelte in den vor Sturmbeginn rasch gespannten Manntauen in Richtung auf das Achterkastell. Es war ein beschwerlicher Weg, fast wie am Hang eines steilen und glatten Berges, denn die „Isabella“ raste ja immer noch in die Tiefe. Fast rutschte Dan aus und segelte mit dem Affen über die Kuhl bis an die Back. Doch bevor sie sich beide die Knochen brachen, krallte sich Dan in den Manntauen fest. Er duckte sich und wartete die weitere Entwicklung ab. Sturmwind und Gischt zerrten an ihm, doch er ließ sich nicht unterkriegen.
Es donnerte, heulte und pfiff. Wasser, sehr viel Seewasser prasselte auf die Karavelle ein. Es kam von den Seiten, von vorn, von achtern und auch von oben. Es wollte das ganze Oberdeck leerfegen und am liebsten auch gleich die Masten knicken. Doch noch hielt die „Isabella“ stand. Es krachte, rauschte und gischtete, und Dan O’Flynn junior lag platt auf der Kuhl und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Arwenack hielt sich nach wie vor an ihm festgeklammert. Er jammerte wie ein Mensch.
Die „Isabella“ hatte den Wogenabgrund erreicht und richtete sich stöhnend und ächzend wieder auf. Sie war der Gigantenfaust für kurze Zeit entwichen, ein Schlachtroß, das todesmutig eine mörderische Barriere durchbrach und stolz weitergaloppierte. Sie war stark, weil sie von einer einmaligen Crew geführt wurde, aber sie war auch nicht unverwundbar.
Eine Bastion zur See wie die „Isabella V.“ war sie schon gar nicht. Die große, prunkvolle Galeone lag jetzt wieder an der Pier von Sheerness an der Themsemündung. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hatte sie Ihrer Majestät Königin Elizabeth als Geschenk übereignet.
Vielleicht, so sagte sich Dan in diesen Augenblicken, vielleicht hatte er da doch einen Fehler begangen. Denn wie die Galeone einem Sturm zu trotzen wußte, hatten sie ja in der Karibik gesehen. Da hatte es Don Francisco Rodriguez’ ehedem so mächtigen Verband von sechsunddreißig Schiffen endgültig aufgerieben, und die „San Josefe“ war als einzige Galeone übriggeblieben. Hasard hatte sie gekapert und in „Isabella V.“ umgetauft.
Hätte er sie nicht behalten sollen? Aber er hatte ja nicht ahnen können, was in der Biskaya auf sie wartete. Und – halt, Moment – war nicht auch die „Isabella IV.“ eine Karavelle gewesen? Eben, sie hatte mit der „San Josefe“ den Wirbelsturm in der Karibik überstanden und war gemeinsam mit ihr an das Nordufer der Insel Grand Cayman gespült worden. Dan hätte es in seiner Aufregung fast vergessen. Also: Karavellen waren Glücksschiffe. Jedenfalls unter dem Seewolf. Dan redete es sich mit aller Macht ein, aber er wußte dabei ganz genau, daß es ein Selbstbetrug sein konnte.
Er raffte sich wieder auf und arbeitete sich weiter nach achtern. Wenig später packten ihn Hände, so groß wie Ankerklüsen, und rissen ihn ins Backbordschott des Achterkastells. Arwenack hing wie eine Klette an Dan und flog also gleich mit in die Hütte.
Dan sah Edwin Carberry, den Profos. Er hatte zugegriffen, aber jetzt waren auch Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane und Donegal Daniel O’Flynn, sein Alter, zur Stelle.
„Ja, Mann, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?“ sagte Carberry. Er war der Profos bei Francis Drake gewesen, jetzt war er’s bei Hasard, und wenn er normal sprach, mußte man sich eigentlich schon die Ohren zuhalten. Jetzt schrie er und übertönte mit Leichtigkeit den Sturm. „Verdammt und zugenäht, immer dieses junge Gehüpfe, mit dem man seinen Ärger hat!“
„Jetzt halt aber mal die Luft an“, protestierte Dan.
Arwenack rettete sich vorsichtshalber gleich zu Shane. Der graubärtige Riese war allemal stärker als Dan. Das konnte von Vorteil sein. Als Affe hatte man auch seine Probleme. Arwenack hatte ja nichts gegen den Profos – aber der schien was gegen ihn zu haben!
Carberry fluchte und schüttelte die Faust. „Bodenloser Leichtsinn, erst, im letzten Augenblick den Großmars zu verlassen. Den Hosenboden sollte man euch Affenärschen versohlen.“
„Affenärsche?“ Dan blickte zu Arwenack, und der kratzte sich am Hinterkopf. Shane mußte lachen, obwohl die Situation, weiß Gott, alles andere als vergnüglich war.
Eine Gestalt schob sich aus dem, Dunkel des Ganges von achtern auf sie zu. Die „Isabella VII.“ schlingerte und schaukelte wie verrückt in den Fluten der wildgewordenen See, und selbst der große Mann dort hatte Schwierigkeiten, die Schiffsbewegungen mit den Beinen auszugleichen.
Hasard trat zu den anderen, hielt sich fest und sagte: „Ed, nun halte keine Volksreden. Wir können froh sein, daß wir Dan und Arwenack nicht verloren haben.“
„Aye, aye, Sir.“
„Wir haben die Trossen achtern ausgebracht. Wenn Pete Ballie es schafft, die ‚Isabella‘ zu parieren und platt vor dem Sturmwind herlaufen zu lassen, müßten wir mehr Stabilität kriegen.“
„Aye, aye!“ brüllte Carberry wieder zurück. „Er muß es schaffen, der Himmelhund, ich habe ihn eigenhändig festgelascht, daß er uns nicht flötengehen kann.“
Der alte O’Flynn grinste schief. „Also, du hast wirklich eine dämliche Art, dich auszudrücken, Ed. Hasard meinte doch wohl, daß es fraglich ist, ob Pete den Kolderstock ...“
„Ich bin schon unterwegs!“ Carberry drängte sich aus der Luke, lehnte sich gegen den Sturm und die Brecher und hangelte in den Manntauen über den Niedergang zum Quarterdeck hoch.
Durch das Tosen war noch zu vernehmen, wie er rief: „He, Pete, und wenn wir beide zusammen mit dem verfluchten Scheiß-Kolderstock über Bord gehen, wir lassen ihn nicht los.“
„Ben, Ferris, Shane“, sagte Hasard. „Wir müssen auch wieder auf Deck. Wir müssen die Stellung halten, und wenn sie noch so verteufelt ist.“
„Meine Sorge gilt weniger dem Kolderstock“, meinte Ferris Tucker. „Ich denke da mehr an das Notruder.“
Shane reichte Arwenack wieder an Dan zurück, dann begaben sich die vier Männer auf Deck. Der alte O’Flynn wollte sich anschließen, rutschte aber mit der rechten Krücke von einer Holzstufe des Niederganges ab und landete unsanft auf dem Achtersteven. Er fluchte fürchterlich und schlug mit der linken Krücke und dem Holzbein, daß es nur so polterte.
Die rechte Krücke hatte er verloren, sie wollte sich selbständig machen und durch den Gang ganz nach achtern bis zur Kapitänskammer trudeln. Dan fing sie jedoch auf. Sein Alter hielt sich an den Stufen fest, sonst wäre er der Krükke im nächsten Moment nachgesaust. Die „Isabella“ hob wieder den Bug und schoß eine gewaltige Woge hinauf.
„Mann, Mann“, sagte Dan zu Arwenack. „Da regt man sich über uns junge Leute auf, aber die alten Knacker benehmen sich noch durchgedrehter.“
„Wer ist hier ein alter Knacker?“ rief Old O’Flynn aufgebracht. Er hätte beinahe sein Holzbein losgeschnallt, um seinen Sprößling damit zu vertrimmen, aber der Sturm hinderte ihn daran. Er mußte sich mit beiden Händen festklammern, sonst wäre er glatt vom Niedergang gefegt worden. Vater und Sohn hielten sich nebeneinander gekauert. Arwenack war zwischen ihnen und zitterte vor Angst.
Der Sturm traktierte die „Isabella VII.“, daß es bis in die letzten Verspannungen knackte. Man konnte wirklich meinen, sie würde jeden Augenblick auseinanderbrechen.
Es war so die Art der Seewolf-Crew, in Gefahrensituationen zu frotzeln. Und jeder Mann an Bord hatte Nerven, so dick wie Ankertrossen. Aber dann trat doch etwas ein, das sie an diesem vertrackten und verfluchten Maianfang 1580 um den Galgenhumor brachte.
Hasard stand auf dem Quarterdeck der Zweimast-Karavelle. Den rechten Arm hatte er unter eine Nagelbank gehakt, um sich einen festen Stand zu sichern. Aus schmalen Augen blickte er zu den Masten hoch. Am Stand der Segel gab es da nichts mehr zu kontrollieren, denn er hatte bei Ausbruch des Wetters auch noch die Sturmfock wegnehmen lassen. Ferris Tucker hatte den beiden Masten ganz schnell noch zusätzlich Laschings verpassen müssen, aber ob die ausreichen würden, blieb noch dahingestellt.
Neue Brecher hieben gegen das Schiff. Sie rauschten als Wasserwände neben den Bordseiten hoch und fielen wieder in sich zusammen – ein fortdauernder Zustand der Bildung bizarrer Konstruktionen und deren Zerstörung. Im Zentrum des, kochenden Wirbels drohte die „Isabella“ zu einem Spielball zu werden. Glocken der Finsternis schienen ihren Untergang einzuläuten. Ein heftiger Schlag traf sie und ließ sie wieder bis in die letzten Verbände erbeben. Die Männer fluchten und beteten abwechselnd.
Plötzlich aber bremste die „Isabella“ ihren Sturmlauf. Die Trossen hingen in ihrem schäumenden und phosphoreszierenden Kielwasser und erfüllten nun ihren Zweck. Hasard hatte sie buchtförmig ausbringen lassen. Es war ein alter Trick, den er seinem verhaßten Alten, dem Schlitzohr Sir John Killigrew, abgeschaut hatte. Die Sache hatte sich schon bei anderen Wettern bewährt, beispielsweise Anfang November 1576 südlich der Azoren oder im August 1579 während jenes denkwürdigen Wirbelsturms in der Karibik.
Die Trossen hielten das Heck der Karavelle wie ein Treibanker vor dem Wind. Die Schiffsbewegungen wurden endlich ausgeglichener und gedämpfter.
Aber der Sturm dauerte an.
Hasard rang mit dem Giganten. Er hatte sich in diesen Kampf verbissen. Er spuckte – wie Carberry zu sagen pflegte – dreimal kräftig gegen den Wind und segelte dem Teufel ein Ohr ab. Der Erfolg des Trosseneinsatzes ließ ihn schon wieder zuversichtlich grinsen. Aber dann gab es einen Nackenhieb. Hasard vernahm Ben Brightons Ruf und fuhr herum.
Ben stand unter dem vorderen Querabschluß des Achterkastells. Er hatte sich festgebunden, traf jetzt aber Anstalten, sich wieder loszuknüpfen und zum Kolderstock zu hangeln. Shane befand sich an der Backbordreling des Quarterdecks, Ferris auf der Kuhl. Beide hatten noch nicht gesehen, was los war.
Wo steckten Pete Pallie und Ed Carberry?
Himmel, Hasard konnte sie auf den ersten Blick nicht entdecken. Sie schienen verschwunden zu sein. Hasard lief es eiskalt den Rücken herunter. Er richtete sich hinter seiner Nagelbank auf. Seine schwarzen Haare flogen wie verrückt im Sturmwind. Wasser peitschte in sein Gesicht. Seine eisblauen Augen suchten und fanden die Gestalten seines Rudergängers und seines Profosses. Gott im Himmel sei Dank, dachte er, sie sind nicht außenbords gefegt worden!
Pete und Ed lagen neben dem Kolderstock. Sie zappelten auf den Planken wie große Fische, suchten nach Halt, klammerten sich an Tauen und Nagelbänken fest, ehe ein Brecher sie erfassen konnte. Und Carberry fluchte jetzt mit Donnerstimme los.
Der Kolderstock war herrenlos. Krachend schlug er hin und her. Er schien sich losschrauben und wie ein Kreisel durch die Lüfte davonfegen zu wollen.
Hasard fluchte auch. Es bedurfte keiner weiteren Erläuterungen. Er brauchte niemanden zu fragen, was los war. Er wußte es auch so. Pete und Ed waren nicht von ungefähr hingestürzt. Der Druck des Ruders, gegen den sie sich am Kolderstock gelehnt hatten, hatte jäh nachgelassen. Dafür gab es nur eine Erklärung. Ferris hatte also recht gehabt mit seiner Unkerei.
Das Ruder war gebrochen.
„Hölle und Teufel, so eine Sauerei!“ schrie Carberry. Er gab noch einiges mehr von sich, aber es nutzte alles nichts, davon wurde das Ruder nicht wiederhergestellt.
Ferris Tucker arbeitete sich den Steuerbordniedergang von der Kuhl zum Quarterdeck hoch, wurde gegen die Balustrade gedrückt, duckte sich unter einem Brecher und setzte schließlich seinen Weg fort.
Als er neben seinem Kapitän war, sagte er nur: „Es ist soweit, oder?“
„Ja.“
„Verdammt, man könnte meinen, Sir John habe es extra so wackelig bauen lassen, um uns eins auszuwischen.“
„Irrtum, Ferris“, antwortete der Seewolf. „Nicht, wenn ein Mann wie Jeremy Robb am Werk gewesen ist. Das hier hätte wirklich jedem passieren können – bei dem Sturm.“
Sie krochen zu Pete Ballie und Edwin Carberry. Shane und Ben näherten sich von der Backbordseite. Dann fluchten sie alle zusammen. Was blieb ihnen anderes übrig? Ein neues Ersatzruder basteln? Nicht einmal ein Fachmann wie Ferris Tucker brachte das in dieser brodelnden Hölle fertig. Sie wußten es, keiner sprach überhaupt den Gedanken aus.
Jeremy Robb war Sir Johns neuer Schiffszimmermann gewesen. Er hatte zusammen mit anderen Männern bei Sir John angemustert, als dieser seine neue Besatzung zusammengestellt hatte. Der alte Killigrew hatte ja mächtig Federn lassen müssen, nachdem er Hasards Schatzschiff vergebens gehetzt hatte, Hasard selbst hatte schwer verletzt bei Sir Anthony Abraham Freemont in Plymouth gelegen. Aber Ben Brighton, der das Kommando über die „Isabella V.“ vorläufig übernommen hatte, hatte Sir John Krallen und Zähne gezeigt. Danach hatte Sir John auch noch den Fehler begangen, sich mit Bootsmann Sullivan von der Kriegskaravelle „War Song“ anzulegen – und das Maß war voll gewesen.
Gerupft und durchgerüttelt wie ein schlachtreifer alter Hahn war er mit seinem Prachtjungen Simon Llewellyn nach Arwenack-Castle, der Stammfeste der Killigrews, zurückgekehrt. Und was hatte er getan? Kaum hatte er sich vom Ärgsten erholt, da hatte er auf Rache und Vergeltung gesonnen und neue Pläne geschmiedet. Hasard war mit seinen Männern mitten hineingeplatzt. Durch den Fluchtgang der Feste waren sie eingedrungen, und Hasard hatte seinen Alten zur Rede gestellt, hatte richtig Gericht über ihn gehalten und ihn in das Hirschgeweih über dem Kamin gehängt, als er zu widerborstig wurde. So hatte er herausgefunden, wo sich die „Wappen von Wismar“ befand. Zum Schluß hatte Sir John auch noch achthundert Pfund für die alte Hansekogge berappen müssen, denn die hatte ihm ja seinerzeit Rory O’Connor von der Werft in Belfast zahlen müssen. Sir John hatte sich zähneknirschend gefügt. Aber wieder hatte er eine List im Sinn, der alte Fuchs! Tregwin, der Burghauptmann, war ihm behilflich gewesen, und sie hatten Hasard und seine Männer mit den Eisengattern im Fluchttunnel gefangengesetzt.
Aber sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Jack Jackson, seines Zeichens Küchenchef auf Arwenack, hatte sich von der Feste gestohlen und die „Isabella“-Crew alarmiert, während Sir John mit Thomas Lionel und Tregwin eine Orgie gefeiert hatte. Carberry, Ferris Tucker und die anderen waren ins Kastell eingedrungen. Es hatte Zunder gegeben, mächtig sogar. Der Seewolf und seine Begleiter waren aus dem Fluchtgang befreit worden. Sie hatten sich mit einem Eisengruß verabschiedet und waren weiter nach London gesegelt, um endlich die immense Schatzbeute an die Königin abzuliefern.
Sir John hatte indes immer noch nicht die Nase voll gehabt. Mit seiner neuen Crew räuberte er im April bereits wieder in der Irischen See herum – und stieß auf Hasard, der nach Belfast zur Werft des Rory O’Connor unterwegs war. Hasard hatte diesmal nur die zweimastige Schaluppe gehabt, die Al Conroy seinerzeit in Plymouth „gekauft“ hatte, um der „Isabella V.“ und der „War Song“ nachzusegeln.
Sir John hatte also gedacht, leichtes Spiel mit dieser lächerlich gering armierten Schaluppe zu haben. Weit gefehlt! Hasard verfügte über einundzwanzig Männer, und jeder einzelne von ihnen war in der Lage, den alten Killigrew in die Tasche zu stecken. Jan Ranse, Piet Straaten, Nils Larsen, Sven. Nyberg, Jean Ribault und Karl von Hutten hatten die Mannschaft in Dünkirchen zwar verlassen, weil sie die Heimat besuchen wollten. Doch die Crew war nach wie vor stark.
Sir John hatte das auch einsehen müssen. Sie hatten ihm das Ruder seiner Zweimastkaravelle zerschossen und ihm zwei Treffer in die Wasserlinie verpaßt. Wieder war er flügellahm gewesen.
Bei Rory O’Connor hatte Hasard erfahren, daß der Alte schon vor ihm dort gewesen war und den Mann um achthundert Pfund erleichtert hatte. Hasard hatte seine Recherchen angestellt, während Sir John draußen auf See wutschnaubend die Karavelle am Absaufen hinderte und ein Notruder bauen ließ – von Jeremy Robb.
Als O’Connor, dieser irische Patriot, dann erfahren hatte, wer Hasard wirklich war, hatte, er einen Überfall auf die Schaluppe angezettelt. Er hatte sich aber eine blutige Nase geholt. Genauso war es Sir John ergangen, der seine Karavelle inzwischen wieder klar hatte und den Seewolf abfangen wollte.
Hasard hatte ihm die Karavelle abgeknöpft und in „Isabella VII.“ umgetauft. Die Schaluppe hatte er ihm gnädigerweise überlassen, statt ihn samt Mannschaft zu den Fischen zu schicken. Hasard war auf Südkurs gegangen, Richtung Spanien, wo er hoffte, mehr über seine Vergangenheit zu erfahren.
Aber zwischen dieser Hoffnung und der Gewißheit lag die Biskaya mit ihrem alles vernichtenden Sturm.
2.
Steuerlos, vor Topp und Takel lenzend, trieb die „Isabella“ vor dem Sturm her. Der einzige Trumpf, den der Seewolf jetzt noch in der Hand hielt, waren die nachschleppenden Taue. Damit konnte er den Sturm noch abreiten – wenn sich der manövrierunfähigen Karavelle keine Hindernisse darboten.
Als Hasard die Position zum letztenmal vor dem Wetter geprüft hatte, hatten sie nördlich querab von Asturien gestanden und Kurs auf Kap Finisterre gehabt. Hasard hatte die Karte im Kopf und wußte, welche neue Gefahr jetzt für sie entstand.
Sie waren immer noch um den hin und her schlagenden Kolderstock versammelt. Hasard sah Ferris an und erkannte, daß dieser ungefähr die gleichen Überlegungen anstellte wie er. Ben auch. Alle mußten über kurz oder lang zu dem gleichen Schluß gelangen.
„Verdammt“, sagte Ferris. „Ich versuche es trotzdem.“
„Was?“ rief Carberry.
„Er will ein Notruder bauen, du Stint!“ brüllte Shane.
„Wahnsinn“, gab der Profos zurück.
Auch Hasard sagte: „Bei dem Seegang hobelst du dir höchstens ins Bein, Ferris.“
„Ich steige in den Frachtraum, das ist noch der ruhigste Punkt im ganzen Schiff. Ich binde mich fest und schufte, daß die Schwarte kracht“, entgegnete der rothaarige Riese. „Himmel, ich muß es tun, sonst laufen wir noch irgendwo auf. Hol’s der Teufel.“
Ben Brightons Miene war verbissen. „Wir treiben gegen die Nordwestecke der Iberischen Halbinsel, wenn nicht ein Wunder geschieht.“
„Moment mal“, sagte der Profos. „Doch nur, wenn der verfluchte Wind auf Nord dreht, oder?“
„Auch so“, erwiderte Hasard.
„Der Himmel sei uns gnädig“, sagte Pete Ballie. O nein, sie waren nicht fromm und gottesfürchtig, die Männer der „Isabella“, aber ganz tief im Herzen bewahrte sich doch jeder von ihnen jene urwüchsige und unverfälschte Form von Glauben, die wohl die aufrichtigste von allen war. Und nach allem Dafürhalten blieb hier nur eins zu tun: Das Schicksal von Schiff und Mannschaft in die Hände desjenigen zu legen, der die größere Kompetenz hatte.
Hasard verließ das Quarterdeck und kämpfte sich über die tanzende Kuhl bis zum Vorschiff. Smoky, der Decksälteste, erwartete ihn im Steuerbordschott. Seine Miene war besorgt, aber sie wurde erschüttert, als Hasard ihn über das zerbrochene Ruder unterrichtete.
„Allmächtiger, was machen wir jetzt bloß?“
„Wir sind zur Tatenlosigkeit verdammt“, erwiderte Hasard. „Das heißt, drei Mann kommandiere ich in den Frachtraum ab. Sie sollen Ferris helfen, ein neues Ruder herzustellen – wenn das überhaupt zu schaffen ist.“
„Verrückt“, sagte Smoky.
„In diesem Irrenhaus wird alles Verrückte für uns normal!“ rief Hasard ihm durch das Donnern eines heranrollenden Brechers zu.
Smoky hielt sich an der hölzernen Umrandung des Schotts fest. „Aye, aye, Sir. Wer soll Ferris also unterstützen?“
„Teile die Männer selbst ein.“
Smoky wandte den Kopf und rief in das Dunkel des Vorschiffs: „He, Matt, Blacky und Batuti, ab in den Frachtraum zu Ferris.“
„Smoky“, sagte Hasard.
„Sir?“
„Wir haben die Küste von Kap Ortegal bis Camarinas in Galizien dicht vor der Nase. Wir laufen Gefahr, aufzulaufen und zu zerschellen. Ich kann den Hauptmars und Vormars unmöglich besetzen, deswegen brauche ich einen Mann, der sich auf die Back begibt und dort den Ausguck übernimmt.“
Smoky setzte ein wildes Grinsen auf. „Dieser Mann bin ich. Wenn wir zum Teufel gehen, hast du wenigstens die Gewißheit, es rechtzeitig von mir zu erfahren.“
Eine halbe Stunde später war es soweit.
„Land Backbord voraus!“ schrie Smoky von seinem Posten auf der Back.
Er hatte sich festgezurrt und war durchnäßt bis auf die Knochen, und er versah seine Aufgabe mit dem Schwur, lieber ertränkt zu werden, als die Back zu verlassen.
Hasard vernahm den Ruf durch das Brüllen des Sturmes. Er arbeitete sich wieder vor und stieg zu Smoky hinauf. Rasch sicherte auch er sich mit Tampen, dann blickte er voraus. Er benötigte kein Spektiv, um die Küste Spaniens zu erkennen.
Wenn die Karavelle vom Sturm auf den Kamm einer Woge gehievt wurde, konnten die beiden Männer durch die Gischt hindurch den grauen Landstrich erkennen, der sich vor ihnen erstreckte. Wäre das Schiff noch manövrierfähig gewesen, hätte man jetzt jubeln können, in der Hoffnung, irgendwo eine geschützte Bucht zu finden. Sie hätten sich dorthinein verholen können. Aber so, ohne Ruder, war es ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen.
An der Küste von Galizien brodelte und kochte es. Dort stiegen die haushohen Brandungswogen an den Klippfelsen auf, daß es aussah, als explodierten Fontänen auf dem Küstengestein. Der Wind orgelte über Land, riß Streifen von Gischt mit und hüllte alles in ein quirlendes, nebliges Grau. In den Häusern nahe der See hatten sich die Menschen gewiß in Ecken und Betten verkrochen, und wer ganz große Angst hatte, der hielt sich die Ohren zu. Irgendwo mittendrin in dem tobenden Kessel mußte La Coruna liegen – bei Sonnenschein ein zauberhaft schöner Ort.
Die „Isabella“ schoß so dicht an der Küste vorbei, daß bald die ganze Crew das Land sehen konnte.
„Satan!“ rief Smoky. „Wenn es hier Riffs gibt ...“
„Es gibt keine“, entgegnete Hasard.
„Weißt du das genau?“
„Ich hoffe es.“
„O Satan in der Hölle!“
Achtern auf dem Quarterdeck sagte Ben Brighton zu Shane und Carberry: „Wenn der Wind auf Nord dreht und auflandig wird, können wir unser letztes Gebet sprechen.“
Das Schicksal war hart, aber – als ob es des Bösen noch nicht genug wäre – das Gefürchtete trat ein, und der Leibhaftige streckte tatsächlich seine Krallen nach ihnen aus. Der Wind schralte. Er drehte, bis er nicht mehr aus Nordosten, sondern, o Verdammnis, direkt aus Norden blies.
Carberry tobte vor Wut und Verzweiflung. Er hätte seinen Zorn gern am Kolderstock ausgelassen, und sicherlich hätte er ihn mit seinen Riesenfäusten auch zu Kleinholz verarbeitet, aber dann, ganz unerwartet, kehrte der Seewolf von der Back aufs Quarterdeck zurück. War denn jetzt alles total übergeschnappt? Täuschte er, Edwin Carberry, sich, litt er an Halluzinationen wie ein Kranker – oder grinste Hasard tatsächlich?
Ja, er grinste. Er kam zu ihnen gekraucht, pitschnaß und abgekämpft, und verkündete: „An der Nordwestküste sind wir Gott sei Dank vorbei. Wir haben Kap Finisterre querab.“
Carberry boxte Shane in die Seite. Beide grölten sie vor Freude los.
„Schwein gehabt“, sagte Ben. „Mann, wie leicht hätte das ins Auge gehen können.“
„Noch sind wir aus dem Schlamassel nicht ’raus“, sagte Hasard.
Das stimmte. Der Sturm dauerte an, er gebärdete sich, als wollte er nie mehr aufhören. Aber die allgemeine Stimmung an Bord der „Isabella VII.“ stieg wieder. Mit dem untrüglichen Instinkt salzgewässerter Rauhbeine begriffen die Männer, daß das Dickste doch hinter ihnen lag. Gewiß, ihr Schiff trieb nach wie vor wie eine lahme Ente kurz vorm Absaufen, aber es gab wieder Anlaß zur Hoffnung.
Hasard suchte den Frachtraum auf. Matt Davies mühte sich damit ab, ein Talglicht zu halten und am Erlöschen zu hindern. Blacky und Batuti hielten eine lange Spiere, an der Ferris Tucker voll Ingrimm und Hingabe herumbosselte. Er hatte das Unmögliche geschafft und auf dem wild schwankenden Schiffsboden die grobe Form für ein Notruder geschaffen. Die Tampen, mit denen sich alle vier sicherten, waren eher hinderlich. Aber sie konnten nicht darauf verzichten, sie wären sonst wie Hampelmänner kreuz und quer durch den Frachtraum der Karavelle gepurzelt.
„Wäre doch gelacht, wenn wir nicht doch noch zu Pott kämen!“ rief Ferris. „Welches ist der nächste Hafen auf unserem Kurs?“
„Kurs ist gut“, meinte Matt Davies. „Irrfahrt wäre wohl der richtige Ausdruck.“
Hasard hielt sich an einem der Stützbalken fest. „Vigo, nehme ich an.“
„Dann steuern wir doch Vigo an“, schlug Ferris unverdrossen vor.
„Wenn der Sturm nachläßt, vielleicht“, sagte Hasard.
„Er muß. Willst du so bis nach Cadiz trödeln?“
„Wenn es sein muß, ja.“
„Wir saufen vorher wie die Katzen ab“, brummte Ferris Tucker.
„Seewölfe sind zäh, Ferris.“
„Aye, aye, Sir.“
Wahnsinn, dachte Hasard, als er wieder auf Deck stieg, alles ist verrückt, die gesamte Situation. Gwen ist daheim in England und erwartet im September ein Kind. Meine geliebte Frau! Aber daheim — ist das wirklich mein Zuhause? Der Bastard segelt über die Meere und hetzt seiner Vergangenheit nach, auf der Suche nach seiner Herkunft. Und was kommt dabei heraus? Wäre es nicht doch besser, ein „halber“ Killigrew zu sein?
In Belfast hatte er sich ausgiebig mit der Kogge „Wappen von Wismar“ befaßt. Sie sollte auf der Werft von Rory O’Connor abgewrackt werden und befand sich schon in erbärmlichem Zustand. Nachts war Hasard jedoch eingedrungen und hatte in einem Geheimschapp der Kapitänskammer Papiere gefunden. Die waren allerdings auch schon halb verfault gewesen, und lediglich eins war als eine Art Frachtbrief zu entziffern gewesen.
Das Schriftstück trug das Datum des 15. Oktober 1556 und im Kopf die Adresse eines Handelskontors in Cadiz, dessen Besitzer als Romeronde Zumarraga den Frachtbrief abgezeichnet hatte. Das Dokument selbst war ein Zertifikat über die Lieferung von fünfzig Fässern spanischen Weines. Lady Anne Killigrew, die während der Abwesenheit ihres Tyrannen Sir John die „Wappen von Wismar“ im Hafen von Falmouth überfallen hatte, hatte diesen Wein ja laut Aussage von Big Old Shane wirklich entdeckt und von ihrem Gesinde abtransportieren lassen. Und in einer Hängematte des Frachtraumes der Kogge hatte sie den schreienden und strampelnden „Bastard“ entdeckt. Auch ihn hatte sie mitgenommen. Er war der einzige Überlebende des Schiffes. Grausame, geliebte Lady Anne!
Ferris Tucker hatte an Bord der Kogge in Belfast auch noch etwas entdeckt, und zwar tief eingebrannt im Kielschwein die Zeichen „St.-St.-Wismar“. Sie waren unzweifelhaft als Werftzeichen des Erbauers zu deuten. Um wen es sich handelte, hatte der Seewolf aber nicht herausfinden können.
Mit diesem Wissen sozusagen vorbelastet war er nun unterwegs nach Cadiz. Er wollte Zumarraga finden und befragen.
Hasard wurde in seinen Grübeleien unterbrochen, als Matt Davies bei ihm erschien und meldete: „Das Notruder ist fertig. Wenn du es jetzt mal begutachten willst ...“
„Sofort“, erwiderte Hasard. Er kehrte mit Matt, dem Mann mit der Eisenhakenprothese, in den Frachtraum zurück und inspizierte Ferris Tuckers, Werk. Im Grunde war es nicht mehr als ein besonders langer, kräftiger Riemen aus Eichenholz.
Tasuta katkend on lõppenud.