Mafia Brothers

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Mafia Brothers
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Sarah Glicker

Mafia Brothers

Sammelband

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

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Prolog

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Prolog

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Impressum neobooks

Prolog

Sarah Glicker

Sammelband

Your Hero

Your King

Your Man

Sarah Weber

Alter Postweg 31a

48477 Hörstel

Copyright by Sarah Weber

Alle Rechte vorbehalten!

Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der offiziellen schriftlichen Genehmigung der Autorin!

Teil 1

Your Hero

War es eine Kurzschlussreaktion?

Vielleicht.

Bereue ich es, dass ich diesen Mann erschossen habe?

Nein.

Habe ich es jemals bereut, dass ich diesen Schritt gegangen bin?

Auch hier muss ich sagen, dass es nicht so ist.

Die Wahrheit sieht so aus, dass man in unseren Kreisen genau weiß, worauf man sich einlässt, und das schon von klein auf. Wenn man sich dazu entschließt, in die Geschäfte der Familie, und meistens sind es Familiengeschäfte, einzusteigen, weiß man es.

Man ist so aufgewachsen und weiß es einfach.

Und genauso wusste es auch der Mann, der nun tot in der Gasse vor mir liegt. Zwei Kugeln aus meiner Waffe haben ihn niedergestreckt und dafür gesorgt, dass er keinen Atemzug mehr tun kann.

Er hat gedacht, dass er mich unter Kontrolle bekommen kann, indem er mir droht. Er hat wirklich gedacht, dass ich mich wirklich darauf einlasse. Dabei weiß jeder, der mich kennt, dass genau dies nicht der Fall ist. Um genau zu sein, gab es bis jetzt nur eine Person, die es geschafft hat, mich wenigstens einigermaßen unter Kontrolle zu behalten und mich ruhiger werden ließ. Bei dieser Person stehe ich nicht ständig unter Strom.

Doch diesen Gedanken wische ich schnell wieder zur Seite. Ich will mich jetzt nicht damit beschäftigen.

„Meinst du, dass das wirklich so eine gute Idee war?“, erkundigt sich Taylor, einer meiner jüngeren Brüder, und sieht mich abwartend an.

Ich hingegen beachte ihn überhaupt nicht. Stattdessen starre ich auf die Leiche, die vor mir liegt. Um den leblosen Körper hat sich eine Blutlache gebildet, die sich mit dem Regen vermischt, der seit einer Ewigkeit auf uns fällt.

„Nun werden wir nicht mehr erfahren, wegen wem wir eigentlich hier sind“, erklärt mein zweiter jüngerer Bruder Brad.

Langsam hebe ich meinen Kopf und sehe die beiden an. Sie und ein paar unserer Männer haben sich um mich herum versammelt. Sie warten darauf, dass ich ihnen sage, was sie als Nächstes tun sollen. Doch da gibt es nichts.

„Er hat es herausgefordert und ich hatte keine Lust zu spielen“, erkläre ich und zucke gleichgültig mit den Schultern.

Mir ist bewusst, dass meine Brüder nicht sehr froh darüber sind. Allerdings habe ich es wirklich auf die ruhige Art versucht, etwas von ihm zu erfahren. Er hat mich jedoch nur an der Nase herumgeführt und mich verhöhnt. Und das ist etwas, was ich mir nicht gefallen lasse.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich jemanden umgebracht habe. Und auch jetzt hatte es einen guten Grund. Es ist ein Warnschuss an alle da draußen die meinen, dass sie sich mit mir und meiner Familie anlegen können. Denn wenn sie mich schon für skrupellos halten, sollten sie besser keine Begegnung mit meinem Vater machen.

Taylor geht ein paar Schritte an mir vorbei und sieht sich dabei in alle Richtungen um.

Wir befinden uns in einer dunklen Seitenstraße in einem Gewerbegebiet. Mal abgesehen von Lagerhäusern, Handwerksfirmen und Dunkelheit gibt es hier nichts.

Ich lasse meinen Blick über die uns umgebenden Gebäude wandern. Allerdings weiß ich selber nicht so genau, wonach ich eigentlich Ausschau halte. Ganz davon abgesehen kann ich dort auch nichts erkennen.

 

„Was sollen wir mit ihm machen?“, erkundigt sich Brad nach einer kurzen Zeit.

„Schafft ihn weg. Solange ich nicht weiß, was hier los ist, will ich nicht, dass die Polizei darauf aufmerksam wird, was passiert ist. Der Regen wird dafür sorgen, dass das Blut verschwindet.“

Ich knurre die Worte mehr, als das ich sie wirklich ausspreche. Doch ich lasse keinen Zweifel daran, dass ich wütend bin.

Mir ist bewusst, dass mir hier jemand eine Falle stellen wollte. Allerdings habe ich keine Ahnung, wer es war, oder warum er es wollte. Und von diesem Typen habe ich auch nichts in Erfahrung gebracht, was mir weiterhelfen kann. Es war eher das Gegenteil der Fall.

Er hat sich über mich und meine Familie lustig gemacht. Und als würde das noch nicht reichen, war er der Meinung, dass ich auch noch nach seiner Pfeife tanze.

Ein letztes Mal sehe ich meine Brüder wütend an, ehe ich mich umdrehe und zu meinem Wagen gehe. Meine Schritte sind energisch und lassen keinen Zweifel daran, dass meine Laune gerade nicht die Beste ist.

Nachdem ich mich hinter das Steuer meines Lincoln gesetzt habe, ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und werfe einen Blick auf das Display. Bereits in der nächsten Sekunde gebe ich einen frustrierten Ton von mir, da ich keine Nachricht von ihr bekommen habe.

Sauer werfe ich mein Handy auf den Beifahrersitz und gebe Gas.

1

Cody

Mit einem lauten Warnton, den ich in den letzten Jahren oft – zu oft - gehört habe, öffnen sich die Tore direkt vor meiner Nase. Jeder andere wäre wahrscheinlich so nervös gewesen, dass er hibbelig von einem Bein auf das andere gesprungen wäre. Doch dies ist bei mir nicht der Fall, was allerdings nicht heißt, dass ich mich nicht darauf freue, diesen Teil meines Lebens endlich hinter mir zu lassen und nach vorne zu sehen. Doch äußerlich bin ich ruhig und gefasst, so wie es meistens der Fall ist, wenn sich Leute um mich herum befinden, die nicht sehen sollen, was in mir vor sich geht.

Die Wärter, die um mich herum stehen und mich aufmerksam beobachten, denken wahrscheinlich, dass es mir egal ist, ob ich in Freiheit bin oder nicht, denke ich, als ich sie nacheinander betrachte.

Allerdings kann man mit Gewissheit sagen, dass ich in den letzten fünf Jahren mehr als genug Zeit hatte, um mich auf diesen Augenblick vorzubereiten. Dieses Geräusch war für mich alltäglich geworden, so wie es für andere der Fall ist, dass sie jeden Tag zur Arbeit gehen. Ich habe nur auf den Moment gewartet, in dem es für mich bestimmt war.

Der Gedanke an die Zeit, in der ich hier war, sorgt dafür, dass sich meine Hände zu Fäusten ballen. Sicher, aufgrund meiner Stellung war ich hier der Boss und hatte gewisse Freiheiten, von denen die anderen nur träumen konnten. Doch aus dem Gefängnis heraus kann man nicht die Geschäfte der Familie leiten. In diesem Fall hat es mich eindeutig zurückgeworfen.

In dieser Zeit hatte ich mir geschworen, nie wieder so einen Fehler zu machen, um kein zweites Mal hier zu landen.

Dies habe ich mir vorgenommen, nachdem für mich feststand, dass ich herausfinden werde, wer dafür verantwortlich ist und ihn ebenfalls umbringen werde.

In den letzten Jahren hatte ich Zeit genug, um mir dafür gleich mehrere Pläne zurechtzulegen.

Mein Glück war es, dass sie keine Leiche finden konnten, da meine Brüder sie haben verschwinden lassen. Sie hatten nur diese eine Zeugenaussage und keine Beweise, denke ich. Und das Blut ist vom Regen verschwunden.

„Hast du es dir anders überlegt und willst doch hier bleiben? Oder bist du noch nicht verschwunden, weil du Wurzeln geschlagen hast?“

Als die Stimme des Wärters an meine Ohren dringt, drehe ich mich in die entsprechende Richtung und grinse ihn dreckig an. Sein leises Lachen ertönt. Ich kann von Glück sagen, dass er keine Ahnung hat, was mir in den letzten Jahren ebenfalls mehrmals durch den Kopf gegangen ist.

Wahrscheinlich würden sie mich schon deswegen hier behalten.

„Ich bin mir sicher, dass ihr mich vermissen werdet“, stelle ich gelassen fest.

Augenblicklich erstirbt sein Lachen und sein Gesichtsausdruck wird ernst. Er weiß genauso gut wie ich, was ich damit meine.

Ich war der Einzige, der in den letzten Jahren die Insassen im Griff hatte und für Ruhe gesorgt hat.

„Hau ab, und sorge dafür, dass wir dich hier nicht so schnell wiedersehen“, fordert er mich schlecht gelaunt auf.

Während er spricht, verschränkt er die Arme vor seinem stämmigen Körper und nickt in die Richtung des geöffneten Tores.

Mir liegen ein paar Worte auf der Zunge, die ich ihm gerne entgegenschleudern würde. Allerdings weiß ich, wann es besser ist zu schweigen. Und das ist einer dieser wenigen Augenblicke in meinem Leben. Allerdings ändert das nichts daran, dass ich meine Hand hebe und ihm den Mittelfinger zeige.

Seine einzige Reaktion besteht darin, dass er laut lacht und so den Wunsch in mir weckt, ihm die Schnauze einzuhauen.

Aber so ist das Gefängnis. Dort haben die Wärter das letzte Wort, zumindest denken sie das, und wer nicht nach ihrer Pfeife tanzt, hat Pech gehabt. In den letzten Jahren habe ich jedoch bewiesen, dass dies meistens nicht der Fall war.

Ohne einen letzten Blick zurückzuwerfen, setze ich mich in Bewegung und gehe auf den riesigen Parkplatz, der sich auf der anderen Seite des Zaunes befindet. Dabei sehe ich mich kurz um, bis ich schließlich das entdecke, wonach ich Ausschau gehalten habe.

Meine Brüder stehen in einiger Entfernung und haben sich lässig an den schwarzen Durango Express gelehnt, der zu meinem Fuhrpark gehört. Er erinnert mich an das, was ich in den letzten Jahren am meisten vermisst habe. Normalerweise habe ich mich besser im Griff, doch jetzt sorgt die Erinnerung dafür, dass mir ein Stich versetzt wird.

Doch nun habe ich keine Zeit, um mich damit zu beschäftigen. Das muss warten, bis ich mich um einige Dinge gekümmert habe und ich dann endlich Zeit habe, mich darum zu kümmern, ohne abgelenkt zu werden.

Bei dem Anblick von Taylor und Brad werde ich von einer Wut erfasst, die ich bis jetzt nur selten verspürt habe. Diese richtet sich aber nicht gegen sie. Dieser Idiot, der mich an die Bullen verpfiffen hat und wegen dem ich die letzten Jahre in einer kleinen Zelle verbringen musste, hat wirklich gedacht, dass er damit durchkommt. Allerdings weiß ich, dass er bis jetzt keine Chance hatte, damit durchzukommen. Und ich habe auch nicht vor, ihm diese zu geben.

Doch das war nicht das einzige Problem, wegen dem ich mir den Kopf zerbrochen habe.

„Na, wie fühlt man sich, wenn man endlich wieder in Freiheit ist?“, erkundigt sich Brad, nachdem ich vor ihm stehen geblieben bin.

Dabei grinst er mich von einem Ohr bis zum anderen frech an. Ich habe mir bereits gedacht, dass er mich damit aufziehen würde. Doch meine Brüder wären nicht meine Brüder, wenn sie nichts von sich geben würden.

„Ich hätte da einen Vorschlag für dich. Bau scheiße und lass dich einsperren. Dann wirst du es herausfinden“, kontere ich.

Das heisere Lachen meines Bruders erfüllt die Ruhe des Parkplatzes, die um uns herum herrscht. Prüfend schaue ich ihn an.

Brad ist ungefähr einen Kopf kleiner als ich, was ihn aber nicht ungefährlicher macht. Sein Körper ist genauso durchtrainiert und bereit zu töten, wenn es darauf ankommt, wie meiner. Dieser Mann ist ein Killer, der keine Angst hat, sich die Hände dreckig zu machen.

Auch Taylor ist nicht anders. Er ist derjenige von uns, der nicht ganz soviel Interesse an den Geschäften unserer Familie hat, aber trotzdem kann ich mich jederzeit auf ihn verlassen. Wenn es hart auf hart kommt, geht er über Leichen um sich und die Leute zu schützen, die zu seiner Familie gehören.

„Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre bei dir gelandet“, erklärt nun Taylor und sieht dabei in meine Richtung.

Überrascht sehe ich ihn an, bevor ich mich in die Richtung von Brad drehe.

„Was meint er damit?“, frage ich ihn und deute dabei mit dem Kopf auf Taylor.

Meine Stimme ist ruhig und gefasst. Doch jeder der mich kennt weiß, dass es in mir ganz anders aussieht.

„Er malt den Teufel an die Wand. Du kennst ihn doch.“

Skeptisch schaue ich ihn an, doch Brad grinst nur weiter.

„Sag es mir schon“, fordere ich ihn auf. Dabei lasse ich keinen Zweifel daran, dass ich es wissen will. Wenn er irgendeinen Mist gebaut hat, muss ich es wissen. Sollte es darauf ankommen, möchte ich nicht überrascht sein, sondern wissen, womit wir es zu tun haben.

„Ich bin anscheinend über mehrere rote Ampeln gefahren und habe die Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten, mehrmals“, antwortet Brad schließlich doch und zuckt mit den Schultern, als wäre das nichts.

Seufzend fahre ich mir über den Nacken.

Dieser Mann ist eine Naturgewalt, die sich das nimmt und das macht, was sie will. Ihn kann man nur schwer unter Kontrolle bekommen und auch behalten kann. Das war schon immer so und es wird sich auch bestimmt nicht mehr ändern.

In diesem Punkt bin ich mir sicher.

Und normalerweise würde ich Brad sofort recht geben, eigentlich ist es keine große Sache. In diesem Moment sieht das aber ganz anders aus. Und eigentlich müsste er das auch wissen.

„Wir können es uns nicht leisten, dass du auch noch in den Bau musst. Hat Dad dir das nicht klargemacht?“, frage ich ihn streng und lasse ihn dabei keine Sekunde aus den Augen. „Es reicht schon, dass ich so lange weg war. Du weißt, dass wir nur stark sind, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Manchmal gehört es dazu, dass man sich an die Gesetze hält.“

„Ja, Papa.“

An dem Ton, den Brad angeschlagen hat, kann ich erkennen, dass er diese Unterhaltung in der letzten Zeit wahrscheinlich öfters geführt hat.

Dennoch muss ich es ihm noch einmal sagen. Brad gerät sonst wahrscheinlich völlig außer Kontrolle und das ist das Letzte, was ich in der nächsten Zeit gebrauchen kann.

Im richtigen Augenblick werde ich ihn aber das machen lassen, was er will. Und das wissen alle. Doch jetzt habe ich andere Dinge im Kopf, sodass ich mir nicht auch noch darüber Gedanken machen kann.

„Und was hast du in der letzten Zeit getrieben?“, wende ich mich an Taylor, nachdem ich Brad noch einen warnenden Blick zugeworfen habe.

„Unser Musterjunge hat das Zeug, um Jahrgangsbester zu werden“, platzt es aus Brad heraus.

„Wirklich?“

Taylor war schon immer jemand gewesen, der mehr aus seinem Leben machen wollte, beziehungsweise etwas anderes. Das war schon so, als er noch in die Grundschule ging. Trotzdem hätte ich nie gedacht, dass mein Bruder seinen Weg so eisern verfolgt. Doch ich freue mich darüber.

Taylor nickt nur, ohne ein Wort darüber zu verlieren und schaut Brad kurz eisig an. Dann dreht er uns den Rücken zu, öffnet die Tür des Wagens und setzt sich auf den Beifahrersitz.

Ich kenne diese Gespräche zwischen den beiden. In gewisser Weise sind sie wie kleine Kinder, die man ständig voneinander trennen muss, damit sie sich nicht streiten und Ruhe herrscht. Wenn es aber darauf ankommt, sind die beiden ein unschlagbares Team. Dennoch habe ich gehofft, dass sich ihr Verhalten in den letzten Jahren wenigstens etwas geändert hat, natürlich zum positiven. Doch nun muss ich feststellen, dass Wünsche manchmal wirklich nur Wünsche bleiben und sich manche Dinge nicht ändern.

In gewisser Weise bin ich aber auch froh darüber. So kommt es mir vor, als hätte ich nicht sehr viel verpasst. Als wäre ich nicht so lange weg gewesen, wie ich es eigentlich war.

„Und was hast du jetzt vor?“, zieht Taylor mich aus meinen Gedanken, nachdem er mich eine Weile stumm betrachtet hat.

„Ich werde mich für die letzten Jahre rächen. Das hier werde ich nicht aus mir sitzen lassen“, knurre ich. „Wer auch immer dahinter steckt, er wird dafür bezahlen.“

Mein Bruder nickt und zeigt mir so, dass er mich versteht. An meiner Stelle würde es ihm nicht anders gehen, das weiß ich. Und genauso weiß ich, dass ich mich auf die beiden verlassen kann.

„Na los“, fordere ich ihn auf und setze mich hinter das Lenkrad.

Ich will keine Zeit verlieren, damit ich mich endlich um das kümmern kann, was für mich an erster Stelle steht!

2

Rachel

 

Mir ist schlecht.

So schlecht, dass ich am liebsten im Bett bleiben und mich unter meiner Decke verkriechen würde.

Schon den ganzen Tag habe ich ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend, welches ich einfach nicht loswerde. Wundern tut es mich aber nicht.

Mich würde es eher wundern, wenn es nicht so wäre.

In einer Stunde muss ich zum Abendessen bei meinen Eltern sein. Allerdings werde ich nicht alleine dort sein.

Nein, mein Bruder wird auch anwesend sein.

Alleine der Gedanke daran, dass er da sein wird, sorgt dafür, dass sich mein Magen schmerzhaft zusammenzieht und ich mich gerne übergeben würde. Doch es hilft alles nichts. Ich kann das Essen bei meinen Eltern nicht verschieden, oder irgendeine Ausrede vorbringen, warum ich nicht kommen konnte. Ich kann nur hoffen, dass ich ihm irgendwie aus dem Weg gehen kann. Denn leider kann ich den beiden nicht ewig ausweichen, auch wenn es in den letzten Wochen funktioniert hat.

Nur leider habe ich es so nicht geschafft, auch ihm aus dem Weg zu gehen, denke ich zähneknirschend, während ich mich fertig mache.

Als ich mir die Schuhe anziehe, verziehe ich bei jeder Bewegung das Gesicht vor Schmerzen. Es ist jetzt eine Woche her, dass ich mir diese Verletzungen zugezogen habe – keine Ahnung, wie ich es sonst bezeichnen soll. Doch sie schmerzen noch immer, als wäre es erst gestern gewesen. Vor allem der blaue Fleck, der sich auf meiner Hüfte befindet, springt mir jedes Mal sofort ins Auge, wenn ich mich ausziehe und einen Blick in den Spiegel werfe. Er ist riesig und besteht aus so leuchtenden Farben, dass ich froh darüber bin, dass man ihn an dieser Stelle nicht sehen kann.

Seufzend bleibe ich auf meinem Sofa sitzen und warte darauf, dass die Schmerztabletten, die ich vorhin genommen habe, endlich wirken. Auf diese Weise will ich verhindern, dass meine Eltern etwas mitbekommen, da ich mich kaum bewegen kann. Ich wüsste nämlich nicht, wie ich ihnen das erklären sollte.

Nach einigen Minuten stehe ich schließlich auf, greife nach meiner Tasche und den Schlüsseln und verlasse meine Wohnung.

Ich habe es nicht eilig, zu meinen Eltern zu kommen. Daher bin ich über jede rote Ampel froh, die sich auf meinem Weg befindet. Ich fahre sogar einen kleinen Umweg, um noch etwas Zeit zu bekommen. Dennoch kommt es mir so vor, als würde ihr Haus viel zu schnell vor mir erscheinen.

Ich habe mich immer darüber gefreut, hier zu sein. In den letzten Jahren ist diese Freude allerdings immer mehr verschwunden und ich bin ihnen aus dem Weg gegangen.

Einen Moment bleibe ich noch in meinem Wagen sitzen und betrachte es. Ich habe eine wunderbare Kindheit hier verbracht. Damals war noch alles in Ordnung und es gibt Zeiten da wünsche ich mir, dass es noch immer so ist.

Während ich versuche mich wieder ein wenig zu beruhigen, überlege ich mir schon eine Ausrede, wieso ich nicht lange bleiben kann. Auf diese Weise will ich verhindern, dass mein Bruder doch noch die Chance dazu bekommt, mit mir zu reden. Auf ein Gespräch mit ihm kann ich nämlich sehr gut verzichten.

Ein letztes Mal atme ich tief durch, ehe ich mich endlich dazu aufraffe, das Auto zu verlassen. Als ich durch den Vorgarten auf die Haustür zugehe, höre ich noch einmal in mich herein. Dabei stelle ich fest, dass die Tabletten endlich wirken und ich mich wieder so bewegen kann, als wäre nichts geschehen.

Und darüber bin ich froh. So muss ich mir keine Geschichte einfallen lassen. Ich will nicht, dass sie die Wahrheit erfahren.

Das dürfen sie niemals erfahren!

„Mein Kind“, begrüßt mich meine Mutter mit guter Laune und kommt mit großen Schritten auf mich zu, nachdem ich das Haus betreten habe.

In der nächsten Sekunde zieht sie mich für eine feste Umarmung an sich heran.

„Dich habe ich ja schon ewig nicht mehr zu Gesicht bekommen“, erklärt sie und sieht mich prüfend von oben bis unten an. Nichts entgeht ihr, daher versuche ich so gelassen wie möglich auf sie zu wirken. „Was hast du alles in der letzten Zeit gemacht? Du warst ja ganz schön beschäftigt.“

„Sie führt ihr eigenes Leben“, ertönt in der nächsten Sekunde die Stimme meines Vaters, bevor ich ihr antworten kann. „Da ist es nun einmal so, dass man nicht mehr soviel Zeit für seine Eltern hat.“

Kurz sehe ich ihn an und versuche herauszufinden, ob er deswegen sauer oder enttäuscht ist. Doch wenn ich ehrlich bin, macht er diesen Eindruck nicht auf mich. Stattdessen zwinkert er mir zu und bringt mich so dazu, das sich leise lache. Wenigstens für einen kurzen Moment kann ich so meine Probleme vergessen.

Nach dem Mist, der in der letzten Zeit geschehen ist, tut es gut. Gerne würde ich mich öfter so frei fühlen, wie es gerade der Fall ist. Doch das ist es nicht. Um genau zu sein, passiert das sogar sehr selten.

„Dein Bruder kommt auch gleich“, verkündet meine Mutter, nachdem sie sich von mir gelöst hat.

Daher bekommt sie nicht mit, dass ich erschrocken zusammenzucke. Mein Herz beginnt zu rasen und erneut wird mir schlecht.

Ich wusste, dass er auch hier sein wird, doch ich kann kein Geheimnis daraus machen, dass ich eigentlich keine Lust habe, ihm über den Weg zu laufen. Ich gebe zu, dass ich mich am liebsten auf der anderen Seite der Welt aufhalten würde.

„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich habe ihm gesagt, dass ich heute keinen Streit zwischen euch will“, erklärt sie als Nächstes. „Ich bin mir also sicher, dass er sich zurückhalten wird.“

Für unsere Familie sieht es so aus, als würden wir uns einfach nicht verstehen und deswegen ständig aneinander geraten. Allerdings haben sie noch nicht einmal an der Oberfläche damit gekratzt. Und darüber bin ich froh, denn unsere Auseinandersetzungen gehen sehr viel tiefer.

Ich habe keine Ahnung, wie sie reagieren würden, wenn sie die Wahrheit wüssten. Doch ich weiß, dass es diese Sache nur noch schwieriger für mich machen würde. Und das ist etwas, worauf ich sehr gut verzichten kann. Je weniger darüber Bescheid wissen, was hier los ist, umso besser ist das für mich.

Dies ist auch der Grund dafür, dass ich seit Jahren den Mund halte und es einfach über mich ergehen lasse.

„Also, was hast du in den letzten Wochen gemacht?“, fragt sie ein zweites Mal und reißt mich so aus meinen Gedanken. Dabei bedeutet sie mir, dass ich ihr folgen soll.

Gemeinsam gehen wir in die Küche, wo ich mich an den gedeckten Tisch sinken lasse. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken, während ich versuche eine geeignete Antwort zu finden. So leicht ist das allerdings nicht, da ich eigentlich nichts gemacht habe.

„Ich hatte auf der Arbeit viel zu tun“, gebe ich schließlich von mir. „Und dann habe ich mich viel mit meinen Freundinnen getroffen.“

Es ist gelogen, doch das muss sie nicht wissen. Die Hauptsache für mich ist, dass sie es mir glaubt.

„Wirklich, ich weiß überhaupt nicht, wieso du dich nicht mit Jason verstehst. Ihr seid beide Arbeitstiere, wie es Opa immer so schön gesagt hätte“, murmelt sie und schüttelt den Kopf. „Manchmal frage ich mich, ob ihr euch überhaupt ein freies Wochenende gönnt. Aber vielleicht ist das auch genau euer Problem.“

„Was meinst du?“ Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich keine Ahnung habe, wovon sie spricht.

„Ihr seid euch einfach zu ähnlich.“

Meine Mutter verzieht das Gesicht, als würde sie darüber nachdenken. Doch ich ziehe es vor, nicht weiter auf diesen Gedanken einzugehen.

„Ich mache meinen Job gerne“, gebe ich nur von mir und zucke mit den Schultern.

Einen Moment sieht sie mich nachdenklich an, bevor sie sich wieder auf das Essen konzentriert. Dennoch habe ich das Gefühl, als würde es da noch etwas geben, was sie zu diesem Thema von sich geben will.

„Und was war bei euch los?“, erkundige ich mich, bevor sie es sich anders überlegt und ihr Schweigen bricht.

Die nächsten Minuten berichtet meine Mutter mir, was in der bei ihr und Dad passiert ist. Allerdings ist es nicht ganz so viel, wie ich von ausgegangen bin. Die meiste Zeit sind die beiden auf der Arbeit beziehungsweise mit dem Ausbau des Dachbodens beschäftigt, aus dem sie eine Art Hobbyraum für die Modellautos meines Vaters machen wollen.

Ich bin so sehr auf die Unterhaltung mit ihr konzentriert, das sich erschrocken zusammenzucke, als ich plötzlich die Stimme meines Bruders dicht hinter mir wahrnehme. Langsam drehe ich mich um und stelle fest, dass er mich keine Sekunde aus den Augen lässt. Dann wendet er sich jedoch von mir ab und begrüßt unsere Mutter, als wäre nichts.

Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich mich wieder im Griff habe, doch dann schaffe ich es, mir meinen Ärger nicht anmerken zu lassen.

Während des Essens spüre ich die ganze Zeit seinen Blick auf mir. Mir ist bewusst, dass ihn unsere letzte Unterhaltung nicht gefällt, doch es ist mir egal. An meiner Meinung wird sich nichts ändern. Dieses Mal werde ich standhaft bleiben!

Ich versuche mich auf das Gespräch zu konzentrieren, das um mich herumgeführt werden. Doch ich schaffe es nicht. Dies geht soweit, bis ich nicht einmal mehr in der Lage bin, am Tisch sitzen zu bleiben.

Plötzlich packt der Fluchtinstinkt mich, den ich nicht mehr unter Kontrolle behalten kann.

„Ich bin gleich wieder da“, verkünde ich und stehe so energisch auf, dass der Stuhl mit einem scharfen Ton über die Fliesen rutscht.

Als ich den überraschten Blick meiner Mutter erkenne, merke ich, dass es vielleicht etwas zu energisch war, doch darum kann ich mich jetzt nicht kümmern. Ohne sie ein letztes Mal anzusehen oder noch etwas zu sagen, verlasse ich die Küche und gehe ins Bad. Ich habe nur noch den Wunsch von hier zu verschwinden und soviel Abstand wie möglich zwischen Jason und mich zu bringen. Doch gerade muss ich mich damit begnügen, das Zimmer zu verlassen.

Nachdem ich die Tür des Badezimmers hinter mir abgeschlossen habe, lasse ich mich dagegen sinken.

Einige Sekunden stehe ich dort, habe die Augen geschlossen und versuche mein wild schlagendes Herz wieder unter Kontrolle zu bekommen. Erst dann gehe ich zum Waschbecken und werfe einen Blick in den Spiegel.

Ich bin blass im Gesicht, sodass es mich nicht wundert, dass meine Mutter mich so angesehen hat. Außerdem zittert mein gesamter Körper.

Wahrscheinlich wird sie mir nachher noch einmal sagen, dass ich mal Urlaub machen soll, denke ich.

Und das würde ich gerne, allerdings ist auch das nicht so einfach, wie sie es sich vielleicht denkt.

Da ich nicht ewig im Bad bleiben kann, schiebe ich das schnell wieder zur Seite und sammle mich. Erst als ich mir sicher bin, dass ich nicht jeden Augenblick etwas machen werde, was ich wahrscheinlich bereuen werde, gehe ich wieder hinaus. Doch kaum habe ich die Tür geöffnet, bereue ich es bereits wieder.

Nur wenige Zentimeter von mir entfernt steht mein Bruder und sieht mich von oben bis unten an.

„Du solltest mehr schlafen. Schließlich hast du bald eine wichtige Verabredung“, stellt er dann fest.

Ein hinterhältiges Grinsen hat sich auf seinem Gesicht breit gemacht, während seine Worte langsam bei mir ankommen.

„Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich diesen Termin nicht wahrnehmen werde“, kontere ich entschieden.

Ich lasse keinen Zweifel daran, dass ich es genauso meine, wie ich es gesagt habe. Doch ich erkenne auch, dass er nicht zufrieden mit meiner Antwort ist. Um genau zu sein, spannen sich seine Muskeln an und seine Lippen bilden nur noch eine dünne Linie. Mir ist bewusst, dass er wütend ist und leider weiß ich auch, was nun kommen wird.

Bevor ich die Chance habe, einen Schritt nach hinten zu gehen, umgreift er fest meinen Arm und zieht mich hinter sich her in das Arbeitszimmer unseres Vaters. Nachdem er leise die Tür hinter sich geschlossen hat, baut er sich bedrohlich vor mir auf.

Und dann spüre ich nur noch, wie seine Hand in meinem Gesicht landet.

Der Schlag ist so fest, dass mein Kopf zur Seite fliegt. Sofort gehe ich ein wenig in die Knie und fasse ich mir an die Stelle, an der er mich getroffen hat. Ich spüre das Brennen, welches von ihr ausgeht. Mir schießen die Tränen in die Augen, doch ich halte mich zurück. Ich will ihm nicht diese Macht über mich geben.

„Ich habe eigentlich gedacht, dass wir das schon ausführlich geklärt haben“, brummt er. „Du machst, was ich sage und wann ich es sage. In den letzten Jahren hat es doch auch funktioniert. Ich verstehe nicht, wieso du jetzt so ein Drama deswegen machst. Dieser Mann ist ein sehr einflussreicher Geschäftspartner von mir und er würde gerne meine Schwester kennenlernen. Ich rate dir, diesen Job ordentlich zu erledigen. Es geht für mich um eine Menge Geld.“