Loe raamatut: «ich»

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Wir danken der Kulturabteilung der Stadt Wien

für die freundliche Unterstützung.

2017

© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck

Umschlaggestaltung: Ulrike Möltgen und Nele Steinborn

Satz- und Layoutgestaltung: Nele Steinborn, Wien

Illustrationen: © Ulrike Möltgen - vermittelt durch

Agentur Susanne Koppe, www.auserlesen-ausgezeichnet.de

Handschrift: Eleni Steinborn, Wien

Schriften: DTL Documenta

Druck und Bindung: FINIDR, Tschechien

ISBN 978-3-7022-3640-3 (gedrucktes Buch)

ISBN 978-3-7022-3652-6 (E-Book)

E-Mail: buchverlag@tyrolia.at

Internet: www.tyrolia-verlag.at


ich

#wasimmerdasauchheißenmag

Sarah Michaela Orlovský mit Bildern von Ulrike Möltgen


Inhalt

Freundschafts???!buch

Nono

Alternatives Freundschaftsbuch

Pilottest

Erbärmlich

Streifentest

Schwester sein

Urlaub

Mitbringsel

Staycation

I’m a tourist, baby, so why don’t you kill me

#habefertig

Postkarte von Verli

Nachricht von Jarik

NONOs Sommerblues

Badeunfall

Krise

NONOTIZ, von Nono an Nono

Möglichkeiten

Wirklichkeiten

Urlaubsfotos

Ausnahme

Kontraste

Kunstprojekt

PROJEKTNAMEN

Postkarte von Verli

Sonnenklar

Schwangerschaftshormone

Online-Kunst

2 Stunden später

Family Guy

VERFÜGUNG

Nachricht von Jarik

Nachricht von Jarik

Wie wir unser Leben meistern

Wankelmut

Wildwald

Waldfee und Jordan

Waldwild

Post

Jo-Jo-Effekt, der

Dreadlock, the

dread (drěd)

Dreadful dreads

Gleich und gleich

Nachricht von Jarik

Daheim geht

Namenlos

Zauberaus

ANNONCE

Hormonrauschkauf

Freiwillig

Suchtmond

Schulanfang, 1. Akt

Der Code

Verkleidungstag

The show must go on

Mamas Style

Designer Outfit

Prinzessinnen-Blues

Wäscherei

Postkarte

Sechs Wörter

Englisch-Vokabel

Skating is a way of life

See you later, alliskater

Freestyle

Re-Tour

Queen of Buchweizen

Tag #14

Siebhirn

Gotischer Schick

Aus dem Insider-Wortschatz der 5B

„Wall of Fetzen“ Trauerspiel in einem Aktenkoffer

Babykleidung

Frame it, digga

Wanted: Spürhund

Fight the Fetzenwind

Augen zu und querfeldein

Out-Fit

Sport ist Mord – also modisch gesehen

Schwangerschaftsstreifen

Durchfallproblem

Kletterpflanze

Aus zweiter Hand

Angebot und Nachfrage

Ladybird

SOKO Deko

Baustelle 2

Mädels schauen

Baustelle 4

Nachspiel

Derweilen, hinter den Kulissen, in der Künstlergarderobe

Wellness

Aufräumen

Das perfekte Outfit

Kismet

Ich packe in meinen Koffer

Kliniktasche

Kaiser, König, Bettelmann

Bond-Girl

MAMA

Geburts-Tag

Klebt


Eigentlich wollte ich dieses Heft für den Schulanfang aufheben. Gestern habe ich es von Verli bekommen. Quasi als Abschiedsgeschenk, weil Verli auf Sprachferien nach Florida muss. Die gesamten Ferien. Das muss man sich mal vorstellen: Wie genial ist unser Schulsystem, wenn Eltern ihr Kind aus Angst vor einem Hauptfach für zwei Monate ins Ausland schicken? Florida. Ausgerechnet. Ich würde mein Geld an ihrer Stelle ja gewinnbringender anlegen. Na ja. Verli sei es vergönnt. Hoffentlich spricht ihr Ferien-Flirt grammatikalisch korrekt. Auf jeden Fall, danke fürs Geschenk. 200 Seiten, geniales Format, grau kariert. Hier wollten Verli und ich alles dokumentieren, was wir in der Oberstufe so anstellen. Jetzt brauche ich das Heft aber schon am Anfang der Sommerferien. (200 Seiten wären höchstwahrscheinlich sowieso zu wenig für die gesammelten Abenteuer der weltgenialsten Klasse. Ich besorge uns für die Schule gleich ein richtig fettes Teil, irgendein Registrierbuch für Hotels oder so, da können wir uns dann so richtig austoben. Und ich schreibe alles, alles mit. Die gesammelten Werke der 5B.)

Freundschafts???!buch

Heute war dieses Mädchen da. Das kleine rothaarige, das aussieht wie eine extrem schüchterne Version von Pippi Langstrumpf. Der Rotschopf macht wohl grad bei den seltsamen Schrebergarten-Pensionisten am Ende der Straße Urlaub. Ich glaube, das sind ihre Großeltern. Oder sie haben die Kleine entführt, wie in dem einen Film da – wo sie dann mit dem Campingbus unterwegs sind und am Ende fackelt das Mädchen den Bus samt ihren Entführern ab … Dafür sah Miss Feuerhaar aber irgendwie doch nicht verängstigt genug aus. Sie heißt Lilli, hat sie gesagt, und sie kommt schon in die zweite Klasse Volksschule. Sie hat mir ihr Freundschaftsbuch gegeben. Ich darf es aus-nahms-wei-se über Nacht haben und bis morgen Früh ausfüllen. Dreingeschaut hat sie ja, als würde sie mir die Kronjuwelen von Tadschikistan anvertrauen oder so.

Das Buch ist noch komplett leer. Ich bin die Erste, die reinschreibt. Die ERSTE. Tragisch irgendwie. Ich kann für das arme Kind nur hoffen, dass sie das Buch grade erst von Oma und Opa Schrebergärtner bekommen hat. (Das wäre dann ein Argument gegen die Entführer-Theorie. Kein Kidnapper der Welt ist so blöd und schenkt seiner Geisel ein Buch, in das sie am Anfang ihren richtigen Namen und ihre Adresse schreiben muss, um es dann anderen Leuten aufzuzwingen, die ebenfalls was reinschreiben sollen.)

Also: Ich habe mich echt bemüht. Für Lilli. Für diese riesigen rotbraunen Hundeaugen über der Zahnlücke. Für ihren Glauben an die Spontan-Freundschaftisierung über Gartenzäune hinweg. Mindestens zehn Minuten bin ich dagesessen, den Stift im Mund, und habe nachgedacht. Das müsste doch auch ohne Grübeln gehen, denkt sich mein Zeitspar-Ich. Du hast ja in deinem Leben schon genug solcher Freundschaftsbücher ausgefüllt. Da geht es doch nicht einmal darum, WAS du hinschreibst. Das ist mehr so ein Sehen-und-gesehen-Werden, ein Schau-mal-ich-bin-auch-da, ein Das-alles-sind-meine-Freunde-also-bin-ich-kein-Loser-dessen-Leben-den-Bach-runtergehen-wird.

#ichgehördazu-unddu?

Aber ich bin eben nicht mehr in der Volksschule. Ich weiß, dass ich kein Loser bin, und ich brauche kein Buch mehr, um mir meiner Freunde sicher zu sein. Warum ich die blöden Fragen dann nicht einfach trotzdem ausfüllen kann, so nullachtfünfzehn? Warum mich das so dermaßen aufregt?

Weil! Das! Grober! Unfug! Ist!

Mal ganz ehrlich: Was ist mit einem Kind im tiefsten afrikanischen Busch, das nicht lesen und schreiben kann? Oder mit einem blinden indischen Straßenkind ohne Beine, das sich von Essensresten ernährt, die es auf der Straße findet? Und was ist mit einem Menschen, der gelähmt ist, und nicht reden kann und nur die Augen bewegt, wenn er kommuniziert? Rechts blinzeln für „ja“, links blinzeln für „nein“, die Augen schließen für „Rutsch mir doch den Buckel runter, du Versager“?

SIND DIE ETWA NIEMAND, WEIL SIE KEINEN LIEB-LINGSFILM haben?

Okay, okay. Vielleicht ist das et-was übertrieben.

Meinetwegen. Aber trotzdem: Lieblingsfilm. Lieblingsspeise. Lieblingsschulfach. Lieblingspipapo … Was soll das denn über einen Menschen aussagen?

Wenn ich das alles ausfülle, und wenn ich alles genau gleich habe wie ein anderes Mädchen auf dieser Welt, sind wir dann gleich? Wenn ich einen Unfall habe und plötzlich gelähmt bin und keinen Geschmackssinn mehr habe, bin ich dann noch ICH? Wenn ich nichts TUN kann, um ich zu sein, wenn ANDERE Kleidung für mich aussuchen und mir die Haare schneiden, sodass ich nicht einmal mehr AUSSEHE wie ich – wer bin ich dann?

Wenn man das Aussehen

und das Gelernte

und das Gesehene

und all die unwichtigen Dinge dieser Welt

weggibt,

sollte es nicht etwas geben,

so einen Funken in jedem von uns,

so unverkennbar wie ein Fingerabdruck,

etwas, das bleibt,

das, was mich zu der macht, die ich BIN?

Nono

Ich habe das Internet befragt.

Nonô war ein brasilianischer Fußballspieler,

der nur ein einziges Länderspiel absolvierte.

Nono heißt eine Taverne in Kroatien,

Decke und Wände vollgeklebt mit Hüten und Musikinstrumenten.

Nono ist ein Haarentfernungssystem mit 60 Tagen

Rückgabegarantie.

Und Nono bin ich

(aber das weiß das Internet nicht):

Veronika,

1,74 m,

a(r)schblond,

15.

Ich spiele nicht Fußball,

ich trage keine Hüte,

ich kann kein Musikinstrument.

Ich habe kaum Haare auf den Beinen

und die paar, die ich habe, sind hellblond.

Ach so – wer ich BIN?

Das Internet sagt:

„BIN“ ist eine Beratungsstelle für Abhängigkeitserkrankungen;

„BIN“ heißt „Bank Identification Number“;

„bin“ bedeutet Abfalleimer auf Englisch.

Der Müll ist:

Ich – habe – keine – Ahnung – wer – ich – bin.

Alternatives Freundschaftsbuch

Danach suche ich auf dem Flohmarkt:

Die besten Songs meines Lebens:

Wenn ich krank bin, habe ich am häufigsten …

Mein tollster Fund:

Meine beste Idee:

Diesen Geruch mag ich am liebsten:

Das hätte ich schon längst tun sollen:

Wörter, die ich am meisten gebrauche:

Wenn das Leben ein Gugelhupf wäre – das wären meine Zutaten:

Hast du schon einmal …

… jemandem ein Kompliment gemacht, den du gar nicht kennst?

ja nein vielleicht

… etwas mitgehen lassen?

ja nein vielleicht

… ohne Zelt im Freien übernachtet?

ja nein vielleicht

… den Notruf gewählt?

ja nein vielleicht

… jemandem gesagt, dass du in ihn verliebt bist?

ja nein vielleicht

… an Weihnachten geweint?

ja nein vielleicht

… Herzklopfen gehabt, dass dir die Ohren platzen?

ja nein vielleicht

Pilottest

Es gibt so magische Sätze.

Sätze, die über Leben und Tod entscheiden.

Beispiel #1 „Ich heiße Jacqueline (mit stimmhaftem sch und langem i, ganz wie es der Franzose am liebsten hat), meine Mama ist Französin.“

Dieser Satz katapultiert dich im Nullkommanichts in die oberste soziale Riege jeder Schulklasse. Zumindest, bis du gezeigt hast, wie cool du wirklich bist.

Beispiel #2 „Ich bin die Tschacklin (mit peitschendem tsch und krach-tirolerischem Lagerfeuer-Knack-ckch).“

Mit diesem Satz tritt dein absoluter sozialer Tod ein. Und zwar mit sofortiger Wirkung. Egal, woher deine Mutter kommt.

Meine zwei ersten Sätze sind eigentlich recht brauchbar.

Satz #1 „Ich heiße Nono.“

Ist ein Hin-Hörer, funktioniert aber nur bei Mitschülern. Die Lehrer bestehen auf „Veronika“, weil es so auf der Klassenliste steht und weil sie diese Klassenliste mit nach Hause nehmen und sie dort auswendig lernen. (Aber die Zeit heilt alle Namenslisten. Spätestens nach den Weihnachtsferien hat noch jeder Lehrer Nono zu mir gesagt.)

Satz #2 „Mein Papa ist Pilot.“

Funktioniert immer und bei jedem. Ruft starke Reaktionen hervor. Reaktionen von Lehrern: „Ach wirklich? Interessant. Für welche Linie fliegt er denn?“ Reaktionen von Schülern: „Boah, cool! War er schon auf der ganzen Welt? Darfst du gratis fliegen? Kannst du Flugmeilen verschenken?“

Das ist sozusagen der Pilottest. (PILOT-Test. Check? Wortwitz, komm heraus, du bist umzingelt!) Meine Antworten entscheiden darüber, ob ich hop oder drop bin. Das war schon im Kindergarten so und in der Schule auch und auf jeder Party und in jedem Ferienlager. Eigentlich ist es egal. Bald nach Schulanfang wird sowieso neu durchgemischt. Dann ist der erste Eindruck verflogen, dann kommt die Wahrheit ans Licht. Aber da kann es sein, dass der soziale Tod dich schon umgebracht hat. Also innerlich, meine ich.

Meistens denke ich mir eine Fluglinie aus, für die Papa angeblich fliegt. Dann muss ich nicht erzählen, dass er in Wirklichkeit für eine private Firma arbeitet. Dass er wichtige Politiker und berühmte Stars durch die Gegend kutschiert, gemeinsam mit ihren Leibwächtern und ein paar Flaschen Schampus.

Ich will nicht „die Tochter vom Piloten“ sein. Ich bin Nono. Sonst nichts.

#wasimmerdasauchheißenmag

Erbärmlich

Ein Freundschaftsbuch, dazu erschaffen, dass sich Achtjährige als humorvoll profilieren können, indem sie als Lieblingsfach „Pause“ angeben und als Lieblingsbuch „das Telefonbuch“ – und ich krieg eine Existenzkrise.

Streifentest

Eigentlich würde ich das alles ja lieber mit Papa bereden. So wie immer. Ja, ich gestehe, ich bin ein Papa-Mädchen. Nein, das ist völlig in Ordnung. Ja, auch wenn man schon 15 ist. Wir passen einfach gut zusammen. Das hat absolut NICHTS mit dem Ödipus-Komplex zu tun. Außerdem hatte Ödipus was mit seiner MUTTER. Also: Komplett andere Baustelle.

Tut aber ohnehin nichts zur Sache. Dieses Mal steht Papa nicht zur Verfügung. Er hat die Seiten gewechselt. Er ist vom gegnerischen Team gekauft worden. Er ist ins feindliche Lager übergelaufen.

#i’m.on.my.own

Bis heute Abend war alles noch normal.

Na ja, „normal“ ist natürlich sehr relativ bei uns. Heute war wieder ein Tag #14. Wir leben im Zwei-Wochen-Rhythmus. Zwei Wochen ist Papa da und wir sind eine Familie, tutti paletti, Friede, Freude, Gugelhupf. Dann ist Papa zwei Wochen im Dienst, fliegt von Flughafen zu Flughafen, von Stadt zu Stadt, von Hotel zu Hotel. Zurück bleiben: Mama und Nono. Das Chaos-Duo. The Terrible Two. Wir fühlen uns beide einsam. Gleichzeitig stehen wir einander im Weg, treten uns gegenseitig auf die Zehen, gehen einander auf die Nerven, während die Zeit dahinschleicht. Wir zählen die Tage. Eeeeeeins. Zweeeeei. Dreeeei. Viiiiiiier. … Alle Tage sind gleich lang. Nur so unglaublich unterschiedlich breit. Am breitesten aber ist Tag #14. Das sind die schlimmsten im Zwei-Wochen-Rhythmus. Zuerst ist Mama der Putzfimmel in Person. Sie saugt und schrubbt und wischt und wäscht und ich würde ja in Selbstmitleid versinken, weil es keinen Fleck mehr gibt im Haus, wo man nicht im Weg ist – aber der Staubsauger ist eindeutig ärmer dran als ich. Also kein Selbstmitleid. Staubsaugermitleid.

So ist das immer, bevor Papa heimkommt. Heute hat sich Mama aber echt selbst übertroffen. Man stelle sich vor: Sie hat die blitzeblank geschrubbte Küche NOCH EINMAL geputzt. (Rätsel der Kategorie „Suchen Sie die 10 Unterschiede“. Auflösung: April, April, Sie werden keine finden.)

Da hätte ich schon misstrauisch sein sollen. Aber dazu hatte ich keine Zeit. Ich war vollauf damit beschäftigt, mich vor Tag #14, Teil 2 zu fürchten. Auf jeden Putzwahnsinn folgt das Kuschelkommando, wie das Amen im Gebet, wie der Durchfall auf das All-you-can-eat-Buffet beim Chinesen. Da hängt Mama dann ganz kaputt im Sofa, in Gedanken schon bei Papa, der wahrscheinlich schon gelandet ist, der vielleicht schon im Auto sitzt, dem es doch hoffentlich gut geht („Warum schreibt er denn nicht?“), den sie am liebsten schon knutschen würde. Nur dass er noch nicht da ist. Also muss ich herhalten.

„Nono? Komm her. Setz dich zu mir.“

Und da haben wir es schon.

Als Kind habe ich mir oft nichts mehr gewünscht, als bei Mama am Sofa sitzen zu dürfen und ihre Hand warm auf meinem Rücken zu spüren. Darum kann man natürlich nicht bitten. Das muss über einen kommen wie das braune Weich aus dem Schokobrunnen. So etwas ist ein Gefühlsgeschenk, Miteinandermagie, Zweierzauber, ein Winzigwunder, jedes einzelne Mal.

Aber bei Tag #14, Teil 2 geht es nicht um Wunder.

Da bin ich nur Platzhalter.

Ganz ehrlich: Lieber sitze ich allein im Keller und starre die Decke an.

Keine von uns würde es zugeben. Aber in dem Moment, in dem Papa zur Tür hereinkommt, nachdem wir ihm zugesehen haben, wie er aus dem Auto steigt, wie er seinen Rollkoffer aus dem Kofferraum hebt, nachdem wir zur Haustür gegangen sind, betont langsam, das Willkommen-daheim-Lächeln auf dem Gesicht ausgebreitet, in dem Moment, wo Papa also endlich da ist, aber noch bevor er die Schuhe aufgemacht hat – in diesem Moment geht es nur um eines: Wen von uns beiden er zuerst umarmt.

Heute bin ich erst aus dem Keller gekommen, als ich schon das Brummen der Kaffeemaschine gehört habe. Wer so verzweifelt ist, dass er zwei Mal putzen muss, der hat’s wohl bitter nötig. Und ich bin kein Unmensch.

Beim Abendessen hat Papa von seinem Flug erzählt. Von diesem spanischen Minister, der so große Flugangst hat, dass er drei doppelte Schnäpse kippen muss, bevor Papa überhaupt den Motor anlassen darf. Mama und ich haben zugehört, gelacht, Fragen gestellt. Kommunikation Mama-Papa, Nono-Papa. Schweigen Mama-Nono. Alles wie immer. Alles in bester Ordnung. Doch dann kommt die Rede auf diese Flugbegleiterin in Papas Team, die Nette, mit dem Wuschelkopf.

„Im September kommt sie zurück“, erzählt Papa. „Da geht ihr Mann in Karenz.“

„Ein Jahr vergeht so schnell“, meint Mama.

Und plötzlich schauen sie sich ganz komisch an. Und Papa nimmt Mamas Hand. Und Mama nickt. Und dann lassen sie die Bombe platzen:

„Nono“, sagt Papa. „Du bekommst ein Geschwisterchen.“

Ich hab zuerst nicht kapiert, was er meint. Ja, ich weiß, die Wörter an sich sind jetzt nicht so kompliziert, aber – HÄ?!

Mama, ganz säuselig: „Ich bin schwanger.“

Und dann steht sie tatsächlich auf, geht ins Badezimmer und kommt mit diesem Ding zurück, das aussieht wie eine Füllfeder oder ein Skalpell. Nur dass es natürlich kein Skalpell ist. Es ist ein SCHWANGERSCHAFTSTEST. So einer, auf den man PINKELN muss. Und sie legt ihn auf den ESSTISCH, damit ich die zwei STREIFEN sehen kann!!! WIE GRAUSIG KANN MAN SEIN? HALLO?????!!!!! So etwas gehört in den MÜLL!!!!!

Sie ist im VIERTEN Monat.

Trommelwirbel,

Rosenregen,

Schnurrbartzwirbel,

Kindersegen.

Noch einmal für den Taschenrechner: vierter Monat.

Das heißt, sie wissen es schon drei Monate lang. Na ja, mindestens zwei. Und NIEMAND hat mir etwas gesagt. KEIN WORT. Sie wollten „auf Nummer sicher gehen“.

Damit ich „nicht enttäuscht bin“, falls es „doch nichts wird“.

Noch mal: HÄ?!

Es wundert mich ja nicht, dass Mama nichts gesagt hat. Aber Papa war in dieser Zeit schon mindestens zwei Mal zu Hause. Jedes Mal für zwei ganze Woche. Und er hat nicht ein Mal den Mund aufgekriegt. Nicht ein einziges Mal!

Dafür redet er jetzt plötzlich wie ein Wasserfall. Dass sie sich so freuen. Dass das so schön ist, „wieder was Kleines daheim zu haben“. Dass ich mich sicher auch freue. Dass er so froh ist, dass ich schon so „groß und vernünftig“ bin, dass ich Mama unterstützen kann, wenn er nicht da ist … Ich war kurz davor, Verli anzurufen, in Amerika, koste es, was es wolle. Aber dann würde sich Verli Zeit nehmen und das Thema mit mir durchdiskutieren und sich ständig melden, wie es mir geht … das lasse ich schön bleiben. So viel Platz kriegt Mamas Bauch nicht in meinem Leben. Verli gehört mir. Ich brauche eine Insel. #for.me.only. Und Verli wird es noch früh genug erfahren.

Immerhin kriegen meine Eltern ein Ersatz-Kind. Ein liebes, süßes, kleines Gugugaga-Baby. Und ich bin draußen.


€12,99