Loe raamatut: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 657»

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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-071-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Sean Beaufort

Der Kaperer von Surat

Im Reich des Moguls Akbar nisten sich Fremde ein – mit tödlichen Folgen

Francis Ruthland strich über seinen sorgfältig gestutzten Bart.

„An dieser Küste erledige ich den Seewolf. Nichts und niemand wird mich davon abhalten“, sagte er grimmig.

Die „Ghost“, eine tüchtige, zweimastige Karavelle mit exzellenter Bewaffnung, war Philip Hasard Killigrew schon lange auf der Spur.

„Meinst du, er geht in deine Falle? Ich weiß, daß er einer der gerissensten Korsaren ist, die Ihre Majestät, die Queen, je zum Ritter geschlagen hat.“

Hugh Lefray schloß, als blende ihn die Sonne, beide Augen. Das rechte Auge sah aus wie ein weißer Kieselstein.

„Die Muslims lassen nicht mit sich spaßen. Sie haben etwas gegen Spione der Ungläubigen“, sagte Ruthland.

Lefray verstand nicht, was sein Partner meinte. Aber er kannte ihn. Wenn der sich in den Kopf setzte, einen Mann zu vernichten, dann bedeutete dies ein sicheres Todesurteil …

Die Hauptpersonen des Romans:

Francis Ruthland – was den Kapitän der „Ghost“ auszeichnet, das ist seine absolute Skrupellosigkeit.

Enrile DeLuz – der Kapitän der „Santa Lisboa“ lernt diese Skrupellosigkeit kennen und überlebt nur durch Zufall.

Doglee – der indische Junge erweist sich als sprachbegabt und hilft den Seewölfen, sich in Surat zurechtzufinden.

Philip Hasard Killigrew – möchte mit dem Padischah von Surat verhandeln, aber seine Geduld wird auf eine harte Probe gestellt.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Philip Hasard Killigrew hob den Kopf. Drüben am Ufer zogen die Fischer ihre Boote aus dem Wasser. Mindestens hundert Rauchsäulen stiegen in der heißen Luft zum Himmel. Offensichtlich fingen sie in Surat mit der Zubereitung des Mittagessens an. Er lächelte kurz und zeigte zu den Häusern und Hütten, die zwischen Palmen und vielen anderen Bäumen auf dem niedrigen Hügel zu erkennen waren.

„Nimm dir ein Beispiel Kutscher“, sagte er halblaut und hob wieder das Spektiv. „Dort drüben gibt’s bald ein Essen. Vermutlich mit Gewürzen, die in England ein kleines Vermögen kosten.“

„Ich schaff’s auch mit weniger exotischen Zutaten. Das sagt auch Mac“, erwiderte der Kutscher mit mürrischem Gesichtsausdruck. „Verdammt heiß hier, nicht wahr?“

„Nachts wird’s kühler“, sagte der Seewolf und sah etwas gelangweilt zu, wie sich weitere Crewmitglieder an Deck versammelten und beratschlagten, wer von ihnen zu dem Kai aus Bruchsteinen hinüberpullen sollte.

Der Hafen und der Ort Surat lagen entlang einer Bucht, die der Fluß Tapti bildete, bevor er seinen Lauf für eine kurze Strecke nach Süden änderte. Beide Ufer waren bewachsen und bewohnt. Wenn irgendwo eine Brücke über das ruhige Wasser führte, dann nicht hier in der Nähe. Weit und breit gab es keinerlei Anzeichen für die Existenz eines solchen Überganges.

Die Schebecke lag vor Anker und schaukelte fast unmerklich in der Strömung des Tapti. Mit großer Sorgfalt beobachteten die Seewölfe seit Stunden jede Einzelheit ihrer Umgebung, und jeder wußte, daß sie ebenso sorgfältig – offen und im geheimen – beobachtet wurden. Aber bisher waren sie noch von niemandem belästigt worden außer von einer Menge neugieriger Vögel, die um die Masten und Rahruten schwirrten und seltsame Laute ausstießen.

Es hatte eine Zeitlang gedauert, bis sich die Seewölfe in dieser Umgebung nicht mehr fremd fühlten. Schon die Mangroven mit ihren verschlungenen Stelzwurzeln, die aus dem Brackwasser in Ufernähe wuchsen, hatten ihnen deutlich gezeigt, daß sie sich an wenig bekannten Küsten befanden – aber so klug waren sie selbst.

Die Vegetation entlang der Ufer, voller Blüten und fremder Gerüche, Ranken und Lianen, die exotischen Bambusstangen, die im Wind klapperten, die farbenprächtigen Vögel und der Chor aus Schreien und Rufen, der aus dem Wald übers Wasser tönte, waren die augenfällige Kulisse für die langsame Fahrt nach Surat gewesen.

„Natürlich sehen sich die Eingeborenen sehr genau an, wer sie besuchen wird“, sagte Ben Brighton. „Sollten wir nicht besser auf sie zugehen? Es könnte ja irgendeinen Bürgermeister geben, der unser Warten als Unhöflichkeit bezeichnet.“

„Der Bürgermeister heißt hier sicher nicht Bürgermeister, sondern Wesir, Scheich oder noch ganz anders.“

Hasard blickte vom Ersten zu Ferris Tucker und hob die Schultern. Er ließ sein Blick über die Fronten der aus schwarzen und weißen Steinen erbauten Gebäude gleiten, die sich mit vielen hohen Fenstern zum Hafen wandten. Der Hafen selbst war nicht viel mehr als eine Mole, die einen recht ordentlichen Eindruck erweckte. Zwei Stege, aus Baumstämmen und vielen Bambusstücken errichtet, sahen weniger vertrauenerweckend aus.

Der Fluß war hier breiter und flacher und sah aus wie ein kleiner See. Wieder wurde ein Fischerboot flußabwärts gepullt und bog in die Richtung des halbmondförmigen Platzes ein. An vielen Stellen bildete ein Hang aus großen Steinen, abgerundet oder kantig, die Böschung zum Wasser. Über den Steinen waren Tücher und andere Kleidungsstücke zum Bleichen ausgelegt.

„Abwarten“, sagte Hasard. „Nach dem Mittagessen haben sie alle bessere Laune.“

„Wir auch“, meinte Dan O’Flynn.

Vor knapp drei Tagen war die Schebecke am Golf von Cambay in die breite Mündung des Tapti-Flusses und stromaufwärts gesegelt. Zuerst schien es, als wäre die Landschaft im Bereich des Deltas einer Savanne ähnlich. Aber bald hatte sich von beiden Seiten der Dschungel an die Ufer geschoben. Als das Fahrwasser enger geworden war, hatte der Wind ausgesetzt und war einer feuchten Hitze gewichen. Die Seewölfe hatten fluchend zu den Riemen gegriffen.

Während im ersten Graurot des Tages die Affen im Dschungel markerschütternd geschrien und sich als dunkle Schatten von Ast zu Ast geschwungen hatten, war an Backbord der Schebecke eine Galeone aufgetaucht. Sie hatte nur zwei Segel gesetzt und war lautlos stromabwärts dem offenen Meer entgegengeglitten.

Der Fluß war an dieser Stelle mindestens eine Seemeile breit. Eine Ramming war nicht zu befürchten gewesen. Auf der kleinen Galeone schien der größte Teil der Besatzung zu schlafen.

Dan O’Flynn hatte zuerst die Flaggen gesehen und erkannt.

„Ein Portugiese!“ rief er verblüfft. „Die sind also auch schon hier zu finden.“

Aus dem gelbbraunen Wasser sprangen übermütig die Fische und an den sumpfigen Rändern vollführten die Frösche einen Höllenlärm. Genau über dem Bugspriet hob sich die Morgensonne als verwaschener roter Fleck im Dunst in die Höhe.

An Deck des portugiesischen Handelsschiffes, aus dessen Stückpforten die Geschützrohre ragten, tauchten einige Männer auf und beäugten mißtrauisch die Schebecke, deren Mannschaft fast vollzählig an Deck stand und mit den langen Riemen langsam pullte.

Hasard winkte hinüber, aber die Portus gaben den Gruß nicht zurück. In vier Kabellängen Abstand glitt das Schiff ohne Bugwelle und mit kaum wahrnehmbaren Kielwasser an Backbord vorbei. Es war aus dem grauen Morgennebel aufgetaucht und verschwand wieder im dicken Dunst, der sich glutrot gefärbt hatte.

Hin und wieder bildete das Ufer eine kleine, schmale Bucht, die aber offensichtlich weit ins Land führte. Im Dickicht, das aussah, als bestünde es nur aus Bambus, saßen braunhäutige Eingeborene in schmalen Booten und fischten. Meist verwendeten sie Speere und Dreizacks. Sie erschraken nicht, als sie das fremdartige Schiff durch den Nebel gleiten sahen, ebensowenig wie sie vorher vor der Galeone erschrocken waren.

„Wollen wir mit ihnen sprechen, Sir?“ hatte Ben Brighton gefragt.

„Das hat Zeit bis später. Gegen Mittag verholen wir uns in eine Bucht und ruhen uns aus.“

„Aye, Sir.“

Riesige Falter gaukelten zwischen den aufragenden Bäumen. Die ersten Sonnenstrahlen blitzten durch den Nebel und brachten die Farben auf den Schmetterlingsflügeln zum Strahlen.

Wie auch am vergangenen Tag wimmelte die warme, feuchte Luft bald von goldenen und grünen Fliegen. Über dem Wasser tanzten Mückenschwärme. Raubvögel stürzten sich in die kaum wahrnehmbaren Wellen und schlugen ihre Krallen in Fische. Oder sie tauchten mit zappelnden Fischen in den Schnäbeln wieder auf und flogen schwerfällig zum Ufer zurück. Die Strömung war nicht stark, und die steigende Flut schob die Schebecke fast unmerklich an.

Mittags, so hatte Dan ausgerechnet, würden sie wieder die Strömung des Tapti-Flusses gegenan haben, und da war es tatsächlich besser, in einer Bucht vor Anker zu liegen und träge die Fliegen wegzuwedeln.

Auf diese Weise hatten sie drei Tage gebraucht, um Surat zu erreichen. Und dort waren dann die drei Vermißten, die Totgeglaubten zu ihnen gestoßen: Old Donegal und die Killigrew-Junioren. War das eine Freude gewesen!

Und jetzt warteten sie alle, wenig entschlußfreudig und ein bißchen argwöhnisch, auf die nächsten Ereignisse.

Die Dächer aus Bambus und Palmwedel lagen staubbedeckt in der Mittagshitze. Die Bauern, die in Surat ihre Waren verkauft hatten, hockten um ihre Feuerchen oder lagen im Staub und schliefen. Eine lähmende Stille lastete über dem sichtbaren Teil der Stadt. Nirgendwo war eine gepflasterte Straße zu erkennen. Es gab auch kein Fort, auf dessen Mauern und Türmen Geschütze standen, um mögliche Gegner auf dem Fluß unter Beschuß zu nehmen.

Außer der Schebecke befanden sich nur einige kleine und ein paar größere Fischerboote im Hafen. An der niedrigen Kaimauer war ein längeres Boot vertäut, dessen Mitte ein langgezogenes, niedriges Deckshaus aufwies. Dieses Boot hob sich wegen seiner Farben, Schnitzereien und dadurch von allen anderen ab, daß es tadellos in Schuß war.

Big Old Shane deutete hinüber und sagte: „Mit diesem Prunkboot fährt uns wohl der Statthalter entgegen und gibt dir den Schlüssel zur Stadt, Sir.“

Hasard brachte ein müdes Lächeln zustande und erwiderte: „Siehst du irgendwo Stadtmauern? Oder Tore? Nein, mein lieber Shane – wir werden sehr höflich um eine Audienz nachsuchen. Nur habe ich den starken Eindruck, daß es sich in der Kühle des Abends besser spricht. Ein Mensch, dessen Verdauungsschlaf gestört wird, ist meist ungehalten.“

Carberry spuckte ins wenig klare Wasser und schaute einer treibenden Ratte nach, einem aufgedunsenen Kadaver, an dem unsichtbare Fische nagten.

„Der Kerl wird jetzt durch seinen Harem wandeln und sich eine tiefverschleierte Maid aussuchen, mit der er dann seinen Mittagsschlaf hält.“

„Eddylein“, sagte Old Donegal, der bei der Erwähnung von Schlaf sofort gähnte, „du redest wieder mal absoluten Schwachsinn.“

Der Profos sah ihn an wie einen Fisch, der schon lange tot an Deck liegt. „Hä?“

„Wie soll er sehen, was er sich aussucht, wenn die Tanten verschleiert sind? Auch noch tiefverschleiert.“

Carberry verzog sein narbiges Gesicht nur wenig, als er antwortete: „Er erkennt sie an den Farben ihres Kleides und an der Menge des überaus kostbaren Schmucks, Mister O’Flynn.“

„Daran habe ich tatsächlich nicht gedacht“, bekannte der Admiral und nahm seinem Sohn das Spektiv aus der Hand. „Und das dort hinten sind die sagenhaften Elefanten, eh?“

Sie drehten die Köpfe.

Aus dem jenseitigen Uferwald trotteten graue Riesentiere, auf deren Rücken die Treiber saßen. Sie trabten nacheinander einen breiten Pfad hinunter und zogen scheinbar mühelos an Stricken und Ketten, deren Klirren leise zu vernehmen war, dicke Holzstämme hinter sich her. Gleichmütig stapften sie ins Wasser und spritzten breite Strahlen über ihre Rücken und die Treiber. Dann brachten sie das Holz an eine Stelle, die flußaufwärts lag und sich hinter Mäuerchen, Hecken, Bäumen und einigen langgezogenen Häusern oder Magazinen verbarg. Es waren sieben Elefanten, die jetzt wie ein Spuk verschwanden.

„Das sind sie, richtig“, bestätigte Dan O’Flynn. „Mit einem solchen Burschen möchte ich nicht aneinandergeraten.“

„Ein empfehlenswerter Hinweis“, bestätigte Don Juan. Er beobachtete die Häuserfronten. Ein paar Inder bevölkerten die Stadt, aber am Mittag waren die wenigsten von ihnen zu sehen. Anhand der Häuser hatten die Seewölfe diese Zahl geschätzt – dreitausend, vielleicht ein paar hundert mehr. Jetzt waren die Rauchsäulen unzähliger Feuer, unter Kochtöpfen mit brodelndem Inhalt deutlich sichtbar geworden.

Die Ruhe wurde eine halbe Stunde später unterbrochen, als Mac Pellew sein Miesmuschelgesicht aus dem Kombüsenschott reckte und rief: „Backen und Banken, Leute! Und wehe, ich höre eine Klage. Dann könnt ihr an Land schwimmen und euch auf dem Markt etwas kochen lassen. Klar?“

„Deine Liebenswürdigkeit wird nur noch von deiner Muffigkeit übertroffen“, entgegnete Dan O’Flynn unter dem lauten Gelächter der Crew.

Die Bordwand der Jolle, mit der die Zwillinge und ihr Granddad nach Surat gelangt waren, rieb sich leise an den Planken der Schebecke, während die Männer über das Boot und den Pökelschinken herfielen.

„Viel zu dünn, die Scheiben“, meckerte Matt Davies.

Weder der Kutscher noch Mac würdigten ihn eines Blickes oder gaben ihm gar eine Antwort.

Die gesamte Umgebung der Schebecke lag in den Mittagsstunden im Bereich der glühenden Sonnenhitze. Über die Kuhl des Schiffes war eine große Persenning gespannt worden – der einzige Schatten weit und breit. Sir John, der Papagei, hatte sich ebenso wie Plymmie an einen weniger heißen Platz zurückgezogen. Nur Arwenack, der Schimpanse, schien der Wärme etwas abgewinnen zu können.

Aus dem Uferwald ertönten vereinzelte Rufe und Schreie, seltsame Laute, von meist unsichtbarem Getier ausgestoßen. Träge floß das Wasser des Tapti-Flusses. Die Schebecke schwang fast unmerklich herum, bis sie in der Strömung gut vor Anker lag.

„Wie halten wir es mit der Sicherheit?“ fragte Philip junior, der sich an Deck ausgestreckt hatte und seine Zehen in der Sonne bewegte. „Schwer bewaffnet, Dad?“

Der Hafen lag im Bereich der Drehbassen und der Culverinen. Hasard dachte an alles andere als Streit oder Kampf. Schließlich waren sie hier als Vertreter der Krone, die Handelsbeziehungen anknüpfen wollten. Daß sie sich gegen jeden Angriff hervorragend zu verteidigen verstanden, war eine andere Sache und hing mit ihren Erfahrungen zusammen.

Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Nur das Nötigste. Aber wir nehmen die Geschenke und Briefe mit.“

„Klar. Ist schon alles bereit“, sagte Edwin Carberry.

„In einer Stunde brechen wir auf“, entschied der Seewolf. „Zwölf Mann. Klar?“

„Verstanden, Sir“, erwiderte der Profos und goß den Rest des lauwarmen Tees über Bord.

Der Kutscher hob die Hand und erklärte: „Das Boot wird dann ja nicht gebraucht. Mac und ich sehen zu, etwas für die Proviantlast einzukaufen. Zumindest Gewürze sollten hier billig sein.“

„Denke ich auch“, sagte Don Juan. „Und ein paar Brocken Portugiesisch werden die Eingeborenen wohl sprechen. Möglicherweise auch etwas Arabisch, denn wenn es Muselmanen sind, müssen sie den Koran lesen können. Mit Englisch hingegen dürfte es Schwierigkeiten geben.“

„Wozu haben wir so viele Sprachkundige an Bord? Ich verhole mich in meine Koje. Da unten ist es kühler. Weckt mich, wenn die Tiger an Bord klettern“, sagte Roger Brighton und knöpfte sein Hemd auf.

„Da kannst du aber deine Klüsen lange geschlossen halten“, sagte der Profos.

Ohne Eile verlud die kleine Crew ihre Pakete in die Jolle. Einer nach dem anderen enterten über die Jakobsleiter in das Boot ab und packte einen Riemen. Als letzter stieg Hasard in die Jolle und übernahm die Pinne.

Halblaut sagte er, die Augen auf den Platz zwischen Kai und Gebäudemauern gerichtet: „Los die Leinen. Wir legen am Ende des Steges an.“

„Aye, aye, Sir“, erwiderten die Bootsgasten und begannen zu pullen. Die Umgebung belebte sich. Mehr und mehr Eingeborene verließen die Häuser. Zwischen dem Grün waren Turbane in allen Farben zu sehen. Offensichtlich war die Delegation vom Schiff lange erwartet worden.

2.

Das Land an Steuerbord beschrieb hinter dem Strand eine scharfe Krümmung nach Osten. Träge rollte die Brandung auf den Sand, die Wellen liefen in weißen Schaumstreifen aus.

Hugh Lefray nahm das Spektiv vom Auge und erklärte mit deutlichem Aufatmen: „Das ist die Mündung des Tapti-Flusses. Ich habe alles nachgeprüft, Francis.“

„Ich auch. Wenn wir nach den Karten gehen, dann haben wir den Weg nach Surat gefunden.“

Die „Ghost“ stampfte in der Brandung, als sich die Wellen hoben und in der Weite des Mündungsdeltas verloren. Die nördliche Ecke war gerade noch durch die Kieker zu erkennen. Der Fluß führte bräunliches Wasser, voller Erdreich und Pflanzenresten, das sich schon ein paar Meilen weiter auf hoher See deutlich im durchsichtigen Wasser des Ozeans abgezeichnet hatte. In den Karten war dieses Kennzeichen am östlichen Rand des Golfes von Cambay vermerkt gewesen.

„Surat liegt an Steuerbord?“ fragte Francis Ruthland.

„Das sagt jedenfalls die Karte aus. Und es soll unvorstellbar reich und mächtig sein.“

Francis Ruthland fuhr mit beiden Händen durch sein langes, schwarzes Haar und holte tief Luft. Dann rief er zur Kuhl hinunter: „Wir haben’s geschafft. Irgendwo vor uns liegt Surat. Bereitet euch auf alles vor, auch auf Kampf und gewaltigen Reichtum.“

„Die Culverinen sind bereit, Kapitän!“ ertönte die begeisterte Antwort.

Die zweimastige Karavelle legte sich weit über, als sie die Richtung änderte und in der Flußmitte nach Osten drehte. Nur am Unterschied der Wasserfärbung war zu erkennen, daß sich hier eine Flußmündung befand. Ohne besondere Merkmale wurde aus der Küste des Meeres das Ufer eines Flusses. Niedrige Dünen waren zu erkennen, dahinter erstreckte sich ufernahe Savanne. In der auslaufenden Brandung kämpfte sich die „Ghost“ gegen die schwache Strömung voran.

„Und hier werden wir das Geschäft unsers Lebens vornehmen“, sagte Lefray munter.

Ruthlands Finger zog die Narbe unter dem linken Auge nach. Jedesmal, wenn ihm Hugh ins Gesicht starrte, zuckte er zusammen. Das weißliche rechte Auge, mit dem der Partner nichts mehr sehen konnte, verlieh ihm das Aussehen eines Gespenstes.

„Hier werden wir den verdammten Killigrew erledigen“, sagte er. „Schließlich habe ich ihn lange genug verfolgt. Drei Tage bis Surat, wie?“

Hugh Lefray kratzte sich unter der linken Achsel.

„Eher ein paar Tage länger, Francis“, erwiderte er. „Der Wind könnte einschlafen. Vielleicht müssen wir die Karavelle pullen. Ich kenne den Fluß nicht.“

„Ich auch nicht. Wir werden sehen.“

Aber noch wehte der Wind in genügender Stärke aus dem westlichen Sektor. Lefray und Ruthland spähten unablässig durch ihre Spektive. Je weiter sie gegen die schwache Strömung im Mündungsgebiet stromauf segelten, desto näher schoben sich die Ufer heran. Aber es dauerte einen halben Tag, bis der Fluß so aussah, wie sie ihn sich im fernen, rätselhaften Indien vorstellten.

Die Wolken, die sich über der Scheibe der untergehenden Sonne über dem Golf von Cambay auftürmten, färbten sich am beginnenden Abend rot und malvenfarben. Noch immer waren die grün überwucherten Ufer des Tapti-Flusses fast drei Seemeilen voneinander entfernt.

„Weit und breit kein Licht.“

„Und kein Feuer.“

„Das ist tatsächlich das Ende der Welt, einsam wie mitten auf dem Meer.“

Die Bemerkungen, die über das Deck hallten, klangen nicht gerade begeistert. Aber Ruthland glaubte es besser zu wissen. Nach einigen Schwierigkeiten würden sie alle leben wie die Fürsten.

Er brüllte in die Richtung des Buges: „Ich hab’s euch allen versprochen! Wir werden es den abergläubischen Braunhäuten zeigen, diesen Turbanträgern! Und wenn Ruthland etwas verspricht, dann hält er’s auch. Kapiert, ihr Penner?“

„Aye, Sir!“ schrie Lefray. Auch er sah das Wohlleben noch nicht deutlich vor sich. „Wir werden schon irgendwie überleben.“

Stunde um Stunde verging. Selbst wenn die Landschaft hinter dem Dschungel von Häusern und Eingeborenen wimmeln sollte, so sah man nicht einen einzigen Kopf. Hin und wieder ragte ein wackliger Steg aus abgestorbenen Baumstämmen und zusammengeschnürten Bambusrohren in verschiedenen Dicken und Längen ins Wasser.

Als vom Bug der „Ghost“ aus fast nichts mehr von der Umgebung zu sehen war, gab Ruthland Befehl, den Anker fallen zu lassen. Einige Minuten später rauschte der Anker ins nachtschwarze Wasser.

„Hier bleiben wir“, entschied der Kapitän.

Die „Ghost“ lag eine Kabellänge vom Ufer entfernt in der Mündung eines Baches. Nur über dem Schiff gab es, abgesehen von den Ölfunzeln und dem Hecklicht, eine Spur von Helligkeit. Die Sterne und der Mond gaben etwas Licht. Die Laute aus dem Dschungel klangen weniger aufgeregt, fremde Gerüche drangen aus allen Richtungen, und an den Planken gurgelte das Wasser.

Francis Ruthland ließ eine Wache aufziehen, die Riemen an Deck sichern, sagte dem Koch, was er zu tun hatte, und während er sich über das Deck bewegte und kontrollierte, ob sämtliche Geschütze einsatzbereit waren, versuchten seine Augen das Dunkel zu durchdringen.

Immer wieder leuchteten gelb und grün riesige Augen in der Flut der Blätter auf, und selbst aus dem Wasser erklangen Geräusche, die einem abgebrühten Seemann die Haare zu Berge stehen lassen konnten.

„Denkt daran!“ rief Ruthland schneidend. „Wir haben uns geschworen, steinreich zu werden. Hier leben nur ein paar Tiere. Morgen oder übermorgen sind wir mitten zwischen den verblödeten Eingeborenen und schenken ihnen Axtklingen, Messingamulette oder ähnliches Glitzerzeug.“

„Ich glaube, du stellst dir alles ein wenig zu einfach vor“, sagte Lefray. „Wahrscheinlich können die besser rechnen als du und ich zusammen.“

„Dann überlegen wir uns eben was anderes.“

Rum und Wein wurden aus der Proviantlast geholt. Die Crew der „Ghost“ versorgte sich reichlich, aber keiner war betrunken. Sie hielten sich in der Hitze alle an Deck auf und sahen verblüfft die riesigen Mengen von Motten, Fliegen und Mücken, die um die Lampen einen tödlichen Tanz aufführten und stinkend verbrannten.

Die Männer kannten ihren Kapitän gut, aber sie konnten natürlich nicht in die Tiefe seines Herzens schauen oder seine Gedanken lesen. Daß sie die Stadt erreichten und dort Handel treiben würden, stand außer Zweifel. Aber auch sie träumten von mehr.

Sie saßen und lagen auf den Planken. Feuchte, heiße Luft wehte aus dem Dschungel herüber. Die Schritte der bewaffneten Posten wirkten beruhigend. Das Essen war anständig gewesen.

Lefray hockte neben Ruthland auf der obersten Stufe des Niederganges.

Ruthland stieß ihn mit der Schulter an und sagte: „Na, zufrieden? Wir haben das meiste schon hinter uns.“

„Wir haben das meiste noch vor uns“, widersprach Lefray. „Wenn uns ein Fehler unterläuft, haben wir halb Indien gegen uns. Nicht, daß ich mich fürchte.“

„Fehler lassen sich wieder bereinigen“, erklärte der Kapitän ruhig. „Schließlich bleiben uns auch noch die Culverinen.“

„Immerhin.“

Die Nacht schritt weiter fort. Als die Tide kippte, zerrte die Karavelle am Anker und schwojte in die entgegengesetzte Richtung. Das Glasen war in dieser Umgebung ein Laut, der noch exotischer wirkte als alle Geräusche, leuchtenden Augen und andere geheimnisvollen Beobachtungen.

Ein schwacher Wind, der gerade das Großsegel schlaff füllte, schob die Karavelle in der Mitte des Wassers flußaufwärts.

Gegen Morgen war es kühler geworden. Ein Rest dieser Kühle hing zusammen mit einem feuchten Dunst zwischen den Dschungelrändern. Das Holz färbte sich dunkel, als sich die Feuchtigkeit niederschlug.

Alle Mann waren auf den Beinen. Sie standen auf der Kuhl und handhabten die Riemen. Die Geschwindigkeit war nicht groß, und Francis Ruthland zweifelte daran, daß die Stadt – gab es dort überhaupt einen Hafen? – in zwei Tagen erreicht werden konnte.

„Wahrschau! Backbord voraus Fischerkanu!“ rief der Ausguck auf der Back. „Kommt auf uns zu!“

„Ich sehe es!“ rief Ruthland und ging nach Backbord hinüber.

Der Fluß beschrieb einen weiten Bogen. Das Bild an den Ufern hatte sich nicht geändert: eine Wand aus riesigen Bäumen, die sich stellenweise weit über das Wasser beugten, aus abgestorbenen Stämmen und Ästen, Lianen, Stelzenwurzeln und Blättervorhängen stand an Steuerbord, eine andere hob sich dunkelgrün gegen den hellblauen Himmel an Backbord ab. Nur selten trafen Sonnenstrahlen auf das dunkle Wasser. Zwei Kabellängen weiter traf ein stärkerer Windstoß die Karavelle und hielt sie auf der Stelle.

„Er winkt!“ rief Hugh Lefray. Er packte seine doppelläufige Pistole und beugte sich ebenfalls an Backbord über das Schanzkleid.

„Wir winken zurück“, befahl der Kapitän.

Das lange, schmale Boot schien ein ausgehöhlter Baumstamm zu sein. Drei braunhäutige Männer mit schmutzigweißen Turbanen saßen darin und paddelten langsam. Zwischen ihnen lagen Fische und die Geräte, mit denen sie gefangen worden waren. Lefray entdeckte Körbe, über denen nasse Tücher lagen.

Er rief, als das Kanu auf eine halbe Kabellänge heran war: „Könnt ihr mich verstehen?“

„Wenig, Senhor.“

„Sprecht ihr Portugiesisch?“ fragte Lefray und wiederholte seine Aufforderung, längsseits zu kommen.

„Wenig sprechen. Ihr fremd?“

Die Fischer paddelten heran und packten die Tauenden, die über Bord hingen. Ruthland, der Portugiesisch mehr schlecht als recht sprach, sagte sich, daß sie immerhin Glück gehabt hatten.

„Wir wollen nach Surat, Handel treiben.“

„Surat zwei, drei Tage. Schöner Hafen“, ertönte es aus dem Boot. Ein Eingeborener packte einen dicken Fisch, wog ihn mehrmals in der Hand und schleuderte ihn auf die Kuhl.

„Danke für das Geschenk!“ rief Lefray. „Schöner Hafen, ja? Wir wollen kaufen und verkaufen.“

„Fragen Padischah. Er mächtig und viele Schwerter.“

„Wie heißt der Padischah?“

„Padischah. Herr von Surat und alles.“

Die wenigen Crewmitglieder, die einigermaßen gut Portugiesisch verstanden oder sogar sprachen, begriffen schnell. In Surat schien es bereits eine portugiesische Handelsniederlassung oder einen Vorposten zu geben, denn sonst hätten sich die eingeborenen Fischer kaum in dieser Sprache verständigen können. Die Chance, mehr über Surat und den Padischah zu erfahren, bot sich jetzt und hier.

Francis Ruthland lachte breit, winkte und rief: „Kommt an Bord. Ihr kriegt Wein. Wir tun euch nichts.“

„Sofort.“

Die Fischer kletterten schnell und gewandt an der Jakobsleiter hoch und über die Rüsten an Deck und setzten sich auf die Planken. Neugierig huschten die Blicke aus ihren dunklen Augen in alle Richtungen. Sie waren nicht erschrocken, also sahen sie Schiffe und Seefahrer nicht zum erstenmal. Mühsam kam eine Unterhaltung zustande, die aus vielen Fragen bestand. Meist begriffen die Crewmitglieder der „Ghost“ nicht, was die Fischer meinten.

„Mächtiger Akbar, Enkel von Mogul Babur, erschien aus Norden und kämpft mit Ratschputen-Fürsten. Alle ihm zahlen Tribut. War vor so vielen Jahren.“

Ein Fischer hob beide Hände und rammte sie förmlich Lefray entgegen, fünfmal. Also fünfzig Jahre war das her.

Das Reich wurde in Subahs aufgeteilt, das waren die einzelnen Provinzen.

Die Mansabdars, bezahlte Beamte, verwalteten das Reich und befehligten das Militär, das für seine Härte und Kampfstärke berühmt war.

„Und was ist in Surat los?“

„Padischah herrscht. Wunderschöner Palast. Viele Schiffe kommen und kaufen und verkaufen. Männer wie ihr.“

Das System der Abgaben und Steuern schien gerecht zu sein, dafür sicherten die islamischen Fürsten der Bevölkerung, die nicht an Allah glaubte, Schutz und Gerechtigkeit.

Das Reich des alternden Akbar war riesengroß. Die Fischer konnten nur drei Orte nennen, die niemand kannte: Lahari Bandar, was Lahari-Hafen bedeutete, Diu und Daman.

„Reicht weit nach Osten. Dorthin. Bis Mündung von Ganga-Strom.“ Die Fischer redeten wild durcheinander und tranken den Wein, als wäre es kühles Wasser.

„Schiff bald erscheinen. Heute ablegen, der Händler.“

Lefray und Ruthland warfen sich einen schweigenden Blick der Überraschung zu.

„Welcher Händler?“

„Von dem wir lernen Sprache. Mit Schiff wie deins, Capitán.“

Also legte gerade ein portugiesischer Segler ab, ein Handelsschiffer, der hier in Surat und Umgebung schon bekannt war und sich an den sagenhaften Schätzen Indiens bereicherte.

Tasuta katkend on lõppenud.

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9783966880718
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