Seewölfe - Piraten der Weltmeere 680

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 680
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-094-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Sean Beaufort

Die Unglücksbringer

Sie wittern die Falle – aber sie brauchen Proviant

Mit rotunterlaufenen Augen starrte Bahadur Charan, plötzlich vor Schrecken bewegungslos, auf die Spitze seines Dolches. Von der Schneide löste sich ein letzter Blutstropfen. Erst nach zwei Dutzend Atemzügen löste sich die Starre des jungen Soldaten. Zehn Schritte hinter ihm, am Fuß der Treppe seines Hauses, lag Kumaragupta. Er war tot, der Dolch hatte seinen Magen getroffen. Unvermittelt fühlte Bahadur auch die Striemen im Gesicht, auf den Armen und der Brust. Er dachte an Sayida. Sie war der Grund des Streites gewesen, der seit einem Jahr andauerte und jetzt sein blutiges Ende gefunden hatte.

„Er ist tot“, sagte Bahadur keuchend. „Ich habe ihn getötet. Sie werden mich hetzen, bis auch ich tot bin. Für sie gilt das Gesetz der Blutrache …“

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Die Hauptpersonen des Romans:

Bahadur Charan – ist zwar Soldat der Stadtwache von Trivandrum, was ihn aber nicht davon abhält, das Gesetz zu brechen.

Kumaragupta – der reiche Kaufmann will seine Tochter Sayida an einen anderen reichen Mann verkaufen, und stürzt sich damit ins Unglück.

Ferreira Amorin – will als portugiesischer Teniente die Arwenacks unter Quarantäne stellen und schließt mit dem Profoshammer Bekanntschaft.

Philip Hasard Killigrew – steht vor der Entscheidung, einen Mörder zu schützen oder dem Gesetz auszuliefern.

1.

Kapitän Philip Hasard Killigrew, durchnäßt bis auf die Haut, blinzelte überrascht und ungläubig. In der schwarzen Wolkenfläche, die seit dem vergangenen Nachmittag den Himmel verfinstert hatte, zeigten sich erste Löcher. Einzelne Sterne blinkten, aber der Sturm heulte noch immer aus Südwesten. Der Monsun zeigte sich seit acht Stunden von seiner schlimmsten Seite.

„Dieser verdammte Monsun!“ schrie Sven Nyberg, der an der Pinne stand und nicht weniger naß war als der Seewolf. „Er treibt uns zurück nach Bombay, Sir!“

„Nicht so weit, Sven!“ rief der Seewolf. „Aber ganz bestimmt an Kapitän Vicente Pomba und seiner schießwütigen ‚Coimbra‘ vorbei.“

„Und so weit aufs Meer hinaus, daß wir Tage brauchen, um zurückzufinden?“

Wieder holte die Schebecke weit über. Von Backbord schmetterte ein Brecher über das Grätingsdeck und überschüttete die Männer mit einer salzigen Flut. Seit dem Zusammentreffen mit der portugiesischen Galeone, die zu Sebastiao-Lourenco, dem fieberkranken Wächter des Warenlagers gehörte, versuchte die Seewölfe-Crew, im wütenden Sturm sich möglichst weit von der Küste freizuhalten. Sie konnten nichts anderes tun, als Nordwestkurs zu steuern. Weg von der Küste! Fort von Schlick, Sandbänken, unreinem Grund und Legerwall.

Hasard beantwortete die Frage des Rudergängers, die eine halbe Feststellung war: „Wir finden zurück, keine Sorge. Und den Ort mit dem unaussprechlichen Namen finden wir leichter, als du denkst.“

Irgendwo achteraus, weiter nördlich oder südlich – das würden sie vielleicht schon beim ersten Morgenlicht genauer wissen können –, lagen die gefürchteten, rätselhaften Sandbänke von Alleppey. Und der Zielhafen Madras war keine Seemeile nähergerückt.

Aber das Schiff ließ seine Besatzung nicht im Stich. Die schlanke Schebecke schob sich die Wellenberge hinauf, schnitt mit dem scharfen Bug durch die gischtenden Kämme und tauchte wieder hinunter in die Täler zwischen den Wogen. Es geschah nicht allzu häufig, daß sich der Vorsteven in eine gischtende Wasserfläche bohrte, deren Kamm wie eine Brandungswelle abriß und auf die Decksplanken schmetterte.

Stunde um Stunde kämpften die Arwenacks gegen die Wellen der Malabarküste. Weder Ben Brighton noch Carberry oder der Seewolf dachten an einen gewöhnlichen Wachwechsel. Wenn es gar zu schlimm wurde, tappten und stolperten sie, sich an den Manntauen festklammernd, unter Deck, trockneten sich flüchtig ab, tranken einen Schluck und spülten sich das Salzwasser aus den Augen und Ohren.

Der Sturm hatte wenigstens nicht auch noch den Nachteil, daß er Kälte brachte. Selbst jetzt, zwei Stunden nach Mitternacht, herrschten unglaubliche Hitze und Schwüle.

Hin und wieder rauschte ein dichter Regenschauer nieder, wusch und spülte über Segel und Planken, und die Sturzflut aus Südwesten hörte so unvermittelt auf, wie sie erschienen war. Edwin Carberry löste den Seewolf ab.

Sie blieben neben dem Niedergang stehen, der Seewolf deutete in die Höhe und schrie durch das Dröhnen, Heulen und Knarren: „Die Wolken reißen auf, Ed.“

Carberry grinste mühsam. „Wird auch Zeit, Sir. Aber der Sturm läßt verdammt nicht nach, wie?“

„Noch nicht. Ein gutes Zeichen – dort, der Mond.“

Der Seewolf zeigte zu den dünnen Wolkenschleiern, die vor der weißen Fläche des Mondes dahinjagten. Aber schon wenige Atemzüge später verdeckten erneut Wolken das bleiche Gestirn. Hasard schlug Carberry auf die Schulter und duckte sich, als wieder eine Welle gegen die Bordwand schmetterte und sich als Sturzregen, fast waagerecht, über Deck ergoß.

„Wird schon wieder auftauchen, der gute alte Mond!“ rief Carberry und enterte den Niedergang auf. „Im Sonnenlicht sieht alles ganz anders aus.“

Der Seewolf zog den Kopf zwischen die Schultern und verschwand unter Deck.

Unverändert stampfte das Schiff durch die schwere See. Kaum einer der Seewölfe hatte richtig schlafen können, ab und zu gelang es für ein paar Minuten, dann riß es die Männer wieder halb aus den Kojen. In unregelmäßigen Abständen war unter Deck schwach das Geräusch der Lenzpumpe zu hören, die das Wasser aus der Bilge außenbords beförderte.

Gähnend und leise fluchend lagen die Arwenacks in den Kojen und stemmten sich fest. Jeder wartete auf das Tageslicht – und darauf, daß der Sturm endlich abflaute.

Als sich kurz nach drei Glasen das erste Grau im Osten zeigte, war die Wut des Sturmes gebrochen.

Seit mehr als einer Stunde hatte es nicht geregnet, die weißen Schaumkronen wurden zusehends niedriger und lösten sich auf. Hasard war in einen unruhigen Schlaf gefallen. Neben dem Rudergänger stand Ben Brighton und versuchte zu erkennen, ob ihn sein Gefühl nicht trog.

Die grobe See beruhigte sich, je heller es wurde. Im Süden hoben sich die Wolken über der Kimm.

Dan O’Flynn klammerte sich mit einer Hand an die Heckbalustrade und versuchte, das Spektiv einigermaßen ruhig zu halten. Er peilte nach Osten, wo das Land lag, und hoffte, daß er das Land auch sehen konnte. Er sah es zwar, aber nur die gezackte Linie der Berge weit im Hinterland, hinter denen sich die Farbe des frühen Morgens von Rot in Gelb zu verändern begann.

Hilflos zuckte Dan mit den Schultern. Er war nicht in der Lage, zu sagen, vor welche? Stelle der Verdammten Küste sie sich befanden.

„Aber wahrscheinlich irgendwo vor Cochin“, murmelte er im Selbstgespräch. Der Wind schien zu drehen, er wehte nicht mehr gleichmäßig aus Südwesten.

Dan drehte sich um und rief dem Ersten zu: „Wir werden mit ein wenig Glück auf Gegenkurs gehen können, Ben.“

Ben nickte und erwiderte: „Das dauert noch eine Weile. Ich traue dem Frieden noch nicht.“

„Abwarten.“

Hinter den fernen Schattenrissen der Berge schossen die ersten Sonnenstrahlen flach über die Wellen.

„Sieht doch schon viel freundlicher aus, diese pestverseuchte Malabarküste!“ rief Luke Morgan, der inzwischen das Ruder übernommen hatte. „Bald wird es wieder so heiß sein, daß wir nach Luft japsen.“

„Hoffentlich wird es so ruhig, daß die Köche in Ruhe arbeiten können“, entgegnete Dan. „Tut mir leid. Erst wenn wir auf Gegenkurs und näher am Ufer sind, kann ich sagen, ob die Gegend der Karte gleicht oder nicht.“

„Vielleicht gleicht auch deine Karte der Gegend nicht“, antwortete Luke und fing zu lachen an.

Ben grinste ebenfalls und blinzelte zu den dünnen Wimpeln im Masttopp.

„Ich glaube fast, Dan behält mal wieder recht“, sagte er und nickte zufrieden. Je höher die Sonne stieg, je mehr die Wärme des Morgens zur Hitze des Tages wurde, desto mehr beruhigte sich auch die See. „Der Monsun schläft tatsächlich ein. Wenigstens für die nächste Zeit, scheint’s.“

Nach den vier Doppelschlägen hatte sich das Deck gefüllt. Die Köche hatten heißen Tee zubereitet, und die Sturmfront der vergangenen Nacht hatte sich in die gewohnte Kette weißer Wolken verwandelt, die nordwärts zogen. Einige fliegende Fische zitterten über die Wellen dahin.

 

Hasard war wieder an Deck und blies in seine Muck.

„Klar zum Wenden, Ben“, sagte er leise. „Und kurz darauf haben wir wieder die alte, vertraute Küste voraus.“

„Das ist richtig“, sagte der Erste. „Und kurz darauf wissen wir auch, wie weit uns der Sturm nach Norden oder Nordwesten getrieben hat.“

„Jedenfalls nicht so weit, daß wir nicht zurückfinden“, sagte Hasard.

„Das ganz sicher nicht“, Stimmte der Erste zu, dann gab er seine Kommandos.

Langsam schwang das Heck der Schebecke herum, als sie in den Wind ging.

Schoten, Halstaljen und Brassen wurden losgeworfen. Die Segelwachen packten die Rahruten und holten sie auf den anderen Bug. Nach einigen Dutzend Handgriffen fuhr der Wind in die Segel, und der Rudergänger steuerte den neu angesetzten Kurs. Der Bug zeigte wieder auf die Küste zu.

„Neuer Kurs liegt an, Sir!“ rief Ben. „Ein Strich östlicher als Südost.“

„Verstanden“, erwiderte Hasard und setzte sich auf das Achterdeck, den Rücken am Schanzkleid. Die salzüberkrusteten Decksplanken hatten sich längst wieder erhitzt, aber noch konnte man mit bloßen Füßen darauf stehen und laufen. Die Schebecke nahm Fahrt auf und senkte sich langsam in das flache Tal der weiten Dünung.

„Sorgen, Mac?“ fragte Hasard.

Der Koch und Feldscher zeigte sein gewohnt grämliches Gesicht.

„Nicht direkt, Sir“, sagte er. Er kippte einen mächtigen Schluck Rum in Hasards Muck. „Noch nicht.“

„Geht es darum“, erkundigte sich Hasard und leckte sich nach dem winzigen ersten Schluck die Lippen, „daß du mir sagen willst, ein ausgedehntes Essen und eine angemessene Trinkerei an Land seien jetzt endlich mal wieder fällig? Oder ist es etwas Ernstes?“

Der ehemalige Koch der „Marygold“ blieb unschlüssig, aber er erwiderte in sachlichem Tonfall: „Es ist wieder wegen des Proviants, Sir. Das gibt nichts Rechtes. Die Proviantlast ist zwar noch nicht leer, aber was uns die Eingeborenen verkauft haben, ist heute abend weg. Bis auf Curry und Tee natürlich.“

„Also Schiffszwieback und Pökelfleisch, wie?“ fragte Hasard.

„Das nun nicht gerade, aber wir werden wieder fischen müssen.“

Hasard nahm einen größeren Schluck und hatte natürlich jedes Verständnis für die Sorgen seiner Köche. Es waren schnell die Sorgen der gesamten Seewölfecrew.

„Im Ernst. Wann brauchen wir neuen Proviant?“ fragte er.

„Wenn wir zwei Tage lang etwas zusammenrühren, das uns die Arwenacks nicht ins Haar schütten, dann haben wir alles, was einigermaßen gut schmeckt, verbraucht.“

„Das ist ein Wort“, sagte der Seewolf und nickte. „In drei Tagen müssen wir also die Proviantlast wieder füllen. Alles klar. In drei Tagen sind wir sicher in Tiruvanaantapuram, Mac.“

„Versprochen bleibt versprochen, Sir“, sagte Mac Pellew und nickte. „Übrigens: du kannst auch Old Donegal und den Kutscher fragen. Sie sagen das gleiche wie ich.“

Hasards eisblaue Augen zwinkerten. „Mein Glaube an euch ist grenzenlos.“ Er seufzte und nahm einen weiteren Schluck.

Mac nickte, enterte auf die Kuhl ab, schaute einige Atemzüge den Möwen zu und verholte unter Deck.

Noch vor Mittag waren an Bord wieder die gewohnte Ordnung und Ruhe eingekehrt. Pützen voll Seewasser waren aufgeholt und das Deck geschrubbt worden. Ferris Tucker besserte kleine Schäden aus, die anderen spleißten Tauwerk oder ölten ihr Lederzeug ein. Al Conroy saß im Schatten des Segels, reinigte die Läufe der Musketen, verteilte Öl auf dem Metall und arbeitete mit Bürsten und Lappen.

Im Bug stand Dan O’Flynn neben Hasard junior. Sie peilten durch die Kieker und unterhielten sich halblaut.

„Die winzige Huk Backbord voraus“, sagte Dan, „sieht so aus, als gehöre sie zu Cochin.“

Nach einer Weile Schüttelte Hasard den Kopf, setzte das Spektiv ab und erklärte: „Glaube ich nicht, Dan. Bis Mittag liegt vor der Peryar-Mündung immer Nebel. Hast du mir jedenfalls erzählt. Dort ist kein Nebel.“

„Stimmt. Kein Nebel“, sagte Dan. „Wahrscheinlich ist es nicht Cochin.“

„Wenn es Alleppey sein sollte, dann würden wir wieder jene ölige Wasserfläche sehen. Jetzt noch nicht, aber in ein paar Stunden“, sagte Hasard und wiederholte, was er gelernt hatte. „Wahrscheinlich – was meinst du? – befinden wir uns zwischen Cochin und Alleppey.“

Dan ließ sich Zeit, ehe er antwortete.

„Die Küste zwischen den beiden Punkten war flach oder etwas hügelig. Meistens gab es dicht hinter den Ufern Palmen, Wald und am Wasser die Mangroven. Der Streifen, dem wir uns nähern, sieht nicht anders aus. Ich glaube, wir halten etwa auf die Mitte zwischen Cochin und Alleppey zu.“

„So wird’s wohl sein“, meinte Hasard und schob das Spektiv zusammen.

Der Wind war nicht gerade schwach, aber das Schiff lief weniger schnell als vor vierundzwanzig Stunden. Kurz vor dem sechsten Glasen, etwa viereinhalb Seemeilen vor dem Land, stieß Dan O’Flynn einen Fluch aus. Der Ehrgeiz, früher und mehr zu erkennen, welcher Ort nun Backbord voraus oder recht voraus auftauchte, hatte ihn in den Ausguck getrieben. Niemand an Deck verstand ihn.

„Also doch“, sagte er und zog die Luft scharf zwischen den Zähnen ein. „Es ist Alleppey.“

Er war sicher. Wie breite Krakenarme streckten sich vom Wasser in der Nähe der Ufer die Streifen des völlig ruhigen, ölig wirkenden Wassers in den Bereich der Wellen. Nur die Sonnenlichtspiegelung, die sich matt bewegte und veränderte, bewies, daß die geheimnisvolle Fläche von der Dünung gehoben und gesenkt wurde. Dan sicherte den Kieker, enterte über die Wanten ab und ging zu Hasard, der im Halbschatten döste.

„Sir?“

Der Seewolf blinzelte, öffnete die Augen und hob den Kopf.

„Schlimme Nachrichten?“ murmelte er und reckte sich.

Dan schüttelte den Kopf. „Das nicht gerade, Sir. Wir sind etwas südlich von Alleppey an der Schlickbank. Eineinhalb Seemeilen voraus liegt wieder diese regungslose Wasserfläche.“

Hasard verstand und überlegte. Diese Stelle hatten sie bereits einmal passiert und nach seinem Geschmack viel zu dicht. Er dachte an den schwindenden Proviant und an die Gefahren, wenn er das Schiff auf Grund setzte – falls sie sich von den Schlickbänken nicht freihielten. Er stand auf.

„Entweder geht es weiter nach Tiruvanaantapuram“, sagte er, „oder wir versuchen mit größter Vorsicht, Alleppey anzusteuern. Wir segeln auf die Schlickbänke zu?“

Jeder an Bord wußte, daß sich solche Sandbänke ständig veränderten. Seegang, Strömungen und die Ablagerungen, die von hochgehenden Flüssen angeschwemmt wurden – dazu die Wirkungen der Tiden –, trugen die Massen von Sand und Schlick ab und häuften sie wieder an, an anderen Stellen und auf völlig unberechenbare Weise.

„Nach allem, was ich sehen konnte“, erwiderte Dan O’Flynn, „segeln wir auf ihre nördliche Grenze zu. Wir sollten möglichst schnell den Kurs ändern.“

Sie waren etwa elf Knoten schnell. Hasard rief Piet Straaten eine Kursänderung nach Süden zu.

Sie schirmten ihre Augen vor dem Sonnenlicht ab. Das Tagesgestirn stand fast genau im Zenit. Die Segelwache trimmte die Segel neu, als Südkurs anlag. Dan atmete auf.

„Für flachgehende Boote sind die Bänke nicht gefährlich“, sagte er. „Die Fischer von Alleppey jedenfalls fühlen sich wohl.“

Sie waren inzwischen nahe genug am äußersten Rand der Wasserfläche. Sie war glatter als das Wasser einer Lagune – wie ein Teich bei Windstille, der sich hob und senkte. Mindestens zwei Dutzend größerer und kleinerer Fischerboote mit aufgemachten oder heruntergeholten Segeln verteilten sich über eine Fläche, die länger war als drei Seemeilen.

„Wo Fischer sind, gibt’s viele Fische.“ Hasard winkte ab. „Und Fische fressen das Zeug, das die Flüsse heranschwemmen. Angeblich gibt es aber um Alleppey keine Flüsse.“

„So weiß ich es“, beharrte Dan.

Hasard schickte Clint, der mittlerweile den versäumten Schlaf nachgeholt hatte, in den Ausguck.

Der Moses enterte auf und rief, auf verschiedene Stellen deutend: „Der Kurs ist richtig, Sir. Wir sind weit genug von der Stelle entfernt, an der sich das Wasser färbt.“

Woher stammen die angeschwemmten Massen? Woher das merkwürdige Schillern auf den Wellen, wenn Sonnenlicht in einem bestimmten Winkel auf das Wasser fiel? Wenn sie es alle nicht für ein Unding gehalten hätten, wäre ihre Erklärung für dieses Phänomen gewesen, daß jeden Tag ein paar riesige Fässer Tran oder Öl an dieser Stelle ausgekippt würden.

Der breite Krakenarm, ein Dreieck fast, verschmolz mit der ausgedehnten Fläche. Einer der Fischer winkte träge zur Schebecke hinüber, die das Boot in vier Kabellängen Entfernung passierte. Dann warf der braunhäutige Mann ein Netz mit mächtigem Schwung aus.

„Da gibt es frische Fische in Hülle und Fülle, Donegal!“ rief Paddy Rogers gutmütig spottend und grinste breit.

„Nur kurz vor dem Hungertod“, giftete Old Donegal zurück. „Kannst ja rüberschwimmen und ein paar holen.“

Immer wieder sang Clint aus, was er sah. Hasards Unruhe legte sich. Die Schebecke näherte sich schnell dem nächsten Boot und hatte es bald querab an Backbord. Die Fischer schienen nicht die geringste Furcht vor dem fremden, Schiff zu haben, denn sie hoben nur die Hand zu einem flüchtigen Gruß. Die Arwenacks winkten zurück und beugten sich an Backbord weit über das Schanzkleid.

„Höchst lebendig, die Fischersleute“, meinte Dan. „Keine Anzeichen von Schwarzem Tod.“

„Wenn es Fischer aus dem unaussprechlichen Hafen wären“, sagte Batuti und entblößte sein Gebiß, „wäre mir wohler.“

„Mir auch“, erwiderte Dan.

Die Schebecke blieb in sicherem Abstand von jenen Stellen, an denen die Wellen in sich zusammensanken und in die glatte Fläche ausliefen. Philip junior dachte sich etwas und verholte mit Ben Brightons Spektiv zum Bug, wo er sich hinters Schanzkleid stellte. Recht voraus glaubte er, einen dieser Ausläufer sehen zu können, unter dem sich Sand und Schlick ausbreiteten. Wie wenig tief das Wasser über dem hellen Grund war, wollte er nicht so genau wissen.

Einige Zeit später bemerkte er, daß sie auf die Mitte eines Streifens zuhielten, der zwei Kabellängen weit aus der großen Fläche an Backbord hervorwuchs und mit der Spitze nach Westen deutete.

Fast gleichzeitig schrie Clinton aus der Ausgucktonne nach achtern: „Nach Steuerbord anluven! Untiefen voraus!“

„Aye, Moses!“ schrie der Seewolf und gab den Befehl, zwei Striche nach Steuerbord höher an den Wind zu gehen. Der Rudergänger war versucht, das Ruder hart zu legen, aber er bewegte die Pinne in der gewohnten Weise.

„Recht so!“ tönte es aus der Höhe des Großmastes.

Die Arwenacks sahen an Backbord, daß die Warnung rechtzeitig erfolgt war. Die Schebecke schnitt fünfzehn Yards westlich der Spitze durch die Wellen, und man sah deutlich, wie sich das Wasser heller und heller färbte. Schließlich konnten die Männer sogar den Grund erkennen. Zweige, Pflanzenreste und Dinge, die wie winzige Tangfäden aussahen, lagen zwischen Kieseln und Sand.

„Höchstens zwei Yards, dort drüben“, sagte Hasard. Gleichzeitig änderte sich die Färbung des Wassers wieder. Es wurde beruhigend dunkler und blauer.

„Wir sollten nicht versuchen, die Sandbank zu überfahren“, meinte Dan.

„Ich hab’s nicht vor“, erwiderte Hasard ernst. Er legte die Hände an den Mund und rief zum Moses hinauf: „Wie sieht es aus?“

„Gut, Sir. Freie Fahrt bis zu dem Fischerboot.“

„Weiter so.“

Das Kielwasser der Schebecke beschrieb achteraus einen Bogen und erstreckte sich zwischen dem Ende des Bogens und der jetzigen Position schnurgerade. Zwischen der Bordwand und dem Rand der öligen Fläche, die sich jetzt langsam nach Osten zurückkrümmte, schäumten die Wellen, und das Fischerboot, das genau auf ihrem Kurs lag, würde nicht ausweichen.

Hasard führte eine auffordernde Handbewegung aus.

„Wir werden ruhig schlafen können, wenn wir wissen, was das Öl aufs Wasser bringt. Wir gehen in den Wind, und dann können die Meister der fremden Sprache, meine Söhne, den Fischer befragen. Klar?“

„Klar, Sir.“

„Aber“, rief der Seewolf, „wir wollen hier nicht eine Stunde lang vor Anker liegen! Beeilt euch!“

„Aye, aye, Sir.“

Die Kommandos ertönten über Deck. Eine halbe Seemeile weiter ging die Schebecke in den Wind, bis die Segel killten. Philip und Hasard standen auf dem Grätingsdeck und brüllten ihre Fragen zu einem weißhaarigen Fischer hinunter, der ein breites rotes Band um den Kopf geknotet hatte.

 

„Die Stadt dort: Alleppey?“

„Ja, Alleppey! Wollt ihr Fisch?“ rief der Alte mit dünner Stimme.

„Keinen Fisch. Wie kommt das Öl ins Wasser? Weißt du das?“

Der Fischer nickte, ließ einen Speer mit kurzem Blatt klappernd zwischen die Duchten fallen und erwiderte: „Wenn Regenzeit, Flüsse sehr hoch, ja?“

„Klar“, antwortete Jung Hasard. „Regenzeit ist jetzt. Monsunregen.“

„Jetzt Regenzeit. Wasser im Fluß, weit weg, viel höher als Meer, ja?“

„Können wir verstehen. Aber – bei Alleppey kein Fluß? Oder doch? Wir wissen von keinem Fluß oder vielen Bächen.“

Der Fischer gestikulierte fast soviel und so aufgeregt wie beide Arwenacks zusammen.

„Kein Fluß bei Alleppey, nein. Viele Flüsse verschwinden, weit, weit im Land, im Boden. Einfach weg wie bei Geistern.“

Die Zwillinge starrten einander ungläubig an, stellten die gleiche Frage noch einmal und erhielte die gleiche Antwort.

„Schlamm geht durch unsichtbare lange Höhlen. Pflanzen faulen, fallen auseinander, auch mit Wasser weggerissen. Langer Weg unter Meer. Hier viele Löcher. Hier wieder ins Meer, verstehn?“

Dan wollte unterbrechen und wissen, wie das Kauderwelsch zu übersetzen war, aber Hasard drängte.

„Und das Öl?“

„Unter Sand ist Schicht. Öl schwimmt auf Wasser. Sand reibt Öl aus dem Boden. Fische lieben Öl, ich viele fangen. Wir alle viele fangen. Immer Öl von unten nach oben.“

„Ganz sicher? Du lügst uns nicht an?“ rief Jung Hasard und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Warum ich lügen? Ihr kauft doch keinen Fisch. Guter Fisch, schön groß und frisch. Ihr nicht wollen?“

„Wir werden krank“, übersetzt Philip junior, „wenn wir Fisch essen. Schwarzer Tod in Alleppey?“

Mit dem Ruderblatt versuchte der Rudergänger, das Heck ein wenig zu drehen. Die Segel vollführten in den nächsten Sekunden einen ziemlichen Lärm. Gerade konnten sie noch die Antwort verstehen, dann legte die Schebecke nach Backbord über.

„Schwarzer Tod kam und ging. Nicht viele Tote. Wir Glück gehabt. Shiva war gnädig.“

Die Zwillinge winkten und bedankten sich lautstark. Der Fischer blickte ihnen nach, bis die Schebecke wieder auf dem alten Kurs lag und Fahrt aufnahm. Dann versuchten die Zwillinge, ihren Kameraden zu berichten, was sie selbst nur unter Schwierigkeiten zu glauben vermochten. Aber je länger sie sprachen, und als sich auch Old Donegal und Hasard einmischten und Erklärungen versuchten, wurde deutlich, daß es sich nicht um Seemannsgarn oder Märchen vom Vogel Rock und seinen öligen Eiern handelte.

„Von Wasserläufen, die im Boden versickern und irgendwo anders wieder auftauchen, habe ich schon gehört“, erklärte der Seewolf schließlich. „Aber das würde eine Art Süßwasserquellen oder Brackwasser im Meer bedeuten.“

Hasard junior hob die Hand. „Ich denke, daß die Pflanzenteile und all das andere Zeug ein Beweis sind. Nur mit dem Öl, das kann ich nicht glauben.“

„Schau aufs Wasser, dann mußt du es glauben“, warf sein Bruder ein.

„Erdpech“, sagte Hasard. „Wahrscheinlich liegt unter dem Schlick eine dicke Schicht Erdpech. Und die löst sich langsam auf. Ihr wißt, daß man nicht viel Öl braucht, um die Wellen zu beruhigen.“

Dan zuckte mit den Schultern und fuhr ratlos durch sein windzerzaustes Haar.

„Es muß eine mächtige Schicht sein“, meinte er. „Vielleicht läuft das Erdpech auch ständig nach, durch irgendwelche Sprünge oder Höhlen, oder was weiß ich.“

Er schaute sich um, nickte dem Seewolf zu und verholte unter Deck, um die Eintragungen in seinen Karten zu verbessern. Für ihn war das Geheimnis so gut wie gelöst. Eine weitere Seltsamkeit im Land der Inder.

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