Tasuta

Violet - Verletzt / Versprochen / Erinnert - Buch 1-3

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Kapitel 2

3. Prophezeiung - Sektionsgrenze 0

»Sektion 13? Keine Ahnung, war noch nie dort!«, gesteht Hope und zuckt aufgescheucht zusammen, als wieder eine Drohne explodiert.

»Lasst uns hier verschwinden. Wir ziehen uns in den Wald zurück, dort sind wir sicherer«, meint Adam.

Ich ignoriere ihn, würde ihm am liebsten die Kehle aufschlitzen und ihn den Abhang hinabschleudern. Dort wo ihn die Bestien sehen, fressen. Aber Hope steht schon und hilft Adam auf die Beine. Ich sehe den beiden hinterher, wie sie zwischen den Stämmen der Laubbäume und herabhängenden Ästen langsam aus meinem Blickfeld verschwinden. Ich sitze da wie betäubt. Die Welt um mich herum geht unter. Die Welt in mir auch.

Die Prophezeiung erfüllt sich, hat Adam gesagt. Er war es! Er hat mir in der Nacht das kleine weiße Märchenbuch auf meinen Stapel geschmuggelt. Er war es, mit dem ich geflirtet habe. Wegen ihm ist Asha geflohen, weil sie sich gefürchtet hat, dass ihre Lüge, die Exsektionierung zur Konsequenz hätte.

Er hat mich hierher, in diese Sektion, verschleppt. Ich kann mich an alles erinnern. Wie sie mir meine Erinnerungen genommen haben. Adam wollte Kristen umstimmen. Daran erinnere ich mich auch. Aber er hat es nicht geschafft. Ich erinnere mich, an die Tage am Haus am See.

Wer war ich gewesen? Eine naive junge Frau, ein Mädchen ohne Erinnerungen. Ich gestehe mir ein, dass ich mich glücklich gefühlt habe, weil ich mich in Adam verliebt habe. Das alles hätte so bleiben können, bis zu dem Moment, als er mich geküsst hat. Als ich ausgerastet bin. Über ihn hergefallen bin, wie ein Monster.

Aber ich weiß, es waren die falschen, eingepflanzten Gefühle, die mich verrückt werden ließen, die mich dazu brachten Adam anzugreifen! Kristen? Warum nur hat sie mir das angetan? Was wäre, wenn das nie passiert wäre? Wären Adam und ich zusammen? Ein Paar? Hätte ich tatsächlich mit ihm geschlafen? Das erste Mal in meinem Leben mit einem Jungen geschlafen?

Jesse?

Plötzlich ist er da. Erhebt Anspruch auf einen Platz in meinem Kopf. Was bedeutet er mir, mit dem ich so viel Zeit verbracht habe, ohne dass es zwischen uns gefunkt hat. Bei mir Klick gemacht hat.

»Freija?«, höre ich Hopes wunderschöne Stimme, die mich zurückholt aus dem Trümmerfeld in mir drin. Ich muss Asha finden und ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich Adam töten möchte, für das, was er mir angetan hat. Ich bin definitiv geistig verwirrt. Eben wollte ich ihn tot sehen, jetzt fühle ich mich wieder zu ihm hingezogen. Oder ist es nur mein Körper, der reagiert? Mein Körper, den er anzieht?

Er wollte sogar, dass ich meine Erinnerungen behalte. Aber vielleicht töte ich ihn doch, für das, was er mir nicht gesagt hat.

»Freija, wo bleibst du denn?«

Adam, was soll ich nur über ihn denken? Gott, ich muss mich zusammenreißen. Nach vorne blicken. Ich rapple mich auf und folge seinem vertrauten Duft.

Kapitel 3

Es ist ein tiefes Erdloch (eine Höhle kann man es nicht wirklich nennen) unter einem Felsvorsprung, das wir finden und das uns Schutz bietet vor dem Kriegslärm, herabstürzenden Wrackteilen und herumstreifenden Bestien.

Adam sitzt neben mir. Unsere Schultern berühren sich leicht. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ihn wach neben mir zu spüren. All die Tage, als er bewusstlos war, hatte ich keine solchen Empfindungen wie jetzt. Ich spüre meinen Körper tausendmal intensiver. Wärme, ein Kribbeln, wie von tausend Elektroschocks auf meiner Haut.

Ich bin standhaft.

Nein, ich zerfalle neben ihm zu Staub. Meine Finger sind zur Faust geballt, umklammern Strohhalme in der Flut der Gefühle, die seine Nähe auslöst. Hoffnungslos.

Seine Gegenwart reißt mich mit, spült mich fort.

Hilfe!

Ich verbiete meinem Körper, auf seine Gegenwart zu reagieren. Es ist zwecklos. Mein Körper gehorcht mir nicht.

Hope sitzt mir gegenüber, hat ihre Beine verknotet, streckt ihre Arme hoch und reckt sich, und dann sieht sie mich erwartungsvoll an. Sie ist es, die die Luft mit ihrer wundervollen Stimme wie mit einem Schwert durchschneidet.

Reiß dich zusammen. Atme. Atme.

Ich muss Adams Nähe vergessen.

»Du erinnerst dich wieder an früher? Habe ich recht?« Ich nicke, lege mein Kinn auf meine Knie und verstecke mein Gesicht unter dem Vorhang meiner Haare. Eine Geste, die früher nicht zu mir gehörte. Ist sie nicht ein Anzeichen von Schwäche? Fünftes Gebot. Verdammt!

»Na, dann erzähl mal! Wer bist du? An was erinnerst du dich?«, fragt Hope und ihre Stimme flattert wie ein Schmetterling durch unser Schlupfloch zu mir herüber. Ich sehe durch meine Haare, wie Adam den Kopf neigt, sein Gesicht mir zuwendet. Wie gut er aussieht.

Die letzten Wochen haben mich eins gelehrt. Ich bestehe nicht aus Erinnerungen. Ich bin nicht nur so viel wie ich weiß! Ich setze mich auf und straffe meine Schultern.

»Ich bin halb Mensch, halb Bestie. Ich bin ein Symbiont. Und ich bin eine junge Frau und eine Alphabestie«, sage ich, ohne zu Adam zu blicken. Hope muss grinsen.

»Also manchmal habe ich echt Schiss vor dir«, kommentiert Hope meine Selbstfindungsphase.

»Willst du uns von deinen Erinnerungen erzählen? Das Leben, das du vorher hattest, bevor sich Bestien auf deiner Haut bewegten und du unter Wasser atmen konntest und so weiter.«

»Du kannst unter Wasser atmen?«, raunt Adam.

»Kann ich nicht. Ich kann einfach nur lang die Luft anhalten.«

»Voll krass lang! Übernatürlich extrem lang. Ich habe sie beobachtet«, ergänzt Hope. Adam schweigt. »Was ist jetzt? Lust, was zu erzählen?«

Will ich das?

Warum eigentlich nicht.

»Zur Sektion 13 gibt es nicht viel zu sagen. Wir töteten Bestien, suchten und retteten sehende Kinder, um sie den Gesandten zu übergeben und hatten Prüfungen zu bestehen.«

»Prüfungen? Wen Gott liebt, den prüft er.«

»Ist das von dir?«

»Nein von Seneca«, sagt Hope.

»Wer soll das sein?«, frage ich.

»Lucius Annaeus Seneca. Er ist schon seit mehr als 2000 Jahren tot. War ein Philosoph und das Kindermädchen von Kaiser Nero. Er hat auch gesagt, dass es weise sei, als Herrscher Milde walten zu lassen. Das habe ich mir gemerkt.«

»Du liest historische Bücher?«

»Alles was ich kriegen kann. Hättest du mir wohl nicht zugetraut, was? Jetzt erzähl weiter. Wen meinst du mit wir? Hattest du Freunde in Sektion 13?«

»Gouch, Shaco, Flavius.« Ich denke nach. »Und Trish?« Ich erinnere mich, wie sie mich ans Ende der Liste gesetzt hat. »Sie vielleicht auch. Asha und Jesse sind mehr als Freunde.«

»Als du wieder zu dir gekommen bist, hast du von dieser Asha erzählt. Was ist mit ihr? Wer ist sie?«

»Sie ist etwas ganz Besonderes. Sie ist wie eine Schwester für mich. In der Nacht, in der mich Adam gekidnappt hat, ist sie geflüchtet. Wegen ihr, vor allem wegen ihr, muss ich zurück!«

»Ich habe dich nicht gekidnappt.«

»Natürlich hast du das«, flüstere ich.

»Und du hast ihm dafür die Kehle aufgeschlitzt. Ich denke, ihr seid quitt«, grinst Hope. »Und was ist mit diesem Jesse? War er wie ein Bruder für dich?«

»Nein. Wir waren ein Paar.«

»Ach was. Ein Liebespaar? Krass. Wie spannend. Erzähl. Wie sieht er aus?«

»Er ist der umwerfendste Typ, den ich je gesehen habe«, lüge ich.

Hope zieht eine Augenbraue hoch. Ich spüre, dass sie mich durchschaut. Ich muss überlegen, was ich als nächstes sage. »Er hat mich beschützt, war immer für mich da. Wir waren die Kämpfer im Team.« Ich spüre die Anspannung neben mir. Adams Anspannung. Ich spüre mit jeder Faser meines Körpers, dass ihn meine Erinnerungen quälen. Aber ich werde es nicht zugeben, dass Jesse und ich kein wirkliches Liebespaar waren. Nur weil Jesse und ich uns nie getraut haben, eine Beziehung einzugehen. Nur weil ich es nie zugelassen habe.

»Erzähl von früher!«, fordert Hope mich auf.

»Was glaubst du, was ich gerade tue?«

»Ich meine die Zeit vor Team Sektion 13. An was kannst du dich erinnern?« Ich schicke meinen Geist in die entferntesten Winkel meiner Erinnerungen auf Reisen. Hopes Augen sind groß, erwartungsvoll. Adams Atem geht unstet und er reibt sich nervös seine Stirn. Schluckt.

»Eine Bestie hat mich angegriffen. In irgendeiner Schule, auf irgendeiner Mädchentoilette«, presse ich die Worte wie verlorengegangene Puzzleteile über meine Lippen. »Zwei Typen haben mich gerettet. Dann wurde ich zur Nahkämpferin ausgebildet!«

»Hattest du nie Heimweh, deine Familie vermisst?« Familie? Ich schließe meine Augen, versuche, mich zu erinnern. Spüre keine Blockaden in mir, keine Wände, die mich vor meiner Vergangenheit abschotten. Aber da ist nicht viel, an das ich mich erinnern kann.

Bilder einer Landschaft steigen vor meinem inneren Auge auf. Wiesen, ein paar Hügel. Auf alle Fälle viel Grün. Das Gesicht eines alten Mannes mit faszinierenden Augen. Wände aus Stahl und Glas, die mich aber nicht einengen. Eine Halle. Eine riesige Halle oder so etwas.

»Und?«, fasst Hope nach. Ich bemerke, wie ich rastlos an meiner Unterlippe zu nagen begonnen habe.

»Eine Landschaft wie die von Sektion 0. Ich glaube ich war schon einmal hier. Ich habe Sektion 0 schon einmal gesehen. Und ein Mann, ein alter Mann. Der Glanz seiner Augen war faszinierend. Und an ein Zimmer.« Ich denke, es war eher eine Zelle. »Und eine Halle aus Stahl und Glas.« Und an Adams Duft, füge ich in Gedanken hinzu. Ich schaudere.

Adam stellt keine Fragen. Er sitzt einfach nur da und tut etwas, das mich fast um den Verstand bringt. Er atmet und sein Duft hüllt mich mit jedem Atemzug ein. Ich bin eine Gefangene meiner Gefühle. Würde er doch nur aufhören zu atmen, dann müsste ich nicht solche Qualen durchleiden. Hope hat den Mund leicht geöffnet, ist ganz still. Ich zähle stumm die Sekunden. Zwei. Drei. Vier.

 

»Mehr ist da nicht«, sage ich, während sich das alte, vertraute Gefühl der Leere in mir ausbreitet. Ich hebe meinen Kopf und schaue zu Hope. Eine kleine sorgenvolle Falte entsteht über ihrer Nasenwurzel.

»Wahrscheinlich erinnerst du dich doch nicht an alles. Noch nicht«, meint sie leise.

Ich spüre, dass sie recht hat. Es gibt tatsächlich mehr, aber es will nicht an die Oberfläche. Noch nicht. Warum nicht?

Die Erkenntnis lässt mich frösteln und unwillkürlich lehne ich mich an Adam. Meine Erinnerungen sind verblasst.

Adam legt mir seinen Arm um meine Schultern.

Seinen Arm?!

Ein eigenartiges Kribbeln zuckt meine Wirbelsäule entlang. Mir wird schlagartig bewusst, dass er mich berührt. Ich atme tief durch, trotzdem beginnen meine Knie unkontrolliert zu zittern. Er scheint zu warten, ob ich protestieren werde. Ich versuche, mich im Boden zu verwurzeln. Seine Berührung ist so behutsam, als wisse er nicht, ob ich real sei, als fürchte er sich, es könnte etwas Unerwartetes geschehen, wenn er noch näher rückt. Ich will es so sehr, dass er mich berührt. Nicht nur an meiner Schulter. Ich will. Was will ich?

Ich darf nicht schwach werden.

»Nimm deinen Arm weg oder ich breche ihn in tausend Stücke!«, fauche ich ihn an, aber ich höre, wie selbst meine Stimme zittert. Er nimmt seinen Arm weg, bleibt mir nah. Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Ich gestehe mir ein, dass ich seine Nähe suche. Ich es immer noch mag, wenn wir uns nahe sind. Mehr als mag. Verdammt.

Ich wünsche mir, dass er mich berührt, aber das werde ich nicht zugeben. Wieder läuft ein Schauer durch meine Wirbelsäule. Mein Körper verlangt dringend nach Adam, aber ich befehle ihm, sich ruhig zu verhalten, meine Puddingbeine wieder unter Kontrolle zu bekommen.

»Ich sollte dir vielleicht nochmal mit einem Energieschild auf den Kopf hauen«, sagt Hope und schnippt mit ihren Fingern. Ich habe mich nicht wieder beruhigt. Bin wie ein dutzend Nachbeben, nach einem Erdbeben. Hope wartet auf eine Antwort.

»Ich brauche Zeit. Ich kann es fühlen, dass da mehr ist. Jemand, an den ich mich erinnern sollte. Aber es gelingt mir einfach nicht«, sage ich, meine Stimme hat Risse, ich bin kurz davor loszuheulen. Was ist nur aus mir geworden. Aus der starken Freija aus Sektion 13? Ich bin stärker als je zuvor und trotzdem fühle ich mich schwach…, in Adams Nähe.

»Habe Geduld, Freija.«

»Ja Hope, du hast Recht.« Ich stoße einen tiefen Seufzer aus.

Hope blickt zu Adam.

»Was ist mit dir Adam? Was willst du uns erzählen?«, fragt sie.

»Was wollt ihr hören?«

»Alles!«, rutscht es mir heraus. »Alles, was wahr ist«, ergänze ich leise.

»Ich habe dir immer die Wahrheit gesagt!«

»Was ist mit den Sektionen? Ist das wahr, was du mir erzählt hast.«

»Ja, auch über die Sektionen.«

»Er hat die ganze Wahrheit noch nicht gesehen!«, sagt Hope.

Plötzlich hören wir krachende Explosionen. Sehr nah. Ich erschrecke so sehr, dass ich mich an Adams Schulter wiederfinde. Schnell weiche ich vor seiner Nähe zurück und schaue Richtung Ausgang. Draußen tobt ein Kampf.

»Sollen wir nachsehen?«, frage ich vorsichtig, doch Hope ist schon unterwegs.

Wir schleichen ihr hinterher, bis zum Ausgang. Ich ducke mich hinter einen Felsen und blicke zum Himmel. Die Flecken, die ich zwischen den Blättern ausmachen kann, sind kupferrot von der bevorstehenden Nacht eingefärbt. Rauschschwaden hängen wie wehende Fahnen in der Luft. Es wimmelt von Drohnen und Bestien. Am Himmel tobt ein unerbittlicher Krieg.

»Die Drohnen haben vor, die Lufthoheit zurückzuerobern«, erklärt, Adam der ganz nah neben mir kniet, sodass sich unsere Beine berühren. Adam ist von einer Aura der Kraft und Selbstsicherheit umgeben. Er hat sich kein bisschen verändert. Im Gegensatz zu mir. In seiner Nähe fühle ich mich jämmerlich. Will beschützt werden, wie ein Kind. Von ihm.

»Seht da, zwischen den Bäumen«, haucht Hope und zieht mich und Adam zurück, wieder hinter die scheinbar sichere Deckung. Zwei Bestien, so groß wie Panzer, kommen mit fließenden Bewegungen aus dem Wald. Sie scheinen auf eine Weise miteinander zu kommunizieren, die ich nicht verstehen kann. Das verleiht ihnen fast etwas Menschliches?

»Wir müssen vorsichtig sein. Sie können unser Blut wittern«, flüstert Hope. »Kommt zurück!«

Aber die Bestien nähern sich nicht, ducken sich stattdessen, bleiben stehen, blicken hoch zum Himmel. Dann kann ich sie sehen. Drei Drohnen schweben nur wenige Meter über den Wipfeln der Bäume. Sie sehen wunderschön aus. Mit silbriger Eleganz und fast schon verspielten Konturen.

Die Bestien verharren ganz ruhig, bewegen sich keinen Millimeter. Dennoch werden sie entdeckt. Sofort wird die Luft von mehreren Blitzen in Brand gesetzt. Eine Bestie wird sofort tödlich getroffen. Ich sehe, wie sie von innen heraus explodiert, sich im nächsten Moment in Nichts auflöst und dann springt die andere aus ihrer nutzlosen Deckung. Aber auch sie erwischt es eiskalt, bevor sie wieder auf dem Boden aufkommt.

Die Luft flammt auf. Blitze jagen durch ihren Körper. Einer, zwei und noch einer. Sie stürzt, bleibt liegen und während mich Hope immer weiter in unser Schlupfloch zurückzerrt, sehe ich, wie sie in ihre Welt zurückkehrt. Sich in Luft auflöst. Nichts bleibt zurück, als hätte es sie nie gegeben.

So wie die Bestien in Sektion 13, die ich getötet habe, erinnere ich mich.

»Habt ihr die Drohnen gesehen? Die waren anders als die anderen«, sage ich mit bebender Stimme. Der Tod der Bestien verursacht eine Welle der Erschütterung, die sich noch immer durch meinen Körper wälzt.

»Das waren keine Kampfdrohnen«, sagt Adam. »Kampfdrohnen sind unbemannt. Werden durch Computer gesteuert. Haben keine Flügel, so wie die da draußen.« Ich sehe die verspielten Konturen noch immer vor meinem inneren Auge. Das waren Flügel?

»Und wer hat die da draußen gesteuert?«, frage ich vorsichtig.

»Vollstrecker.«

»Vollstrecker? Aber? Wie kommst du darauf? Woher weißt du das?«

»Sie passen sich dem Kampfgeschehen besser an, gehen strategischer vor, greifen nur im Geschwader an und nehmen die Bestien in die Zange.«

»Woher weißt du das alles?«, frage ich ihn noch einmal.

»Weil. Weil wir sie ausgebildet haben.«

»Wer wir? Wen meinst du mit wir?«

»Kristen und ich. Das heißt, unsere Kooperation. Das Unternehmen.«

»Unternehmen? Ist es das, womit du dein Geld verdienst? Vollstrecker zu Kampfpiloten ausbilden?«

»Ja, es gehörte dazu.«

»Wozu? Was habt ihr noch gemacht. Adam rede!«, funkle ich ihn an.

»Es gibt zwei unterschiedliche Wege für Sehende. Entweder werden sie den Sektionsteams zugeteilt oder zu Vollstreckern ausgebildet.«

»Sektionsteams?«, wiederhole ich benommen.

»Bei den Sektionsteams gibt es Technikexperten, Sprengstoffexperten, Docs, Kommunikatoren, Softwarespezialisten, Fernkämpfer und…«

»Nahkämpfer«, bringe ich den Satz zu Ende und beiße die Zähne zusammen.

»Bei den Vollstreckern ist das ganz ähnlich. Der grundsätzliche Unterschied liegt in der Basiserinnerung. Während bei Vollstreckern die Loyalität zu den Gesandten im Vordergrund steht, ist es bei den Sektionsteams der Wille eines Widerstandskämpfers.«

»Basiserinnerungen?«, wiederhole ich geschockt.

»Zuerst werden alle Erinnerungen gelöscht, dann die Basiserinnerung aufgesetzt und dann folgen die Fähigkeitserinnerungen. Danach sind sie programmiert, einsatzfähig. Wir verkaufen sie an die Gesandten. Die Vollstrecker auch. Sie sind die Elitetruppe der Gesandten. Die Sektionsteams suchen sehende Kinder, sehende Jugendliche. Und die Vollstrecker bringen sie zu uns und der Kreislauf beginnt aufs Neue.«

»Das glaub ich nicht«, sage ich hilflos.

»Er sagt die Wahrheit!« Das war Hope.

»Wir sind alle programmiert, manipuliert. Wir sind alle nicht wir selbst? Die Jahre meiner Ausbildung?« Mein Erlebnis in der Mädchentoilette, denke ich. »Das soll alles nicht echt sein?«, frage ich.

»Irgendwann will das Selbst raus. Die einprogrammierten Erinnerungen halten nicht ewig. Das ist dann der Zeitpunkt für die Neuprogrammierung.«

»Ihr wolltet mich neu programmieren und dann wieder verkaufen?«

»Nein, dieses Mal nicht! Es ist vorbei. Ich werde das nicht mehr machen. Keine Geschäfte mehr mit den Gesandten. Nie mehr.«

»Adam, sag mir, wurde ich von euch programmiert, bevor ich zur Sektion 13 kam?«, will ich jetzt wissen.

»Nein!« Die Antwort kam schnell. Zu schnell?

»Wenn ihr es nicht ward, wer dann?«

»Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Es gibt eine zentrale Datenbank. Alle Programme und Objekte sind dort gespeichert. Aber dich habe ich nicht gefunden. Deine Daten wurden gelöscht, oder es gibt keine.« Er hat nach meinen Daten gesucht. Wieso?

»Oder sie werden wo anders gespeichert«, sagt Hope.

Kapitel 4

Wir haben uns wieder zurückgezogen. Sitzen zusammengedrängt im hintersten Winkel unseres Schlupflochs. Der Kriegslärm ist noch immer vernehmbar. Tut mir in den Ohren weh.

»Was ist mit dir, Hope? Wurdest du von Adam programmiert? Warst du deshalb bei ihm im Haus?«

»Ich wurde nie programmiert. Hatte wohl irgendwie Glück, nicht in das Netz der Vollstrecker zu geraten.«

»Woher weißt du das? Ich meine, wie kannst du dir sicher sein?«

»Ich spüre, welche Erinnerungen echt sind. Wie ist das bei dir? An was kannst du dich erinnern? Du hast gesagt, an nicht mehr viel. Du nimmst den Unterschied wahr? Oder nicht? Was die wahren Erinnerungen sind und welche die Falschen.«

»Ja, ich spüre es«, gebe ich zu. »Die Nahkampftechniken sind nicht echt. Ich wurde auf Nahkampf programmiert. Der Rest, also der Körper.« Ich schlucke. »Das war hartes Training.« Hope nickt. »Adam, warum warst du wirklich in Sektion 13? Wolltest du nachsehen, ob Gouch oder Jesse eine Auffrischung ihrer Erinnerungen benötigten?«, frage ich.

»Nein Freija, ich war nur wegen dir dort.«

»Du hast mir das weiße Buch untergeschmuggelt. Das Buch von dieser Prophezeiung.«

»Das ist richtig. Das war ich. Du hast geschlafen, vor der Skyline und ich wollte dich nicht aufwecken.«

»Warum hast du das gemacht? Was hat das für einen Sinn, mir das Buch zu geben?«

»Weil er daran glaubt«, sagt Hope.

»An was denn?«

»Dass alles ein Ende hat«, meint Adam.

»Du hast doch für die Gesandten gearbeitet!«

»Nur um so viel Kontakt zu Sehenden zu bekommen, wie es möglich war. Weil ich nach einem Symbionten gesucht habe. Nach dir.«

»Nach der Frau von der Prophezeiung«, sagt Hope.

»Nach dem Symbionten, der die Macht der Gesandten beenden wird«, sagt Adam.

»Steckt ihr eigentlich unter einer gemeinsamen Decke? Ich habe das Buch in jener Nacht im Skygate gelesen. Es ist ein Märchen für Kinder. Nicht mehr. Nur ein Märchen.«

»Oh doch, es ist viel mehr als das. Und ich glaube daran, dass sich die ganze Prophezeiung erfüllen wird.«

»Warum glaubst du an Märchen?«

»Weil er Hoffnung hat«, sagt Hope.

»Weil die Prophezeiung von einem Symbionten mit außerordentlichen, hellseherischen Fähigkeiten stammt. Er hat mir vorausgesagt, dass ich die Eine finden werde, die alles beendet.«

»Und hast du?«, frage ich Adam.

»Ich bin mir nicht sicher! Ich dachte, du wärst es, aber ich bin mir nicht sicher.«

»Warum?«

»Weil du hier bei mir bist und die Ereignisse der Prophezeiung sich ereignen. Dort draußen. Und doch siehst du genau so aus wie sie.«

»Wie wer? Wie die Zeichnung, wie das Mädchen auf der Rückseite des Buches? Wo ist dieser Symbiont mit den hellseherischen Fähigkeiten jetzt? Können wir ihn nicht suchen und fragen?«

»Das geht nicht, weil er tot ist. Mein Vater und ich haben meine Mutter beerdigt. Sie wurde von den Gesandten getötet.«

Ich schlucke einen dicken Kloß, der in meinem Hals steckt, hinunter. Seine Mutter?

 

»Das tut mir leid«, sage ich ehrlich. »Aber wie konntest du dann nur für die Gesandten arbeiten? Wie konntest du nur?«

»Der Widerstand verlangt einen hohen Tribut. Aber die Prophezeiung hat mir immer Hoffnung geschenkt. Mutter hat mir gesagt, dass ich eine Entscheidung zu treffen habe, wenn mir der auserwählte Symbiont gegenübertritt. Ist die Entscheidung richtig, dann kommt der Stein ins Rollen. Ist sie falsch, dann versinkt die Welt in Dunkelheit.«

»Nun, offensichtlich war deine Entscheidung richtig.«

»Ich hoffe es.«

»Was ist mit deinem Vater? Wo ist er?«

Adam blickt zu Hope. Die Schwarzhaarige nickt sorgenvoll.

»Er starb. Ein Jahr nach dem Tod meiner Mutter.«

»Das ist sehr traurig«, sage ich betroffen.

»Er hatte eine unheilbare Krankheit«, sagt Adam und wieder huschen seine Augen zu Hope.

»Was soll das? Ich sehe das, was ihr da macht. Wie ihr euch die ganze Zeit anschaut. Bitte keine Geheimnisse mehr! Hope, was ist mit dir? Wo sind dein Vater und deine Mutter? Erzähl mir von deiner Kindheit. Und bitte hört endlich auf, mit den Augen herum zu huschen!«

»Meine Mutter und mein Vater sind tot. Meine Mutter hieß Calideya und hat die 3. Prophezeiung geschrieben. Sie war ein starker Symbiont, hatte hellseherische Fähigkeiten und sie träumte jede Nacht von dieser Frau.« Hope holt das kleine weiße Buch heraus und zeigt mir das Bild auf der Rückseite. »Mein Vater arbeitete für die Gesandten. Jahre nach seinem Tod hat Adam seine Arbeit weitergeführt. Meine Mutter sagte ihm, er solle das tun, bis er die Auserwählte finden würde. Mein Vater war schwer krank und obwohl ich über übernatürliche Heilkräfte verfüge, konnte ich sein Leben nicht retten. Wenn ein Mensch und ein Symbiont eine Verbindung eingehen, dann ist dieses Band sehr stark. Unendlich stark, so unzertrennlich, dass ein Partner dem anderen folgt. Egal wohin. Auch bis in den Tod. Mein Vater ist meiner Mutter ein Jahr nach ihrem Tod gefolgt. Er hatte keine Wahl. Das ist das Schicksal von uns Symbionten.«

Ich bin sprachlos, lausche Hopes wunderschöner Stimme. Hope atmet tief durch, sammelt sich, dann erzählt sie weiter. Es erfordert offensichtlich eine starke Willenskraft, darüber zu sprechen, aber endlich spricht sie. Öffnet sich. Wie oft habe ich mir das gewünscht, mehr von Hope über die Wahrheit zu erfahren.

»Als ich, zum Teenager heranwuchs, haben die Spezialeinheiten der Vollstrecker angefangen, Jagd auf uns Symbionten zu machen. Ich musste mich von meinem Bruder trennen und habe mich in den Wäldern versteckt. Nur für ein paar Wochen im Jahr wagen wir es, uns überhaupt zu sehen. Das Risiko entdeckt zu werden, ist einfach viel zu groß. Aber ich habe Freunde gefunden. Andere Symbionten.«

Hope macht eine Pause und ich sehe die Schmerzen, die sie innerlich durchlebt, während sie sich erinnert. Mir mehr erzählt.

»Ich glaube, sie sind alle tot. Sie wurden von den Vollstreckern gefunden, gefangen und fortgebracht. Alle waren sie, wie du und ich. Es waren alles Frauen. Freija, es gibt auf dieser Welt keine männlichen Symbionten. Ich habe noch nie einen gesehen. Noch nie von einem gehört. Wir sind allein.«

Hope fällt in sich zusammen. Nie zuvor habe ich sie so kraftlos gesehen wie jetzt.

»Ja, mein Bruder arbeitet für die Gesandten, aber er studiert auch die Symbionten, um mehr über das Geheimnis herauszufinden, was unsere Mutter und unseren Vater miteinander verband. Es gehört viel Mut dazu, einen Symbionten zu lieben, wenn man weiß, dass er einen mit in den Tod reißen wird. Es gehört unendlich viel Egoismus dazu, die Liebe zuzulassen, wenn man ein Symbiont ist. Adam suchte nach Wegen und nach der Frau aus der Prophezeiung. Unsere Hoffnung ist das Ende. Ist der Friede. Die Bestien sind, was sie sind, aber die Gesandten sind schlimmer. Mein Bruder kennt nicht die ganze Wahrheit. Weiß nicht, wo die Bestien herkommen. Weiß nicht, was mit den Sehenden geschieht, die nicht zu Vollstreckern werden oder in die Sektionen zurückkehren. Er weiß nicht, wo sie hingebracht werden, er hat die Wahrheit nicht gesehen.« Ich sehe Tränen in Hopes Augen aufsteigen.

Es ist das erste Mal, dass ich sie weinen sehe. Adam greift nach ihrer Hand, zieht sie zu sich. Hope klettert auf seinen Schoß und Adam schlingt seine Arme um ihren zarten, jetzt so zerbrechlich aussehenden Körper. Um den Körper seiner Schwester. Eines Symbionten, der so viel weicher ist, als ich immer gedacht habe. Ich schaue die beiden an und ich kann nicht, will nicht die Kontrolle über meine Augen erzwingen. Die Trauer steigt in mir hoch. Meine Augen brennen.