Loe raamatut: «Für Immer und Einen Tag »
F Ü R I M M E R U N D E I N E N T A G
(DIE PENSION IN SUNSET HARBOR - Buch 5)
S O P H I E L O V E
Sophie Love
# 1 Bestsellerautorin Sophie Love ist die Autorin der Liebesroman Reihe DIE PENSION IN SUNSET HARBOR, die sieben Bücher umfasst (und fortgesetzt wird), und die mit FÜR JETZT UND FÜR IMMER (DIE PENSION IN SUNSET HARBOR - BUCH 1) beginnt.
Sophie Love ist auch die Autorin der Debüt-Liebesroman Reihe DIE LIEBES CHRONIKEN, die mit LIEBE WIE DIESE beginnt (DIE LIEBES CHRONIKEN – BUCH 1).
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BÜCHER VON SOPHIE LOVE
DIE PENSION IN SUNSET HARBOR
FÜR JETZT UND FÜR IMMER (Buch 1)
FÜR IMMER UND EWIG (Buch 2)
FÜR IMMER MIT DIR (Buch 3)
WENN ES DOCH NUR FÜR IMMER WÄRE (Buch 4)
FÜR IMMER UND EINEN TAG (Buch 5)
FÜR IMMER, PLUS EINS (Buch 6)
FÜR DICH, FÜR IMMER (Buch 7)
DIE LIEBES CHRONIKEN
DAS FESTIVAL DER LIEBE (BUCH #1)
ITALIENISCHE NÄCHTE (BUCH #2)
L'AMOUR IN PARIS (BUCH #3)
INHALTSVERZEICHNIS
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FÜNFZEHN
KAPITEL SECHZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL ACHTZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
KAPITEL ZWANZIG
KAPITEL EINUNDZWANZIG
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
EPILOG
KAPITEL EINS
“Papa?“, wiederholte Emily.
Sie starrte den Mann auf ihrer Verandatreppe an, einen Mann, den sie kaum wiedererkannte. Silbernes Haar, das einmal schwarz gewesen war. Der Schatten von Bartstoppeln an seinem Kinn. Falten und Furchen säumen sein Gesicht. Aber es gab keinen Zweifel. Es war ihr Vater.
Ihr versagten die Worte. Sie bekam keine Luft mehr.
Die Falten in Roys Augenwinkeln vertieften sich als er lächelte. „Emily Jane“, antwortete er.
Da wusste Emily, dass sie es sich nicht einbildete. Er war echt. Es war ihr Vater.
Sie rannte so schnell sie konnte, die Stufen zur Veranda hinauf und warf sich in seine Arme. Sie hatte sich diesen Moment so oft vorgestellt und sich gefragt, wie sie sich verhalten würde, wenn er jemals zu ihr zurückkommen würde. In ihrer Vorstellung hatte sie sich cool verhalten, war distanziert und hatte über allem gestanden, indem sie ihn weder den Schmerz, den sein Verschwinden verursacht hatte, noch die Erleichterung die sie fühlte, weil sie wusste, dass er in Sicherheit war, sehen ließ. Aber natürlich war die Realität völlig anders. Anstatt sich zu distanzieren, schlang sie ihre Arme um seinen Nacken und hielt ihn fest, als wäre sie wieder ein Kind.
Er war warm und kompakt. Sie konnte ihn schwer atmen spüren, jede Ausdehnung seiner Lungen verriet seine Gefühle. Ihre Tränen kamen fast sofort. Wie als Reaktion darauf spürte sie, wie seine eigenen Tränen ihre Wangen und ihren Nacken benetzten.
„Du bist zurückgekommen“, schaffte es Emily zu sagen. Ihre Stimme brach, als sie sprach. Sie klang so jung und verletzlich, wie sie sich fühlte.
„Das bin ich“, erwiderte Roy tief schluchzend. „Es tut mir …“
Aber er unterbrach sich. Emily wusste instinktiv welches Wort fehlte, um diesen Satz zu beenden: „leid“. Aber auch, dass ihr Vater noch nicht bereit war, mit dem Strom von Gefühlen fertig zu werden, den eine solche Äußerung entfesseln würde. Emily ging es genauso. Sie wollte noch nicht zu den schmerzhaften Erinnerungen zurückkehren. Sie wollte nur in diesem Augenblick verweilen. Sich daran erfreuen.
Sie hatte ihr Zeitgefühl verloren und wusste nicht wie lange ihr Vater und sie sich schon gegenseitig festhielten. Aber sie spürte eine plötzliche Veränderung in der Art, wie ihr Vater sie hielt, eine Anspannung seiner Muskeln, als ob ihm die Umarmung plötzlich unangenehm war. Sie löste sich von ihm und sah über ihre Schulter um zu sehen, was Roys Blick jetzt fixierte: Chantelle.
Sie stand in der offenen Tür der Pension und ihr Gesicht hatte einen verblüfften Ausdruck, während sie versuchte, die seltsame Szene die sich vor ihr abspielte zu begreifen. Emily konnte alle Fragen in ihren Augen lesen. Wer ist dieser Mann? Warum weint Emily? Warum ist er hier? Was geht hier vor?
„Chantelle, Schatz“, sagte Emily und streckte eine Hand aus. „Komm her.“
Emily empfand Chantelles Zögern als eine für sie untypische Schüchternheit.
„Es gibt nichts, vor dem du Angst haben musst“, fügte Emily hinzu.
Chantelle kam ein paar Schritte auf Emily zu. „Warum sieht er mich so an?“, fragte sie mit einem vernehmbaren Flüstern, das Roy deutlich hören konnte.
Emily sah ihren Vater an. Seine feuchten Augen waren weit aufgerissen vor Verwirrung. Er wischte sich die Feuchtigkeit von den Wimpern.
„Du hast eine Tochter?“, stotterte er schließlich, seine Stimme war voller Emotionen.
„Ja“, sagte Emily, griff nach Chantelle und zog das Mädchen an ihre Seite und in eine halbe Umarmung. „Nun, sie ist Daniels Tochter. Aber ich ziehe sie auf wie ein eigenes Kind.“
Chantelle klammerte sich an Emily. „Wird er mich wegbringen?“, fragte sie.
„Oh nein, mein Schatz!“, rief Emily aus. „Das ist mein Vater. Dein Opa.“ Sie wandte sich zu ihrem Vater um und sah ihn an. „Opa Roy?“, schlug sie vor.
Er nickte sofort. Er schien von dem Kind verzaubert zu sein, und seine blassblauen Augen funkelten vor Faszination.
„Sie sieht ihr so ähnlich“, sagte er.
Emily verstand sofort, was er meinte. Dass Chantelle wie Charlotte aussah. Kein Wunder, dass er angenommen hatte, sie sei Emilys Kind. Emily hatte selbst manchmal Schwierigkeiten zu glauben, dass das nicht Charlottes genetische Merkmale waren, die in Chantelle zum Ausdruck kamen.
„Das finde ich auch“, gestand sie.
„Wie wer sehe ich aus?“, fragte Chantelle.
Emily hatte das Gefühl, dass diese Art von Fragen zu viel für das Kind war. Sie wollte augenblicklich das Thema beenden. Obwohl sie sich wie ein zitterndes Lamm fühlte, wusste sie, dass sie aufstehen und das Kommando übernehmen musste.
„Wie jemand, den wir vor langer Zeit gekannt haben, das ist alles“, sagte sie. „Komm schon, Opa Roy muss Papa kennen lernen.“
Chantelle wurde plötzlich eifrig. „Ich werde ihn holen.“ Sie strahlte und rannte zurück nach drinnen.
Emily seufzte. Sie verstand, warum ihr Vater von Chantelle so geschockt gewesen war, aber ein Fremder, der sie so anstarrte - als wäre sie ein Geist - war das letzte, was das Kind brauchte.
„Sie ist wirklich nicht dein biologisches Kind?“, fragte Roy in der Sekunde, in der das Kind verschwunden war.
Emily schüttelte den Kopf. „Ich weiß, es ist verrückt. Sie ist genauso feinfühlig wie sie. Und freundlich. Lustig. Kreativ. Ich kann es kaum erwarten, dass du sie kennenlernst.“ Dann brach ihre Stimme als ihr plötzliche der bange Gedanken kam, dass Roy vielleicht nicht bleiben würde, dass dies nur eine kurze Stippvisite war. Vielleicht hätte sie gar nicht erfahren sollen, dass er hier gewesen war. Vielleicht war es sein Plan, sie zu meiden und nur kurz aufzutauchen und wieder zu verschwinden, bevor sie mitbekam, dass er zurück war. So wie bei seinen heimlichen Ausflügen in seinem heruntergekommenen Auto, das Trevor von seinem Spionagefenster aus gesehen hatte. Sie rieb sich unbeholfen hinter ihrem Ohr. „Das heißt, wenn du Zeit hast.“
„Ich habe Zeit.“ Roy nickte und das kleine Flattern eines Lächelns erschien auf seinen Lippen.
In diesem Moment kam Chantelle zurück und zog Daniel hinter sich her. Er blieb an der Tür stehen und sah Roy an.
„Opa Roy?“, fragte er und hob die Augenbrauen, wobei er den Namen, den Chantelle so unschuldig an ihn weitergegeben hatte, deutlich wiederholte.
Emily sah den Blick, den die beiden austauschten und erinnerte sich daran, wie Daniel ihr von diesem Sommer erzählt hatte, als er ein Teenager gewesen war und einen Freund gebraucht hatte. Und wie Roy für ihn da gewesen war und ihm geholfen hatte, sein Leben wieder auf Kurs zu bringen. In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass Roys sichere Rückkehr nach Sunset Harbor für Daniel genauso viel bedeutete wie für sie.
Roy bot Daniel seine Hand an, um sie zu schütteln. Aber zu Emilys Überraschung nahm Daniel die Hand und zog Roy in eine feste Umarmung. Sie spürte ein seltsames Ziehen in ihrer Brust, eine eigenartige Emotion, die irgendwo zwischen Freude und Trauer lag.
„Ich denke du hast Daniel schon mal getroffen“, sagte Emily und ihre Stimme brach erneut.
„Das habe ich“, antwortete Roy, als Daniel ihn aus seiner Umarmung entließ und ihn stattdessen an den Schultern fasste. Er schien von Gefühlen überwältigt zu sein, dabei, die feine Trennlinie zwischen Freudentränen und erleichterndem Lachen zu überschreiten.
„Wir werden heiraten“, fügte Emily etwas verdutzt hinzu.
„Ich weiß“, sagte Roy und grinste von einem Ohr zum anderen. „Ich habe deine E-Mail gelesen. Ich freue mich so.“
„Kommst du mit rein?“, fragte Daniel Roy leise.
„Wenn ich darf“, antwortete Roy und klang besorgt, dass er nicht wieder in Emilys Leben aufgenommen werden würde.
„Natürlich“, rief Emily aus. Sie umklammerte fest seine Hand und versuchte ihm damit zu zeigen, dass alles in Ordnung war, dass er hier willkommen war und akzeptiert wurde, dass seine Rückkehr zu ihr ein freudiges Ereignis war.
Roys Gesicht schien erleichtert zu sein. Er entspannte sich sichtlich, als wäre eine Last von ihm genommen, um die er sich Sorgen gemacht hatte.
Als sie zur Tür gingen, wurde Emily plötzlich bewusst, dass das Haus, das ihr Vater vor über zwanzig Jahren aufgegeben hatte, keine Ähnlichkeit mit seiner früheren Erscheinung mehr hatte. Sie hatte alles übernommen, alles verändert und hatte es von einem Familienheim in eine Pension verwandelt. Ob er darüber verärgert sein würde?
„Wir haben ein paar Renovierungsarbeiten gemacht“, sagte sie schnell.
„Emily Jane“, antwortete ihr Vater mit freundlicher, fester Stimme. „Ich weiß, dass du hier lebst und das Haus jetzt eine Pension ist. Das ist gut. Das freut mich für dich.“
Sie nickte, war aber immer noch besorgt, ihn hereinzulassen. Chantelle ging voran, und einer nach dem anderen gingen sie in die Empfangshalle. Roy bildete das Schlusslicht, sein Gang war langsamer und steifer, als es Emily in Erinnerung hatte.
Er blieb in der Halle stehen und sah sich mit vor Erstaunen und Ehrfurcht aufgerissenem Mund um. Als er die Empfangstheke sah, weiteten sich seine Augen.
„Ist das …“
„Dieselbe, die du an Rico verkauft hast?“, sagte Emily. „Ja.“
Die Pension war ursprünglich ein Gästehaus gewesen, bevor es die Besitzer verlassen hatten. Roys Geschichte mit dem Haus spiegelte sich gegenteilig in ihrer wider. Er hatte gewollt, dass dieser Ort ein Zuhause für die Familie und ein Zufluchtsort für den Sommerurlaub war. Emily hatte es wieder in ein Gästehaus verwandelt, in ein Geschäft.
„Ich kann nicht glauben, dass er sie all die Jahre behalten hat“, sagte Roy überrascht und sah immer noch auf die Theke. Dann sah er zurück zu Emily. „Erinnerst du dich an den Tag, an dem ich sie ihm verkauft habe?“
Emily schüttelte stumm den Kopf.
„Du hast nachdrücklich darauf bestanden, dass ich sie nicht verkaufen sollte“, sagte er mit einem Kichern. „Du hattest eine Barbie in jede Schublade gelegt und gesagt, es wäre ein Krankenhaus für deine Puppen.“
„Ich glaube, ich erinnere mich“, antwortete Emily und fühlte sich etwas melancholisch.
„Rico war sehr nett“, fügte Roy hinzu. „Er hat dir geholfen, deine „Patienten“ an einen anderen Ort zu „transferieren“. Ich glaube, du hast den Schrank unter der Spüle gewählt.“ Auch er wurde etwas wehmütig und lenkte seine Aufmerksamkeit weg von der Rezeption und wieder hin zu den Renovierungsarbeiten. „Das ist wirklich unglaublich. Du hast einen tollen Job gemacht.“
Der stolze Klang in seiner Stimme ließ Emilys Herz erzittern. Dieser Moment war so viel mehr, als sie sich hätte erhoffen können. Es war perfekt.
„Soll ich dich rumführen?“
Roy nickte. Emily führte ihn zuerst in die Küche. Von dort hörten sie die Hunde, die in der Waschküche bellten.
„Ich weiß nicht, was ich zuerst kommentieren soll“, rief Roy und sah sich in der komplett restaurierten Küche mit den original Retro-Geräten und Dekorationen, die noch von ihm stammten, um. „Die erstaunliche Renovierung oder die Tatsache, dass du Haustiere hast!“
„Das ist Mogsy und ihr Welpe Rain“, verkündete Chantelle, öffnete die Tür der Waschküche und erlaubte den beiden, hereinzukommen.
Sie eilten zu Roy, schnüffelten an ihm und versuchten, seine Wangen zu lecken. Roy lachte, was die feinen Linien um sein Gesicht deutlicher hervortreten lies und kraulte die beiden hinter den Ohren.
„Wir lassen sie normalerweise nicht durch die Küche rennen“, erklärte Emily. „Aber da es ein besonderer Anlass ist …“
Ihre Stimme brach, als die schmerzvolle Melancholie, die sie zuvor gefühlt hatte, zurückkehrte. Mit ihrem Vater zusammen zu sein, sollte nicht „besonders“ sein. Es war von ihm zu etwas Besonderem gemacht worden, als er gegangen war.
Aus seiner kauernden Haltung sah er zu ihr auf, sein Blick war voller Bedauern.
Plötzlich verspürte Emily einen Anflug von Wut. Ein Teil ihres tief vergrabenen Schmerzes begann an die Oberfläche zu kommen.
„Lass uns ins Esszimmer gehen“, sagte sie hastig und weil sie nicht wollte, dass es hochkam.
Sie gingen in den Raum mit dem großen Eichentisch. Roy bemerkte sofort, dass der schwere Gardinenvorhang, der einst über der Tür des Ballsaals hing, nicht mehr da war.
„Du hast den Ballsaal gefunden“, sagte er.
Etwas an dem Kommentar irritierte Emily. Dies war kein Versteckspiel. Sie fühlte die Hitze in ihre Wangen kriechen.
„Gefunden. Restauriert. Und bald werde ich darin heiraten“, sagte sie, als sie den Gang mit den niedrigen Decken entlanggingen und in den riesigen Ballsaal traten.
Sie konnte die Schnippigkeit in ihrer Stimme hören und atmete tief durch, um sich zu beruhigen.
„Nun, er sieht wunderschön aus“, sagte Roy, der entweder ihre wachsende Wut nicht wahrnahm oder noch nicht bereit war, sich damit zu konfrontieren. „Ich bin überrascht, dass die Glasmalerei nach all der Zeit so gut aussieht.“
„Daniels Freund George hat sie restauriert“, erklärte Emily.
„George“, sagte Roy und hob die Augenbrauen. „Ich erinnere mich an ihn, als er so groß war.“ Er deutete mit seiner Hand auf seine Taille, um die Körpergröße eines Kindes anzuzeigen.
Dann fiel Emily ein, dass Sunset Harbour mehr die Stadt ihres Vaters war als die ihre, dass er Leute hier besser kannte als sie, dass er in den Jahren, die er hier gelebt hatte, mehr Wurzeln geschlagen hatte, als sie es für sich erhoffen konnte. Eine neue Welle von Eifersucht drang in die komplexe Mischung von Gefühlen ein, die sie bereits in Schach zu halten versuchte. Sie gab sich wirklich Mühe, einen neutralen Gesichtsausdruck zu bewahren.
Als nächstes gingen sie nach oben und Emily zeigte Roy das Hauptschlafzimmer. Das Zimmer, das einmal seins und Patricias gewesen war und dann vermutlich seins und Antonias, wenn sie ihn besucht hatte, bevor es ihres und Daniels wurde.
„Das ist fantastisch“, rief Roy aus. „Die Farben sind so frisch.“
Früher war es mehr in dunklen Farben gehalten, die karmesinroten und marineblauen Farben, mit denen sie die Gästezimmer dekoriert hatte. Das klare Weiß und das Pastellblau entsprachen mehr dem Geschmack ihrer Mutter. Als sie sich im Zimmer umsah wurde Emily zum ersten Mal bewusst, dass ihr Stil eine perfekte Mischung aus beidem war. Roys Vorliebe für Antiquitäten - in dem riesigen Bett, dem Schminktisch, dem Ottoman - und Patricias Reinheit in den hellen Farben. Emily fühlte sich, als würde sie das Zimmer mit neuen Augen sehen.
„Mein Zimmer ist nebenan“, sagte Chantelle.
Emily war dankbar für die Ablenkung. Sie führte Roy aus dem Raum und in Chantelles Zimmer, wo er die entzückenden Möbel im Tierthema bestaunte, die Emily für sie gekauft hatte. Chantelle schwebte durch den Raum und zeigte stolz ihr Bücherregal, ihren Kleiderschrank voller Kleidern, ihren Haufen Plüschtiere und die Wand mit ihren Kunstwerken.
„Chantelle, du hast ein sehr schönes Zimmer“, sagte Roy freundlich und erinnerte Emily an die sanfte Art, in der er mit Kindern umging, an die Sanftheit, mit der er mit ihr gesprochen hatte, als er noch in ihrem Leben war.
Chantelle strahlte vor Stolz.
„Du hast ihr also nicht das Zimmer gegeben, das du und Charlotte geteilt habt?“, fragte er. „Das Spielzimmer mit dem Mezzanin?“
Emily spürte einen kleinen Schmerz in ihrer Brust, als sie hörte, wie er sich auf ihr Kinderzimmer bezog. Er hatte es nach Charlottes Tod abgeschlossen und Emily gezwungen, das Zimmer zu wechseln. Mittlerweile verstand Emily, dass dies das erste Anzeichen war, dass ihr Vater Charlottes Tod nicht verarbeitet hatte und dass ihr Sterben der Auslöser für ihn gewesen war, sie zu verlassen.
„Das ist die Hochzeitssuite“, erklärte Daniel und übernahm, während Emily stumm blieb. „Das Mezzanin ist ein großes Verkaufsargument. Außerdem wollten wir Chantelle in unserer Nähe haben.“
Die Emotionen wurden zu viel für Emily. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass es möglich war, gleichzeitig so viele widersprüchliche, komplexe Dinge zu fühlen. Plötzlich ahnte sie, dass sich ihre Wut am Ende dieses Rundgangs, wenn sie sich von Angesicht zu Angesicht im Wohnzimmer gegenübersaßen, explosionsartig auf ihren Vater ergießen würde.
Plötzlich spürte sie die Hand ihres Vaters auf ihrem Arm, Halt gebend und beruhigend. Sie schaute in seine blauen Augen, sah die Trauer und das Bedauern in ihnen, vermischt mit äußerster Erleichterung. Er sagte ihr schweigend, dass es in Ordnung sei, er verstand ihre Wut. Sie musste sie nicht verstecken.
Sie schlenderten durch den Rest des Stockwerks und blickten in ein paar der Gästezimmer, so dass Roy einen Eindruck von der Einrichtung bekommen konnte. Er stoppte kurz neben der Tür zu seinem Büro. Als er das letzte Mal da drin gewesen war, war er zwei Jahrzehnte jünger. Seine Haare waren schwarz statt grau, sein Körper schlanker und agiler ohne den leichten Bauch, der jetzt über seinem Hosenbund saß.
„Es ist noch genauso“, antwortete Emily. „Ich habe es nicht verändert.“
Er nickte, sagte aber kein Wort. Sie fragte sich, ob er über die unzähligen Dokumente nachdachte, die er in seinem Schreibtisch eingeschlossen und die sie nun gelesen hatte. Die Briefe und Geheimnisse, die sie von ihm gefunden hatte. Emily wusste, dass es unmöglich war zu wissen, was Roy dachte. Der Mann war ihr jetzt genauso ein Rätsel wie er es immer gewesen war.
Sie gingen in den dritten Stock, und Roy blieb eine Weile neben der Treppe zum Dachausguck stehen. Erinnerte er sich an diesen Silvesterabend, fragte sich Emily. Den einen, an dem er ihr gesagt hatte, sie solle keine Angst haben, ihre Augen öffnen und sich das Feuerwerk ansehen? Oder hatte er all diese Erlebnisse vergessen, wie sie es einmal getan hatte?
Chantelle hüpfte herum und zeigte ihm alle unbewohnten Gästezimmer. Sie schien aufgeregt, ihn hier zu haben, und so stolz, ihm ihr Zuhause zeigen zu können. Emily wünschte, sie könnte sich so leicht fühlen, wie es das Kind konnte, aber in ihrem Kopf ging so viel vor sich, dass sie völlig mit Pein erfüllt war.
„Ich bin wirklich erstaunt über die Arbeit, die du hier geleistet hast“, sagte Roy. „Es kann nicht leicht gewesen sein, alle Gästezimmer mit einem Bad auszustatten.“
„Das war es auch nicht“, antwortete Emily. „Wir hatten nur ungefähr vierundzwanzig Stunden, um es zu machen. Das ist eine lange Geschichte.“
„Ich habe Zeit.“ Roy lächelte.
Emily wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Zeit war nichts, was sie als selbstverständlich in Bezug auf ihn ansah. Sie konnte seinen Gefühlen nicht vertrauen.
„Lass uns ins Wohnzimmer gehen“, sagte sie förmlich. „Möchtest du etwas trinken?“ Als ihr aufging, dass sie gerade einem Alkoholiker einen Drink angeboten hatte, fügte sie schnell hinzu: „Kaffee.“
Mit jedem Schritt die Treppe hinunter fühlte Emily ihren Ärger stärker werden. Sie hasste das Gefühl. Sie wollte, dass dieses Wiedersehen etwas Freudiges war. Aber wie sollte das möglich sein, wenn sie all diesen Groll in sich trug? Ihr Vater musste von dem Schmerz erfahren, den er ihr bereitet hatte.
Sie erreichten das Erdgeschoss. Daniel ging in die Küche um Kaffee zu machen, während Chantelle Roy ins Wohnzimmer führte. Er keuchte auf als in den renovierten Raum kam und sah, wie Emily neue Stile und alte Stile gemischt hatte, so wie sie moderne Kunst und Kandinsky-Glaswaren kombiniert hatte.
„Ist das mein altes Klavier?“, fragte er
Emily nickte. „Ich habe es restaurieren lassen. Der Typ der das gemacht hat, Owen, spielt manchmal hier. Er wird sogar auf unserer Hochzeit spielen.“
Zum ersten Mal fühlte Emily ein Gefühl des Triumphes. Da er nicht lange in Sunset Harbor gelebt hatte, war Owen niemand, den ihr Vater länger oder besser kannte als sie. Es gab Menschen hier, die völlig unbefangen waren, die nicht von der Unannehmlichkeit dieser gemeinsamen Vergangenheit befleckt waren.
„Owen hilft mir beim Singen“, sagte Chantelle.
„Oh, du singst?“, antwortete Roy. „Kann ich ein bisschen davon hören?“
„Vielleicht später“, warf Emily ein. „Chantelle hat mir versprochen, dass sie heute alle ihre Spielsachen aufräumt.“
„Kann ich es nicht später machen?“, jammerte Chantelle.
Sie wollte eindeutig mehr Zeit mit Opa Roy verbringen und Emily konnte es ihr nicht verdenken. An der Oberfläche war er wie ein sanfter Riese, wie ein großer Kuschelbär. Aber Emily konnte nicht länger wegen Chantelle ein vorgetäuschtes Lächeln aufsetzten. Es war Zeit für sie und ihren Vater, wie Erwachsene miteinander zu reden.
Emily schüttelte den Kopf. „Warum machst du es nicht jetzt, dann hast du den ganzen Tag Zeit mit Opa Roy zu spielen, okay?“
Chantelle gab nach und ging aus den Raum, wobei sie bei jedem Schritt aufstampfte.
„Du hast die Flüsterkneipe geöffnet“, bemerkte Roy und blickte auf die prächtig renovierte Bar. Er schien beeindruckt zu sein von der Art und Weise, wie Emily den Zeitgeist der Einrichtung auf die gleiche Weise erhalten hatte wie er, eine Hommage an vergangene Zeiten. „Weißt du, es ist noch genauso, wie es ursprünglich war.“
Sie nickte. „Das habe ich mir gedacht. Bis auf die Schnapsflaschen.“
Ohne Chantelle als Puffer zwischen sich, stieg sie Anspannung zwischen ihnen. Emily deutete auf das Sofa.
„Möchtest du dich hinsetzen?“
Roy nickte und setzte sich hin. Sein Gesicht war blass geworden, als ob er spürte, dass der Moment der Abrechnung kurz bevorstand.
Aber bevor Emily eine Chance dazu hatte, erschien Daniel mit einem Tablett, auf dem die Kaffeekanne, Sahne, Zucker und die Tassen standen. Er stellte es auf den Couchtisch. Stille breitete sich aus, als er die Getränke einschenkte.
Roy räusperte sich. „Emily Jane, wenn du Fragen hast, kannst du sie mir stellen.“
Emilys Fähigkeit, höflich und herzlich zu bleiben, verlor sich. „Warum hast du mich verlassen?“, platzte sie heraus.
Daniels Kopf fuhr überrascht hoch. Seine Augen waren so groß wie Untertassen. Er hatte wahrscheinlich nicht bemerkt, dass Emilys Freude, Roy zurück zu haben, auch ihren Ärger aufgebracht hatte und dass sie ihre Gefühle während der gesamten Hausführung zurückgehalten hatte. Er stand auf.
„Ich sollte euch beiden etwas Zeit geben“, sagte er höflich.
Emily richtete ihre Augen auf ihn. Er sah so peinlich berührt aus, als wäre er plötzlich in eine private Angelegenheit reingeplatzt. Emily fühlte sich ein wenig schuldig, dass sie die Unterhaltung in seiner Gegenwart so schnell unangenehm werden ließ, ohne ihm die Chance zu geben, sich höflicher zurück zu ziehen.
„Danke“, sagte sie, als er aus dem Raum eilte.
Sie wandte ihren Blick wieder ihrem Vater zu. Roy schien von ihrem offensichtlichen Schmerz verletzt zu sein, aber er atmete ruhig und sah sie mit sanften Augen an.
„Ich war gebrochen, Emily Jane“, begann er. „Nach dem Verlust von Charlotte war ich ein gebrochener Mann. Ich trank. Ich hatte Affären. Ich habe meine Freunde in New York City verprellt, bis ich es nicht mehr ertragen konnte, dort zu sein. Deine Mutter und ich haben uns getrennt, obwohl das lange gebraucht hatte. Ich bin hierhergekommen, um mein Leben wieder in den Griff zu bekommen.“
„Du hast es nicht gemacht“, erwiderte Emily heftig. „Du bist weggelaufen. Du hast mich verlassen.“
Sie spürte Tränen in ihren Augen aufsteigen. Die ihres Vaters wurden ebenfalls rot und verhangen. Er sah verschämt in seinen Schoß.
„Ich habe die Dinge einfach ignoriert“, sagte er traurig. „Ich dachte, ich könnte so tun, als wäre alles in Ordnung. Selbst noch Jahre später nach Charlottes Tod, habe ich keine Gefühle zugelassen. Ich bin nie in den Raum gegangen, den ihr euch geteilt habt, und ich habe dich in ein anderes Zimmer gesteckt, daran erinnerst du dich sicherlich.“
Emily nickte. Sie erinnerte sich lebhaft daran, wie ihr Vater ihr den Zugang zu Teilen des Hauses versperrte und ihr während ihrer Sommerbesuche den Zugang zu bestimmten Bereiche verboten hatte - den Dachausguck, den dritten Stock, die Garagen, sein Arbeitszimmer, den Keller -, bis sie fast vergessen hatte, dass sie jemals existierten hatten oder was sie enthielten. Sie erinnerte sich an sein zunehmend unberechenbares Verhalten, seine Besessenheit, Antiquitäten zu sammeln, die ihr weniger als Hobby und eher als ein Zwang erschienen war, und sein Hortungsverhalten. Aber darüber hinaus erinnerte sie sich auch an den schwindenden Kontakt, die Phase bis sie fünfzehn wurde und in der sie immer weniger Zeit mit ihm in Maine verbrachte. Und an den einen Sommer, indem er nicht aufgetaucht war, um sie abzuholen. Seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen.
Emily wollte Verständnis für die Handlungen ihres Vaters aufbringen. Aber obwohl ein Teil von ihr verstand, dass er ein gebrochener Mann war, der eines Tages zerbrochen war, konnte die Qualen, die seine Handlungen verursacht hatten, damit nicht erklärt werden.
„Warum hast du dich nicht einmal verabschiedet?“, fragte Emily, während ihr die Tränen in Strömen über die Wangen liefen. „Wie konntest du einfach so gehen?“
Auch Roy schien von Emotionen überwältigt zu werden. Emily bemerkte, dass seine Hände zitterten. Auch seine Lippen zitterten, als er sprach. „Es tut mir so leid! Diese Entscheidung hat mich seitdem immer verfolgt.“
„Dich verfolgt?“ Emily weinte. „Ich wusste nicht, ob du tot oder lebendig bist! Du hast mich mit dieser Unwissenheit zurückgelassen. Hast du eine Ahnung, was das mit einer Person anstellt? Mein ganzes Leben hat wegen dir stillgestanden! Nur, weil du zu feige warst, auf Wiedersehen zu sagen!“
Roy empfand ihre Worte wie wiederholte Schläge ins Gesicht. Sein Gesichtsausdruck war schmerzerfüllt, als wären es wirklich körperliche Schläge, die sie auf ihn losließ.