Loe raamatut: «Für Immer und Ewig»
F Ü R I M M E R U N D E W I G
(DIE PENSION IN SUNSET HARBOR—BUCH 2)
S O P H I E L O V E
Sophie Love
Sophie Love ist seit jeher ein Fan von Liebesromanen, weshalb sie sich sehr freut, ihre erste Reihe an Liebesbüchern: FÜR JETZT UND FÜR IMMER (DIE PENSION IN SUNSET HARBOR – BUCH 1) zu veröffentlichen.
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BÜCHER VON SOPHIE LOVE
DIE PENSION IN SUNSET HARBOR
FÜR JETZT UND FÜR IMMER (Buch #1)
FÜR IMMER UND EWIG (Buch #2)
FÜR IMMER MIT DIR (Buch #3)
INHALT
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FÜNFZEHN
KAPITEL SECHZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL ACHTZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
KAPITEL ZWANZIG
KAPITEL EINUNDZWANZIG
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
KAPITEL ACHTUNDZWANZIG
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG
KAPITEL DREISSIG
KAPITEL EINS
„Guten Morgen.“
Emily rührte sich und öffnete die Augen. Der Anblick vor ihr war das schönste, was sie sich vorstellen konnte: Daniel lag inmitten der weißen Bettlaken und die Morgensonne zeichnete einen Heiligenschein um sein zerzaustes Haar. Sie holte tief und zufrieden Luft und fragte sich, wie ihr Leben so perfekt geworden war. Nach so vielen Jahren voller Probleme fühlte es sich so an, als ob ihr das Schicksal endlich eine Pause gönnen würde.
„Guten Morgen.“ Sie erwiderte sein Lächeln, dann musste sie gähnen.
Sie kuschelte sich zurück unter die Decke, wobei ihr so gemütlich war und sie sich so warm und entspannt fühlte wie noch nie zuvor. Die stille Ruhe eines Morgens in Sunset Harbor stellte solch einen starken Kontrast zu dem geschäftigen Treiben ihres alten Lebens in New York City dar. Daran könnte sich Emily gewöhnen – an das Geräusch der sich brechenden Wellen in der Ferne, den Geruch des Meeres und an den wunderbaren Mann, der neben ihr im Bett lag.
Sie stand auf und ging zu den großen französischen Türen, die auf einen Balkon hinausführten, welche sie öffnete, damit sie den warmen Sonnenschein auf ihrer Haut spüren konnte. Das Meer glitzerte in der Ferne und Sonnenstrahlen erleuchteten das große Schlafzimmer hinter ihr. Als Emily vor sechs Monaten angekommen war, war es noch eine staubige Ruine gewesen. Nun jedoch war es mit seinen weißen Wänden und der hellen Bettwäsche, dem weichen Teppich, dem wunderschönen Himmelbett und den sorgsam restaurierten Antiquitäten auf den Nachtischschränkchen ein wunderbarer Hafen der Ruhe. Während die Sonne so auf ihr Gesicht schien, hatte Emily zum ersten Mal das Gefühl, dass alles perfekt wäre.
„Bist du bereit für deinen großen Tag?“, fragte Daniel vom Bett aus.
Emily zog die Augenbrauen zusammen, ihre Gedanken waren vom Schlaf immer noch zu benebelt, um zu verstehen, was er meinte.
„Mein großer Tag?“
Daniel grinste.
„Dein erster Kunde. Erinnerst du dich nicht mehr?“
Emily brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu ordnen. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass ihr erster Gast, Mr. Kapowski, im Zimmer am Ende des Korridors schlief. Das Haus, das sie seit sechs Monaten renovierte, war von einem Familienheim in ein Unternehmen umgewandelt worden, was bedeutete, dass sie Frühstück richten musste.
„Wie spät ist es?“, wollte sie wissen.
„Acht“, antwortete Daniel.
Emily versteifte sich.
„Acht?“
„Ja.“
„Oh Nein! Ich habe verschlafen!“, schrie Emily und rannte wieder vom Balkon in das Schlafzimmer. Sie schnappte sich den Wecker und schüttelte ihn wütend. „Du hättest mich um sechs Uhr aufwecken sollen, du dummes Ding!“
Sie stellte ihn kraftvoll auf das Nachttischschränkchen zurück, dann stürmte sie zu der Kommode, um sich Kleidung zu holen, wobei sie Oberteile und Hosen im ganzen Raum verteilte. Nichts davon sah professionell genug aus. Sie hatte ihre gesamte Bürokleidung aus ihrem alten Leben in New York weggeworfen, und jetzt besaß sie nur noch praktische Kleidungsstücke.
„Beruhige dich“, gluckste Daniel im Bett. „Es ist alles in Ordnung.“
„Wie sollte es bitte alles in Ordnung sein?“, schrie Emily, während sie mit einem Bein in der Hose herumhüpfte. „Frühstück gibt es ab sieben Uhr!“
„Und es dauert nur fünf Minuten, ein Ei zu pochieren“, entgegnete Daniel.
Emily verharrte auf der Stelle, halb angezogen und mit einem Gesichtsausdruck, als ob sie ein Gespenst gesehen hätte. „Glaubst du, er möchte ein pochiertes Ei? Ich habe keine Ahnung, wie man ein Ei pochiert!“
Anstatt sie zu beruhigen, versetzten Daniels Worte sie nur noch mehr in Panik. Sie zog einen zerknitterten, fliederfarbenen Pullover aus der Kommode und über ihren Kopf, wobei sich ihre Haare statisch aufluden und in alle Richtungen abstanden.
„Wo ist mein Mascara?“, schrie Emily, während sie im Zimmer umherrannte. „Und hör endlich auf, mich auszulachen!“, fügte sie mit einem finsteren Blick in Daniels Richtung hinzu. „Das ist nicht witzig. Ich habe einen Gast. Einen zahlenden Gast! Und keine anderen Schuhe als Sneakers. Warum habe nur all meine High Heels weggeworfen?“
Daniel konnte sein Lachen nicht mehr länger unterdrücken.
„Ich lache dich nicht aus“, brachte er schließlich hervor. „Ich lache, weil ich glücklich bin. Weil es mich glücklich macht, mit dir zusammen zu sein.“
Emily hielt inne, denn seine Worte zogen an ihrem Herzen. Sie schaute zu ihm hinüber, wo er träge wie ein Gott in ihrem Bett lag. Doch sein Gesichtsausdruck machte es ihr unmöglich, lange auf ihn sauer zu sein.
Daniel wandte den Blick ab. Obwohl Emily mittlerweile daran gewohnt war, dass sich Daniel verschloss, wenn es um seine Gefühle ging, störte es sie immer noch. Ihre eigenen Gefühle waren so offensichtlich, als ob sie transparent wären. Emily zweifelte nicht daran, dass sie ihr Herz auf der Zunge trug.
Aber manchmal wusste sie nicht so genau, woran sie bei ihm war. Sie konnte sich bei ihm nie sicher sein, was sie fast schon schmerzhaft an ihre vorherigen Beziehungen erinnerte, an die Unsicherheit, die sie damals empfunden hatte, als ob sie auf dem Deck eines schaukelnden Schiffes auf hoher See stünde und sich niemals an die Wellen gewöhnen würde. Sie wollte nicht, dass sich die Geschichte mit Daniel wiederholte. Sie wollte, dass es mit ihm anders war. Aber die Erfahrung hatte ihr gelehrt, dass man im Leben nur selten das bekam, was man wollte.
Sie drehte sich, nun ganz still, wieder zu ihrer Kommode und steckte sich zwei silberne Ohrringe an.
„Das muss reichen“, sagte sie, wobei ihr Blick von Daniels Spiegelbild zu ihrem eigenen zuckte. Jetzt sah sie nicht mehr wie ein in Panik geratenes Mädchen, sondern vielmehr wie eine zielstrebige Geschäftsfrau aus.
Entschlossenen Schrittes trat Emily zur Tür hinaus und stellte fest, dass alles still war. Der Flur im oberen Stockwerk war einfach atemberaubend, die schönen Wandleuchten und der tolle Kronleuchter fingen das Morgenlicht ein, brachen die Strahlen und verteilten sie im gesamten Flur. Der Dielenboden war zur Perfektion poliert worden und verlieh dem ganzen einen rustikalen und doch glamourösen Touch.
Emily schaute den Flur entlang zu dem Zimmer, das einmal ihr und Charlotte gehört hatte. Es zu renovieren war ihr am schwersten gefallen, weil sie das Gefühl gehabt hatte, die Erinnerung an ihre Schwester auszulöschen. Aber all die Dinge, die Charlotte gehört hatten, hatte sie an einem besonderen Platz auf dem Dachboden verstaut, und Emilys Freundin Serena, eine Künstlerin aus der Umgebung, hatte aus den Kleidern ihrer Schwester ein einzigartiges Kunstwerk geschaffen. Trotzdem war ihr nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass jetzt ein Fremder auf der anderen Seite der Tür schlief, ein Fremder, dem sie jetzt das Frühstück zubereiten musste. Bei all ihren Träumereien, das Haus in eine Pension umzuwandeln, hatte sie sich nie vorgestellt, wie es eigentlich sein, ausschauen oder sich anfühlen würde. Plötzlich kam sie sich schrecklich unvorbereitet vor, wie ein Kind, das vorgab, erwachsen zu sein.
So leise wie möglich schlich Emily den Flur entlang zur Treppe. Der neue, cremefarbene Teppich fühlte sich unter ihren Füßen himmlisch an und sie kam nicht umhin, ihn mit bewunderndem Blick zu betrachten. Die Umwandlung des Hauses war ein echtes Wunder. Es gab zwar immer noch Arbeit – das zweite Obergeschoss war noch ein komplettes Chaos, dort hatte sie noch keinen einzigen Raum betreten, ganz zu schweigen von den Außengebäuden, in denen es einen vernachlässigten Pool und eine Unmenge an Kartons gab, die durchgeschaut werden mussten. Aber sie war immer noch begeistert, was sie bisher mit ein wenig Hilfe der freundlichen Einwohner Sunset Harbors geschafft hatte. Das Haus fühlte sich jetzt viel freundlicher an, auch wenn es immer noch Geheimnisse in sich barg. Insbesondere ein bestimmter Schlüssel war ihr ein Rätsel. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte das entsprechende Schloss nicht finden. Sie hatte alle Schubladen des Schreibtisches und alle Schranktüren überprüft, doch bis jetzt war sie noch nicht fündig geworden.
Emily ging die lange Treppe hinunter, dessen poliertes Geländer nun glänzte. Der weiche Teppich sah prächtig aus und die Messingstäbe, die ihn an die Stufen drückten, passten perfekt zu dem Farbschema. Doch als sie den Boden betrachtete, fiel ihr ein Fleck auf dem Teppich auf – ein schmieriger, schlammiger Fußabdruck, der eindeutig von einem Männerstiefel stammte.
Emily hielt auf der untersten Stufe inne. Daniel sollte vorsichtiger sein, wenn er herumstapfte, dachte sie.
Doch dann erkannte sie, dass der Fußabdruck in die andere Richtung, nämlich zur Eingangstür, zeigte, was bedeutete, dass jemand hinuntergegangen sein musste. Aber wenn Daniel noch im Bett lag, dann konnte der Fußabdruck nur von ihrem Gast, Mr. Kapowski, stammen.
Emily rannte zur Eingangstür und riss sie auf. Gerade erst am Tag zuvor war Mr. Kapowski mit seinem Kombi die neue Einfahrt hinaufgefahren und hatte hier geparkt. Doch jetzt war sein Auto weg.
Sie konnte es nicht glauben.
Er war einfach abgehauen.
KAPITEL ZWEI
Panisch rannte Emily zurück ins Haus.
„Daniel!“, rief sie die Treppe hinauf. „Mr. Kapowski ist verschwunden! Er ist gegangen, weil ich nicht rechtzeitig aufgestanden bin, um ihm das Frühstück zu richten!“
Daniel tauchte, nur mit seiner Schlafanzughose bekleidet, am oberen Ende der Treppe auf, seine breiten Schultern und seine muskulöse Brust waren unbedeckt. Sein Haar war ein einziges Durcheinander und ließ ihn wie einen gehetzten Schuljungen aussehen.
„Er ist wahrscheinlich nur zu Joe’s gegangen“, meinte er, während er die Stufen zu ihr hinunterstapfte. „Immerhin hast du ihm sehr ausführlich geschildert, wie gut die Waffeln dort sind, erinnerst du dich nicht mehr?“
„Aber ich sollte ihm doch eigentlich Frühstück richten!“, rief Emily. „Es ist schließlich ein Bed and Breakfast, nicht nur ein Bed!“
Daniel erreichte das Ende der Treppe und nahm Emily in die Arme, die er sanft um ihre Hüfte legte. „Vielleicht wusste er nicht, wofür das zweite B steht. Vielleicht dachte er, es heißt Bad. Oder Bananen“, scherzte er. Dann drückte er einen Kuss in ihren Nacken, doch Emily schob ihn weg und löste sich aus seinen Armen.
„Daniel, hör auf, Scherze zu machen!“, schrie sie. „Das ist eine ernste Angelegenheit. Er ist mein allererster Gast und ich war nicht rechtzeitig wach, um ihm das Frühstück zu richten.“
Daniel schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen zugleich voller Liebe und Schalk.
„Das ist doch keine große Sache. Jetzt isst er sein Frühstück stattdessen unten am Meer. Er ist schließlich im Urlaub, nicht wahr?“
„Aber von meiner Veranda aus hat man auch Meerblick“, stammelte Emily mit dünner werdender Stimme. Sie ließ sich auf die unterste Stufe niedersinken und fühlte sich klein, wie ein Kind, das man dazu verdonnert hatte, auf der stillen Treppe zu sitzen. Dann legte sie ihren Kopf in die Hände. „Ich bin eine schreckliche Gastgeberin.“
Daniel rieb ihre Schultern. „Das stimmt nicht. Du bist einfach noch nicht so sicher auf den Beinen. Alles ist fremd und neu. Aber du machst das gut. Okay?“
Das letzte Wort sprach er mit einer gewissen, fast schon väterlichen Strenge aus, die Emily sofort tröstete. Sie schaute zu ihm auf.
„Soll ich dir wenigstens ein Ei kochen?“, fragte sie.
„Das wäre wunderbar.“ Daniel lächelte. Er legte seine Hände an ihre Wangen und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen.
Zusammen gingen sie in die Küche. Das Geräusch der sich öffnenden Eingangstür weckte die Hündin Mogsy und ihren Welpen Rain, die im Handwerksraum auf der anderen Seite der Stalltür schliefen, auf. Emily wusste, dass sie die Hunde nicht in die Küche oder die anderen Bereiche des Hauses lassen durfte, die sie für ihre Pension brauchte. Bei diesem Punkt ließ sich nicht verhandeln, wenn sie nicht umgehend aus Gesundheits- und Sicherheitsgründen schließen wollte, doch trotzdem hatte sie ein schlechtes Gewissen, die Hunde in einem so kleinen Teil des Hauses einzusperren. Sie erinnerte sich daran, dass es nur eine Zwischenlösung war. Sie hatte es geschafft, unter ihren Freunden in der Stadt für vier von Mogsys fünf Welpen ein Zuhause zu finden, doch Rain, das schwache Nesthäkchen, ließ sich nicht so einfach verkaufen und niemand schien auch nur das geringste Interesse daran zu haben, die Mutter bei sich aufzunehmen, die, um ehrlich zu sein, ganz schön hässlich war.
Sobald die Hunde rausgelassen und gefüttert worden waren, ging Emily zurück in die Küche. In der Zwischenzeit war Daniel in den Garten gegangen, um frische Eier von den beiden Hennen Lola und Lolly zu holen, und hatte bereits eine Kanne Kaffee gekocht. Emily nahm dankbar eine Tasse entgegen und sog das Aroma ein. Anschließend ging sie zu dem großen Aga-Herd – ein weiteres Relikt ihres Vaters, das sie restauriert hatte – und machte sich daran, die Eier zu pochieren.
Unter allen Zimmern im Haus mochte Emily die Küche am liebsten. Bei ihrer Ankunft war der arme Raum von der Zeit und der Vernachlässigung schwer gezeichnet gewesen, dann war ein Sturm hindurchgefegt und hatte weiteren Schaden verursacht, und anschließend war der Toaster explodiert und hatte ein Feuer ausgelöst. Der Schaden, der durch den Rauch entstanden war, hatte eine größere Zerstörungskraft besessen als das eigentliche Feuer, welches lediglich ein Regal beschädigt und mehrere Kochbücher zerfressen hatte, wohingegen der Rauch in jeden Spalt gedrungen war und schwarze Schlieren sowie den Geruch verbrannten Plastiks zurückgelassen hatte.
In gerade einmal sechs Monaten war dem Raum alles, was nur schiefgehen konnte, zugestoßen. Doch sie hatte sich ein paar zermürbende Nächte lang abgerackert, um alles zu erneuern, und nun strahlte die Küche mit ihrem Retro-Kühlschrank und dem originalgetreuen, weißen, im Viktorianisch-Belfast Stil gehaltenen Spülbecken sowie den marmornen Arbeitsflächen einen gewissen Charme aus.
„Anscheinend“, bemerkte Emily, während sie ihren fünften Versuch eines pochierten Eies auf Daniels Teller plumpsen ließ, „bin ich wohl doch keine so abgrundtief schlechte Köchin.“
„Siehst du?“, entgegnete Daniel, als er in die weiße Haut eines Eies stach, wodurch sich das goldene Eigelb auf seinem Toast verteilte. „Ich habe es dir doch gesagt. Du solltest mir öfter zuhören.“
Emily seufzte und genoss Daniels sanften Humor. Ihr Exfreund Ben hatte sie nie auf die gleiche Weise zum Lachen gebracht wie Daniel. Er hatte sie in panischen Momenten auch nicht beruhigen können. Mit Daniel erschien es ihr, als ob sie alles schaffen könnte. Egal, ob es sich um einen Sturm oder ein Feuer handelte, er gab ihr immer das Gefühl, dass alles in Ordnung und kontrollierbar war. Seine Standfestigkeit war einer der Gründe, warum sie sich so zu ihm hinzogen fühlte. Er konnte sie auf die gleiche Weise beruhigen und trösten wie es ein Blick auf das Meer vermochte. Ihr kam ihre Beziehung wie eine reißende Flut vor, die sie nicht kontrollieren konnten, selbst wenn sie es wollten.
„Also“, sagte Daniel, während er fröhlich sein Frühstück verdrückte, „wenn wir hier fertig sind, sollten wir uns wohl besser fertigmachen.“
„Für was denn?“, fragte Emily, die an ihrer zweiten Tasse dampfend heißem, schwarzem Kaffee nippte.
„Heute findet die Memorial Day Parade statt“, erklärte Daniel.
Emily erinnerte sich vage daran, sich als Kind die Parade angesehen zu haben und wollte sie sich eigentlich wieder anschauen, doch sie hatte heute schon genug vermasselt, um sich einen Ausflug zu gönnen.
„Ich habe hier zu viel zu tun. Ich muss das Gästezimmer richten.“
„Das ist bereits erledigt“, erwiderte Daniel. „Ich habe den Raum aufgeräumt, während du bei den Hunden warst.“
„Wirklich?“, hakte Emily argwöhnisch nach. „Hast du auch die Handtücher gewechselt?“
Daniel nickte.
„Und die Mini-Shampoo-Fläschchen?“
„Jap.“
„Was ist mit den kleinen Beutelchen Kaffee und Zucker?“
Daniel zog eine Augenbraue hoch. „Ich habe alles ausgetauscht, was ausgetauscht werden musste. Ich habe das Bett gemacht – und bevor du fragst, ja, ich weiß, wie man ein Bett macht, immerhin habe ich jahrelang alleine gelebt. Alles ist bereit für deinen Gast, wenn er zurückkommt. Gehst du nun also mit zu der Parade?“
Emily schüttelte den Kopf. „Ich muss hier sein, wenn Mr. Kapowski zurückkommt.“
„Du musst nicht wie eine Nanny auf ihn aufpassen.“
Emily kaute auf ihrer Lippe herum. Sie war nervös wegen ihres ersten Gastes und wollte unbedingt gute Arbeit leisten. Wenn das hier nicht funktionierte, dann müsste sie mit eingezogenem Schwanz nach New York zurückkehren, wo sie wahrscheinlich auf Amys Couch, oder sogar noch schlimmer, im Gästezimmer ihrer Mutter schlafen würde.
„Aber was ist, wenn er etwas braucht? Mehr Kissen? Oder – “
„ – mehr Bananen?“, unterbrach Daniel sie mit einem Grinsen.
Emily seufzte und gab sich geschlagen. Daniel hatte Recht. Mr. Kapowski würde nicht von ihr erwarten, dass sie ihn auf Schritt und Tritt bediente. Wenn überhaupt, dann würde er es wahrscheinlich vorziehen, dass sie sich nicht zu sehr einmischte. Immerhin war er ja im Urlaub. Die meisten Menschen wollten in solchen Momenten einfach nur ihre Ruhe.
„Komm schon“, drängte Daniel. „Es wird bestimmt lustig.“
„Na gut“, sagte Emily schließlich. „Ich werde mitkommen.“
*
Emily sah Flaggen der USA so weit das Auge reichte. Ihr Blick war zu einer Art Kaleidoskop aus Sternen und Streifen geworden, was sie in Erstaunen versetzte. Die Flaggen hingen in jedem Schaufenster und in Form von gestrickten Girlanden von jedem Laternenmast. Es waren sogar welche an der Rückseite von Bänken befestigt. Doch all das war nichts im Vergleich zu der Anzahl an Flaggen, die von vorbeilaufenden Passanten geschwungen wurden. Jeder, der auf dem Gehsteig lief, schien eine zu besitzen.
„Daddy“, sagte Emily und schaute zu ihrem Vater auf. „Kann ich auch eine Flagge haben?“
Der große Mann lächelte zu ihr hinunter. „Natürlich kannst du das, Emily Jane.“
„Ich auch, ich auch!“, ertönte eine kleine Stimme.
Emily drehte sich um und entdeckte ihre Schwester Charlotte, um deren Hals ein grell-violetter Schal hing, der überhaupt nicht zu ihren Marienkäfer-Stiefeln passte. Sie war gerade einmal ein Kleinkind, das kaum aufrecht stehen konnte.
Die beiden Mädchen folgten ihrem Vater Hand in Hand über die Straße und in einen kleinen Laden, der hausgemachte Essiggurken und Soßen in Gläsern verkaufte.
„Hallo Roy.“ Die Dame hinter der Ladentheke strahlte. Dann lächelte sie die zwei kleinen Mädchen an. „Seid ihr bereit für den Feiertag?“
„Niemand begeht den Memorial Day wie Sunset Harbor“, sagte ihr Vater mit seiner lockeren Freundlichkeit. „Ich hätte gerne zwei Flaggen für die Mädchen, Karen.“
Die Dame holte ein paar Fahnen hinter der Theke hervor. „Warum nehmt ihr nicht gleich drei davon?“, meinte sie. „Dann hast du auch eine!“
„Warum nicht vier Fahnen?“, wollte Emily wissen. „Wir sollten Mami auch eine mitbringen.“
Roys Kiefer spannte sich an und Emily wusste sofort, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. Mami würde keine Fahne wollen. Mami war für den Wochenendtrip nicht einmal mit ihnen nach Sunset Harbor gekommen. Sie waren nur zu dritt. Wieder einmal. In letzter Zeit schienen sie immer häufiger nur zu dritt zu sein.
„Zwei genügen völlig“, beschloss ihr Vater mit leicht angespannter Stimme. „Sie sind nur für die Kinder.“
Die Frau hinter der Ladentheke gab den Mädchen je eine Flagge, doch ihre Freundlichkeit wurde durch eine peinliche Unbehaglichkeit ersetzt, als sie erkannte, dass sie versehentlich eine unausgesprochene, unsichtbare Linie überkreuzt hatte.
Emily beobachtete, wie ihr Vater die Frau bezahlte und ihr dankte, wobei ihr sein gezwungenes Lächeln und seine angespannte Körperhaltung auffielen. Sie wünschte, sie hätte Mami nicht erwähnt. Sie schaute auf die Flagge in ihrer Hand, die in einem Handschuh steckte, und hatte plötzlich keine Lust mehr zu feiern.
Emily schnappte nach Luft, sie befand sich wieder auf der High Street Sunset Harbors, doch diesmal mit Daniel an ihrer Seite. Sie schüttelte den Kopf, um die herumschwirrenden Gedanken zu vertreiben. Das war nicht das erste Mal, dass sie eine verlorene Erinnerung plötzlich wiedererlangte, doch die Erfahrung erschütterte sie immer noch zutiefst.
„Geht es dir gut?“, fragte Daniel, der sie mit besorgter Miene sanft am Arm berührte.
„Ja“, antwortete Emily mit schwacher Stimme. Sie versuchte zu lächeln, doch schaffte es gerade einmal, ihre Mundwinkel leicht anzuheben. Sie hatte Daniel nichts davon erzählt, dass ihre Kindheitserinnerungen Stück für Stück zurückkehrten, denn sie wollte ihn nicht verschrecken.
Entschlossen, sich durch die aufdringlichen Erinnerungen nicht die Freude des Tages vermiesen zu lassen, stürzte sich Emily in die Feierlichkeiten. Seit sie diesen Tag zum letzten Mal hier verbracht hatte, waren schon viele Jahre vergangen, doch trotzdem war Emily von dem Spektakel fasziniert. Sie war verwundert, was diese Kleinstadt aus einer Feierlichkeit machen konnte. Die Traditionen der Stadt gehörte zu den Dingen, die sie mittlerweile an Sunset Harbor zu lieben gelernt hatte. Sie ahnte, dass der Memorial Day zu einem weiteren ihrer Lieblings-Feiertage werden würde.
„Hi, Emily!“, rief Raj Patel von der anderen Straßenseite aus. Er und seine Frau Dr. Sunita Patel, die Emily mittlerweile als gute Freunde ansah, spazierten die Straße entlang.
Emily winkte ihnen zu, bevor sie sich an Daniel wandte: „Oh, schau nur. Da sind Birk und Bertha. Und liegt da nicht Baby Katy in dem Kinderwagen von Jason und Vanessa?“ Dabei deutete sie auf den Besitzer der Tankstelle und seine behinderte Frau. Neben ihnen stand ihr Sohn, der Feuerwehrmann, der Emilys Küche vor einem Inferno gerettet hatte. Er und seine Frau hatten vor kurzem ihr erstes Kind, ein Mädchen namens Katy, bekommen und einen von Emilys Welpen als Geschenk für ihre Tochter bei sich aufgenommen. „Wir sollten zu ihnen hinübergehen und hallo sagen“, meinte Emily, die mit ihren Freunden sprechen wollte.
„Gleich“, erwiderte Daniel und stieß sie mit seiner Schulter an. „Die Parade beginnt.“
Emily schaute die Straße hinunter, wo sich die Blaskapelle der High School formierte, um mit dem Festzug zu beginnen. Nun wurde die Trommel geschlagen und gleich darauf setzten die Blechblasinstrumente mit dem Lied „When the Saints Go Marching In“ ein. Emily sah verzückt zu, wie die Band an ihr vorbeizog. Hinter ihnen liefen Cheerleader, die passende rot-weiß-blaue Kostüme trugen. Sie machten Rückwärts-Saltos und schmissen ihre Beine in die Luft, während sie der Band folgten.
Als nächstes kam eine Gruppe Kindergartenkinder, deren Gesichter bemalt waren. Sie hatten dicke Wangen und schauten engelhaft aus. Bei ihrem Anblick verspürte Emily einen kleinen Stich. Kinder zu bekommen war für sie nie besonders wichtig gewesen – in Anbetracht der Tatsache, wie angespannt das Verhältnis zu ihrer eigenen Mutter war, hatte sie es nicht eilig, selber eine zu werden – doch nun, als sie die Kinder während der Parade sah, erkannte Emily, dass sich etwas in ihr verändert hatte. Jetzt brannte ein neues, ziehendes Verlangen in ihr. Sie schaute zu Daniel und fragte sich, ob er wohl genauso empfand, ob der Anblick der liebenswürdigen Kleinkinder den gleichen Effekt auf ihn hatte, doch wie immer war sein Ausdruck schwer zu lesen.
Die Parade ging weiter. Als nächstes kam eine Gruppe abgehärtet aussehender Frauen vom ortsansässigen Skate-Club. Sie sprangen mit ihren Skateboards umher und rasten den Weg entlang. Ihnen folgten ein paar Stelzenläufer sowie ein großes Floß, auf dem sich eine aus Karton geformte Statue Abraham Lincolns befand.
„Emily, Daniel“, ertönte eine Stimme hinter ihnen. Es war Bürgermeister Hansen, an dessen Seite Marcella stand, die mehr als nur ein wenig gestresst aussah. „Gefallen Ihnen die Festlichkeiten?“, fragte Bürgermeister Hansen. „Es mag zwar nicht das erste Mal sein, dass Sie die Parade sehen, aber vielleicht das erste, an das Sie sich erinnern werden.“
Er gluckste unschuldig, doch Emily wand sich innerlich. Sie versuchte, nach außen hin ruhig und fröhlich zu wirken.
„Sie haben Recht. Leider erinnere ich mich nicht mehr daran, als Kind hierhergekommen zu sein, aber es gefällt mir sehr gut. Was ist mit Ihnen, Marcella?“, fügte sie hinzu, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. „Sind Sie zum ersten Mal hier?“
Marcella nickte nur kurz und entschieden, dann konzentrierte sie sich wieder auf ihr Klemmbrett.
„Beachten Sie sie gar nicht.“ Bürgermeister Hanson gluckste. „Sie ist ein Workaholic.“
Marcella schaute kurz auf, doch Emily genügte der Moment, um die Frustration in ihren Augen zu sehen. Es war offensichtlich, dass sie von der entspannten Einstellung des Bürgermeisters genervt war. Emily konnte mit Marcella mitfühlen. Vor sechs Monaten war sie genauso gewesen: zu ernst, zu gestresst, sie hatte sich nur mit Kaffee auf den Beinen halten können und hatte Angst davor gehabt, zu versagen. Marcella anzusehen war, wie ein Spiegelbild ihres jüngeren Selbst vor Augen zu haben. Emily hoffte nur, dass sie schnell lernen würde, sich zu entspannen, und dass Sunset Harbor ihr dabei helfen würde, ihre eng gespannten Nerven zu lockern, wenn auch nur ein kleines bisschen.
„Wie dem auch sei“, meinte Hansen, „lassen Sie uns zum Punkt kommen. Ich muss Medaillen verteilen, nicht wahr, Marcella? Es findet eine Preisverleihung für so ein Ei-und-Löffel-Rennen statt.“
„Es sind Olympische Spiele für unter Fünfjährige“, verbesserte ihn Marcella mit einem tiefen Seufzer.
„Genau, das meinte ich“, entgegnete Bürgermeister Hansen und die beiden verschwanden wieder in der Menge.
Daniel lächelte. „Es ist einfach unmöglich, sich nicht in diese verrückte Stadt zu verlieben“, sagte er, während er seinen Arm um Emily legte.
Sie kuschelte sich an ihn, denn dort fühlte sie sich sicher und beschützt. Zusammen beobachteten sie, wie eine Conga-Gruppe vorbeizog, und winkten ihren Freuden, als diese vorbeikamen: Cynthia aus dem Buchladen, deren Kleidung sich mit ihrem grell orangenen Haar biss, Charles und Barbara Bradshaw aus dem Fischladen, Parker vom Bio-Obst- und Gemüseverkauf.