Die Stunde Gottes

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Die Stunde Gottes
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Die Stunde Gottes

Sri Aurobindo


SRI AUROBINDO

DIGITAL EDITION


Copyright 2020

AURO MEDIA

Verlag und Fachbuchhandel

Wilfried Schuh

www.auro.media

eBook Design


SRI AUROBINDO DIGITAL EDITION

Deutschland, Berchtesgaden

www.auromira.digital

Die Stunde Gottes Sri Aurobindo 2. überarbeitete Aufl. 2020 ISBN 978-3-937701-44-8


© Fotos und Textauszüge Sri Aurobindos und der Mutter:

Sri Aurobindo Ashram Trust

Puducherry, Indien

Anmerkung des Herausgebers

Die vorliegende Ausgabe1 von Die Stunde Gottes ist gänzlich neu geordnet worden. Mehrere Schriften, die in diesem Buch bisher erschienen sind, wurden fortgelassen und zehn neue, nie zuvor in Buchform veröffentlichte wurden aufgenommen. Die Reihenfolge der beibehaltenen Schriften wurde geändert; die gegenwärtige Anordnung ist weitgehend chronologisch. Die Titel mehrerer Schriften wurden geändert, meistens um Übereinstimmung mit einem von Sri Aurobindo in seinem Manuskript verwendeten Titel zu erzielen. Redaktionelle Überschriften aus früheren Ausgaben des Buches, die unzusammenhängende Schriften vereinigen sollten, wurden fortgelassen.

Die Stunde Gottes setzt sich aus kurzen Prosa-Stücken zusammen, die zwischen 1910 und 1940 entstanden sind und posthum veröffentlicht wurden. Diejenigen, die für dieses Buch unter den vielen in diesem Zeitraum verfassten Schriften ausgewählt wurden, erfüllen drei zusätzliche Kriterien. Diese sind: (1) volle Ausarbeitung – Schriften, die mehr die Form von Notizen als von Essays haben, wurden nicht aufgenommen; (2) Vollständigkeit – unvollständige Entwürfe und Fragmente wurden nicht aufgenommen; (3) Lesbarkeit des Manuskripts – Schriften, die bei der Transkription besondere Schwierigkeiten bereiten, wurden nicht aufgenommen.

Schriften, die aus der jetzigen Ausgabe ausgeschieden wurden, werden mit anderen, noch nicht in Buchform veröffentlichten zusammengefasst werden, um eine vollständige Sammlung von Sri Aurobindos Notizen, Fragmenten u.s.w. zu erstellen, die in Kürze erscheinen wird.

Die Texte aller im vorliegenden Band veröffentlichten Schriften sind mit Sri Aurobindos handgeschriebenen Manuskripten verglichen worden.

Einzelheiten über die Texte sind in den Anmerkungen am Ende des Buches zu erfahren. Die in devanagari-Schrift gedruckten Sanskritworte werden dort definiert. Transliterierte Sanskritworte werden in einem getrennten Glossar erklärt.

Von einigen Schriften wurden Teile des Manuskripts erst vor kurzem entdeckt; diese Teile erscheinen mit der vorliegenden Ausgabe erstmals in einem Buch. Die auffälligste Ergänzung dieser Art ist die in „Die Stunde Gottes“ vorgenommene. Seit seinem ersten Erscheinen im Jahr 1954 fehlten diesem oft wiedergedruckten Essay stets seine letzten anderthalb Absätze. Lediglich der unvollständige Text stand der Mutter zur Verfügung, als ihre Rezitation des Essays auf Band aufgenommen wurde. Mit dem in dieser Ausgabe erscheinenden Text liegt nun eine vollständige Wiedergabe des Manuskripts vor.

* * *

Sri Aurobindo macht von der in der englischen Sprache gegebenen Möglichkeit, Wörter groß zu schreiben, um ihre Bedeutung hervorzuheben, häufig Gebrauch. Mit dieser Großschreibung bezeichnet er meist Begriffe aus übergeordneten Daseinsbereichen, doch auch allgemeine wie Licht, Friede, Kraft usw., wenn sie ihnen einen vom üblichen Gebrauch abweichenden Sinn zuordnen. Diese Begriffe wurden in diesem Buch kursiv hervorgehoben, um dem Leser zu einer leichteren Einfühlung in diese subtilen Unterscheidungen zu verhelfen.

Einige wenige Sanskritwörter wie Sadhana, Sadhaka, Yoga usw. wurden eingedeutscht, da sie durch ihren häufigen Gebrauch bereits als Bestandteil der deutschen Sprache angesehen werden können. Alle anderen Sanskritwörter sind kursiv hervorgehoben, wobei auf diakritische Transkriptionszeichen verzichtet wurde.

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1 Gemeint ist die dieser Übersetzung zugrunde liegende englische Ausgabe. [Anm. d. Ü.]

InhaltTitelseiteCopyrightAnmerkung des HerausgebersI. DIE STUNDE GOTTES1. Die Stunde Gottes2. Das Gesetz des Weges3. Der göttliche ÜbermenschII. ÜBER YOGA1. Gewissheiten2. Erste Definitionen und Beschreibungen3. Das Ziel unseres Yoga4. Das vollständige Ziel des Yoga5. Parabrahman, Mukti und menschliche Denksysteme6. Das evolutionäre Ziel im Yoga7. Die Fülle des Yoga im Bedingten8. Die Natur9. MayaIII. DAS ABSOLUTE UND DIE MANIFESTATION1. OM Tat Sat2. Die höchste Mahashakti3. Die sieben Sonnen des Supramentals4. Die sieben Lebenszentren5. Das höchste in sich abgeschlossene Absolute6. Die Manifestation7. Die Stufenleiter des BewusstseinsIV. MENSCH UND ÜBERMENSCH1. Der Mensch und das Supramental2. Die involvierte und evolvierende Gottheit3. Die Evolution des Bewusstseins4. Der PfadANHANGAnmerkungen zu den TextenSanskrit GlossarGuideCoverInhaltsverzeichnisStart

Teil I

Kapitel 1
Die Stunde Gottes

Es gibt Zeiten, in denen der Geist unter den Menschen weilt und der Atem des Herrn auf den Wassern unseres Seins umgeht; es gibt andere, in denen er sich zurückzieht und es den Menschen überlassen bleibt, in der Kraft oder der Schwäche ihrer eigenen Selbstsucht zu handeln. Die ersten sind Zeiträume, in denen schon eine geringe Anstrengung zu großen Ergebnissen führt und das Schicksal ändert; die zweiten sind Zeitspannen, in denen es vieler Mühe bedarf, um ein kleines Ergebnis zu zeitigen. Es ist wahr, dass letztere die ersteren vorbereiten können, dass sie der wenige Rauch des Opferfeuers sein mögen, der zum Himmel steigt und den Regen der Fülle Gottes herabruft. Unselig ist der Mensch oder die Nation, die, wenn die göttliche Stunde eintritt, schlafend angetroffen wird oder unvorbereitet, sie zu nutzen, weil die Lampe nicht gesäubert wurde zur Begrüßung und die Ohren taub sind für den Ruf. Aber dreimal wehe denen, die stark und bereit sind, doch die Kraft vergeuden oder die Stunde missbrauchen; diese trifft ein nicht wiedergutzumachender Verlust oder eine große Vernichtung.

In der Stunde Gottes läutere deine Seele von aller Selbsttäuschung und Scheinheiligkeit und eitler Selbstschmeichelei, damit du rückhaltlos in deinen Geist zu blicken und das zu vernehmen vermagst, wovon er aufgerufen wird. Jede Unaufrichtigkeit deiner Natur, die einmal deine Wehr gegen den Blick des Meisters und das Licht des Ideals war, wird nun zu einem Sprung in deiner Rüstung und fordert den Schlag heraus. Selbst wenn du für den Augenblick siegreich sein solltest, umso schlimmer ist es für dich, denn der Hieb wird später kommen und dich inmitten deines Triumphs zu Boden werfen. Doch bist du rein, weise alle Furcht von dir; denn die Stunde ist oft schrecklich, ein Feuer und ein Wirbelwind und ein Orkan, ein Treten der Kelter des göttlichen Zorns. Doch wer darin aufrecht stehen kann aufgrund der Wahrhaftigkeit seines Trachtens, der wird bestehen; selbst wenn er fiele, würde er sich wieder erheben; selbst wenn es so aussähe, als trügen ihn die Schwingen des Windes hinweg, würde er wiederkehren. Doch lass weltliche Klugheit dir nicht allzu nah ins Ohr flüstern, denn es ist die Stunde des Unerwarteten, des Unberechenbaren, des Unermesslichen. Messe nicht die Macht des Atems mit deinen unzulänglichen Instrumenten, sondern habe Vertrauen und gehe vorwärts.

 

Doch vor allem halte deine Seele, sei es auch nur für eine Weile, frei vom Lärm des Ego. Dann wird ein Feuer vor dir einhergehen in der Nacht, der Sturm wird dein Gehilfe sein, und deine Fahne wird auf der höchsten Höhe jener Herrlichkeit wehen, die es zu erobern galt.

* * *

Kapitel 2
Das Gesetz des Weges

Zuerst sei dir des Rufes sicher und der Antwort deiner Seele. Denn wenn es nicht der wahre Ruf ist, nicht die Berührung der Mächte Gottes oder die Stimme seiner Boten, sondern der Lockruf deines Ego, dann wird das Ende deiner Mühen ein erbärmliches spirituelles Fiasko oder gar ein tiefes Verhängnis sein.

Und wenn nicht die Leidenschaft der Seele, sondern nur die Zustimmung oder das Interesse deines Mentals auf den göttlichen Ruf antwortet, oder wenn es nur die Wünsche des niederen Lebens sind, die sich der einen oder anderen Annehmlichkeit unter den Früchten der Yogakraft oder der Yogafreude bemächtigen wollen, oder wenn bloß eine vorübergehende Gefühlsregung wie eine unstete Flamme aufflackert, angefacht von der Eindringlichkeit der Stimme oder ihrer Süße oder Erhabenheit, auch dann kann nur geringe Sicherheit für dich bestehen auf dem schweren Weg des Yoga.

Die äußeren Hilfsmittel des sterblichen Menschen haben nicht die Kraft, ihn durch die strengen Prüfungen dieser spirituellen Reise und titanischen inneren Schlacht zu tragen. Sie geben ihm nicht den Mut, seine schrecklichen oder hartnäckigen Feuerproben zu bestehen oder seinen subtilen und entsetzlichen Gefahren zu begegnen. Allein der erhabene und unbeugsame Wille seines Geistes und das nicht zu löschende Feuer der unbesiegbaren Inbrunst seiner Seele reichen für diese schwierige Umwandlung und dieses hohe, unmöglich scheinende Streben aus.

Bilde dir nicht ein, der Weg sei leicht. Der Weg ist lang, mühevoll, gefährlich und schwierig. Auf Schritt und Tritt lauert ein Hinterhalt, an jeder Wende eine Falle. Tausend sichtbare und unsichtbare Feinde werden sich gegen dich erheben, schrecklich in ihrer Hinterlist gegenüber deiner Unwissenheit, furchtbar in ihrer Macht gegenüber deiner Schwäche. Und wenn du sie unter Schmerzen vernichtet hast, werden sich tausend andere erheben, um ihren Platz einzunehmen. Die Hölle wird ihre Horden ausspeien, um sich dir zu widersetzen, dich zu umzingeln, zu verwunden und zu bedrohen. Der Himmel wird dir mit seinen erbarmungslosen Prüfungen und seinen kalt leuchtenden Verweigerungen begegnen. Du wirst dich allein gelassen finden in deiner Not, die Dämonen wütend auf deinem Pfad, die Götter ungeneigt über dir. Uralt und mächtig, grausam, unbesiegt und nah und unzählbar sind die dunklen und schrecklichen Gewalten, die von der Herrschaft der Nacht und der Unwissenheit profitieren und keine Änderung zulassen und feindselig sind. Ungerührt und bedächtig, fern und vereinzelt und kurz in ihrem Erscheinen sind die Leuchtenden, die willens sind oder denen es erlaubt ist, dir zu helfen. Jeder Schritt voran ist eine Schlacht. Es gibt schroffe Abstiege, es gibt nicht enden wollende Aufstiege, und es gilt immer höhere Gipfel zu erobern. Jede erklommene Ebene ist nur eine Etappe auf dem Weg und offenbart endlose Höhen darüber. Jeder Sieg, den du für den endgültigen Triumph deines Kampfes hältst, erweist sich als das Vorspiel zu hundert hitzigen und gefahrvollen Schlachten... Du aber sagst, Gottes Hand werde dich führen und nah sein die Göttliche Mutter mit ihrem hilfreichen und barmherzigen Lächeln? Und du weißt nicht, dass Gottes Gnade weit schwerer zu gewinnen und zu bewahren ist als der Nektar der Unsterblichen oder Kuveras unermessliche Schätze? Frage Seine Auserwählten, und sie werden dir sagen, wie oft der Ewige sein Antlitz vor ihnen verbarg, wie oft er sich ihnen entzog hinter seinem geheimnisvollen Schleier und wie sie sich allein in den Klauen der Hölle fanden, einsam im Schrecken der Finsternis nackt und schutzlos in der Bedrängnis der Schlacht. Und wenn seine Gegenwart hinter dem Schleier fühlbar ist, so ist sie doch wie die Wintersonne hinter Wolken und schützt nicht vor Regen und Schnee und dem verheerenden Sturm und dem rauen Wind und der bitteren Kälte und dem Grau einer düsteren Atmosphäre oder bleiernen Eintönigkeit. Zweifellos ist die Hilfe selbst dann vorhanden, wenn sie sich zurückgezogen zu haben scheint, aber trotzdem gibt es den Anschein völliger Nacht ohne eine Sonne, die aufgehen wird, und ohne einen Stern der Hoffnung, der die Schwärze durchdringt. Wunderschön ist das Gesicht der Göttlichen Mutter, doch auch sie kann hart und furchterregend sein. Ist denn die Unsterblichkeit ein Spielzeug, das man leichthin einem Kind schenkt, oder das göttliche Leben ein mühelos zu erringender Preis oder die Krone für einen Schwächling? Bemühe dich recht, und du wirst erlangen; vertraue, und dein Vertrauen wird am Ende gerechtfertigt sein. Doch das furchtbare Gesetz des Weges besteht, und keiner kann es aufheben.

* * *

Kapitel 3
Der göttliche Übermensch

Ein göttlicher Übermensch und ein vollkommenes Gefäß der Gottheit zu werden – dies ist deine Aufgabe, das Ziel deines Seins und der Grund, aus dem du hier bist. Was immer du sonst zu tun hast, ist nur eine Vorbereitung, eine Freude am Rande des Weges oder ein Abfallen von deiner Bestimmung. Dies aber ist das Ziel und der Zweck; nicht in der Kraft für den Weg und der Freude am Weg, sondern in der Freude des Ziels liegt die Größe und Wonne deines Seins. Der Weg selbst bereitet Freude, weil das, was dich anzieht, bereits mit dir ist auf deinem Pfad; und die Kraft zu steigen ward dir gegeben, damit du deine eigenen Gipfel erklimmen kannst.

Wenn du eine Pflicht hast, so ist dies deine Pflicht. Wenn du nach deinem Ziel fragst, so lass dies dein Ziel sein. Wenn es dich nach Freude verlangt, so gibt es keine größere Freude, denn jede andere Freude ist stückhaft und begrenzt, die Freude eines Traums, die Freude eines Schlummers oder die Freude des Selbstvergessens. Dies aber ist die Freude deines ganzen Wesens. Solltest du nämlich fragen, was ist denn mein Wesen, dann ist dies dein Wesen, das Göttliche, und alles andere ist nur seine zersplitterte und entstellte Erscheinungsform. Falls du die Wahrheit suchst, dies ist die Wahrheit. Halte sie dir vor Augen und bleibe ihr in allen Dingen treu.

Jemand, der nur durch einen Schleier schaute, aber den Schleier für das Antlitz hielt, hat sehr zutreffend gesagt, dass es dein Ziel sei, du selbst zu werden. Und er sagte ebenso richtig, dass es die Natur des Menschen sei, über sich hinauszuwachsen. Dies ist wahrlich seine Natur, und er selbst zu werden ist in der Tat das göttliche Ziel seiner Selbsttranszendenz.

Was aber ist nun dieses Selbst, das du zu transzendieren hast, und was das Selbst, das du werden musst? Denn hier darfst du keinen Irrtum begehen. Der Irrtum, dich selbst nicht zu kennen, ist nämlich der Ursprung all deines Kummers und der Grund all deines Strauchelns.

Was du zu transzendieren hast ist das Selbst, das du zu sein scheinst; es ist der Mensch, wie du ihn kennst, der scheinbare Purusha. Und was ist dieser Mensch? Er ist ein dem Leben und der Materie versklavtes mentales Wesen; und wo er nicht dem Leben und der Materie versklavt ist, ist er der Sklave seines Mentals. Dies aber ist ein ungeheuer schwerer Sklavendienst; denn der Sklave des Mentals zu sein heißt, der Sklave des Falschen, des Begrenzten und des Scheins zu sein. Das Selbst, das du werden musst, ist das Selbst, das du in deinem Innersten bist, hinter dem Schleier des Mentals, des Lebens und der Materie. Es ist das Spirituelle, das Göttliche, der Übermensch, der wahre Purusha. Denn was über dem mentalen Wesen steht, ist der Übermensch. Es hat zum Meister deines Mentals, deines Lebens und deines Körpers zu werden. Es hat König zu sein über die Natur, der du jetzt als Werkzeug dienst, hoch zu stehen über ihr, die dich jetzt mit ihren Füßen tritt. Es hat frei zu sein und kein Sklave, eins und nicht geteilt, unsterblich und nicht vom Tod überschattet, mit Licht und Seligkeit erfüllt und nicht verfinstert und ein Spielball von Kummer und Leid, in Kraft emporgehoben und nicht in Schwäche niedergeworfen. Es hat im Unendlichen zu leben und das Endliche zu besitzen. Es hat in Gott zu leben und mit ihm wesenseins zu sein. Du selbst zu werden heißt, dies zu sein und alles, was es mit sich bringt.

Sei frei in dir selbst und somit frei in deinem Mental, deinem Leben und deinem Körper. Denn der Geist ist Freiheit.

Sei eins mit Gott und allen Wesen. Lebe in dir selbst und nicht in deinem kleinen Ego. Denn der Geist ist Einheit.

Sei du selbst und unsterblich, schenke dem Tod nicht deinen Glauben. Der Tod erwartet nicht dich, sondern nur deinen Körper. Denn der Geist ist Unsterblichkeit.

Unsterblich sein heißt, unendlich zu sein im Sein, im Bewusstsein und in der Seligkeit. Denn der Geist ist unendlich und alles Endliche existiert nur durch seine Unendlichkeit.

All dies bist du, und deswegen kannst du zu all dem werden. Wärst du es nicht, so könntest du auch nie dazu werden. Nur was in dir ist, kann in deinem Wesen offenbar werden. Zwar scheinst du anders zu sein, doch warum solltest du dich zum Sklaven des Scheins machen?

Erhebe dich lieber, gehe über dich hinaus, werde du selbst. Du bist Mensch, und die ganze Natur des Menschen ist es, mehr als er selbst zu werden. Er war das menschliche Tier, er ist mehr als der animalische Mensch geworden. Er ist der Denker, der Gestalter, der Sucher nach dem Schönen. Er wird mehr sein als der Denker, er wird zum Scher des Wissens werden. Er wird mehr sein als der Gestalter, er wird zum Schöpfer und Meister seiner Schöpfung werden. Er wird mehr sein als der Sucher des Schönen, denn er wird sich aller Schönheit und aller Wonnen erfreuen. Von körperlicher Beschaffenheit, sucht er seine unsterbliche Substanz; von vitaler Natur, sucht er das unsterbliche Leben und die unendliche Macht seines Wesens; mental und einseitig in seinem Wissen, sucht er das völlige Licht und die äußerste Schau.

Dies zu besitzen heißt, der Übermensch zu werden; denn es bedeutet, sich aus dem Bereich des Mentals in das Supramental zu erheben. Nenne es göttliches Mental oder Wissen oder Supramental; in jedem Fall ist es die Macht und das Licht des göttlichen Willens und des göttlichen Bewusstseins. Durch das Supramental sah und erschuf sich der Geist in den Welten. Durch dieses lebt er in ihnen und regiert sie Durch dieses ist er Swarat Samrat, d.h. Selbst-Herrscher und All-Herrscher.

Das Supramental ist der Übermensch; über das Mental hinauszugelangen ist deshalb die Voraussetzung.

Übermensch zu sein heißt, ein göttliches Leben zu leben, ein Gott zu sein; denn die Götter sind die Mächte Gottes. Sei eine Macht Gottes in der Menschheit.

Im göttlichen Wesen zu leben und sich von dem Bewusstsein, der Seligkeit, dem Willen und dem Wissen des Geistes besitzen zu lassen, ihn mit sich und durch sich spielen zu lassen, das ist der Sinn.

Dies ist deine Verklärung auf dem Berge. Sie besteht darin, Gott in dir zu entdecken und ihn dir in allen Dingen offenbar zu machen. Lebe in seinem Wesen, leuchte mit seinem Licht, handle mit seiner Macht, freue dich mit seiner Seligkeit. Sei jenes Feuer und jene Sonne und jenes Meer. Sei jene Freude und jene Größe und jene Schönheit.

Wenn du dies auch nur zum Teil vollbracht hast, hast du die ersten Stufen der Übermenschheit erklommen.

* * *

Teil II

Kapitel 1
Gewissheiten

In der Tiefe ist eine größere Tiefe, in den Höhen eine größere Höhe. Eher wird der Mensch die Grenzen der Unendlichkeit erreichen als die Fülle seines eigenen Wesens. Denn dieses Wesen ist Unendlichkeit, ist Gott.

 

Ich strebe nach unendlicher Kraft, nach unendlichem Wissen, nach unendlicher Seligkeit. Kann ich sie erreichen? Ja, aber es ist die Natur der Unendlichkeit, dass sie kein Ende hat. Sage deshalb nicht, ich erreiche sie. Ich werde zu ihr. Nur indem er Gott wird, kann der Mensch Gott erreichen.

Doch bevor er Ihn erreicht, kann er zu Ihm in Beziehung treten. Beziehungen zu Gott zu knüpfen ist Yoga, ist das höchste Entzücken und der edelste Zweck. Es gibt Beziehungen, die der von uns entwickelten menschlichen Natur zugänglich sind. Sie heißen Gebet, Gottesdienst, Verehrung, Opfer, Denken, Glaube, Wissenschaft, Philosophie. Es gibt andere Beziehungen, die sich den von uns bisher entwickelten Fähigkeiten entziehen, jedoch jener menschlichen Natur zugänglich sein werden, die wir noch zu entwickeln haben. Es handelt sich dabei um jene Beziehungen, die durch die verschiedenen Übungen realisiert werden können, die man im Allgemeinen Yoga nennt.

Es mag sein, dass wir Ihn nicht als Gott kennen, sondern als Natur, als unser Höheres Selbst, als Unendlichkeit, als ein unbeschreibliches Ziel. Auf diese Weise näherte sich Ihm der Buddha; so nähert sich Ihm auch der strikte Monist. Er ist selbst dem Atheisten zugänglich. Dem Materialisten verhüllt Er sich in der Materie. Den Nihilisten lauert Er im Schoße der Vernichtung auf.

* * *