Magellan: Der Mann und seine Tat

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Aber die paradiesische Landschaft, das warme, balsamische Klima lockern bedenklich bei Francisco Serrão das Gefühl für militärische Disziplin. Und mit einemmal wird es ihm höchst gleichgültig, ob irgendwo viele tausend Meilen weit im Palast von Lissabon ein König murrt oder knurrt und ihn aus der Liste seiner Kapitäne oder Pensionäre streicht. Er weiß, er hat genug für Portugal getan, oft genug seine Haut zu Markt getragen. Nun möchte er, Francisco Serrão, endlich einmal anfangen, das Leben dieses Francisco Serrão ebenso behaglich und unbekümmert zu genießen wie alle die andern kleiderlosen und sorglosen Menschen auf diesen seligen Eilanden. Mögen die andern Matrosen und Kapitäne weiter die Meere pflügen, Pfeffer und Zimt für fremde Makler mit ihrem Blut und Schweiß erkaufen, mögen sie weiter als loyale Narren in Gefahren und Schlachten roboten, nur damit die Alfanda von Lissabon mehr Zölle in die Kassen kriege – er persönlich, Francisco Serrão, ci-devant Kapitän der portugiesischen Flotte, hat genug von Krieg und Abenteuern und Gewürzgeschäften. Ohne große Feierlichkeit rückt der tapfere Kapitän aus der heroischen Welt ab in die idyllische und beschließt, fortan auf die ganz primitive, herrlich träge Weise dieses freundlichen Völkchens privatissime zu leben. Die hohe Würde des Großwesirs, mit der ihn der König von Ternate bedenkt, bedrückt ihn nicht sehr mit Arbeit; er hat nur gerade einmal bei einem kleinen Krieg seines Herrschers als militärischer Berater zu figurieren. Zur Belohnung dafür bekommt er aber ein eigenes Haus mit Sklaven und Dienern, außerdem eine hübsche braune Frau, mit der er zwei oder drei halbbraune Kinder zeugt.



Jahre und Jahre bleibt, ein anderer Odysseus, der sein Ithaka vergessen hat, Francisco Serrão in den Armen seiner dunkelhäutigen Kalypso, und kein Engel des Ehrgeizes vermag ihn mehr aus diesem Paradies des dolce far niente zu vertreiben. Neun Jahre bis zu seinem Tode hat dieser freiwillige Robinson, dieser erste Kulturflüchtling, die Sundainseln nicht mehr verlassen, von allen Konquistadoren und Capitanos der portugiesischen Heldenzeit nicht gerade der heroischeste, aber wahrscheinlich der klügste und auch der glücklichste.



Diese romantische Weltflucht Francisco Serrãos scheint zunächst ohne Bezug auf das Leben und die Leistung Magellans. In Wahrheit aber hat gerade der epikuräische Verzicht des einen kleinen und höchst unberühmten Kapitäns den allerentscheidendsten Einfluß auf Magellans Lebensgestaltung und damit auf die Geschichte der Weltentdeckung geübt. Denn über die riesige räumliche Ferne hinweg bleiben die beiden Blutsfreunde in ständiger Verbindung. Jedesmal, wenn sich Gelegenheit bietet, von seiner Insel aus eine Botschaft nach Malacca und von dort nach Portugal zu schicken, schreibt Serrão an Magellan ausführliche Briefe, die begeistert den Reichtum und die Annehmlichkeit seiner neuen Heimat rühmen. Wörtlich schreibt er: »Ich habe hier eine neue Welt gefunden, reicher und größer als die Vasco da Gamas«, dringend mahnt er, ganz umstrickt vom Zauber der Tropen, den Freund, endlich doch das undankbare Europa und den wenig einträglichen Dienst zu lassen und baldigst ihm nachzukommen. Und es ist kaum zu bezweifeln, daß es Francisco Serrão gewesen, der zuerst Magellan auf den Gedanken gebracht, ob es bei der fernöstlichen Lage dieser Inseln nicht rätlicher wäre, sie auf dem Wege des Columbus (von Westen her) statt auf jenem Vasco da Gamas (von Osten her) aufzusuchen.



Wie weit die Verhandlungen zwischen den beiden Blutsfreunden gingen, wissen wir nicht. Jedenfalls müssen die beiden irgend etwas Bestimmtes erwogen haben, denn nach dem Tode Serrãos fand sich unter seinen Papieren ein Brief Magellans, in dem dieser dem Freunde geheimnisvoll verspricht, baldigst nach Ternate zu kommen, und zwar »wenn nicht über Portugal, auf einem andern Wege«. Und diesen neuen Weg zu finden, ist der Lebensgedanke Magellans geworden.





Dieser eine Gedanke, ein paar Narben auf dem dunkelgebrannten Leib und schließlich ein malaiischer Sklave, den er in Malacca gekauft – diese drei Dinge sind so ziemlich alles, was nach sieben Jahren indischen Frontdienstes Magellan in seine Heimat zurückbringt. Ein sonderbares, vielleicht ein unwilliges Erstaunen muß es für den abgekämpften Soldaten gewesen sein, da er, 1512 endlich wieder landend, ein ganz anderes Lissabon, ein ganz anderes Portugal erblickt, als das er vor sieben Jahren verlassen. Schon bei der Einfahrt in Belem staunt er auf. Statt des alten niederen Kirchleins, das seinerzeit Vasco da Gamas Ausfahrt gesegnet, erhebt sich, endlich vollendet, die mächtige, prächtige Kathedrale, erstes sichtliches Zeichen des riesigen Reichtums, der mit dem indischen Gewürz seinem Vaterlande zugefallen. Jeder Blick zeigt rings Veränderung. Auf dem früher spärlich befahrenen Fluß drängt Segel an Segel, in den Werften am Ufer entlang hämmern die Werkleute, um nur rasch neue, nur rasch größere Flotten auszurüsten. Im Hafen wimpeln dicht gereiht, Mast neben Mast, inländische und ausländische Schiffe, überfüllt ist die Reede mit Waren, vollgepfropft lagern die Speicher, Tausende von Menschen eilen und lärmen auf den Straßen zwischen den großartigen neuaufgeführten Palästen. In den Faktoreien, an den Wechslerbänken und in den Maklerstuben wirbeln alle Sprachen Babels – dank der Ausbeutung Indiens ist Lissabon innerhalb eines Jahrzehnts aus einer Kleinstadt eine Weltstadt, eine Luxusstadt geworden. In offenen Karossen zeigen die Frauen des Adels ihre indischen Perlen, prächtig gewandet scharwenzelt ein riesiger Troß von Höflingen im Schloß, und der Heimgekehrte erkennt: sein und seiner Kameraden in Indien vergossenes Blut hat sich dank geheimnisvoller Chemie hier in Gold verwandelt. Während sie unter der unerbittlichen Sonne des Südens gekämpft, gelitten, entbehrt und geblutet haben, wurde Lissabon durch ihre Tat die Erbin Alexandrias und Venedigs, wurde Manoel »el fortunado« der reichste Monarch Europas. Alles ist daheim anders geworden, alles lebt in der alten Welt reicher, üppiger, genießerischer, verschwenderischer, als hätte das eroberte Gewürz, das erhandelte Gold die Sinne beschwingt – nur er kehrt wieder als derselbe, als der »unbekannte Soldat«, von niemandem erwartet, von niemandem bedankt, von niemandem begrüßt. Wie in eine Fremde kehrt nach sieben indischen Jahren der portugiesische Soldat Fernão de Magelhaes in seine Heimat zurück.





Magellan macht sich frei



Juni 1512 - Oktober 1517



Heroische Zeitalter sind und waren niemals sentimental, und kläglich geringen Dank haben von ihren Königen jene kühnen Konquistadoren erfahren, die für ihr Spanien oder Portugal ganze Welten eroberten. Columbus kehrt nach Sevilla in Ketten zurück, Cortez fällt in Ungnade, Pizarro wird ermordet, Nuñez de Baiboa, der Entdecker der Südsee, enthauptet; Camoens, der Kämpfer und Dichter Portugals, verbringt, von erbärmlichen Provinzbeamten verleumdet, gleich seinem großen Gefährten Cervantes, Monate und Jahre in einem Kerker, der nicht viel besser ist als ein Düngerhaufen. Gigantischer Undank des Zeitalters der Entdeckungen: als Bettler und Krüppel, verlaust, verwahrlost und fieberkrank werden in den Hafengassen von Cadiz und Sevilla dieselben zurückgekehrten Matrosen und Soldaten herumirren, die für Spaniens Kronschatz Montezumas Geschmeide und die Goldkammern der Inkas erbeutet haben, und wie räudige Hunde werden die wenigen, die der Tod in den Kolonien verschont, ruhmlos in der Heimat verscharrt. Denn was gilt die von diesen namenlosen Helden geleistete Tat den Höflingen, die selber nie den sichern Palast verlassen, wo sie mit geschickter Hand sich die Reichtümer zuspielen, die jene im Kampf erobert? Sie, die Drohnen des Palasts, werden die Adelantados, die Gouverneure der neuen Provinzen, sie sacken das Gold, und als lästige Eindringlinge in ihre Pfründenkrippe stoßen sie die Kolonialkämpfer, die Frontoffiziere jener Zeit, zur Seite, wenn sie nach Jahren der Aufopferung und Erschöpfung die Torheit begehen, zurückzukehren. Daß er zu Cannanore, in Malacca und in vielen andern Schlachten gekämpft hat, daß er dutzendmal sein Leben und seine Gesundheit für Portugals Ehre aufs Spiel gesetzt, gibt dem heimgekehrten Magellan nicht das geringste Anrecht auf würdige Beschäftigung oder Sicherung. Nur dem zufälligen Umstand, daß er adelig ist und schon vorher zum Haushalt des Königs (criaçao de el Rey) gehörte, verdankt er, daß man ihn gnädigst in die Liste der Pensions- oder vielmehr Almosenempfänger wieder einreiht, zunächst sogar in die allerletzte Rangreihe als Mozo fidalgo mit dem Bettel von tausend Reis im Monat. Erst nach einem Monat und wahrscheinlich nach heftiger Verwahrung rückt er eine kleine Stufe auf zum Fidalgo escudeiro mit achtzehnhundertfünfzig Reis (oder nach einer andern Mitteilung als »cavalleiro fidalgo« – mit 1250 Reis). Jedenfalls: welcher dieser Pfründnertitel auch der richtige gewesen sein mag, keiner war ein gewichtiger, denn keiner dieser pompösen Titel berechtigt oder verpflichtet Magellan zu etwas anderem als zu einem faulen Herumlungern in den königlichen Vorgemächern. Ein Mann von Ehre und Ambition wird nun selbst Nichtstun sich nicht mit einem solchen verächtlichen Bettelgehalt auf die Dauer bezahlen lassen. Und so ist es keineswegs überraschend, daß Magellan die erste, freilich nicht die beste, Gelegenheit benützen wird, sich neuerdings im Kriegsdienst zu beschäftigen und zu bewähren.



Beinahe ein Jahr muß Magellan warten. Aber kaum, daß im Sommer 1513 König Manoel eine große militärische Expedition gegen Marokko ausrüstet, um den piratischen Mauren endlich den Genickfang zu geben, meldet sich der Indienkämpfer sofort zur Armee – ein Entschluß, der nur aus Unzufriedenheit mit der ihm aufgezwungenen Untätigkeit zu erklären ist. Denn bei einem Landkriege kann Magellan, der fast immer zu Schiff gedient hat und in jenen sieben Jahren einer der erfahrensten Seefahrer seiner Zeit geworden ist, seine eigentlichen Gaben gar nicht zur Geltung bringen. Wiederum ist er inmitten der großen Armee, die nach Azamor entsendet wird, nichts als ein untergeordneter Offizier ohne Rang und selbständiges Kommando. Wieder wie in Indien steht sein Name nicht im Vordergrund der Berichte, seine Person jedoch genau wie in Indien im Vordergrund der Gefahr. Auch diesmal wird Magellan – nun schon zum drittenmal – im Nahkampf verwundet. Ein Lanzenstoß gegen das Kniegelenk verletzt den Nerv, und das linke Bein bleibt für immer schwerfällig und halb lahm.

 



Im Frontdienst ist ein Hinkemann, der nicht rasch gehen und nicht reiten kann, weiter nicht zu gebrauchen. Magellan könnte jetzt bequem von Afrika abrücken und als Verwundeter erhöhte Pension fordern. Aber er beharrt darauf, in der Armee, im Krieg, in der Gefahr zu bleiben, seinem wahren Element; so weist man dem Verwundeten gemeinsam mit einem andern Offizier die Stellung an, die mächtige Beute an Pferden und Vieh, die man den Mauren abgenommen hat, als Prisenoffizier, als quadileiro das preses, zu verwalten; hier ereignet sich nun ein Zwischenfall dunkler Art. Einige Dutzend Schafe verschwinden nachts aus den riesigen Hürden, und böswillig redet sich das Gerücht herum, Magellan und sein Kamerad hätten einen Teil der Beute den Mauren heimlich zurückverkauft oder durch Nachlässigkeit ermöglicht, daß sie ihr Vieh nachts aus den Pferchen holten. Sonderbarerweise ist diese erbärmliche Anschuldigung, Veruntreuung zuungunsten des Staates verübt zu haben, ganz genau die gleiche, mit der portugiesische Kolonialbeamte wenige Jahrzehnte später den andern ruhmreichsten Mann Portugals, den Dichter Camoens, verleumden und erniedrigen werden; beide Männer, denen sich jahrelang in Indien hunderterlei Möglichkeiten geboten, sich bei Plünderungen zu bereichern, und die beide bettelarm aus dem Eldorado nach Hause zurückgekehrt waren, werden durch denselben schimpflichen Verdacht in ihrer Ehre beschmutzt.



Nun ist glücklicherweise Magellan aus härterem Holz geschnitzt als der sanfte Camoens. Er denkt nicht daran, sich von derlei Kreaturen verhören und wie Camoens monatelang in Gefängnissen herumschleifen zu lassen. Nicht wie der Dichter der Lusiaden hält er weichmütig seinen Feinden den Rücken hin, sondern kaum daß sich das Gerücht verbreitet und noch ehe irgend jemand gewagt hat, ihn öffentlich anzuschuldigen, verläßt er die Armee und reist nach Portugal, um Genugtuung zu fordern.





Daß sich Magellan nicht im mindesten als Schuldiger in dieser dunklen Affäre empfand, beweist, daß er, kaum nach Lissabon zurückgekehrt, eine Audienz bei dem König anspricht, aber keineswegs, um sich zu verteidigen, sondern im Gegenteil: um im Vollbewußtsein seiner Leistung endlich würdigere Beschäftigung und bessere Bezahlung zu fordern. Abermals hat er zwei Jahre verloren, abermals in offener Schlacht eine Wunde empfangen, die ihn beinahe zum Krüppel macht. Doch er kommt schlimm an; König Manoel läßt dem energischen Gläubiger gar nicht Zeit, seine Ansprüche vorzubringen. Vom Oberkommando in Afrika bereits verständigt, daß dieser ungebärdige Kapitän eigenmächtig und ohne Urlaub anzufordern die Armee in Marokko verlassen habe, behandelt er den verdienten, den verwundeten Offizier wie einen gemeinen Fahnenflüchtigen. Ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, befiehlt er Magellan kurz und knapp, auf der Stelle zu seinem Standort in Afrika zurückzukehren und sich vor allem seinem Oberkommandanten wieder zur Disposition zu stellen. Um der Disziplin willen muß Magellan gehorchen. Mit dem nächsten Schiff kehrt er nach Azamor zurück. Dort ist selbstverständlich von einer offenen Untersuchung keine Rede mehr, niemand wagt, den verdienten Soldaten zu beschuldigen, und mit der ausdrücklichen Bekräftigung des Kommandos, die Armee in Ehren verlassen zu haben, mit all den Dokumenten, die seine Unschuld und seine Verdienste bezeugen, kehrt Magellan zum zweitenmal nach Lissabon zurück – man mag sich denken, mit welchem Gefühl der Erbitterung! Statt Auszeichnungen hat er Verdächtigungen, statt Belohnungen immer nur Narben empfangen. Lange hat er geschwiegen und still sich im Hintergrund gehalten. Jetzt aber, fünfunddreißig Jahre alt, ist er müde, um sein Recht wie um ein Almosen zu bitten.



Klugheit müßte Magellan in so heiklem Falle gebieten, nicht gleich unmittelbar nach seiner Rückkehr zu König Manoel zu gehen und ihm mit derselben Forderung neuerdings ins Haus zu fallen. Gewiß wäre es ratsamer, jetzt eine Zeitlang stillzuhalten, im höfischen Kreise Verbindungen und Freunde zu suchen, sich umzutun und einzuschmeicheln. Aber Geschicklichkeit und Geschmeidigkeit waren nie Magellans Sache. So wenig wir von ihm wissen, dies bleibt gewiß, daß dieser dunkle, kleine, unauffällige und schweigsame Mann niemals ein Gran jener Begabung besessen hat, sich beliebt zu machen. Der König, man weiß nicht warum, war ihm zeitlebens feindlich gesinnt (»sempre teve hum entejo«), und selbst sein getreuer Begleiter Pigafetta muß eingestehen, daß die Offiziere ihn redlich haßten (»li capitani sui lo odiavano«). Es ging – wie die Rahel von Kleist sagt – »streng um ihn her«. Er wußte nicht zu lächeln, nicht liebenswürdig, nicht gefällig zu sein, nie auch seine Ideen, seine Gedanken mit Geschick zu vertreten. Ungesprächig, verschlossen, immer in eine Wolke von Einsamkeit gehüllt, muß dieser ewige Einzelgänger eine Atmosphäre von eisiger Kälte, von Ungemütlichkeit und Mißtrauen um sich verbreitet haben, denn wenige kamen ihm nur an die Haut und sein innerstes Wesen hat keiner gekannt. Unbewußt spürten seine Kameraden in seinem schweigsamen Im-Hintergrund-Bleiben einen Ehrgeiz anderer, dunklerer Art, der ihnen verdächtiger war als jener der offenen Stellenjäger, die sich hitzig und schamlos an die Krippe drängten. Etwas blieb ständig hinter seinen tiefliegenden, kleinen, kugelig harten Augen, hinter seinem umbuschten Mund unzugänglich versteckt, ein Geheimnis, in das er nicht blicken ließ; immer aber wird der Mensch, der ein Geheimnis in sich birgt und die Kraft hat, es jahrelang hinter den Zähnen zu verpressen, den natürlich Zutraulichen, den Geheimnislosen unheimlich. Von Anfang an hat Magellan aus dem Dunklen seines Wesens heraus sich Widerstand geschaffen. Es war nicht leicht, mit ihm und für ihn zu sein, und am schwersten vielleicht für diesen tragischen Einzelgänger, mit sich selbst so allein zu sein.



Auch dieses zweite Mal geht völlig allein, ohne jeden Protektor und Förderer, der Fidalgo escudeiro Fernão de Magelhaes zu seinem König in Audienz, den schlechtesten Weg wählend, den es bei Hofe gibt: den ehrlichen und geraden. König Manoel empfängt ihn im selben Räume, vielleicht von demselben Thronsessel herab, auf dem sein Vorgänger João II. dereinst Columbus abgefertigt: an gleicher Stelle erneuert sich eine gleich historische Szene. Denn der kleine, bauernhaft breitschultrige, derb untersetzte, schwarzbärtige Portugiese mit dem tiefen, verdeckten Blick, der jetzt vor seinem Herrscher sich verbeugt und den dieser gleich verächtlich entlassen wird, trägt keinen geringeren Gedanken in sich als jener landfremde Genuese; an Kühnheit, an Entschlossenheit und Erfahrung ist Magellan dem berühmteren Vorgänger vielleicht sogar überlegen. Zeuge jenes Schicksalsaugenblicks ist niemand gewesen, aber doch sieht man nach den übereinstimmenden Schilderungen der zeitgenössischen Chronisten durch die Ferne der Zeit bis in den Thronsaal hinein: mit seinem gelähmten Bein hinkt Magellan bis zum König heran und überreicht mit einer Verbeugung die Dokumente, welche unwiderleglich das Unrecht jener böswilligen Anschuldigung dartun. Dann stellt er seine erste Bitte: der König möge in Anbetracht seiner abermaligen Verwundung, die ihn kampfunfähig mache, sein Monatsgehalt, seine Moradia, um einen halben Crusado (etwa einen heutigen englischen Schilling) im Monat erhöhen. Es ist ein lächerlich geringfügiger Betrag, den er fordert, und wenig scheint es sich für den stolzen, harten, ehrgeizigen Mann zu ziemen, daß er um eines solchen Bettels willen das Knie zur Bitte beugt. Aber bei dieser Forderung geht es Magellan natürlich nicht um das eine Silberstück, um den halben Crusado, sondern um seinen Rang, um seine Ehre. Die Höhe der Moradia, der Pension, drückt an diesem Königshofe, wo einer den andern eifersüchtig mit dem Ellbogen zurückschieben will, sinnbildlich die Rangstufe aus, welche ein Edelmann im königlichen Haushalt einnimmt. Magellan, fünfunddreißig Jahre alt, Veteran des indischen und des marokkanischen Kriegs, will nicht länger hinter flaumbärtigen Bürschchen, die hier dem König die Mundschüssel hinhalten oder den Kutschenschlag öffnen, zurückstehen. Aus Stolz hat er sich nie vorgedrängt, aber der Stolz verbietet ihm auch, sich Jüngeren und Geringeren unterstellen zu lassen. Er will sich nicht niederer einschätzen lassen, als er sich und seine Leistung selber einschätzt.



Doch mit düster verärgerter Braue blickt König Manoel auf den ungeduldigen Petenten. Auch ihm, diesem reichsten Monarchen, geht es natürlich nicht um das armselige Silberstück. Ihn verdrießt nur die Art dieses Mannes, der, statt demütig zu bitten, ungestüm fordert, der durchaus nicht warten will, bis er, der König, ihm das Gehalt wie eine Gnade zuteilt, sondern der starr und bockig auf seiner Rangerhöhung wie auf einem Recht besteht. Nun, man wird diesem hartstirnigen Burschen das Warten und das Bitten schon beibringen! Unglücklich von seinem Ärger beraten, lehnt Manoel, sonst el fortunado, der Glückliche, zubenannt, Magellans Ansuchen auf Pensionserhöhung ab, ohne zu ahnen, wie viele tausend goldene Dukaten er für diesen ersparten halben Crusado bald wird zahlen wollen.



Eigentlich sollte Magellan jetzt zurücktreten, denn die verwölkte Stirn des Königs läßt keinen Sonnenstrahl höfischer Gunst mehr für ihn erwarten. Aber statt servil sich zu verbeugen und den Saal zu verlassen, bleibt Magellan, von seinem Stolz gehärtet, ruhig vor seinem Monarchen stehen und stellt die zweite Bitte, welche im letzten Grunde seine eigentliche ist. Er fragt, ob der König nicht irgendeine Stellung, eine würdige Beschäftigung in seinen Diensten für ihn habe; er fühle sich zu jung und zu tatkräftig, um lebenslänglich Almosenempfänger zu bleiben. Nun steuern aus Portugals Häfen damals allmonatlich und sogar allwöchentlich Schiffe nach Indien und Afrika und Brasilien; nichts wäre selbstverständlicher, als auf einem dieser vielen das Kommando einem Manne anzuvertrauen, der so gut wie nur irgendeiner die Meere des Ostens kennt. Niemand mit Ausnahme des alten Veteranen Vasco da Gama ist in dieser Stadt und im ganzen Reich, der sich rühmen dürfte, Magellan an Kenntnissen zu übertreffen. Aber König Manoel wird es immer unerträglicher, den harten, fordernden Blick dieses unangenehmen Querulanten zu fühlen. Er lehnt kalt ab, ohne Magellan auch nur für die Zukunft zu vertrösten: nein, er habe keine Stellung für ihn.



Erledigt. Abgetan. Aber Magellan stellt noch eine dritte Bitte, und diese ist eigentlich keine Bitte mehr, sondern bloß eine Frage. Magellan fragt, ob der König etwas dawider habe, wenn er Dienst suche in einem andern Lande, wo er hoffen dürfe, bessere Förderung zu erhalten. Und mit einer beleidigenden Kälte gibt ihm der König zu verstehen, daß ihm dies völlig gleichgültig sei. Er möge Dienst nehmen, wo er ihn bekomme und wo es ihm gefiele. Damit ist Magellan deutlichst dargetan, daß man auf jede Art seiner Betätigung am portugiesischen Hofe verzichtet, daß man zwar gnädigerweise das Almosen ihm noch weiterhin zuerkenne, aber höchlich einverstanden wäre, wenn er Land und Hof den Rücken kehrte.



Bei dieser Audienz ist niemand Zuhörer gewesen. Man weiß nicht, ob bei diesem Anlaß, ob bei einem früheren oder späteren Magellan dem König schon seinen eigentlichen, geheimen Plan unterbreitet hat. Vielleicht hat man ihm gar nicht Gelegenheit gegeben, seine Ideen zu entwickeln, vielleicht wurden sie kühl abgelehnt; jedenfalls hatte in dieser Audienz noch einmal Magellan den Willen bewiesen, wie bisher auch weiterhin Portugal mit seinem Blut, seinem Leben zu dienen. Erst die schroffe Zurückweisung zwingt ihm jene innere Entscheidung auf, wie sie im Leben eines schöpferischen Menschen unverweigerlich einmal fallen muß.





Magellan weiß in dem Augenblicke, da er wie ein abgewiesener Bettler den Palast seines Königs verläßt: er darf nun nicht länger warten und zögern. Mit fünfunddreißig Jahren hat er alles erlebt und erfahren, was ein Krieger, ein Seemann im Felde und auf dem Meere erlernen konnte. Viermal hat er das Kap umfahren, zweimal von Westen, zweimal von Osten. Unzähligemal ist er knapp vor dem Tode gestanden, dreimal hat er das kalte Metall feindlicher Waffe im warmen, blutenden Leibe gefühlt. Unermeßlich viel Welt hat er gesehen, er weiß mehr von dem Osten der Erde als alle berühmten Geographen und Kartographen seiner Zeit. Er ist durch fast zehnjährige Erprobung bewährt in jeder Technik des Kriegs, er ist geschult, das Schwert zu handhaben und die Arkebuse, das Steuer und den Kompaß, das Segel und die Kanone, das Ruder, den Spaten und die Lanze. Er kann Portolane lesen, das Senkblei führen und nicht minder exakt als ein »Meister der Astronomie« die nautischen Instrumente bedienen. Was andere nur neugierig in Büchern lesen, endlose Windstillen und vieltägige Zyklone, Seeschlachten und Landschlachten, Belagerungen und Plünderungen, Überfall und Schiffbruch, all das hat er mittätig erlebt. Er hat innerhalb eines Jahrzehnts in tausend Nächten und Tagen das Warten gelernt auf endlosen Meeren und dann wieder, die blitzende Sekunde der Entscheidung zu nutzen. Er ist vertraut geworden mit aller Art Menschen, gelben und weißen, schwarzen und braunen, Hindus und Negern und Malaien und Chinesen und Arabern und Türken. In allen Formen des Dienens, zu Wasser und zu Land, in allen Jahreszeiten und Meereszonen, im Frost und unter brennendem Himmel hat er seinem König, hat er seinem Lande gedient. Doch Dienen ist eine Sache der Jugend, und nun, nahe dem sechsunddreißigsten Jahr, entscheidet Magellan, daß er nun genug lang sich aufgeopfert hat fremden Interessen und fremdem Ruhm. Wie jeder schöpferische Mensch fühlt er media in vita das Verlangen nach Selbstverantwortlichkeit und Selbstverwirklichung. Das Vaterland hat ihn im Stich gelassen, die Bindung an Amt und Pflichten gelöst – um so besser: nun ist er frei. Wie so oft wirft die Faust, die einen Menschen zurückstoßen will, ihn in Wahrheit auf sich selber zurück.

 





Niemals äußert sich bei Magellan ein gefaßter Entschluß sofort augenfällig und impulsiv. So wenig Licht auch aus den zeitgenössischen Beschreibungen auf seinen Charakter fällt, diese eine und wesentliche Tugend bezeichnet sichtlich alle Phasen seines Lebens: daß Magellan wunderbar zu schweigen verstand. Weder ungeduldiger noch gesprächiger Natur, auch mitten im Tumult der Armee unauffällig und abseitig, hat Magellan seine Gedanken einzig mit sich allein durchgedacht. Auf weite Fristen hinaus blickend, jede Möglichkeit im stillen durchrechnend, ist Magellan nie mit einem Plan oder einem Entschluß vor die Menschen getreten, ehe er seine Idee nicht innerlich reif, durchdacht und unwiderleglich wußte.



Auch diesmal übt Magellan wunderbar seine Schweigekunst. Ein anderer hätte nach jener beleidigenden Abweisung durch König Manoel wahrscheinlich sofort das Land verlassen und einem andern Herrscher sich angeboten. Magellan aber bleibt gelassen noch ein ganzes Jahr lang in Portugal, und niemand ahnt, womit er sich beschäftigt. Höchstens merkt man – sofern dies überhaupt beachtenswert wäre bei einem alten Indienfahrer –, daß Magellan viel beisammensitzt mit Piloten und Kapitänen, und hauptsächlich mit jenen, die früher die Südsee befuhren. Aber wovon plaudern Jäger lieber als von der Jagd, wovon Seefahrer lieber als von der See und neuentdeckten Ländern? Auch daß er in der Tesoraria, dem Geheimarchiv König Manoels, alle Küstenkarten, die Portolane und die Logbücher der letzten Expeditionen nach Brasilien durchforscht, die dort als secretissima verwahrt werden, kann keinen Verdacht erregen; was denn sollte ein unbeschäftigter Schiffskapitän in seiner vielen freien Zeit studieren als die Bücher und die Berichte über die neuentdeckten Länder und Meere?



Auffälliger wäre eher eine neue Freundschaft, die Magellan schließt. Denn dieser Mann, Ruy Faleiro, mit dem er sich immer enger zusammentut, scheint als fahriger, nervöser, aufbrausender Intellektueller mit seiner heftigen Suada, seinem überhitzten Selbstbewußtsein, seiner zänkischen Natur am allerwenigsten zu dem schweigsamen, beherrschten, undurchdringlichen Seemann und Kriegsmann zu passen. Aber die Begabungen dieser beiden Männer, die man bald unzertrennlich beisammen sieht, ergeben gerade dank ihrer polaren Gegensätzlichkeit eine gewisse – notwendigerweise kurzfristige – Harmonie. Wie für Magellan das Seeabenteuer und die praktische Durchforschung der irdischen Welt, so ist für Faleiro die abstrakte Erd- und Himmelskunde innerste Leidenschaft. Als reiner Theoretiker, als echter Stubengelehrter, der nie ein Schiff betreten, nie Portugal verlassen hat, kennt Ruy Faleiro die fernen Bahnen des Himmels und der Erde nur aus Kalkulationen, Büchern, Tabellen und Karten; in dieser abstrakten Sphäre allerdings, als Kartograph und Astronom, gilt er als höchste Autorität. Er kann kein Segel setzen, aber er hat ein eigenes System der Längenberechnung e

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