Loe raamatut: «Depeche Mode - Die Biografie»

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Steve Malins

Depeche Mode

Die Biografie

Aus dem Englischen von Ralph Brunkow,

Uschi Seifart und Kirsten Borchardt


www.hannibal-verlag.de

Impressum

Titel der englischen Originalausgabe: „Depeche Mode – Black Celebration“

© 1999, 2006, 2013 by Steve Malins

Erstausgabe 1999 erschienen bei André Deutsch Limited, London

© 2013 der aktualisierten Neuauflage: Koch International GmbH/Hannibal, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

Lektorat: Hollow Skai

Buchdesign und Produktion: bw works

E-Book: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Coverfoto: © Joaquin Palting/Corbis Outline

Coverfoto Rückseite: © Alastair Indge/Photoshot/Getty Images

Schwarz/Weiß-Fotos: © Thomas Zeidler, KeystoneVienna

ISBN 978-3-85445-430-4

Auch als Hardcover erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-429-8

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ­geschützt und darf ohne eine schriftliche Genehmigung nicht verwendet oder reproduziert werden. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen und die Einspeicherung und Ver­arbeitung in elektronischen Systemen.

Der Autor

Steve Malins, Jahrgang 1965, schreibt als Journalist für die Magazine Q, Vox und Time Out sowie für die Sunday Times.

Außer über Depeche Mode hat er Bücher über Gary Numan (1997), Duran Duran (2005), Radiohead (1997) und Paul Weller (1997) geschrieben.

Er produzierte drei Alben für Gary Numan: Random (1997), Exposure (2002) und Hybrid (2003); außerdem arbeitete er mit Künstlern wie John Foxx, The Sparks, Siouxsie Sioux, The Magnetic Fields und The Future Sound of London.

Steve Malins ist verheiratet und lebt in London.

Für Zak Malins


Inhalt

Vorwort

1: People Are People

1961–1980

2: Dreaming Of Me

1981

3: Leave In Silence

1982

4: The Landscape Is Changing

1983

5: You’ve Got Your Leather Boots On

1984

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6: Dressed In Black Again

1985–1986

7: See The Stars, They’re Shining Bright

1987–1989

8: World Violation

1989–1990

9: Lead Me Through Babylon

1991–1993

10: More Than A Party

1993–1994

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11: This Twisted, Tortured Mess

1994–1997

12: I Find Myself

1997–1999

13: Dream On

1999–2000

14: Suffer Well

2002–2006

15: Comeback

2006–2013

Diskografie

Bibliografie

Danksagung

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Vorwort

„Irgendwie korrumpieren wir heimlich die Welt“, kicherte Martin Gore, Songwriter von Depeche Mode, kurz nach Erscheinen ihrer Single „Stripped“ 1986. Schmunzelnd fügte er hinzu: „Wenn man sich als Popband bezeichnet, kann man sich eine Menge mehr erlauben.“

Depeche Mode begannen ihre Karriere ganz ohne Frage als „Popband“. Als Daniel Miller, der Gründer von Mute Records, sie 1980 zum ersten Mal sah, war er vor allem deshalb so beeindruckt, weil sie noch „Kids“ waren, „und Kids machten damals keine elektronische Musik. Das war eher ein Ding für Kunststudenten, aber von dieser Ästhetik hatten Depeche Mode nichts. Sie machten Popmusik auf Synthesizern. Und das funktionierte ganz hervorragend.“

Für den damaligen Hauptsongwriter der Band, Vince Clark (bürgerlich Vince Martin), war es eine Möglichkeit, seine Träume zu verwirklichen, nachdem er sich in einigen perspektivlosen Jobs versucht hatte, „unter anderem ein halbes Jahr lang als Regalauffüller in einem Sainsbury’s-Supermarkt und als Arbeiter in einer Joghurtfabrik“. Der Glam-Rock-Fan Martin Gore und sein Freund Andy Fletcher waren damals noch nicht ganz überzeugt und trauten sich nicht, ihre Jobs in einer Bank beziehungsweise einer Versicherung aufzugeben. Die drei Jungs aus Basildon waren ruhig und introvertiert und hatten Freunde, die aus ähnlichem Holz geschnitzt waren. Gore erzählte später, dass ihn seine Freundin Anne sogar als „pervers“ bezeichnete, wenn im Fernsehen eine nackte Frau gezeigt wurde und er dann hinsah. Auch Clarke und Fletcher hatten eine eher biedere Vergangenheit: Von ihrem elften bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr hatten sie als wiedergeborene Christen versucht, in Cafés andere Leute zu bekehren. Das vierte Mitglied von Depeche Mode, Dave Gahan, war jedoch ganz anders, ein eher extrovertierter Typ, der ständig unter Spannung zu stehen schien. Er war wegen Vandalismus und Autodiebstahls schon mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, litt unter Stimmungsschwankungen und war oft aus Liebeskummer deprimiert. Kürzlich erklärte er der britischen Zeitschrift Q: „Das Mädchen, in das ich als Jugendlicher total verliebt war, ging schließlich mit meinem besten Freund Mark ins Bett. Es war bei einer Party, bei der ich auch anwesend war: Irgendwann war meine Freundin verschwunden. Alle starrten mich an. Sie wussten es alle. Ich riss die Schlafzimmertür auf und sah Marks weißen Arsch, der auf und nieder wippte. Das war meine erste richtige Konfrontation mit der Realität. Da stand für mich fest, ich bin nicht gut genug, ein Gefühl, mit dem ich mich seitdem herumschlage.“

Ende 1979 war er allerdings mit seiner Freundin Jo verlobt und hatte seinen wilden Zeiten abgeschworen. Und auch 1981 deutete nichts darauf hin, dass er wortbrüchig werden sollte: Depeche Mode waren zu jener Zeit so weit vom Rock ’n’ Roll entfernt, wie man nur sein konnte. Sie spielten Synthesizer, sahen noch wie Kinder aus und hatten auch mit dem glamourösen, dekadenten Erscheinungsbild von Bands wie Duran Duran nichts gemein. Zu ihrem ersten Auftritt bei Top of the Pops fuhren Depeche Mode tatsächlich mit dem Zug und schleppten ihre Synthesizer über die Bahnsteige. Andy Fletcher bekam angeblich stehende Ovationen, als er am nächsten Tag zur Arbeit kam.

Sieben Jahre später sah es jedoch ganz anders aus: Vince Clark war längst ausgestiegen und von Alan Wilder ersetzt worden, der entscheidenden Anteil daran hatte, dass sich die Band immer weiter von ihren fröhlichen Electro-Disco-Wurzeln entfernte. 1988 war sie ein kulturelles Großereignis, das in der Rose Bowl in Pasadena vor siebzigtausend Fans spielte und dort vom legendären Regisseur D. A. Pennebaker gefilmt wurde, der Depeche Mode in erster Linie als kommerzielles Unternehmen zu betrachten schien: „Sie hatten keine einzige originelle Idee“, bemerkte er, „aber sie hatten entdeckt, wie man mit einem Cassettenrekorder auf der Bühne richtig viel Geld machen kann.“ Damals bewegten sich Depeche Mode an der Schnittstelle zwischen Electro und Rock, und der Funke zu ihrem Publikum sprang mit den atmosphärischen Hymnen über, die von Schuld, Sünde, Reue und der dunklen Seite von Beziehungen handelten.

Die Band selbst verlor jedoch den Boden unter den Füßen, als 1990 das extrem erfolgreiche Album Violator erschien, das sich sieben Millionen Mal verkaufte: Prompt setzten Ruhm und Rock ’n’ Roll einen selbstzerstörerischen Prozess in Gang. Man mochte kaum glauben, dass es sich hier um dieselben Jungs aus Basildon handelte, als Andy Fletcher einen Nervenzusammenbruch erlitt, Gore aufgrund exzessiven Alkoholkonsums Krämpfe bekam und Gahan sich beinahe zur Parodie eines Rockstarjunkies entwickelte, der fest entschlossen schien, sich selbst zugrunde zu richten. Er lebte in Los Angeles in einer Wohnung mit geschwärzten Fenstern, die er den „Purpurpalast“ nannte, weil dort so viele Leute beinahe an Überdosen gestorben waren: „Nach einem Erdbeben regnete es rein, deshalb standen überall riesige Tonnen rum. Alle waren so fertig, dass sich niemand drum kümmerte. Es war eklig. Ich habe mir selbst über die Jahre unglaublich viel Schmerz zugefügt. Ich habe mir ein sogenanntes ­Guiche-Piercing machen lassen, das in der Hautfalte zwischen Arschloch und Hodensack sitzt. Man kniet da auf einem Behandlungstisch, mit dem Arsch in der Luft, Schwanz und Eier hängen runter, eine völlig würdelose Situation. Mir hat eine Frau das Piercing gemacht, die übers ganze Gesicht tätowiert war. Ich wäre vor Schmerz fast umgekippt.“

Seine Erfahrungen flossen in die Musik ein und verliehen ihr eine dunkle Seite, die Vorstadtaußenseiter auf der ganzen Welt ansprach, aber auch Gahans Wandlung vom hohlen, ausgepowerten Junkie zu dem Mann, der er heute ist, wurde für alle, die sich für die Band interessierten, zu einer neuerlichen Quelle der Inspiration. Für ihn selbst spielte seine Frau Jennifer, die als Schauspielerin und Drehbuchautorin tätig ist, eine entscheidende Rolle dabei, dass er seit neun Jahren drogenfrei lebt – „Jennifer hat etwas an sich, das in mir ein Licht angezündet hat“. Allerdings bewies auch er selbst äußerste Entschlossenheit und Stärke dabei, mit seiner so schmerzvollen Vergangenheit abzuschließen.

Dass es Gahan gelang, die Hölle auf Erden zu überstehen, ohne sich selbst darin zu verlieren, spiegelt einen Optimismus wider, der von jeher ein integraler Bestandteil der Musik von Depeche Mode gewesen ist. Die Band bedeutet ihren Fans so viel, weil die Songs eine höchst sensible, seelenvolle Kraft besitzen, die Licht und Zuflucht verspricht – nicht nur in tragischen Situationen, sondern auch im ganz normalen grauen Alltag. Martin Gore mag ein eher unauffälliger, ruhiger Zeitgenosse sein, aber er lässt seine Gefühle in seine Musik mit einfließen und ist so zu einem der größten aktuellen Songwriter der Welt geworden. Von Black Celebration aus dem Jahr 1986 bis zum Album Playing The Angel hat er Songs von einer Schönheit und Qualität erdacht, wie sie von keiner anderen international erfolgreichen Band – Größen wie R.E.M. und U2 eingeschlossen – vorgelegt wurden. Vergleichsweise unbekannte Triumphe wie „The Things You Said“ (Music For The Masses), „Clean“ (Violator), „Goodnight Lovers“ (Exciter) oder die ergreifende Melodie von „Here Is The House“ (Black Celebration) sind wie Konfetti über die Depeche-Mode-Alben verstreut. Dar­über sollte jedoch das unvergleichliche Pop-Feeling von Vince Clarke nicht vergessen werden, das frühe Highlights wie „Just Can’t Get Enough“ prägte, ebenso wenig wie Dave Gahans vielversprechende Werke „Suffer Well“ und „Nothing’s Impossible“ auf Playing The Angel.

Die leidenschaftliche Begeisterung ihrer Anhängerschar erstreckt sich jedoch nicht nur auf die Songs an sich, sondern wird auch dadurch angefacht, wie Depeche Mode elektronische Elemente einsetzen, die oft gerade angesagten Trends komplett entgegenlaufen. Zunächst waren Daniel Miller und Alan Wilder für die innovative Einbindung analoger Technik verantwortlich, die dann während der Achtziger allmählich durch das modernste Sampling abgelöst wurde; als Grundregel galt, dass kein Geräusch zweimal verwendet werden durfte. So entwickelten sich alle möglichen bizarren Ideen, wie das Gelächter, das in einem Flugzeug aufgenommen wurde (im Refrain von „People Are People“), oder der Loop mit Daniel Millers Ausruf „Horse!“ („Fly On The Windscreen“). Seit Mitte der Achtzigerjahre haben sie mit ihren Synthesizern immer stärker Blues, Rock, Glam, Country, Gothic und Gospel miteinander verquickt, und auch nach fünfundzwanzig Karrierejahren versuchen sie sich immer noch an Ideen, an die sich sonst niemand heranwagt. Es wäre sicher spannend, die Melodien einmal auszublenden und sich auf die Sounds zu ­konzentrieren, indem man sich eine Zusammenstellung ihrer instrumentalen B-Seiten zu Gemüte führte, wie „Oberkorn (It’s A Small Town)“ und „Agent Orange“: Eine solche Compilation würde dem Hörer die intelligente Herangehensweise vergegenwärtigen, mit der die Band – vorwärts gerichtet, aber nicht futuristisch – die Technik einsetzt.

Es dauerte lange, aber seit Ende der Achtziger wurden Depeche Mode ganz allmählich zu einem großen Einfluss auf andere Musiker, beispielsweise auf die Smashing Pumpkins, Nine Inch Nails und die Deftones in den Neunzigern, aktuell auch auf The Faint, Interpol, The Killers, White Rose Movement (die bei ihren DJ-Sets gern Songs wie „Photographic“ oder „Any Second Now“ spielen) oder Ladytron. Deren Gründungsmitglied Daniel Hunt sagte gegenüber der Zeitschrift Q: „Depeche Mode gehören nicht nur zu meinen Lieblingsbands, sie verkörperten vor allem immer eine völlig andere Einstellung dazu, wie Musik aus dem Alternative-Bereich gemacht werden sollte.“ Im einundzwanzigsten Jahrhundert wurden Songs von Depeche Mode unter anderem von Künstlern wie Tori Amos („Enjoy The Silence“) und Placebo („I Feel You“) aufgenommen, und sowohl Marilyn Manson als auch Johnny Cash spielten eigene Versionen von „Personal Jesus“ ein.

Die langjährige Zusammenarbeit von Depeche Mode mit ihrem „Visual Director“ Anton Corbijn hat entscheidend zu ihrem konstanten Erfolg beigetragen. Corbijn machte aus den linkisch wirkenden Metallklopfern geheimnisvolle, schwarz gekleidete Gestalten, die in absurden, atmosphärischen und oft auch sehr lustigen Promoclips zu sehen waren, umgeben von vielen Autos (beispielsweise ein äußerst ernst dreinblickender Dave Gahan in einem Kabinenroller), schönen Frauen, seltsamen Vogelwesen, Zwergen und einem Schaukelpferd, auf dem Andy Fletcher im Cowboykostüm thronte. Die „Krönung“ war tatsächlich der einsame, von Gahan gespielte König aus „Enjoy The Silence“, der mit einem Liegestuhl unter dem Arm durch weite, menschenleere Landschaften wanderte. Corbijn entwarf auch häufig die Bühnendekoration und die Plattenhüllen, obwohl das vermutlich beeindruckendste Cover ihrer Karriere das Bild der drei Megafone in der Wüste ist, das Martyn Atkins für Music For The Masses schuf.

Letztlich liegt aber wohl die größte Faszination bei jeder erfolgreichen Band in der Chemie, die zwischen den einzelnen Musikern besteht. Depeche Mode haben ein recht einzigartiges Bandgefüge, da sie ein Mitglied an Bord haben, das sich musikalisch seit Jahren kaum noch eingebracht hat – Andrew Fletcher. Sie leben nicht einmal mehr in derselben Gegend: „Fletch“ wohnt in London, Gore in Santa Barbara (er übersiedelte dorthin, nachdem in sein Haus in Harpenden eingebrochen worden war – ein Erlebnis, das umso beängstigender war, als er und seine Familie dort waren, als es passierte), und Gahan zog von L. A. nach New York. Darin liegt zudem das zentrale Anliegen dieses Buchs, denn ich habe versucht, die persönlichen und musikalischen Beziehungen zwischen Martin Gore, Dave Gahan, Andrew Fletcher, Alan Wilder, Vince Clarke und ihrem „Mentor“ Daniel Miller aufzuzeigen, der über die Jahre einen entscheidenden Einfluss auf die Band gehabt hat.

Die fragile, unausgesprochene Bindung zwischen Gore als hauptsäch­lichem Songwriter und dem Sänger Dave Gahan liegt vielen ihrer besten Songs zugrunde. Dennoch ist Fletchers Rolle, auch wenn er zur Musik nichts beiträgt, äußerst wichtig, denn er fungiert als eine Art Schutzschild für Gore, der Konflikte scheut und sich nicht auf direktem Weg mit Gahan ausein­andersetzen könnte – ebenso wenig wie mit Alan Wilder, der immerhin dreizehn Jahre lang zur Band gehörte. Alan und Daniel verschafften mir beide wesentliche Einblicke in das Innenleben von Depeche Mode. Darüber hinaus möchte ich „Fletch“ für jene Abende danken, an denen er mein lückenhaftes Wissen ergänzte, und Martin dafür, dass er mir lange Faxe voller Fragen beantwortete. Beide waren äußerst hilfreich bei der Überprüfung von Fakten und überraschten mich zudem mit einigen „inoffiziellen“ Enthüllungen. Auch danke ich Ben Hillier, Knox Chandler, Dave McCracken und Ken Thomas, die mir bei der Überarbeitung zur Seite standen und etwas Licht auf die jüngsten Aktivitäten der Band warfen, vor allem, was Bens Arbeit als Produzent von Playing The Angel betrifft. Zudem sprach ich kürzlich mit The Killers, Ladytron, The Faint und The Bravery, allesamt Depeche-Mode-Fans, anlässlich einer Sonderausgabe des Magazins Q, Depeche Mode & the Story of Electro-Pop, die im Januar 2005 erschien (und noch über den Shop auf www.q4music.com erhältlich ist).

Ich bin noch immer erstaunt darüber, dass man, als ich dieses Buch Ende der Neunzigerjahre in Angriff nahm, Depeche Mode noch nie gebeten hatte, an einer Biografie mitzuwirken. Aber gerade in Großbritannien ist die Band wohl immer noch ein etwas obskures Phänomen.

Nicht jeder, mit dem ich während der Arbeit an diesem Buch sprach, wollte mit seinen Äußerungen namentlich zitiert werden, aber ich habe versucht, so viel neues Material wie möglich zusammenzutragen. Trotz allem aber schulde ich all den anderen Autoren und Journalisten, die im Lauf der Jahre die Band interviewt haben, ebenso Dank wie auch den zahlreichen Büchern und Artikeln über einschlägige Themen.

Vor allem aber danke ich den Mitgliedern von Depeche Mode, deren Musik während der letzten fünfundzwanzig Jahre eine ständige Quelle der Inspiration gewesen ist. Es ist schon eine Seltenheit, wenn eine Band die Menschen derart anspricht, dass sie sich mit den Schwächen der Musiker identifizieren können, und gleichzeitig eine großartige Stadiongruppe ist, die auch bei siebzigtausend Zuhörern ein intensives gemeinsames Empfinden auszulösen vermag.

Steve Malins, London

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People Are People

1961–1980

Martin Gore wurde als gelehriges, nachdenkliches und von Natur aus glückliches Kind am 23. Juli 1961 in Dagenham, Essex, in eine Arbeiterfamilie geboren. Damals arbeiteten sein Stiefvater und sein Großvater in der Ford-Autofabrik in Dagenham. Der Stiefvater jedoch gab seinen Job auf, wurde Kraftfahrer und zog mit dem – nach dessen eigenen Worten „passiven und harm­losen“ – kleinen Jungen und dessen zwei Schwestern nach Basildon um. Gores Mutter fand dort einen Job in einem Altersheim.

„Als kleines Kind war ich ziemlich schüchtern“, sagt der verträumte, stille Songwriter. „Ich hatte eigentlich fast keine Freunde und verbrachte die meiste Zeit allein in meinem Zimmer beim Märchenlesen. Ich versenkte mich tief in Märchenbücher und lebte in einer anderen Welt. Auch in der Schule fehlte es mir sehr an Selbstvertrauen. Nur selten meldete ich mich zu Wort.“

Zu den Hauptinteressen dieses scheuen, zurückhaltenden Kindes gehörten Sprachen, in denen er sein Naturtalent bewies, und Musik: „Als ich etwa zehn Jahre alt war, entdeckte ich im Schrank die alten Rock’n’Roll-Singles meiner Mutter, Songs von Elvis, Chuck Berry, Del Shannon, und ich spielte diese Platten immer und immer wieder. Da wurde mir klar, dass dies das Einzige war, was mich wirklich interessierte, und damit fing alles an.“

Mit dreizehn Jahren bekam der frisch gebackene Glam-Rock-Fan – er begeisterte sich vor allem für Gary Glitter und das schrullige US-Duo Sparks – eine akustische Gitarre und erwies sich als gelehriger Schüler, der Abend für Abend damit verbrachte, neue Akkorde auf seinem Instrument einzuüben. Noch auf der Schule schrieb er die Songs „See You“ und „A Photograph Of You“, die später von Depeche Mode eingespielt wurden. Perry Bamonte, der Jahre später Musiker wurde und bei The Cure spielte, war an der Saint-Nicholas-Gesamtschule in Basildon ein Schulkamerad von Gore. „Martin war sehr introvertiert“, sagt Bamonte, „sehr still und ein guter Schüler.“

Gore sagt von sich, er sei bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr kaum ausgegangen und habe nicht viel getrunken – ein ziemlich ereignisloses Leben, das sich erst später lebhafter gestaltete. In der Schule hatte er eine Freundin, Anne Swindell, die auch schon mit einem anderen Schulfreund ausgegangen war, einem mageren, rothaarigen Jungen namens Andrew Fletcher.

Gore räumt ein: „Ich war wahrscheinlich ein recht seltsames Kind. Denn mir gefiel die Schule und alles, was dazugehörte. Ich fühlte mich sicher in der Schule und wollte sie überhaupt nicht verlassen. Ich spielte Cricket in der Schulmannschaft und bekam in Französisch und Deutsch eine Eins. In Mathematik versagte ich allerdings.“

Nachdem er Saint Nicholas 1979 verlassen hatte, nahm er einen Job bei der NatWest Clearing Bank in der Fenchurch Street in der City von London an, nur einen Katzensprung entfernt von der Sun Life Insurance, wo „Fletch“, der Exfreund seiner Freundin, arbeitete. Martin Gore berichtet, seine Kollegen hätten ihn „stiefmütterlich“ behandelt, weil er noch so jung und schüchtern war. Mittlerweile aber musizierte er schon in einem akustischen Duo, Norman and The Worms, mit seinem Schulfreund Philip Burdett, der später als Folksänger durch London tingelte. Die beiden Schulkameraden hatten damals auch eine Folkmusikversion der Erkennungsmelodie der TV-Serie Skippy, das Busch­känguru in ihrem Repertoire.

Die musikalische Richtung der beiden änderte sich jedoch eines Abends dramatisch, als Gore zu einem Auftritt mit einem Synthesizer der Marke Moog Prodigy erschien. Ihr Konzert verfolgte ein anderer Londoner Musiker namens Vince Clarke aufmerksam: „Martin kam mit einem Synthie auf die Bühne, was ich für eine tolle Idee hielt. Denn dieses Instrument brauchte keinen eigenen Verstärker – man konnte es ganz einfach in die normale PA einstöpseln.“

Clarke, 1961 in Woodford geboren, war damals Mitglied des Kirchenchors und lernte in der zur Kirche gehörenden Boys’ Brigade einen weiteren Schüler von Saint Nicholas kennen, den schon erwähnten Andrew „Fletch“ Fletcher. Fletch, ebenfalls 1961 geboren, war noch ein Kind, als sein Vater, ein Ingenieur, und seine Mutter mit seinem Bruder und seinen beiden Schwestern nach Basildon zogen. Mit acht Jahren trat er der Kirchenjugend bei, und er behauptet, er sei an sieben Abenden der Woche zur Kirche gegangen – „genauso wie Vince“, erinnert sich Fletcher Jahre später. „Der war ein richtiger Bibelfanatiker.“

Clarke war ein Einzelgänger und introvertierter Typ, während sein aggressiver Freund gern auf andere Menschen zuging, Fußball spielte und ein totaler Fan von Chelsea war, Londons in den späten Sechzigerjahren angesagtestem Fußballverein. Perry Bamonte erinnert sich zwar an Fletcher als ein recht fröhliches Kind; der junge Kirchgänger allerdings bemerkte dazu: „Ich war ein unverbesserlicher Pessimist, der nie die hellere Seite des Lebens sah. Ewig las ich Geschichtsbücher, und ich war damals felsenfest überzeugt, dass ich einmal Lehrer werden würde.“

Bamonte kann sich nicht erinnern, dass Fletcher sich in der Schule besonders für Musik interessierte: „Ich nehme an, dass sie ihm wohl etwas bedeutete, aber erkennbar war das nicht.“ Clarke jedoch, der in der Gesamtschule angefangen hatte, Oboe zu spielen, war vierzehn Jahre alt, als er die Popmusik – natürlich nicht die der harten, radikalen Art – entdeckte: „Es waren Simon & Garfunkel, glaube ich, deren Musik ich zu Beginn am liebsten hörte. Die haben mich wirklich beeindruckt, ich fand sie fantastisch. Deshalb fing ich an, akustische Gitarre zu lernen. Ich gründete mit ein paar Freunden eine Gospel-Folk-Gruppe, und wir beteiligten uns an einem Talentwettbewerb. In diesem Alter glaubt man ja wirklich, das Gelbe vom Ei zu sein, und eine Gitarre brauche man nur anzufassen, um schöne Klänge hervorzubringen, sodass wir uns einbildeten, brillant zu sein. Dann sitzt man da und plant schon im Voraus, was man sich alles kaufen wird, wenn man erst einmal berühmt ist – und all das nur wegen einer Talentshow. Aber wir waren schauderhaft und landeten abgeschlagen auf den Plätzen.“

Als Punk in Basildon Einzug hielt, zogen sich Clarke und Fletcher zu ihrer Sammlung von Beatles- und Eagles-Alben zurück und gründeten 1977 das Duo No Romance In China. Diese „Band“ bestand aus Clarke als Gitarristen und Sänger und aus Fletcher als Bassisten, der, wie Clarke es beschreibt, auch „eine jener Autorhythm-Beatboxen von Selmer mit den Tack-tack-tack-Geräuschen bediente, die man zu Hause auf sein Keyboard stellt“. Zu Beginn spielten sie zu den Klängen ihrer Lieblingsplatten wie „I Like It“ von Gerry and The Pacemakers, „The Price Of Love“ von den Everly Brothers und „Then He Kissed Me“ von den Crystals, produziert von Phil Spector.

Etwa ein Jahr danach hatte sich der Geschmack der beiden verdüstert, und Clarke war kurioserweise ein großer Fan der Postpunkband The Cure geworden. Perry Bamonte sah sich ihren ersten „Auftritt“ im Double Six, einem Pub in Basildon, an. Das Duo spielte drei Songs, einer davon war „Three Imaginary Boys“ von The Cure. Kurz nach dem Austritt des siebzehnjährigen Fletcher aus der Kirchenjugend sah ein Freund der beiden das Duo bei einem seiner seltenen Auftritte im Jugendklub von Woodlands vor einer Gruppe von vierzehnjährigen Kids musizieren.

Nach zwei Jahren lösten sich No Romance In China auf, und Fletcher ging abends meistens mit seiner neuen Freundin Grainne aus. Clarke gründete für kurze Zeit eine neue Gruppe, The Plan, zusammen mit dem stets einsatzfreudigen Perry Bamonte, der sein Leben lang von einer Band zur anderen wechselte. Clarke indessen wollte nicht immer nur im Hintergrund stehen und lieber alle Fäden in der Hand halten, weshalb er die Gruppe wieder verließ.

Er kam wieder auf Fletcher zurück, und zusammen mit Martin Gore gründeten sie eine weitere Band: Composition of Sound. Fletcher wurde zwangsweise dazu verdonnert, den Bass zu spielen, und er musste sich von seiner Bank einen Kredit von neunzig Pfund für den Kauf des Instruments holen, während die beiden anderen zunächst nur ihre Gitarren spielten. Als Clarke dann aber neue Songs schrieb, wechselten er und Gore zu einfachen Synthesizern von Moog und Yamaha über. Einige Monate später musste sich dann auch Fletcher einen Synthie kaufen, und damit wurden Composition of Sound zur vollelektronischen Band.

„Nach Punk wandten wir alle uns Gruppen wie Kraftwerk und A Certain Ratio zu“, entsinnt sich Perrys kleiner Bruder Daryl, der drei Jahre jünger ist als Fletch, Clarke und Gore. „Ich empfand die Electronic-/Futurismusszene, etwa die frühen Human League, als ziemlich schmutzig und undergroundmäßig“, sagt Daryl. Er kümmerte sich zum Dank dafür, dass die Band ihn in ihrem Kombi durch Basildon kutschierte, wenn er Zeitungen austragen musste, um ihr Equipment. „‚Being Boiled‘ von Human League war ein bisschen Avantgarde und klang recht hart. Ich mochte das Zeug von Some Bizzare und Gary Numan gern. Das war eine dunklere Art von Musik als die übliche Hitparadensoße.“

Gary Numan war 1979 als geheimnisvoller, wasserstoffblond gebleichter Rädelsführer der Gruppe Tubeway Army aufgetaucht, der mit dem dürren, außerirdisch wirkenden Song „Are ‚Friends‘ Electric?“ Platz 1 der UK-Charts erklomm. In den Siebzigerjahren hatte es einige ausgefallene Hits von elektronischen Bands gegeben; am erfolgreichsten davon die Single „Autobahn“ von Kraftwerk, die 1975 Platz 11 der UK-Charts erreichte. Numan aber festigte seinen Platz als erster großer Star des Synthie-Pop, als er die nächste Single, „Cars“, unter seinem eigenen Namen veröffentlichte, die dann ebenfalls die Poleposition der UK-Charts schaffte. In den folgenden drei Jahren hatte Numan fünf Alben in den Top 3 der britischen Charts, und er erreichte sogar die Top 10 in den USA. Die eher flüchtige, aber dennoch bemerkenswerte Bedeutung von Gary Numan für Clarke, Gore und Fletcher war die Erkenntnis, dass man auch als einundzwanzigjähriger Expunk und Nichtmusiker mit Synthesizermusik an die Spitze der Charts gelangen kann.

„Mein einziges musikalisches Talent besteht im Arrangieren von Geräuschen“, gab der Kommandant der Tubeway Army zu. „Gitarre konnte ich sowieso nicht gut spielen, und der Synthie ließ sich kinderleicht bedienen.“ Gore hatte in etwa dieselbe Einstellung: „Für uns war der Synthesizer ein Punkinstrument, eine Art Do-it-yourself-Sofortwerkzeug. Ohne es zu wissen, begannen wir, etwas ganz Neues zu tun. Wir hatten uns für diese Instrumente entschieden, weil sie praktisch waren. Man konnte sich einen Synthesizer unter den Arm klemmen und zu einem Gig gehen. Dafür brauchte man keinen Verstärker, also brauchten wir auch keinen Kombiwagen. Bald fuhren wir mit der Bahn zu unseren Gigs.“ In den folgenden Monaten eiferten Composition of Sound einer Reihe von mehr weltlichen, an der Kunstszene orientierten Electronic-Pop-Bands wie Soft Cell und Human League nach, die im Kielwasser des krassen Futurismus von Tubeway Army die Charts aufrollten.

Mittlerweile hatte sich Gore auch noch einer anderen lokalen Band angeschlossen, The French Look. Chef dieser Gruppe war Rob Marlow, ein ziemlich bekannter Typ in der Szene von Basildon. (Als einer von Clarkes besten Freunden war er später auch auf dessen Label.) Freunde haben ihn als „ein bisschen wie Gary Numan“ in Erinnerung, „weil er immer der Frontman war, Keyboards, Gitarre und alles andere gleichzeitig spielen wollte“. Bei The French Look bediente Gore im Hintergrund die Keyboards; ein bulliger Typ namens Paul Redman war dazugestoßen, weil er zwei Synthesizer besaß und kräftig genug war, diese herumzuschleppen.

Jeder kannte jeden, nur ein Typ war weniger bekannt. Er mixte bei einer Probe von The French Look in der Woodlands-Schule den Sound – ein magerer Expunk namens Dave Gahan. Auf ihn wurde Vince Clarke eines Tages aufmerksam, als The French Look probten und Gahan anfing, bei David Bowies „Heroes“ mitzusingen. Es war zwar nur eine Jamsession, aber Clarke, der nur äußerst ungern ganz vorn stand, dachte: „Der ist in Ordnung, vielleicht sollten wir ihn in die Band aufnehmen.“ Gahan sang niemals für Composition of Sound zur Probe, er konnte einfach mitmachen, falls er Lust dazu hatte. Clarke lud ihn ein, sich die Band bei einem Auftritt in Scamps, Southend, einmal anzusehen, wo die School Bullies, eine der Gruppen von Perry Bamonte, als Headliner spielten.

Der Auftritt von Composition of Sound fing nicht gerade gut an, weil Fletcher, dem man linkische Bewegungen nachsagt, stolperte und die Stecker aus den Verstärkern riss – ausgenommen den für sein eigenes Instrument. Somit erklang sein Bass während der ersten beiden Nummern als Soloinstrument. Daryl, Perrys jüngerer Bruder, erinnert sich an den Gig: „Das war so etwa im April oder Mai 1980, als ich von der Schule abging. Perry gab damals Composition of Sound eine Chance im Vorprogramm. Daraus wurden Depeche Mode, aber das war noch keine Band, die ausschließlich mit Synthesizern spielte. Fletch zupfte den Bass, Martin spielte Keyboard, Vince bediente die Gitarre und sang. Dave Gahan beobachtete die Band bei diesem Gig, und bei dieser Gelegenheit lernte ich ihn kennen. Sie spielten viele Songs, die sie dann später als Depeche Mode aufnahmen: ‚Photographic‘, ‚Ice Machine‘ und ein paar Instrumentals.“