Loe raamatut: «Sperare Contra Spem»

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Susanne Hegger

SPERARE CONTRA SPEM


Herausgegeben von Karl-Heinz Menke Julia Knop Magnus Lerch

Bonner Dogmatische Studien

Band 51

Susanne Hegger

SPERARE CONTRA SPEM

Die Hölle als

Gnadengeschenk Gottes

bei Hans Urs von Balthasar


Für Jonathan, Theresa und Leonard

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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© 2012 Echter Verlag GmbH

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Umschlaggestaltung: Peter Hellmund

Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe

ISBN 978-3-429-03512-9 (Print)

ISBN 978-3-429-04647-7 (PDF)

ISBN 978-3-429-06057-2 (ePub)

Inhalt

Vorwort

1. Einleitung

1.1 Abschied von der Hölle?

1.2 Rückbesinnung auf das Mysterium der Hölle bei Hans Urs von Balthasar

1.3 Anlage und Anliegen der Untersuchung

2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss

2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie

2.1.1 Theologisches Apriori natürlicher Erkenntnis

2.1.2 Unterscheidend christliche Metaphysik

2.1.2.1 Seinsvergessenheit der neuzeitlichen Metaphysik

2.1.2.2 Das Wunder des Seins aus meta-anthropologischer Perspektive

2.1.2.2.1 Formale Struktur des Seins

2.1.2.2.2 Materiale Struktur des Seins

2.1.2.2.3 Analogie des Seins

2.2 Theologie als Ausdruck des Eindrucks des göttlichen Wortes

2.2.1 Wahrheit als Beziehungsgeschehen

2.2.2 Theologische Wahrheit als Liebesgeschehen

Exkurs: Hans Urs von Balthasar und Adrienne von Speyr

2.2.3 Mystik als locus theologicus

2.3 Die Gestalt der balthasarschen Theologie

2.3.1 Die Trilogie: Theologische Ästhetik – Theodramatik – Theologik

2.3.2 Theologische Phänomenologie

2.3.3 Methode der Integration

2.4 Reflexion

2.4.1 Überlegungen zum Verhältnis von Theologie und Mystik

2.4.2 Absage an die Behauptung der Apriorität theologischer Aussagen

3. Die Frage der Hölle im Konnex der theologischen Summe Balthasars

3.1 Hölle im Spiegel trinitarischer Lebendigkeit

3.1.1 Hermeneutik des Kreuzes

3.1.2 Das Wesen Gottes als dreieiniges Geschehen der Liebe: die „Ur-Kenose“ in Gott

3.1.2.1 Dreiheit der Personen: die trinitarischen Prozessionen

3.1.2.1.1 Die Zeugung des Sohnes

3.1.2.1.2 Die Hauchung des Geistes

3.1.2.2 Einheit des Wesens: circumincessio

3.1.3 Hölle als unendliche Starre

3.2 Hölle aus anthropologischer Perspektive

3.2.1 Analogia trinitatis

3.2.1.1 Das Sein des Menschen als imago Dei: analogia libertatis

Exkurs: Zur Denkform Balthasars

3.2.1.1.1 Endliche Freiheit als bipolarer Spannungsbogen zwischen Autonomie und Verdanktsein

3.2.1.1.2 Die Gefahr sündiger Verfehlung endlicher Freiheit

3.2.1.2 Die Bestimmung des Menschen zur similitudo Dei: analogia personalitatis

3.2.2 Entdramatisierung der (Heils)Geschichte?

3.2.3 Hölle als egozentrische Selbstverschließung

3.3 Hölle im Fokus christologischer Zentrierung

3.3.1 Koinzidenz von Person und Sendung Jesu Christi

3.3.1.1 Jesu Bewusstsein ewiger Sohnschaft

3.3.1.2 Das Sein Jesu Christi als konkrete analogia entis

3.3.2 Das Kreuz im Zentrum der Sendung

3.3.2.1 Das pro nobis als ontisch reale Stellvertretung

3.3.2.2 Jesu Erfahrung der Weltsünde in der Passion

3.3.2.3 Der Tod Jesu als Weltgericht

3.3.3 Der descensus Jesu Christi ad inferos

3.3.3.1 Descensus als Höllenerfahrung Jesu

3.3.3.2 Die Befreiung endlichen Seins zur analogia Christi

3.3.3.3 Neubesinnung oder Häresie?

3.3.3.3.1 Wider den Häresieverdacht

3.3.3.3.2 Zur Begründung der Rechtgläubigkeit

3.4 Hölle im Licht des neuen Äon

3.4.1 Der Mensch unter dem Gericht

3.4.1.1 Selbstgericht in der personalen Begegnung mit der göttlichen Wahrheit

3.4.1.2 Die Gerechtigkeit des Richters als Modus seiner Liebe

3.4.2 Hoffnung für alle

3.4.2.1 Hoffnung als göttliche Tugend

3.4.2.2 Hoffnung auf allerlösende Macht der Ohnmachtsgestalt des Retters

3.4.2.3 Kritische Rückfragen

3.4.2.3.1 Verweltlichung des christlichen Glaubens durch Heilsgewissheit?

3.4.2.3.2 Logische Verstrickung in eine Lehre von der Apokatastasis panton?

3.4.2.3.3 Theologische Abseitigkeit?

4. Ausblick: Pathologische Angst als Vorschattung von Hölle?

4.1 Bestandsaufnahme: Beispiele theologischer Annäherungen an die Angstthematik

4.2 Rahmenbedingungen eines Dialogs zwischen Balthasar und der Daseinsanalyse

4.3 Angst aus daseinsanalytischer Perspektive

4.3.1 Grundzüge des menschlichen Wesens

4.3.2 Pathologische Angst als Privationsphänomen

4.4 Überlegungen zu Möglichkeiten eines diskursiven Gesprächs zwischen daseinsanalytischem Angstverständnis und Balthasars Theologie der Hölle

4.5 Perspektiven

5. Schlussbetrachtung

6. Abkürzungsverzeichnis

7. Literaturverzeichnis

8. Personenregister

Vorwort

Die vorliegende Untersuchung wurde von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum im Wintersemester 2011/12 als Inaugural-Dissertation zur Erlangung des theologischen Doktorgrades angenommen. Für die Veröffentlichung wurde lediglich ein Personenregister ergänzend hinzugefügt.

Eine Promotionsschrift ist immer Produkt eines jahrelangen Denk- und Arbeitsprozesses, der nicht im „Alleingang“ zu bewältigen ist, sondern stets auch durch unterschiedliche Formen der Begleitung und Unterstützung belebt, in Gang gehalten und schließlich zum Abschluss gebracht wird. Am Anfang soll darum ein Wort des Dankes an jene stehen, die auf je eigene Weise einen Beitrag zum Gelingen meines Vorhabens geleistet haben.

Prof. Dr. Markus Knapp hat die Arbeit von der ersten, noch unscharfen Fragestellung bis zur letzten Zeile gleichermaßen konstruktiv wie kritisch begleitet, sowie das Erstgutachten erstellt. Ganz besonders dankbar bin ich ihm für die Selbstverständlichkeit, mit der er mir dabei ohne jeden Vorbehalt zugetraut hat, familiären Verpflichtungen, dienstlichen Aufgaben und einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt gleichermaßen gerecht werden zu können. Das war und ist mir eine große Zu-Mut-ung!

Die Mühe des Zweitgutachtens hat Prof. em. Dr. Hermann Josef Pottmeyer auf sich genommen. Ihm gebührt darum mein Dank ebenso wie Prof. Dr. Karl-Heinz Menke für die bereitwillige Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Bonner Dogmatische Studien“. Dem Bistum Essen sage ich für einen großzügigen Druckkostenzuschuss Dank.

Nicht minder wichtig als die Unterstützung, die ich von akademischer und kirchlicher Seite erfahren durfte, waren Beistand und Hilfe von Freunden und meiner Familie. Frau Jutta Doetsch danke ich für so manchen bereichernden (theologischen) Gedankenaustausch, besonders wenn er spätabends, an Wochenenden oder auf Autofahrten stattfand. Um die leidige aber unverzichtbare Aufgabe des Korrekturlesens haben sich Tim Schiller und vor allem Dr. Bettina Oeste verdient gemacht. Ihr weiß ich mich außerdem für das eine oder andere Telefonat zu Dank verpflichtet. Mein Mann Andreas Hegger hat mein Projekt in jeder Phase mit großer Gelassenheit und dankenswerter Geduld verfolgt und mir so die für jedes wissenschaftliche Forschen unabdingbare Ruhe gewährt.

Mein ganz besonderer Dank aber gilt meinen Kindern Jonathan, Theresa und Leonard, denen diese Arbeit darum gewidmet ist. Immer wieder haben sie als Heranwachsende gleichsam ihre Rollen mit mir getauscht und mich ermuntert, gelobt, getröstet oder aber auch, wann immer es ihnen nötig erschien, zur Arbeit geradezu angetrieben. Ohne ihr großes Verständnis, ihre Unterstützung und Nachsicht hätte diese Studie nicht entstehen können.


Voerde, im Februar 2012 Susanne Hegger

1. Einleitung

Eine systematisch-theologische Untersuchung zur Frage der Hölle im 21. Jahrhundert mag auf den ersten Blick nicht nur anachronistisch, sondern geradezu befremdlich erscheinen. Nachdem die Höllenthematik über Jahrhunderte hinweg nicht zuletzt im Interesse der Sicherung kirchlicher Macht über die Gläubigen eine zentrale Stellung in Theologie und Verkündigung eingenommen hatte, setzte in der evangelischen Theologie im 19., katholischerseits dann ab Mitte des 20. Jahrhunderts eine Kehrtwende ein. „Vor dem Denkhorizont des 20. Jahrhunderts erweisen sich die überkommenen Vorstellungen von der Hölle in zunehmendem Maße als nicht mehr mitvollziehbar“1, und so wächst die Einsicht in die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Entmythologisierung der Lehre. „Die naive analogielose Anwendung unseres Zeit- und Raumdenkens, eine rein innerweltl(iche) Beurteilung des Ganzen also, die diesem Dogma eine oft kaum zu ertragende Gestalt gibt, muß … als eine Verzerrung seiner eigentl. Bedeutung erkannt werden“2, betont in diesem Sinne schon 1960 Joseph Ratzinger. Vor allem aber wächst mehr und mehr das Bewusstsein für die im engeren Sinne theo-logische Problematik der Rede von einer ewigen Bestrafung des unbekehrten Sünders. Immer mehr Gläubigen erscheint sie als letztlich unvereinbar mit dem christlichen Bild eines dem Menschen in absoluter Liebe zugewandten, zutiefst gütigen und barmherzigen Gottes.

1.1 Abschied von der Hölle?

„Die großen Theologen unseres (= des 20.; S. H.) Jahrhunderts haben versucht, der Hölle die Flammen zu löschen“3. Mit einer Neubesinnung auf die in Jesus Christus offenbar gewordene absolute Liebe Gottes und seinen unbedingten Heilswillen treten sie an, die Pervertierung der christlichen Frohbotschaft zu einer Drohbotschaft zu überwinden. „So wird heute die Tendenz zu einem gegenläufigen Pendelschlag verständlich, daß man nämlich statt von Gericht, Strafe und Hölle zu sprechen, nur noch einlinig Heil, Liebe und ewiges, seliges Leben hervorhebt.“4 Dieser Befund gilt sowohl mit Blick auf die wissenschaftliche Theologie, wie auch hinsichtlich der Verkündigungspraxis. Elke Jüngling kommt in einer breiten Bestandsaufnahme zu dem Ergebnis, dass in manchen neueren evangelischen aber auch ökumenischen Dogmatiken das Thema der Hölle schlicht vermieden und ausgespart wird.5 Aber auch dort, wo Abhandlungen sich der Frage annehmen, „brechen (sie) mit dem traditionellen eschatologischen Diskurs“6, indem sie zu Abschwächungen und Relativierungen der traditionellen Lehre neigen, stellt Michael Ebertz fest.7 Den gleichen Richtungswechsel kann er in einer historisch-empirischen Untersuchung für Predigttexte nachweisen. Auch hier ist ‚Hölle‘ „zu einem Tabuthema geworden …, worüber man eigentlich sprechen müßte, aber nicht mehr angemessen sprechen kann“8.

Diese Entwicklung entpuppt sich nun zunehmend als zweischneidiges Schwert. Einerseits kann und darf es gar keinen Zweifel daran geben, dass der vollzogene Umbruch des Denkens nicht nur geistesgeschichtlich unausweichlich, sondern auch theologisch unbedingt geboten war. Im Zentrum der christlichen Botschaft steht die Rettung und Befreiung der Menschheit durch Jesus Christus. In ihm, in seinem Leben, Wirken und Sterben, zuhöchst aber in seiner Auferweckung ist das Heil Gottes in der Welt angebrochen, der damit zugleich ihre Vollendung in der Teilhabe an der göttlichen Liebe verheißen ist. Jede Rede von der Hölle im Sinne der realen Möglichkeit endgültiger Verfehlung dieser letzten Bestimmung von Mensch und Welt ist damit grundsätzlich auf eine Hermeneutik der Erlösung verpflichtet. Hinter diese fundamentale Einsicht darf es unter keinen Umständen ein Zurück geben.

Andererseits aber wird man sagen müssen, dass nicht nur eine Reinigung des Höllentopos von verfehlten und missbräuchlichen Vorstellungen stattgefunden hat, sondern geradezu ein Umschlag in das Gegenteil vollzogen wurde, indem die Theologie dazu neigt, „sich ausschließlich des ewigen Lebens und der Liebe Gottes zu versichern.“9 In der Eschatologie hat sich so in Ablösung der Rede von der Verwerfung der Vielen ein neues Paradigma durchgesetzt, das „in zugespitzter Kurzform: ‚Wenn Tod, dann Himmel‘“10 lautet. Mit dieser Beschneidung der Lehre von den letzten Dingen um ehemalige Schlüsselbegriffe und Grundgedanken11, findet aber nicht nur eine Korrektur der kirchlich-theologischen Tradition, sondern auch eine deutliche Veränderung der christlichen Botschaft statt.

Wenngleich Jesus auch sicherlich kein Höllenprediger war, so spielt die Warnung vor der Gefahr, das zugesagte Heil endgültig zu verfehlen doch zweifellos eine unverkennbare Rolle in seiner Verkündigung.12 Wird diese Dimension in der Gegenwartsdiskussion nun ausgeblendet, so hat dies erhebliche Konsequenzen nicht nur für die Eschatologie, sondern für die Theologie insgesamt. Indem ein gewisser Heilsoptimismus, wenn nicht gar eine Heilsgewissheit um sich greift, geschieht nämlich eine regelrechte Zivilisierung des biblischen Gottes13 zu einem partnerschaftlichen Kumpanen.14 „Alles, was den Gott des Evangeliums unbequem, ja ärgerlich machte, wurde strukturell eliminiert.“15 Zur neuen Leitformel und Basisorientierung wurde der ‚liebe Gott16, ein Gott mithin, „über dessen Haltung man sich getrost hinwegzusetzen vermag“17, weil nichts Bedrohliches von ihm ausgeht. „Die inflationäre Rhetorik vom lieben Gott aber ist nicht nur langweilig und undramatisch, sie betrügt auch um den Ernst, der die Liebe in einer lieblosen Welt ans Kreuz gebracht hat.“18 Das biblische Gotteszeugnis wird dergestalt „unter dem Apriori einer ‚Hermeneutik der Harmlosigkeit‘ gedeutet“19. Mit der Reduzierung der zwischengottmenschlichenen Beziehung auf den Zuspruch göttlicher Liebe, wird der Anspruchcharakter der christlichen Botschaft eliminiert.20

Aus dieser Eindimensionalität ergibt sich aber nicht nur eine neue, gleichsam gegenläufige Verzerrung des Gottesbildes. Auch das Bild des Menschen erfährt deutliche Veränderungen in seiner Konturierung, wobei allerdings logisch zwei unterschiedliche Konsequenzen gezogen werden können. Entweder dem menschlichen Dasein wird ein letzter Sinn und Ernst abgesprochen, weil und indem ohne letztgültige Ausrichtung und Weisung alles Handeln wie auch jede Entscheidung willkürlich und beliebig erscheinen, oder aber der Mensch muss antreten, sich und der Welt selber ein Ziel, aber auch Maß und Norm zu verleihen. Mit dem Verzicht auf den Höllentopos nämlich geht notwendig der Verlust des Gerichtsgedankens einher. Ist die Erwartung eines letzten göttlichen Aktes, mit dem jeder Mensch, sei er Opfer oder Täter, schließlich in sein Recht gesetzt wird, aber erst einmal aufgegeben, so „fällt die ganze Last der Gerechtigkeitssicherung auf menschliche Instanzen, auf den Menschen überhaupt zurück.“21 Dieser Aufgabe aber kann er als endliches Wesen schlechterdings nicht gerecht werden. Scheinbar aus der Fremdbestimmung eines allgegenwärtigen, disziplinierenden Gottes befreit, sieht er sich vor die Begrenztheit und Unzulänglichkeit seines eigenen Daseins gestellt.

In der Auseinandersetzung nicht zuletzt mit dieser Erfahrung kommt nun unversehens die Rede von der Hölle in veränderter Gestalt vielfach wieder ins Spiel. „Seit dem 19. Jahrhundert sind es paradoxerweise … die atheistischen Dichter und Denker, die sich darum bemühen, die Hölle neu zu definieren.“22 In Literatur, Kunst und Philosophie findet zunehmend „das Bewußtsein von der Existenz von Höllen im Mikrokoskosmos des menschlichen Ich und im Makrokosmos der Gesellschaften und Schöpfung im Großen wie der menschlichen Beziehungen im Kleinen“23 seinen Niederschlag.24 „Der makrokosmische Bereich umfasst alles Entsetzliche, das Menschen einander antun können.“25 Es sind vor allem die Grauen der Weltkriege, aber etwa auch die systematische Vergewaltigung von Frauen zu kriegerischen Zwecken im ehemaligen Jugoslawien oder die Zustände in Flüchtlingslagern, die immer wieder mit dem Höllentopos in Zusammenhang gebracht wurden und werden.26 Als Höllenerfahrungen auf mikrokosmischer Ebene werden vielfach innerpsychische Deformationen und Zerrissenheiten interpretiert.

Auf die Herausforderung durch diese Entwicklung hat die Theologie ihrerseits durchaus reagiert. In zunehmendem Maße sind in ihrem Raum analoge Ansätze erkennbar, Erfahrungen von Not und Grauen als Momente des Unheil-Seins auszuweisen und damit in den Horizont der christlichen Heilsfrage zu rücken. So betrachtet etwa Joachim Gnilka die Hölle durchaus als ein irdisches Phänomen. „Die Hölle ist die Verweigerung und Umkehrung der Botschaft des Heils, der Liebe, des Gnadenangebotes Gottes. Die Realität des Bösen wirkt um uns und unter uns.“27 Mit diesem Verständnis liegt er ganz auf einer Linie mit Karl Rahner, dem die biblischen Aussagen über die Hölle ebenfalls als Enthüllung der Situation, in der der Mensch sich jetzt befindet, gelten.28 Wilhelm Maas geht sogar so weit, ‚Hölle‘ als „eine exakte ‚Orts‘-Beschreibung menschlicher Existenz heute“29 zu bezeichnen. Aus einer kultur- und gesellschaftskritischen Perspektive erscheint ihm die Epoche der Moderne insgesamt zutiefst gekennzeichnet durch „höllische (…) Kommunikationslosigkeit und Ich-Einsamkeit“30. Papst Benedikt XVI. denkt demgegenüber mehr auf ontischer Ebene, wenn er die Hölle als Abgrund der menschlichen Natur bezeichnet. „Mehr denn je wissen wir heute, dass eines jeden Existenz diese Tiefe berührt“31, so auch seine Einschätzung.

Die Vorstellung diesseitiger Höllen fristet nun aber anders als man bis hierher meinen könnte, keineswegs ein „Nischendasein“ in den Köpfen weniger Intellektueller. Dem Abschied vom traditionellen Bild der Hölle steht im Gegenteil auch im allgemeinen, öffentlichen Bewusstsein eine große Präsenz des Topos gegenüber. In einer profunden Untersuchung von Zeitungsschlagzeilen, Fernsehfilmen und Meinungsumfragen zur Höllenthematik gelangt Elke Jüngling zu der Erkenntnis, dass am Ende des 20. Jahrhunderts der Begriff ‚Hölle‘ wohl breitere Verwendung findet, als jemals zuvor in der Geschichte.32 Auffallend dabei ist allerdings ein tiefgreifender Bedeutungswandel. Indem der Höllenbegriff gleichsam seiner eschatologischen Dimension entkleidet wird, geschieht eine entscheidende Verlagerung der Schuldfrage. Hölle ist nicht mehr Folge von Sünde vor Gott, ja sie liegt gar nicht mehr primär im eigenen Verhalten eines Menschen begründet. Der Begriff wird vielmehr zumeist „als Synonym für [unschuldiges] Leiden verwendet.“33

Der bisherige Befund zeigt nun, wie ich meine, ein Doppeltes: Zunächst einmal gibt er allen Anlass zu der Hoffnung, dass das ehemalige Verständnis der Hölle als jenseitigem Strafort tatsächlich überwunden ist. Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist endgültig nicht mehr anfällig für Versuche einer Disziplinierung und Reglementierung seines Lebensvollzugs durch Androhungen ewiger Verdammnis. Dann aber ist auch deutlich geworden, und dies mag vielleicht überraschen, dass eine christlich verantwortete Rede von der Hölle heute vielleicht weniger verzichtbar ist denn je. Der Mensch, jeder Einzelne, in seinem ganz persönlichen Umfeld, wie auch die Weltbevölkerung insgesamt, ist in unserem Zeitalter immer rasanterer Entwicklungen auf allen Gebieten der Politik, Forschung und Lebensführung immer schneller vor immer größere Herausforderungen, Aufgaben und Entscheidungen gestellt, die zu bewältigen ihn zunehmend überfordert. In einer stetig steigenden Zahl von Biographien stellen sich darum Erfahrungen tiefen Unheil-Seins ein. Diese menschliche Not gilt es theologisch unbedingt einzuholen. Wenn nämlich „diesseitige Erfahrungen von Hölle in Leid und Qual nicht mehr mit Gott in Verbindung gesetzt werden, kann die christliche Botschaft die Menschen als Trost und Kraft nicht mehr erreichen“34.

Der zweifellos ganz und gar notwendige Paradigmenwechsel von der Verbreitung einer Drohbotschaft zur Verkündigung der Frohen Botschaft vom Anbruch des Reiches Gottes in Jesus Christus hat es mit sich gebracht, dass gemeinhin Erfahrungen gelingenden Menschseins theologisch als Verheißung und Angeld endgültigen Heils interpretiert werden. Was aber, wenn solche Momente des Glücks und Heils einem Menschen, aus welchen Gründen auch immer, nicht zugänglich sind? Wenn er, sei es zu Recht oder Unrecht, sein Leben von Unglück beherrscht sieht? Die Botschaft von der göttlichen Heilszusage findet dann keine Anknüpfungsmöglichkeiten und muss ins Leere laufen; „die Hölle auf Erden bleibt gottlos.“35 Besonders an jene Menschen aber, die der Heilung bedürfen, richtet sich die Selbstzusage Gottes. Gefragt sind darum „positive Entwürfe …, die den (Höllen)Topos in eine Gotteslehre einbringen“36.

Die bereits exemplarisch angeführten theologischen Versuche, Hölle als diesseitige Unheilserfahrungen in unsere Zeit hinein thematisch werden zu lassen, leisten dies indes nicht, sondern verbleiben weitestgehend auf der Ebene reiner Setzung. Der Zusammenhang zwischen dem Theolugomenon und existentiellen Erfahrungen wird zwar behauptet, nicht aber systematisch hergeleitet. Geeignete Ansatzpunkte für eine theologische Neuentdeckung und zeitgemäße Fassung der Höllenthematik bieten sich aber, so die Grundthese dieser Arbeit, im theologischen Werk Hans Urs von Balthasars.

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