Loe raamatut: «Sperare Contra Spem», lehekülg 6

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Damit tut sich nun aber die nächste Frage auf, nämlich wie es dem endlichen Menschen möglich sein kann, diese göttliche, absolute Wahrheit zu erkennen und zu verstehen. Im Hinblick auf unsere Fragestellung nach dem Theologieverständnis Balthasars formuliert heißt das, der logisch nächste Schritt ist, zu untersuchen, wie der Prozess theologischer Wahrheitsfindung mit Balthasar zu verstehen ist. Wie und unter welchen Voraussetzungen ist eine gültige theologische Auslegung des Wortes Gottes in menschlichem Wort überhaupt denkbar?

2.2 Theologie als Ausdruck des Eindrucks des göttlichen Wortes

Um den Menschen überhaupt erreichen zu können, muss die göttliche Selbstoffenbarung zumindest minimale Berührungspunkte mit allgemeinmenschlichen Erkenntnisgegenständen haben; anderenfalls müsste sie als das gänzlich Fremde unerkannt bleiben. Denkbar ist für Balthasar eine solche Entsprechung, wie gezeigt wurde, nur unter der Annahme einer Analogie zwischen dem geoffenbarten göttlichen und dem endlichen Sein. Gibt es aber eine solche Seinsanalogie, so seine Überlegung weiter, dann kann und muss auch der Prozess der Erkenntnis der Wahrheit endlichen und unendlichen Seins analog verlaufen.204 „Das Offenbarungs- und Glaubensgeschehen kann sich nicht unabhängig neben dem natürlichen Erkenntnisgeschehen vollziehen, es muß vielmehr ein Geschehen sein, in welchem das Erkenntnisgeschehen durch den sich offenbarenden Gegenstand über sich hinausgehoben … wird.“205 Die grundsätzlichen Bedingungen und Möglichkeiten theologischer Wahrheitserkenntnis erschließen sich demnach zunächst einmal im Blick auf die allgemeinen menschlichen Erkenntnisprozesse.206

2.2.1 Wahrheit als Beziehungsgeschehen

Balthasar ist seinerseits nicht an der Entwicklung einer kritischen Erkenntnistheorie gelegen. „Die transzendentale Fragestellung Kants nach den Möglichkeitsbedingungen theoretischer Erkenntnis im erkennenden Subjekt lässt er zwar als wichtige Frage gelten, möchte sich aber nicht auf diese neuzeitliche Fragestellung beschränken lassen.“207 Auch hier erteilt er also der anthropozentrischen Perspektive wieder eine explizite Absage und legt stattdessen eine „Phänomenologie des Erkenntnisvollzuges“208 vor, die mit einer „Ontologie der Wahrheit“209 verwoben ist. Beide Momente, Noetik und Ontologie, bilden nach balthasarschem Verständnis deshalb notwendig eine unlösbare Einheit, weil das Wesen von Wahrheit ja gerade in der Erkanntheit des Seins besteht.

Als Grundeigenschaft des Seins steht Wahrheit nun mit den anderen Transzendentalien in einem Verhältnis wechselseitiger Durchdringung. In der Konsequenz spricht Balthasar sich „gegen ein Wahrheitsverständnis allein aus der Sicht der Bestimmung des Wahren, d. h. gegen ein rein theoretisches Wahrheitsverständnis“210 aus. „Die Reduktion der Wahrheitserkenntnis auf eine rein theoretische Evidenz, aus welcher alle lebendigen, persönlichen und ethischen Entscheidungen sorgfältig ausgeschaltet worden sind, bedeutet eine so empfindliche Einengung des Feldes der Wahrheit, daß diese dadurch allein schon ihrer Universalität und so ihres eigentlichen Wesens beraubt wird.“211 Auch hier wird also wieder Balthasars ablehnende Haltung einer einseitig an naturwissenschaftlicher Logik orientierten Weltsicht deutlich. Wenn nämlich Sein wesentlich Liebe und als solche ein Beziehungsgeschehen ist, dann wird auch die Erkenntnis dieser Wahrheit des Seins nicht anders erfolgen können, als in der Begegnung und im Dialog. Deshalb also wählt Balthasar „als Ausgangspunkt des Denkens nicht allein das [theoretisch isolierte und abgesicherte] Subjekt, sondern das Subjekt in seiner ursprünglichen Relation zum Objekt.“212

In dem Augenblick, in dem der Mensch sich seines Seins bewusst wird, sich ihm also die Wahrheit seines Seins enthüllt, er mit anderen Worten zum Subjekt wird, erschließt sich ihm zugleich, wie bereits dargelegt wurde, das Sein als solches. In der Terminologie Balthasars gesprochen, erhält das Subjekt das Maß des Seins, die Fähigkeit zu er-messen, was es bedeutet, seiend zu sein. Aus dieser allgemeinen Kenntnis des Seins im Ganzen ist nun aber die Wahrheit eines konkreten Gegenübers nicht ableitbar.213 Das dem Subjekt gegenüberstehende Objekt muss sich vielmehr kundgeben und enthüllen, um vom Subjekt in seiner Wahrheit erkannt werden zu können. Von Balthasar beschreibt diesen Prozess der Wahrheitserkenntnis nun näherhin als „ein tatsächlich beidseitiges Sich-für-den-Andern-Erschliessen [sowohl des erkennenden Subjekts wie des sich zu erkennen gebenden Objekts]“214, weshalb auf Seiten beider Pole Aktivität und Passivität einander durchdringen.

Als geistiges Wesen ist jedes Subjekt prinzipiell offen auf ihm begegnende Andere hin. Indem aber ein Anderes ihm als konkretes Objekt gegenübertritt, „erhält (das Subjekt; S. H.) zu seiner unbestimmten Offenheit hinzu die neue Bestimmung, von diesem Objekt angegangen, affiziert, zur Erkenntnis angeregt werden zu können.“215 Während also eine wie auch immer geartete Anziehungskraft vom Objekt ausgeht, es sich dem Subjekt dergestalt geradezu aufdrängt, und ihm somit eine aktive Rolle zukommt, verhält sich das Subjekt primär rezeptiv. „Rezeptivität bedeutet Ansprechbarkeit durch fremdes Sein, Offenstehen für etwas anderes als für den eigenen subjektiven Innenraum, Fenster haben für alles, was seiend und wahr ist.“216

Es wäre nun sicher nicht richtig, Rezeptivität als reine Passivität zu verstehen. Sie ist vielmehr eine Haltung des Geschehen-Lassens, die aktiv einzunehmen und vor allem auch bewusst anzunehmen ist. „Rezeptivität besagt … nicht nur die Aufgeschlossenheit gegenüber anderem Seienden, sondern ausdrücklich auch die Fähigkeit, sich von diesem Seienden mit dessen eigener Wahrheit beschenken zu lassen.“217 Das bewusste Sich-Öffnen des Subjekts für ein ihm begegnendes Objekt in der Bereitschaft, es in seiner Wahrheit anzunehmen, ist also nach Balthasar „notwendiges Apriori subjektiver Erkenntnis von Wahrheit.“218

Das heißt nun aber keineswegs, dass ein Objekt dem Subjekt gleichsam eine fertige Wahrheit vorlegen könnte, die dieses nur aufzunehmen bräuchte. Vielmehr ist das Objekt seinerseits auf die Hilfe des Subjekts angewiesen, um allererst zu seiner Wahrheit zu gelangen. „Das Wahrheits-Geschehen stellt sich damit als Ereignis eines wechselseitigen Zuvorkommens dar.“219 Die Rezeptivität des Subjekts wird im Prozess der Wahrheitserkenntnis deswegen notwendig ergänzt durch seine Spontaneität. Indem das Subjekt das Objekt für sich entdeckt, trägt es zur Unverhülltheit seines Seins und damit zu seiner Wahrheit bei. Das Objekt „hat seine objektive Wahrheit zu einem Teil in sich selbst, zum anderen im Raum des Subjekts, das ihm durch seine Tätigkeit dazu verhilft, zu werden, wozu es bestimmt ist.“220 Das Subjekt kann also andersherum auch keine rein subjektive oder gar willkürliche Wahrheit in das Objekt hineinlegen. Vielmehr muss es sich „der Maßgabe des Objekts anvertrauen, d. h. die Erkenntnis hat sich am Sachverhalt zu messen [adaequatio intellectus ad rem].“221

Dieses Maß, an dem sich die Wahrheit bemisst, ist einem Seienden aber nur gegeben, wenn und sofern es gemessen, d. h. zutiefst erkannt ist. Nun wird man aber angesichts eigener Kontingenzerfahrungen zugestehen müssen, dass das Subjekt kein Objekt je ganz wird erkennen können, dass es nicht einmal sich selbst allein im Rückbezug auf das eigene Bewusstsein völlig durchschauen kann. Ohne ein Maß seines Seins aber käme einem Seienden keine Wahrheit und somit auch keine Wirklichkeit, d. h. keine Existenz zu. Folgt man Balthasar, so ist die einzig plausible Schlussfolgerung, dass das Maß eines jeden Objekts von einem unendlichen Subjekt, also von Gott gegeben sein muss. Es „hat sein Maß an der Idee, die Gott von ihm hat. Soweit es mit dieser Idee übereinstimmt, hat sein Sein an der Wahrheit teil.“222 Und soweit das Subjekt sich an eben diesem im Objekt liegenden, normativen Maß orientiert, wird es seine Wahrheit erkennen.

So sehr es im Sinne Balthasars auch richtig ist, dass „das menschliche Subjekt … in der Wahrheitserkenntnis nicht nur das Registrierende, sondern immer auch schöpferisch mitbestimmend oder sogar … ein Wahrheit setzendes Wesen“223 ist, so darf darüber doch nicht übersehen werden, dass seiner Überzeugung nach auch dem Moment der schöpferischen Spontaneität immer die rezeptive Haltung der Bereitschaft der Annahme des vorgegebenen Maßes ermöglichend zu Grunde liegt. „Die Spontaneität, die sich im endlichen Selbstbewusstsein kundtut und grundlegt, hat in sich selbst die Qualität einer tiefern Rezeptivität gegenüber der unendlichen Spontaneität Gottes.“224 Weltlichendliche Wahrheit ist in diesem Sinne Teilnahme an der absoluten Wahrheit.225 Balthasar geht deshalb sogar soweit zu sagen, in jeder natürlichen Wahrheitserkenntnis werde „Gott, das unendliche Subjekt, wenn auch noch so verhüllt und noch so indirekt, als der notwendige Grund jeder weltlichen Wahrheit ansichtig“226. Das Subjekt greift bewusst oder unbewusst auf diesen Grund zu und leistet dem Objekt darin den Dienst, ihm zu seiner Wahrheit zu verhelfen. Analoges gilt aber wiederum auch in umgekehrter Richtung. Der Mensch gelangt in Auseinandersetzung mit seiner Umwelt zu einem immer umfassenderen Bewusstsein seiner selbst. In der Begegnung mit Objekten reift er in seiner Persönlichkeit und findet dergestalt mehr und mehr zu seiner eigenen Wahrheit.

Wahrheit im Sinne Balthasars erweist sich demnach „weder als ‚photographische Anpassung‘ des Subjekts an die ihr Bild ‚divinatorisch‘ einprägende Objektivität noch als ‚titanische Unterwerfung‘ der Objektivität unter eine universal setzende Subjektivität“227, sondern ist zu beschreiben als vorgegebene Bestimmung, die aber erst in der dialogischen Begegnung zwischen Subjekt und Objekt zu ihrer Erfüllung kommt. Wahrheit ist nicht Sachverhalt sondern Prozess. „Im Augenblick, da die Wahrheit ganz zu sich selber kommt, weil die Enthüllung des Seienden sich selber besitzt und versteht, hört die Wahrheit auf, eine allgemein zugängliche Sache zu sein, um zu einer freien, personalen Wirklichkeit zu werden.“228

Als dergestalt personales Begegnungsgeschehen muss Wahrheitserkenntnis nun notwendig ein Freiheitsgeschehen sein. Das Subjekt kann kein Objekt zwingen, sich zu offenbaren und ihm seine Wahrheit zu enthüllen. In umgekehrter Blickrichtung betont Balthasar aber gleichermaßen die grundsätzliche Freiheit des Subjekts, sich einem Objekt erkennend zuzuwenden oder sich willentlich abzuwenden. Wahrheit erwächst also einzig aus der gegenseitigen, freien Zuwendung von Subjekt und Objekt; es ist dieser eine gemeinsame Akt, in dem sich das Sein enthüllt. „Der Wille im seienden Objekt, sich zu erschließen, und der Wille im erkennenden Subjekt, sich vernehmend zu öffnen sind nur die doppelte Form der einen Hingabe, die sich in diesen zwei Arten kundtut. Damit ist die Einsicht gewonnen, daß die Liebe nicht von der Wahrheit trennbar ist.“229

Kriterium für Wahrheit ist darum auch nicht primär die Richtigkeit eines bestimmten Sachverhalts. „In dieser Auslegung ist der sachliche Gehalt der Wahrheit durchaus nicht aufgehoben, aber klar eingeschränkt. Er hat seine personale Beziehungsfähigkeit auf die Probe zu stellen und sich in diesem Punkt zu bewähren. Eine sachliche Richtigkeit ist erst dann auch wahr, wenn sie sich in diesem Punkt bewährt hat.“230 Wahrheit ist letztlich nicht zu beweisen, sondern das Sein eines Seienden ist dann in seiner Wahrheit erfasst, wenn der Mensch sich ihm anvertrauen kann. „Ist das Sein in seiner Erscheinung wirklich erschlossen, und kann es sich in seiner Erschlossenheit selbst bezeugen, dann weicht der Verdacht des bloßen Scheins, einer Täuschung, eines Betrugs und macht einer Gewißheit Platz, die in sich die Festigkeit, Gültigkeit, Zuverlässigkeit des Seins im Bewußtsein widerspiegelt.“231

Diese Sicherheit ist nun aber keinesfalls zu verwechseln mit Verfügbarkeit. Die Wahrheit eines Objektes ist angesichts seiner Teilhabe an der Fülle des Seins nicht durch begrenzende Konturen zu de-finieren und in diesem Sinne zu bewältigen; vielmehr kann sie sich einzig und allein in einer beiderseits freien Begegnung zwischen Subjekt und Objekt entfalten. Nur derjenige also, der bereit ist, sich auf die Erfahrung von Wahrheit einzulassen, ist deshalb überhaupt in der Lage, ihr zu begegnen. „Dieser erste Akt des Glaubens, des sich hingebenden Vertrauens ist keineswegs irrational, sondern die schlichte Vorbedingung dafür, sich der Existenz des Rationalen überhaupt zu vergewissern.“232 Balthasar will den mit dem Begriff ‚Wahrheit‘ implizierten objektiven Geltungsanspruch demnach keineswegs relativieren und dergestalt die Rationalität weltlicher Erkenntnis in Frage stellen. Für ihn gilt vielmehr: „Was sich ‚phänomenologisch‘ zeigt, ist das, was ‚ontologisch‘ ist.“233 Der Mensch kann also durchaus gewiss sein, in der Erscheinung dem Sein eines Objekts und damit seiner Wahrheit zu begegnen, allerdings ist diese Gewissheit nicht auf einseitig rationalem Wege zu gewinnen. Sie erwächst vielmehr einzig dort, wo sich die personale Beziehung zwischen Subjekt und Objekt als verlässlich erweist. In dieser Bewährung wird zugleich eine zweite grundlegende Eigenschaft von Wahrheit begriffen: „Sie ist nicht nur ἀλὴθ∈ια, Unverborgenheit, sie ist auch Emeth: Treue, Beständigkeit, Zuverlässigkeit.“234

In aller Erkenntnis aber, so betont Balthasar immer wieder, ist und bleibt Wahrheit wesentlich Geheimnis.235 Weil das Sein über alles weltlich Seiende hinausgeht, deshalb kann auch die Wahrheit des Seins nicht in weltlichen Enthüllungen aufgehen. Alle weltliche Wahrheit hat zwar Teil an der einen, absoluten Wahrheit des Seins und ist in diesem Sinne echte Wahrheit, aber es ist dem endlichen Subjekt nicht möglich, die Wahrheit in ihrer Totalität zu erfassen. „Erschlossenheit (des Seins; S. H.) kennt als solche grundsätzlich keinen Abschluß. Wahrheit wäre dann nicht mehr sie selbst. Das Wahrheitsfeld weitet sich darum im Fortschritt des Wissens, statt daß man seinen ‚Grenzen‘ näher käme.“236 Wahrheit ist somit immer notwendig situativ und perspektivisch, d.h. geschichtlich. Nur in der konkreten Begegnung von Objekt und Subjekt kann sich überhaupt Wahrheit ereignen, die darum immer geprägt ist durch die jeweiligen Eigentümlichkeiten beider Seiten sowie auch des sie umgebenden räumlich-zeitlichen Umfeldes. „Darum wird der, der die Wahrheit in ihrer geschichtlichen Konkretion zu erfassen sich bemüht, es vermeiden, an das Jeweils-Jetzt einer Epoche so überzeitliche Maßstäbe anzulegen, daß die Individuation der Wahrheit in ihr nur noch wie ein zufälliges, nebensächliches Moment erscheint. Er wird sich bewusst bleiben, daß die Identität der einen Wahrheit innerhalb der Wirklichkeit in Gestalt einer Reihe von analogen Ausgestaltungen auftritt, die weder durch eine einzelne aus ihnen, noch von einer imaginären übergeschichtlichen Warte aus bemessen und gerichtet werden können.“237 Ein System zeitloser Wahrheit kann es nach Balthasar schlechterdings nicht geben.238

Die bis hierher umrissenen allgemeinen Strukturen liegen nach Balthasar jedem Prozess der Erkenntnis weltlicher Wahrheit zugrunde. Je nach Seinsstufe des Objekts unterscheiden sich die jeweils konkreten Ausprägungen aber deutlich im Grad ihrer Innerlichkeit. Eine gewisse Intimität kommt schon leblosen Dingen zu, „denn auch in ihnen sind Kräfte am Werk, die sich äußern, die also eine Bewegung von innen nach außen vollziehen“239, ohne dass diese Äußerungen einfachhin mit dem Wesen des jeweiligen Seienden gleichzusetzen wären. Anders ist nach Balthasar der hypothetische und damit vorläufige Charakter naturwissenschaftlicher Erkenntnisse nicht zu erklären.

Deutlich gesteigert ist diese Innerlichkeit dann schon auf der Stufe vegetativen Lebens. „Das Innere ist in einen fast undurchdringlichen Schleier gehüllt: was das Lebensprinzip in sich selbst ist, wird keine Forschung je wissen.“240 Zugang zum Sein des Lebendigen und damit zu seiner Wahrheit hat der Mensch einzig, weil und indem es sein Leben lebt und dergestalt sein Wesen als Lebendiges enthüllt.

In der animalischen Welt nun sieht Balthasar eine qualitativ völlig neue Ebene erreicht, weil jedes tierische Lebewesen als mit Bewusstsein ausgestattetes nicht nur potentielles Objekt von Wahrnehmung, sondern zugleich immer auch wahrnehmendes Subjekt ist. „Subjektivität (aber) ist Intimität, und zwar seinshaft garantierte Intimität, die nicht nur nicht erbrochen, die auch nicht als solche mitgeteilt werden kann.“241 Das wahrnehmende menschliche Subjekt hat keinerlei Zugriff auf den Innenraum eines ihm als Objekt gegenüberstehenden tierischen Subjektes; und das Tier hat seinerseits, ungeachtet der ihm zur Verfügung stehenden Ausdrucksformen, die sich freilich noch auf der Ebene des rein Naturhaften bewegen, keine Möglichkeit, sein Inneres mitzuteilen.

In der menschlichen Existenz schließlich vertieft sich das Bewusstsein zu Selbstbewusstsein. Der innere Raum seiner Intimität ist dem Subjekt, wenn auch nicht bis in seine tiefste Tiefe erschließbar, so aber doch prinzipiell zugänglich. Dieser Selbstbesitz bedeutet nun wesentlich personale Freiheit. Zwar ist der Mensch als soziales Wesen grundsätzlich auf Mitteilung hin angelegt, dennoch aber ist er zu keiner bestimmten Äußerung gezwungen. „Niemand kann ihm seine Wahrheit abringen, niemand kann ohne sein Wissen und Wollen darüber verfügen.“242 Mehr noch: Selbst wenn er sich zu einer Kundgabe entschließt, ist damit erstens noch nichts über ihre Form entschieden; der Mensch verfügt über eine Vielzahl leiblich-sinnlicher Ausdrucksmöglichkeiten, wobei der Sprache im Sinne freier Wortgestaltung besondere Bedeutung zukommt.243 Zweitens aber begibt der Mensch sich mit keiner wie auch immer gearteten Selbstäußerung seines letzten personalen Geheimnisses. „Soll der Geist wirklich frei sein, so muß er nicht nur vor der Mitteilung, sondern auch in ihr und nach ihr frei sein. Es muß ihm also die Möglichkeit zur Verfügung stehen, von sich selber zu reden, sich in wahrer Weise zu offenbaren, ohne deshalb doch seine Intimität, sein Für-sich-sein preisgeben zu müssen.“244 Mit dieser weitgehenden Freiheit von naturhafter Notwendigkeit kommt dem Menschen eine einzigartige Verfügungsgewalt über seine eigene Wahrheit aber damit zugleich auch über die Unwahrheit zu. Der Mensch ist je neu in die Verantwortung gestellt; nur er kann und muss letztlich die Wahrheit seiner Selbstmitteilung verbürgen.245

Diese qualitativ neue Ebene auf der Seite des sich mitteilenden Subjektes versetzt nun aber auch das aufnehmende Subjekt zwangsläufig in eine veränderte Position. Weil nämlich zwischen dem Inhalt einer Äußerung und ihrem Ausdruck die Freiheit des Mitteilenden steht, entzieht sich der Wahrheitsgehalt einer jeden Selbstkundgabe grundsätzlich dem richtenden Urteil des Aufnehmenden. Sprechen nicht offensichtliche äußere Gründe dagegen, bleibt ihm deshalb nur die vertrauensvolle Annahme der Äußerung. In diesem Sinne ist die Aufnahme des Mitgeteilten mit Balthasar letztlich als Glauben zu verstehen.

„Damit scheint sich das Verhältnis von Subjekt und Objekt fast in sein Gegenteil verkehrt zu haben. Das Objekt ist nicht mehr das unbeteiligte Material der Erkenntnis, deren tätiger, schöpferischer Träger das … Subjekt ist, es verwandelt sich beinahe in den aktiven Partner, während das Subjekt mit seiner primären Rezeptivität fast in die Rolle der wehrlosen Passivität gedrängt scheint.“246 Bei genauerem Hinsehen erweist sich aber auch auf der Ebene geistiger Freiheit des Objekts die den Prozess weltlicher Wahrheitserkenntnis vorantreibende strukturelle Verwobenheit von Aktivität und Passivität. Auch hier nämlich ist, wie von Balthasar ausdrücklich betont, Erkenntnis notwendig immer auch schöpferisch-spontaner Akt des Subjekts. „Bestünde keinerlei Freiheit im Akt geistiger Erkenntnis, so wäre sie keine geistige Tätigkeit.“247 Und in umgekehrter Blickrichtung gilt: Auch die Wahrheit eines jeden menschlichen leiblich-geitigen Seins konstituiert sich allererst, indem sie durch ein anderes Subjekt erkannt und dergestalt mit hervorgebracht wird. Das subjektive Objekt muss sich seine Wahrheit immer auch in einer Haltung der Passivität zusagen lassen.

Mit der Ebene personaler Wahrheit ist die Stufe tiefster Innerlichkeit weltlicher Wahrheitserkenntnis erreicht, und darum auch ein Vorverständnis für die Erkenntnis von Glaubenswahrheit eröffnet. Die im Hinblick auf Wahrheitserkenntnis in Subjekt-Subjekt-Beziehungen umrissenen Strukturen finden bei Balthasar daher nun auch im Hinblick auf theologische Wahrheit Anwendung, erfahren jedoch angesichts der grundsätzlichen Unähnlichkeit des unendlichen göttlichen Subjektes mit jedem endlichen Subjekt wesentliche Modifikationen, i. e. weitere Vertiefungen. Theologische Erkenntnis geschieht (nur) analog zur weltlichen.

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