Loe raamatut: «DEBORA»

Font:

T.D. Amrein

DEBORA

Krügers Kampf mit blonden Amazonen

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

Impressum neobooks

1. Kapitel

Deboras Zange glitt ganz sanft über die Haut, bevor sie sich in die aufgerichtete Brustwarze krallte. Ein ersticktes Stöhnen war zu vernehmen. Ungerührt wählte sie eine zwei Millimeter dicke Hohlnadel, die genau zu der Zange passte.

„Sie haben doch gesagt, es tut gar nicht weh, Frau Doktor“, quengelte der bärtige Rockertyp, nachdem sie die Nadel wieder entfernt und durch einen Stecker mit Flügelmotiv an den Enden ersetzt hatte.

„War es denn so schlimm?“, fragte Debora scheinheilig.

Er gab keine Antwort, sein hochrotes Gesicht war immer noch schmerzverzerrt.

„Bei der anderen werde ich ganz vorsichtig sein“, versprach Debora lächelnd.

Der Rocker schoss hoch. „Auf keinen Fall!“ Seine rechte Hand klatschte schützend auf die unversehrte Seite.

Debora winkte ihrer Assistentin, die schon eine Rechnung getippt hatte. Für zwei Piercings natürlich, was dem Patienten jedoch nichts auszumachen schien. Wortlos zählte er den Betrag auf den Tisch, danach wankte er aus dem Studio. Die Tüte mit den Pflegemitteln, die ihm Carmela bereitgestellt hatte, blieb zurück.

„Darf der überhaupt Motorrad fahren, in diesem Zustand?“, erkundigte sich die Assistentin.

„Weshalb denn nicht?“, gab sie zurück. „Er steht ja nicht unter Medikation.“

Carmela zog die Brauen hoch. „Wie können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren, Frau Doktor Nagel, wenn der gleich am nächsten Baum landet?“

Debora lächelte erneut. „Ich werde höchstpersönlich einen Neuen pflanzen, falls es so weit kommt.“

Piercingstudio Dr. Debora Nagel, das musste ein Omen sein, hatte sie gedacht, als sie den Entschluss fasste. Als angestellte Zahnärztin war ihr des Öfteren an den Hintern gegriffen worden. Von den Patienten genauso, wie von den Kollegen.

Ihr Chef hatte angeboten, ihre Brüste regelmäßig auf Knoten zu untersuchen. Ohne Berechnung, wie er grinsend versprach. Debora mochte es zwar durchaus, wenn ihr Busen gestreichelt wurde. Jedoch niemals von einem Mann. Dafür war Carmela zuständig, die sie inzwischen als Assistentin angestellt hatte.

Carmela war fünfzehn Jahre jünger als sie. Zierlich, knackiger Hintern, makellose Haut, blaue Augen, die manchmal einen Stich ins Grüne zeigten. Ihr blondes Haar war echt, genauso wie die vollen Lippen.

Unzufrieden war sie nur mit ihrer Oberweite. „Für die zwei Knöpfe brauche ich keinen BH“, pflegte sie zu sagen, wenn sie darauf angesprochen wurde.

Carmela tickte nicht so strikt wie Debora, ab und zu verbrachte sie auch eine Nacht mit einem Kerl. Das hatte den Vorteil, dass es Debora, die sehr eifersüchtig war, nicht störte. Männer zählten nicht.

Das galt auch für ihr Studio. Sie verwendete weder betäubende Creme noch Eis-Spray, wenn wieder Mal einer auftauchte. Bei Frauen arbeitete sie ganz anders, die sollten sie schließlich weiterempfehlen. Als ausgebildete Ärztin beherrschte sie auch die schwierigen Eingriffe, die ein normales Studio keinesfalls anbieten konnte. Selbstverständlich mit örtlicher Betäubung, Nachsorge und was sonst notwendig werden sollte.

Die exklusive Lage, mitten in Basel, trug ebenfalls zum Erfolg bei. Debora verdiente mit halber Arbeit das Doppelte des Lohns, den sie früher gehabt hatte.

***

Zwei Tage später wiederholte sich die Szene. Ein Rocker betrat in schweren Lederstiefeln das Studio. Ein Kollege habe sie empfohlen, erklärte er. Allerdings wollte er nur einen kleinen Nasenring haben. Über ein Brustpiercing verfügte er bereits.

„Der Kollege war zufrieden?“, fragte Debora nach. „Was hat er den erzählt?“

„Er hat mir nur die Adresse gegeben und bei Ihnen soll man bestimmt keine Infektion bekommen, das war’s“, gab er zurück.

Debora überließ ihn großzügig Carmela, die ohnehin das Handwerk lernen wollte.

Diesmal tippte sie die Rechnung. Der Mann verließ das Studio gut gelaunt. Er war äußerst zufrieden mit seinem neuen Schmuckstück.

Lange konnte er sich jedoch nicht daran erfreuen. Auf der Fahrt zurück nach Deutschland wurde er von einem LKW-Fahrer übersehen, der seinen Kipper auf der Bundesstraße wendete.

Schon der zweite Motorradfahrer diese Woche, der ums Leben gekommen war. Zwar auf der anderen Seite des Rheins und die Umstände seines Todes waren nicht so klar. Auf gerader Strecke stand rechts eine große Reklametafel, die für ein nahegelegenes Einkaufszentrum warb. Die Skulptur, die bisher das Unterteil geschmückt hatte, war nur noch Schrott, genauso wie die Harley.

Zeugen gab es keine. Die Gendarmen vermuteten überhöhte Geschwindigkeit oder Sekundenschlaf. Keine Anzeichen für ein Fremdverschulden. Der stark verletzte Leichnam war noch nicht identifiziert. Die schwarze Lederbekleidung ließ auf einen vermutlich aus Deutschland stammenden Rocker schließen. Dafür sprach auch das deutsche Motorrad-Kennzeichen, das am Unfallort gefunden wurde. Als Halter wurde ein Motorradmechaniker festgestellt, der angeblich schon vor längerer Zeit zu einem Urlaub in Thailand aufgebrochen war. Wann genau er wiederkommen würde und wo er sich aufhielt, konnte jedoch nicht geklärt werden.

Deshalb landete der Fall schließlich auf Kommissar Guerins Schreibtisch.

***

Debora und Carmela verbrachten das Wochenende zusammen im Elsass. In Colmar gab es ein Hotel, wo zwei Damen zusammen übernachten konnten, ohne schräg angesehen zu werden. Schließlich war die Besitzerin vom gleichen Schlag.

Debora hatte stets ein besonderes Auge auf ihre Freundin, wenn sie dort zu Gast waren. Natürlich waren sie selten das einzige lesbische Pärchen. Debora fürchtete und genoss gleichzeitig die schmachtenden Blicke, die Carmela erntete. Besonders auf der Dachterrasse, wo man sich hüllenlos sonnen konnte. Nahtlos braun zu werden, darin bestand der formale Zweck des Aufenthalts wie in jedem Frühling.

Für vier Uhr, das war ebenfalls üblich, hatte das Hotel einen Imbiss mit eiskaltem Champagner bereitgestellt, der jeweils im Raum unter der Dachterrasse angeboten wurde. Die Damen schlenderten deshalb um diese Zeit, eine nach der andern die Treppe hinunter, um sich zu erfrischen. Ohne Textilien. Schon nur um keine Sonnencreme auf die empfindliche Wäsche zu kleckern. Außerdem war frau ja unter sich.

Gellende Schreie vom Dach zerstörten die knisternde Atmosphäre. Carmela, als Jüngste, war auch als Erste wieder oben.

Debora stand wie eine Statue am Rand der Dachterrasse und starrte nach unten. Carmela rüttelte sie am Arm. „Warum hast du geschrien?“, wollte sie wissen.

Debora schien aufzuwachen. „Sie ist runtergefallen! Ich konnte sie nicht mehr halten“, krächzte Debora mit halb erstickter Stimme.

„Was konntest du nicht mehr halten?“, fragte Carmela nach.

„Diese Frau!“

Erst jetzt registrierte Carmela, dass von unten aufgeregte Stimmen zu hören waren. Die Dachterrasse war durch einen Streifen aus Ziegeln von der Fassade getrennt, ein direkter Blick auf die Straße deshalb nicht möglich.

Carmela zog Debora weg von der Brüstung, schob sie stattdessen sanft auf einen Liegestuhl. „Bleib da, ich gehe nachsehen!“ Dann stürmte sie die Treppe hinunter.

Erst vor dem Lift fiel ihr ein, dass sie nackt war. Also schnell wieder nach oben, wo ihre Kleider lagen. Sie streifte sich jedoch nur eine Hose und ein Shirt über, während sie schon wieder unterwegs war.

Vor dem Hotel hatte sich eine Reihe von Menschen in einem geschlossenen Halbkreis angesammelt. Einige schluchzten, dazu gedämpftes Gemurmel.

Carmela bahnte sich einen Weg durch die Menge, bis sie schockiert stehen blieb. Die Frau, die gerade noch vor einigen Minuten mit ihr geflirtet hatte, lag blutend auf dem dunklen groben Kopfsteinpflaster. Mit ausgebreiteten Armen auf dem Bauch. Der stark abgedrehte Kopf ließ das Gesicht erkennen.

Der Körper wirkte seltsam unförmig, wie auf einer Seite gepresst. Völlig reglos lag sie da, nur das Blut floss noch immer. Ihre langen blonden Haare waren an den Spitzen schon blutig verfärbt, mäandernde rote Schlieren hatten bereits den ersten Gully erreicht.

Noch nie hatte sich Carmela so hilflos gefühlt. „Hat jemand eine Decke!“, rief sie in die Menschenmenge.

Alle sahen sie nur betreten an, niemand gab eine Antwort.

Carmela lief die paar Schritte zurück ins Hotel und schnappte sich die erstbeste Tischdecke, die sie sah.

Als sie damit zurückkehrte, machten die Leute plötzlich respektvoll Platz.

„Verletzte frieren immer“, murmelte eine ältere Frau kopfnickend.

Carmela glaubte nicht, dass diese Verletzte noch fror. Sie brachte ihr wohl eher ein Leichentuch. Wenigstens aus edlem Damast, wie sie registrierte, während sie es behutsam über den Körper ausbreitete.

Trotz der schrecklichen Situation. Der weiße schwere Stoff mit dem farblosen Muster verlieh dem Ganzen eine gewisse Würde. Einige der Umstehenden falteten die Hände, ein immer deutlicher werdendes Vaterunser erklang. Bis es von der Sirene eines heranpreschenden blau-weißen Streifenwagens zerrissen wurde.

***

Kommissar Eric Guerin hatte den Grill im Garten seiner Wohnung gerade angeheizt, Michélle würzte die Steaks, als das Telefon klingelte. „Merde!“, entfuhr Guerin. Michélle runzelte vorwurfsvoll die Brauen.

„Tut mir leid, mon Chérie“, brummte Guerin, „aber ich höre schon am Klang der Klingel, dass ich gleich gehen muss.“

Er hörte eine Weile zu, dann folgte ein gedehntes „ja klar komme ich vorbei, bis gleich.“

„Soll ich mit dem Essen warten?“, fragte Michélle.

„Ich befürchte, das hat wenig Sinn“, gab er zurück.

„Todesfall?“, fragte Michélle zurück.

Er nickte. Dann hellte sich seine Miene etwas auf. „Du könntest eigentlich mitkommen. Es ist nur ein kurzes Stück, wir können zu Fuß gehen. Wenn wir Glück haben, reicht es dazwischen für ein kleines Abendessen.“

„Dann müsste ich mich umziehen.“

„Ich doch auch“, gab er zurück.

Guerin hatte alle Lebensmittel in den Kühlschrank verfrachtet, bis Michélle ebenfalls fertig war.

Er musterte sie betont auffällig: Sie trug eine weiße Bluse zu einem kurzen schwarzen Bleistiftrock. Dazu die Strümpfe mit Naht, die er ihr gekauft hatte trotz der hohen Temperatur. Die Strumpfhalter zeichneten sich unter dem engen Rock deutlich ab. Dazu die neuen hellen Pumps, mit den höchsten Absätzen, die Michélle je besessen hatte. Natürlich trug sie auch die nur für ihn, sie hätte flache Schuhe vorgezogen. Aber wenn er die so toll fand?

„Oh, la, la, Madame! Sie sehen zum Anbeißen aus“, sagte er schließlich, nachdem sie sich noch einmal umgedreht hatte.

„Untersteh dich!“, gab sie zurück. „Wenn wir essen, dann im Restaurant!“

Auf dem Weg erzählte er ihr, was er bereits wusste, damit sie sich auf die Situation vorbereiten konnte, die sie erwartete.

Guerin wurde von den Gendarmen sehr respektvoll begrüßt, fiel Michélle auf. Er stellte sie bloß als Madame Steinmann vor, ohne weitere Erklärung.

Den Respekt zollten sie ihm allerdings nicht nur für seine legendären Fahndungserfolge, wie Michélle dachte. Guerin stand überdies im Ruf, stets die elegantesten Weiber um sich zu scharen. Was er an diesem Abend wieder einmal unter Beweis stellte.

„Würdest du bitte hier warten!“, bat er sie, „ich sehe mir die Tote näher an.“

Sie nickte nur, um ihn nicht bloßzustellen.

Guerin verschwand im Schutzzelt, das aufgebaut worden war. Einige Techniker und Claude, sein alter Freund und Pathologe, alle in weißer Schutzkleidung, waren anwesend.

Als Begrüßung musste ein Augenzwinkern ausreichen, um selbst keine Spuren zu hinterlassen.

Guerin streifte sich Handschuhe über, bevor er sich dem Opfer näherte. Eigentlich hätte er sich das auch sparen können, dachte er, als er sie betrachtete. Die Tote war nicht nur völlig unbekleidet, sie trug auch weder Schmuck noch Make-up.

Unnatürlich wirkte jedoch der Glanz auf den unverletzten Teilen der Haut. Sie schien frisch eingefettet zu sein.

Guerin zog sich in den Vorraum zurück und wartete auf Claude.

„Was kannst du mir schon sagen?“, fragte er, als der Pathologe erschien. „Ist sie nur gefallen oder hat sie auch andere Verletzungen?“

„Auf den ersten Blick, nicht“, war die Antwort, „aber du weißt ja, dass ich ohne genaue Untersuchung …“

Guerin winkte ab.

„Auf jeden Fall war sie sofort tot. Der Schädel ist völlig zertrümmert, Genick und Wirbelsäule sind mehrfach gebrochen“, führte Claude weiter aus. „Man kann von Glück sprechen, dass sie niemanden getroffen hat. Einigen Touristen ist sie direkt vor die Füße gefallen.“

„Woher kommt der Glanz?“, wollte Guerin wissen.

„Sonnencreme.“

„Ach so, Sonnenbad auf dem Dach …?“

„Sieht ganz so aus“, bestätigte Claude.

„Wovon haben sie dich weggeholt?“, fragte Guerin nach.

„Fußball-Übertragung. Und du?“

„Romantischer Abend.“

„Hast du sie allein gelassen?“

„Nein, mitgenommen, sie steht da draußen.“

Guerin zog die Zeltplane ein Stückchen nach unten. „Du kennst sie ja schon.“

Claude nickte. „Inzwischen ist sie noch mehr aufgeblüht. Wie du das immer machst?“, stellte Claude nach einem kurzen Blick fest.

„Das muss an meinen Genen liegen“, scherzte Guerin.

„Das kannst du ruhig ausschließen!“ Claude grinste. „Du bist einfach ein Glückspilz oder ein Sonntagskind, das sind die richtigen Kriterien.“

***

Guerins Assistent, Marcel Morier, hatte schon einige Fakten zusammengetragen, die er ihm nun vortrug. „Also, das Opfer, sie ist im Hotel angemeldet, hier ihr Reisepass, heißt Martina Werthemann. Ihre Adresse, Paracelsusweg 141, Freiburg im Breisgau, Beruf Rechtsanwältin, geboren 23.11. 1940. Familienstand ledig.

Die wichtigsten Zeuginnen: Frau Dr. med. dent. Debora Nagel, wohnhaft in Basel, an der Hebelstraße 421 sowie ihre Assistentin, Carmela Leu, die Adresse ist dieselbe. Die anderen Damen haben nichts beobachtet, sie befanden sich zurzeit des Vorfalls nicht auf dem Dach.“

„Danke Marcel. Hast du auch schon eine Aussage darüber, was vorgefallen ist?“, fragte Guerin nach.

„Ja, Frau Nagel hat angegeben, dass Frau Werthemann plötzlich in Panik geraten ist, um sich geschlagen hat und danach über die Brüstung geklettert ist.

Frau Nagel hat noch versucht, sie festzuhalten. Jedoch ist ihr der Arm der Frau entglitten, infolge der Sonnencreme, wie sie erklärt hat. Ich habe übrigens nachgesehen, es befindet sich ein Wespennest in der Ecke, wo es passiert sein soll. Ihre Aussage scheint mir absolut glaubhaft zu sein“, fügte er noch an.

„Und diese Assistentin, die war dabei?“, fragte Guerin nach.

„Nein, dabei war sonst niemand, sie war nur die Erste, die das Dach erreicht hat, nachdem die Schreie gehört wurden.

Sie hat sich danach um das Opfer gekümmert, die anderen Damen blieben bei Frau Nagel.“

„Schade“, seufzte Guerin. „Also können wir es nicht gleich als Unfall einstufen. Informieren sie bitte Doktor Roulin, damit er auf eventuelle Wespenstiche achten kann. Ich werde noch mit den beiden Zeuginnen sprechen.“

Marcel nickte. „Bis später, Herr Kommissar.“

Guerin bat Michélle, ihm Protokoll zu führen, damit sie nicht mehr alleine herumsitzen musste. Und außerdem, da das Opfer aus Freiburg stammte, konnte sie schon erste Informationen sammeln, inoffiziell natürlich, sie würden später einen Weg finden, das zu legalisieren, falls nötig.

Frau Doktor Nagel hatte sich inzwischen gefasst. Neugierig musterte sie Guerin und seine „Protokollführerin“, als sie von Morier in den improvisierten Vernehmungsraum, eigentlich das Frühstückszimmer des Hotels, geführt wurde.

Auf die Fragen Guerins wiederholte sie praktisch Wort für Wort die Aussage, die der Kommissar schon von Marcel erhalten hatte.

„Madame!“, fragte Guerin nach, „haben Sie eine Ahnung, was die Panik bei Frau Werthemann ausgelöst haben könnte?“

„Frau Werthemann“, wiederholte Debora. „Ihren Namen kannte ich bisher nicht. Und nein, ich habe keine Erklärung, ich bin bloß Zahnärztin, keine Psychologin.“

Guerin seufzte leise. „Madame, ich wollte auch keine ärztliche Diagnose nachfragen. Sondern, sagen wir mal einfach so, ohne Fachkenntnisse: Was ging Ihnen den durch den Kopf in diesem Moment?“

„Mein erster Gedanke, meinen Sie?“

„Ja, Madame, so könnte man sagen.“

„Die spinnt völlig, das habe ich gedacht, auch wenn das jetzt ziemlich herzlos klingt.“

„Haben Sie vielleicht auf dem Dach die Anwesenheit von Wespen bemerkt, Madame?“, fragte Guerin nach, ohne auf ihre Antwort einzugehen.

Sie zog die Augenbrauen hoch, „Wespen? Ja es kann sein, dass um die Früchte einige herumgeschwirrt sind.“

Dann begriff sie den Sinn der Frage. „Ach so, Sie denken, dass sie Angst vor Wespen hatte, und deshalb die Panik …

Ja, jetzt wo Sie es sagen, das wäre durchaus möglich.“

„Danke Madame, das war im Moment alles. Wenn Sie dann …“ Er blätterte in seinen Unterlagen. „… Bitte Frau Leu zu mir schicken würden, das wäre sehr nett!“

„Was wollen Sie denn von Carmela? Die war ja gar nicht dabei!“, zischte sie.

Jetzt zog Guerin die Brauen hoch, „Frau Leu kennen Sie also, Madame?“

„Sie ist schließlich meine Lebenspartnerin, Herr Kommissar, auch wenn Ihnen das womöglich nicht gefällt!“, antwortete sie immer noch ziemlich gereizt.

Guerin blieb ganz ruhig. „Ich bitte Sie, Madame, ich achte selbstverständlich jedermanns Auffassung. Wenn Sie dann also bitte Ihre Lebenspartnerin zu mir bitten könnten.“

Debora beschränkte sich auf einen giftigen Blick, bevor sie aufstand. Guerin wartete, bis sie fast an der Tür war, bevor er seine letzte Frage stellte. „Einen Moment noch, Madame!“

Sie drehte sich abrupt um. „Was ist denn noch?“

„Kennen Sie von den anderen Gästen auch noch jemanden näher?“, wollte er wissen.

„Ja, wir kennen uns seit Jahren, wir treffen uns immer im Frühling hier, um uns zu sonnen. Nur diese Frau … Wettermann war neu, niemand hat sie gekannt.“

„Werthemann, Madame.“

„Ja, dann eben Werthemann. Die anderen sind übrigens auch Pärchen, nur damit Sie nicht fragen müssen, Herr Kommissar!“, schnauzte sie ihn grob an.

Carmela machte dagegen einen traurigen Eindruck, schüchtern trat sie ein. Guerin schonte sie, soweit möglich, las ihr nur die Notizen von Marcel vor, und fragte dann, ob sie noch etwas hinzufügen möchte. „Die arme Frau“, sagte sie nur. „Und ich konnte gar nicht mehr helfen.“

Auf die Frage nach den Wespen schüttelte sie nur den Kopf.

Entgegen seiner ersten Absicht ließ Guerin auch die beiden Pärchen, Erika und Lotti sowie Anna und Kerstin rufen.

Sie erklärten übereinstimmend, dass die „Neue“ offenbar Carmela schöne Augen gemacht hatte. Von Wespen wollten sie jedoch ebenfalls nichts bemerkt haben.

„Schluss für heute, mon Cherié“, sagte Guerin schließlich, als die Zeuginnen gegangen waren. „Jetzt gehen wir schön essen, und dann gleich ins Bett.“

„Ich bin noch nicht so sehr, müde“, antwortete Michélle lächelnd.

„An Schlafen hatte ich eigentlich nicht gedacht“, antwortete Guerin.

„Gibt es hier denn kein Tanzlokal oder so was Ähnliches?“, fragte Michélle zurück.

„Natürlich gibt es das, aber ich bin ein lausiger Tänzer“, antwortete Guerin leicht verlegen.

„Dann musst du dringend üben“, stellte sie fest. „Ich gebe dir dann heute Abend gleich die erste Stunde!“

„Schwachstelle gefunden und sofort darin herumstochern, so seid ihr Frauen“, seufzte Guerin.

„Ja, wenn du nicht möchtest?“

„Doch natürlich, ich würde es gerne lernen, ich hatte nur bisher wenig Gelegenheit. Und vermutlich werde ich dir dabei ab und zu auf deine hübschen Füßchen treten.“

„Da bist du keineswegs der Einzige, der das auch schon versucht hat“, antwortete sie schelmisch. „Mach dir deswegen um mich keine Sorgen.“

Während des Essens fiel Guerin plötzlich ein, woher er den Namen der ersten Zeugin kannte. Der unbekannte tote Motorradfahrer hatte eine Rechnung von einem oder einer namens Nagel in der Tasche gehabt. Allerdings nicht von einem Zahnarzt, da war er sich sicher.

Um die Stimmung nicht zu stören, ließ er sich nichts anmerken. Das konnte bis Montag warten.

€1,49